Historische Versöhnung
Historische Versöhnung mit den Nachbarländern
Das Programm der historischen Versöhnung ist mit mehreren der vom Europa Institut Budapest seit seiner Gründung behandelten Themen verbunden, somit mit der Erforschung der Geschichte Ostmitteleuropas, der Frage der kleinen Nationen Europas und der Minderheiten. Dieses Programm beruht auf den Erfahrungen und Ergebnissen, die im Laufe der vergangenen nunmehr Jahrzehnte gesammelt wurden, und verbindet diese mit den aktuellen Zielsetzungen und Interessen der Region.
Eines der größten Probleme für die Länder der ehemaligen sowjetischen Besatzungszone bestand 1990 darin Alternativen für die Zukunft auszuarbeiten. Verständlicherweise rückte die Kritik an der Vergangenheit in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit und überschattete noch lange (vielleicht sogar bis heute) die sich neu öffnenden Perspektiven und Möglichkeiten zur Gestaltung bzw. zur gemeinsamen Mitgestaltung einer erfolgreichen Zukunft Ostmitteleuropas. Es war klar: Die Intellektuellen der Region mussten sich einer enormen Aufgabe stellen, und zwar der Vorbereitung der Voraussetzungen für die (Neu)Schaffung der politisch-kulturellen Anknüpfungspunkte Ostmitteleuropas an Europa. Und es ist ihre Aufgabe, die gemeinsamen Anknüpfungspunkte bzw. die gemeinsamen Interessen mit den Nachbarstaaten zu erkennen und diese angemessen zu nutzen.
Auf die Initiative des Direktors, Prof. Ferenc Glatz, wurde das Europa Institut Budapest bereits kurz nach seiner Gründung Gastgeber von Foren, zu denen ostmitteleuropäische Intellektuelle (führende Schriftsteller, Historiker, Politologen, usw.) regelmäßig eingeladen wurden – und ist dies bis heute noch. Die zu den kontroversen Geschichtsthemen organisierten Konferenzen und Werkstattgespräche wünschten den Dialog anzuregen. Es wurden ebenfalls slowakisch-ungarische und rumänisch-ungarische Historikertreffen einberufen. Trotz der Mal stärker, Mal schwächer präsenten politischen und diplomatischen Spannungen, schaffte der Direktor und das Institut diese Foren in fruchtbare wissenschaftliche Diskussionen umzuwandeln und mit den Teilnehmern gemeinsam neue Forschungsperspektiven und fachwissenschaftliche Gesichtspunkte anzuwenden sowie gemeinsame Aktionen zu starten.
2007 wurde erneut der „Historiker-Dialog” aufgegriffen, um die gemeinsamen Angelegenheiten der Region durchzusprechen. Den Anlass hierfür bot zu einem, dass nahezu jedes Land im Karpatenbecken – außer Serbien und Kroatien – zu Mitgliedern der Europäischen Union wurden. Zum Anderen, dass anstelle einer durch die gemeinsamen Interessen und die gemeinsamen Normativen verstärkten Bereitschaft zur Aussöhnung – wobei sich grundlegend die zwischenstaatlichen Beziehungen nicht verschlechterten –, die von alt her bekannten Spannungen entfachten. Die Restitution und sogar die Entschuldigung für die Entrechtung der mit kollektiver Verantwortung bezichtigten Völker (Deutsche, Ungarn) in den Nachkriegsjahren blieben aus. Hierauf folgend: Die Regelung der materiellen und ethischen Verluste, die durch die Aussiedlungen verursacht wurden, blieb ebenfalls aus. Dann kamen die dem Friedensvertragssystem von Versailles (1919-1920), die in der Region die Errichtung der Nationalstaaten deklarierten, unterschwellig präsenten Gegensätze, das Debattieren der Beschlüsse zu den Grenzziehungen, die Beurteilung der Zeit der territorialen Revision (1938-1942). (Diese Dialoge sollten anstelle der alten Debatten treten, die über das „historische Anrecht” geführt wurden, darüber, wer zuerst hier war; wer mehr Rechte hat bzw. über welche Berechtigungen verfügt wird, wer einen Beweis dafür erbringen kann, dass die Ahnen seiner Nation sich zuerst im Karpatenbecken angesiedelt hatten.)
2007 begannen wir mit der Diskussion der Aussiedlungen der Slowaken und Ungarn, dann behandelten wir die Epoche der Herausbildung der Nationalstaaten, die Erläuterung der Periode der Jahre 1918-1920. Als erstes fand die Diskussion der Auflösung der Habsburger Monarchie im Rahmen einer internationalen Konferenz statt; dann die Herbstereignisse des Jahres 1918 – der Niedergang des Königreichs, die Einführung der Staatsform der Republik bzw. die Sezession von Felvidék (Oberungarn) und Siebenbürgen (Turčiansky Svätý Martin, Karlsburg im Dezember 1918). Zujeden dieser Veranstaltungen wurden Historiker aus Österreich, Rumänien, der Slowakei und Ungarn eingeladen, um Vorträge zu halten.
2009-2010 organisierten wir zu der gemeinsamen Geschichte der Region vier Konferenzen: Rumänisch-ungarische bilaterale Konferenz über die Stellung Ungarns und Rumäniens im Zweiten Weltkrieg, über die Frühjahrsrevolution von 1919 und die politisch-militärischen Bewegungen der Ära der Friedenskonferenzen sowie über die Hintergründe der europäischen Systemwandel im Jahr 1989. Und jetzt an die Sitzung des Wissenschaftlichen Beirates anlehnend organisieren wir die Abschlussveranstaltung der Konferenzreihe über das Friedenssystem von Versailles.
Besondere Bedeutung wurde dem beigemessen, dass die debattierten Fragen des serbisch-ungarischen Zusammenlebens auf die Agenda gesetzt werden sollen. (30. November 2009) Es ist wohl bekannt, dass während in den Geschichtsschreibungen der im Karpatenbecken lebenden Völker die historischen Konflikte mal stärker, mal schwächer an die Öffentlichkeit gelangten, die Geschichte der massenhaften Ermordungen sowohl von Seite der Serben als auch der Ungarn verschwiegen wurden.