Begegnungen11_Gebert
Begegnungen
Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Band 11:209–220.
AGATHE GEBERT
Die Transformation der Ungarischen Akademie der Wissen-schaften im Zuge des Systemwechsels (1987 bis 1994)
Aufriss eines Forschungsthemas*
Systemwechsel in Ungarn
Der Zusammenbruch der totalitären sozialistischen Herrschaft in Osteuropa und die eingeleitete politische, ökonomische und soziale Entwicklung zu marktwirtschaftlich orientierten Demokratien in den Ländern Osteuropas waren die Folge einer grundsätzlichen Funktions- und Legitimationskrise, in die das realsozialistische System über seine wirtschaftlichen Probleme hinaus geraten war. Der Versuch der Ungarischen Sozialistischen Arbeiterpartei (USAP, MSZMP) Ende der achtziger Jahre, die Krise durch wirtschaftliche und politische Reformen zu bewältigen, scheiterte an der immer offensichtlicher werdenden Unreformierbarkeit des politisch-gesellschaftlichen Systems real-sozialistischen Typs. Tiefgreifende, dauerhafte Veränderungen der Macht- und Herrschaftsstrukturen sowie der Gesellschaftsordnung und die Etablierung einer gänzlich anderen politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ordnung, also ein Systemwechsel, waren notwendig.1
Wesentliches Merkmal des Systemwechsels in Ungarn ist die Tatsache, dass die für den Wechsel zu einer marktwirtschaftlich orientierten Demokratie notwendigen Reformmaßnahmen und rechtlichen Schritte von innerhalb der herrschenden sozialistischen Partei (MSZMP) selbst initiiert und weitgehend auch umgesetzt wurden.2 Die in der zweiten Hälfte der 80er Jahre angegangenen Veränderungsbemühungen im Zuge des wirtschaftlichen Krisenmanagements entwickelten in den Jahren 1987, 1988 und 1989 eine starke Eigendynamik, welche die Reformen weit über das zunächst angestrebte Maß zur Etablierung eines „demokratischen Sozialismus” hinaustrieb, ideologische Sperren überwand und schließlich in der prinzipiellen Anerkennung einer neuen politischen Ordnung und eines Mehrparteiensystems durch die Staatspartei mündete. Diese Dynamik ist vor allem auf die zunehmende Polarisierung innerhalb der MSZMP-Führung zurückzuführen, in deren Verlauf erst Reformer, dann Transformer die Oberhand gewannen.
Bereits die zur Eindämmung der wirtschaftlichen Krise im Jahr 1986 eingeleiteten Maßnahmen sahen über wirtschaftspolitische Veränderungen hinaus auch die Bereitung der für einen grundlegenden Wirtschaftswandel notwendigen politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen vor. Neben einschneidenden Rationalisierungsbestrebungen zur Entlastung des Staatshaus- haltes knüpften die Reformer an den 1969 eingeführten, aber nur unzureichend implementierten „Neuen Wirtschaftsmechanismus” (új gazdasági mechanizmus) an. Im Zuge einer stärkeren Liberalisierung der Unternehmenstätigkeit von staatlicher Bevormundung und im Sinne eines umfassenden Wirtschaftswandels wurde eine – wenn auch begrenzte – Repolitisierung der ungarischen Bürger für notwendig befunden. In diesem Zusammenhang sprach man sich auch für eine erforderliche größere Transparenz politischer Entscheidungsprozesse aus. Zudem wurde den Regierungsorganen, allen voran dem Parlament, gegenüber den Parteiorganen zunehmend mehr Handlungsspielraum eingeräumt.
Systemwechsel und die Ungarische Akademie der Wissenschaften
In dem mit dem Systemwechsel verbundenen Modernisierungsprozess galt es auch, die unter sozialistischer Herrschaft nahezu völlig zerstörte zivile Gesellschaft wieder zu errichten und zu mobilisieren. Dazu mussten die zuweilen völlig in die stark hierarchisierte und bürokratisierte Staatsverwaltung inkorporierten gesellschaftlichen Subsysteme aus der Staatsverwaltung gelöst und stärker ausdifferenziert werden.
Wissenschaft und Forschung stellen einen solchen gesellschaftlichen Teilbereich dar. Innerhalb der Transformation dieses gesellschaftlichen Subsystems kommt der Ungarischen Akademie der Wissenschaften (MTA) eine besondere Bedeutung zu. Zum einen ist die Wissenschaftsakademie die höchste Wissenschaftsinstitution des Landes und als solche auch politikberatend tätig. Zum anderen war sie seit den siebziger Jahren als ein ganz wesentliches Organ staatlicher Wissenschaftspolitik in die Staatsverwaltung des Landes inkorporiert.
Der sich in den ausgehenden 80er Jahren anbahnende Wandel tangierte die Ungarische Akademie der Wissenschaften deshalb von Anfang an in zweierlei Hinsicht3: Einmal als politisch agierende, Reformen vorantreibende Institution, zum anderen als reformbedürftiger Hort der wissenschaftlichen Forschung. Einerseits forderte die MSZMP die höchste wissenschaftliche Institution des Landes zur Stellungnahme und Beurteilung der geplanten Reformmaßnahmen auf, die zudem von Soziologen und Rechtswissenschaftlern der Akademie wissenschaftlich untermauert und ausgearbeitet bzw. weitergeführt wurden. Andererseits geriet die Wissenschaftsinstitution im Zuge der angestrebten Rationalisierungsmaßnahmen als eine größtenteils aus dem Staatshaushalt finanzierte Institution unter Beschuss.
Im Zuge des von der Regierung angegangen „Untersuchungsprogrammes” (kormányzati felülvizsgáló program), welches die Rationalisierung der im eigentlichen Sinne „nicht produzierenden” (nem termelő) Gesellschaftsbereiche zum Ziel hatte, rückte vor allem auch das ungarische Finanzministerium die kostenintensive Doppelung der Forschungsbasen an Akademie und Universitäten in den Vordergrund. Die damit einhergehende Überlegung zur Auflösung des akademieeigenen Forschungsnetzwerkes bzw. die Abtrennung und Verselbständigung großer Forschungsinstitute und die Eingliederung kleiner Akademieinstitute in die Universitäten wurde auch vom ungarischen Bildungsministerium unterstützt.4 Die Wiederherstellung der Einheit von Forschung und Lehre an den Universitäten würde nicht nur letzteren erneut zu ihrer traditionellen Rolle verhelfen. Die institutionelle Vereinfachung der Forschungslandschaft würde zudem zu mehr Transparenz auch im Hinblick auf die Belastung des Staatshaushaltes zur Wissenschaftsfinanzierung dienen.
Die damit vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Krise und der aus ihr geborenen Veränderungsbemühungen gewissermaßen unter akutem Reformdruck eingeleitete und bis heute keineswegs abgeschlossene Transformation der MTA ist Gegenstand der in diesem Artikel vorgestellten Promotionsarbeit. Letztere endet mit dem 1994 verabschiedeten Akademiegesetz, welches eine entscheidende Zäsur in diesem Prozess darstellt.5
Der Abbau staatlicher Subventionierung in der Wissenschaft einerseits und die vorsichtige Demokratisierung des politischen Lebens andererseits bedeuteten für die Akademieleitung Handlungsbedarf und Handlungsmöglichkeit gleichermaßen – zumal die rapide voranschreitenden Veränderungsbemühungen der MSZMP und der sukzessive Rückzug der einstigen Staatspartei aus der politischen Macht gewisse Auflösungsprozesse mit sich brachten. Mit der fast gleichzeitigen Einstellung der für wissenschaftspolitische Fragen zuständigen Unterausschüsse des ZK der Partei und des dem Ministerrat unterstellten wissenschaftspolitischen Ausschusses (TPB) Ende der 80er Jahre entstand ein nicht unwesentliches Vakuum. Es mangelte an einem für die umfassenden wissenschaftspolitischen Fragen verantwortlichen Organ. Darüber hinaus genossen wissenschaftspolitische Fragen im sich schnell dynamisierenden Transformationsprozess zunächst keine Priorität für die politischen Akteure. Dieses Vakuum wurde von der Akademie genutzt, um ihre über die Selbsttransformation hinaus wichtige wissenschaftspolitische Anstrengungen zu unternehmen. Zu diesen Initiativen hatte die Akademie nicht zuletzt auch deshalb die Möglichkeit, weil „die Akademieleitung – zumindest in den Augen der Öffentlichkeit – nicht mit dem kommunistischen System verfilzt war”6. Zudem war die Akademie trotz aller Rivalitäten in der ungarischen Forschergemeinschaft als Hüter der Wissenschaftsinteressen anerkannt.7
Im späteren Verlauf der Transformation des Wissenschaftssystems wirkte sich die Nähe zur und personelle Verstrickung der Akademieleitung mit der politischen Führung8 positiv auf die Selbsterhaltungsbestrebungen der Akademie mitsamt ihres Institutsverbundes aus. Erleichtert wurde dies auch, weil, als die Frage der Transformation der Akademie der Wissenschaften Eingang in die politischen Gremien fand, die Akademie einen ausgearbeiteten Vorschlag für ein neues Akademiegesetz vorlegen konnte.
Zur Geschichte der Ungarischen Akademie der Wissenschaften
Die Ungarische Akademie der Wissenschaften wurde 1827 von adeligen Reformern ins Leben gerufen. 1949 wurde sie nach sowjetischem Vorbild umgestaltet und sukzessive zu einer sozialistischen Forschungsakademie mit eigenen Forschungsinstituten ausgebaut. Seither nahm sie die Rolle der höchsten, für die Grundlagenforschung insbesondere verantwortlichen Wissenschaftsinstitution Ungarns ein. In den 70er Jahren gelang es den politischen Machthabern zudem, die Akademie fest in die staatliche Wissenschaftsverwaltung zu inkorporieren. Damals wurde die Akademie der Wissenschaften infolge der 1969 vom ZK der MSZMP verabschiedeten Richtlinien,9 in denen, wie nahezu überall in Europa, die hohe Bedeutung der Grundlagenforschung für die nationale wirtschaftliche Entwicklung betont wurde, umfassend reformiert. Wesentlicher Bestandteil der Reformen war der Ausbau des Zentralamtes (Központi Hivatal), welches fortan unter der Leitung des seither von der Regierung ernannten und dem Ministerrat direkt unterstellten Generalsekretärs der Akademie mit der Lenkung der Forschungsinstitute der Akademie sowie der von ihr unterhaltenen universitären Forschungsgruppen beauftragt wurde.10 Ziel der Reform war es, seitens der Regierung unmittelbaren Einfluss auf die in diesen Instituten betriebene Forschung zu haben bzw. die Forschung stärker für den wirtschaftlichen Aufbau des Landes zu instrumentalisieren und die Umsetzung der lang- und mittelfristig angelegten Forschungspläne sicherzustellen.
Zusammen mit zwei weiteren, ebenfalls in den 70er Jahren begründeten, dem Ministerrat direkt untergeordneten Organen nahm die Akademie seither wichtigen Anteil an der Gestaltung der Forschungsentwicklung: Der von einem stellvertretenden Ministerpräsidenten geleitete wissenschaftspolitische Ausschuss (TPB) war für den Gesamtbereich der Wissenschafts- und Technologiepolitik, d.h. auch für die Abfassung der Forschungspläne verantwortlich. Diesem Ausschuss waren die Akademie und die Landeskommission für technische Entwicklung (OMFB) auf mittlerer Ebene der staatlichen Wissenschaftssteuerung zugeordnet. Während die Landeskommission für technische Entwicklung vor allem für die technische und angewandte Forschung zuständig war, kam der Akademie die Leitung der Grundlagenforschung sowie der gesellschaftswissenschaftlichen Forschung zu.11 Sowohl die OMFB wie die Akademie der Wissenschaften verfügten in den 80er Jahren über entscheidende Gelder in Form von Stiftungen zur zusätzlichen Finanzierung wissenschaftlicher Forschung.
Die Ungarische Akademie der Wissenschaften war damit seit den 70er Jahren eine zweigeteilte Wissenschaftsinstitution: Zum einen war sie die höchste, besonders ausgestattete, wissenschaftliche Körperschaft des Landes, in deren Händen die Grundlagenforschung, die Weiterentwicklung der einzelnen Wissenschaftszweige, die Organisation und Unterstützung des wissenschaftlichen Lebens sowie die Lenkung der wissenschaftlichen Qualifizierung lag. Zum anderen übte sie als quasi-Ministerium die Aufsicht über ihre Forschungsinstitute und universitären Forschungsgruppen aus.
Die Akademie und die in ihren Instituten durchgeführte oder an Universitätslehrstühlen unterstützte Grundlagenforschung büßte damit noch mehr ihrer ohnehin seit ihrer Umgestaltung im Jahr 1949 geschwundenen Autonomie ein und war seither noch stärker politischen Vorgaben unterworfen.
Zur Transformation der Ungarischen Akademie der Wissenschaften
Vor dem Hintergrund der vorstehend skizzierten Krise im Ungarn der ausgehenden 80er Jahre und den Reforminitiativen der Staatspartei erkannte die Akademieleitung sehr bald die Notwendigkeit zur umgreifenden Reformierung der Akademie. Dabei ging es von Anbeginn an ganz zentral um die Schaffung einer neuen, mit neuer Legitimation bzw. Daseinsberechtigung verbundenen Rechtsgrundlage, eines neuen vom Parlament verabschiedeten Akademiegesetzes sowie um die Abschaffung des quasiministeriellen Charakters der Akademie. Gleichzeitig waren die Wissenschaftler sowohl im eigenen Interesse, als auch im Interesse der ungarischen Forschung um den Erhalt der Akademieinstitute als Zentren besorgt.
So gestaltete sich der bereits im Herbst 1987 initiierte Reformprozess innerhalb der Ungarischen Akademie der Wissenschaften unter dem Motto: Bewahren und Erneuern.12 War es einerseits an der Zeit, entscheidende strukturelle Veränderungen durchzuführen, so galt es andererseits, die Funktionsfähigkeit der ungarischen Wissenschaft und Forschung weiterhin zu gewährleisten und (auch in der sich anbahnenden Krise) nicht zu gefährden.
Im November 1987 beschäftigte sich das Akademiepräsidium auf seiner Sitzung mit Fragen der zukünftigen Weiterentwicklung der Akademie. Schon damals wurde es als dringend erforderlich angesehen, für die bevorstehende Zeit neue Vorstellungen und Konzeptionen einer zukünftigen Akademie, eine neue Rechtsgrundlage und neue arbeitsstrukturelle Formen für die Wissenschaftsinstitution zu entwickeln.13 In diesem Sinne begonnene Arbeiten einzelner Sachverständiger wurden im Anschluss an die außerordentliche Generalversammlung der Akademie im September 1988, auf der die versammelten Akademiemitglieder dem Vorschlag des Präsidenten und des Generalsekretärs zur Ausarbeitung eines neuen Gesetzentwurfs zustimmten, koordiniert und intensiviert. Unter Leitung des Rechtswissenschaftlers István Kovács wurde eine Arbeitsgruppe eingerichtet und mit der Erarbeitung eines neuen Akademiegesetzes sowie neuer Akademiestatuten beauftragt.14 Zu diesem Zeitpunkt freilich hatte sich der Reformdruck durch die Ereignisse auf der außerordentlichen Parteikonferenz im März desselben Jahres, die mit der Absetzung János Kádárs endete, verstärkt.
Schon auf ihrer Generalversammlung im Mai 1989 diskutierten die Akademiemitglieder die ersten Ergebnisse der unter Kovács tätigen Wissenschaftler. Die auf dieser Versammlung akzeptierten Grundprinzipien verdeutlichten bereits die wesentlichen Elemente einer neuen Akademiekonzeption.15 Demzufolge verliert die Akademie ihren quasiministeriellen Charakter und besteht weiter als staatlich subventionierte, selbstverwaltete öffentliche autonome Körperschaft. Das ihr zur Verwaltung überantwortete Gut soll dazu in ihr eigenes Eigentum übergehen. Sie soll zudem über ein vom Parlament zu bewilligendes eigenes Budget verfügen. Über ihre Forschungsinstitute hinaus unterhält die Akademie auch andere Hilfsinstitute wie eine Bibliothek, eine Druckerei und einen Verlag. Es wurde angestrebt, dem Parlament noch vor der 150. Generalversammlung der Akademie im Jahr 1990 einen Entwurf des neuen Gesetzes vorzulegen.
Im Laufe des Jahres 1989 begann sich jedoch von vielen Seiten Widerstand gegen die als voreilig empfundenen Schritte der Akademie zu regen.16 Es wurde befürchtet, die Akademie würde mit dem neuen Akademiegesetz ihre vorrangige Rolle in der ungarischen Wissenschaft manifestieren und wesentliche Strukturen des alten Wissenschaftssystems dauerhaft festigen, noch bevor die ausstehende Änderung der ungarischen Verfassung sowie die weitere Verrechtlichung des gesellschaftlichen Lebens in Angriff genommen werden konnten. Um so mehr, als die Akademie sich zunehmend als eine Körperschaft aller Wissenschaftler definiert werden wissen wollte. In einem Beschluss der außerordentlichen Vollversammlung der Akademie im Februar 1990 wird die Autonomie einer mit staatsbürokratischen Mitteln nicht lenkbaren Wissenschaft gefordert. Gleichzeitig definierte sich die Akademie quasi als autonome Körperschaft aller Wissenschaftler Ungarns, der die zentrale Lenkung der ungarischen Forschung obliegen sollte.17 Diese zentralistischen Bestrebungen mussten nicht zuletzt auch den nach mehr Selbständigkeit strebenden Akademieinstituten missfallen.
Offensichtlich vor dem Hintergrund der ausgelösten Spannungen hatte das Präsidium der Akademie auf seiner Sitzung im Oktober 1989 beschlossen, das neue Akademiegesetz vorerst nicht weiter zu forcieren und sich stattdessen mit der internen Erneuerung und Umstrukturierung der Akademie und der Ausarbeitung neuer Grundstatuten zu befassen.18
Die daraufhin verstärkten Reformbemühungen zur internen Veränderung zeigten sich in einer gezielten Auflösung der zentralen Verwaltungsstrukturen und einer gleichzeitigen Demokratisierung innerhalb der Akademie. So wurde 1990 das Zentralamt (KH) der Akademie aufgelöst bzw. sukzessiv in ein Generalsekretariat umgewandelt.19 Damit wurde auch die Zweiteilung der Akademie in Gelehrtengesellschaft einerseits und quasiministerielles Staatsorgan aufgehoben. Im Rahmen der dadurch formal wieder hergestellten Einheit hat das Generalsekretariat keine weisungsbefugte Leitungsfunktion mehr, sondern vor allem Verwaltungsfunktionen, um die Funktionsfähigkeit der Forschungsinstitute und Ausschüsse sicherzustellen. Im gleichen Zuge erhielten einzelne Forschungsinstitute größere Selbständigkeit sowohl hinsichtlich ihrer Forschungsarbeit, des Aufbaus ihrer Auslandbeziehungen sowie ihres Wirtschaftens.20 Bei Ernennung der Institutsdirektoren durch den Generalsekretär werden seither die auf dem Weg einer geheimen Wahl abgegebenen Stimmen der Institutsmitarbeiter berücksichtigt. Dieses Verfahren führte 1991 offensichtlich zur Ernennung zahlreicher neuer Institutsdirektoren.21 Von noch größerer Bedeutung war die Schaffung des Rates der Akademieinstitute (AKT) als Interessenvertretungsorgan sowohl der Forschungsinstitute als auch der von der Akademie unterstützten universitären Forschungsgruppen und öffentlichen Sammlungen (Bibliotheken und Museen) sowie die Einrichtung eines Ausschusses der Forschungsstellen der Akademie (AKB). Aufgabe dieses von der Generalversammlung gewählten Ausschusses war es, die Situation des Institutsverbundes zu untersuchen und Lösungsvorschläge für dessen Verbesserung zu erarbeiten.22
Ein weiterer wichtiger Reformschritt, der mit einem Prestigegewinn verbunden war, bestand in der Überprüfung und Rehabilitierung zu unrecht aus der Akademie ausgeschlossener bzw. aus politischen Gründen diskriminierter Wissenschaftler.23
Über ihre Selbsttransformation hinaus ergriff die Akademie zudem auch Initiativen zur Lösung anstehender wissenschaftspolitischer Probleme. Großer Bedarf bestand vor allem in der Modifizierung des Systems der postgraduellen Bildung. Diese oblag in sozialistischen Zeiten dem im Verwaltungsbereich der Akademie liegenden Wissenschaftlichen Qualifizierungsausschuss (TMB), wurde im Zuge der Transformation jedoch von den Universitäten zurückverlangt. Obgleich die Akademie bis zur Verabschiedung der entsprechenden Gesetze 1993 und 1994 ganz wesentlich daran festhielt, auch in Zukunft den höchsten akademischen Grad (Doktor der Akademie) zu verleihen und den Universitäten zunächst nur die Vergabe eines untergeordneten PhD-Grades zugestand, unterstützte sie den Aufbau eines entsprechenden universitären Systems der postgraduellen Weiterbildung. Ihre Forschungsinstitute forderte sie dazu auf, diesen Aufbau in einem eigens dazu eingerichteten Assoziierungsprogramm, dem sog. Athenaeum-Programm24 sowie durch die gemeinsame Nutzung der technisch besser ausgestatteten Forschungsinstitute und Laboratorien tatkräftig zu unterstützen.
Das neue Akademiegesetz
Mit dem auf der Generalversammlung der Akademie im Mai 1990 gewählten angesehenen und politisch unbelasteten neuen Akademiepräsidenten Domokos Kosáry gewann der Transformationsprozess der Akademie neuen Auftrieb. Das zeigte sich nicht nur in den zuletzt skizzierten Reformen und wissenschaftspolitischen Initiativen, sondern auch darin, dass die ein halbes Jahr zuvor zurückgestellten Gesetzesinitiativen wieder aufgenommen wurden. Unterstützt durch das Wohlwollen und das Vertrauen der Regierung, von Ministerpräsident József Antall in seiner Rede eben auf jener Generalversammlung der Akademie zum Ausdruck gebracht, trat die Akademie unter Kosáry den Weg nach vorn an. Dabei galt es nicht nur, das geschwundene Ansehen in der Öffentlichkeit entscheidend zu verbessern, sondern auch den politischen Dialog mit Regierung und Parlament zu intensivieren.
Anfang 1991 reichte der Akademiepräsident den überarbeiteten Akademiegesetzentwurf an die entsprechenden Regierungsgremien weiter. Bereits ein halbes Jahr später, im Herbst 1991, beschloss der 1990 neu gegründete Wissenschaftspolitische Ausschuss (TPB) in Absprache mit den Ministerien, den Gesetzentwurf dem Parlament vorzulegen. Dort jedoch verzögerte sich der Weitergang aus bekannten Gründen: Das Parlament hatte mit Zustimmung des Bildungsministeriums beschlossen, die Gesetze über die Akademie, über die Hochschulbildung und über die wissenschaftliche Qualifizierung gemeinsam als Gesetzespaket zu diskutieren und zu verabschieden.25
Der von der Regierung beschlossene und weitergeleitete Entwurf basierte zwar auf dem von der Akademie vorgelegten Entwurf, wich aber in einigen Punkten von ihm ab.26 Das hatte vor allem damit zu tun, dass das Bildungsministerium sich für die Stärkung der Universitäten in ihrer traditionellen Rolle, d.h. auch für die Intensivierung der universitären Forschung einsetzte. So wurde die Vorstellung der Akademie als eine den Universitäten übergeordnete Institution mit weitreichenden zentralistischen Verwaltungskompetenzen innerhalb der ungarischen Forschung und Wissenschaft abgelehnt. Desweiteren sahen die politischen Akteure eine größere Präsenz von Wissenschaftlern anderer Forschungseinrichtungen, d.h. Nichtmitgliedern der Akademie, in der Generalversammlung der Akademie vor. Auch blieb die Frage der Zuständigkeit bei der Vergabe wissenschaftlicher Grade strittig. Die mit dem Athenaeum-Programm verfolgte Intention, Akademieinstitute und Universitäten gemeinsam zur Zusammenarbeit in der postgraduellen Ausbildung zu verpflichten, wurde als Gefahr der Bevormundung der Universitäten durch die Akademie gesehen.
Während sich so der Gesetzgebungsprozess weiter hinzog, wurden andere wichtige Weichen gestellt, die direkt oder indirekt den Fortbestand der Akademie mitsamt ihres Forschungsnetzwerkes sowie den Verrechtlichungsprozess erleichterten.
Dazu gehört zum einen die bewusste Entscheidung der politischen Akteure in Ungarn im Frühjahr 1994 für die Beibehaltung des sich zu Beginn der 90er Jahre herausgebildeten wissenschaftspolitischen Entscheidungsystems mit verteilten Kompetenzen und gegen die Etablierung eines mit zentralen Kompetenzen ausgestatteten Forschungsministeriums27. Innerhalb dieses Systems kommen der Akademie neben der Mitgliedschaft des Akademiepräsidenten im entscheidenden wissenschaftspolitischen Organ auf Regierungsebene (TPB) auch weitere wissenschaftspolitische Aufgaben zu. Diese stehen vor allem im Zusammenhang mit der Unterhaltung eines Institutsverbandes zur Grundlagenforschung.28
Zum anderen wurde mit der Änderung des Ungarischen Bürgerlichen Gesetzbuches (PTK) im Januar 1994 der Bestand einer öffentlichen Körperschaft geregelt.
Am 28. März 1994 schließlich verabschiedete das Parlament endlich das lang ersehnte Akademiegesetz. 29 Darin wurden die wesentlichen Vorstellungen der Akademie rechtlich abgesegnet: die Autonomie der Wissenschaft, die Schaffung eines eigenen Akademievermögens sowie der Erhalt des Institutenverbundes der Akademie. Die Ungarische Akademie der Wissenschaften wurde mit dem Gesetz konstituiert als eine selbstverwaltete Körperschaft öffentlichen Rechts (mit ihr zugeordneten Forschungsinstituten der Grundlagenforschung), die nicht mehr nur aus ihren ordentlichen und korrespondierenden Mitgliedern (akadémikusok) besteht, sondern aus allen qualifizierten (noch in der Wissenschaft tätigen) ungarischen Wissenschaftlern, die durch 200 von diesen geheim und fachspezifisch gewählten Wissenschaftler in der Generalversammlung vertreten werden. Ein eigenes, jährlich vom Parlament neu zu bestimmendes Haushaltskapitel im Staatshaushalt dient der Finanzierung der Akademie. Die Hauptaufgaben der Akademie bestehen in der Unterstützung, Durchführung und Verbreitung wissenschaftlicher Forschung. Zu diesem Zweck unterhält die Akademie neben ihren eigenen Instituten zahlreiche, größtenteils fachspezifisch aufgefächerte Ausschüsse und Gremien. Darüber hinaus ist sie auch als Vertretungsorgan der gesamten ungarischen Wissenschaft anerkannt und berichtet dem Parlament alle zwei Jahre über den Stand der Wissenschaft des Landes. Die postgraduelle Weiterbildung und die Verleihung des Grades wissenschaftlicher Grade wurde wieder den Universitäten anvertraut. Die Akademie behält das Recht zur Verleihung des Doktors der Akademie der Wissenschaften. Dieser gilt jedoch nicht im eigentlichen Sinne als wissenschaftlicher Grad, sondern als Auszeichnung.
Abschließende Bemerkungen
Die Transformation der Ungarischen Akademie der Wissenschaft geht in entscheidendem Maße auf einen endogenen, d.h. in der Akademie selbst initiierten, vorangetriebenen Prozess zurück. Ausgelöst durch Reformdruck von außen bekundet die Akademieleitung eine hohe Reformbereitschaft. Der Reformprozess steht unter der Devise, notwendige Veränderungen anzugehen, ohne jedoch die Funktionsfähigkeit der ungarischen Wissenschaft zu gefährden. Es ist sicher von großer Bedeutung für diesen endogenen Reformbeginn, dass es trotz Spannungen zwischen den Forschungsinstituten und der Akademie aber auch unter den Akademiemitgliedern gelingt, nach außen einheitlich aufzutreten und geschlossen an den Veränderungen mitzuarbeiten. Für den weiteren Reformprozess ist es zudem entscheidend, dass trotz des gleichzeitigen Bestrebens vor allem von Seiten des Bildungsministeriums, die Universitäten zu stärken und ihnen zu ihrer traditionellen Rolle zu verhelfen, die Akademie eine politische Lobby besaß. Gleichzeitig schien sie als wichtiger wissenschaftspolitischer Akteur unverzichtbar.
Anmerkungen
1
Vgl. aus der Fülle dazu erschienener Forschungsliteratur: Lendvai, Paul: Das eigenwillige Ungarn. Von Kádár zu Grósz. Zürich/Osnabrück 21988; Sitzler, Kathrin: Ungarn. Von der schrittweisen Reform zum Systemwechsel. In: Altmann, Franz-Lothar/ Hösch, Edgar (Hg.): Reformen und Reformer in Osteuropa. Regensburg 1994, S. 70–95; Tőkés, Rudolf L.: Hungary’s negotiated Revolution. Economic reform, social change, and political succession, 1957–1990. Cambridge 1996; Kulcsár, Kálmán: Systemwechsel in Ungarn 1988–1990. Analyse und Erinnerungen des damaligen ungarischen Justizministers. Frankfurt/Main 1997.
2
Diesen Tatbestand macht vor allem die kürzlich erschienene Dissertationsarbeit des Münchner Historikers und Politologen Andreas Schmidt-Schweizer deutlich. Vgl. Schmidt-Schweizer, Andreas: Vom Reformsozialismus zur Systemtransformation in Ungarn. Politische Veränderungsbestrebungen innerhalb der Ungarischen Sozialistischen Arbeiterpartei (MSZMP) von 1968 bis 1989, Frankfurt u.a. 2000. In einer ausgesprochen hermeneutisch angelegten Forschungsarbeit hat Schmidt-Schweizer die Sitzungsprotokolle des Zentralkomitees der MSZMP zwischen 1986 und 1988 sowie die für diese Sitzungen vorbereiteten Stellungnahmen und Berichte anderer zentraler und regionaler Parteiorgane und gesellschaftlicher Gruppen systematisch ausgewertet. Unter Einbeziehung der ebenfalls lückenlos recherchierten Berichterstattung in der ungarischen Tagespresse, wichtiger Gesetzestexte sowie anderer offizieller Schriftstücke gelingt es dem Historiker, den Reformprozess innerhalb der MSZMP, dessen unmittelbare programmatische Modernisierungs- und Demokratisierungsbemühungen sowie deren soziopolitischen Folgen detailliert chronologisch nachzuzeichnen und zu bewerten. Seine Forschungsergebnisse revidieren damit entscheidend die in Fachkreisen bisher vorherrschende Ansicht, beim ungarischen Systemwechsel hätte es sich um eine zwischen herrschender Staatspartei und der demokratischen Opposition ‘ausgehandelte Revolution’ gehandelt. Tatsächlich wurden die Weichen auf dem Weg zu einer parlamentarischen Demokratie bereits vor den sogenannten Ausgleichsgesprächen von der MSZMP gestellt.
3
Das hier im folgenden Dargestellte ergibt sich im wesentlichen aus der Durchsicht der im Ungarischen Staatsarchiv (Magyar Országos Levéltár) befindlichen Dokumente der einstigen Staatspartei (MSZMP). Aufschlussreich waren vor allem einzelne Akten des Politbüros (Politikai Bizottság), des Zentralkomitees (Központi Bizottság) sowie der der Abteilungen für Wissenschaft, Bildung und Kultur (TKKO) und für Agitation und Propaganda (Agitációs és Propaganda Osztály) des ZK (Signatur: MOL 288.f./...). Zudem erläuterten einige von mir geführte Interviews mit in der ungarischen Wissenschaft und Wissenschaftspolitik tätigen Personen den Sachverhalt.
4
Vgl. hierzu auch die unveröffentlichte Dissertationsschrift des Wirtschaftswissenschaftlers Tolnai, Márton: A Magyar Tudományos Akadémia és a tudomány intézményrendszerének átalakulása. Budapest 1998 (Manuskript), S. 26ff.
5
Der verfolgte Arbeitsansatz ist im wesentlichen ein hermeneutischer und basiert auf der Analyse primärer und sekundärer Quellen. Einige Ergebnisse werden zudem durch geführte Interviews mit ungarischen sowohl Forschungsakteuren wie forschungspolitischen Akteuren abgesichert.
6
Fischer, Holger: Systemwechsel und Wissenschaftslandschaft in Ungarn. Unveröffentlichtes Manuskript aus den Jahren 1995/96, S. 39.
7
Auf die gemeinhin anerkannte Funktion der Akademie als Hüterin wissenschaftlicher Interessen und auf den sukzessiven Verlust dieser Rolle im späteren Verlauf des Transformationsprozesses verwies Márton Tolnai in einem Interview mit der Verfasserin im Sommer 2000.
8
Hier sei nur auf die Akademiemitglieder Prof. Dr. Ferenc Glatz (Historiker) und Prof. Dr. Kálmán Kulcsár (Rechtswissenschaftler) hingewiesen, die als Kulturminister und als Justizminister den ungarischen Transformationsprozess entscheidend mit vorantrieben.
9
A Magyar Szocialista Munkáspárt Központi Bizottságának tudománypolitikai irányelvei. In: Vass, Henrik (Hg.): MSZMP határozatai és dokumentumai 1967–1970. Budapest 1974, S. 335–367.
10
Vgl. hierzu Kónya, Sándor: „... Magyar Akadémia állíttassék fel...”. Akadémiai törvények, alapszabályok, ügyrendek 1827–1990. Budapest 1994 sowie zahlreiche Artikel Kónyas zur Geschichte der Ungarischen Akademie der Wissenschaften in sozialistischen Zeiten.
11
Vgl. den sehr kritischen Aufsatz einer Soziologin der Ungarischen Akademie der Wissenschaften: Balázs, Katalin: A tudományos kutatás és a műszaki fejlesztés irányítása és finanszírozása Magyarországon a nyolcvanas évek végén. In: Magyar Tudomány (1989) ksz., S. 40–52
12
Auf diese Formel brachte der Akademiepräsident Iván T. Berend zum Abschluss seiner Amtszeit den eingeleiteten Erneuerungsprozess. Vgl. dazu seine Rede auf der Generalversammlung im Mai 1990: Megőrizni és megváltoztatni. In: Magyar Tudomány 35 (1990) 7, S. 760–774.
13
Vgl. die einleitenden Ausführungen des damaligen Generalsekretärs István Láng auf dem Fórum az Akadémiáról vom 26. September 1989, in: Magyar Tudomány ksz. (Sondernummer) 1989, S. 3f. Láng fasst die vorausgegangene Entwicklung kurz zusammen.
14
Vgl. Javaslat egy, az akadémiáról szóló törvény, valamint új akadémiai alapszabálytervezetet kidolgozó alkalmi bizottságra. In: Akadémiai Közlöny 10. Februar 1989, S. 5.
15
Vgl. Előterjesztés az MTA 1989. évi közgyűlési határozata végleges szövegének megállapítására. In: Akadémiai Közlöny vom 8. Dezember 1989, S. 145–151, vor allem S. 146f.
16
Vgl. z.B. zahlreiche Artikel in der Tageszeitung Magyar Nemzet in den Sommermonaten des Jahres.
17
Vgl. Az MTA közgyűlésének nyilatkozata. In: Magyar Tudomány 35 (1990) 4, S. 471–475.
18
Vgl. Az Elnökség 35/1989. számú határozata. In: Akadémiai Közlöny 10. Januar 1990, S. 162f.
19
Vgl. dazu A Magyar Tudományos Akadémia elnökének és főtitkárának 7/1990. (A. É. 1991.1.) MTA sz. együttes utasítása A Magyar Tudományos Akadémia hivatali szervezetéről. In: Akadémiai Értesítő vom 15. Februar 1991, S. 12 und A Magyar Tudományos Akadémia Titkársága elnökének és fötitkárának 5/1991. (A. É. 6) MTA együttes utasítása A Magyar Tudományos Akadémia Titkársága szervezeti változásairól. In: Akadémiai Értesítő vom 22 August 1991, S. 96.
20
Vgl. dazu beispielhaft die Umstrukturierung des Instituts für Soziologie im Herbst 1991: A Magyar Tudományos Akadémia elnökének és főtitkárának 6/1991. (A.É.9) MTA számú együttes utasítása az MTA Szociológiai Kutatóintézetének átszervezéséről. In: Akadémiai Értesítő vom 14. November 1991, S. 144–145, insbesondere § 3: „[...] intézmény [...] jogi személy, önálló gazdálkodási és bérgazdálkodási jogkörrel rendelkező, maradványérdekeltségű költségvetési szerv.”
21
Vgl. dazu die Wurfschrift: Miért van szükség új akadémiai törvényre? S. 9. Diese Schrift wurde im Mai 1993 von der Akademieleitung für die Mitglieder des Parlaments verfasst. Sie diente dazu, die bereits vor der anstehenden Verrechtlichung in einem Akademiegesetz vollzogenen Reformen innerhalb der Akademie zu veranschaulichen. Damit sollte der Gesetzgebungsprozess beschleunigt und die zu einer rechtlichen Regelung benötigenden Punkte heransgestellt werden.
22
Vgl. ebd. S. 8–10.
23
Vgl. dazu in aller Ausführlichkeit Tolnai: A Magyar Tudományos Akadémia, S. 47ff.
24
Vgl. zu diesem Programm: Beszámoló az Országos Athenaeum Bizottság tevékenységéről. In: Akadémiai Értesítő vom 9. Juli 1992, S. 93–94.
25
Vgl. z.B. Fábri, György: Higher Education and Research in Hungary during the Period of Social Transformation 1990–1992, TERC Nr. 2, IWM Wien 1993, S. 41f. Zudem zeigt die Durchsicht der Protokolle des zuständigen parlamentarischen Kulturausschusses, dass dieser mit Arbeit völlig überlastet war und sich zu jener Zeit vorrangig mit Entwürfen eines neuen Fernsehgesetzes beschäftigte.
26
Vgl. ebd. S.41f.
27
Vgl. das Konzeptpapier von Ferenc Mádl, Präsident des 1990 neu gegründeten wissenschaftspolitischen Ausschusses (TPB) vom März 1994: Előterjesztés a Kormány részére a kutatás és fejlesztés irányítási rendszerének korszerűsítéséről, aus den Archivbeständen der Rechts- und Verwaltungsabteilung des ungarischen Bildungsministeriums (MKM Jogi és Igazgatási osztály) Sign. 2228/94. Das ungarische System mit anderen Systemen vergleichend spricht Mádl sich ganz entschieden für die Verbesserung nicht aber für die Veränderungen des wissenschaftspolitischen Entscheidungsgefüges aus. Vgl. S. 8: „A példák tanulmányozása alapján megállapítható, hogy a miénkhez hasonló, illetőleg azonos irányítási rendszer más országokban eredményesen működik. Tehát a rendszert – mint olyant – önmagában nem indokolt változtatni, annak működését kell a tapasztalatok alapján javítani.” (Hervorh. im Original)
28
Vgl. ebd. S. 3
29
Vgl.: A Magyar Tudományos Akadémiáról szóló 1994. évi XL. törvény és a Magyar Tudományos Akadémia Alapszabálya egységes szerkezetbe foglalt szövege. In: Akadémiai Értesítő vom 12. Dezember 1994, S. 128–147.
* Der hier abgedruckte Artikel dient einem kurzen Einblick in eine Promotionsarbeit, an der die Verfasserin seit 1998 als Doktorandin des Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte in Frankfurt/Main arbeitet. Zahlreiche notwendige Archiv- und Bibliotheksarbeiten in Budapest wurden unter anderen (DAAD, Ungarisches Bildungsministerium) auch vom Europa Institut in Budapest gefördert.
Begegnungen11_Ferge
Begegnungen
Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Band 11:187–202.
ZSUZSA FERGE
European Integration and the Reform of Social Protection in the Candidate Countries1, 2
Abstract
The process of accession influences positively the economy, the politics and the social policy of the applicant countries in many respects. However, the EU suggestions for some reforms of social security may steer these countries in a more American than European direction. In the first section of the paper the building blocks of, and some doubts about, the “European model” of social protection are briefly passed under review. The governing bodies and leading actors of the EU often strongly support basic social values, and encourage the strengthening of the system of social protection in the member countries albeit social policy mainly belongs to the field of subsidiary institutions. The second section sums up the recent trends in the changes of welfare regimes in the East and West of Europe showing some elements of divergence, and some convergence among them. The third section suggests that the Union has a different social security agenda for the accession countries than for the EU members. This assertion is based on a review of the Accession Reports from the Community for ten applicant countries for 1999. It is concluded that there seems to be a hidden agenda for the applicant countries not quite in line either with the European model or with the subsidiarity principle. The hidden agenda suggests to the accession countries measures contrary to the European model, such as the privatization of pensions and health, or the cutback of already low social expenditures. Section 4 shows that this agenda is rather close to the agenda of the monetarist supranational agencies. The conclusion is that that the countries that would like to join the Union may destroy or create institutions (for instance two-tier health services) which might ultimately increase the East-West social gap.
The “European model” – assuming it exists
The “European model” of social protection is defined nowhere, yet it is quite often referred to. Many of its underlying values and constitutive elements are repeatedly spelled out in various documents. Let me list in a condensed way some of the core values and instruments or building blocks promoting their implementation.
• There are basic social values that are never contested. They include the “trinity” of enlightenment and some related values. The Comité des Sages (mandated by the Commission) prepared a major position paper on the situation of social policy in the Union implicitly or explicitly referring to Freedom, Equality and Fraternity. It remarked that “Freedom and the conditions of freedom” are the mirror image of ‘democracy and development’” (European Commission, 1996, p. 5.) In other words ‘negative freedoms’ (civil and political rights) should be enhanced by positive freedoms. The report recognised the importance of a minimum income and strongly advocated it. It also repeatedly emphasized the dangers of increasing inequality. Solidarity and social cohesion seem to remain key values even under the pressures for modernization: “The challenge is to align social protection to the new situation without abandoning its core values of solidarity and cohesion” (CEC 1997, fn.2). Romano Prodi subsumed lately quite a few features of the “European model”.
“Europe needs to project its model of society into the wider world: including the experience of liberating people from poverty, war, oppression and intolerance. We have forged a model of development and continental integration based on the principles of democracy, freedom and solidarity and it is a model that works (Prodi, 2000a).”
• A highly developed social protection system is one of the instruments promoting the core values. The Commission affirmed in 1997 that:
“The European social model is valued and should be consolidated. This model is based both on common values and the understanding that social policy and economic performance are not contradictory but mutually reinforcing. Highly developed social protection systems are a major component of this social model (CEC 1997, p. 1). “
The French Presidency committed itself to “the development and improvement of social protection.” (Observatoire 2000). Also in 2000 the Commission presented a seminal document, the Report on Social Protection in Europe 1999 (European Commission, 2000). According to the official information about the Report “social protection is, more than ever, at the heart of the Community agenda”1.
• The fight against social exclusion has become a priority issue on the social policy agenda. The European Union, together with the Council of Europe, put the fight against poverty on the agenda in the mid-seventies, and social exclusion in the eighties. The efforts have been relatively slight for a long time. For instance, the resources for the anti-poverty programs were rather limited (European Parliament, 1997). From the mid-nineties this situation appears to have changed. Social exclusion has indeed become a primary concern both on the European and on the Union level in the last years. The “Human dignity and social exclusion project” of the Council of Europe widely supported by many member countries of the Union started in 1995. Recommendation 1355 (1998) of the Council of Europe spells out the ongoing relevance of the problem: “Poverty and exclusion must not be the price to pay for economic growth and well-being. Today, social exclusion is no longer a marginal problem in Europe: it is a painful and dramatic reality for millions of people.”
• Social rights appear to be the foundation of the social protection system – albeit they may be the weakest link in the chain. The Chair of the Comité des Sages affirmed the equal importance of civil rights and social rights: “Civil rights and social rights are becoming interdependent. In the European tradition they are inseparable.” The December 2000 Nice European Council witnessed the “solemn proclamation” of the Charter of Fundamental Rights. The Summit was preceded by a long campaign of civil forces. At stake was the idea of the indivisibility and the enforceability of fundamental rights and how they should be integrated in the present Treaty. The Charter was adopted at the summit albeit without the desired guarantees for social, economic and trade union rights. Romano Prodi commented on this point in his speech to the European Parliament: “I know there are some, including some in this House, who consider it (the Charter) too weak” (Prodi 2000b). Yet the safeguard of civil and political rights is extremely strong in the Union. This is of basic importance for the accession countries in which not only social rights but the more “traditional” civil and human rights often need further reinforcement.
• The importance of the participation of civil society and of civil dialogue is widely accepted. The EU is firmly committed to an institutionalized social dialogue between autonomous partners of the two sides of industry and the state, as well as to a broad dialogue with the representatives of “civil society” in the largest sense. A democratic, participatory civil society is seen as instrumental in shaping social policy.
The acceptance of the core values and building blocks of the model may not be as smooth and uniform as suggested above. Within the European institutions publishing the listed documents there are also widely shared dissenting views. Many believe that the “four freedoms” constitute the essence of the Union, and the values referred to above amount to mere rhetoric.2 The new Social Policy Agenda adopted by the Commission on June 28th 2000 is silent on some of these principles. It emphasises the “strategic goals” agreed upon at the Lisbon Summit. Although the objective of “more and better jobs and greater social cohesion” still figures on the agenda, the main goal is a competitive and dynamic knowledge-based European economy capable of sustaining economic growth. There have been in most member countries vigorous attacks on the “European Model” of social protection. The main criticisms invoke the political, economic and moral unsustainability of high public social expenditures under conditions of global competition. Yet up to now the “European Model” plays a central role in the European Union.
Welfare regimes “here” and “there”
The evolution of the European welfare states after the second World War differed widely. Social policy specialists still debate their “types”, and how should one label them. G. Esping-Andersen identified three types of welfare regime in his seminal and widely quoted book (Esping-Andersen 1990), namely the ‘liberal’, the ‘conservative-corporatist’, and the ‘liberal socialist’ types. Since then various other categories have been distinguished, from a Christian democratic type to the Latin rim or South European welfare states. Global economic pressures exert their impact towards a relatively uniform, a monetarist, neoliberal model. Yet it seems that the “European model” is operative as regards basic social values and objectives. The civil society of the EU member countries is (at least up to now) more in favour of the “European” than the “neo-liberal” model (Svallfors and Taylor-Gooby, 1999). As a consequence of the various pressures the systems of social protection are becoming more mixed. The pure profiles of the Western regime types – if they have ever existed – have become more blurred although the historically established institutions continue to be powerful. It is not certain whether at present “we can speak of ‘convergence’ between the European Union’s various social security systems. The examples show that there is no move towards a single welfare state model” (CEC 1999).
Public support and political commitments have proven to be effective. There were no major changes in the welfare arrangements of the member countries of the Union. As far as the structure of social expenditures are concerned some conditions of access have been made stricter, some benefits have been trimmed, and some elements have been privatized. Yet with the exception of the Netherlands no major overhaul took place. As far as the level of expenditures is concerned, a slight convergence may be observed. Cuts occurred mainly in the high spenders (one exception being Denmark), while the least developed welfare states – the southern rim and Ireland – are catching up. There is again one noteworthy exception, the UK, that made significant cuts despite never having been a high spender, albeit there are signs for an upturn (e.g. Social Justice 2000).
There was very little work about the welfare models in the eastern part of Europe before 1990. When the discourse of welfare regimes first emerged in the early 1990s, some authors characterized the former system as relatively close to a social democratic model. Deacon (1992) described it as a ‘state bureaucratic collectivist system’, while in Götting’s view it was ‘state-paternalistic’ (Götting 1998:84). My own approach in those early days was less clear-cut. I thought that one had to acknowledge the lack of uniformity among the countries, and the mixed character of ‘state socialist’ social policy within each. Despite formal similarities “the liberal and emancipating dimensions of the Scandinavian model were entirely absent” from this model that formed “an anti-liberal, statist, hierarchical, socialist mix, with conservative elements thrown in” (Ferge 1992:207).
Ten years later the economic collapse and – hopefully – the ethnic wars of the region are by and large over. There is clear progress almost everywhere in terms of the original objectives, market and democracy. This does not necessarily mean uniformity among the countries. The economic differences are much larger outside than between the EU countries: the multiplier is 1 to 1,9 between the highest and lowest income EU members, Denmark and Spain. It is 1 to 3 between Slovenia and Bulgaria. (World Bank 1999: Table 1). The historical legacy of the last one or two centuries strongly shape the present. Also, the impact of the market and of democracy may promote convergence as well as divergence.
Table 1
Condensed results of multiple searches on issues handled |
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BG |
CZ |
EE |
HU |
LV |
LIT |
PL |
RO |
SK |
SV |
SOCIAL CONCERNS MENTIONED |
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Social policy or social protection as an autonomous field of interest |
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Poverty, Roma |
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Poverty, General |
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Social exclusion, Roma |
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Social exclusion, General |
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Social quality |
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Life expectancy, High mortality |
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Income inequality |
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Civil participation, NGO sector |
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Unemployment as a concern |
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Full employment as a goal |
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THE LIBERAL AGENDA MENTIONED WITH APPROVAL OR CRITICISM BECAUSE OF SLOW IMPLEMENTATION OF THE LIBERAL AGENDA |
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Privatisation of pension |
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Privatisation of health |
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Privatisation of other public assets, services (energy, housing, transport) |
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Price subsidy approved of, or recommendation to abolished (no compensation mentioned) |
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Budget cuts approved or urged |
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0 = Not mentioned Y= Mentioned H= Hinted to |
The rules of a fully-fledged market economy in line with the globalizing processes entail more uniformity. The supranational monetarist agencies as well as new (home and foreign) market actors in the accession countries are steering them in a neoliberal direction. In the political field the EU acts as a force of homogenization strongly urging the countries towards the safeguard of democratic institutions, of freedoms and rights. The enlargement process itself, the adoption of the acquis requires convergence.
However, democracy and the new freedoms allow for more diversity in terms of the search of national identities, and of the political orientation of the elected governments. The political coloration of the governments of each country has changed several times in the last ten years shifting back and forth on a scale covering old-type authoritarianism, social democratic or social liberal orientations, neoliberalism, “third way” approaches, authoritarian conservatism, and even extreme nationalism. These varied orientations may be present simultaneously in any give government (independently of party affiliations).
The changes in social policy bear the mark of all the above factors. The “unintended” impact of history and of the globalizing market merge with the “intended” impact of the actors, the supranational agencies, the EU, the national governments, civil society. The geographic position may not be irrelevant, either; at least the “Scandinavian model” seems to have some impact on the Baltic countries. As a result the “regime types” are even more mixed or “faceless” (Lelkes 1999) than in the West. Also, they are more in flux. There was much more to change, and the new challenges were greater. The roots are weaker or may be deliberately severed as the governments want to prove that they are making a clear break with a shameful past. The interest groups – at least of the less privileged majority – are not well organized. Civil society in most countries is weak and badly informed so that there is little resistance even if the changes are unpopular.
Incidentally, there are signs that the political weakness, passivity or apathy of the civil society may change. The elections in Serbia, the strikes of the health personnel in Poland and (on a smaller scale) in Hungary, the Czech popular upheaval against an authoritarian political decision and the curtailment of the freedom of the media, may signal a turn for the better. There is also a darker side of civil society – the strengthening of right-wing extremism for instance in Romania, Hungary, and (according to the Accession Report 2000) even in the Czech Republic. All in all there is much unpredictability in the future of the social protection systems even if the commitments to “the market” and to “democracy” are taken for granted.
EU integration may entail a rapprochement of the East and West welfare protection systems in terms of many formal criteria, and essentially of civil and human rights. Yet, the next section shows that the message on social policy, is to say the least, ambiguous. It may not promote the reduction of the welfare gap between the social protection systems of the East and the West of Europe.
The open and the “hidden” social policy agenda in the accession reports
Social policy and social protection are supposed to be matters for subsidiarity. They are henceforth largely absent from Community legislation, the acquis communautaire and thus from the accession negotiations. The social policy requirements of the Union may be checked by means of the Accession Reports from the Community for the ten applicant countries prepared yearly since 1998. I analysed in some detail the text of the Reports for 1999, and made a more superficial check for 2000. (Most statistics and quotes hereafter are based on the Reports for 1999. The 2000 Reports are only used to check the validity of some observation.) A Summary of the main observations is presented in Table 13.
Social policy does not have a major place in the four main chapters of the Reports (political criteria, economic criteria, ability to assume the obligations of membership, and Administrative capacity to apply the acquis). Social policy or its synonyms usually occur only in the sub-chapter “Employment and social affairs”, but only a few of its fields are covered. The only exception I found is Bulgaria with a major concern for social programs. This observation is valid also for the 2000 reports.
The most positive aspect of the Reports from a social policy perspective is the way minority rights are discussed. Social rights as rights of minorities – gender equality, the rights of children, of the disabled, of ethnic minorities other than the Roma (Turks in Bulgaria, Russians in the Baltic states) – are taken indeed very seriously. Other social rights such as the right to health care or to a modicum of welfare are not legislated on the Union level and do not figure in the Reports. Poverty as a general problem is mentioned only in case of two countries out of ten. It is noted for instance in case of Bulgaria that “Bulgaria is still confronted with widespread poverty and the situation in the health sector requires an injection of resources. In view of this there is an understandable focus on programm which alleviate the problems of citizens”.
In countries with a Roma minority, though, the affliction of the Roma – unemployment, poverty, discrimination – is a cause for major concern, and the governments (Bulgaria, Czech Republic, Hungary, Romania, Slovakia) are forcefully reminded of the importance of improvements, particularly when human rights are blatantly violated. The segregation in schools is severally criticised. It is reported for Slovakia that
“The large Roma minority (1.6% of the population according to the last census, but from 4.8% to 10% of the population according to estimates) continued to suffer disproportionately high levels of poverty and unemployment, discrimination, violence at the hands of thugs (‘skinheads’) and lack of protection from the police.”
Similarly, social exclusion as a general issue is not referred to, but the threat for the Roma is mentioned in three countries. For the Czech Republic it is noted:
“The situation of the Roma has not evolved markedly over the past year. It remains characterized by widespread discrimination, as anti-Roma prejudice remains high and protection from the police and the courts often inadequate, and by social exclusion.”
The emphasis on the ethnic issue is vital. However, it may be counterproductive to replace the problem of poverty and exclusion in general with that of the Roma. There are many other forms of extreme poverty (the homeless for instance). Also the prejudice against the Roma may be increased if they are the sole focus of concern.
The emphasis placed on solidarity and social cohesion in the European model is momentous. These issues do not figure explicitly among the topics of the Reports except as a reminder to some vulnerable groups. Yet a major part of the argument for maintaining and strengthening factors enhancing social cohesion in the member countries of the Union is its importance in helping societies to adjust to change. The case could hardly be stronger in the countries considered in these reports. Even if recommendations may not be justified in the Reports, the accession countries could have been reminded somewhere in the text the need to ensure that social cohesion is not threatened, or that the past, present and future costs of the transition are not shifted in a one-sided way to the weakest groups, threatening them with permanent exclusion.
In a similar vein income (and other) inequalities are escalating in most accession countries. Income inequalities had increased also in a number of Union member countries, but the scale of change is much less momentous than in the transition countries (Table 2). Escalating inequalities are affecting the quality of societies, yet the issue is missing from the reports.
Table 2
Income inequality in 13 OECD countries and Hungary in the mid-1980s and mid-1990s Portrayed by the Gini coefficient ranked according to the mid-1995 data |
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Mid-1980s |
Mid-1990s |
Change + or –, % |
Italy |
30.6 |
34.5 |
++ |
United States |
34.0 |
34.4 |
0 |
Hungary |
24.0 |
34.3 |
+++ |
Australia |
31.2 |
30.6 |
0 |
France |
29.6 |
29.1 |
0 |
Canada |
28.9 |
28.4 |
0 |
Germany |
26.5 |
28.2 |
+ |
Belgium |
25.9 |
27.2 |
+ |
Japan |
25.2 |
26.5 |
+ |
Norway |
23.4 |
25.6 |
++ |
Netherlands |
23.4 |
25.3 |
++ |
Finland |
21.2 |
23.1 |
++ |
Sweden |
21.6 |
23.0 |
++ |
Denmark |
22.9 |
21.5 |
– |
The value of the symbols: Source: OECD: Burniaux, Dang, Fore, Förster, Mira d’Ercole, and Oxley (1988) Income Distribution and Poverty in Selected OECD Countries. Economic Department Working Paper, no. 189, OECD March 1998, :9; Hungary: 1987: Éltetõ Ö.–Havasi É. (1999) Income Inequality and Poverty in Hungary. Hungarian Statistical Review, Special Number 1999, vol. 77.: 49–70. 1998: Szívós, P. and Tóth István G., ed. (1999) Monitor 1999. TÁRKI Monitor Jelentések. Budapest: TÁRKI. |
“Social Quality” is a relatively new concern in the Union4. It is a broad concept. In the foreword to a recent book on the subject Romano Prodi writes:
“Quality conveys the sense of excellence that characterizes the European social model. The great merit of this book Social Quality: a Vision for Europe is that it places social issues at the very core of the concept of quality. It promotes an approach that goes beyond production, economic growth, employment and social protection and gives self-fulfilment for individual citizens a major role to play in the formation of collective identities (Beck and al 2000)”5.
Even if we considered social quality a luxury for happier and richer countries (which is debatable), the sum of its elements cannot be considered luxuries. The concept encompasses at a minimum level physical life chances, within the number of years one is given to live. The Commission is obviously aware of this. In case of Turkey the Report remarks that “On major health indicators, such as infant mortality, maternal mortality and life expectancy, Turkey continues to fare significantly worse than EU Member States.” As Table 3 shows life expectancy and infant mortality are in most accession countries (with the exception of the Czech Republic and Slovenia) far below the OECD level. Yet the issue is not mentioned in the text of the Reports.
The democratization of social policy – particularly civil participation and civil control – should have been one of the first priorities after the transition. Social dialogue as a bipartite or tri-partite issue is part of the acquis and is assigned due importance in the Reports. The majority of the countries are criticized for the weakness of the institutions of social dialogue. It was, for instance, remarked for Hungary in 1999 that there is need for “further development of active, autonomous social dialogue”. The tone was (rightfully) sterner in 2000:
“(T)he Government should make additional efforts to ensure that real dialogue is taking place and is followed up in the appropriate manner. In particular, the Economic Council is merely used by government to transmit information to a wide range of representatives of society, including the social partners, with no opportunity for dialogue.”
Table 3
Life expectancy data in the accession countries and in high income countries |
|||
Country/Region |
Under-5 mortality rates, 1998 |
Life expectancy at birth, Years, 1998 |
|
High Income countries* |
6 |
75 |
81 |
Bulgaria |
15 |
67 |
75 |
Czech Rep. |
6 |
71 |
78 |
Estonia |
12 |
64 |
75 |
Hungary |
12 |
66 |
75 |
Latvia |
19 |
64 |
76 |
Lithuania |
12 |
67 |
77 |
Poland |
11 |
69 |
67 |
Romania |
25 |
66 |
73 |
Slovak Republic |
10 |
69 |
77 |
Slovenia |
7 |
71 |
79 |
(Turkey) |
(42) |
(67) |
(72) |
Source: (The) World Bank 2000, Word Development Report 2000/2001, Attacking Poverty. New York: Oxford University Press Chapter 12 Selected Word Development Indicators |
However, the participation of civil society is mentioned only in case of two countries and not as a substantive issue, albeit the Phare program could allocate money to this purpose. Thus, the absence of the issue may be due to the choices of the national governments about the Phare objectives, and their reluctance to further democratization.
Social policy institutions and processes are paid attention by the Reports mainly if they are likely to affect the budget, or the economy more broadly. The rate of unemployment is always a cause for concern, active and “passive” measures are encouraged, although there is no recommendation to attempt to approach full employment. The main concerns with social protection are financial stability, the (too high) level of public expenditures, and the (slow deregulation of prices. The main instruments to assure economic growth and financial stability are budget stringency and the privatization of assets or services, including former public services. In the reports for 2000 the privatization of land seems to acquire increasing importance. The pressure for budget stringency is direct in almost all cases.
In the case of the majority of the countries under review (nine out of ten) the privatization of pensions is approved of if already legislated about, or encouraged more or less directly if not6. More exactly, in quite a few cases there are only hints. Thus in the case of Slovenia the Report remarks that “The lengthy legislative procedure and difficulties within the coalition are sources of delay in the adoption of reforms and often result in a softening of important reforms, such as the pension reform.”. The direct or indirect pressure for privatizing pensions seems to prevail although experiences are not reassuring for instance in Poland. This is remarked upon in the Report for 2000: “The (non-bank financial) sector has been boosted by the reform of the pension system, even though the issue of transferring from the first to the second pillar is unresolved.”
The privatization of health is approved in three countries, and four other countries are given clear hints to move in this direction. The privatization of the health services seems to offer a panacea even in Romania with her poverty and distressing health indicators:
“Romania still has to design and implement structural reforms crucial for controlling public expenditures in the intermediate term, including the overhaul of the health and social security systems and the reform of the tax structure. In these areas, progress has been mixed. Important steps were taken in the area of health system reform, with a view to increasing privatization and decentralization. However, in the area of pension reform, the government has not been yet able to move beyond the definition phase of a new, multi-pillar system to replace the current pay- as-you-go scheme.”
It should be remarked that in the most advanced countries a two-tier health system is already emerging as a consequence of the reforms.
The privatization in other fields connected to social protection is recommended in nine countries out of ten. There are variations by country. Privatization of schools or training courses is offered in some countries as the way to improve the quality of education. The target may be public transport, housing, or other public services as, for instance, education. The privatization of the energy sector (and of natural resources in general) is considered a matter of course. For instance, it is mentioned that “The privatization process in Latvia is close to completion. Much work still remains on land and apartment privatization.”
Another issue that is consistently approved if done, or urged if not yet completed, is the abolition of price subsidies. This is a socially loaded issue, though. No doubt, at the beginning of the transition the radical reduction of price subsidies was a legitimate and important element of marketisation because of the formerly distorted price system. However, the cut of some subsidies without compensation or without instruments to handle some of the harmful consequences was one of the factors causing lasting impoverishment. It entailed among other things the accumulation of housing debts that may ultimately lead to the loss of the home. In 1999 most subsidies have been already withdrawn in all the accession countries. If there are still subsidies they help access to some basic necessities like rents or pharmaceuticals. The Reports urge further cuts without mentioning any of the ensuing problems or the need for some remedies against the worst outcomes.
Instead of handling social policy as a subsidiary issue there is a not very hidden agenda in the Reports that pays little attention to some essential features of the European model. There are two recurrent topics advising the reconstruction of the present systems of social protection, or the construction of new ones. Most of the Reports make suggestions aimed at the reduction of the level of social protection on grounds of the imperative of budget consolidation or increasing competitiveness. The majority of the Reports hint at the necessity of changing the structure of social protection through privatization or marketization. The Reports also advocate identical recipes almost independently of the conditions of the respective country. (Out of the accession countries only Bulgaria seems to be in some respects an exception to the rule in both 1999 and 2000.)
Whose agenda?
The suggestions made by the Commission for social reforms in the accession countries has many elements close to what is usually termed the neo-liberal agenda based on the “Washington consensus”7, the agenda that used to be represented by the supranational monetarist agencies. It is not clear for the present author whether this hidden agenda is known to, and approved of, by all the actors of the Union, or whether “left hands” and “right hands” operate independently.
The “hidden agenda” is certainly supported by the monetarist supra- national agencies. Many of its elements – the abolition of price subsidies without compensation, the privatization of former public goods and services – constituted loan conditionalities of the World Bank loans in the early nineties. The World Bank, and in a less visible way the IMF have played a major role since the days of transition in shaping not only the economy, but also the social policy of East-Central Europe. At that time the Washington consensus was not yet called into question. There was a deep faith in the ability of a deregulated market to put things right, and a belief that all countries had to follow the same reform path. The main elements relevant for social policy were the strengthening of individual responsibility and the weakening of public responsibility in social matters; the promotion of privatization and marketization in all spheres; the emphasis on targeted assistance to the truly needy, the scaling down of social insurance to assure “work incentives”, and the abolition of universal benefits.
The influence of the Bank is particularly clear in the case of pensions. The mandatory private saving schemes (the “second pillars” in the three-pillar pension model originally devised by the World Bank, World Bank 1994) have been “imported” to ECE by the Bank. This well documented fact (e.g. Müller 1999) is often ignored. Currently the Bank is very satisfied by the successful privatization of pensions. Michal Rutkowski, a high-level official of the Bank thinks that
“Social security reform is a different issue for accession countries. Potential benefits from reforms are higher, while costs are lower (than in the EU member states). Not surprisingly accession countries embraced multipillar reforms as well as more radical approaches within PAYG pillars, more readily than the EU members. Accession countries should be assisted in this endeavour within EU with the recognition that pension reforms may legitimately cause transition costs appearing as higher budget deficits and higher explicit debts” (Rutkowski 2000).
This implies that the Maastricht deficit criteria should be changed because of pension privatization.
In the last years the World Bank has often been self-critical. It proclaimed the “post-Washington” consensus. It put for instance the fight against poverty firmly on its agenda (World Bank 2000). It is an open question to what extent the volte-face in the discourse of the Bank will influence its practice. In the new documents of the Bank the desirable post-Washington changes in the social policy agenda and in the perception of its own role in the enlargement of the Union are not very visible. In a relatively recent paper on the accession process authored by a collaborator of the Bank (Polackova 1998) the opportunities and the costs of the accession are described. The opportunities mentioned are the following:
– (Accession) will facilitate foreign investment, international capital flows and know-how, vital for rapid growth.
– It will make these economies much more open to trade and provide them access to a large single market, with the benefits that ensue.
– It enables political leaders to build consensus around the reforms needed for accessions.
The three opportunities presented are mainly economic. Even the political element is seen as important only inasmuch as it may support the (economic) reforms. No social advantages or opportunities are mentioned. The costs mentioned by the World Bank document relate mainly to the difficulties caused by complicated or new rules. Inasmuch as social policy is touched upon, the Bank sees its own role as helper in the privatization of pensions, and foresees continued efforts in this field.
Conclusion
The conclusions one may draw from the analysis of the accession reports is only partly encouraging. The Union represents a genuine safeguard for the rule of law, democratic institutions and human rights. Its social policy program is less encouraging. The implicit model for ECE which in many cases is dutifully applied (Phare 1999) is different from the “European model” as we knew it, and close in many respects to the original World Bank agenda. As a matter of fact high officials of the Bank do present the developments in ECE as a social policy model to be followed by the current members of the Union.8
The weakening of the European model in the member contries may antagonize their citizens who may then use the accession countries as scapegoats. If the EU members will not follow the monetarist recipe the gap will grow between East and West. The accession countries may decrease the level of their public commitments, and they may create new institutions such as two-tier, disintegrative systems of health or education, or destroy institutions which might ultimately become conditions of admittance. The dilemma of the development path in social matters “here” and “there” would merit more attention.
Notes
1
A thoroughly reworked version of a paper originally prepared for the conference organised by CEPII (Paris) and CEPS (Brussels) on the Economic and Social Dimensions of EU Enlargement, on behalf of the French Presidency of the European Union. Brussels, 16 November 2000.
2
I owe warm thanks to Adrian Sinfield who was the first reader of the text, encouraged the approach and made critical and helpful remarks on the first draft. In many cases I included his suggestions verbatim.
3
www//europa.eu.int/comm/employment social/soc-prot/social/news/report en.htm
4
Opinion voiced by Jorgen Mortensen, Senior Research Fellow, CEPS discussing the present paper at the Brussels conference.
5
It shows whether a topic was mentioned explicitly in the Report (Y), whether it was altogether absent (0), or whether it was in some way hinted at (H). This is the simplest possible way of a “content analysis”. Its ambition is only to show that burning social issues that should have influenced social policy measures were often left out (the first part of the Table), and that elements of a monetarist approach to social policy were often present.
6
The European Foundation on Social Quality in Amsterdam produced already two books on Social Quality, and publishes a Journal with the same title.
7
Social Quality: a Vision for Europe, Kluwer Law International, the Hague/Boston, November 2000
8
In the reports for 2000 the privatization of pensions gets somewhat less emphasis.
9
“The Washington Consensus” on economic policy was founded in the 1980s by US economic officials, the IMF, and the WB. It emphasized liberalized trade, macro-economic stability, and getting prices right. Once the government got out of the way, private markets would produce growth.” Stiglitz:1998
10
The opening speech at the Brussels conference of J. Linn (Vice President Europe and Central Asia Region of the World Bank).
References
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Götting, Ulrike (1998) Transformation der Wohlfahrtstaaten in Mittel- und Osteuropa. Eine Zwischebilanz. Opladen: Leske+Budrich
Lelkes, Orsolya (1999) ‘A great leap towards liberalism? The Hungarian Welfare State’, Manuscript quoted with the permission of the author.
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Polackova, Hana, The World Bank (1998). World Bank Support to the EU Accession Process. “Why And In Which Way Is The World Bank Involved in the Eu Accession Process?” Paper at the CEEPN Annual Conference on Economic Transition and European Integration, December 4–5, 1998 in Portoroz, Slovenia
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Rutkowski, Michal, “The World Bank. (2000) Social Security Reform: Is It A Different Issue For Accession Countries? A Note.” Paper prepared for the conference organised by CEPII (Paris) and CEPS (Brussels) on the Economic and Social Dimensions of EU Enlargement, on the behalf of the French Presidency of the European Union. Brussels, 16 November 2000.
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(The) World Bank, 2000, World Development Report 2000/2001, Attacking Poverty. New York: Oxford University Press
Begegnungen11_Batliner
Begegnungen
Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Band 11:9–14.
HERBERT BATLINER
Qualität und Kreativität
Festrede
Magnifizenz,
Spektabilitäten,
Festlich Versammelte,
Es ist für mich nicht leicht, die Gefühle der Freude und Dankbarkeit, die mich in dieser Stunde bewegen, in Worte zu kleiden.
Ich freue mich sehr über die mich so ehrende akademische Auszeichnung. Es ist dies der erste Doktor honoris causa, den ich dazu noch von der größten und ältesten Universität dieser Stadt Budapest erhalte. Ich freue mich aber auch über diese wunderbare Feierstunde, in der ich auch ein Zeichen der mitteleuropäischen Verbundenheit zwischen Ihrem Land und meiner Heimat, dem Fürstentum Liechtenstein, sehe.
Ich bin zutiefst dankbar dafür, dass ich als leidenschaftlicher Europäer nach Jahrzehnten fruchtbarer Verirrungen nun das Zusammenwachsen dieses Kontinents miterleben und nach Kräften unterstützen darf. Damit kann Europa – wie Papst Johannes Paul II. einmal gesagt hat – wieder aus zwei gesunden Lungenflügeln atmen.
In diesem Sinn sehe ich diese festliche Stunde auch als einen kleinen aber sinnigen Mosaikstein vor dem Hintergrund dreier großer, historischer Daten:
– dem „Jahr Zehn” nach der Öffnung des Eisernen Vorhangs;
– dem Millennium der Geschichte Ungarns;
– und dem bevorstehenden Eintritt in ein neues Jahrtausend unserer gemeinsamen christlichen Zeitrechnung.
Ich möchte noch eine kurze Bemerkung über unsere beiden Länder anfügen, die ja beide Teil eines historisch gewachsenen mitteleuropäischen Raumes sind. Ich erwähne diesen Begriff „Mitteleuropa” nicht aus einem Gefühl verklärter Nostalgie und sicher nicht, um einen längst verblassten politischen Mythos gegen alle Wirklichkeit neu zu beleben. Unsere Völker blicken heute nicht zurück, sondern ungeduldig nach vorne in eine Zukunft, die den ganzen Kontinent hoffentlich bald zu einer großen Friedens-, Wohlstands- und Schicksalsgemeinschaft vereint.
Ich verwende den Begriff „Mitteleuropa” aber sehr bewusst,
– weil ich an das gewaltige Netzwerk geistiger und emotionaler Kanäle zwischen den Menschen und Völkern dieses Großraums glaube;
– weil uns viele gleiche oder ähnliche Erfahrungen und geistig-kulturelle Werte geprägt haben;
– und weil wir gemeinsam gerade das Vielstimmige, aber auch das Kleine, für einen wesentlichen europäischen Wert halten.
Ich sehe aber noch eine andere Gemeinsamkeit unserer beiden Länder – so unterschiedlich sie auch nach ihrer Größe und ihrer jüngeren Geschichte sind: beide stehen heute angesichts der europäischen Integration vor Bewährungsproben, die vermutlich größer sind als vieler anderer Staaten, die den europäischen Einigungsprozess schon weit länger und unmittelbarer mitgestalten konnten. Und doch bin ich fest davon überzeugt, dass gerade kleinere und kleine Staaten geistige Labors und Zentren der Kreativität sein können, die imstande sind, auf andere auszustrahlen und es sei mir hier gestattet, nur ein Beispiel zu erwähnen: Liechtenstein mit seinen 31 000 Einwohnern hat in den letzten Wochen über 500 Flüchtlinge aufgenommen, während z. B. das benachbarte österreichische Bundesland Vorarlberg mit einer Bevölkerungszahl von zehnmal mehr lediglich 400 Flüchtlinge aufnahm. Die Schweiz müsste, gemessen an ihrer Bevölkerung, im Vergleich zu Liechtenstein ca. 100 000 aufnehmen.
Meine Damen und Herren,
An der Schwelle zum 21. Jahrhundert geht unsere Industriegesellschaft in eine große, fast grenzenlose Informationsgesellschaft über. Ich muss auf diesem akademischen Boden niemanden davon überzeugen, dass es künftig nicht mehr die Bodenschätze oder die Zahl von Arbeitskräften sein werden, die das Überleben und den Wohlstand eines Landes sichern. Worauf es letztlich ankommen wird, das ist nicht mehr die Quantität, sondern allein die Qualität und Kreativität dessen, was wir gerne als „Humankapital” bezeichnen.
Das Dilemma kommender Jahrzehnte liegt wohl vor allem darin, dass sich das weltweit verfügbare Wissen in atemberaubender Geschwindigkeit potenzieren wird, dass aber die Zeitspanne, die wir in unserem Leben für die Vermehrung unseres Wissens einsetzen können, bestenfalls konstant bleibt.
Unter diesen Vorzeichen bedeutet Wissen also nicht das Sammeln möglichst vieler Informationen, die uns auf den Datenautobahnen entgegen strömen, nein, mehr denn je wird es darauf ankommen, die Informationen zu sortieren, zu bewerten und sie kreativ zu nützen, um daraus anwendbares Wissen entstehen zu lassen.
Nur wer richtig selektiert und Zusammenhänge begreift, kann gezielt agieren, reagieren und regieren.
„Wissen ist Macht, denn es ist der Stoff, aus dem die Zukunft ist” – so hat es der englische Philosoph Francis Bacon schon vor 400 Jahren weitsichtig formuliert. Das war damals – angesichts eines ganz anderen Machtbegriffs – ein bemerkenswert prophetisches Wort. Heute wissen wir, dass Fortschritt in einer offenen und demokratischen Gesellschaft nur über Wissenschaft und Forschung entstehen kann und jeder Wohlstand zuallererst im Kopf wächst. So zählt auch die Mobilisierung unserer geistigen Reserven zu den zentralen Zielen jeder vorausdenkenden Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik. Bildung und Forschung entscheiden heute direkt über unsere Zukunftsfähigkeit und unseren Platz im künftigen „Europa des Geistes”. Unsere Schulen und Universitäten prägen die Jugend und damit die Welt von morgen – im Guten und im Schlechten. Sie fördern entweder das weltbürgerhafte und kosmopolitische oder aber die Provinzialität und geistige Enge. Sie stimulieren Neugierde und Toleranz oder gleich gerichtetes Denken und intellektuelle Untugenden der Ausgrenzung, Unduldsamkeit und des Dogmatismus.
Im Rückblick spricht vieles dafür, dass es nicht der Wunsch nach einer Vision – einer Illusion – war, der den Kommunismus ruiniert hat. Ich meine, es war vielmehr das Verbot, manche Wahrheiten zu suchen, zu sagen und zu akzeptieren. So gesehen, war es das Verhindern echter Wissenschaft außerhalb der zugelassenen Ideologie, das vor einem Jahrzehnt den Mahlstrom der Geschichte in Gang gesetzt hat.
Ich halte es mit Thomas Mann, der einmal geschrieben hat: „Europa – das ist das Gegenteil von provinzieller Enge, von borniertem Egoismus, von nationaler Rohheit und Unbildung. Europa bedeutet Freiheit, Weite, Güte und Geist. Europa – das ist Niveau, ist ein kultureller Standard.”
Diesen Maßstab müssen wir Europäer immer wieder an unser Tun anlegen – auch und gerade in diesen bitteren Wochen, in denen sich mitten in Europa die Gewalt wieder einmal das letzte Wort erobern konnte.
Meine Damen und Herren,
Ich hatte die Möglichkeit, in den vergangenen Wochen und sogar Jahren, an vielen Diskussionen teilzunehmen, in denen versucht wurde, den Blick über das Jahr 2000 hinweg in das kommende Jahrhundert zu heben. Ziemlich unbestritten war dabei, dass es – hier in Europa, aber auch global – zu einer neuen, bisher nie gekannten Gleichzeitigkeit von Zusammenarbeit und Wettbewerb kommen wird – und zwar sowohl in der Wirtschaft, wie auch in der Wissenschaft und Forschung. Dank der modernen technischen Transportmittel sind Informationen, Kommunikation und Wissen keinen zeitlichen und räumlichen Schranken mehr unterworfen. Die Folge dieser Entwicklung ist das Entstehen einer immer grenzenloseren Gemeinschaft von Lehrenden und Lernenden, von Konkurrierenden und Kooperierenden, dem sich niemand entziehen kann, in der aber auch niemand an Boden verlieren darf. Denn wer zurückbleibt, wird sich bald auf einer Insel der Irrelevanz wiederfinden.
Wichtig scheint mir – und das gilt für Ungarn ebenso wie für die anderen Länder Europas –, dass wir nicht nur bereit und fähig sind, die Tiefe und Reichweite dieser Umwälzungen und ihre unmittelbaren Auswirkungen auf unser künftiges Schicksal möglichst rasch zu erkennen. Es muss uns auch gelingen, den gefährlichen Entfremdungsprozess zwischen einer immer komplexer werdenden Wissenschaft und Forschung und einer mit Oberflächlichkeit und Kurzatmigkeit überfütterten Öffentlichkeit zu stoppen.
Was bedeutet das konkret? Lassen Sie mich 5 Gedankengänge, die Sie vielleicht als hypothetisch betrachten, hier darlegen:
1. Ich persönlich glaube, es bedeutet, dass wir uns – wo immer wir in Europa leben – dagegen auflehnen müssen, wenn versucht wird, das bequeme Mittelmaß zum nationalen Wesenszug zu machen;
2. Es bedeutet, dass wir – wie es etwa in den 60er Jahren nach dem sogenannten „Sputnik-Schock” in Amerika geschehen ist – ein neues öffentliches Wissenschafts- und Forschungsbewusstsein schaffen, das es der Politik erlaubt, entsprechende Prioritäten mehrheitsfähig zu machen;
3. Es bedeutet aber auch, dass wir – wo immer wir gehört werden – die Freude an geistiger Arbeit an der Entfaltung schöpferischer Kräfte, an der Leistung und am lebenslangen Lernen wecken und unterstützen;
4. Es bedeutet zudem, dass wir die Anstrengungen und Erfolge unserer großen Begabungen und geistigen Eliten auch öffentlich mit Stolz und Ermutigung registrieren (das soll vor allem ein Appell an die Medien sein);
5. Und es bedeutet schließlich, dass sich auch die Wissenschaft noch mehr als bisher um eine öffentlich verständliche Sprache bemüht, um sich und ihre Ziele auch dem Laien besser zu erklären.
Meine Damen und Herren,
Ich weiß schon, dass der Umgang und die bewusste Förderung von „Eliten” heikel ist und bei vielen von uns noch immer auf tief sitzende Widerstände stößt. Das gilt – um nicht missverstanden zu werden – keineswegs nur östlich der alten europäischen Trennungslinie, wo die „Gleichheit” jahrzehntelang zu den heiligsten Gütern der herrschenden Ideologie zählte. Auch in meiner eigenen Heimat sind wir eher dazu erzogen worden, uns nur nicht über andere zu stellen, und besondere Begabungen lieber nicht allzu offen zu zeigen.
An der Schwelle eines neuen Zeitalters sollten wir uns alle rückhaltlos manchen Fragen stellen. Etwa: Wie sehr bekennt sich jeder von uns wirklich zu einer nachdrücklichen Förderung von Kreativität und Leistungswillen?
Wie sehr sind wir bereit, den besten Köpfen den Weg an die Spitze frei zu machen?
Wie viel Ängstlichkeit, am Ende von Jüngeren, Dynamischeren, Besseren eingeholt und überholt zu werden, steckt nach wie vor in unseren Strukturen – und in uns?
Und wie sehr beeinflussen unsere etablierten Bürokratien und Obrigkeiten den freien Flug des Geistes und die Kreativität?
Ich bin, wie Sie unschwer erkennen, ein überzeugter Anhänger einer weit stärkeren öffentlichen Anerkennung und Unterstützung für außergewöhnliche Begabungen, für Erfindergeist und innovatorische Kraft als bisher. Eine konsequente Mobilisierung unserer kreativen Reserven ist nach meiner festen Überzeugung unentbehrlich, um in Zeiten globaler Konkurrenz unseren Wohlstand, unsere Stabilität und unsere sozialen und ökologischen Standards zumindest abzusichern.
Aber das individuelle Genie ist nur ein Teil einer künftigen Erfolgsrechnung. Ich habe vor wenigen Minuten auf das Dilemma hingewiesen, dass wir Menschen in den kommenden Jahrzehnten zwar immer mehr wissen, nicht aber mehr Zeitreserven erwarten können. Der Ausweg führt unausweichlich in die Spezialisierung und den Einsatz von Hochbegabten – er führt aber zugleich auch in die konsequente Kooperation und Partnerschaft von Arbeitsgruppen, über viele nationale und kontinentale Grenzen hinweg.
Das Erfolgsrezept von morgen heißt deshalb nach meiner festen Überzeugung: wir müssen zugleich und gleichgewichtig auf Teams und Netzwerke, aber auch auf den Einzelnen setzen. Das hat enorme Auswirkungen auf die Ausbildungsziele und die Zusammenarbeit der Universitäten und Forschungsinstitute – und auf den Idealtypus des Gelehrten, des Experten von morgen.
Meine Damen und Herren,
An das Ende dieser kurzen Überlegungen möchte ich noch ein sehr persönliches Wort stellen. Oft bin ich bedrückt, wenn ich – gerade auch an dieser Jahrtausendwende – aus öffentlichen Wortmeldungen spüre, wie viel Zukunftsskepsis, wie viel Pessimismus und sogar Zynismus auch in intellektuellen Zirkeln lebendig ist. Ich meine deshalb, wir brauchen heute mehr denn je eine geistige Elite, die nicht nur ihr Gehirn einsetzt, sondern auch ihr Herz. Eine Elite, die an die eigenen Fähigkeiten und an ein besseres Morgen glaubt.
Wir brauchen junge Menschen, die bereit und fähig sind, die Augen offen zu halten für das Unerwartete.
Wir brauchen viel mehr schöpferische Neugier.
Wir brauchen eine Wissenschaftsgesinnung, die bei allem notwendigen Hinterfragen technischer Innovation nicht den Charakter von Kreuzzügen gegen neue Technologien annimmt.
Von Saint-Exupéry gibt es in diesem Zusammenhang ein wunderbares Wort, das für uns alle gilt. Er schreibt: „Wenn du ein Schiff bauen willst, um neue Ufer zu erreichen, so trommle zuerst nicht Männer zusammen, um Holz zu beschaffen, um Werkzeuge vorzubereiten, um Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen – sondern lehre die Männer zuallererst etwas anderes: nämlich die Sehnsucht nach dem weiten offenen Meer.”
Ich wünsche allen Lehrenden und Lernenden an dieser hohen Schule diese Sehnsucht nach dem unbekannten, fernen Ufer – und die Gewissheit, dass wir – trotz stürmischer Überfahrt – letztlich das ferne, rettende Ufer erreichen können!
Nochmals herzlichen Dank für diese höchste akademische Auszeichnung und Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Dr. Dr. Herbert Batliner ist einer der Gründer des Europa Institutes, ein namhafter Rechtsanwalt, der zahlreiche Stiftungen für Institutionen gewährte, die dem europäischen Geist, der deutschen Sprache und dem Erhalt der ungarischen Kultur dienen. Dem hervorragenden Juristen und Wissenschaftsmäzen wurde von der Juristischen Fakultät der Universität Loránd Eötvös am 28. Mai 1999 die Ehrendoktorwürde verliehen. Dr. Dr. Herbert Batliner ist übrigens seit 1995 – neben zahlreichen internationalen Auszeichnungen – auch Träger des Verdienstkreuzes Ungarns.
Vorliegender Beitrag beinhaltet den Wortlaut seiner Festrede anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde an der Universität Loránd Eötvös.
Begegnungen10_Varga
Begegnungen
Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Band 10:163–183.
GYULA VARGA
Wie sollte die ungarische Landwirtschaft vor und nach dem Unionsbeitritt den EU-Erfordernissen angepasst werden?
Diese Fragestellung ist in erster Linie, neben den immer drängenderen Obliegenheiten hinsichtlich des EU-Beitritts, im kläglichen Zustand unserer Landwirtschaft und in der Ratlosigkeit begründet, die das Herauswaten aus diesem Zustand umgibt. Wir stehen also vor einer zweifachen Aufgabe: wir brauchen strategische Entscheidungen, das heißt, wir müssen die grundlegenden Zielsetzungen des Wachstums, der Produktions- und Betriebsstruktur, sowie der Agrarwirtschaft festlegen, und gleichzeitig haben wir die dringende Aufgabe, den großen Umbruchsverlierern des letzten Jahrzehnts, den landwirtschaftlichen Produzenten, die noch immer den Großteil der Landbevölkerung darstellen, „einen Rettungsring zuzuwerfen”. Es ist ganz klar zu sehen, dass diese doppelte Aufgabe seit Mitte der 1980-er Jahre die Kraft und die Fähigkeiten jeder einzelnen Regierung überschritten hat. Besonders hervorzuheben sind die stets verspäteten Schritte der Reformen des alten Regimes, sowie die verpassten Möglichkeiten am Anfang der 1990-er Jahre. Auch die, besonders viele negative Konsequenzen nach sich ziehende Entschädigung, mit ihren Irrgängen, und die auch heute noch nicht verstummten Aktionen gegen die Großbetriebe, deren „Früchte” erst in unseren Tagen so richtig gereift sind, verlangen an dieser Stelle einer besonderen Erwähnung. Gerade deswegen, weil heute zumeist die Tatsache gerne verschwiegen wird, dass für die heutige Krise größtenteils die Entscheidungen und Entscheidungsträger – auch die Initiatoren nicht vergessend – des Jahres 1992 verantwortlich sind.
Die Jahre vor der Wende sind durch verspätetes Handeln, die Jahre des Umbruchs dagegen durch die völlige Ratlosigkeit, die Renaissance der überholten Ideen gekennzeichnet, als nämlich die Landwirtschaft, anstelle der Heilung der Marktkrise äußeren und inneren Ursprungs, zum Kriegsschauplatz ideologischer Kämpfe geworden ist. Im Hintergrund der Entscheidungen stehen die unprofessionelle und romantische Hinwendung zur Vergangenheit, die Idealisierung der Kleinbetriebe, wodurch eine Bewegung in der Betriebs- und Firmenwelt hervorgerufen wurde, deren Ende auch heute noch nicht abzusehen ist.1
Die Jahre zwischen 1993 und 1996 vergingen – ähnlich wie unsere heutige Zeit – im Zeichen der kurzfristigen Maßnahmen der Schadensabwendung. Über die schnellen Eingriffe kann eindeutig ausgesagt werden, dass diese recht teuer und, aus dem Gesichtspunkt der Lösung grundlegender Probleme, vollkommen wirkungslos geblieben sind. Die Regierung eilt stets nachträglich den in Schwierigkeiten Geratenen, und von diesen hauptsächlich den, sich am effektivsten Beklagenden, oder den, ihre eigenen Interessen am erfolgreichsten Vertretenden zu Hilfe. Dann erstattet sie zum Teil die Schäden, die meistens vermeidbar gewesen wären, hätte man die Vorbeugemaßnahmen zum richtigen Zeitpunkt durchgeführt. Ein weiteres Charakteristikum dieser Eingriffe ist, dass jeder Person und jedem Produkt, unabhängig davon, ob es zu verkaufen ist und welche Qualität es hat, etwas zu Gute kommt, und diese allgemeine Hilfeleistung keinerlei Hinweis oder Signal für das, von den Produzenten zu befolgende Benehmen und für die Entscheidung enthält. Infolge dessen wurde das Leben von heute auf Morgen, das Denken in lediglich kurzfristigen Entscheidungen und das sich Zurückhalten bei Investitionen zum Allgemeinen und Grundprinzip: das wohl charakteristischste Beispiel dafür wird in der dramatischen Verschlechterung der Bodenfruchtbarkeit, der Abhängigkeit vom Wetter und dem erneuten Anstieg der Ertragsschwankungen sichtbar, wodurch – natürlich neben anderen Faktoren und nicht fachkundigen Eingriffen – die Störungen des Marktes natürlich, oder zumindest regelmäßig geworden sind.2 Das Fehlen des Austauschs der veralteten Mittel, ja sogar das Vernachlässigen ihrer Instandhaltung, ist nicht nur mit der Knappheit des Geldes zu erklären, sondern hängt auch mit der Agrarpolitik ohne Zukunftsbild zusammen, die zum Aufbrauchen des vorhandenen Vermögens anspornt.
Um die Herausbildung einer Agrarstrategie, die der neuen Situation entspricht, hat sich die Agrarregierung – meines Erachtens in heute kaum mehr gewürdigtem Maße – 1997 bemüht. Das Agrargesetz, das mit dem Einverständnis sämtlicher Parteien und Interessensvertretungen zustande gekommen war, ließ die Hoffnung auf eine konsolidiertere Ära aufflackern, aber die Durchführung des im Gesetz Festgelegten ist mit dem Regierungswechsel mehr als fraglich geworden. Aber auch trotz des in den Vordergrund rückenden strategischen Denkens kann man die Tatsache nicht übersehen, dass die Verschiebung des Registrierens landwirtschaftlicher Produzenten und des elementaren statistischen Abschätzens der Betriebs- und Firmenwelt, sowie die völlige Kapitulation vor der mit retrograder Absicht durchgeführten Demonstrationswelle und die Einführung eines chaotischen Steuersystems, die falsche Vorbereitung, später das Scheitern der Entscheidungen bezüglich des Bodenbesitzes in den gleichen Zeitraum fällt. Mit den fast schon nicht wiedergutzumachenden Konsequenzen dieser Tatsachen werden wir erst in den nächsten Jahren konfrontiert werden müssen.
Den Platz der langfristigen Denkweise haben heute bereits erneut das Feuerlöschen und zum Teil ein neues Wertsystem eingenommen, dessen Berechtigung wegen den aufgestauten Problemen und unerwarteten Naturkatastrophen scheinbar und zum Teil auch wirklich begründet ist. Wer würde es nämlich nicht erkennen, dass die landwirtschaftliche Produktion in ihren Gründen erschüttert wurde, dass der Export nicht nur wegen dem Mangel an äußeren Märkten, sondern auch wegen der Knappheit an Warenfonds schrumpft, dass die nationalen Betriebsunkosten infolge der abnehmenden Effektivität der Produktion immer weniger in den Weltmarktpreis „hineinpassen”, und dass für den Großteil der Landbevölkerung einzig und allein die Landwirtschaft zur Linderung ihrer sozialen Probleme ein wenig Halt gibt. Dies engt – durch die Abschließung eines bedeutenden Teils der Quellen – die Rekonstruktionschancen der konkurrierenden Landwirtschaft weiter ein.
Während dieser Zeit rückt die Möglichkeit des Beitritts in die Europäische Union immer näher und die Vorbereitung darauf erfordert von uns positive Schritte. Wir müssen unsere Integrationsbereitschaft ohne Voreingenommenheit abwägen und unsere Aufgaben in Betracht ziehen. Über diese müssen wir dann mit der Gesellschaft, vor allem aber mit den landwirtschaftlichen Produzenten, deren heutige Uninformiertheit das Schicksal der Volksabstimmung über den Beitritt und den Erfolg der Anpassung nach dem Beitritt in gleichem Maße gefährdet, mit offener und unverhüllter Aufrichtigkeit Gespräche führen.
Die Agrarpolitik der EU ist hierzulande noch ziemlich unklar. Wir können oft uninformierte, oder mit schlechter Absicht vorgetragene Berichte darüber hören oder lesen, dass das ungarische Betriebssystem nicht EU-konform sei. Aber auch verantwortungslose Aussagen über das erzwungene Ausschalten von einer Million Hektar Boden aus der Produktion kommen vor. Wir kennen jedoch diejenigen Grundprinzipien kaum, die von der Freiheit der Märkte, der freien Bewegung der Arbeitskräfte und des freien Geldtransfers, von der Solidarität unter den Mitgliedsländern, der Hilfe für ärmere Länder und Regionen und dem Schutz gegenüber den Auslandsmärkten handeln, und welche – egal, ob sie für uns von Vorteil sind, oder nicht, während den Beitrittsverhandlungen und Vereinbarungen – in gar keiner Weise Grund für Diskussionen und Unterhandlungen sein dürfen. Auch die Berichte über die Betriebswelt der EU-Landwirtschaft, über den Bodenmarkt und das Pachtsystem, und auch darüber, wo, in was und auf welche Weise der Staat mit seinem komplizierten System von Mitteln der Agrarpolitik eingreift, sind oberflächlich (zumal auch mit Absicht verstellt). Die Entscheidungen, die im Frühling 1999 auf dem „Berliner Gipfel” getroffen worden waren, und als Beschlüsse der „Agenda 2000” zum Vorschein kamen, sind der Öffentlichkeit auch viel zu wenig bekannt. In dieser Studie werden die wichtigsten Entscheidungspunkte und die – für uns als Richtlinie geltenden – Veränderungen der Agrarwelt der EU in Betracht gezogen.
Das Betriebssystem der EU-Landwirtschaft
Wenn wir die Agrarstatistik der EU studieren, fallen uns hauptsächlich folgende Verhältnisse und Hauptveränderungsrichtungen auf:
– die stetige Abnahme der von der Landwirtschaft Lebenden, der laufende Rückgang der Beschäftigungskraft des Agrarsektors,
– der schnelle Rückgang der Zahl landwirtschaftlicher Betriebe,
– der jede Erwartung übertreffende, und in immer schnellerem Tempo voranschreitende Anstieg sämtlicher Kennziffer der Produktion, die in Richtung Konzentration wirken,
– die ziemlich großen, und trotz der gemeinsamen Agrarpolitik nicht abnehmenden Differenzen – unter den Ländern und Regionen – der Daten, die die Durchschnittsgröße eines Betriebs kennzeichnen,
– die ständig anhaltenden, teilweise sogar zunehmenden Unterschiede zwischen der Agrarwirtschaftsleistung einzelner Länder,
– die trotz des Subventionssystems immer noch eher ansteigende, als sich mildernde, ziemlich große Differenziertheit unter den Betriebseinkommen einzelner Länder.
Diese Entwicklungstendenzen können wir – wenn wir unseren Kopf nicht in den Sand stecken wollen – nicht aus den Augen verlieren. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass die Agrarpolitik der EU, die möglicherweise die zielbewussteste und mit den größten materiellen Opfern subventionierte, traditionsbewahrende Agrarstrategie der Welt ist, in Wirklichkeit in immer schnellerem Tempo, und in, von den proklamierten Prinzipien abweichender Richtung, unaufhaltsam voranschreitet, und zwar – das bringt dies alles mit sich – auf dem Wege der Konzentration. Das traditionelle familiäre Wirtschaftsmodell ist im Begriff, sich aufzulösen, oder zumindest sich stark zu verändern. Der Großteil der hauptberuflichen Familienbetriebe ist kein Kleinbetrieb mehr, sondern immer mehr ein kapitalstarkes Unternehmen mit Branchengrößen, die zahlreiche ungarische Großbetriebe nur beneiden könnten. Suchen wir nach der ungarischen Entfaltung in der richtigen Richtung, haben wir überhaupt – einige Jahre vor dem geplanten Beitrittstermin – ein Zukunftsbild, das mit den Prozessen innerhalb der EU und den heutigen Gegebenheiten reell rechnet? Auf diese Frage kann der Verfasser der folgenden, die bloße Auflistung der Tatsachen und ihrer deutenden Erklärungen enthaltenden Sätze – leider – nur mit einem „Nein” antworten.
Im Durchschnitt der 15 EU-Mitgliedsstaaten betrug der Anteil landwirtschaftlicher Beschäftigter von allen Verdienern im Jahre 1995 lediglich 5,3 %. Der Durchschnitt verdeckt einen recht großen Unterschied, von den 2,1 % des Vereinigten Königreichs bis zum Teilanteil von 20,4 % Griechenlands. Mit Ungarn verglichen, können wir anhand dieser Daten erkennen, dass unser Anteil von 7 bis 8 % etwas mehr als das anderthalbfache des EU-Durchschnitts ist. Während aber bei uns auf 1 % der in der Landwirtschaft Beschäftigten 0,93 % des GDP entfallen, beträgt dieser Anteil in der EU nur 0,45 %. Das heißt, dass im Agrarsektor, der sich im Abbau befindet, ein hiesiger Hauptberuflicher noch immer in mehr, als zweimal so hohem Anteil von der Produktion des nationalen Einkommens profitiert, als in der EU.3 Aus dem Gesichtspunkt des Vergleichs mit der EU bekommen wir ein realeres Bild, wenn wir statt oder zumindest neben der vorherigen Kennziffer (dem prozentualen Anteil der Beschäftigung), die von der Bevölkerungsdichte unabhängig ist, als Vergleichsgrundlage die Zahl der Beschäftigten hernehmen, die auf die landwirtschaftliche Fläche von 100 Hektar entfallen. Betrachten wir diese Daten, sehen wir, dass gegenüber der EU-Angabe, wo 5,7 Personen auf 100 Hektar entfallen, die ungarischen Daten „günstiger” sind, weil lediglich 5,0 Beschäftigte auf 100 Hektar entfallen. Würden wir aber versuchen, auch die Teilzeitbeschäftigten auf die in der EU gebräuchliche Einheit der Arbeitskraft (AK) umzurechnen, würde die Kennzahl deutlich, jedoch kaum um mehr als 40–50 % ansteigen. Mit dem so gewonnenen Wert von 7 Personen/100 Hektar würden wir auf der Liste der Mitgliedsländer genau in der Mitte liegen, etwa in einer Gruppe mit Österreich, Belgien und Finnland. Die Zahl der landwirtschaftlichen Beschäftigten geht in jedem Land der EU in schnellem Tempo zurück, und die Landwirtschaft bietet trotz zahlreicher Subventionsmaßnahmen immer weniger Menschen einen direkten Unterhalt.
In den Mitgliedsländern der EU ist die Durchschnittsfläche der Betriebe recht klein, aber doch zunehmend. Der „Durchschnitt des Durchschnitts” jedoch – die so oft zitierte landwirtschaftliche Fläche von 17,5 Hektar pro Landwirtschaftsbetrieb –, sagt tatsächlich kaum etwas über die wirklichen Größen und die Entwicklung der größenmäßigen Zusammensetzung aus. Der Hauptgrund ist darin zu suchen, dass in der Teilzahl auch die zahlreichen Teilzeitbetriebe enthalten sind, während die Leistung dieser in Wirklichkeit ziemlich klein ist.4
Deshalb ist es also unabdingbar, dass wir hinter die alles verdeckenden Durchschnittszahlen blicken (Tabelle 1). Die wichtigste Erscheinung neben dem Rückgang der Betriebszahlen ist, dass im Zeitraum zwischen 1980 und 1995 – im Durchschnitt der 12 untersuchten EU-Mitgliedsländer – der Grund und Boden derjenigen, die eine Fläche kleiner als 20 Hektar bewirtschafteten, um etwa 30 % kleiner geworden ist. Dieser Betriebskreis mit durchschnittlicher Größe verfügt lediglich über 20 % der bearbeiteten Fläche. Demgegenüber nahm die Bodenfläche der zwischen 50 und 100 Hektar Besitzenden um mehr als 20 %, die der mehr als 100 Hektar Besitzenden um mehr als 50 % zu. Das heißt – ob es uns nun gefällt, oder nicht –, dass nur die Größeren wachsen können. Die Wachstumsschwelle, also die Grenze zwischen den Betrieben mit abnehmender und steigender Zahl, liegt nur in den Ländern mit einer übergrossen Agrarbevölkerung noch niedriger. Die „Scheidelinie” liegt jedoch überall, – mit Ausnahme Portugals – sogar in den anderen Mittelmehrländern bei höher als 20 Hektar.
Die Betriebe können die Fläche in der EU – aufgrund des nur begrenzt zur Verfügung stehenden Bodens – nur auf Kosten des anderen Mitgliedsstaates erweitern.5 Demgegenüber kann der Viehbestand verhältnismäßig frei erhöht werden, zumindest bis zu der Grenze, die von der EU zwangsmäßig aus Erwägungen des Umweltschutzes eingeführt wurde. Heutzutage sind die Unterschiede, die größtenteils in negativer Korrelation mit der Bodenversorgung stehen, in den Kennziffern der Viehdichte unter den Ländern recht groß. Die Viehhaltung zeigt in den Ländern der EU ebenfalls eine markante Konzentration. Besondere Aufmerksamkeit verdient die fast schon unglaublich schnelle Steigerung des Bestandes in den schweinehaltenden Betrieben, und die Tatsache, dass es kein Land gibt, das von diesem beschleunigten Prozess eine Ausnahme bilden würde.6
Tabelle 1
Die Veränderung der Betriebskonzentration in den 12 EU-Mitgliedsländern zwischen 1980 und 1995 |
||||||
Land |
5 |
5–20 |
20–50 |
50–100 |
100 |
ins- |
Hektar landwirtschaftliche Fläche |
||||||
Veränderung der Anzahl landwirtschaftlicher Betriebe |
71,4 |
68,2 |
75,6 |
118,3 |
150,8 |
73,7 |
Veränderung der Größe der bearbeiteten Fläche |
72,7 |
66,8 |
78,0 |
121,1 |
150,1 |
103,1 |
* Über Spanien sind nur die Daten des Jahres 1993 verfügbar. |
Zur gleichen Zeit sind die Unterschiede unter den Ländern von erstaunlichem Maße und nehmen viel eher zu, als ab. Die mehr zeitgemäßen Produzenten legen ein Konzentrationstempo vor, mit dem die über ein zergliedertes Betriebssystem und eine rückständige Landwirtschaft verfügenden Länder, die viel eher mit den sozialen Lasten der Beschäftigung der Agrarbevölkerung, als mit einem Selbstbehauptungszwang zu kämpfen haben, nicht mithalten können. Angesichts dieser Tatsachen können wir sagen, dass die heutige ungarische Praxis, die die Betriebe von kleinerer Größe bevorzugt, nicht nur schlecht mit den sowieso schon knappen Haushaltsmitteln des Landes wirtschaftet, sondern auch eine irreführende und falsche Botschaft an die später einmal der EU beitretenden ungarischen Privatproduzenten vermittelt.
Tabelle 2
Die errechneten Werte der, den in der EU gültigen Betriebskategorien entsprechenden, ungarischen Branchengröße |
|||||
BRANCHE |
Kleine = 4 EME |
Untere mittlere |
obere mittlere |
große = 40 EME |
sehr große |
|
große Wirtschaftsbetriebe |
||||
Herbstweizen (Hektar) |
41,6 |
83,2 |
166,4 |
416,0 |
1040,0 |
Körnermais (Hektar) |
42,7 |
85,4 |
170,8 |
427,0 |
1027,5 |
Apfel (Hektar) |
7,5 |
15,0 |
30,0 |
75,0 |
187,5 |
Weintrauben (Hektar) |
15,5 |
31,0 |
62,0 |
155,0 |
387,5 |
Milchproduktion (Kühe) |
15,1 |
30,2 |
60,4 |
151,0 |
377,5 |
Schweinezucht |
179,0 |
358,0 |
716,0 |
1790,0 |
4475,0 |
* EME = Die errechneten Werte der in der EU gültigen Betriebskategorien entsprechenden ungarischen Branchengröße |
In der Europäischen Union wird die Wirtschaftsgröße neben der ungenauen und schwer zu vergleichenden territorialen Kategorisierung anhand der normativen Kennziffer der einkommensproduktiven Fähigkeit, des Wertes des Standarddeckungsbeitrags (StDB), eines einheitlichen Maßsystems und einer, zum Messen dieses verwendeten, sogenannten „Europäischen Maßeinheit” (EME) gebildet. Eine EME entspricht 1200 ECU, also um die 300 Tausend Forint. Unter den Mitgliedsländern der EU finden wir recht bedeutende Unterschiede auch in der einkommensproduktiven Fähigkeit der Betriebe. Herausragend hoch ist sie in den Niederlanden, dann folgen die anderen beiden Benelux-Staaten und das Vereinte Königreich in der Rangliste. In diesen Ländern realisiert etwa ein Drittel der Betriebe an „Europäischen Maßeinheiten” ein Einkommen mehr als 40,7 das heißt also einen Deckungsbeitrag, was ungefähr einer Summengrenze von etwa 13 Millionen Forint entspricht. Als Gegenpol sind Italien, Portugal, Spanien und Griechenland zu erwähnen, da in diesen Ländern die Hälfte der Betriebe, oder sogar noch mehr, die Einnahmegrenze von jährlich 4 EME nicht erreichen, also das Einkommen unter 1,3 Millionen Forint bleibt. Aufgrund der stark differenzierten Verteilung der verschiedenen Betriebe mit einkommensproduktiver Fähigkeit ist es nicht überraschend, dass die Unterschiede auch bei den tatsächlichen Betriebseinkommen, und der sich daraus ergebenden Höhe der bäuerlichen Einkommen unter den Ländern bedeutend sind. Die ungenügende Betriebsgröße hat einen entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung des Betriebseinkommens, das auf eine hauptberufliche Arbeitskraft entfällt.
Die folgende Berechnung, die von Gábor Kovács, dem Abteilungsleiter des AKII durchgeführt wurde, versuchte die Frage, wie man, – aufgrund der Durchschnittsdaten der wichtigeren Branchen mehrerer Jahre – die Methode auf die ungarischen Verhältnisse angewandt8, zu beantworten, unter welchen natürlichen Größen man die unteren Grenzen der in der EU verwendeten Größenkategorien erreichen könnte (Tabelle 2. Bei den Betrieben mit gemischter Struktur müssen diese Werte natürlich addiert werden.). Die Daten sind mehr als eine Warnung: im Maßsystem der EU ist der Großteil unserer heutigen Privatbetriebe, die von der offiziellen Agrarpropaganda nicht nur bevorzugt, sondern auch popularisiert werden, nicht einmal zum Erreichen der unteren Schwelle fähig. Es bedarf keiner großen Prophetengabe um vorauszusagen, dass sich diese Betriebe nach dem Beitritt wohl kaum im Konkurrenzkampf behaupten können, und deren Schicksal die Auflassung, der Konkurs sein wird.
Das Betriebssystem unserer Landwirtschaft im Spiegel der EU
Während der Vorbereitung des EU-Beitritts, der Unterstützung oder eventuell der Steuerzahlung der landwirtschaftlichen Produzenten werden wir stets mit dem Mangel an Informationen, die das betrieblich-unternehmerische System vorstellen, ja sogar mit der Unklarheit des Begriffs „Betrieb” konfrontiert. Die Statistik berichtet uns von etwa 1,2 Millionen Privatbetrieben, in die 14 Tausend hauptberufliche Einzelunternehmen und 11 Tausend Partnerunternehmen gehören. Dies hat den Erfahrungen zufolge sogar auf die EU-Experten erschreckend gewirkt, und die Situation konnte nur mit entsprechenden Rechtfertigungen mehr oder minder bereinigt werden. Gleichzeitig wissen aber die ungarischen Experten, die sich mit der Frage beschäftigen, auch, dass die Landwirtschaft in Wirklichkeit nicht so viele „richtige” Wirtschaftsakteure hat. Darauf lassen auch die ausgefertigten „Agrarausweise” und diejenigen schließen, die sich registrieren ließen. Es ist also an der Zeit, dass die landwirtschaftliche Registrierung erfolgt, was aber die vorausgehende Klärung der Begriffe nötig macht.
Die Studie, die im AKII vor kurzem fertiggestellt wurde, gelangt zu aller erst – nach Durchsicht der Praxis in der EU, und auch im Inland – zum Schluss, dass man zwischen den warenproduzierenden und konkurrierenden, mit französischem Wortgebrauch den „professionellen” Betrieben und den aushelfenden, ein Aushilfseinkommen gebenden, sogenannten sozialen Landwirtschaften unterscheiden, und diese auch unterschiedlich behandeln muss. In Verbindung damit wäre es auch in Ungarn angebracht, die untere, minimale Grenze des Betriebs strenger, nämlich in 1 Hektar Ackerfläche, oder in einer, diesem Wert entsprechenden Pflanzungsfläche, beziehungsweise in einem Bestand von Großvieh festzulegen. Dies alles würde auch bedeuten, dass
– die mit einer kleineren landwirtschaftlichen Produktionskapazität Verfügenden nicht als Betriebe sondern nur als Hauswirtschaften angesehen würden,
– diese dem entsprechend nicht mit jährlicher Regelmäßigkeit und in vollem Umfang durch die Statistik beobachtet werden müssten,
– sie nicht jedes Jahr eine Erklärung machen und Steuern zahlen müssten, jedoch nicht berechtigt wären, landwirtschaftliche Subventionen zu erhalten.
Das Auslassen der vielen zwergähnlichen Produktionseinheiten aus dem Betriebskreis lässt ein Weglassen der sich nie lohnenden administrativen steuerbehördlichen Arbeiten zu, und legalisiert gleichzeitig die Steuerfreiheit derjenigen unbedeutenden Einkommen, über deren Erklärung die Betroffenen als eine Art „Gewissensangelegenheit” entscheiden müssten. Wenn wir die Praxis der EU und die ungarische Wirklichkeit als Grundlage nehmen, und wir die Produzenten mit 1 Hektar landwirtschaftlicher Fläche (beziehungsweise einer dieser entsprechenden Kapazität) auch nicht als Betriebe betrachten, dann „spalten” wir etwa 4 % der ganzen landwirtschaftlichen Bodenfläche, aber mehr als 80 % der heute als Kleinwirtschaftsbetriebe bezeichneten ab, beziehungsweise trennen diese vom Ganzen (aufgrund der wirtschaftssystematischen Registrierung des Jahres 1994). Wenn wir die hiesige wirtschaftliche und soziale Umgebung abwägen, ist zu beweisen, dass die Gruppe der Kleinbetriebe zwischen 1 und 5 Hektar ebenfalls keine Möglichkeit zur selbständigen Bewirtschaftung auf gesellschaftlich akzeptablem Niveau bietet. Besitzt die Familie des Inhabers keine anderen Einnahmen, die das Betriebseinkommen überschreiten, dann ist auch in dieser Gruppe der Wirtschaftsbetriebe die soziale Funktion ausschlaggebend, und der Inhaber setzt seine offenkundig nicht wettbewerbsfähige Warenproduktion dementsprechend fort. Diese im heutigen Begriff zweitdichtest bevölkerte Gruppe mit einem etwa 15 % Anteil besitzt – den Daten von 1994 zufolge – weitere etwa 6–8 % der landwirtschaftlichen Fläche des Landes. Dies alles zusammen bedeutet keinen großen Anteil im Verhältnis zur Bodenfläche, die der Wettbewerbssphäre zur Verfügung steht.
Der Begriff des Betriebs verlangt, dass die Produktionseinheit klare und eindeutige Grenzen besitzt. Die Grundeinheit kann deshalb nur die Familie, beziehungsweise der „Betrieb” selbst bilden. Die Produktionseinheit kann, genauso wie im Kleingewerbe die Werkstatt, im Kleinhandel das Geschäft sein usw. Unserer Meinung nach ist diejenige heutige Praxis deshalb immer unhaltbarer, dass innerhalb eines gemeinsamen Haushaltes so viele kleine landwirtschaftliche „Betriebe” existieren, auf wie viele erwachsene Familienmitglieder das Einkommen aus der Landwirtschaft aufgeteilt wird.
Betrachten wir auch die Partnerunternehmen, können wir die betrieblich-unternehmerischen Rahmen wie in der Tabelle 3 abbilden.
Aufgrund dieses Schemas ist das Wesen unserer Empfehlung kurz und bündig das folgende:
Tabelle 3
Landwirtschaftliche Produktion |
Nicht betriebsgerechte Hauswirtschaft, aus purem Vergnügen betriebene Landwirtschaft |
Davon: Soziale Landwirtschaft” mit dem Ziel des Lebensunterhalts, des Aushilfseinkommens |
||
|
Privatproduzenten |
Einzelwirtsch |
Teilzeitliche und nebenerwerbliche Aushilfsbetriebe |
|
|
|
|
Hauptberufliche Familienbetriebe |
|
|
|
|
Landwirtschaftliche Privatunternehmen |
|
|
|
|
|
|
|
|
Partner- |
Einlagegesellschaften, Partnerunternehmen nicht rechtlicher Art |
|
|
|
|
Landwirtschaftliche Genossenschaft |
|
|
Landwirtschaftliche Unternehmen |
|
Gesellschaften mit beschränkter Haftung |
|
|
|
|
Aktiengesellschaften |
|
|
|
Gemeinnützige Gesellschaften, Stiftungen, Experimental- und Lehrwirtschaftsbetriebe |
1. Die Hauswirtschaften (deren Größe kleiner, als 1 Hektar Acker, oder eine andere, dieser entsprechende Produktionskapazität, zum Beispiel 0,2 Hektar Pflanzung, oder 400 m2 Fläche unter Glas oder Folie, beziehungsweise 2 Herdentier-Einheiten) sollten in Zukunft nicht als Betriebe betrachtet werden. Nach dieser Produktion müssten keine Steuern mehr gezahlt werden, aber die Produktion würde auch keinerlei agrarfördernde Subventionen mehr genießen. Der Anteil an der sozialen Subvention würde anhand der Einkommen aus den anderen Quellen bestimmt werden. In diese Kategorie würde die Familie aufgrund der physischen Größe der Produktionskraftquellen eingereiht werden, und zwar aufgrund der Registrierung und Bestätigung durch die Selbstverwaltungen.9
2. Die zweite Kategorie ist die der Teilzeit- oder nebenbeschäftigten Aushilfswirtschaftsbetriebe, die zwar die vorhin erwähnten oberen Grenzen überschreiten, aber weniger Produktionskraftquellen besitzen, als 5 Hektar Acker oder 1 Hektar Pflanzung oder 1000 m2 Fläche unter Glas oder Folie und 10 Herdentier-Einheiten.10 Dieser Betrieb würde ebenfalls auf familiärer Grundlage besteuert werden, und zwar entweder mit der Pauschale, die aufgrund des Produktionsmaßes ausgerechnet werden würde, oder durch die, mittels einer Rechnung bestätigte Verrechnung von 20 % der Einnahmen und Ausgaben – aufgrund der heutigen Gesetze der Einkommenssteuer. Der Teilzeit- oder nebenbeschäftigte Aushilfswirtschaftsbetrieb bedeutet auch in jedem solchen Fall gleichzeitig die Kategorie des sozialen Wirtschaftsbetriebes, in dem das gesamte Einkommen der Familie zusammen mit dem landwirtschaftlichen Einkommen nicht mehr beträgt11, als die Summe des Mindestlohns multipliziert mit der Zahl der Erwerbstätigen.
In der heutigen Situation kann es auch vorkommen, dass eine Familie gar kein bedeutenderes Einkommen aus einer anderen Quelle besitzt. Deshalb ist es angemessen, einer Familie zusätzliche soziale Unterstützung zukommen zu lassen, wenn das Verhältnis des landwirtschaftlichen Einkommens über 75 %, und wenn des weiteren das ganze pro Kopf-Jahreseinkommen unter dem Niveau des Mindestlohns liegt.12 Es ist aber ganz wichtig zu betonen, dass die Quelle der Subventionen nicht die Agrarförderungsfonds, sondern die gesellschaftlichen Sozialrahmen sind.
3. Die dritte Kategorie bildet der Familienwirtschaftsbetrieb, der – die vorigen Grenzen überschreitend – über höchstens 30 Hektar Acker oder einer anderen, diesem entsprechenden Kapazität verfügt, beziehungsweise eine Einnahme der verkauften Waren von 15 Millionen Forint erreicht. Die Steuer, die aufgrund familiärer Grundlage, aber streng nur im Falle einer Hauptbeschäftigung mit einer bedeutenden Mehrbetragsvergünstigung zu bezahlen ist, könnte auch in dieser Kategorie in Form von Pauschale oder nach Postenverrechnung bezahlt werden. Der Familienwirtschaftsbetrieb gehört nicht mehr zum Feld der dauerhaft mit sozialen Subventionen Unterstützten.
Die Realität verlangt aber trotzdem von uns, dass wir anerkennen: eine Familie kann heute in Ungarn im Falle einer, die untere Größengrenze nur knapp überschreitenden Produktionskapazität nicht anständig leben. Deshalb ist ihre soziale Unterstützung begründet, wenn das ganze (landwirtschaftliche und aus äußeren Quellen stammende) Einkommen eines arbeitsfähigen Familienmitglieds die Grenze des Mindestlohns nicht erreicht. Die Rolle des Staates muss sich in ihrem Fall in erster Linie und besonders in der Modernisierung der Produktion und der Begünstigung dieser, sowie in den Entwicklungssubventionen widerspiegeln, die der Herausarbeitung konkurrenzfähiger Größen dienen. Als Quelle dieser dienen aber bereits eindeutig die Agrarsubventionsrahmen.
4. Die vierte Kategorie ist das landwirtschaftliche Privatunternehmen, das entweder größer ist, als der Familienwirtschaftsbetrieb, oder sein Besitzer wählt, trotz der kleineren Größe, aus anderen Gründen (zum Beispiel wegen der Verrechnung der Mehrwertsteuer) freiwillig diese Form anstelle der vorhin aufgelisteten. Er zahlt nach Postenverrechnung, jedoch nur im Falle einer Hauptbeschäftigung13, ebenfalls mit landwirtschaftlichen Vergünstigungen Steuern. Auf diese Gruppe würde sich die Möglichkeit der Pauschalzahlung nicht beziehen – das würde ja dem System der Mehrwertsteuer-Rückerstattung, die eine Postenverrechnung benötigt, widersprechen –, aber die Agrarvergünstigungen zur Entwicklung und Modernisierung, die sich, auf der Grundlage der gesellschaftlichen Werte, an die Erhöhung der Produktionskonkurrenzfähigkeit knüpfen, würden sich in erster Linie auf sie beziehen.
Diese Strukturierung, aber hauptsächlich die Größengrenzen, benötigen eine gründliche fachgerechte Überprüfung. Darüber hinaus muss sie von Zeit zu Zeit auch auf eine höhere Stufe gehoben werden. Wir haben uns deshalb auf den klärenden begrifflichen Versuch eingelassen, damit wir auch mit diesem bei der fachlichen Debatte, der möglichst raschen Lösung der Frage, und bei dem erfolgreichen Ablauf der allgemeinen landwirtschaftlichen Zusammenschreibung helfen, die 1999 beginnt. Wir können auf jeden Fall eindeutig feststellen, dass es in der ungarischen Landwirtschaft keinerlei Fremdkörper, keine nicht „EU-konformen” Elemente gibt, auch wenn manche die, konkurrenzfähigere Produktionsbedingungen bietenden Großindustrien auf der heimischen Palette nicht gerne sehen. Dies ist aber ein subjektiver, und nur Nachteile mit sich bringender Standpunkt. Unhaltbar ist hingegen, dass wir nicht wissen, wer und mit welcher Produktionskapazität am Markt eine Rolle spielt, dass wir die Nutzer der Böden nicht kennen, und dass ein schlecht erarbeitetes Steuer- und Registrierungssystem nur deshalb weiter existieren kann, weil es bei der Durchführung der aktuellen Bemühungen – die die Großindustrien in eine benachteiligende Situation versetzt – Hilfe leistet.
Bodenmarkt und Bodenpachtung in der EU: Was wartet auf uns?
Das bei uns in erster Linie in den Kreis der Politik gehörende Themengebiet ist zwar auch in den Mitgliedsländern der EU nicht ganz frei von politischen Tönen; grundsätzlich ist es aber doch ein wirtschaftliches Problem. Seine rechtliche und marktmäßige Regelung wird in erster Linie auch von wirtschaftlichen Überlegungen geleitet. Darüber hinaus enthält auch die Annäherung wirtschaftlichen Charakters ziemlich viele soziale Komponenten und Überlegungen. Ein wichtiger motivierender Faktor der Regelung ist die Bestrebung, dass die Frage des Bodenbesitzes in die Dienste der rationalen Bewirtschaftung gestellt wird, und dementsprechend auch die Rechte des Besitzers eingeschränkt werden, beziehungsweise, dass eher die Nutzung des Bodens im Auge behalten wird.
Hierzulande geraten, nicht nur von der wirtschaftlichen, sondern vielleicht sogar von der politischen Absicht abweichend, – wegen der Durchpolitisierung – die sozialen Zusammenhänge des Bodenbesitzes in den Hintergrund. Dies wird eindeutig durch die, mit dem Besitz zusammenhängenden Gesetze, dem sich Hinziehen der Machtentscheidungen und der Verzerrung der bereits getroffenen Entscheidungen angezeigt. Deshalb sind die wirklichen Fachfragen, die die Regelung der vernünftigen Bewirtschaftung des Bodens betreffen, noch nicht behandelt worden. Deshalb gibt es auch heute noch keine Bestrebung zur Herausbildung der Mindest- oder lebensfähigen Betriebsgröße – nicht einmal der Begriff hat bisher Bürgerrecht erhalten. Infolge des Übergewichtes der Ideologie konnte es passieren, dass im Moment der völligen Entscheidungsfreiheit nach der Wende, im Laufe der Zuteilung von Grund und Boden, der Kreis der von der Landwirtschaft Lebenden nicht nur keinen Vorzug erhielt, sondern zum Gegenstand grenzenloser, ja fast schon kostenloser Verteilung und verhängnisvoller Aufteilung von Boden geworden ist.
Da auch wir in absehbarer Zeit Mitglieder der Europäischen Union werden, können all die heute verteidigend genannten Gesetze, die größtenteils seit 1994 mit dem „Teufel an die Wand malen” geschaffen worden sind, sich umkehrend, tatsächlich katastrophale Folgen für den heimischen Bodenmarkt haben. Es muss gleich hier festgestellt werden, dass die Praxis der Europäischen Union eine Fundgrube möglicher, zu verfolgender Gleichnisse, aber keinesfalls irgendein einheitliches, sich in allen Ländern gleichermaßen Geltung machendes System bietet. Dies illustriert auch die bisher reichhaltigste, Fakten vorstellende Studie von Frau Burger die in diesem Themenkreis Mitte 1998 erschienen ist. Es ist offensichtlich, dass der Boden als eigentümliches Produktionsmittel – aus dem Gesichtspunkt des Besitzes und des Marktumsatzes – in den meisten Ländern vom allgemeinen mehr oder weniger abweichend geregelt wird. Der Boden wird zwar mit zahlreichen Abschließungen aus dem Wirkungskreis der vollkommenen Freiheit des Marktes, einem Eckpfeiler der „Errungenschaften der EU” hinausbefördert, dies geschieht aber nur teilweise, nicht durch totale Verbote, sondern in Wirklichkeit mit der Einfügung diverser Einschränkungen und Abschließungen, beziehungsweise dem Einbau von Vorzügen. Aus den Einschränkungen ragen die Gesetze, beziehungsweise Vorschriften heraus, die die Zerstückelung der Fläche hemmen, die lebensfähige Feld- und Betriebsgröße bevorzugen, den Besitzerwerb bei bestimmtem Maße an Berufsqualifikation binden und den Ortsansässigen, beziehungsweise den Staatsbürger des gegebenen Landes Vorzug gewähren.
Trotz der administrativen, rechtlichen Regelung, oder eher neben ihr, bahnt sich der durch den wirtschaftlichen und marktmäßigen Wettbewerb diktierte Zwang den Weg. Dies drückt sich in der immer schneller werdenden Betriebskonzentration, im Werteverlust der landwirtschaftlichen Rolle des Bodenbesitzes, in der Zunahme der – mit diesem vielfach zusammenhängenden – Pacht, und in dem, für die Landwirtschaft charakteristisch hohen Anteil des Fremdkapitals (Leihkapital) aus. Diese Vorgänge sind umso stärker, je entwickelter die Wirtschaft eines Landes ist, also je weiter sie sich von der archaischen Landwirtschaft entfernt hat. Die Veränderungen der letzten Jahre zeigen hierzulande eher in die Richtung der überschrittenen Vergangenheit, als in die der vielversprechenden Zukunft.
Was den Bodenmarkt in engerem Sinne betrifft, können wir auch innerhalb der EU große Unterschiede als charakteristisch feststellen. Dies trifft in erster Linie auf den Bodenpreis zu, weil die „EU-Bodenpreise”,14 trotz dessen, was man hierzulande hört und liest, eine ziemlich große, und teilweise kaum erklärbare Streuung zeigen. Den Daten zufolge herrscht zwischen den westlichen Bundesländern der beiden benachbarten Länder, Frankreich und Deutschland ein fünffacher Preisunterschied. In Dänemark ist der Preis nur halb so hoch, wie im benachbarten Belgien oder in Westdeutschland, und nur ein Drittel des holländischen Preises. Den größten Unterschied finden wir zwischen dem, offensichtlich mit großem Landmangel kämpfenden Luxemburg (11–15 Millionen Forint/Hektar) und dem als billigstes Land geltenden Schweden (275–350 Tausend Forint/Hektar), das wirklich zeitgemäß ausgerüstet ist und innerhalb der EU wohl am ehesten nach den Prinzipien der Marktwirtschaft funktioniert. In Schweden (wo man aber trotzdem keinen Überschuss an Land von guter Qualität hat) sind die Bodenflächen nicht viel teurer, als in Ungarn, „höchstens” zwei-dreimal. Dieser Unterschied wirkt in Wirklichkeit im Verhältnis zu dem zu uns mehr als 40mal so hohen Preisniveau der vorhin genannten zwei EU-Ländern (Belgien und dem westlichen Teil der BRD) ziemlich klein.
Aufgrund zahlreicher mündlicher Aussagen – und im Besitz konkreter deutscher Daten – können wir auch feststellen, dass die Existenz des Bodenmarktes überhaupt keinen voluminösen Bodenhandel bedeutet, weil das Kaufen und Verkaufen nur ein marginaler Teil der ganzen Bodenfläche ist. In der Veränderung des Bodenbesitzes spielt gegenüber dem Markthandel das Vererben eine viel größere Rolle, das jedoch von zahlreichen Rechtsnormen eingeschränkt wird. Diese helfen einerseits bei der Konzentration (beziehungsweise der Verhinderung der Zerstückelung) des Besitzes, und andererseits bei der Verbreitung der fachkundigen Bauern. Sowohl im Falle des Kaufens als auch in dem des Pachtens ist in den meisten Mitgliedsländern die lokale Sesshaftigkeit ein Kriterium. Häufig kommt es auch vor, dass das Gesetz durch die Kontrolle der Verträge, der Überprüfung des Realitätsgehalts des Preises, der Verweigerung der Eintragung im Falle ungesetzlicher Verträge, der Geltendmachung des Vorkaufsrechtes des Staates, alles daran setzt, die Spekulation zu verhindern. Dies ist auch für uns ein zu befolgendes Exempel, da es offensichtlich ist, dass heutzutage zum Beispiel in der Stadt wohnende Personen (die oft sogar ein Arbeitsverhältnis und ein Einkommen haben) in einer Entfernung von 100–200 Kilometer nicht mit der Absicht der Bodenbewirtschaftung, höchstens mit dem Wunsch, den Neuerwerb kultivieren zu lassen, aber in Wirklichkeit meist nur auf den absehbaren Anstieg des Bodenpreises spekulieren. Die heutige einschlägige Gesetzgebung schützt viel eher die Interessen der hierzulande lebenden Spekulanten, als die der Kleinbesitzer; egal, ob wir nun an die Käufer denken, die den Boden bearbeiten, oder an die, die ihren Grund verkaufen möchten (deren Interessen bezüglich des realeren Bodenpreises – seltsamerweise – bisher in den Debatten gar nicht aufkamen!).
Neben dem begrenzten Maßes des Bodentransfers spielt in den Mitgliedsländern der EU die Pacht eine immer größere Rolle. Die Produzenten legen ihr Kapital in rasch rentablen Investitionen an und verwenden es nicht zum Kauf von Grund und Boden. Die Unternehmer in der landwirtschaftlichen Produktion versuchen ihr Vermögen durch Anlage zu vermehren, und sie haben nicht die Absicht, es in Ruhe beizubehalten. Zu diesem Zweck ist in der Marktwirtschaft das Pachten ein vorteilhafteres und hauptsächlich flexibleres Mittel. Es ist kein Zufall, dass in der EU 40 % der bearbeiteten Fläche gepachtet sind, und dass dieser Anteil in den meisten Ländern minimal, aber dauerhaft ansteigend ist.
Die Änderung der Pachtgebühren ist deshalb eine fast so spannende Frage, wie die des Bodenpreises. Bei den Pachtgebühren können wir aber von 10–20fachen, der Streuung des Bodenpreises folgenden Unterschieden nicht sprechen. Viel eher finden wir eine überraschende Nivellierung und gleichzeitig klar ansteigende Preise. Die günstigste Pachtgebühr (10–12 Tausend Forint/ Hektar) liegt ganz nah am ungarischen Niveau. Aber auch im führenden Agrarland, Frankreich, pendelt er lediglich um die 15 Tausend Forint/Hektar, und ist nur halb so hoch, wie in den benachbarten deutschen, belgischen, holländischen und dänischen Gebieten. Die ungarischen Bodenpachtgebühren haben sich also – auf schwer begründbare Art und Weise – dem Niveau der EU angepasst, was die zur Schaffung von stabilen Pachtverhältnissen dienende gesetzliche Regelung nicht nur enorm vereinfachen, sondern gleichzeitig auch ankurbeln würde.
Die Pachtgebühr ergibt sich nicht in erster Linie – wie das viele behaupten – und besonders nicht ausschließlich aus dem Bodenpreis.15 Das Verhältnis des Bodenpreises und der jährlichen Pachtgebühr pendelt zwischen 0,33 % und 6,94 %; das heißt, der Unterschied liegt beim mehr als 20fachen. Folglich ist der Zusammenhang zwischen Bodenpreis und Pachtgebühr ziemlich locker. Darauf deutet auch die Tatsache hin, dass die Pachtgebühren zwischen 1979 und 1996, trotz der geringen Abnahme des Bodenpreises in den letzten Jahren, im Grunde unverändert geblieben sind.
Nicht nur zwischen den einzelnen Ländern, auch innerhalb dieser herrschen große Unterschiede. Im für uns in vielen Gesichtspunkten richtungsweisenden Deutschland sehen wir zum Beispiel sogar unter den westlichen Bundesländern dreifache, und unter den östlichen auch mehr als zweifach so hohe Abweichungen. In erster Linie sollte man aber nicht auf diese achten, sondern viel mehr auf die eindeutig beständig scheinenden, mehr als zehnfachen Unterschiede, die sich zwischen dem östlichen und dem westlichen Teil des Landes herausgebildet haben. Wir müssen aus dieser Tatsache die auch für uns lehrreichen Schlussfolgerungen ziehen. Trotz des hohen Bodenpreises und der wirklich völlig grenzenlosen Möglichkeiten des Bodenerwerbs innerhalb des Landes, hat der „Westen” die östlichen Gebiete, wo trotz der großen Besitzerveränderungen der jährliche Bodenverkehr um 0,6 % der ganzen Fläche gelegen und in den westlichen Bundesländern unter 0,5 % geblieben ist, nicht aufgekauft. Diese Unterschiede gelten sogar nur innerhalb eines Landes!
Schließlich lohnt es sich, einige lehrreiche Tatsachen festzuhalten. Eine wäre, dass die Unterschiede unter den einzelnen Ländern in jeder Hinsicht des Bodenmarktes groß sind, und deshalb gibt es auch bezüglich dieser Frage keine einzige Norm, an die wir uns anpassen müssten. Die andere Folgerung ist, dass der Bodenmarkt und die gleichwohl wichtige einschlägige Regelung der Pachtverhältnisse statt dem Verbot und der Prohibition auf Einschränkungen aufbaut, die reale Voraussetzungen als Grundlage haben. Das eine Ziel dieser Beschränkungen ist die Erhöhung der bäuerlichen Einkommen und der Existenzsicherheit, das andere die Förderung der Herausbildung von Betrieben wettbewerbsfähiger Größe. Die dritte Lehre wäre, dass die wirtschaftliche Rationalität die oft mit emotionalen Gründen erklärbaren, auf die Erwerbung des Bodenbesitzes ausgerichteten Anstrengungen, die sich nicht lohnenden Kapitalinvestitionen immer mehr ersetzt, und das Pachten dadurch zum wichtigsten Weg des Bodenerwerbs avanciert. Dazu ist aber eine entsprechende Regelung durch Gesetze unerlässlich. Deshalb ist diese Regelung unter unseren Aufgaben die allerbrennendste, und von dieser kann auch das schnellste Ergebnis erwartet werden.
Zur Agenda 2000
Wollen wir die Entscheidungen der Agenda 2000 kurz und bündig bewerten, dann gelangen wir auf alle Fälle zur Schlussfolgerung, dass das Dokument zahlreiche, nicht beschlossene und verschobene Entscheidungen, schwierige – ja, wir können auch sagen, an manchen Stellen ganz prinzipienlose – Kompromisse enthält. Gleichzeitig ist auch ganz eindeutig festzustellen, dass jeder wichtige Schritt der Agenda 2000 (auch) mit der bevorstehenden und als Tatsache anerkannten Osterweiterung rechnet. Die Agenda 2000 ist also ein zweifellos wichtiger, aber mutloser Schritt in der – nunmehr schon jahrzehntelangen – Reihe der Reformen. Sie enthält bedeutende und eigentlich in die notwendige Richtung weisende, aber viel weniger und weniger Neues bringende Veränderungen als dies wünschenswert wäre.
Weder in ihren ausgesagten Worten, noch in ihren hinter der Fassade verborgenen Bestrebungen, weicht sie von den grundlegenden Zielsetzungen der EU-Agrarpolitik ab, die heute nunmehr eigentlich die einzig wirkliche gemeinsame Wirtschaftspolitik der Europäischen Union bedeutet. Sie strebt also auch weiterhin nach der Sicherheit der Versorgung, der Stabilisierung der Agrarmärkte, der Schaffung des ausgeglichenen Produktions- und Konsumpreisniveaus und des, für den Bauernstand gerechten Einkommens- und Lebensstandards, und schließlich nach der Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit, welche durch ihre ansteigende Teilnahme am Welthandel begründet ist (sein sollte).
Am meisten kennzeichnend ist für die kontroversen Zielsetzungen der Agenda 2000, dass neben der Betonung der Wettbewerbsfähigkeit die Beibehaltung des „europäischen Agrarmodells”, der Schutz des Familienbetriebs gegenüber der rasch voranschreitenden Konzentration als Ziel genannt wird. Wir wären aber ungerecht, wenn wir nicht auf die Veränderungen im Bedeutungswandel des Begriffs hinweisen würden. Es gibt heute kaum mehr einen Agrarökonomen aus der Europäischen Union, der den Familienbetrieb nicht als ein landwirtschaftliches Unternehmen verstehen würde, das kraft seiner rasch vorwärtsschreitenden Maße zur Integration der modernen Technik beiträgt, das mittels seiner zahlreichen kooperativen und genossenschaftlichen Verbindungen in die Marktwirtschaft integriert wird, und das gleichzeitig einer Familie Unterhalt bietet. Die Mehrheit der Familienbetriebe in den führenden Ländern der EU sind also richtige Kapitalunternehmen mit einer Kapitalkonzentration und einem Produktionsmaß, für die hierzulande am ehesten nur die Partnerunternehmen Beispiele darstellen.
Die „gerechtere” Verteilung der Subventionen und Einzahlungen unter den Ländern steht auch ganz vorne unter den Zielsetzungen der Agenda 2000. Dies können wir – mit einer kleinen Vereinfachung – getrost einen deutsch-französischen Streit nennen, der natürlich seinen Schluss in einem Kompromiss fand. Die Zielsetzung, die um die Notwendigkeit einer einfacheren, weniger bürokratischen Agrarpolitik wirbt, erfreut sich überall großer Beliebtheit. Wir müssen aber die jetzigen Reformen nicht allzu lange studieren, um festzustellen, dass die Agrarpolitik der EU, trotz der Verlautbarungen der Ziele, jetzt noch komplizierter wird.
Aus der Sicht des ungarischen Beitritts ist die Teilnahme an den Kompensations-, oder einkommensersetzenden Subventionen eine Kernfrage. Die EU zeigt nicht allzu viel Bereitschaft an dieser Teilnahme. Die Agenda 2000 selbst enthält die Quellen dieser unter den geplanten Budgetausgaben ebenfalls nicht, obwohl sie es wortwörtlich nicht ausschließt, sondern die für uns beruhigende Lösung der Streitfrage ganz einfach verschweigt. Unseren Berechnungen, und auch den Ergebnissen von Analysen anderer (zum Beispiel J. Köckler, Universität Bonn) zufolge, würde unser eventueller Ausschluss aus den Kompensationsauszahlungen fatale negative Folgen haben, und einen Einkommensverlust, beziehungsweise Einkommensrückstand hervorrufen, den die ungarischen Produzenten auf keine andere Art und Weise ersetzen könnten. Während den Verhandlungen muss also diese Tatsache aus dem Gesichtspunkt der ungarischen Agrarinteressen als Kernproblem vor Augen gehalten werden, weil die anderen in Frage kommenden Angelegenheiten und Probleme neben der Bedeutung dieses zwergenhaft und unbedeutend erscheinen.
In der Agenda 2000 stehen ziemlich viele künftig zu fällende Entscheidungen. Dies zeigt die Unfähigkeit der EU, die zahlreichen verschiedenen Sonderinteressen, Gegensätze; aber dies weitet auch den Spielraum der Verhandlungen und Abmachungen, und das auf beiden Seiten! Vieles, oder gar alles, kann auf unsere fachliche Vorbereitung, unsere politische Entschlossenheit und den im Lande herzustellenden Konsens ankommen.
Einige Schlussfolgerungen
Der Beitritt zur EU enthält keinerlei Vorschriften, die sich auf das Leistungsniveau, oder auf das Erreichen eines bestimmten Effektivitätsgrades der Agrarwirtschaft beziehen. Es wäre sowieso vergeblich, weil wir unter unseren jetzigen Umständen, als Außenstehende, noch dazu mit den Verbindlichkeiten des Erwerbs von Bodenbesitz und inmitten ungeregelter Pachtverhältnisse nicht einmal auf Kapitalanlagen hoffen können. Deshalb existieren die oft angesprochenen, realen Voraussetzungen der wirtschaftlichen Aufschließung – für uns als Außenstehende – nicht. Eine Veränderung in dieser Frage könnte nur die Überprüfung der Gesetze bezüglich des Bodenbesitzes bringen, infolge welcher die Diskriminierung der rechtlichen Personen ein Ende findet, und wir im Falle der Ausländer vom Verbot auf die strenge Einschränkung überwechseln. Dies sind nämlich die wichtigsten Voraussetzungen der äußeren Kapitalzuziehung.
Eine wichtige und erreichbare, sowie ziemlich drängende Aufgabe unsererseits ist die Herstellung des Unternehmens- und Institutionssystems der ungarischen Landwirtschaft. Im Interesse derer müssen wir – unsere Kräfte und die von der EU angebotenen Subventionsquellen vereinend – das zu dieser notwendige rechtliche und administrative Institutionssystem ausbauen, und das Betreiben dieses Systems erlernen. Auf diesem Gebiet liegen wir bereits zurück; ja wenn wir im Jahre 2002 schon Mitglieder wären, dann hätten wir – infolge des Mangels an geeigneten Betriebsregistrationen – zu zahlreichen Subventionen nicht einmal „Zugang”.
Für die Agrarwirtschaft Ungarns ist die Teilnahme am Wettbewerb, die Schaffung der konkurrenzfähigen und exportorientierten Landwirtschaft die langfristige und reale Zielsetzung. Dazu ist in der Betriebs- und Unternehmenswelt so schnell wie nur möglich eine klare und eindeutige Differenzierung zwischen den Unternehmen (Betrieben) lebensfähiger Größe, die über die Maßvoraussetzungen der Wettbewerbsfähigkeit verfügen und den sozialen Zwecken dienenden Aushilfsbetrieben notwendig. Unsere Großbetriebe, die existierenden Genossenschaften stellen schließlich keinesfalls „Fremdkörper” in der EU dar; ihre Aufrechterhaltung und Förderung ist aus ihrer Wettbewerbsfähigkeit heraus gleichzeitig eine wichtige Voraussetzung eines erfolgreichen Beitritts.
Anmerkungen
1
Die ungarische Fachliteratur, die mit dieser heiklen Frage ziemlich vorsichtig umgeht, beziehungsweise einige, die apologetische, sich auf die Familienbetriebe der EU, als angeblich nachzueifernde Beispiele beziehend, das Thema angehen, nehmen im allgemeinen die Besitzverhältnisse unter die Lupe. Das ist aber längst nicht die Hauptfrage, viel eher ist es die Sache des Betriebssystems. Wie in der gewalttätigen Praxis der Kollektivierung in den 50er und 60er Jahren, so wurden auch in der gewalttätigen De-Kollektivierung der 90er Jahre an den Besitz, in erster Linie an den Bodenbesitz Hoffnungen geknüpft, die auf die Verbesserung der Effizienz entscheidend wirken würden und die Qualität des Umgangs mit dem Vermögen, darunter auch mit dem Boden verbessern könnten. Nun, heute jedoch, als etwa 90 % des Bodens und des anderen Vermögens in Privatbesitz sind, und darüber hinaus möglicherweise sogar mehr, als die Hälfte dieser im Rahmen der Landwirtschaft verwendet wird, sehen wir eine eindeutig ins Auge stechende Widerlegung dieses naiven Glaubens. Es spielen also auch andere Faktoren dabei eine – sogar entscheidende – Rolle, dass wir in Ungarn, und den anderen mittel- und osteuropäischen Staaten, trotz der neuesten Besitzreform, anstelle des erhofften Aufschwungs eine Masse an Konkurs zu Gesicht bekommen. Noch nicht einmal nach einem Jahrzehnt sind die Umrisse einer Entfaltung zu erkennen. Es ist also offensichtlich, dass wir mit der „revolutionären” Lösung, die wir anstelle der – nunmehr bereits ohne ideologische Schranken existierende – Fortsetzung der Reformen gewählt haben, einen falschen Weg eingeschlagen haben, aus dem wir auf keine Art und Weise den Ausgang finden.
2
Wenn wir die 80-er und 90-er Jahrzehnte der zwei wichtigsten Ackerbaukulturen, die des Weizens und des Maises vergleichen, sehen wir nicht nur, dass die in der Welt vor sich gegangene Entwicklung die Landwirtschaft unseres Landes unberührt gelassen hat, sondern wir müssen auch einen absoluten Rückgang der Erträge um 13–17 % verbuchen. Der Wert der Streuung um den Durchschnitt von 10 Jahren herum hat sich in den 90er Jahren beim Weizen um 40 % und beim Mais sogar um mehr, als 170 % im Verhältnis zu den vorigen Werten erhöht.
3
Es ist gleich hinzuzufügen, dass die in der Höhe von Millionen liegende Zahl der Teilzeitbeschäftigten, die nicht als Arbeitskräfte gerechnet werden, die ungarischen Daten in eine positive Richtung verzerrt!
4
In Deutschland und Frankreich zählen gleichermaßen etwa zwei Fünftel der landwirtschaftlichen Betriebe in den Kreis der Teilzeitbeschäftigten; und ihre Leistung erreicht etwa 10, beziehungsweise 5 % des Ganzen.
5
Dies ist einer der Gründe für die Entwicklung der Bodenpreise, über die wir in einem eigenen Punkt einen detaillierteren Überblick geben werden.
6
Zum Beispiel werden in sechs der 12 alten Mitgliedsländer der EU mehr, als 90 % des Schweinebestandes in Betrieben aufgezogen, in denen die durchschnittliche Tierzahl mehr, als 200 Stück beträgt; darüber hinaus gibt es sieben Mitgliedsländer, in denen 80 % der Schweine in einem Bestand von mehr, als 400 sind, und in acht Ländern werden mehr, als die Hälfte des Bestandes (darunter in dreien mehr, als zwei Drittel) in einem Betrieb von einer Durchschnittszahl über 1000 Stück gemästet.
Situationsbericht 1996. Deutscher Bauernverband, Bonn 1996.
7
Die ungarische Abkürzung: EME
8
Die Berechnung ist auch deshalb begründet, weil auch wir nach unserem Beitritt diese Methode anwenden müssen.
9
Die in diese Kategorie Gehörigen könnten wir auch bestimmen, indem wir vom jetzigen Steuersystem ausgehen und sagen, dass die Familie, in der die landwirtschaftlichen Einnahmen unter der Preiseinnahmegrenze von 250 000 Forint bleiben, über keinen landwirtschaftlichen Betrieb verfügt, der zur Steuerbasis beitragen würde. Angesichts der Tatsache, dass in der Europäischen Union – aus vereinfachenden Überlegungen heraus – meistens die Größe von 1 Hektar (beziehungsweise eine, diesem Wert entsprechende Pflanzungsfläche oder ein Tierbestand, usw.) als Schwellenwert festgeschrieben wird, wäre unserer Meinung nach auch für uns diese Methode die zu befolgende. Über die Aktivitäten dieser Familien müssten wir natürlich auch weiterhin Informationen besitzen, diese könnten wir jedoch auch mit Hilfe von repräsentativen Datenerhebungen bekommen.
10
Dem vorigen Beispiel folgend, können wir auch hier vom bestehenden Steuersystem ausgehen. Dem zufolge gehört derjenige Betrieb, beziehungsweise diejenige, den Betrieb besitzende Familie in diese Gruppe, deren Jahreseinkommen 1,5 Millionen Forint nicht überschreitet.
11
Diese einkommensproduzierende Kapazität des Einkommens, oder der Produktionskraftquellen (Bodenfläche, Tierbestand, usw.), könnte entweder aufgrund des sogenannten „Standarddeckungsbeitrags” (StDB) oder aufgrund des bestimmten Anteils der Preiseinnahme, ähnlich der heutigen Praxis, bestimmt werden.
12
In erster Linie ist es eindeutig diese Gruppe, die besonders nachteilig von der Auflösung der sicheren landwirtschaftlichen Arbeitsplätze betroffen war. Also in dem Fall, wenn sie hauptsächlich von dieser ungenügend großen Produktion leben müssen, und die Familie kein anderes, bedeutendes Einkommen hat, müssen höhere Ermäßigungen, vollkommene Steuerfreiheit und Sonderunterstützungen für sie gelten.
13
Wir meinen, dass für Personen mit einem entsprechenden Verdienst, die sich mit landwirtschaftlicher Produktion nur nebenbei, als „Nebenjob” beschäftigen, Sonderermäßigungen unangebracht sind.
14
Mit einer kleinen Vereinfachung können wir sagen, dass derjenige, der von „EU-Bodenpreisen” spricht, sofort seine Unwissenheit kundtut, weil es innerhalb der EU keinen einheitlichen Bodenmarkt gibt. Weder aus der Sicht der Gesetze, noch – und besonders nicht – aus der Sicht der Preise.
15
In den hierzulande geführten Streitigkeiten der letzten Jahre ist mehrmals verlautbart worden, wie schädlich es wäre, wenn die Bodenpreise anstiegen, weil dies zur Explosion der Pachtgebühren führen würde.
Quellenverzeichnis
1. Agrarbericht der Bundesregierung 1999. Hrsg. BMELF, Bonner Universitätsdruckerei, Bonn 1999
2. Brack, Günther: Bruchlandung einer Agrarreform. Ländlicher Raum. Nr. 2, 1999
3. Anna Gimes, Burgerné: Földhasználati és földbirtokpolitika az Európai Unió országaiban. [Bodennutzungs- und Bodenbesitzpolitik in den Ländern der Europäischen Union.] I. és II. Statisztikai Szemle [Statistische Rundschau I. und II.], Nr. 4–5 und 6, 1998
4. Dorgai – Kovács – Stauder – Tóth – Varga: Mezőgazdaságunk üzemi rendszere az EU tapasztalataink tükrében. [Das Betriebssystem unserer Landwirtschaft im Spiegel der EU-Erfahrung.] AKII, Budapest, Agrárgazdasági Tanulmányok [Agrarwirtschaftliche Studien], Nr. 8, 1999
5. Jahresbericht des Ausschusses der Europäischen Union über das Voranschreiten Ungarns zur Mitgliedschaft. [Az Európai Unió Bizottságának éves jelentése Magyarország előre haladásáról a tagság felé.] Külpolitika [Außenpolitik], Nr. 1–2, 1999
6. Köckler, Jochen: Aufbau eines Informationssystems zur Diagnose und Bewertung agrarsektoraler Entwicklungsprozesse in den Transformationsländern. R-F-W-Universität, Bonn, 1999
7. Popp, József: Az Agenda 2000 mezőgazdasági fejezete. [Das landwirtschaftliche Kapitel der Agenda 2000.] Handschriftenstudie im AKII. 8. April 1999
Begegnungen10_Szatmari
Begegnungen
Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Band 10:249–257.
PÉTER SZATMÁRI
Das österreichische Dilemma: Engelbert Dollfuß und seine Kanzlerschaft
Am 25. Juli 1934., am Nachmittag starb im Arbeitszimmer des Ministerpräsidenten am Bauhaus-Platz in Wien Engelbert Dollfuß, der Kanzler von Österreich an seinen schweren Schußwunden.1 Seine gut zweijährige Kanzlerschaft und deren dramatischen Ausgang drückten symbolisch all die inneren Konflikte der Ersten Österreichischen Republik und deren Krisensymptome aus. Der aus einer Bauernfamilie stammende Ministerpräsident versuchte die politischen Strukturen von Österreich grundsätzlich umzustrukturieren, womit er die Sympathie und den Hass der verschiedenen Richtungen auslöste. Der anfangs in der Rechtsmitte stehende, als „homo novus” angesehene Dollfuß versuchte aus der Ersten Österreichischen Republik eine autoritäre Ordnung zu „zaubern”, mit einer Unerbittlichkeit und Entschlossenheit, die seine engere und weitere Umgebung gleichermaßen bestürzte.
Österreich in der Krise
Die große Weltwirtschaftskrise induzierte in den verschiedenen Regionen Europas voneinander abweichende Reaktionen. Der Demokratie in Österreich, die sich noch im „Säuglingsalter” befand, fehlten die Erfahrungen eines Nationalstaates, sowie wurde das innere politische Leben auch über die Wirtschaftskrise hinaus beinahe von der Geburt des Staates an von dem Gegenüberstehen und den Zusammenschlägen der sich an Parteien knüpfenden halbmilitärischen Organisationen beschattet. Die Fachliteratur von heute bezeichnet die Geschichte der 20er Jahre mit Vorliebe als eine Kette von Straßenkämpfen. Den Leitern der sozialdemokratischen und christlich-sozialistischen Partei fehlten oft das politische Realitätsgefühl und der klare Blick. Die beiden Parteien konnten manchmal der Verführung der Macht nicht widerstehen (Schutzbund, Heimwehr) und riefen die halbmilitärischen Organisationen zur „Dämpfung” der Spannungen zu Hilfe. Scheidle, der ehemalige Leiter der Heimwehr formulierte diese Problematik treffend: „Wir haben eine sehr schwierige Aufgabe zu lösen: wir müssen unsere Männer fortlaufend warm halten, sie aber gleichzeitig auch abkühlen...”2 Die andauernde Spannung und die Gefahr einer Eskalation wurden Teile des österreichischen Alltags. Die Erste Republik geriet ab Ende der 20er Jahre in den Wirbel der berufsständischen und autoritären Tendenzen. Die Motive und die Notwendigkeit dieser autoritär-etatistischen Welle formulierte Dollfuß selbst in seiner Programmrede auf dem Wiener Trabenplatz mit der notwendigen Klarheit (Wien, September 1933): „Das Parlament schaltete sich selbst aus, infolge seiner eigenen Demagogie und seines Formalismus wurde es gewichtlos. So ein Parlament, so eine Volksvertretung, so eine Führung unseres Volkes dürfen nicht wiederkehren... die Zeit des Wiederaufbaus wird beginnen! Ich wiederhole: die Zeit des liberalistisch-kapitalistischen Denkens, das liberalistisch-kapitalistische Gesellschafts- und Wirtschaftssystem sind vorbei. Die Zeit der Herrschaft der Parteien ist abgelaufen, wir weisen die Herrschaft des Terrors und der Gleichförmigkeit zurück. Wir wollen ein soziales, christliches, deutsches Österreich mit einer starken, unabhängigen Führung...”3 Dollfuß sprach nicht nur über die neue Machtausübung und Einrichtung, sondern formulierte zugleich das Programm der Daseinsberechtigung eines unabhängigen Österreichs.
Lehrjahre und Eindrücke
In fast allen Momenten der Entscheidungen des Kanzlers sind seine Abstammung, seine Lehrjahre und die graduelle Umwandlung seiner Denkweise zu ertappen. Engelbert Dollfuß wurde am 4. Oktober 1892 in Groß-Maierhof, im nördlichen Österreich geboren. Die Bauernfamilie lebte unter bescheidenen materiellen Verhältnissen, trotzdem konnte der Sohn mit einem Stipendium im Oberhollabrunner Internat seine Studien beginnen. Er hatte besonders für die Philosophie, Soziologie, die Künste und die Politologie Interesse. Im Jahre 1913 studierte er nach dem Abitur in Wien Jura, obwohl er sich auch vom Pfarrerberuf angezogen fühlte. Er begrüßte begeistert den Ausbruch des Krieges und unterbrach natürlich auch seine Studien. Trotz seiner Anstrengungen kam er „erst 1915 an die Front. Bei der ersten Musterung wies ihn der Militärarzt wegen seines kleinen Wuchses zurück: „Mein lieber Sohn, Sie haben noch Zeit genug zu wachsen, der Krieg dauert noch eine Weile.”4 Dollfuß erschien bald wieder bei der Musterung und obwohl er auf denselben Arzt traf, wurde er wegen seinem Eifer und seiner Willenskraft als tauglich qualifiziert. Er erwies sich als begabter Soldat und wurde mehrmals ausgezeichnet. Er rüstete enttäuscht als Oberleutnant ab. Den Zerfall der Monarchie erlebte er als ein tragisches Ereignis.
Am Ende des Krieges sagte er einem seiner Freunde: „... ich bleibe sicherlich nicht bei der Armee. Österreich braucht auch Zivilisten. Mein Plan ist, dass ich meine Studien beende, dann hätte ich auch große Lust politische Kariere zu machen. Die Politik darf nicht auf Irrwege geraten, die von der Front heimkehrenden Männer müssen darauf achten.”5 Die Berufung und Besessenheit von Dollfuß, die für seine Jugend charakteristisch waren, können nicht bezweifelt werden. Er setzte seine Jura- und Wirtschaftsstudien in Berlin fort. Dort lernte er Alwine Glinke kennen, die er am Silvester 1921 heiratete. Sie hatten drei Kinder.
Karl Sonnenschein machte einen großen Einfluss auf Dollfuß, der im letzten Jahr seiner Studien war. Sonnenschein vervolkstümlichte in einer Menge von Vorträgen und Artikeln die sozialen Lehren sowie die Vorstellungen bezüglich des berufsständischen Staates vom Papst XIII. Leo. Dollfuß wurde neben Sonnenschein von den Seminaren von Werner Sombart6 mitgerissen7. Er fand in der Deutschen Gemeinschaft, die sowohl in Wien als auch in Berlin eine bedeutende Ausstrahlung hatte, auf Seelenverwandten, er fühlte sich der für die erwähnte Organisation charakteristischen „großdeutschen” Denkweise angebunden. Diese Organisation erinnerte in den Äußerlichkeiten und in der Eigenart an die Geschlossenheit der Freimaurerlogen. Unter den Mitgliedern waren die geistige Freischaffenden und die Studenten in Mehrheit. Das Programm der geheimen Gesellschaft8 drehte sich um die Verbreitung ”der deutschen Berufung”, den Kampf gegen die rote Gefahr und den Bolschewismus sowie um den Anspruch auf relevante staatliche Ämter und Positionen. Othmar Spann, der an den Treffen auch teilgenommen hatte, formulierte schon zu dieser Zeit seine Gedanken über den berufsständischen Staat9 in Form eines Buches. Diese Gedanken standen später im Mittelpunkt des politischen Glaubens von Dollfuß, während er mit der Idee des Pangermanismus brach, die auch von Spann vertreten wurde.
Der Weg zur Macht
1923 wurde Dollfuß, nachdem er seine Studien an der Universität beendet hatte, Sekretär der Bauernkammer von Niederösterreich. Unter den Aufgaben der Kammer waren die Verbesserung der Lebensumstände des Bauerntums sowie die Vertretung ihrer Interessen. Dollfuß wurde 1927 Direktor der Österreichischen Agrarkammer mit Sitz in Wien. Er wurde 1930 zum Experten des Agrarausschusses des Völkerbundes ernannt. Zu dieser Zeit zählte er bereits als erfolgreicher politischer und wirtschaftlicher Fachmann für Krisensituationen. Nach seinem personellen Geständnis stand er der Österreichischen Christlich-Sozialen Partei am nahesten. Im Jahre 1930 gelangte er an die Spitze der Österreichischen Staatsbahnen, wo zu seinen wichtigsten Aufgaben die „Reinigung” der Bahnen vom sozialdemokratischen Einfluss sowie der Austausch der Führungsbeamten mit regierungstreuen Kadern zählten. Seine Position als Vorsitzender hat er bis zum März 1931., als er der Regierung beigetreten ist, beibehalten (er wurde Agrarminister). Als Agrarexperte lernte Dollfuß nach eigenem Geständnis das „alte”, ländliche Gesicht von Österreich, die Gesellschaft und die kleinen Gemeinschaften kennen, aus denen ein „neues” Land geschaffen werden kann. Er verachtete die Institutionen des Parlamentarismus, da nach seiner Überzeugung „dies” weder in Österreich noch in West-Europa funktionsfähig war. Aus den vorigen folgte, dass in seiner Auffassung „Österreich das Pfand und die Hoffnung des christlichen Wiederaufbaus in der westlichen Welt darstellt”10, so konnten das Fortbestehen der österreichischen Nation sowie der Ausbau des „neuen” Systems nur und ausschließlich durch die revolutionäre Umorganisierung der Machtstrukturen gesichert werden.
Die neue politische Generation
Die als Seipel-„Junge” genannte Garnitur der Politiker, an ihrer Spitze mit Engelbert Dollfuß glaubte an die Kraft der Revolution, „bevorzugte” die organische Entwicklung und stellten sich die Zukunft Österreichs in den Rahmen des selbständigen staatlichen Daseins vor. Sie betrachteten die Sozialdemokratie mit unendlichen Hassgefühlen und den italienischen Faschismus von Mussolini als Vorbild und sprachen über „die Dämmerung des Abendlandes”. Die Dämmerung symbolisierte in diesem Zusammenhang grundsätzlich den Niedergang der europäischen Kultur und setzte ein von sich überzeugtes politisches Selbstbewusstsein sowie eine österreichische Berufung voraus. Die österreichische Berufung wurde als der am meisten authentische politische und historische Gedanke apostrophiert, der ihnen direkt von Gott aufgetragen wurde, dies verlieh also all ihren Taten einen sakralen Charakter. Sie glaubten daran, dass der „Sonnenschein” bei Tagesanbruch „die österreichische Nation” symbolisiert und sie wollten schließlich den Ausbau einer besonderen neuen politischen Struktur im Zeichen der österreichischen Berufung verwirklichen.
Robert Hecht11, der Jurist-Politiker mit jüdischer Herkunft, direkter Mitarbeiter und Berater von Dollfuß, beeinflusste grundsätzlich die Entscheidungen von Dollfuß. Als einer der Verfasser der ständisch-autoritären Verfassung vom Jahre 1934 unterschied Hecht mit Absicht zwischen Österreich, Italien und Deutschland in Hinsicht der Herausbildung der Systeme. Er sagte über die Veränderungen in Österreich folgendes: „...Was immer die autoritäre Regierung veranlasst, kann sie die Tatsache nicht übergehen, dass sie sich aus einer parlamentarischen Regierung stufenweise entwickelt hat. Sie kann keinen politisch-revolutionären Charakter gewinnen, wie in Deutschland das nationalsozialistische oder in Italien das faschistische System, die schon von ihrem Anfang an solchen Charakter haben...”12 Hecht suggerierte, als wäre die autoritäre Regierung, die als Ergebnis der von Dollfuß finalisierten politischen Wende verwirklicht wurde, gezwungen gewesen, ihre angeblichen demokratischen Wurzeln zu berücksichtigen. Er ließ offensichtlich den gewaltsamen Abbau der demokratischen Institutionen der Ersten Republik außer Acht, der die frühere Machtausübung grundsätzlich verändert hatte. Nach unserer Meinung muss man die Eigenart der österreichischen Wende in der Zusammensetzung der Exekutoren suchen, da im Falle Österreichs eigentlich die traditionell als demokratische Gruppierung geltende christlich-soziale Partei mit der Führung von Dollfuß die Wende geleitet hatte. Hecht schrieb im Weiteren über sein „eigenes Kind”, die Vaterländische Front folgendes: „Infolge seiner ganzen Entwicklung und Zusammensetzung wird er seinen österreichischen Vereinscharakter mit einem Kaffeehauskolorit nie verlieren. Es ist völlig ausgeschlossen, dass die christlich-soziale Partei, die Patrioten und die einzelnen Teile der nationalen Front sich darin auflösen würden und aus ihnen eine einzige, einheitlich österreichische, große Volksbewegung herausbildete...”13 Obwohl Hecht als der Begründer der Vaterländischen Front galt (1933), war er selbst skeptisch bezüglich der Wirksamkeit der Organisation, da so eine Massenbewegung, die die einzelnen Parteien ersetzte, in Österreich über keinerlei Tradition verfügte und fremd blieb.
Dollfuß und Schuschnigg
Der Kanzler vertrat natürlicherweise die Lebensfähigkeit des auf lokalen Traditionalismus gebauten Österreichs und dadurch die des österreichischen Patriotismus. Am Anfang ohne Überzeugung, später mit immer größerer Entschlossenheit. Seinen sich aus seinem Körperbau ergebenden Minderwertigkeitskomplex kompensierte er mit Hartnäckigkeit, Ausdauer, Lautheit und eisernem Wille. Er konnte ausgezeichnet mit dem Apparat umgehen und kannte alle Finessen der amtlichen Kommunikation. Mit seinen Mitarbeitern pflegte er eine direkte und vertraute Beziehung zu halten. Viele bekleideten ihn mit Symbolen wie „Freund des Volkes” und „unser Junge”.
Dollfuß wuchs stufenweise in die Rolle des Führers eines autoritären Systems hinein. Laut Schuschnigg wollte Dollfuß Revolution machen ohne selbst ein Revolutionär zu sein, er verfügte über kein konkretes Programm, seine Entscheidungen waren oft instinktiv und er wurde eigentlich nur dann zu einem wahren österreichischen Patriot, „zum Verteidiger des zum Land gewordenen Paradoxon”14, als das nationalsozialistische Deutschland schon das Dasein von Österreich bedrohte.15 Dollfuß akzeptierte die Schicksalsgemeinschaft von Österreich und Deutschland, hielt aber die Vereinigung der zwei Länder für unmöglich, da laut seinem Standpunkt Österreich im Laufe der Geschichte von Schritt zu Schritt vollmündig wurde und auf die selbständige Staatlichkeit Anspruch machte. Der Kanzler fasste die vorigen Gedanken in einer seiner Reden zusammen: „Hätte mein Bruder einen großen Besitz und ich nur einen kleinen Hof, wäre für mich doch wünschenswert in meinem kleinen Besitz unabhängig zu bleiben, als Diener zu meinem Bruder zu gehen.”16
Zwischen dem Faschismus und dem Nationalsozialismus
Anstatt die Geschichte der Periode vom Mai 1932 und Juli 1934 durchzublicken scheint es angebracht, die Umstände des Systemwechsels, d.h. ”den Staatsstreich in kleinen Schritten”17, wie dies von den Teilnehmenden und von Dollfuß selber genannt wurde, unter die Lupe zu nehmen. Die Wahl der regierenden politischen Elite (die Führung der Österreichischen Christlich-Sozialen Partei) fiel absichtlich auf Dollfuß, der geeignet zu sein schien, um die vermeintliche Links- und die reale Nazigefahr abzuwehren, die Wirtschaft zu stärken und die Exekutive Macht zu bekräftigen. In seiner Einsetzungsrede (am 20. Mai 1932) formulierte er seine Gedanken über die Zukunft Österreichs folgendermaßen: „Ich bin davon überzeugt, dass wir ein lebensfähiges Land sind, und in dieser tiefen Überzeugung übernehme ich die Führung der Staatsangelegenheiten. Der Weg, der ins Freie führt ist hart und uneben. Wir sind tief überzeugt von der Zukunft unseres Volkes”18
In den 27 Monaten seiner Kanzlerzeit finden wir ein Konglomerat der instinktiven und bewussten Entscheidungen. Er war trotz seiner Gefühle bereit, mit der anderen bedeutenden politischen Kraft Österreichs, mit den Sozialdemokraten zu verhandeln19, er hatte keine Sympathie für den Nationalsozialismus, neigte jedoch zur Annäherung, er lehnte grundsätzlich die Anwendung der Gewalt in der politischen Öffentlichkeit ab, akzeptierte aber sie im Notfall (12. Februar 1934).20 Er hatte eine enge Verbindung zu Ignaz Seipel.21
Seine persönliche Zuneigung zu den autoritären Methoden sorgte dafür, dass er sich zu dem Italien-Flügel der politischen Einfluss fordernden Heimwehr näherte, der die Selbständigkeit Österreichs akzeptiert hätte. In Übereinstimmung mit Seipel sah er in der Heimwehr eine nötige Organisation, die „die Demokratie von der Herrschung der Parteien befreien wollte”.22 Diese Absichten zielten eindeutig darauf hin, die Heimwehr salonfähig zu machen und sicherten damit, dass die Programme, die eine enge Verwandtschaft mit dem Gedankensystem des italienischen Faschismus aufwiesen, einen Platz in den Vorstellungen von Dollfuß bekamen. All dies wurde durch die persönlichen Treffen von Dollfuß und Mussolini weiter gestärkt. Die sich selbst heimatrettend nennenden rechtsradikalen paramilitärischen Organisationen, aber besonders die Heimwehr bedeuteten für die Reformer in der Periode der Herausbildung des autoritären, berufsständische und diktatorische Züge aufweisenden Systems in Österreich eine notwendige innenpolitische und militärische Unterstützung. Ihre weitere Tätigkeit als autonomer Schutzverein und ihre politische Arbeit (dies wurde in erster Linie in der Machtteilung zwischen Dollfuß-Schussnigg sowie Starhemberg deutlich) wurde jedoch nach der Stabilisierung des den südeuropäischen faschistischen Staaten ähnlichen „Ständestaates” in mehrerer Hinsicht störend und unerwünscht für das System. Da die Heimwehr als Schutzverein innerhalb der Vaterländischen Front seit Anfang 1935 systematisch zurückgedrängt wurde, machten die veränderten außenpolitischen Umstände seit dem Frühling 1936 die endgültige Ausschaltung der „Heimatrettenden” aus den politischen Machtpositionen (sowohl aus der Vaterländischen Front als auch aus der Regierung) nötig. Diese reibungslose Ausschaltung der Heimwehr aus der Macht ist ein Beweis dafür, dass die rechtsradikale „heimatrettende” Bewegung mangels einer tatsächlichen politischen Unabhängigkeit immer abhängig von den Absichten der Machthabenden war (in erster Linie abhängig von der Politik von Dollfuß und Schussnigg), und dass ihre Bedeutung erst dann wuchs, als die Verwendung und Demonstrierung von Gewalt als notwendig erschien, zum Beispiel im März 1933 als das Parlament ausgeschaltet wurde und besonders am 12. Februar 1934.
Die Vertreter des Gedankensystems der „wahrhaften Demokratie” lehnten die Existenzberechtigung des Mehrparteiensystems ab, da sie in diesem eine Möglichkeit sahen, wo die Parteien und die sich um sie gruppierenden Interessengruppen einen ausschließlichen Einfluss geltend machen könnten. Sie betrachteten das Parlament als Spielball der jetzt erwähnten Interessengruppen und zeichneten demgegenüber das nebelhafte Bild des verantwortungsbewussten und verpflichteten Führers auf. Es gab einige Momente, die den stufenweisen Ausbau der autoritären Machtausübung von Dollfuß unterstützten und motivierten.
Für Österreich schien es mitten in der Weltwirtschaftskrise unvermeidlich, neue Darlehen aufzunehmen23. Die westlichen Mächte und besonders Frankreich knüpften die Gewährung dieses Darlehens an strengen Bedingungen, nämlich an die Ablehnung des Anschlusses des Weiteren an die Ablehnung der österreichisch-deutschen Zollunionspläne. Im Laufe der Ratifizierung des Darlehens im Parlament wurde es klar, dass Dollfuß mit der Annahme der Darlehensbedingung mit den Großdeutschen, mit den Sozialdemokraten, mit dem Landbund und nicht zuletzt mit den Nationalsozialisten in Konflikt geraten wird, wobei letztere zwar noch nicht über eine parlamentarische Vertretung verfügten, jedoch in den Ländern24, und in der Beeinflussung der Straße und der öffentlichen Meinung bedeutende Positionen hatten. Die ersten Monate seiner Kanzlerzeit wurden von dem heftigen Kampf mit den oben erwähnten Richtungen bestimmt. Dies verstärkte sein Misstrauen gegen das Parlament und generell gegen die Parteien und sorgte dafür, dass Dollfuß sich in Richtung eines autoritären Aktionsprogramms bewegte, das die Institution des Parlamentarismus aufgehoben und dieses durch eine starke Exekutivmacht ersetzt hätte. Die sozialdemokratische Presse verlieh Dollfuß in dieser Periode den Spottnamen „Millimetternich”, was einerseits auf seinen kleinen Wuchs hinwies, auf der anderen Seite bedeutete aber, dass auch auf der linken Seite die politischen Fähigkeiten anerkannt wurden. Dieses distanzierende Anfangsvertrauen artete jedoch bald zu einer unauflösbaren Feindseligkeit aus.
Ein Ergänzungsparagraph der demokratischen Verfassung von 1920, der noch als Erbe der Monarchie ratifiziert wurde, wäre letztendlich geeignet gewesen, den Schein der Gesetzmäßigkeit zu bewahren. Das „Ermächtigungsgesetz zu der Kriegswirtschaft” von 1917 gewährte der Regierung in besonderen Situationen besondere Rechte, damit diese imstande ist, die wirtschaftliche- bzw. die politische Krise zu lösen und eine Möglichkeit hat, die natürlichen Kontrollen des Parlaments außer Acht zu lassen. Die Sozialdemokraten lehnten nicht eindeutig die Anwendung des Paragraphen ab, akzeptierten aber nicht die Beschränkung der politischen Rechte als Folge des Ermächtigungsgesetzes.
Zusammenfassend können wir feststellen, dass es das spannungsgeladene politische Klima der Ersten Republik, der Streit der beiden großen Parteien, die schwere Wirtschaftskrise, die immer stärker gewordene Gefahr von außen, die innerhalb der Christlich-Sozialen Partei eine Wende fordernde Gruppe sowie die persönliche politische Überzeugung von Engelbert Dollfuß die Ursachen für die Einführung der autoritären Regierung nach dem 4. März 1933 waren. Dies führte des Weiteren zu der Zerstörung der demokratischen Institutionen der Ersten Republik und zum Verbot der nationalsozialistischen (Juli 1933) und später der Sozialdemokratischen Partei (Februar 1934). Die Zerschlagung der Linken machte notwendigerweise die Schaffung der nationalen Einheit unmöglich, die Zurückdrängung der österreichischen Nationalsozialisten in die Illegalität machte das nationalsozialistische Deutschland und dessen österreichischen Anhänger zum unerbittlichen und verhängnisvollen Feind von Dollfuß.
Notes
1
Außer Engelbert Dollfuß befanden sich vermutlich seine zwei Mitarbeiter und der Vizekanzler Emil Frey im Amtsgebäude. Dollfuß, der den bevorstehenden Putschversuch spürte, wollte die folgende Sitzung des Ministerrates anderswo veranstalten. Die Rolle von Emil Frey ist bis zu unseren Tagen umstritten. Einerseits machte er den Eindruck, als würde er sich mit den Teilnehmern des Putsches vertragen und sie unterstützen, andererseits grenzte er sich nach den Ereignissen scharf von den Teilnehmern ab. Obwohl die Personen, die im nationalsozialistischen Putschversuch teilgenommen haben, voneinander abweichende Aussagen machten, scheint es doch festzustehen, dass der Kanzler von zwei Schüssen getroffen wurde. Die Angreifer erlaubten weder die ärztliche Versorgung der Wunden, noch erfüllten sie den letzten Wunsch des sterbenden Dollfuß, dass man einen Priester zu ihm rufen lasse. Siehe dazu noch: Jagschitz, Gerhard: Der Putsch. Die Nationalsozialisten 1934 in Österreich. Graz, 1976.
2
Steidle zitiert von: Kurt Schuschnigg: Im Kamp gegen Hitler. Die Überwindung der Anschlussidee. Wien, 1969. S82.
3
Dollfuß zitiert von: Manfred Jochum: Die Erste Republik in Dokumenten und Bildern. Wien, 1983. S.177
4
Gordon-Brook, Shepherd: Engelbert Dollfuß. Wien, 1961. S.31.
5
Gordon-Brook, Shepherd: Engelbert Dollfuß. Wien, 1961. S. 42.
6
Sombart, Werner: Österreichs Schicksalsweg. Wien, 1934.
7
Auf diesen Seminaren knüpfte er eine enge Freundschaft mit dem späteren deutschen Kanzler und Politiker der Zentralen Partei, Brüning.
8
Rosar, Wolfgang: Deutsche Gemeinschaft. Wien, 1971. S.10–25.
9
Spann, Othmar: Der wahre Staat. Wien, 1821. bzw. er stellte auch ein Kollegheft für die
Universität zusammen, das in der Zeit sehr populär war: Gesellschaftslehre. Leipzig, 1923.
10
Dollfuß zitiert von: Helmut Andics: Der Staat, den keiner wollte. Wien, 1981.S.173.
11
Siehe darüber: Huemer, Peter: Sektionschef Dr. Robert Hecht und die Entstehung der ständisch-autoritären Verfassung in Österreich. Dissertation. Wien, 1968.
12
Robert Hecht wird von Manfred Jochum in seiner eigenen Arbeit zitiert: Die Erste Republik in Dokumenten und Bildern. Wien, 1983.S.75.
13
Ebd. S.179.
14
Diese Formulierung aus der Epoche drückt treffend die Dilemmas von Österreich und die dort lebenden Bürger aus. Zitiert von: Weigel, Hans in seinem Buch mit dem Titel O du mein Österreich, Stuttgart, 1956.S.205.
15
Meyels, O Lucian: Der Austrofaschismus. Wien, 1992.S.41–45.
16
Dollfuß an Österreich. Eines Mannes Wort und Ziel. Hrsg. von Edmund Weber. Wien, 1935. S.71.
17
Zitiert von: Dachs, Herbert: Parteien und Parteisystem in Österreich, in: red: Wehling, Georg-Hans: Österreich. Köln, 1988. S. 110.
18
Zitiert: Reichspost. 39. Jg. 04.09.1932. S. 1.
19
Görlich, E. Joseph-Romanik, Felix: Geschichte Österreichs. Wien, 1995. 532–533.
20
Messner, Johannes: Engelbert Dollfuß. Wien, 1935.
21
Siehe dazu: Bauer, Rolf: Österreich. Ein Jahrtausend Geschichte im Herzen Europas. München, 1994. S. 400–408.
22
Zitat aus der Rede von Ignaz Seipel am 15. Juli 1929 in Tübingen, am Jahrestag der zwei Jahre vorher, am 15. Juli 1927 in Wien stattgefundenen Kundgebungen. Zitiert von Felix Kreisler in: Von der Revolution zur Annexion. Wien, 1970. S. 160.
23
Über die Vorgeschichte und Folgen des Darlehens am 15. Juli 1932 in Lausanne siehe ausführlicher bei Siegfried Mattl: Die Finanzdiktatur. Wirtschaftspolitik in Österreich 1933–1938. In: Emerich Talos. (Hrsg.): Austrofaschismus. Wien, 1988. S. 133–161.
24
Die Landwahlen im April 1932 zeigten einen wesentlichen Vorstoß der österreichischen Nazis und zwar entscheidend zum Nachteil der Christlich-Sozialen und der Großdeutschen Partei. Die Ergebnisse beschleunigten und verursachten zum Teil die Ernennung Dollfuß’ zum Kanzler.