Begegnungen12_Fonagy
Begegnungen
Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Band 12:359–367.
ZOLTÁN FÓNAGY
Adelige Besitzverhältnisse in Ungarn zur Zeit Maria Theresias
Der Anteil des Adels im Vergleich zur Gesamtbevölkerung war im Ungarn zur Zeit des späten Feudalismus selbst im europäischen Vergleich ein sehr hoher und er wurde allein von jenem des spanischen und polnischen Adels übertroffen. Anlässlich der Volkszählung im Jahre 1787 registrierte man etwa 200.000 adelige Männer und Jungen, was 4,6 % der männlichen Bevölkerung entsprach.1 Neben seinem hohen Anteil hat das Monopol der politischen Macht, die determinierende Rolle in Bezug auf Wirtschaft sowie die im weitesten Sinne verstandene Kultur noch markanter die Bedeutung des Adels hervorgehoben.
Neben der Fiktion der Rechtsgleichheit war diese Masse von 400.000 Personen jedoch vielfach gegliedert. Darüber war sich die Geschichtswissenschaft auch bisher schon im Klaren. Als jedoch die Präsentation der Gliederung des Adels auf zahlenmäßigen Angaben beruhend hätte vorgestellt werden müssen, stützten sich selbst die jüngste Zusammenfassung auf Schätzungen und herausgegriffene Beispiele. Im historischen Bewusstsein hingegen haben höchstens farbig-geschichtliche Freskofragmente die abwechslungsreichen Lebensverhältnisse des Adelsstandes illustriert. Bekannt ist uns der in seinem Wiener Palast residierende, nach Kavaliersart verschwenderische, sich in Hofkreisen mit dem Pomp des Ostens hervortuende, des Ungarischen gar nicht mächtige Magnat; der sich in dichten Pfeifenrauch hüllende wohlhabende Tafelrichter in seiner Landhaus auf dem Lande, dieses Symbol der Unveränderlichkeit; der zur Insurrektion2 mit ungesattelten Pferden losziehende Krautjunker, der anlässlich der Wahlen seine Stimme – dieses Symbol der Adelsrechte – für ein paar Forint, einige Gläschen Schnaps verkaufte.
Obwohl unsere sozialhistorischen Kenntnisse bezüglich des Adels im letzten Jahrzehnt wesentlich bereichert wurden, da ja regionale Forschungen die gesellschaftliche Gliederung des Adels mehrerer Komitate aufdeckten, mangelt es noch immer an einer das ganze Land erfassenden Darstellung.
Lückenhaft sind auch unsere Kenntnisse hinsichtlich der Verteilung des Grundbesitzes, obwohl der Besitz an Grund und Boden im Ungarn von ständischem und Agrarcharakter sogar eine zweifache zentrale Bedeutung hatte. Für den Großteil der Bevölkerung stellte der Boden (auch Mitte des 19. Jahrhunderts noch für 80-90 Prozent) den Lebensunterhalt und für die Besitzer die Hauptquelle des gesellschaftlichen Prestiges dar. Sowohl das zeitgenössische Allgemeindenken als auch die Historiographie waren sich über die wirtschaftliche, gesellschaftliche bzw. politische Bedeutung der Verteilung des Grundbesitzes im Klaren. Hinsichtlich der Epoche des späten Feudalismus aber verfügen wir weder über derzeitige Statistiken noch historische Statistikrekonstruktionen betreffs Grundbesitz. Mit unserer, der vorliegenden Studie als Grundlage dienenden Dissertation versuchten wir, diesen Mangel teilweise zu beseitigen, und zwar im Rahmen der von den Quellen gebotenen Möglichkeiten bezüglich des Grundbesitzes urbarialen Charakters.3
Als geeignetste Grundlage der historischen statistischen Rekonstruktion erwiesen sich die im Laufe der von Maria Theresia angeordneten Urbarialregelung aufgestellten Tabellen. Dieses Quellenmaterial wurde nach einheitlichen Gesichtspunkten, landesweit gültigen Prinzipien verfertigt. Zwischen 1767 und 1774 hat man in 44 Komitaten Ungarns die Vermessung des urbarialen Territoriums vorgenommen. (Unberücksichtigt blieben die drei slawonischen Komitate, in denen die Regelung bereits 1755 erfolgte, bzw. Kroatien und die drei Komitate des Banats Temesch, wo sie erst 1780 vorgenommen wurde.) Der verhältnismäßig kurze Zeitraum der Ausführung gestattet es, das Ergebnis der Konskription als eine Momentaufnahme des engeren Landesgebietes anzusehen.4 Für eine Untersuchung ist dieser Zeitpunkt umso mehr geeignet, da die umfassende Änderungen – im Zusammenhang mit der Vertreibung der Türken und der Niederschlagung der habsburgfeindlichen Aufstände – bezüglich der Besitztümer Ende der 1760er Jahre schon ihren Ruhepunkt erreichte und sich im Grunde die bis 1848 gültige Besitzstruktur konsolidiert hatte.
Die Makrostruktur der Besitzverhältnisse
Unter den Schriften des Archivs des Stadthalterrates Dep. Urbariale im Landesarchiv sind urbariale Tabellen im Zusammenhang mit etwa 7600 Ortschaften in 44 Komitaten vorzufinden. Aus anderen Quellen5 geht hervor, dass sich die Anzahl bewohnter Siedlungen in diesem Gebiet auf ungefähr 9000 belief. In der Mehrzahl der fehlenden Gemeinden erfolgte keine urbariale Registrierung. Es mochte sich hierbei um die bevölkerte Pussta allodialen Charakters, kuriale Dörfer oder privilegisierte Marktflecken handeln. Der Anteil an verschwundenen Tabellen ist äußerst gering (höchstens 2–3 % je Komitat). Allein die Registrierungen der Komitate Máramaros und Sáros sind dermaßen mangelhaft, dass sie sich zu einer historischen statistischen Untersuchung nicht eignen. Einer nahezu aus der gleichen Zeit stammenden Registrierung zufolge hat man auf diesem Territorium 6,1 Millionen ungarischen Joch Urbarialbesitzes verzeichnet.6 Die vorhandenen Tabellen beinhalten etwa 82 % dieser, d.h. nahezu 5 Millionen Joch. Laut Aufstellung sind 88 % der 515.000 urbarialen Haushalte, also 456.000 erfasst worden.
Es ist hervorzuheben, dass die Untersuchung nur auf die Adligen mit Urbarialbesitz eingeht. Die unter Joseph II. vorgenommene Volkszählung erfasste auf dem untersuchten Gebiet 145 Tausend adelige Männer, d.h. wir können die Anzahl der Adligen auf 290.000 schätzen, was wiederum etwa 57 Tausend Familien entspricht. Diese Zahl mit den in den Registrierungen aufgeführten 5600 Besitzern vergleichend, können wir feststellen, dass ungefähr jeder zehnte Adelige über Urbarialbesitz verfügte. Unsere Untersuchung geht also ausschließlich auf Gliederung und Besitzverhältnisse dieses Zehntels ein. Selbst in diesem Falle aber können wir aufgrund des Quellenmaterials, das nicht allodiale Gebiete beinhaltet, keine dermaßen genaue Rekonstruktion wie mittels der Grundbücher der bürgerlichen Epoche erreichen. Anhand anderer Zahlenreihen jedoch haben wir uns davon überzeugt, dass die Aufteilung des Urbarialbesitzes ziemlich genau der Gliederung des gesamten Besitztums entspricht.
Die nahezu 5 Millionen Joch Urbarialboden waren auf 5.835 Besitzer verteilt. Hinsichtlich des in einem Ort im Besitz eines Eigentümers befindlichen Urbarialbesitzes waren die 7.600 Gemeinden in 21.000 Güter aufgeteilt. Ein Ort hatte also durchschnittlich 2,8 Besitzer, wobei das Besitztum eines durchschnittlichen Grundherren auf 3,6 Ortschaften verstreut war. Ein „Durchschnittsbesitzer” verfügte über 24 Bauerngüter, zu welchen 852 Joch Urbarialland gehörte, auf dem 78 Untertanfamilien lebten. Der statistische Durchschnitt jedoch kann tatsächlich nicht gerade als typisch bezeichnet werden, denn nur ein Fünftel bis Sechstel der Besitzer gehörte zu den auf diesen Bereich entfallenden mittleren Grundbesitzern.
Zunächst sind wir im Laufe unserer Untersuchung auf den adligen Privatbesitz und die zu den Rechtspersonen zählenden Besitzer voneinander getrennt eingegangen. 5.579 Grundherren konnten nahezu drei Viertel des Güterstandes, d.h. 3,6 Millionen Joch bzw. 339.000 Untertanfamilien ihr Eigen nennen. Die verbleibenden 1,4 Millionen Joch und 116 Tausend Urbarialfamilien waren unter königliche Schatzkammer, katholische Kirche und königliche Freistädte aufgeteilt.
Rechtspersonen als Besitzer
Hinsichtlich der Urbarialgrundstücke war die königliche Schatzkammer der größte Eigentümer des Landes, denn sie konnte 9 % des gesamten urbarialen Bodens ihr eigen nennen und auf ihrem Besitztum lebten 7 % der Urbarialfamilien. Der Schwerpunkt an Gütern der Schatzkammer entfiel auf die von den Türken zurückeroberten Komitate im Süden des Landes. Praktisch 100 % des in der Registrierung nicht aufgeführten Banates sowie 70–75 % des Urbarialbodens der Komitate Bács-Bodrog, Arad und Csanád befanden sich im Besitz der Schatzkammer. Im einstigen Königreich Ungarn konzentrierten sich die urbarialen Kammerbesitztümer auf Gegenden mit Erz- und Salzbergwerken. In Transdanubien und den westlichen Komitaten Oberungarns hingegen finden wir keine staatlichen Besitztümer vor. Die Aufteilung der urbarialen Besitztümer ist in der Tabelle ersichtlich.
Besitzer |
Besitz |
Bauern |
Joch |
Fronbauern |
Häusler |
Kärtner ohne Haus |
Rechtspersonen |
||||||
Königliche Schatzkammer |
423 |
9 169 |
438 731 |
20 480 |
10 084 |
1 839 |
|
% |
6,54 |
8,82 |
6,98 |
7,65 |
5,93 |
Königliche Freistädte (20) |
77 |
1 260,75 |
45 112 |
3 065 |
1 055 |
477 |
|
% |
0,90 |
0,91 |
1,04 |
0,80 |
1,54 |
Katholische Kirche (253) |
1 366 |
25 389,75 |
889 345 |
47 750 |
25 798 |
5 547 |
|
% |
18,10 |
17,88 |
16,27 |
19,58 |
17,89 |
Insgesamt |
1 866 |
35 819,625 |
1 373 188 |
71 295 |
36 937 |
7 863 |
|
% |
25,54 |
27,61 |
24,29 |
28,04 |
25,36 |
Adeliger Privatbesitz |
||||||
Mehr als 10.000 Joch (62) |
3 073 |
57 962,375 |
2 018 085 |
120 187 |
49 583 |
14 373 |
|
% |
41,33 |
40,58 |
40,94 |
37,64 |
46,36 |
5.000–10.000 Joch (293) |
756 |
9 360 |
325 538 |
19 081 |
8 300 |
2 141 |
|
% |
6,67 |
6,55 |
6,75 |
6,30 |
6,91 |
1.000–5.000 Joch |
3 177 |
17 528,875 |
599 627 |
37 798 |
13 769 |
2 709 |
|
% |
12,50 |
12,05 |
12,88 |
10,45 |
8,74 |
500–1.000 Joch (325) |
2 061 |
6 826,5 |
231 570 |
14 460 |
5 564 |
1 074 |
|
% |
4,87 |
4,66 |
4,93 |
4,22 |
3,46 |
100–500 Joch |
4 598 |
8 745,5 |
296 052 |
19 843 |
8 909 |
1 434 |
|
% |
6,23 |
5,95 |
6,76 |
6,76 |
4,62 |
weniger als 100 Joch (2 464) |
4 138 |
2 599,875 |
88 015 |
7 305 |
4 375 |
694 |
|
% |
1,85 |
1,77 |
2,49 |
3,32 |
2,09 |
nur mit Häusler |
1 166 |
0 |
500 |
0 |
2 496 |
268 |
|
% |
– |
– |
– |
1,89 |
1,03 |
Insgesamt |
18 969 |
103 023 |
3 559 387 |
219 394 |
92 996 |
22 693 |
|
% |
73,45 |
71,57 |
74,74 |
70,59 |
73,19 |
Mit unbekannter Aufteilung |
158 |
1135,125 |
33 809 |
2 203 |
1 559 |
318 |
|
% |
0,810 |
0,68 |
0,75 |
1,18 |
1,03 |
ALLES IN ALLEM |
21 008 |
140 258,375 |
4 973 623 |
293 543 |
131 746 |
31 006 |
|
|
|
|
|
|
|
Einige königliche Freistädte verfügten ebenfalls über Besitz urbarialen Charakters bzw. Untertanen. Insgesamt aber zählte das kaum, denn die 45.000 Joch der 20 Städte machten kaum 1 % des Urbarialbestandes aus. Andere Städte wiederum (Szeged, Kassa, Sopron, Körmöcbánya) verfügten über Güter, die vom Umfang her mit jenen des adligen Großgrundbesitzes zu konkurrieren vermochten.
Die kirchlichen Besitzer bildeten die größte Gruppe der über Besitztümer verfügenden Rechtspersonen (was im Wesentlichen die römisch-katholische Kirche bedeutete). In ihrem Besitz befanden sich gemäß der Registrierung 18 % des Urbarialbodens und auf Kirchengütern lebten 17 % der urbarialen Bevölkerung.
Über den größten Besitz (d.h. über ein Achtel des gesamten kirchlichen Grundbesitzes) verfügte das Erzbistum Esztergom und damit war das Oberhaupt der ungarischen katholischen Kirche nach Schatzkammer, Herzog Esterházy und Graf Antal Károlyi der viertgrößte Grundeigentümer des Landes. Unter den Mönchsorden waren die Jesuiten die Wohlhabendsten: die Besitze ihrer 20 Ordenshäuser wetteiferten mit denen des Erzbistums Esztergom. Als gut versorgt galten auch noch die Orden der Klarissen, der Benediktiner, Prämonstratenser, Zisterzienser und Pauliner.
Der Anteil kirchlicher Besitztümer am Güterstand war in Transdanubien, im Gebiet zwischen Donau und Theiß sowie im Nordwesten Ungarns am höchsten. Im Komitat Esztergom verfügte die Kirche über drei Viertel des Urbarialgebietes und in Győr über mehr als die Hälfte. Etwa ein Drittel machten die Besitztümer der Bischöfe, Hochstifte und Klöster in den Komitaten Baranya, Veszprém, Bars, Hont, Bihar, Borsod, Heves, Pest, Komárom, Nyitra und Csanád aus.
Der Privatbesitz des Adels
Die adligen Grundbesitzer wurden der Größe ihrer Besitztümer gemäß in folgende Kategorien eingeteilt:
Der Großgrundbesitz
Die 110 über mehr als 5.000 Joch urbariales Land verfügenden Besitzer (d.h. 2 % der Eigentümer) konnten insgesamt etwa 2,35 Millionen Joch, mit 47 % nahezu die Hälfte des Gesamtbestandes und innerhalb dessen zwei Drittel des adligen Privatbesitzes ihr eigen nennen. Die Gesamtfläche der in ihrem Besitz befindlichen Ortschaften machte 55.000 Quadratkilometer aus.
Aber auch innerhalb dieser Kategorie noch kann die Konzentration des Grundbesitzes zugunsten der größeren Latifundien nachgewiesen werden. Die 62, über mehr als 10.000 Joch Urbarialbesitz verfügenden Privatgrundherren besaßen mehr als 2 Millionen Joch, d.h. 56 % der Fläche an adligem Grundbesitz. Die in ihrem Besitz befindlichen Dörfer und Marktflecken grenzten nahezu 50.000 Quadratkilometer ein und machten 30 % des Gebietes der erfassten Komitate aus. Als urbariale Untertanen dienten ihnen 274.000 Familien, was 1,5–2 Millionen Untertanen bedeutete.
Die Mehrzahl der Großgrundbesitzer rekrutierte sich aus den Familien von hohem Stand, mit dem die Herrscherfamilie vertretenden Kaiser Franz von Lothringen und Erzherzogin Maria Christina an der Spitze. (Die Habsburgfamilie stieg nach der Vertreibung der Türken – auch mittels Ausnutzung der Machtposition – zur Familie mit dem drittgrößten Grundbesitz auf.)
Die Hierarchie aristokratischer Grundbesitzer in Ungarn wurde vom Fürsten Miklós Esterházy bzw. Herzog Károly Batthyány angeführt. Gefolgt waren sie von 44 Großgrundbesitzern mit dem Titel eines Grafen und von 5 Baronen. Der Anteil an Besitzern fremder Herkunft war gering, denn die Mitglieder der Herrscherfamilie nicht mitgerechnet, gibt es unter den 51 bedeutendsten aristokratischen Grundbesitzern nur 6 Indigenaten an der Zahl (Baron Harruckern, die Grafen Althann, Aspremont, Dietrichstein, Schönborn und Styrum-Limburg).7
Unter den 62 größten Besitzern befinden sich 7 Familien vom niederen Adel (Almásy, Beleznay, Csernovics, Festetich, Majthényi, Rudnyánszky und Sauska-Bésán), die jedoch in den darauffolgenden Jahrzehnten (mit Ausnahme der Familie Sauska und Bésán) alle hochrangige Titel erwarben.8
Derjenige mit den größten Besitztümern im Lande war Fürst Miklós Esterházy, dessen 300.000 Joch Urbarialgut auch unter den Reichsten herausragten – er allein verfügte über 8,4 % des adligen Güterstandes und übertraf damit nahezu um das Dreifache den mit seinen Besitztümern an zweiter Stelle stehenden Grafen Antal Károlyi! 36.000 Urbarialfamilien, mindestens 300.000 Untergebene auf seinen etwa 6500 Quadratkilometer einnehmenden Domänen in 420 Gemeinden und Marktflecken waren von ihm abhängig. Der Stamm seiner Besitztümer befand sich im Komitat Sopron, doch sein Dominialbesitz erstreckte sich auf insgesamt 18 Komitate. Sein riesiges Vermögen zählte sowohl im Reich, ja sogar im europäischen Maßstab zu den angesehensten.
Den Esterházy-Domänen folgten drei, sich im 18. Jahrhundert herausbildende Güterkomplexe, nämlich jene des Grafen Antal Károlyi jenseits der Theiß wie auch im Falle von Baron Ferenc Harruckern, während sich die des Grafen Antal Grassalkovich im zentralen Landesteil befanden. Für sie alle ist charakteristisch, dass Sie ihren Besitz zum Großteil in den von den Türken zurück eroberten Gebieten hatten.
In der Liste der bedeutendsten Angehörigen des Besitzadels aber sind dann die Besitzer mit Gütern in Transdanubien in der Mehrzahl. Die Grafen Batthyány und Esterházy, Zichy, Széchenyi, Festetich, Erdődy, Szapáry, Nádasdy, Niczky, Viczay, Althann und Styrum-Limburg besassen mehr als die Hälfte des Gebietes der Komitate Transdanubiens. Die andere Region, für welche ebenfalls ein Übergewicht an Latifundien charakteristisch war, ist der Nordwesten Ungarns. Der Großteil des Bodens der Komitate Pozsony, Nyitra, Trencsén und Zólyom lag laut Registrierung in den Händen der Familien Pálffy, Erdődy, Illésházy, Esterházy, Apponyi sowie Habsburg.
In der mittleren und östlichen Region Oberungarns gibt es wesentlich weniger Latifundien, doch hatte praktisch jedes Komitat seine eigene Oligarchie aufzuweisen. Die Grafen Csáky in Szepes, Koháry in Gömör und Hont, Schönborn in Bereg, Forgách und Balassa in Nógrád, Aspremont sowie Szirmay, Andrássy, Keglevich, Barkóczy in den Komitaten Zemplén, Sáros, Torna und Abaúj waren die bedeutendsten Vertreter des Besitzadels.
Im Allgemeinbewusstsein gehen die Begriffe Großgrundbesitzer und Aristokrat ineinander über, obwohl sich beide Kategorien in Wirklichkeit nur zum Teil decken. Wie aus Zuvorigem hervorgeht, waren die bedeutendsten Grundbesitzer tatsächlich Aristokraten, doch treffen wir vor allem am Ende der Rangliste der Großgrundbesitzer, d.h. bei 5.000–10.000 Joch, auf Dutzende Familien vom niederen Adel. Andererseits stimmt es auch nicht, dass sämtliche Grafen oder Barone Großgrundbesitzer wären: unter den in unserer Statistik aufgeführten nahezu 300 Besitzer von hohem Stand verfügten etwa drei Fünftel über mindestens 1.000 Joch Urbarialbesitz, während die übrigen höchstens das Niveau gutsituierter Mittelständischer erreichten.
An der Grenze von mittlerem und Großgrundbesitz
Zeitgenössischen Begriffen nach lagen jene 293 Adligen mit Grundbesitz an der Grenze von mittlerem und Großgrundbesitz, die über 1.000 bis 5.000 Joch urbarialen Boden verfügten. (In ihrem Falle sprechen viele Argumente für die Kategorie „Großgrundbesitz”, da einige ihrer Güter in vollem Umfange oft mehr als 10.000 Katasterjoch ausmachten.) In dieser Gruppierung treffen wir gleichermaßen auf Mitglieder der Großgrundbesitz-Aristokratie mit geringerem Vermögen sowie die sogenannte bene possessionatus Elite des Adels (wohlsituierte mittlere Grundbesitzer).
Diese 293 Besitzer verfügten über ein Achtel der Urbarialgüter, d.h. 17 % der Adelsbesitztümer. Vollkommen mangelte es an diesem Typ des Besitztums in den südlichen Komitaten der einstigen türkischen Eroberungsgebiete, und auch in einem bedeutenden Teil Transdanubiens (in den Komitaten Moson, Komárom, Esztergom, Baranya und Zala) haben kirchliche und weltliche Großgrundbesitze den vermögenderen Adel verdrängt. Die größte Bedeutung kam ihnen in einigen Gegenden des Oberlandes zu, vor allem in den östlichen Komitaten (Zemplén, Ung, Túróc, Kishont). Zu ihnen zählen u.a. einige „arme Verwandte” wahrhaftiger Oligarchien (die Grafen Esterházy, Batthyány, Erdődy, Festetich, Balassa, Forgách und Zichy) wie auch zahlreiche Magnatenfamilien mit geringerem Vermögen (die Barone Perényi und Vécsey, die Grafen Berényi, Cziráky, Haller, Serényi, Teleki und Sztáray bzw. die sich mit beiden Titeln schmückenden Familien Pongrácz, Révay und Sennyey).
Zwei Drittel dieser Schicht bildeten die zum niederen Adel gehörenden. Ein Teil jener Adelsfamilien wurde in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts infolge der im reger werdenden öffentlichen Leben gespielten Rolle landesweit bekannt /Baross, Beöthy, Beniczky, Bossányi, Dőry, Felsőbüki Nagy, Görgey, Kállay, Kubinyi, Majthényi, Máriássy, Okolicsányi, Podmaniczky, Ráday, Somssich, Szentiványi, Szentmiklóssy, Szerencsy und Vay/. Wenigen von ihnen gelang es, im Laufe der Zeit in den Hochadel aufzusteigen. Zu den Ausnahmen zählen hinsichtlich obiger Namensliste die späteren Barone Podmaniczky und Vay sowie die gräfliche Familie Ráday.9 Die bene possesionatus Schicht war eher nach unten offen. Mit Familien der Großgrundbesitzer stand man nur in Ausnahmefällen in Verbindung, doch treffen wir auf die Mehrzahl der Mitglieder zahlreicher Geschlechter bei den mittleren Grundbesitzern.
Der mittlere Grundbesitz
Ein Zehntel des gesamten Urbarialbodens, d.h. 15 % der Adelsgüter bildeten die Besitztümer mit 100 bis 1.000 Joch. Gleichzeitig aber machten die jene besitzenden 1.637 Adligen 30 % aller Privatbesitzer aus.
Vier Fünftel von ihnen verfügten über einen Besitz von 100 bis 500 Joch. (Der 300.000 Joch erfassende Urbarialbesitz von 1.312 Personen entsprach exakt dem urbarialen Vermögen eines Fürsten Esterházy!)
An mittlerem Grundbesitz mangelte es in Südungarn (Bács-Bodrog, Békés, Csanád, Csongrád, Arad, Baranya) und einen geringen Anteil machte er in den Komitaten Transdanubiens mit Großgrundbesitz aus. Von größter Bedeutung waren die mittleren Grundbesitzer im mittleren und östlichen Teil des Oberlandes bzw. im Norden jenseits der Theiß. Primär haben sicherlich die demographischen Prozesse im friedlichen 18. Jahrhundert eine Veränderung bei den Besitzverhältnissen des Kleinadels determiniert, was die Aufteilung und Zersplitterung der Güter bedeutete. Zur Zeit der Urbarialregelung war dieser Prozess hinsichtlich der über einen beträchtlichen Besitzadel verfügenden Komitate im mittleren Oberland weiter voran geschritten, als in den Komitaten im Osten.
Die Klein- und Kleinstgrundbesitzer
Die umfangreichste Gruppe über Urbarialbesitz verfügender Adeliger bildeten die Kleingrundbesitzer mit weniger als 100 Joch, zu welchen 2.464 Personen zählten, d.h. 44 % der Adligen mit Grundbesitz. Weitere 1.075 „Grundherren” (19 %) besaßen nicht einmal einen Bauernhof, übten nur die Herrschaft über Häusler aus. Insgesamt gehörten damit nahezu zwei Drittel der in der Registrierung erfassten Adeligen diesen beiden untersten Vermögenskategorien an. Der noch über Bauernhöfe verfügende Kleinadel war in kaum spürbarem Maße an urbarialem Boden beteiligt, man konnte kaum 2 % dessen sein eigen nennen (das waren 2,5 % des Adelsbesitzes).
Der Kleingrundbesitz stellte nirgendwo einen großen Anteil dar, doch können regionale Differenzen nachgewiesen werden. Einen Anteil von mehr als 10 % verzeichnen zwei Komitate: in Ugocsa machte der Fundus 17 %, in Bereg 12 % aus. Dieser „kleinadeligen Region” im Nordosten kann noch Ung und Szatmár zugeordnet werden. Der Landesdurchschnitt wurde in Szabolcs, Abaúj und Torna um das Drei- bis Vierfache übertroffen. Im mittleren Oberland – in Gömör, Kishont und Liptó – war die Konzentration eine noch höhere, ihr Anteil belief sich auf nahezu 10 %.
Noch ärmlichere Lebensverhältnisse als in dieser Kategorie der Kleingrundbesitzer vermuten wir bei jenen 1.075 Adligen, die nur Häusler hatten, und zwar insgesamt 2.500. Auffallend hoch war deren Anteil im Komitat Zala, doch waren sie in großer Anzahl außerdem in den Komitaten Szatmár, Trencsén und Nyitra anzutreffen.
Anmerkungen
1
Az első magyarországi népszámlálás (1784–1787) [Die erste Volkszählung in Ungarn 1784– 1787] Redigiert von Dezső Danyi und Zoltán Dávid, Budapest, 1960. S. 50–51.
2
Zuletzt musste der Adel 1809 gegen Napoleon ins Feld ziehen.
3
Vorliegende Studie fasst die wichtigsten Ergebnisse der 1999 verteidigten Dissertation „Die adligen Besitzverhältnisse zur Zeit der urbarialen Regelung” zusammen.
4
Ein Teil dieses Quellenmaterials (Transdanubien) wurde bereits von Ibolya Felhő und ihren Mitarbeitern aufgearbeitet und publiziert, man hat aber das Unterfangen abgebrochen: Az úrbéres birtokviszonyok Magyarországon Mária Terézia korában. A Dunántúl [Die urbarialen Besitzverhältnisse in Ungarn zur Zeit Maria Theresias] Budapest, 1970.
5
Lexicon locorum regni Hungariae populosorum anno 1773 officiose confectum. Budapest, 1920. bzw. die Daten einer Volkszählung unter Joseph II., s. Fußnote 1.
6
Ungarisches Staatsarchiv, Ungarisches Kanzleiarchiv, Acta Generalia 3688/1786.
7
Béla Pálmány: Die gesellschaftliche Gliederung des ungarischen Adels (1686–1815) Im Anhang der Studie sind für den im Titel angegebenen Zeitraum sämtliche Einbürgerung zusammengetragen aufgeführt
8
Pálmány, im a. Werk, bezüglich Hebung in den Hochadel s. Anhang Nr. 1
9
Pálmány, a. Werk, Anhang Nr. 1
Begegnungen12_Fejto
Begegnungen
Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Band 12:99–115.
FERENC FEJTŐ
Gedanken über die Ungarn und die Juden in Ungarn
Das jetzt präsentierte Buch über die tausendjährige Geschichte der ungarisch-jüdischen Beziehungen habe ich ursprünglich auf Bestellung eines französischen Verlages für das französische Publikum mit der sehr effektiven Hilfe meines Freundes Gyula Zeke geschrieben. Soviel ich weiß, ist das Buch vor einigen Wochen bereits erschienen, auch die Belegexemplare wurden verteilt, so haben es unter Ihnen vermutlich schon mehrere in der Hand gehabt und gelesen. Erwarten Sie von mir jetzt deshalb keine detaillierte, wissenschaftliche Abhandlung über das Thema, und da ich mich ungern wiederhole, möchte ich vielmehr einige Fragen beantworten, die ich mir seit der Herausgabe des Buches vor vier Jahren gestellt habe, oder die mir meine französischen Leser, Zuhörer und Rezensenten gestellt haben.
In der französischen Ausgabe hatte das Buch den Untertitel: ‘Die tausendjährige Geschichte des eigenartigen Verhältnisses von Ungarn und Juden’. Warum ‘eigenartig’? – fragten viele. Weil ich während der fünf Jahre, die ich mit der Untersuchung und Abfassung der Geschichte verbracht habe, zu der Überzeugung gelangte, dass der ungarische Jude in der Geschichte der jüdischen Diaspora ein eigenartiges Phänomen ist – wie die Ungarn und Juden für sich eigenartige kollektive Persönlichkeiten sind. Da ich seit langem vergleichende historische Essays schreibe, suchte und fand ich viele Gemeinsamkeiten zwischen den Deutschen und den Juden in Deutschland, zwischen den Eigenartigkeiten der französischen oder polnischen, tschechischen oder österreichischen Juden. All diese Völker lebten jahrhundertelang im Rahmen der griechisch-römischen, jüdisch-christlichen Zivilisation, wobei die Regeln des gesellschaftlichen und politischen Verhältnisses den Juden gegenüber von den christlichen Kirchen festgestellt wurden. Ab der Mitte des 18. Jahrhunderts begann unter dem Einfluss der Ideen der Aufklärung die Trennung von Staat und Kirche und die Entscheidungen des Staatsinteresses – anfangs der aufklärerischen tyrannischen Regierungen – lösten einen Prozess aus, der zur Rechtsgleichheit der Staatsbürger, zur religiösen Toleranz und in den katholischen Staaten zur Emanzipation der Protestanten und Juden führte. Dieser Vorgang wurde in den Ländern der Österreich-Ungarischen Monarchie, so auch in Ungarn durch die Initiativen von Maria Theresia und Joseph II. ausgelöst und hing mit der antifeudalen und modernisierenden Politik dieser Herrscher zusammen, die von den ungarischen hohen Beamten – zum Beispiel Gergely Berzeviczy1 – sowie dem Großteil der aus dem Kleinadel herauswachsenden Intellektuellen unterstützt wurde.
Aus der Hand des als Gegenwirkung der französischen Revolution reaktionär gewordenen Wiener Hofes übernahm am Anfang des 19. Jahrhunderts die sich die Modernisierung und Verselbständigung Ungarns zum Ziel setzende politische Elite die Angelegenheit der Modernisierung der Staatsverwaltung. So war die Frage der Emanzipation und staatsbürgerlicher Gleichheit der Juden ab 1825 ständig auf der Tagesordnung auf den ungarischen Parlamentssitzungen. Hier muss bemerkt werden, dass die zu dieser Zeit vor allem aus dem Westen in großem Maße einwandernden deutschsprachigen Juden bereits vor ihrer Aufnahme aktiv an der Entwicklung des ungarischen wirtschaftlichen und kulturellen Lebens teilgenommen haben und dabei eine größere Rolle als in den anderen mittel- oder westeuropäischen Ländern gespielt haben.
Die Umstände des Zusammentreffens der Ungarn und der Juden waren besonders günstig. Dieses Treffen begann während der Glanzzeit der Aufklärung, als beide Parteien in eine Identitätskrise gerieten. Sowohl der ungarische Adel als auch die ansässigen Juden erkannten gleichzeitig ihre Rückständigkeit. Die Aristokratie und der Großteil des in Komitatsrepubliken organisierten ungarischen Adels begannen die Notwendigkeit zu spüren, sich an das in den westlichen Staaten sich immer dynamischer entwickelnde industrielle, landwirtschaftliche, finanzielle und die Mentalität betreffende Modell zu assimilieren, und die Juden erkannten ihre Isolierung in religiösen Gemeinden als zu eng, so wurde der Wunsch laut, sich an die Gesellschaft ihrer Heimat, vor allem an deren soziale und politische Elite anzupassen. Einen ausgezeichneten Trumpf hatten sie darin, dass sie ihre internationalen Verbindungen, die Vorteile ihres seit Jahrtausenden geübten Wissens in Schreiben, Lesen und Rechnen zur Entwicklung ihrer neuen Heimat verwendet haben. So entwickelten sich einerseits in der ungarischen Reformelite eine philosemitische Strömung, die von den Reformisten, die sich um József Eötvös scharten, leidenschaftlich unterstützt wurde, andererseits der Patriotismus der ungarischen Juden, der sich zuerst während des Freiheitskampfes im Jahre 1848 offenbarte.
Unter den in Ungarn lebenden Nationalitäten waren es die Juden, zusammen mit der Mehrheit der sesshaften Deutschen, die nicht nur keine Nationalitätenautonomie forderten, sondern die ungarische Sprache und Kultur übernahmen und deren Verbreitung sogar auf den Nationalitätengebieten unterstützten. So kam ein stillschweigender Kompromiss zustande, die von einem der größten Kenner der Geschichte der Juden in Ungarn, von meinem Freund Viktor Karády – der mir beim Schreiben meines Buches mithalf – mit dem Namen „ungarisch-jüdischer Gesellschaftsvertrag” bezeichnet wurde. Der Vertrag kann im Großen und Ganzen so definiert werden, dass die ungarische herrschende Klasse – ab 1867 mit der Gutheißung des Wiener Hofes, manchmal sogar mit seiner Rivalität – die Gleichheit der Juden als Staatsbürger gesetzlich anerkannte und die Juden – in der Mehrheit „Reformjuden” – ihre ethnische Eigenartigkeit aufgegeben und ihre Begabung in den Dienst des ungarischen Staates und der ungarischen Gesellschaft gestellt haben.
In keinem europäischen Staat stieß der die Neubildung des jüdischen Staates, also die nationale Renaissance des Judentums erzielende Zionismus auf solchen Widerstand, wie bei den Juden in Ungarn, obwohl der Zionismus von einem in Ungarn geborenen, deutschsprachigen, prophetischen Autor ins Leben gerufen wurde. Der größte Teil der rumänischen und russischen Juden gab bei den Registrierungen jüdisch als Nationalität an und behielt sich die jiddische Muttersprache vor, die Juden in Ungarn – sogar die orthodox konservativen – sprachen zu Hause ungarisch. Der Großteil der Juden in Ungarn teilte die Auffassung, die am Ende des 18. Jahrhunderts von einem ungarischen Philologen wie folgt formuliert wurde: die Nation lebt in ihrer Sprache. Ungar ist, der ungarisch zur Muttersprache hat und sich zur ungarischen Nation bekennt.
Dass diese Konzeption nicht generell war und vor allem von den kirchlichen Kreisen nicht vertreten wurde, zeigen die Parlamentsberatungen und Pressedebatten bereits vor 1848. Die ungarischen Juden wichen von den in anderen Ländern lebenden Juden auch darin ab, dass sie trotz der durch den dem Fall Dreyfuss-Angelegenheit vorausgegangenen Tiszaeszlár-Prozess ausgelösten antisemitischen Bewegungen auf ihrem Ungarntum beharrten und zu dessen Bekräftigung sich anstatt des Wortes Jude, das nicht nur die Religion, sondern auch den ethnischen Ursprung bezeichnete, Israeliten genannt haben. Das ungarische Judentum ist jedoch das einzige, in dem es zwischen dem konservativen, dogmatisch auf den rituellen Traditionen beharrenden Juden und den die kulturelle Assimilation vollständig vertretenden Reform-Juden, die sich als Neologen bezeichnet haben, zur Kirchenspaltung kam. Ein paradoxes Phänomen ist, dass József Eötvös, der wie bekannt nicht nur Liberaler, sondern auch ein Anhänger der staatlichen Zentralisation war, es bei seinem besten Willen nicht gelang, für die jüdischen Gemeinden eine den katholischen und protestantischen Kirchen ähnliche einheitliche Vertretung zu schaffen.
Es kann behauptet werden, dass nur die Antisemiten zwischen den verschiedenen Gruppen des sozial und weltanschaulich immer differenzierteren ungarischen Judentums keinen Unterschied machten, da ihre Judengegnerschaft sich immer offener auf rassistische Argumente stützte.
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In meinem Buch messe ich der Diskussion auf hohem Niveau eine große Bedeutung bei, die in der Zeitschrift von Oszkár Jászi,2 in ‘Huszadik Század’,3 während des Ersten Weltkrieges im Jahre 1917 im Gange war und in der sich die geistigen Fürsprecher der verschiedenen geistigen Strömungen des ungarischen Judentums sowie des modernen ungarischen Antisemitismus äußerten. Das Hauptargument der Antisemiten – deren intellektuelle Wurzel teils auf den kirchlichen Antijudaismus, andererseits auf die Denkweise der kleinadligen Antiassimilationisten vom 19. Jahrhundert zurückzuführen ist – war die wesentliche ‘Blutsfremdheit’ des Judentums, die Unmöglichkeit seiner Assimilierung und die Gefahr seiner ‘Eindrängung’ in die ungarische Kultur. Mehrere Redner bedauerten nunmehr mit ehrlicher Offenheit die Verwirrung der ungarischen politischen Elite im Jahre 1867, als die volle Gleichberechtigung der Juden mit ungarischer Abstammung angenommen wurde. Der Diskussionsbeitrag eines Kurialrichters namens Ede Alföldy ist ein interessantes Beispiel der antiliberalen Wendung, die in der höheren Beamtenelite erfolgte. „Die heilige Idee der Gleichheit hat ihre Grenze dort”, – sagte er –, „wo einzelne Mitglieder der Gesellschaft neben einheitlichen Umständen solche Vorteile genießen, ohne dass diese Vorteile im entsprechenden Maße der Gemeinschaft nutzen würden. In dem Fall also, wenn das Judentum mit seinen besonderen Eigenartigkeiten oder Fähigkeiten andere vom Weg des Vorankommens verdrängt, ohne dass davon die Gemeinschaft mehr Nutzen zieht als Schaden, kann die Reglementierung des Judentums keine Gleichheitstheorie oder keinen Liberalismus verhindern.” (Siehe Seite 42 der Sonderausgabe von „Huszadik Század” über die Judenfrage.) Wie gesehen, haben die „Ébredő magyarok” (‘Erwachenden Ungarn’)4 und der sonst ausgezeichnete, aber tragisch endende Pál Teleki5 nichts Neues entdeckt. Es war nämlich offensichtlich, dass sich die Kündigung der Gleichheit und die rechtliche Konzeption der Unterscheidung nicht auf die Personen mit armenischer, kroatischer, serbischer, schwäbischer, slowakischer Abstammung bezog, sondern nur auf die Juden. Das wahre Ziel der Wende war, dass die jüdischen Jugendlichen – die sich in verschiedenen Bereichen des Unterrichts an der Universität mit ihren Fähigkeiten auszeichneten und sich als Folge davon in gesellschaftlich gesehen höheren Positionen etablieren konnten – aus dem Hochschulunterricht ausgeschlossen werden (man denke nur an Vilmos Vázsonyi, den späteren Minister).
An dieser Stelle sei bemerkt, dass viele Tausend jüdische Jugendliche ihr Diplom an ausländischen Universitäten erwerben konnten und von ihnen viele ihre Fähigkeiten im Ausland geltend machten. Diese Maßnahmen schadeten nicht nur dem Image von Ungarn, sondern auch der Entwicklung des Landes. Ich musste allerdings feststellen, dass die Zurückdrängung der jüdischen Konkurrenz auf administrativen Wegen und damit der Gedanke des Übertritts vom Weg zur Demokratie auf die rassenschützerische Bürokratie und dessen theoretische Formulierung bereits vor Trianon auftauchten.
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Wenn man über das Verhältnis zwischen Ungarn und Juden spricht, müssen auch die auch heute noch viel diskutierten Fragen der Identität, des nationalen Selbstbewusstseins und der Selbsterkenntnis behandelt werden. Sie verstehen es ja, ähnlich wie meine französischen Studenten und Zuhörer, dass diese Fragen sich nicht so leicht beantworten lassen, besonders wenn es um Nationen geht wie die ungarische, die in ihrer Geschichte oft mit Identitätsstörungen zu kämpfen hatten. Die Frage, wie ich schon erwähnt habe, wer und was ist ein Jude, können eigentlich nur die Antisemiten einfach und sicher beantworten. Die Antisemiten in Frankreich behaupten untereinander über die Juden: il n’est pas catholique, also wer nicht Katholik ist, was in diesem Zusammenhang so viel bedeutet, dass sie, wie es ungarisch oder jiddisch formuliert wird, nicht rein, nicht salonfähig, nicht ehrlich, nicht koscher sind. Es haftet an ihnen irgendwelche Sünde, früher die Sünde des Mordes an Gott, im modernen Zeitalter eher ihre ‘Shylock’-Geldgier. Auf der Enquete von ‘Huszadik Század’ leugnete jedoch der Großteil der jüdischen Redner die Existenz der Judenfrage und sie behaupteten, dass sie sich, auch wenn sie von Moses und nicht aus dem Árpádenblut abstammen, genauso als Ungarn fühlen wie die nicht jüdischen Ungarn. Sie bemerkten jedoch oft nicht, dass dieses Gefühl von ihrer Umgebung nicht immer geteilt wurde.
Was die Frage der ungarischen Identität betrifft, beginnt diese offensichtlich mit der Fragestellung nach dem ungarischen Ursprung, die ab dem 18. Jahrhundert Gegenstand der wissenschaftlichen Diskussion bildete. Am Ende dieses Jahrhunderts und in der romantischen historischen und belletristischen Literatur des 19. Jahrhunderts haftete an dem sich auf den einstigen Ruhm stützenden nationalen Stolz das schmerzvolle Gefühl der Dekadenz. Dies findet man unter anderem in den Gedichten von Dániel Berzsenyi, wo er über das „Verderben” der Ungaren schreibt.
Bei István Széchenyi6 ertönt anstatt der Klage über die Vergänglichkeit des Ruhmes und der Größe das optimistische Vertrauen und die Hoffnung als er verkündet, dass „Ungarn nicht ist, sondern wird”. Die Nation, deren Mitglieder die so nahe liegende Stadt Wien betrachteten, die langsam kosmopolitisch wurde, sahen die Zukunft der Nation in der Erneuerung der ungarischen Literatur, Bildung und Wissenschaft. Der in Wien lebende György Bessenyei stellt sich in einem „Brief in Versen” als ein schweigender Beobachter vor.
Und in diesem Schweigen ist vieles vom edlen ungarischen Schmerz angesichts der raschen Entwicklung des Westens enthalten. Ich muss jedoch bemerken, dass als es zum ersten Mal verkündigt wurde, dass „die Nation in ihrer Sprache lebt und ein Ungar ist, der auf ungarisch spricht, schreibt und liest”, der ungarische Adel eher lateinisch und die Aristokratie auf deutsch oder englisch sprach. Als der Dichter des slowakischen nationalen Erwachens, Štur, in einer an den Kaiser adressierten deutschsprachigen Petition schrieb, dass was sie, als Slowaken ersuchen, ist nur, dass sie „im ungarischen Vaterland” die gleichen Rechte wie die Ungarn genießen. Tatsache ist, dass zu dieser Zeit die Heimat, die von den Ungarn Ungarn genannt wurde, im Ausland den aus dem lateinischen ‘Hungaria’ stammende Name hatte (Ungarn, Hongrois, Ungharese usw.). Die slowakische Petition bestätigt, dass die Slowaken in den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts das ungarische Reich für ihre Heimat hielten, was von dem konservativen aristokratischen Anführer Aurél Dessewffy7 verstanden wurde, während der Liberale Lajos Kossuth,8 Redakteur von „Pesti Hírlap”, die an ihn gerichteten Briefe und Artikel von Stur ohne sie zu lesen zurückgeschickt hatte.
Im Gegensatz zu den Slowaken, die ihre Nationalität auf ethnischer und sprachlicher Grundlage formulierten, wählten die ungarischen Juden bereits vor der Emanzipation die ungarische Sprache und Kultur, und hielten sich auch als Nationalität für Ungarn, was der ungarische Staat – schon aus statistischen Gründen – akzeptiert hat und es wurde auch von der öffentlichen Meinung nicht bezweifelt. Von der nicht liberalen öffentlichen Meinung wurde es jedoch bezweifelt. Daraus entspringt die Judenfrage als Projektion der Kämpfe des Nationalismus mit liberalen und rassistischen Komponenten in Ungarn, der mit der Wende nach dem Weltkrieg zu einem relevanten Faktor des ungarischen politischen und geistigen Lebens wurde.
Als die aus der Zerstümmelung des historischen Ungarns resultierende erneute Identitätskrise in der Mitte der 30er Jahre während des ermutigenden Einflusses des deutschen Rassismus akut wurde, bekam ich von der Redaktion der Zeitschrift „Szép Szó”9 die Aufgabe, mit dem Titel „Was ist der Ungar jetzt?” eine Sonderausgabe zum Tag des Buches vorzubereiten. Ich nahm die Aufgabe mit der Bedingung entgegen, dass die Ausgabe mit einem Gedicht von Attila József10 eingeführt werden soll. Es geschah tatsächlich so. Die Sonderausgabe erschien im Juni 1937 eingeleitet von einem der schönsten Gedichte von Attila József, das „aus der Ferne von Tausend Jahren” geschrieben wurde und den Titel „Meine Heimat” (‘Hazám’) trug. Dieses Gedicht wird mit der Bitte an Gott beendet, „gib Menschlichkeit dem Menschen, gib Ungarntum dem Ungar!” Ein ausgezeichneter Vertreter des ungarischen Kalvinismus, Pál Simándy schrieb, dass „die grausame Grässlichkeit des Schicksals ist, wie Dezső Szabó mit seinem rassischen Pathos und Heidentum unwillkürlich den Weg der germanischen geistigen Eroberung geebnet hatte, vor der er als vor einem schweren Unglück die eigene Rasse gewarnt hatte.”
Nach zwei Jahren veröffentlichte Gyula Szekfű11 in der Ausgabe von „Magyar Szemle”12 ein kollektives Werk, in dem zahlreiche politische Autoren und Publizisten die Kriterien der ungarischen Identität zu formulieren versuchten. Auf die Leserwelt der ungarischen Mittelklasse übte zu dieser Zeit schon die Nationsidee von László Németh die größte Wirkung aus. Mit seiner Unterscheidung zwischen „Tief-Ungarn” und „Dünn-Ungarn” sowie mit seiner Theorie über den „rassischen Geist” gab er den diskriminativen Bestrebungen quasi eine philosophische Grundlage, zwar mit einem bestürzend konfusen, jedoch aufregendem Pathos sowie einer persönlichen Glaubwürdigkeit der die ganze Frage vereinfachenden Definition, dass in Ungarn schließlich alle Ungarn sind, in deren Adern kein Tropfen jüdisches Blut fließt. Trianon hatte einen Vorteil, dass der ungarische Staat, der nunmehr die Last des Dualismus nicht mehr tragen musste, was die Nationalitäten betrifft, vollständig homogen wurde. Ein großer Nachteil war jedoch, dass die ungarische Politik, die ungarische politische Elite auch gegenüber den genauso Verliererstaaten Deutschland und Österreich zu einer restaurativ hybriden, teilweise feudalen, teilweise parlamentarischen Staatsform führte. Das Horthy-Regime versuchte zwar nach Westen das Image des Rechtsstaates zu zeigen, hielt jedoch unter der Devise des nationalen christlichen Kurses umso mehr den anfänglichen Antisemiten-Charakter aufrecht, ermöglichte die Sabotierung der Bodenreform und baute seinen wirtschaftlichen Einfluss auf die Zusammenarbeit des „christlichen” Großgrundbesitzes und des „jüdischen” Kapitalismus auf.
Was die Demokratie betrifft, die Einführung des allgemeinen und geheimen Wahlrechts, behauptete István Bethlen seinen englischen Besuchern, dass das ungarische Volk dazu noch nicht reif genug ist.
Die Abfassung der Geschichte von Ungarn bzw. des ungarisch-jüdischen Verhältnisses in der Zwischenkriegszeit ist eine schwierige Aufgabe, trotz der Tatsache, dass ich es miterlebt und viele Erinnerungen diesbezüglich habe.
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Bei der skizzenhaften Besprechung meines Buches bin ich nunmehr zu der heikelsten Frage, zu Soa bzw. zu der Frage der Verantwortung dafür gekommen. Die Behandlung dieser Frage fällt mir umso schwerer, da meine Familie väterlicherseits – deren Mitglieder ausschließlich auf dem Lande und teilweise in der Woiwodschaft lebten –, wie es aus meinem Lebenslauf bekannt ist, im Jahre 1944 vollständig ausgerottet wurde. Nur ein Onkel ist am Leben geblieben, der während des Ersten Weltkrieges Kriegsrichter, dann Polizeidirektor in Nagykanizsa war und von seinen Freunden gerettet wurde. So musste ich Angst haben, dass die Erinnerung an diese Tatsache, meine mich als Historiker verpflichtende „sine ira et studio” Objektivität beeinflussen könnte und diese Studie in eine Klageschrift verwandelt. Um dies zu vermeiden, stützte ich mich außer der Hilfe des an den Ereignissen unbeteiligten Gyula Zeke, nach der Studie von zahlreichen Memoiren und den Ergebnissen von Detailforschungen, auf die Analyse von zwei Historikern, deren Neutralität und Scharfblick im In- und Ausland anerkannt werden: es handelt sich um István Bibó und Gyula Juhász.
István Bibó13 übernahm nach dem Weltkrieg in der Novemberausgabe von „Válasz” im Jahre 1945 zuerst die Aufgabe, – wie er schrieb – die Verantwortung des Ungarntums für all das zu klären, was mit dem ungarischen Judentum nach 1938 und vor allem in den Jahren 1944–45 geschehen ist. Dies tat er mit einer einzigartigen Tapferkeit, dass es eigentlich nicht überraschend ist, dass seine Analyse und sein Urteil bis zu unseren Tagen nicht allgemein bekannt sind.
Erlauben Sie mir an dieser Stelle einen Abstecher zu machen. In den Jahren am Ende des 20. Jahrhunderts, vielleicht eben auf die Initiative des Heiligen Stuhls, wird in der französischen, deutschen und im allgemeinen in der westlichen öffentlichen Meinung im Kreise der Historiker und Politiker immer öfter über die Pflicht der Erinnerung gesprochen. Was bedeutet das? Das bedeutet, dass als die Menschheit nach dem Sturz des Kommunismus an einem welthistorischen Wendepunkt anlangte, überall in Europa die Nationalbewusstseine störenden Ereignisse der jüngsten Vergangenheit und die Verantwortung für diese diskutiert werden. Dieses, man könnte sagen, gewissensmäßige und wissenschaftliche Großreinemachen war für die Historiker keine leichte Aufgabe. Wie bekannt, gründet sich die Geschichte auf die Erinnerung, und setzt sich aus den Zeugnissen der Überlebenden oder Zeitgenossen zusammen. Und wie es Bergson in seiner denkwürdigen Studie über die Erinnerung darlegte, ist eine der Haupteigenschaften der individuellen Erinnerung die Fähigkeit des Vergessens, die Übermalung, das Retuschieren der Erinnerungen. Die Handlungen und Tatsachen, die auf unser Selbstbewusstsein, auf unsere Selbstachtung einen Schatten werfen könnten und die wir im Nachhinein als schändlich empfinden, möchten wir im Allgemeinen in Dunkel hüllen. So ist es mit den Individuen, mit den Nationen und auch mit den staatlichen Behörden. Stalin sagte in Jalta Churchill – wo er versuchte, vor ihm das Selbstbestimmungsrecht der kleinen Nationen zu verteidigen – : „glauben Sie doch nicht mein Herr, dass die kleinen Nationen immer unschuldig sind!” Sie sind es vermutlich nicht, es muss jedoch hinzugefügt werden, dass die großen Nationen noch weniger unschuldig sind und sich nur selten mit der Veröffentlichung ihrer eigenen Verantwortung, Sünden oder Verfälschungen auszeichnen. In den nationalen Geschichtsschreibungen funktioniert das Vergessen viel spontaner als die wahre Erinnerung. Gleichzeitig hat die historische Wahrheit die unangenehme Eigenschaft, dass sie trotz aller Versuche zu ihrer Unterdrückung ans Tageslicht kommen will.
Deshalb schrieb Attila József, dass man die Vergangenheit gestehen muss. Umso mehr, da ohne die Vergangenheit zu gestehen, zu beichten und ohne dass man aus den begangenen Fehlern und Sünden lernt, es kein wahres menschliches und nationales Selbstbewusstsein geben kann. Diese Erinnerung, die Notwendigkeit, die Forderung nach der Erkundung der historischen Wahrheit und deren Eintritt sind das, was ich im französischen geistigen und politischen Leben immer konzentrierter beobachte. Gerade als ich mich auf diesen Vortrag vorbereitete, habe ich im Leitartikel von Le Monde vom 8. Februar gelesen, dass es die moralische Pflicht der französischen Nation und des französischen Staates ist, sich mit der eigenen Geschichte zu konfrontieren und auszusprechen, was verschwiegen wurde bzw. was man verschweigen ließ. Der französische Staat, wenn auch mit Verspätung, hat seiner schmerzvollen Pflicht Genüge zu tun, mit den Grausamkeiten, die die französische Armee zwischen 1954–1962 im achtjährigen Krieg gegen Algerien begangen hatte, als beim Verhör der arabischen Kriegsgefangenen die grausamsten Folterungen verwendet wurden, abzurechnen. Später im Jahre 1962 wurden Zehntausende der algerischen Araber ihrem Schicksal überlassen wurden, die während des Krieges auf französischer Seite gekämpft haben und die in unabhängigen Algerien als Landesverräter behandelt wurden.
Beinahe gleichzeitig hat die französische Nationalversammlung dem Beispiel des amerikanischen Senats folgend den Genozid-Charakter der Massenabschlachtung der Armenier gesetzlich festgelegt, die während des Ersten Weltkrieges im Osmanischen Reich mit dem Verdacht des Kooperierens mit dem russischen Feind angeklagt wurden, was vom Rechtsnachfolger, dem türkischen Staat bis zu unseren Tagen geleugnet wurde und dessen Anerkennung im Interesse der Aufrechterhaltung der guten Beziehungen zum türkischen Staat die atlantischen Verbündeten – unter ihnen die Amerikaner und die Franzosen – gesetzlich festlegen wollten. Die in der ganzen Welt, besonders in den Vereinigten Staaten und in Südfrankreich sowie in Paris zerstreut lebenden Nachkommen der Armenier wollten jedoch in den vergangenen hundert Jahren die Frage nicht vergessen.
Es sei diesbezüglich die Tatsache erwähnt, dass Präsident Chirac 1995 die Verantwortung des französischen Staates für die Hilfeleistung offiziell feststellte, die die französische Verwaltung auf Anweisung der damaligen Regierung der Gestapo in der Zusammensammlung und Deportation der französischen Juden gab. Diese Verantwortung wurde von De Gaulle bis Mitterand bis jetzt immer mit dem Argument geleugnet, dass Pétain und seine inneren Mitarbeiter für die Sünden der mit den Deutschen kollaborierenden Pétain-Regierung bestraft wurden, die heutige Französische Republik jedoch die Verantwortung nicht übernehmen kann. Die Gültigkeit dieses Arguments wurde von Präsident Chirac und dann von Ministerpräsidenten Jospin zurückgewiesen, da die historische Kontinuität des französischen Staates mit der deutschen Besetzung und der Tätigkeit der mit den Nazis kollaborierenden Vichy-Regierung nicht abgebrochen wurde. Auf Grund der gleichen Rechtsargumentation entschuldigten sich die Vertretungen der französischen, deutschen, belgischen, polnischen usw. katholischen Kirchen für die Versäumnis der Kirche, dass sie gegen die Grausamkeiten der Nazis nicht energisch protestierte.
Tatsache ist, dass die Geschichte und Vorgeschichte des Zweiten Weltkrieges, besonders aus der Sicht der Siegermächte manchmal aus voneinander stark abweichenden Gesichtspunkten verfasst wurde und auch in den Schulen wird sie oft einseitig gelehrt. Die Sieger haben immer Recht, – schrieb etwas zynisch György Lukács. Darin steckt auch Wahrheit, aber die hat ihre Gültigkeit nur für Stunden, manchmal für Jahrhunderte oder Jahrtausende.
Ich erinnere mich, als in den 60er Jahren auf einer Historikerkonferenz über die Schwierigkeiten der Futurologie, also der Voraussicht diskutiert wurde und ein anwesender sowjetischer Historiker mir Folgendes sagte: Sie im Westen haben es leicht, die Sie über die Schwierigkeiten der Voraussicht diskutieren. In der Sowjetunion können wir nicht einmal die Vergangenheit voraussehen! Das bedeutet, dass das Bild der Vergangenheit, die Auswertung der vergangenen Ereignisse sich in jedem Zeitalter verändern. Die zum 200. Jahrestag der Französischen Revolution erschienenen Werke geben einem über die Ereignisse, die führenden Persönlichkeiten der Revolution ein ganz anderes Bild, als die Werke, die noch auf Grund der Memoiren der Zeugen der Revolution geschrieben wurden.
In den 80er Jahren löste ein ausgezeichneter Historiker, Ernst Nolte in Deutschland mit einer Arbeit eine große Diskussion aus, in der er beweisen wollte, dass der Nationalsozialismus mit seinen Verirrungen eigentlich als spontane und verständliche – wenn auch nicht entschuldbare – Reaktion des Deutschtums auf die drohende Gefahr des Kommunismus gedeutet werden kann, da zeitlich gesehen die Grausamkeiten der Repression von Lenin dem nationalsozialistischen Terror vorausgegangen sind und die Tscheka eigentlich der SS als Muster diente. Nolte bewies seine These mit einer Unmenge von Daten, die sein Buch kritisierenden Historiker beschuldigten ihn jedoch damit, dass er mit der Feststellung, dass nämlich die bolschewistischen Arbeitslager und Massaker den NS-Vernichtungslagern vorangegangen seien, eigentlich nur den Hitlerismus von der Verantwortung für die Kriegsverbrechen freisprechen will. Noltes Thesen können auch meiner Meinung nach kritisiert werden, vor allem, weil die Wurzeln der nationalsozialistischen Ideologie und des russischen Bolschewismus beinahe unabhängig voneinander auf die ferne Vergangenheit der beiden Nationen sowie auf ihre im Ersten Weltkrieg überlebten Traumen zurückzuführen sind. Die Verantwortung für die Grausamkeit des Bolschewismus kann ebenso nicht auf den deutschen Imperialismus und Rassismus abgewälzt werden wie umgekehrt. Das von Stephan Courtois zusammengestellte „Schwarzbuch” über die Verbrechen des Kommunismus (dessen Übersetzung soviel ich weiß auch in Ungarn erschienen ist), kann ebenso wenig der Rehabilitation der für die nationalsozialistischen Sünden Verantwortlichen dienen, wie die wissenschaftlichen Forschungen über die NS-Vernichtungslager die kommunistischen Verbrechen nicht vergessen lassen können. Nolte und einige westliche Historiker mögen jedoch darin Recht haben, dass in der westlichen Gesichtsschreibung, vor allem wegen dem nach dem Krieg sich langfristig durchsetzenden sowjetischen Einfluss und teilweise wegen der Rolle der Sowjets bei der Bekämpfung des Nazismus, die Erforschung und Analyse der kommunistischen Verbrechen vernachlässigt wurden. Dazu trug noch bei, dass die deutschen Archive seit langem für die Forscher offen sind, während die Archive im Kreml erst seit 1989 zur Verfügung stehen. Viele westliche Historiker entschuldigten die kommunistischen Verbrechen damit, dass die führenden Denker und Anhänger des kommunistischen Totalitarismus theoretisch die Erlösung der ganzen Menschheit von den Kriegen und der Ausbeutung erzielten, während die Verantwortlichen des deutschen Totalitarismus ihre Absichten zur Eroberung und Menschenvernichtung gegenüber den Juden und den Slawen nicht einmal verheimlicht haben. Diese Entschuldigung erinnert mich an den Spruch, dass „auch der Weg zur Hölle mit guten Vorsätzen gepflastert ist”. Die leidenschaftlichen Diskussionen, die durch diese Fragen überall ausgelöst wurden, würden eine ernste, wissenschaftliche Analyse verdienen. An dieser Stelle möchte ich Sie nur daran erinnern, dass es, seit es Geschichtsschreibung mit wissenschaftlichem Anspruch gibt, noch niemals in solchem Maße gegen die Nationalmythen, Selbstbestätigungen, die Verschleierung der historischen Wahrheiten und gegen die politischen Manipulationen bezüglich der Forschungen gekämpft wurde als seitdem Papst Johannes Paul II. ein erschütterndes Beispiel für das Bekenntnis der über 1000jährigen Sünden der römischen Kirche gegeben und die Gläubigen zur Selbstprüfung und Entschuldigung bei den Opfern aufgerufen hatte.
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Nach diesem Abstecher, der auch zum Verständnis der Bedeutung von István Bibó dienen kann – die man mit der Bedeutung von Karl Jaspers, dem deutschen Philosophen vergleichen könnte –, kehre ich zu den ungarischen Bezügen von Soa zurück. Ich halte es für das unvergängliche Verdienst von Bibó, dass er nicht einmal zwei Jahre nach den Geschehnissen die Aufdeckung des Wesens der Realität, die auch für ihn bittere Arbeit der nationalen und christlichen Selbstprüfung erfolgreich durchführte. So denke ich jetzt 50 Jahre nach der Veröffentlichung seiner Studie, wo uns bereits Detailforschungen zur Verfügung stehen, die mehrere Bibliotheken füllen könnten, dass man an seinen Analysen keine Zeile verändern soll und mit deren Darlegung und Kommentar ich in meinem Buch die eigene Meinung ausdrücken kann. Ich möchte jetzt nur einige relevante Punkte erwähnen.
1. Es kann nicht bezweifelt werden, dass die letzte Verantwortung für Soa die deutschen Nazis und ihre ungarischen Helfershelfer zu tragen haben. Was den ungarischen Staat betrifft, kann hier mit Bibó die in der Verteidigung des Horthy-Systems oft zitierte Entschuldigung nicht berücksichtigt werden, nach der die nach dem Judengesetz vom Jahre 1938 immer diskriminativeren Judengesetze dem Ziel gedient haben, die Gefahr der deutschen Besetzung und einer blutigen Judenverfolgung abzuwenden. Hier sei Bibó wortwörtlich zitiert: „die aus dem konterrevolutionären Terror vom Jahre 1919 herausgewachsenen Regierungen – auch die Bethlen-Konsolidation – haben die ungarische Gesellschaft völlig rechtmäßig an den Gedanken der Isolierung der Juden gewöhnt, und daran, dass die Achtung der menschlichen Würde auf die Juden nicht gültig ist.”
2. „Die herrschende Klasse stand immer bereit zur Verfügung der antisemitischen Propaganda, um ihr wahres Ziel, die Aufbewahrung der politischen und gesellschaftlichen Hegemonie, die zum gesamtnationalen Interesse erhoben wurde, vergessen zu machen.
3. „Das Verhalten der ungarischen Militärbehörden gegenüber dem Judentum auf den rückgliederten Gebieten, dann die Einordnung Hunderttausender Juden in den demütigenden Arbeitsdienst, die massenweise unter den Händen des ungarischen militärischen Abschaumes umgekommen sind, ist untrennbar davon, dass Horthy der Besetzung und deren Folgen den Anschein der Gesetzlichkeit verlieh.”
4. „Die Deportationen wurden mit Hilfe der unter pfeilkreuzlerischen Leitung stehenden ungarischen Polizeien, vor allem mit Hilfe der Gendarmerie durchgeführt.”
5. „Die Zahl der Deportierten vom vergrößerten Gebiet Ungarns war etwa 700.000, die Mehrheit von ihnen wurde in deutschen Vernichtungslagern vernichtet.”
Bibó urteilt sehr streng über das Verhalten der Kirchen und der Intelligenz – besonders der sog. völkischen Intelligenz –, obwohl er zu mehreren von ihnen freundschaftliche Beziehungen pflegte. Bibó ergänzte seine diesbezüglichen Bemerkungen vom Jahre 1945 in einem langen Brief an Gyula Borbándi im Jahre 1978 (siehe: István Bibó 1911–1979 Életút dokumentumokban /’Ein Lebensweg in Dokumenten’/, 1995. S. 634–681). Er machte der völkischen Intelligenz vor allem zum Vorwurf, dass diese sich „schief zu der dem ungarischen öffentlichen Leben aufgezwungenen verzerrten Auffassung verhalten hatte, die immer die Judenfrage in den Mittelpunkt der Politik stellte.” Wie schief dieses Verhältnis war, beleuchtete Gyula Juhász14 in seinem Buch mit dem Titel „Uralkodó eszmék Magyarországon 1939–1944” (‘Herrschende Ideen in Ungarn 1939–1944’, Budapest, 1983) im Kapitel, das er den interessanten Diskussionen der im August 1943 veranstalteten II. Konferenz in Szárszó gewidmet hatte. Ich muss bemerken, dass zu dieser Zeit alle Teilnehmer (Gyula Illyés, Zoltán Szabó, Imre Kovács) beinahe überzeugt waren, dass der Krieg verloren ist.15
Auf der Konferenz hielt László Németh die wichtigste und charakteristischste Rede, die die Judenfrage getrennt behandelte. Worin sah László Németh die katastrophalen Folgen der Judengesetze? Darin, dass es nicht erlaubt wurde, dass „die Juden Juden seien und unter sie mit Brandmarkung magyarisierte, halbe und viertel Juden gezwungen wurden”. (Juhász bemerkte, dass László Németh diese Feststellung dann äußerte, als die Tageszeitungen des nationalen Widerstandes nur mit jüdischen Geldern zu finanzieren waren.) „Und wir haben jetzt Frieden”, – prophezeite Németh etwas vorzeitig – „und in diesem Frieden werden sie die Spitzel werden, sie können jedoch auch die ernannten Erlöser sein”. Gyula Juhász bemerkte hier wiederum, dass „Németh es nicht wissen konnte, wir wissen jedoch über die Tragödie, und darüber, dass nach Monaten nicht der Friede kam und auch nicht die Zeit der rachsüchtigen Menschen ohne Selbstkritik, so hätte Németh nicht darauf aufmerksam machen müssen, dass der ein schlechtes Ohr für Messerschleifen hat, der nicht hört, dass Shylock eben das Herz braucht”.
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Hier höre ich auf, da ich bereits befürchte, Ihre Aufmerksamkeit zu lange beansprucht zu haben. In meinem Buch setze ich die Geschichte natürlich fort, eigentlich bis zu unseren Tagen. Vielleicht doch noch einige Worte darüber, wie ich heute im Jahre 2001 die Zukunft des ungarisch-jüdischen Verhältnisses sehe. Ich versuche kurz die 1997 geschriebene Konklusion meines Buches zu formulieren. Soviel ich weiß, tauchte die Judenfrage in den vergangenen Jahren in Ungarn in den Gesprächen, in der Presse, auf der Straßenbahn, sogar im Parlament wieder auf. Der Historiker kann sich darüber nicht wundern, denn er weiß über den Antisemitismus, dass er auch da existiert, wo keine oder kaum noch Juden oder Menschen mit jüdischer Abstammung oder Religion leben.
In Ungarn ist die Zahl der Juden in Folge des Genozids und der Abwanderungen stark zurückgegangen, ihr Gewicht im gesellschaftlichen Leben, in der Wirtschaft, in der Kultur und der Politik ist unvergleichbar kleiner, als es vor dem Genozid war. Trotzdem scheint es beinahe selbstverständlich zu sein, dass es einige gibt, Familien, Gruppen, Vereine, Presseprodukte, die die Zahl der Juden für zu groß halten und ihre Präsenz für das „rein ungarische” Volk – wenn es so etwas gibt – als schädlich und gefährlich empfinden. Solche Individuen und Gruppen gibt es auch in den Ländern der Europäischen Union und sie werden auch geduldet solange sie keine strafbaren Verbrechen begehen und sich rassistisch nicht hetzerisch oder handgreiflich äußern. Die Geschichte zeigt, dass diese extremistischen Elemente für die Juden und gleichzeitig für die Verfassungsmäßigkeit, die Demokratie nur dann eine Gefahr darstellen, wenn die demokratische Staatsmacht unfähig wird, eine wirtschaftliche und soziale Krise zu bewältigen und die bürgerliche Rechtsordnung zu sichern.
Es wird jedoch noch lange die Judenfrage geben und – ich darf prophezeien – nicht nur in Ungarn, sondern auch in den westlichen demokratischen Staaten, und zwar deshalb, weil sie tief in der europäischen Kultur verwurzelt ist. Der Antisemitismus ist eine der am meisten verbreiteten Formen des Fremdenhasses, eine, behaupte ich, denn es gibt auch die Zigeuner-Frage, die arabische Frage, die Neger-Frage, die chinesische Frage, die Ungarn-Frage in Rumänien, die kurdische Frage in der Türkei, die Hutu-Frage in Ruanda, die katholische Frage in Indien usw. Der Antisemitismus ist, ich wiederhole es, die Diabolisierung und Demonisierung des Judentums als Volk, ein Glaube an die bösen Geister wie an den Teufel, ein religiöses Phänomen, Glaube, blinder Glaube, eine Ideologie, die sich überall mit dem extremistischen Nationalismus verknüpft, eine fanatische Überzeugung, an die man also glauben muss, man kann jedoch mit ihr mit rationalen Argumenten nicht diskutieren. Obwohl die Glauben, die Hass-Religionen genauso wie die Liebe-Religionen, wie bekannt, die Zeiten und Umstände überleben, in denen sie entstanden sind, so können sie nicht auf soziologische oder politische Ursachen reduziert werden, deren Ursprung und Aufrechterhaltung sowie blutige Ausbrüche zu erklären und vorzubeugen wären. Man kann jedoch darauf vertrauen, dass, wie im allgemeinen die Phänomene der Zivilisation, die Moden, ideologische Strömungen, auch die Glauben sterblich sind.
In Ungarn wurde der Weg der Demokratie 1989 eingeschlagen, das Land bereitet sich auf die Mitgliedschaft in der Europäischen Union vor und die große Mehrheit der politischen Elite will sich an die westliche Wertordnung assimilieren, ich sehe so keine ernste Gefahr bezüglich der Situation der assimilierten Juden. Was ich in der französischen Ausgabe meiner Studie vor vier Jahren geschrieben habe, die Worte eines französischen Wissenschaftlers zitierend, halte ich auch bezüglich der ungarischen Situation im Großen und Ganzen gültig: „Die Franzosen, zumindest die Mehrheit, wurden die alten Dämonen los. Die Frage ist nunmehr, ob das Judentum in Frankreich den integrierten Teil der Nation bilden kann, ohne die Vergangenheit zu leugnen sowie ob die Franzosen fähig sein werden, sie so zu akzeptieren, ihr ihren Traditionen treues Anderssein respektierend.”
Anmerkungen (von Ildikó Farkas)
1
Gergely Berzeviczy (1763–1822): volkswirtschaftlicher Schriftsteller, Sozialwissenschaftler, eine führende Gestalt der Freimaurerbewegung im 18. Jahrhundert in Ungarn. Er gehörte zu den ungarischen Kleinadeligen, die die Modernisierungspolitik von Joseph II. unterstützten. Nach dem Tod von Joseph II. schloss er sich den bürgerlichen Reformern an, später stand er mit der ungarischen Jakobinerbewegung in Verbindung (1795), die auf Einfluss der französischen Revolution entstand. Er wurde deshalb aus seinem Amt entlassen (er war ab 1788 Oberbeamter beim Statthalterrat), er zog sich danach auf seine Güter zurück und beschäftigte sich hauptsächlich mit der Verfassung von Schriften. Er unterstützte die Aufhebung der Leibeigenschaft und war einer der ersten Forscher der Situation des ungarischen Bauerntums.
2
Oszkár Jászi (1875–1957): Sozialwissenschaftler, Politiker, Publizist, führende Gestalt und Begründer der Theorie des ungarischen bürgerlichen Radikalismus, einer der ersten ungarischen Soziologen. Er war Mitbegründer der Zeitschrift „Huszadik Század” (‘Zwanzigstes Jahrhundert’) (1900) und der Soziologischen Gesellschaft (‘Társadalomtudományi Társaság’) (1901) (Hauptredakteur zwischen 1906–19, Generalsekretär zwischen 1907–18). Mit seiner Freimaurerloge gründete er den Galilei Kreis, der vor dem Ersten Weltkrieg die radikale Organisation, später eher die marxistische Organisation der ungarischen Jugend war. Im Jahre 1914 gründete er die Bürgerliche Radikale Partei (‘ Országos Polgári Radikális Párt’), die auch ein konkretes politisches Programm formulierte (allgemeines Wahlrecht, Bodenreform, Unabhängigkeit, Antiklerikalismus), grundsätzlich jedoch eine doktrinäre Partei blieb. Oszkár Jászi nahm an der ungarischen Revolution in den Jahren 1918–19 aktiv teil. Im Jahre 1919 verließ er nach dem Zusammenbruch der Revolution das Land und lebte bis zu seinem Tod in Emigration.
3
Huszadik Század (‘Zwanzigstes Jahrhundert’): die erste ungarische sozialwissenschaftliche Zeitschrift, die das neue Jahrhundert als Titel wählte, wurde am 1. Januar 1900 als Forum der neuen Gedankenströmungen und politischen Bestrebungen gegründet. Die Liberalen, die die Zeitschrift gegründet haben, schieden bald aus, ihr Platz wurde von den Vertretern der radikalen Progression eingenommen. Die bis 1918 erscheinende Zeitschrift veröffentlichte soziologische, philosophische und historische Studien und leitete Diskussionen über die aktuellen politischen Fragen des Zeitalters (Wahlrecht, Judenfrage, Nationalitätenfrage) ein.
4
Ébredő Magyarok Egyesülete, ÉME: Rassenschützerische politische Organisation in Ungarn zwischen 1918–1945, sie wurde im November 1918 gegründet, die Zielsetzungen waren: die Verbreitung des christlichen nationalen Geistes, der Schutz des Ungarntums auf kulturellem und wirtschaftlichem Gebiet und die Bewahrung der Grenzen, die vor November 1918 gültig waren. Der Verein spielte eine relevante Rolle im politischen Leben zwischen 1919–21, sein Einfluß war später nicht mehr so bedeutend, seine Anführer waren in verschiedenen Rechtsparteien tätig. In den 1930er Jahren war der ÉME einer der bedeutendsten irredentistischen Vereine. Im Februar 1945 wurde der Verein mit den anderen Rechtsparteien und -organisationen aufgelöst.
5
Pál Teleki (1879–1941): Geograph, herausragender liberaler konservativer ungarischer Politiker der Periode zwischen den beiden Weltkriegen. Er hatte eine bedeutende Rolle in der Gründung und der Herausgestaltung der Ideologie des Horthy-Systems (1920– 1945). Ab April 1920 war er Außenminister, dann zwischen Juli 1920 und April 1921 Ministerpräsident. In dieser Zeit ratifizierte Ungarn den Friedensvertrag von Trianon, das Numerus Clausus Gesetz gegen die Juden wurde eingeführt und gleichzeitig begann die Konsolidierung des Landes: die Bodenreform wurde durchgeführt und der weiße Terror gezähmt. Zwischen Februar 1939 und April 1941 war er zum zweiten Mal Ministerpräsident. Er schützte die ungarische Verfassungsmäßigkeit gegen extreme Rechte und den deutschen Eingriff. Beim Ausbruch des Zweiten Weltkrieges versuchte er mit den westlichen Mächten einen Kompromiss zu schließen und den Bewegungsraum Ungarns trotz des deutschen Druckes zu bewahren. Er schloss mit Jugoslawien einen Friedensvertrag für alle Zeiten, infolge der deutschfeindlichen Wende in Belgrad im März 1941 verlangte Hitler jedoch von Ungarn eben die militärische Kooperation gegen Jugoslawien und bot die Chance der Revision an. Teleki sah keinen Ausweg: er konnte das Angebot nicht zurückweisen, da dies die Verleugnung des Kampfes bedeutet hätte, den Ungarn 20 Jahre lang für die territoriale Einheit des Landes führte. Er konnte das Angebot aber auch nicht annehmen, da dies ein ernster Vertragsbruch gewesen wäre und er damit die Unterstützung der westlichen Mächte hätte verlieren können. Teleki konnte nicht wählen: er beging Selbstmord.
6
István Széchenyi (1791–1860): die führende Gestalt des ungarischen Reformzeitalters. Er wurde in einer der vermögendsten aristokratischen Familien Ungarns geboren. In seiner Jugend bereiste er Europa, wo er angesichts der hochentwickelten wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse zu dem Entschluss kam, dass er sein Leben und Vermögen der Modernisierung seiner zurückgebliebenen Heimat widmet. Er bot im Parlament im Jahre 1825 die Erträge seiner Landgüter von einem Jahr zur Gründung der Ungarischen Akademie der Wissenschaften an. Er bürgerte weiterhin die Pferdezucht, das Pferderennen sowie die Dampfschifffahrt ein, startete die Flussregelung, initiierte und organisierte den Bau der ersten Steinbrücke zwischen Pest und Ofen. In seinen Büchern fasste er das wirtschaftliche und gesellschaftliche Programm der bürgerlichen Umgestaltung Ungarns zusammen. Er verkündigte friedliche Reformen, eine geduldige Nationalitätenpolitik, den Ausgleich mit dem Habsburgerreich und eine friedliche Kooperation und hielt die Unabhängigkeitsbestrebungen der radikalen Reformer für gefährlich. Nach der 1848er ungarischen Revolution war er Mitglied des ersten verantwortlichen ungarischen Ministeriums, nach dem österreichischen Angriff und dem Ausbruch des Freiheitskampfes trübte sich sein Geist immer mehr und er zog sich vom öffentlichen Leben zurück. Er lebte nach dem Zusammenbruch des Freiheitskampfes in der Nervenklinik in Döbling, wo er Selbstmord beging.
7
Aurél Dessewffy (1808–1842): aristokratischer Großgrundbesitzer, neukonservativer Politiker im Reformzeitalter. Im Parlament war er in den Jahren 1833–36 Mitglied und später 1839–40 Anführer des neukonservativen Lagers der Magnatentafel. Nach seiner Rundreise in Westeuropa (1840–41) redigierte er die Zeitschrift „Világ” (‘Die Welt’) und vertrat den radikalen Reformen gegenüber die Politik „des überlegten Fortschrittes”.
8
Lajos Kossuth (1802–1842): Politiker, eine führende Gestalt des Reformkampfes für die bürgerliche Umgestaltung und Selbstbestimmung Ungarns. Als Anwalt auf dem Lande mit kleinadeliger Abstammung trat er im Parlament in den Jahren 1832–36 mit seinem handschriftlichen Nachrichtenblatt „Berichte aus dem Parlament” auf, das für die Reformpolitiker ein landesweites Forum sicherte. Er wurde einer der Leiter der im Jahre 1847 gegründeten Oppositionspartei. Sie forderte das Tragen der öffentlichen Lasten, politische Rechtsgleichheit, Volksvertretung und eine unabhängige ungarische Regierung. Nach dem Sieg der 1848er Revolution war er Minister der ersten verantwortlichen ungarischen Regierung. Als Vorsitzender des nach dem österreichischen Angriff gegründeten Landesverteidigungsausschusses war er der Leiter des Landes und nach der Entthronung des Hauses Habsburg ab April 1849 bis August 1849 Gouverneur von Ungarn. Nach dem Zusammenbruch des Freiheitskampfes ging er ins Exil.
9
Szép Szó: Literarische und soziologische Zeitschrift (März 1936 – Juli-August 1939). Sie wurde von einer linksorientierten Schriftstellergruppe gegründet, ihre Mentalität war das Ergebnis der Vereinbarung des bürgerlichen Radikalismus und des Sozialismus. Pál Ignotus und Attila József waren die Redakteure und auch Ferenc Fejtő nahm an der Gründung und Redaktion der Zeitschrift teil. In ihr kamen die Gedanken des Humanismus, des Rationalismus, der Aufklärung, des Liberalismus und des demokratischen Sozialismus zum Ausdruck. Sie kämpfte gegen den Faschismus und die extremen Rechte, sie distanzierte sich jedoch auch vom Westen, den sie dem herrschenden System für nachgiebig gegenüber hielt, sowie von den kommunistischen Kreisen, sie stand der volkstümlichen Bewegung gegenüber, die sie der Neigung zur extremen Rechten beschuldigte.
10
Attila József (1905–1937): Dichter, Redakteur, der bedeutendste Vertreter der ungarischen Lyrik zwischen den zwei Weltkriegen. Er stand mit der völkischen Idee, den Kommunisten, den sozialdemokratischen Traditionen, dann mit dem bürgerlichen Radikalismus in Verbindung. Als Dichter und Verfasser von Studien hatte er eine Neigung zur Synthese, auf seine Auffassung hatten sowohl der Marxismus als auch die psychoanalytische Schule Einfluß. Ab 1936 redigierte er die Zeitschrift “Szép Szó” mit Pál Ignotus und Ferenc Fejtő. Er beging Selbstmord.
11
Gyula Szekfű (1883–1955): bestimmender Historiker der Zwischenkriegszeit in Ungarn.
In seinem Werk „Három generáció” (‘Drei Generationen’) wollte er in der durch den Ersten Weltkrieg verursachten Krise die Ursachen des ungarischen Verfalls sowie die Kritik der liberalen gesellschaftlichen Kräfte formulieren. Die Ursache des Bruches der im Rahmen der Österreichisch-Ungarischen Monarchie in Schwung gekommenen Entwicklung sowie die Ursache des Zerfalls der Monarchie sah er im moralischen und wirtschaftlichen Verfall des Kleinadels bzw. im Raumgewinn der Fremden (Deutsche, Juden). Sein Werk (und dessen Fortsetzung im Jahre 1935) wurde zum Grundpfeiler des Zeitalters.
12
Magyar Szemle Társaság (‘Ungarische Rundschau Gesellschaft’): die Magyar Szemle Társaság wurde 1927 zur Unterstützung der Politik des gemäßigten konservativen Ministerpräsidenten, István Bethlen mit der Teilnahme von Soziologen und Großkapitalisten gegründet. Zwischen 1927–1944 veröffentlichten sie die Zeitschrift „Magyar Szemle” (‘Ungarische Rundschau’), die die Wertordnung der gebildeten Mittelklasse widerspiegelte. Gyula Szekfű war bis 1938 ihr Redakteur.
13
István Bibó (1911–1979): Rechtsphilosoph, Verfasser von politischen und historischen sowie rechtstheoretischen, die Verwaltung betreffenden und staatstheoretischen Schriften. Ihn beschäftigten vor allem das Verhältnis von Recht und Macht, das Problem der internationalen Rechtsprechung, die Theorie der Trennung der Staatsmächte sowie die Deformationen der politischen Entwicklung in Ostmitteleuropa. Er schrieb über die Judenfrage in Ungarn die beste Studie bis zu unseren Tagen (1948).
14
Gyula Juhász (1930–1993): Historiker. Sein Hauptforschungsgebiet waren die Geschichte der ungarischen Diplomatie zwischen den zwei Weltkriegen sowie die Geschichte des ungarischen politischen Denkens und die Geschichte Ungarns während des Zweiten Weltkrieges. Er verfasste ein erläuterndes Nachwort zu der Studiensammlung “Sorskérdések” (‘Schicksalsfragen’) von László Németh.
15
Volkstümliche Schriftsteller: in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre wurde die Bewegung der volkstümlichen Schriftsteller zur politischen Richtung, vor allem mit der Absicht, die gesellschaftlich-wirtschaftlich-politische Lage des Bauerntums zu verbessern. Die ungarische Volkstümlichkeit wurde von dem westeuropäischen Populismus durch die Identifikation mit dem Bauerntum und von der deutschen völkischen Sichtweise durch die Treue zu den Freiheitsideen der französischen Revolution sowie die Ablehnung der totalitären Staatsordnung abgegrenzt. In den 1930er Jahren wurde von den „Volkstümlichen” die Konzeption des „dritten Weges” ausgearbeitet, die sowohl die kapitalistische als auch die totalitäre kommunistische Weltordnung ablehnte und vor allem die genossenschaftliche Gesellschaft der Kleinproduzenten und Landwirte verwirklichen wollte. – Eine große Rolle spielten in den 1930er Jahren in der Ausgestaltung der völkischen Ideologie das Bewusstsein der nationalen Gefährdung sowie der Schutz der Nation. An diesem Punkt war die volkstümliche Bewegung wegen des Gebrauches des Wortes „Rasse”, das von den Volkstümlichen im Sinne „Nation” verwendet wurde, sowie wegen den bei einigen unleugbar vorkommenden, gegen das Judentum gerichteten rassistischen Ausdrücken von der Seite der liberalen Linken und der bürgerlichen Radikalen angreifbar. – Die bekanntesten Vertreter der Bewegung der volkstümlichen Schriftsteller waren: László Németh, Gyula Illyés, János Kodolányi sowie Péter Veres, Géza Féja, Pál Szabó und István Sinka, die die radikale Umgestaltung der Eigentumsverhältnisse in der Landwirtschaft forderten. Zu dieser Gruppe gehörten die Dorfforscher und die Klassiker der soziologischen Literatur Ferenc Erdei, Zoltán Szabó und Imre Kovács. Der soziale Radikalismus und der Aufklärungscharakter ihrer Bücher lösten sogar politische Verfolgungen aus. Sie haben unabhängig von politischen Richtungen viel zur Miteinbeziehung des Bauerntums in die Politik bzw. in die Literatur beigetragen.
Ferenc Fejtő ist Gründungsmitglied des Wissenschaftlichen Beirates des Europa Institutes. Mehrmals hielt er in den 90er Jahren in Budapest Vorträge in der Organisation des Institutes. Unter Mitwirkung des Europa Institutes erschien sein ursprünglich in französischer Sprache verfasstes Buch über das tausendjährige Zusammenleben von Juden und Ungarn und gegenwärtige Probleme in ungarischer Sprache. Das Buch (Ungarntum, Judentum) wurde innerhalb eines halben Jahres zum zweiten Male herausgegeben. Anlässlich der ersten Ausgabe organisierte das Europa Institut eine Buchpräsentation und lud den Autor nach Budapest ein. (Am 20. Februar 2001 hielt er seinen Vortrag Ungartum und Judentum.) An dieser Stelle folgt der Wortlaut seines Vortrages anlässlich der Buchpräsentation.
Begegnungen12_Eiler
Begegnungen
Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Band 12:225–234.
FERENC EILER
Das Minderheitenschutzsystem des Völkerbundes
Ein geschlossenes internationales Minderheitenrecht als Alternative
Als sich die Alliierten Großmächte nach dem ersten Weltkrieg für das Schaffen eines internationalen Minderheitenschutzsystems entschieden, war die Idee des völkerrechtlichen Minderheitenschutzes in der Geschichte von Europa gar nicht unbekannt.1 Die Notwendigkeit völkerrechtlicher Vereinbarungen zum Minderheitenschutz entstand mit der religiösen Spaltung des christlichen Abendlandes nach der Reformation. Diese erste Entwicklungsphase des internationalen Minderheitenschutzes dauerte vom Westfälischen Frieden bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts.2
Die Gebietsabtretungen sanktionierenden Verträge zwischen den Ländern verschiedener Konfessionen garantierten oft die Freiheit des Bekenntnisses und der Religionsausübung der Einwohner abgetretener Gebiete. Der 5. Artikel des Westfälischen Friedens im Jahre 1648 anerkannte sowohl die katholische als auch die protestantische Religion und sicherte den Gläubigen die freie Religionsausübung zu.3 Im Frieden zu Oliva 1660 wurde Livland vom katholischen Polen ans protestantische Schweden abgetreten. Im Sinne des Vertrages hatte aber die katholische Bevölkerung des Gebietes das Recht, ihre Religion privat auch weiterhin frei auszuüben.4 Ebenso wurden die ähnlichen Rechte den Einwohnern von Maastricht im Vertrag von Nijmegen (1678) garantiert, nachdem die Stadt von der Herrschaft Frankreichs unter die von Holland gekommen war.5 Der Friede von Breslau (1742), in dem Schlesien unter die Hoheit Preußens gekommen ist, gewährte für die Katholiken von Schlesien eine ähnliche Garantie.6 Die Rivalität zwischen Frankreich und Großbritannien führte zu Frieden (der Friede von Utrecht 1713 und der von Paris 1773), die für die Einwohner der von Frankreich an Großbritannien abgetretenen Gebiete die Religionsfreiheit festschrieben.7 Ähnliche Rechte garantierende Artikel konnten aber weder im Warschauer Vertrag (1773) noch im Frieden von Frederikshamm (1790) fehlen.8
Am Ende des 18. Jahrhunderts fing eine neue Epoche an. In Frankreich haben sich die neuen Freiheitsideen verbreitet, und die Gefühle der Menschen zu ihren Gemeinschaften wurden intensiver und auch demokratisiert. Nach der Geburt der modernen Nation in Frankreich war das Subjekt der Nation nicht mehr der Adel, sondern die Gemeinschaft der Einwohner des Landes, und im Fokus der Loyalität stand nicht mehr der König, sondern das Mutterland. Die Entstehung nationaler Bewegungen in ganz Europa ließ nicht lange auf sich warten. Im größten Teil von Europa entsprachen aber die Grenzen der Länder nicht den erwünschten Grenzen der Nationen. Hier wurden die Sprache und Kultur zu wichtigsten identitätsbildenden Faktoren. Die in multinationalen Staatengebilden lebenden Nationen setzten sich entweder staatliche Unabhängigkeit oder Autonomie zum Ziele. Während der französischen Vorherrschaft auf dem Kontinent erschien also eine neue Idee, die als Faktor der Innen- und Außenpolitik der Staaten ohne Folgen nicht mehr völlig außer Acht gelassen werden konnte.
Mit 1814 fing also eine zweite Entwicklungsphase des internationalen Minderheitenschutzes an, die bis zum ersten Weltkrieg dauerte. In dieser Phase blieb der Schutz religiöser Minderheiten weiterhin auf der Agenda internationaler Politik, aber die Idee des Minderheitenschutzes wurde auch – allerdings sporadisch – auf national definierte Gruppen ausgedehnt. (Von dieser Zeit an wurde aber nicht nur die freie Religionsausübung sondern auch die staatsbürgerliche Gleichstellung der betroffen religiösen Gruppen definitiv garantiert.) Das erste internationale Abkommen, in dem der Schutz einer rein nationalen Minderheit ausgesprochen wurde, war die von acht Mächten unterzeichnete Schlussakte des Wiener Kongresses.9 Den Polen sicherte das eine nationale Vertretung und nationale Einrichtungen. Obwohl die Folgen einer Verletzung dieses Rechtes nicht näher festgelegt waren, wurde die Tatsache vertragsgemäßer Pflicht nicht in Frage gestellt. Die meisten Minderheitenschutzklauseln internationaler Verträge entstanden im Zusammenhang mit den Desintegrationsprozessen auf dem Balkan. Auf der Londoner Konferenz hat sich z.B. Griechenland verpflichtet, für alle Einwohner (also auch für religiöse Minderheiten, die in diesem Fall – wie oft auf dem Balkan – in großen Zügen gleich auch nationale Minderheiten bildeten) die gleichen politischen Rechte zu sichern.10 Der Berliner Kongress von 1878 konzentrierte sich hauptsächlich auf die freie Religionsausübung und staatsbürgerliche Gleichheit religiöser Minderheiten in Bulgarien, Montenegro, Serbien, Rumänien und der Türkei.11 Im Falle von Bulgarien spricht aber der Vertrag auch von national definierten Gruppen, in dem er den in gemischten Zonen lebenden Türken, Rumänen und Griechen die Rechte bei den Wahlen festschrieb.12 Die Gebietsabtretungen sanktionierenden Verträge nach den Balkankriegen hatten aber auch ihre Minderheitenschutzklauseln.
Der internationale Schutz ethnischer und nationaler Minderheiten blieb dennoch in dieser Epoche sporadisch. Das Schicksal der Minderheiten blieb auch weiterhin den Interessen der Mächte untergeordnet. Vor dem ersten Weltkrieg existierte also eine Menge von bekannten Minderheitenschutznormen, aber bis zum Ende des ersten Weltkrieges entwickelte sich kein geschlossenes internationales Minderheitenrecht.
Das Staatensystem von Ost- und Südosteuropa hat sich nach dem ersten Weltkrieg geändert. Infolge der Pariser Vorortsverträge hörte die Anwesenheit großer multinationaler Staatengebilde in der Region bis zur Grenze Sowjet-Russlands auf. Die Türkei hat den Großteil ihres Gebietes in Europa verloren. Deutschland und Russland mussten an die neuen kleineren Nachbarstaaten erhebliche Gebiete abtreten und die Österreichisch-Ungarische Monarchie verschwand ein für alle mal von der Landkarte Europas. Sowohl die sicherheits- politischen Interessen der Alliierten Mächte als auch aber die innere Dynamik der politischen Änderungen in der Region trugen zu dieser Umgestaltung der territorialen Ordnung bei. Neue, im Vergleich zu den früheren Staatengebilden vielmal kleinere Staaten wurden gegründet, und einigen Assoziierten Mächten ist es gelungen, ihr Territorium zu vergrößern. In der Konzeption der Großmächte für die Nachkriegszeit hatte ein erhofftes Bündnis dieser Kleinstaaten die Aufgabe, dem kommunistischen Sowjet-Russland gegenüber als cordon sanitaire zu funktionieren, und ein Gegengewicht zu Deutschlands künftigen Machtbestrebungen zu bilden. Die Idee des Selbstbestimmungsrechts der Völker, die während des Krieges hauptsächlich von Präsident Wilson propagiert war, die aber auch in der Propaganda der Alliierten Mächte eine wichtige Rolle spielte, wurde den machtpolitischen Interessen der Siegermächte untergeordnet. So kam das ethnische Prinzip bei der Grenzziehung kaum zur Geltung. Infolge der Friedensverträge mussten die besiegten Staaten auch große, ethnisch homogene Gebiete abtreten, deren Bevölkerung dicht an den neuen Grenzen lebte. Diese Tatsache teilte die Staatengemeinschaft der Region. Das Ziel der meisten Besiegten war eine Revision der Grenzen, die Siegerstaaten wollten dagegen die schnelle Assimilation der neuen Minderheiten erreichen.
Die sogenannten Nachfolgestaaten, was die Prozentsätze ihrer internen Minderheiten betrifft, standen der Idee des Nationalstaates zweifellos näher, als die früheren Staatengebilde, dennoch lebte weiterhin eine große Anzahl von Menschen in fast allen Staaten, die zu irgendwelcher Minderheit gehörte.13 Obwohl in der zeitgenössischen Publizistik und meistens auch in der internationalen Politik zur Bezeichnung dieser Staaten der Begriff „Nationalstaat“ angewendet wurde, waren sich die Sachverständigen der Großmächte schon auch in Paris darüber im Klaren, dass eben dieser große Prozentsatz der Minderheiten mit der Zeit auch in der internationalen Politik zu einem destabilisierenden Faktor werden kann. Um diese Gefahr möglicherweise auf das Minimum zu verringern, entschieden sie sich für den völkerrechtlichen Schutz der Minderheiten in der Region. Bei der Ankunft in Paris waren die französischen, englischen und amerikanischen Delegationen sich schon einig, dass ein Schutz der Minderheiten unbedingt nötig wird. Sie hatten aber keine vereinbarte Konzeption.14 Der Inhalt und die Rahmen des völkerrechtlichen Schutzes wurden während der Verhandlungen in dem Komitee der Neuen Staaten und Minderheiten ausgearbeitet. Sowohl die ungarische als auch deutsche Delegation haben versucht, die Entscheidung so zu beeinflussen, dass mindestens die kulturelle Autonomie ihren künftigen externen Minderheiten vorgeschrieben wird. 15 Für das gleiche Ziel übte auch die jüdische Interessenvertretung Comité des Delegations Juvies neben den Delegationen der Siegermächte eine starke Lobbytätigkeit aus, ohne Erfolg.16
Die Minderheitenschutznormen wurden in die Friedensverträge eingebaut, und mit den assoziierten Kleinstaaten ließen die Hauptmächte Minderheitenschutzverträge unterzeichnen. Die unter die Aufsicht des Völkerbundes gestellten Verträge konzentrierten sich im Großen und Ganzen auf das völkerrechtliche Minimum der Minderheitenrechte, und bezweckten zunächst die staatsbürgerliche Gleichberechtigung jener Staatsbürger, die zu irgendwelcher Minderheit gehörten.17 Die Großmächte bewahrten sich nämlich meistens das Recht, den künftigen Minderheiten auch die theoretische Möglichkeit zu bieten, innerhalb des souveränen Staates in Zukunft als Rechtsperson auftreten zu können. Auch deshalb erkannten die Verträge die Minderheiten als Rechtspersonen beim Minderheitenschutzverfahren nicht an.
Trotz allem war es nicht einfach, die Minderheitenschutzverträge von den assoziierten Kleinstaaten annehmen zu lassen. Das Grundprinzip des Völkerbundes war die Gleichberechtigung der Mitgliedstaaten, und die Nachfolgestaaten hielten die oktroyierten Verpflichtungen mit der Idee des staatlichen Souveränitätsprinzips für unvereinbar.18 Auch sie stellten die Notwendigkeit des Minderheitenschutzes offiziell nicht in Frage, aber die Lage dieser Gruppen hätte ihrer Meinung nach mit innerstaatlicher Gesetzgebung geregelt werden müssen. Die der polnischen Regierung zur Kenntnisnahme überreichte Begleitnote Clémenceau’s fasste die Ansichten der Hauptmächte in dieser Frage zusammen. Clémenceau betonte, dass diese Art der Verpflichtungen im Völkerrecht kein Novum brächte. Er wies unter anderem auf den Berliner Kongress hin. Die Gebietsabtretungen sanktionierenden internationalen Verträge in Europa hätten traditionell solche Klauseln. Das bedeute aber die Beschränkung der Souveränität noch weitaus nicht. Die Anerkennung dieser Rechtsnormen seien viel mehr Voraussetzungen der Integration in die Gemeinschaft älterer Staaten von Europa. Die Minderheiten selbst könnten die neue Situation auch besser annehmen, wenn sie völkerrechtliche Garantie bekämen. So seien die Rechtsnormen Voraussetzungen des friedlichen Zusammenlebens der Staatsbürger innerhalb des Landes.19
Mit diesen Rechtsnormen hatten also die Hauptmächte die Absicht, die Stabilität der Nachfolgestaaten für die Nachkriegszeit zu stärken. Ihr Hauptziel war mit der Sicherung der staatsbürgerlichen Loyalität der Minderheiten der Schutz der alliierten Kleinstaaten vor dem Revisionismus der Nachbarstaaten. Das Minderheitenschutzsystem des Völkerbundes wurde also ein Element des Systems kollektiver Sicherheit.
Das Minderheitenschutzsystem des Völkerbunds bestand aus zwei Elementen: erstens aus einer Reihe von Minderheitenschutznormen, die in die Friedensverträge und Minderheitenschutzverträge eingebaut wurden, zweitens aus prozeduralen Normen, die in ihrer Summe ein Verfahren bildeten.
Die Minderheitenschutzverträge enthielten meistens identische Bestimmungen. Drei Hauptgruppen von Normen lassen sich in den Verträgen unterscheiden. Bestimmte Artikel enthielten Staatsangehörigkeitsnormen (Art. 3–6 des Vertrags mit Polen), andere materiell-rechtliche Normen zur Sicherung von Leben, Freiheit und staatsbürgerlicher Gleichheit (Art. 2 und 7–11). Eine andere Gruppe enthielt Normen zur Garantie der Ausführung (Art. 1 und 12).
Die Staatsangehörigkeitsnormen bildeten die Grundlage aller anderen Normen, so bekamen sie den Rechtswert von Verfassungen, mit denen kein Gesetz, keine Verordnung in Widerspruch stehen darf. Diese sicherten den uneingeschränkten Erwerb der Staatsangehörigkeit des neuen Wohnlandes zu, und regelten die Art und Weise des Optierens.20
Der Schutz des Lebens und der Freiheit stand allen Einwohnern dieser Staaten zu. Die Normen über die Gleichheit sind aber nur auf der Basis der Staatsbürgerschaft auszulegen. Allen Staatsbürgern, die sich aufgrund ihrer Sprache, Religion oder ihres Volkstums von der Mehrheit der Einwohner ihrer Staaten unterschieden, wurde die Gleichheit vor dem Gesetz festgeschrieben, und gleiche bürgerliche und politische Rechte, wie für die Mehrheit. Sie hatten auch das Recht, ihre eigene Sprache im privaten und im wirtschaftlichen Verkehr und auf dem Gebiet der Religion, der Presse und bei den Veröffentlichungen und den öffentlichen Versammlungen zu gebrauchen. Die Staaten waren auch verpflichtet, den Minderheiten angemessene Erleichterungen beim Gebrauch ihrer Sprache vor dem Gericht zu gewähren.
Die Verträge sicherten den Minderheiten auch das Recht zu, eigene Schulen, Wohlfahrtsanstalten, und religiöse Einrichtungen auf eigene Kosten zu gründen und zu leiten. In diesen durften sie ihre Sprache uneingeschränkt benutzen.21
Mit angemessenen Erleichterungen mussten aber die Staaten im Sinne der Verträge auch ermöglichen, dass die Kinder in den öffentlichen Elementarschulen in ihrer Muttersprache unterrichtet werden können.
Einige Dokumente enthielten auch Sonderbestimmungen zum Schutz einzelner Minderheiten. Die Verträge mit Griechenland und Jugoslawien garantierten z. B. spezielle Rechte für die islamischen Staatsbürger, und die mit Polen, Griechenland und Rumänien solche für die jüdischen Minderheiten.
Die meisten Rechtsnormen konzentrierten sich ohne Zweifel auf die individuellen Rechte der einzelnen Minderheitenangehörigen. Es gab aber einige Bestimmungen, die für kompakt gesiedelte Minderheiten eine Art der Autonomie festschrieben. Der Vertrag mit Polen räumte der jüdischen Minderheit eine Schulautonomie ein (Art. 10).22 Der Vertrag mit Rumänien sicherte den Sachsen und den Szeklern (Art. 11), und der mit Griechenland den Walachen des Pindusgebirges eine lokale Schul- und Kirchenautonomie zu (Art. 12). Der Vertrag mit der Tschechoslowakei gewährte sogar den Karpathoruthenen den Status einer territorialen Autonomie (Art. 10–13).23
Was die Frage der Garantie betrifft, musste ein Großteil der Normen nach dem Artikel 1. der Verträge in das Grundgesetz des Staates aufgenommen werden. Und der Artikel 12. stellte den ganzen Vertrag unter den Schutz des Völkerbundes.
Das Minderheitenschutzverfahren wurde nur Schritt für Schritt ausgearbeitet, und seine endgültige Form erhielt es erst im Jahre 1929.24
Im Zentrum des Minderheitenschutzverfahrens stand der Völkerbundrat, also eine politische Institution. Diese Tatsache an sich hat schon eine Menge von Kritik seitens der Minderheiten ausgelöst. Wenn ein Mitglied des Rates von der Verletzung oder von einer Gefahr der Verletzung der Minderheitenschutzverträge unterrichtet wurde, sollte es den Rat von diesem Tatbestand informieren. Der Rat war dann berechtigt, initiativ aufzutreten und gegebenenfalls auch Maßnahmen zu treffen. Nicht nur Staaten, sondern auch verschiedene Organisationen und auch die Minderheiten selbst hatten das Recht, Petitionen beim Sekretariat des Völkerbundes einzureichen. (Den Minderheiten ist es jedenfalls nicht gelungen, während der fast 20 Jahre zu erreichen, dass sie im Verfahren als Rechtsperson anerkannt werden.) In der Phase des Vorverfahrens überprüfte die Minderheitensektion des Sekretariats die Petitionen, ob sie den formellen Kriterien entsprachen. Erst danach legte es die einschlägigen Unterlagen dem Rat vor. Es lag in der Kompetenz des Rates, ob er die Garantieverfahren in Kraft setzte oder nicht. Wenn schon, dann wurde ein sogenanntes Dreierkomitee (später auch Fünferkomitee) aus den Mitgliedern (oder Beauftragten der Mitglieder) des Rates zusammengestellt, der den konkreten Fall überprüfte. Dann fing eine weitläufige Untersuchung an. Wenn ein Meinungsunterschied zwischen dem Staat und einem Ratsmitglied bestand, hatte der Ständige Internationale Gerichtshof ein bindendes Entscheidungsrecht. In der Praxis erwarb sich die Minderheitensektion des Sekretariats mit der Zeit eine Schlüsselposition. Sie war eigentlich dafür prädestiniert, weil ihre Mitarbeiter Sachverständige der Frage waren, die sich im Gegensatz zu den Ratsmitgliedern fast im ganzen Jahr in Genf aufhielten. Die Meinung der Sektionsmitarbeiter über eine Petition beeinflusste die Mitglieder der Dreierkomitees, die meistens keine Sachverständigen des Themas waren, so stark, dass das Schicksal einer Beschwerde schon oft während des Vorverfahrens entschieden war.25
Der Rat selbst war aber auch in einer schwierigen Situation. Das Minderheitenschutzsystem des Völkerbunds hing von der Kooperationsbereitschaft der Staaten ab. Ihm stand in der Praxis kein Druckmittel zur Verfügung. Unter den Rechtsnormen gab es nämlich keine zu konkreten Sanktionen für den Fall einer Vertragsverletzung. (Es darf auch nicht außer Acht gelassen werden, dass der Völkerbund selbst eine Gemeinschaft souveräner Staaten war, die die Bedeutung der Minderheitenfragen hinter die Interessen der Staaten stellten. In einer solchen Stimmung waren die Chancen der Minderheitenpetitionen schon von vornherein sehr gering.) Die Staaten fassten meistens während des Verfahrens ihre Argumente auf die Nachfrage des Rates offiziell zusammen. Die wurden überwiegend angenommen. Das Dreierkomitee führte übrigens die Verhandlungen mit den betroffenen Staaten beim Verfahren immer unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Mit Vermittlungsaktionen wollte es erreichen, dass die Staaten die Vertragsverletzungen freiwillig rückgängig machen, oder eine Kompromisslösung annehmen. Es kam vor, dass die Vermittlungsaktionen hinter den Kulissen zum Kompromiss führten, aber es gab keinen einzigen Fall, da eine Regierung wegen Verletzung der Minderheitenschutznormen vom Rat öffentlich zur Verantwortung gezogen worden wäre. Auch deswegen wurde der Ständige Internationale Gerichtshof in der Praxis nur zweimal um ein bindendes Urteil gebeten.26
Tabelle 1.
VERTEILUNG DER ZUGELASSENEN PETITIONEN NACH PETITIONÄREN27 |
|||
Deutsche in Polen |
163 |
Albaner in Griechenland |
21 |
Ungarn in Rumänien |
43 |
Deutsche in der Tschechoslowakei |
15 |
Ukrainer in Polen |
25 |
Ungarn in Jugoslawien |
12 |
Polen in Deutschland |
25 |
Mazedonier in Jugoslawien |
11 |
Die Minderheitenschutzverträge wurden von den Staaten während der Geschichte des Völkerbunds sehr oft außer Acht gelassen. Zwischen 1921 und 1938 gingen ca 1000 Petitionen beim Sekretariat ein. Ungefähr 500 davon wurden dem Rat weitergeleitet.28 Die meisten von ihnen erreichten aber keine Abhilfe. Den Statistiken nach verletzten die Regierungen die Minderheitenrechte in fast allen Bereichen des Lebens.
Tabelle 2.
VERTEILUNG DER ZUGELASSENEN PETITIONEN NACH BESCHWERDEN29 |
|||
Schulwesen |
89 |
Kultur, Vereine, Presse |
28 |
Allgemeine Diskriminierungen |
67 |
Beschlagnahme von Privateigentum |
27 |
Agrarreformen und Enteignungen |
60 |
Staatsbürgerschaft |
25 |
Arbeitsrechtliche Diskriminierung |
42 |
Sprachangelegenheiten |
23 |
Religionsfreiheit |
30 |
Gewalttätige Übergriffe |
22 |
Die Minderheitenschutznormen bekamen viele Kritiken von den Minderheiten und verschiedenen internationalen Organisationen, die sich auch mit dieser Frage beschäftigten. Man gab dem System die Schuld, dass sich die Verträge hauptsächlich auf die staatsbürgerliche Gleichberechtigung der Minderheiten konzentrierten. Auch die Argumente waren zutreffend, die behaupteten, dass das Maß des Schutzes einzelner Minderheiten unterschiedlich war. In der Karpathoukraine lebten z.B. 430 Tausend Menschen. Diesem Gebiet wurde territoriale Autonomie festgeschrieben. Die 4,75 Millionen Ukrainer Westpolens erhielten dagegen keine Art der Autonomie.30 Die Rechtsnormen waren auch nicht präzise genug formuliert. Solche Formulierungen, wie „angemessene Erleichterungen“, lieferten die Minderheiten der innerstaatlichen Gesetzgebung und den Verordnungen der Regierungen aus.
Die Minderheiten schlugen während der Geschichte des Völkerbunds oft auch die Reform des Minderheitenschutzverfahrens vor. Sie waren weder mit der Tätigkeit des Sekretariats noch des Rates zufrieden. Mehrere Vorschläge wurden in diesem Themenkreis ausgearbeitetet. Eines der wichtigsten Ziele war, dass der Rat auch die Minderheiten, wenn sie als Petitionäre auftreten, als Rechtsperson anerkennt. So hätten sie im Verfahren den Staaten gleichgestellte Parteien sein können. Diese Bestrebung war aber von je aussichtslos, weil die Hauptmächte das konsequent vermeiden wollten. Die Forderung der Öffentlichkeit des ganzen Verfahrens war auch fast 20 Jahre lang an der Tagesordnung. Eine ständige Minderheitenkommission beim Rat hielten die politischen Leiter der Minderheiten auch für wünschenswert.31 Der Rat bestand nämlich meistens aus solchen Politikern, die keine Sachverständigen waren. Einer der wichtigsten Vorschläge betraf den Ständigen Internationalen Gerichtshof. Die Rolle des Gerichtshofs war in der Praxis sehr gering. Die Entscheidungen traf der Rat, der ein politisches Organ war. Von einer Stärkung der Rolle des Gerichtshofes beim Verfahren erwarteten die Minderheitenorganisationen, dass die Entscheidungen nicht nach den politischen Interessen der Staaten, sondern nach den geltenden Rechtsnormen getroffen werden.
Alle diese Forderungen gingen nicht in Erfüllung, deshalb wurden die Minderheiten vom Minderheitenschutzsystem des Völkerbundes mit der Zeit enttäuscht. In den 30er Jahren verbreitete sich die Meinung unter den Betroffenen, dass sie vom Völkerbund nichts mehr erwarten können. Ihre Politiker hätten auf bilaterale Verträge zwischen den Nachbarstaaten viel besser vertraut.32
Im Zusammenhang mit den Minderheitenschutzverträgen tauchten viele Probleme auf. Dennoch enthielten sie wahrscheinlich immer noch das Höchstmaß der Minderheitenrechte, zu dessen Unterzeichnung die Staaten gezwungen werden konnten. Die Idee eines internationalen geschlossenen Minderheitenrechtes ist unbedingt positiv zu beurteilen. Ein System wurde so aus bestimmten Normen geschaffen, die den Staaten eine bestimmte normative Haltung ihren Minderheiten gegenüber vorschrieb. Die zugesicherten Rechte der Minderheiten wurden während des Minderheitenschutzverfahrens ohne Zweifel den Interessen der Staaten untergeordnet. (Der Rat war aber auf die Kooperationsbereitschaft der Saaten angewiesen, weil der Völkerbund keine Gewalt hatte.) Die Lage der Minderheiten konnte aber auch nicht mehr völlig totgeschwiegen werden. In einigen Fällen ist es sogar gelungen, die rechtswidrige Situation rückgängig machen zu lassen, oder einen, auch für die Minderheit annehmbaren Kompromiss zu erreichen.
Weder die Besiegten, noch die Siegerstaaten der Region waren mit dem System zufrieden. Erstere erachteten die gewährten Rechte für zu wenig, Letztere aber für zu viel. Mit der Zeit wurden aber die wirklichen Ziele der zwei Parteien eindeutig: einerseits die Grenzrevision, andererseits die Assimilierung der Minderheiten. Unter diesen Umständen ist der Hauptgrund des Mißerfolgs des Systems weder in der Unvollkommenheit der Rechtsnormen, noch in der Praxis des Verfahrens zu suchen, sondern viel mehr in der verfehlten Grenzziehung am Ende des Weltkrieges, und in den antagonistischen Gegensätzen der Staaten, die unter anderem auch von diesen Entscheidungen abzuleiten sind.
Anmerkungen
1
Die Entwicklungsphasen des völkerrechtlichen Minderheitenschutzes fassen mehrere Autoren zusammen. Balogh, Arthur: A kisebbségek nemzetközi védelme. Ludvig Voggenreiter Verlag Magyar Osztály, Berlin, 1928; Buza, László: A kisebbségek jogi helyzete. Magyar Tudományos Akadémia, Budapest, 1930; Wintgens, Hugo: Der völkerrechtliche Schutz der nationalen, sprachlichen, und religiösen Minderheiten. Verlag von W. Kohlhammer, Stuttgart, 1930; Bartsch, Sebastian: Minderheitenschutz in der internationalen Politik. Westdeutscher Verlag, Opladen, 1995.
2
Der Religionsfriede zu Augsburg 1555 anerkannte die Existenz religiöser Minderheiten, und sicherte den betroffenen Personen die Freiheit einer Auswanderung. Die Idee von cuius regio, eius religio schrieb noch keinen Minderheitenschutz im klassischen Sinne vor. Der Friede bedeutete aber eine Vorstufe des völkerrechtlichen Schutzes religiöser Minderheiten.
3
In: Parry, Clive (Edit.): The consolidated treaty series. Oceana Publications Inc., New York, 1969. Bd. 1. 119–357.
4
In: The consolidated treaty series. Bd. 6. 9–93.
5
In: The consolidated treaty series. Bd. 14. 441–493.
6
Rönnefarth, Helmut K. G.-Euler, Heinrich: Konferenzen und Verträge. A. G. Ploetz, Würzburg, 1958. Bd. 3. 161–163.
7
In: The consolidated treaty series. Bd. 27. 475–501; Bd. 42. 279–347.
8
In: The consolidated treaty series. Bd. 45. 253–267; Bd. 51. 43–53.
9
In: The consolidated treaty series. Bd. 64. 453–495.
10
In: The consolidated treaty series. Bd. 80. 327–335.
11
In: The consolidated treaty series. Bd. 153. 171–193.
12
S.o.
13
Vgl. Vitéz Nagy, Iván: Európa kisebbségei. Nemzetiségstatisztikai vázlat. Magyar Kisebbség, Lugos, 1929; Winkler, Wilhelm: Statistisches Handbuch der europäischen Nationalitäten. Wilhelm Braumüller Verlag, Wien, 1931; Galántai, József: Trianon és a kisebbségvédelem. Maecenas, Budapest, 24–33; Pándi, Lajos: Köztes-Európa, Térképgyűjtemény. Osiris-Századvég, Budapest, 1995. 340–424.
14
Die Vorstellungen der Großmächte über den zukünftigen Minderheitenschutz vgl. Viefhaus, Erwin: Die Minderheitenfrage und die Entstehung der Minderheitenschutzverträge auf der Pariser Friedenskonferenz 1919. Holzner Verlag, Würzburg, 1960. 56–74.
15
Die Theorie der personellen Autonomie hat Karl Renner in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ausgearbeitet. Sie war unter den Sachverständigen zur Zeit der Verhandlungen allgemein bekannt.
16
An der Friedenskonferenz nahmen 7 jüdische Delegationen teil. Die jüdischen Organisationen aus Osteuropa und die aus den USA haben ihre Ziele aufeinander abgestimmt. Sie forderten die Gewährung kultureller Autonomie für alle Minderheiten der Region. Die Organisationen aus Großbritannien und Frankreich begnügten sich dagegen mit der Sicherung staatsbürgerlicher Gleichberechtigung. Viefhaus, Erwin: 34–42, 74–100, 138–152.
17
Als Vorbedingung des Eintritts in den Völkerbund mussten Albanien, Estland, Litauen und Lettland eine Deklaration abgeben, indem sie die in den Minderheitenverträgen zusammengefassten Rechtsnormen auch für sich bindend anerkennen. Balogh, Arthur: 49–50.
18
Die Regierungen dieser Staaten haben gegen das Vorhaben der Großmächte mehrmals Proteste erhoben. Letztendlich mussten sie aber dem großen politischen Drucke nachgeben. Eine Ausnahme bildete die Tschechoslowakei, die mit den Hauptmächten bis zur Unterzeichnung des Vertrages ohne Probleme kooperiert hat. Galántai, József: 82–112.
19
Den Volltext vgl. Galántai, József: 193–200.
20
Der Grund des Erwerbs der Staatsangehörigkeit wurde das territoriale Prinzip. Der Anspruch durfte offiziell niemandem verweigert werden, der auf dem Gebiet des neuen Staates geboren ist. Diese Norm regelte aber die Lage solcher Personen nicht, die nicht auf dem Gebiet geboren sind, aber da wohnten. Deshalb musste das territoriale Prinzip ergänzt werden. So mussten auch diejenigen die Staatsbürgerschaft bekommen, die auf diesem Gebiet ansässig waren. Balogh, Arthur: 107–112.
21
Die Art. 2–8 erhielten den Rechtswert von Staatsgrundgesetzen.
22
Die litauische Deklaration ist noch weitergegangen, als sie der jüdischen Minderheit personelle Autonomie zusicherte. Wintgens, Hugo: 276–279.
23
Bene selbst hat dem Komitee der Neuen Staaten und Minderheiten empfohlen, die territoriale Autonomie in den Minderheitenvertrag mit der Tschechoslowakei aufzunehmen. Galántai, József: 90.
24
Das Verfahren wurde meistens durch die Resolutionen des Rates ausgestaltet. Auch die Vollversammlung des Völkerbundes hat dreimal (1921, 1922, 1923) Resolutionen getroffen, die bei der Entwicklung des Verfahrens eine Rolle spielten. Die Entwicklungsphasen des Garantieverfahrens prüfen vgl. Buza, László: 152–244; Rauchberg, Heinrich: Die Reform des Minderheitenschutzes. J. U. Kern’s Verlag, Breslau, 1930. 9–15, 24–48; Junghann, Otto: Das Minderheitenschutzverfahren vor dem Völkerbund. Verlag von J. C. B. Mohr, Tübingen, 1934. 1–105; Gütermann, Christoph: Das Minderheitenschutzverfahren des Völkerbundes. Dunckler & Humblot, Berlin, 1979; Bartsch, Sebastian: 99–181.
25
Der Direktor der Minderheitensektion war berechtigt, auf Einladung der betroffenen Regierungen in die Ländern zu fahren, und mit den zuständigen Politikern vertrauliche Gespräche zu führen. Gütermann, Christoph: 283–285.
26
In beiden Fällen hat sich das Ratsmitglied Deutschland im Interesse der deutschen Minderheit an den Gerichtshof gewendet. Nach dem Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund wurden diese von der Tagesordnung abgesetzt.
27
Bartsch, Sebastian: 104.
28
Christoph Gütermann spricht von über 950 Petitionen, von denen 550 zugelassen wurden. Nach der Meinung von Bartsch wurden nur 473 Petitionen vom Rat behandelt. Gütermann, Christoph: 346; Bartsch, Sebastian: 103.
29
Bartsch, Sebastian: 105.
30
Balogh, Arthur: 66.
31
An der Tagesordnung der Interparlamentarischen Union war das Thema in den Jahren 1922, 1923 und 1925. Auch der Verband der Völkerbundsligen beschäftigte sich 1922, 1923, 1928 und 1929 mit dieser Frage. Rauchberg, Heinrich: 39.
32
Vgl. Hasselblatt, Werner: Das Minderheitenrecht in bilateralen Staatsverträgen. Nation und Staat. 1934. Nr. 12. 728–788.
Begegnungen12_Csapo
Begegnungen
Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Band 12:257–265.
CSABA CSAPÓ
Das Szegediner Burgverlies
In meinem Vortrag gehe ich folgender Frage nach: Inwieweit entsprechen die Geschichten über Gedeon Rádays Tätigkeit in Szeged (1869–1872), nach denen er als königlicher Kommissar mit beispielloser Grausamkeit die Betjarenwelt vernichtet hat, der Wahrheit? Die Bestätigung oder das Verwerfen dieser These hätte im letzten Jahrhundert viel größere Bedeutung erlangen können, als die Beweisführung eines Geredes; es handelte sich vielmehr um einen kompletten Gedankenkreis, der mit der Vorstellung des „guten Betjaren” verknüpft war. Der Grund des Mythos war die Unbesiegbarkeit der gelobten Person, welche ausschließlich mit Verrat oder mit anderen gemeinen Mitteln niederzuschlagen war. In diese Glaubenswelt der Bauern konnte keinesfalls ein unbekannter Graf gepasst haben, der als Vorläufer einer neuen Epoche die Ungarische Tiefebene innerhalb eines Monats von den gesellschaftlichen Widerstand verkörpernden Personen, von den sogenannten „Beschützern” des armen Volkes gesäubert hat, und zwar nur mit besonders dafür ausgewählten Angestellten sowie mit dem für einen Beamten ungewöhnlichen Fanatismus. Deshalb bedürfte es einer Erklärung, was die „durch Gewähr” unbesiegbaren Betjaren zur Aussage und zum Schuldbekenntnis genötigt hat.
Die traditionellen Methoden der Geschichtswissenschaft bieten in diesem Fall keinerlei Möglichkeit zur Beweisführung, da unserem Wissen nach zur damaligen Zeit keinerlei Erhebung oder Untersuchungen in Verbindung mit dem vermuteten Missbrauch geführt wurden, die nun dokumentiert werden könnten. Es stehen uns aber viele Quellen zur Verfügung (Inventar- und Kassentagebücher, Hafthauptbücher, Todesausweise, usw.), bei denen die Methoden der Mikrogeschichtsforschung verwendend sich solche Schlüsse ziehen lassen, die unser bisheriges Wissen bestätigen, oder die es widerlegen können. Statt zielbewussten und evtl. vergeblichen Suchens, versuchen wir die Umstände und die Möglichkeiten zur Sprache zu bringen. Die in der Szegediner Burg, besonders in deren Zellen herrschenden Zustände des alltäglichen Lebens sowie die evtl. daraus resultierende Überlebenschancen der Gefangenen selbst, werden dabei gesondert hervorgehoben. Wir werden auch kurz über die Persönlichkeit von Ráday sprechen, da diese eine entscheidende Rolle im Verlauf der Geschehnisse spielt. Weitere Aspekte des königlichen Kommissariats, die Zeit vor der Inhaftierung bzw. nach der Befreiung der Gefangenen sowie die Gerichtsverhandlung als solche bleiben dabei unbeachtet. Unsere Beachtung gilt also nicht der in Untersuchungshaft verbrachten Zeit sowie dem Einfluss der Abläufe auf den Alltag.
Nochmals also unsere Frage: Warum sind während der 4jährigen Zeitperiode der Tätigkeit des königlichen Kommissariats von 1597 Gefangenen 415 Personen gestorben?
Die in der Árpádenzeit gebaute, später mehrmals niedergerissene und neugebaute Burg wurde im 19. Jahrhundert nur als Kaserne und Gefängnis verwendet. Wegen ihres Zustandes wurde sie 1856 auch aus der Festungsliste gestrichen, zu einem Abriss kam es jedoch nicht.1
Ráday kam im Januar 1869 zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit nach Szeged. Seine erste Amtshandlung war der Transport der städtischen Gefangenen aus dem Stadtgefängnis sowie eine Übertragung des Aufgabengebietes der Stadtwache, die er für unzuverlässig und bestechlich hielt, auf das Militär.2 Die unbewohnten Gebäude wurden benutzbar gemacht, die Kasematten unter der Burgmauer in kleinere Räume geteilt, die Zellen mit schweren Türen und mit Schlössern ausgestattet. An den Fenstern, die zur Stadt gingen, befestigte man hölzerne Blenden, um einen geringen Lichteinfluss von außen zu gewährleisten, es jedoch nicht zu ermöglichen, hinauszusehen. Wegen der Überwachung der Festgenommenen und der Nähe des neuen Gerichtssaals wurde innerhalb und außerhalb der Burg ein langer Zaun gebaut, obwohl „die Stiefelmacher vom Ort gemeinschaftlich zu dem Bürgermeister gegangen waren, um dagegen zu protestieren, dass ihre uralten Rechte beeinträchtigt werden sollen.”3 Sie verkauften nämlich ihre Waren auf dem dortigen Wochenmarkt.
Die gewählte Vorsichtsmaßnahme in Form eines neuen Bretterzaunes kann nicht als überflüssig betrachtet werden. Die örtliche Presse berichtete nämlich in eineinhalb Jahren über insgesamt vier Fluchtversuche: beim ersten Mal versuchten drei Gefangene durch den Schornstein zu fliehen, ein andermal ist durch die Burgmauer ein Loch gegraben worden, bzw. nach einer gelungenen Flucht wurde der Räuber in Arad festgenommen. Trotz allem hat man den nicht Ungarisch sprechenden Soldaten von galizischem Ursprung mehrmals eine Belohnung zukommen lassen, manchmal wegen der Verhinderung der Fluchten, manchmal wegen der Anzeige des Bestechens, oder einfach wegen des musterhaften Dienstes im Dezemberschneesturm.4 „Der ehrenhafte Böhme gehört genau auf diesen Platz – hat der Berichterstatter der Szegediner Zeitung „Hon” geschrieben – er kennt keinen höheren Anspruch als das Schnitzel und den Seidelwein, so kann er nicht bestochen werden; er folgt nur dem Befehl seines Vorgesetzten, demzufolge kann er nicht irregeleitet werden; und er sieht alles Schwarz auf Weiß.”5 Die sprachliche Differenz und dadurch die Erschwerung einer Wärter-Häftling-Beziehung haben aber nicht nur die Korruption verhindert, sondern einmal eine schwere Tragödie verursacht. Im Dezember 1870 forderte ein Wärter die sich der auf der verbotenen Promenade neben der Burg nähernden Personen fünfmal vergebens zum Stehenbleiben auf. Diese verstanden den Befehl nicht und so forderte der darauf folgende Waffengebrauch ein Todesopfer.6
Bei der Anordnung der Burggebäude handelt es sich um eine örtliche Gegebenheit, die – je nach Bedarf – vielleicht verändert werden kann. Sie spiegelt jedoch keinesfalls eindeutig die Ziele und Bestrebungen ihrer Benutzer wieder oder weist auf deren Persönlichkeit hin. Unter den offiziellen Dokumenten ist es außerordentlich schwierig, solche Quellen zu finden, die zumindest teilweise diesem Mangel abhelfen. Weil es sich aus ihrem Charakter ergibt, sind sie meistens streng mit der Amtsführung verknüpft. Im Falle des Szegediner königlichen Kommissariats bestand aber den strengen und regelmäßigen finanziellen Revisionen zufolge ein besonders ausführliches Beschaffungsinventar, in dem alle Gegenstände angegeben waren, die aus dem Staatbudget gekauft wurden.7 Ein bei der Liquidierung des königlichen Kommissariats aufgenommenes Protokoll bekam den Namen „nicht inventarisierte Gegenstände”, und enthielt wahrscheinlich die vom Militär nach Abzug verbliebenen Mittel.8
Der Umfang der zu beschaffenden Gegenstände, die sich aus dem Ziel der Untersuchungen und des Gefängnisses ergeben, ist begrenzt. Meiner Meinung nach kann der Charakter der Personen, die die Untersuchungen geführt oder das Gefängnis im Betrieb gehalten haben, dort aufgedeckt werden, wo auch die Qualität in den Vordergrund gestellt wird. Hiermit denke ich z.B. an die Möbel der Büros, an die Einrichtung des Gefängnisses sowie an deren Zahl und Qualität.
Es lohnt sich deshalb, die Büros des königlichen Kommissars zu untersuchen, denn sie verraten ziemlich viel über die Denkweise von Ráday. Das Inventar des Zimmers, das im Gebrauch des Grafen stand, war wie folgt: eine mit schwarzer Wachsleinwand bezogene Couch, 2 mit schwarzer Wachsleinwand bezogene Sessel, ein polierter Schreibtisch, ein mit Furnierholz bedeckter Schreibtisch und ein kleinerer Tisch, 2 Buchregale, ein Schrank, 2 Rohrsessel (einer davon mit Lederrücklehne), eine Pendeluhr, ein Tintenfass aus Stein, das Porträt von Franz Joseph, die Landkarte Ungarns, ein Papierkorb aus Eisen, ein grüner Vorhang an der Tür sowie ein Federwisch.
Die Liste ist relativ kurz aber vielsagend. Man kann schon auf den ersten Blick sehen, dass die Büros des königlichen Kommissars, der auf einem riesigen Gebiet mit unbeschränkter Kompetenz Maßnahmen getroffen hat, dem Obergespan Befehle ausgeteilt hat, und der – aber überwiegend vielleicht aus Zwang – ziemlich viel repräsentiert hat, vorsichtig ausgedrückt puritanisch sind. Das gleiche gilt in erhöhtem Maße für das Büro des Sekretärs. Im Inventar sind die Einrichtungsgegenstände des Dienerzimmers angegeben, aber später wurden diese gestrichen, weil er das Zimmer eher mit seinen eigenen Gegenständen möbliert hat. Dies ist ein Hinweis dafür – und dies wird von der ganzen Persönlichkeit von Ráday suggestiert –, dass sich dort alles nur um Arbeit dreht, zumal er selbst Unbequemlichkeiten in Kauf nimmt, die er auch von anderen erwartet. Diese Tatsachen charakterisierten die ganze Tätigkeit des königlichen Kommissariats, und das in dieser Epoche außergewöhnliche Arbeitstempo hat mehrmals spürbares Befremden bei den Landesbehörden erweckt, wo man bisher überwiegend mit gemütlicher Gelassenheit Maßnahmen getroffen hat.
Der charakteristische Gegenstand der Einrichtung ist das Porträt von Franz Joseph, was unter den Amtslokalen – ausgenommen Rádays Zimmer – nur im Gerichtssaal zu finden war. Die Erscheinung des königlichen Porträts symbolisiert einen über meine Arbeit weit hinausweisenden Prozess, und macht uns auf einen der größten Widersprüche der Anfangsepoche des Dualismus aufmerksam. Es hat einerseits einen pflichtbewussten Beamten gegeben, dessen Ernennung der König bestätigt hat. Somit ist von ihm die Loyalität dem König gegenüber zu erwarten. Deren Erscheinung im Gerichtssaal gewinnt aber schon einen bedeutenden weiteren Sinn und kann die Kraft des Bildes, das im Büro des königlichen Kommissars hängt, verstärken. Die zwei Bilder zusammen verpflichten nämlich nicht mehr zur passiven Annahme, sondern sie bewegen eher zur aktiven Handlung. Es genügt nicht, das Urteil des Gerichtes hinzunehmen, sondern man soll bedingungslos so handeln, wie der Vermittler des königlichen Willens, Ráday, es von einem erwartet. Diese These kann auch durch die Annahme bekräftigt werden, wonach 1869/70, in den ersten Jahren nach dem Ausgleich, die Aushängung der königlichen Porträts eher als ein Drohmittel, das das Ausführen der Befehle betont, als eine bedingungslose Verehrung betrachtet wird. Beim inneren Kampf des einerseits seinem König gegenüber loyalen Beamten und andererseits den Freiheitskrieg als Kavallerieleutnant neben Lázár Mészáros, Dembinsky und Bem zu Ende Kämpfenden, nach dem Ausgleich Deák-Unterstützer, aber gleichzeitig mit Kálmán Tisza eine enge Freundschaft pflegenden Politikers, setzte sich eindeutig die Pflichterfüllung durch.
Unter den Einrichtungsgegenständen des Burgbüros soll in erster Linie die „Steindruckerei” hervorgehoben werden. Sie hat deshalb eine Bedeutung, weil sie mit einem weit verbreiteten Glauben verknüpft ist, und die Arbeitsmethoden der Angestellten von Ráday gut illustrieren kann. Laut Ferenc Móra hat der Untersuchungsrichter Laucsik im Gefängnis Zeitungen in einem Exemplar gedruckt, um mit den falschen Nachrichten darin Sándor Rózsa, den berühmtesten Betjaren irrezuführen und ihn zum Geständnis zu bringen. Der Plan sollte gelingen, und Sándor Rózsa könnte nur so gebrochen wurden. Es kann bewiesen werden, dass er weder schreiben noch lesen konnte. Wir wissen noch, dass er in Szeged immer 1–2 Zellengenossen hatte, also theoretisch bestand die Möglichkeit, dass ihm Zeitungsartikel vorgelesen werden.9 Das Dasein der Druckerei an sich beweist natürlich nichts, aber es gab eine Möglichkeit zum Drucken der Zeitung. Die Kassentagebücher beweisen aber, dass die Druckerei zu einem bestimmten Zweck verwendet wurde, denn ein Schreiber hat monatlich wegen der Handhabung der „Lithographia” 10 Forint Zulage bekommen, und 1871 hat man 361 Forint für die Kosten der Druckerei gezahlt. Die zur Amtsführung nötigen Formulare wurden aber zur gleichen Zeit aus einer Pester Druckerei geholt.
Der bemerkenswerteste Teil des Inventars ist zweifellos die Einrichtung des Gefängnisses. Die Zellen wurden wahrscheinlich nach gesellschaftlichem Rang und vielleicht nach der Gefahrenstufe der Gefangenen in Klassen I–IV eingeordnet. Dieser Annahme könnte jedoch die Tatsache widersprechen, dass es sich in vorliegendem Fall um die Untersuchungshaft handelt, d.h. die vom Gericht verurteilten Personen wurden in absehbarer Zeit (schlimmstenfalls nach 3–5 Monaten) wieder abtransportiert. Innerhalb dieses Zeitpunktes differenzierten die ungarischen Gefängnisse jedoch nicht nach dem Grad der Gefährlichkeit der jeweiligen Gefangenen. Das Inventar der Gefängniseinrichtung ermöglicht es nur bedingt, Rückschlüsse auf das Fassungsvermögen der einzelnen Zellen zu ziehen. Obwohl über die Anzahl der Personen nirgends ein Hinweis zu finden ist, kann man jedoch anhand der angegebenen Zahlen der Strohsäcke auf die Anzahl der Gefangenen schließen.
Zu dem Gefängnis der ersten Klasse gehörten 20 Zellen, insgesamt mit 124 Gefangenen; in den Zellen wurden 2–13 Personen untergebracht. Zu der Ausrüstung der Zellen gehörten je ein Zuber und eine Wasserkanne, an zwei Stellen ein Bettuch, in einer Zelle ein Kübel, an vier Stellen eine Decke (z.B. auf 10 Personen entfällt 1 St., und auf 11 Personen entfallen 2 St.), in fünf Zellen Öfen (in zwei Zellen davon gab es auch Decken, also in dieser Kategorie deuteten sie auf einen „hervorgehobenen” Raum hin). Im Allgemeinen gab es in jeder Zelle ein Bett, dessen Länge 1 Klafter (= 1 m 90 cm) war. Die Breite wurde so bestimmt, dass alle Personen 60–80 cm hatten, d.h. insgesamt konnte es sogar 5–8 m breit sein. Die Gefängnisausrüstung zweiter Klasse hat sich von der 1. Klasse in nichts unterschieden, aber in 24 Zellen wurden nur 77 Gefangene untergebracht, in jeder Zelle 2–6 Personen. Im Gefängnis dritter Klasse war die Zahl der Häftlinge in den Zellen ein bisschen höher, aber die bessere Ausrüstung kompensierte dies. An 11 Stellen gab es Decken, an 15 Stellen Öfen und praktisch in jeder Zelle eine Waschschüssel.
Das Gefängnis vierter Klasse unterschied sich von dem obengenannten „nur” darin, dass die Zahl der Decken (15) und der Öfen (20) noch höher war. In der Burg wurden monatlich bedeutende Summen für das Verglasen von Fenstern bezahlt, wobei sich jedoch heute nicht mehr nachvollziehen lässt, ob die ausgeführten Arbeiten auch die Zellen selbst oder lediglich die Büros betrafen.
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass ein höheres Niveau der Zellen nicht unter dem Aspekt der Bequemlichkeit, sondern unter dem Aspekt der Anzahl der vorhandenen Öfen und Decken zu sehen war, die eine höhere Überlebenschance gewährleisteten. Das Gefängnis wurde also nicht nach Bequemlichkeit, sondern nach Einfachheit und Zweckmäßigkeit, wie etwa die Büros, eingerichtet. Der Vergleich des Zellenniveaus des Szegediner Gefängnisses mit den staatlichen Strafanstalten kann das bisherige, vielleicht negative Bild gewissermaßen verändern. In Szeged sind durchschnittlich weniger als 10 Personen pro Zelle zu finden. Nach einer Aufnahme von 1866–67 wurden in Munkács 8–86 (!), in Szamosújvár 20–48, in Lipótvár 8–38 Personen in einer Zelle untergebracht.
Neben der niedrigen Zahl der Gefangenen muss es unbedingt als Fortschritt beurteilt werden, dass die Häftlinge in Klassen eingeordnet wurden, obwohl – wie schon gesagt – wir nicht wissen, nach welchen Kriterien. Nur eins ist sicher, dass die Frauen auf einem von Männern abgeschlossenen Gebiet der Burg, und die vornehmen Gefangenen nicht in den Kasematten, sondern in einem separaten Gebäude untergebracht wurden. Wir können ebenso annehmen, dass die Mütter, die – den damaligen Gewohnheiten entsprechend – ihre Kinder ins Gefängnis mitbrachten, in besser ausgestatteten Zellen eingekerkert wurden. Gegen diese Vorstellung spricht – aber vielleicht kann es als ein Hinweis auf die von dem Gewohnten abweichende humane Denkweise des Gefängnispersonals betrachtet werden – eine Kassenrechnung, mit der im Mai 1871 44 Ft. „für den Transport von Kindern der weiblichen Strafgefangenen in die Pester Kinderkrippe” bezahlt wurden.10 Ein anderes Mal sollte eine Frau mit ihrem Kind nur eine einzige Nacht im Gefängnis verbringen. Solche kurze Aufenthaltszeit kam in viereinhalb Jahren – solange die Gefangenen festgenommen waren – nie mehr vor. Zum Vergleich lohnt es sich zu betonen, dass es in Szamosújvár keine Separierung gab. In Munkács berücksichtigte man mehrere Unterscheidungsmerkmale. Als Grundlage wurde die Religionszugehörigkeit beachtet, da zur selben Zeit 52 Zigeuner, „die mit den anderen Gefangenen nicht auskommen konnten”, im Keller eingekerkert wurden. Des Weiteren war der Bildungsstand und das Alter der jeweiligen Gefangenen – ähnlich wie in Lipótvár – ausschlaggebend für die Trennung über Nacht.
Die in vorläufige Haft genommenen und in der Szegediner Burg inhaftierten Personen wurden vor allem einem kurzen Verhör unterworfen. Ihre Personaldaten wurden aufgenommen und sie wurden über ihr Verbrechen befragt. Sie sollten ihre Kleider gegen durch Stempel markierte Sträflingsanzüge tauschen, die sie von diesem Zeitpunkt an bis zu ihrer eventuellen Befreiung nicht mehr auswaschen durften. Es bestand keinerlei Möglichkeit mehr zum Waschen und Rasieren, und jegliche Kontakte zur Außenwelt wurden abgebrochen. Mangelnde Hygiene war in den ungarischen Gefängnissen üblich. Meist wurden die Gefangenen ausschließlich auf ärztliche Anordnung gebadet. Das Rauchen war wegen Feuergefahr verboten, obwohl die Öfen mit Holz geheizt wurden. Die Zeit verging im Gefängnis langsam, nur der tägliche Spaziergang, der nur einige Minuten lang dauerte, hat die Monotonie gemildert. Aber bei dieser Gelegenheit sollten die Gefangenen eine schwarze Maske tragen – so versuchte man die Kontakte zwischen ihnen zu verhindern. Von Anfang an gab es viele Beschwerden über die Qualität und Quantität der Speisen, deshalb wurde das Kostgeld pro Kopf zwischen 1869 und 1872 um ca. 40 Prozent erhöht.11 Obwohl die Qualität unterschiedlich war, bekam jeder täglich 0,5 kg Brot, einen Teller Suppe und sonntags sogar etwas Rindfleisch. Die Gefangenen erhielten einmal am Tag Nahrung – ebenso wie in anderen staatlichen Gefängnissen, sogar die Portionen stimmten. Trotzdem ließen sich mehrere Häftlinge von ihren Verwandten Essen bringen.
Man versuchte, die mangelhafte Ernährung durch verbesserte Versorgung im medizinischen Bereich zu ersetzen. Das Gefängnis besaß einen eigenen Arzt sowie eine Spitalsabteilung und monatlich wurde eine enorme Summe in die Beschaffung von Medikamenten investiert. Offizielle Meldungen sowie Materialrechnungen jedoch dokumentieren, dass der Anschaffung von mehr Fleisch, frischem Gemüse sowie von Schnaps und Wein im Interesse einer Verbesserung des körperlichen Zustandes der Kranken mehr Bedeutung beigemessen wurde als dem Kauf von Medikamenten.
Nach diesem kurzen Überblick über die Ausrüstungsbedingungen sowie die Haftumstände ist es unbedingt notwendig, sich die von der Untersuchungshaft betroffenen Personen näher anzusehen, da deren Abstammung und bisherige Lebensumstände verdeutlichen, mit welcher psychischen und physischen Kraft sie die außerordentlich lange und oft ungerechte Haft ertrugen.
Die in Szeged inhaftierten Personen hatten im Allgemeinen die gleiche gesellschaftliche Position wie der übrige Landesdurchschnitt. Die als „Tagelöhner, Knecht und Ackerbauer” bezeichneten Personen bildeten die größte Gruppe, die fast 57 Prozent aller Verdächtigten ausmachte. Die überwiegende Mehrheit der von der Landwirtschaft Lebenden wurde des Diebstahls, in geringerem Maße des Raubes und des Mordes verdächtigt. Wir müssen diese Tatsache deshalb betonen, da diese Daten beweisen, dass die Relativität der Schuld in dieser Gesellschaftsschicht besonders berücksichtigt wurde. Als Schuld wurde in erster Linie nicht die Übertretung des Gesetzes, sondern die Verletzung eines von einer klar abgrenzbaren Gruppe aufgestellten Normsystems gehalten. Dieser Vortrag beabsichtigt nicht deren detaillierte Vorstellung, aber die Hervorhebung eines Beispiels lohnt sich vielleicht dennoch. Die Wertung eines Diebstahles unterschied sich vom Lande zur Stadt, von arm zu reich, und bei den Hirten wurde es sogar eindeutig als „Mannesmut” angesehen. So charakterisierte ein alter Richter z.B. die Hirten: „Alle, die mehr als zehn Jahre als Hirten gearbeitet haben, können ruhig aufgehängt werden.”12
Unter den Verhafteten ist das Verhältnis der Anzahl der Handwerker mit Fachausbildung gegenüber der Anzahl der von der Landwirtschaft Lebenden außerordentlich niedrig. Bei den Händlern jedoch ist es umgekehrt. Somit kann erklärt werden, dass diese Gruppe über einen sehr ausgebreiteten „Bekanntenkreis” verfügte. Sie haben also als Hehler einen bedeutenden Teil des Gewinns aus gestohlenen Waren abgeschöpft. Ihre Wertigkeit, die sie innerhalb der Kriminalität spielten, war viel größer als ihre Anzahl. Somit wurde ihnen Rádays besondere Aufmerksamkeit zuteil. Bei der Analyse der Gefangenen erscheint als neues Element eine Gesellschaftsgruppe, die nicht mehr nur nach Berufs-, sondern auch nach ethnischen Charakteristika definiert wurde: das Judentum. Seine bestimmende Rolle im Handel Ungarns kann ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts nachgewiesen werden. Nach einem Jahrhundert wurde das Wort „Jude”auf einem bedeutenden Gebiet des Landes als Synonym für „Handelsmann” verwendet. Ihr Anzahl ist gemäß den Volkszählungsdaten von 1870 und gemäß dem Händlerverhältnis unter den Verhafteten gleichfalls 3,5 %, aber wegen der erwähnten Rolle ist ihre Bedeutung viel größer. Damit kann man erklären, dass Ráday neben den mit bestimmten Gebieten verbundenen Banden (z.B. an Kecskemét, Szeged), nur eine nach ethnischen-religiösen Erkennungszeichen definierte Gruppe gefunden hat: die jüdischen Handelsleute.
Unter den auf die Gerichtsverhandlung wartenden Gefangenen in der Szegediner Burg fehlte absolut die traditionelle Elite des Landes. Demzufolge konnte ihre Rolle, die auf Privilegien beruhte, den Stand der niedrigen Mittelklasse, des engen Kreises der Lehrer sowie der Grundbesitzer übernehmen. Diese Privilegien bedeuteten in der Praxis, dass die Untersuchungshaft kürzer, die Haftumstände besser waren.
Die gesellschaftliche Zusammensetzung der verhafteten und im Gefängnis gestorbenen Häftlinge zeigt keine bedeutenden Unterschiede. Die Abstammung kann nicht als entscheidend betrachtet werden, denn nach den Daten wurde der Unterschied bei der Ernährung, Hygiene und den besonderen Lebensumständen auf lange Sicht ausgeglichen. Ebenso bestand kein Unterschied im Alter. Das Durchschnittsalter der Inhaftierten betrug 40,5 Jahre, das der Verstorbenen 41,5 Jahre. Besonders hervorzuheben ist hierbei die Altersklasse der 31–41-jährigen.
Abschließend möchte ich eine kurze Zusammenfassung meines Vortrages bieten: Die fast 1600 inhaftierten Personen wurden in einem Gefängnis untergebracht, das für den Aufenthalt von Menschen gänzlich ungeeignet war. Ein Versuch, die Zellen bewohnbar zu machen, scheiterte. Die Haftumstände waren unmenschlich, die Zellen feucht und dumpf, die Ernährung war nicht ausreichend. Es gab keine Waschmöglichkeiten, und die Gefangenen tranken das schmutzige Flusswasser der Theiß. Ich habe keinerlei Beweise dafür gefunden, dass die Gefangenen physisch verletzt oder gequält worden wären, obwohl nicht auszuschließen ist, dass die Ermittlungsbeamten alle vorstellbaren Mittel des Seelenterrors angewandt haben. Es kam vor, dass den hungrigen Häftlingen salziges Fleisch angeboten wurde und sie danach mehrere Tage kein Wasser zum Trinken bekamen. Oder Frau und Kinder wurden verhaftet, und, nachdem das Familienoberhaupt ein Geständnis abgelegt hat, wurde seine Familie freigelassen. Ich könnte noch weitere Beispiele anführen, aber die meisten Leute waren ebenso von der Aussichtslosigkeit ihres Schicksals, wie auch von den Umständen des Gefängnisses betroffen. Die meisten wurden aufgrund einer schriftlichen Anzeige oder aufgrund des Geständnisses eines ihrer Feinde verhaftet und es war ungewiss, wie lange die Untersuchungshaft dauern würde oder wann die Gerichtsverhandlung stattfände – falls sie überhaupt stattfindet. Die 1869 verhafteten Personen haben durchschnittlich 36,4 Monate, die von 1870 26,6 Monate, und die im Jahr der Auflösung des königlichen Kommissariats, 1872, 10 Monate im Gefängnis verbracht. Anhand der Gruppierung der Todesfälle nach dem Verhaftungsjahr wird ersichtlich, dass von den Personen, die in den ersten zwei Jahren verhaftet wurden, 41–43 % gestorben sind, später nur 19 %, und im letzten Jahr nur 4,5 %. Die ärztlichen Meldungen erwähnen nur sehr wenige Todesursachen, aber davon stehen Krankheiten aufgrund schlechter Ernährung und ungesunder Unterbringung an erster Stelle.
Diese Daten bestätigen also, dass die Zusammenwirkung der schlechten Umstände des Gefängnisses und der Untersuchungshäftlinge die außerordentlich vielen Todesfälle verursacht haben, und nicht die Atrozitäten von Gedeon Ráday oder die in Szeged entwickelten Martergeräte. Der Mythos hat jedoch sein Ziel teilweise erreicht: die Allgemeinheit betrachtet Sándor Rózsa als Verkörperung des guten Betjaren und als Beschützer des armen Volkes.
Anmerkungen
1
Világ, 25. Apr. 1923; A Hon, 11. Mai 1870. reggeli kiadás [Morgenblatt]
2
Magyar Országos Levéltár, Szegedi Királyi Biztosság [Ungarisches Staatsarchiv, Ráday Akten] (=MOL K 151) 1. cs. 1869. 10. sz. Nr. 10
3
Szegedi Híradó, 13. Apr., 1870., 27. Juli 1870
4
MOL K 151 Bd. 79–81.
5
A Hon, 12. Mai 1870. reggeli kiadás [Morgenblatt]
6
Szegedi Híradó, 2. Dez. 1870
7
MOL K 151 Bd. 82.
8
MOL K 151 39. cs. Ad. 19. Meln. 1874.
9
Világ, 8. Mai 1923; A Hon, 15. Mai 1870
10
MOL K 151 Bd. 79.
11
MOL K 151 Bd. 77., 78.
12
Közrendészeti Lap, 22. Mai 1870
Begegnungen12_Cieger
Begegnungen
Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Band 12:335–349.
ANDRÁS CIEGER
Governmental Corruption in East-Central European History
The topic of this paper is an effort to describe the anatomy of corruption accusations against governments with special regard to East-Central Europe and to show their international characteristics and differences among the countries throughout the 19th century and in the first half of the 20th. For the sake of a thorough comparison I have included some cases in England and France.
For the research I used different types of sources: articles on history and politics, monographs, different data bases (archives)1, daily newspapers etc. In spite of the wide range scale of sources, particular chapters and paragraphs written on each country and period are insufficient. During the socialist period East-Central European researchers could not deal with the phenomenon of corruption and since the changes of regime in 1989–1990 works covering the history of corruption in the area have not yet been written. For example, we have several monographs about corruption in the 17–20th centuries in England but only a few articles have been published on the theme in this region. It is important to mention that very few specialised books with a modern attitude have been published in foreign languages about the political history of post-socialist countries, and usually those could not reach Hungary. It is typical that the countries (and libraries) of the area have not been specially interested in each other’s past and problems and in acquiring books about them. Finally, I have to remind the reader of the fact that I can give only a stunted representation of reality. On the one hand, it is evident that governmental corruption involves more cases than brought to light. On the other hand, we cannot establish a ranking list of the countries on the basis of the number of cases mentioned in this paper since the number of scandals can also imply the impact of publicity, the strength of the courts or the conditions of the sources.
Because of the scarcity of sources on governmental corruption, I have adopted a broad definition of corruption in my work: „behaviour which deviates from the formal duties of a public role because of private-regarding (personal, close family, private clique), pecuniary or status gains; or violates rules against the exercise of certain types of private-regarding influence.”2
Typology of Governmental Corruption
The types of political corruption were essentially the same in Eastern and Western Europe. The differences lay in the time when a certain type of corruption played a decisive role in a history of a given country.
(1.) The most widespread form of political corruption was the electoral one. It is important to emphasize that, in opposition to the other forms, in periods of elections it is the political elite who attempted to bribe the society. This type has age-long traditions in England. Researchers have already analysed in depth the characteristics of „rotten boroughs”, the deception of the voters and the manipulation of electoral procedures.3 From the beginning of the 19th century, however, we can observe the decreasing importance of electoral corruption. The world of the Old Corruption characterised by the total domination of a narrow political clique, the vigorous patronage system and the enormous burden of taxes had ended. The elite realised that its power could be preserved and revolutions could be avoided only by economic reforms (free trade, tax reductions, cheap government etc.), and the gradual extension of political rights.4 The reform of the electoral districts, the extension of franchise and the introduction of secret voting developed a new voting behaviour and a new way of policy-making, which replaced the old system and political culture. The huge number of new voters made it necessary to build up party organisations, to formulate detailed party programmes and to transform the electoral campaigns (the election in 1885 was the first when the main role was reserved to the parties). The electoral reforms and the anticorruption laws decreased the possibility of electoral corruption to the minimum. The Corrupt Practices Prevention Act in 1854 punished bribery, ‘treating’, coercion etc., while in 1883 the Corrupt and Illegal Practices Act limited campaign expenses, increased the fees and defined the role of party agents. After 1883, election affairs occurred very rarely (the last more significant one was in 1906).5
In France, the number of eligible voters became higher and higher and in 1848 the franchise was extended to all males over the age of 21. In spite of that, electoral corruption has not disappeared from France as the alternating political leaders always tried to influence the elections in order to consolidate their power. Before 1848, the elite tried to manipulate electoral procedures by modifying the rules, excluding voters from electoral lists, frauds in vote counting, gerrymandering, paying the travel expenses of pro-government voters etc. After 1848, Napoleon III proceeded to the revision of the electoral law (extension of the six month residency requirement to three years), revoked the National Assembly’s right to investigate irregularities and also considered the direct manipulation of the voters important. The Catholic elementary education was made obligatory and official candidates supported by all means available to the administration were set up. Electoral corruption was repressed after the fall of Napoleon III in 1870, although election campaigns were regulated by the legislation only later.6
In Hungary electoral corruption existed until 1947. The elite, which took power after 1867, was regularly accused of corruption by both the opposition and foreign countries. In spite of that, the elite was continually restricting the number of eligible voters and did not investigate corruption cases. The elite, in opposition to general European trends, did not dare to extend the franchise to national minorities (who included nearly half of the total population) and was violently fighting against the opposition. It was afraid that universal suffrage would result in the disintegration of the Hungarian political regime. Yet, the national minorities usually voted for the ruling party. Between the two World Wars the politicians tried to prevent the strengthening of the left- and right- wing extremists by corruption and by the limitation of franchise. Universal suffrage and secret voting only existed between 1918 and 1922. In the period of the elections wining and dining and transporting the voters to voting places, bribery, exclusion of voters from the electoral list, fraudulent vote counting and the intervention of local administration were the general practice. Secret ballot was reintroduced in 1938 but, at the same time, franchise was restricted. According to the researchers the most corrupt constituencies were in the areas with mixed populations.7
The situation was the same in Rumania and in independent Czechoslovakia and Poland established after the First World War. These countries were, in principle, parliamentary democracies. Nevertheless, power was in the hand of a narrow elite continually deceiving and intimidating the voters and the opposition while the constitutional system was weakened by frequent crisis.8
To sum up, we can state that in Western Europe electoral corruption definitely ceased by the second half of the 19th century, while in Eastern Europe it still survived a century later.
(2.) From the middle of the 19th century, in the period of industrialisation and urbanisation, a new type of political corruption became general: governments developed closer and closer relations with figures of economic life; bankers, managers of industrial companies needed politicians who could provide them big contracts or loans and, at the same time, the political elite needed money for the functioning of the political system. This was a great sociological change: politicians did not ‘live for’ politics – they ‘lived off’ it. But this relationship implied large risks: the chance of failing increased, but on the other hand, the possible profit was enormous. Scandals of the period were named after the Panama scandal which broke out in 1892 in France. Previously, ministers (for example Teste, Cubieres) had to resign for having given industrial licenses for bribes but the Panama scandal covered the whole political elite and undermined the prestige of the Third Republic. The elite was accused of having voted a lottery loan for the Panama Company for bribes.9
In England, there was an even closer relationship between politicians and businessmen. In the first years of the 20th century more than half of the ministers of the Salisbury government held directorships in public companies. In 1912 the case of a big telegraph company, which had won a state contract while several ministers had shares in it, was cleared up (Marconi affair). During the First World War, many businessmen became leading officials, ministers (so-called businessmen-cum-ministers). It could even occur that officials continued their civil professions during the period of their government work.10
In Hungary, accusations against government members were made in the 1870s in connection with large-scale railway and urban construction (ministers were accused of orienting the railway lines towards their estates, or of making the state buy up their properties). The opposition found the most injurious that the state contracts were signed without public and controllable tenders. For example, a Belgian building contractor wanted to bribe the Hungarian under-secretary of Transports with 40 000 forints to get a profitable railway concession (the case was made public by the politician). Several politicians became members of different railway boards of directors in exchange for having voted considerable state subsidies for the construction.
Between the two World Wars in East-Central Europe, most of the scandals were caused by selling export and import licenses (the accusations were directed especially against the leaders of the Ministry of Trade and of Agriculture). This phenomenon had several causes. On the one hand, the new states of the region that emerged in the 1920s gave up the principle of free trade: they protected their national economics by high custom duties and restricted the import of foreign articles. As a consequence, however, shortages of several goods came about and the national products became more expensive because of the high production cost (higher than abroad). On the other hand, the beginning of the 1930s was marked by the shortage of products and money due to the Great Depression. Governmental corruption derived from the following practices: companies bribed officials to get trade licenses or officials turned a blind eye to the trade of unlicensed products in return for bribes.11
In 1924 the President of the Czech Senate, Karel Prasek, was forced to resign because he had embezzled large sums of money as the director of a distilling company (he avoided paying the tax with the help of the Ministry). In Rumania the illegal trade of spirits (‘spirit negru’) by politicians and officials became public in 1931. Cases of 400 officials from the Ministry of Finance were examined for financial abuses. A Select Committee in Parliament was formed, but several of its members were allegedly implicated in the affair. Besides the illegal trade of spirits the press also accused politicians of trafficking with state forests, corns and petrol for their personal profits.12
(3.) The trade of honours and decorations was also a widespread practice during the period. This form of corruption was known and accepted Europe- wide. By buying honours, the members of the new and strong economic elite of the age of capitalism could enter into the traditional political elite. First, I can mention the case of the Hungarian under-secretary of Home Affairs, count Zichy Ferraris. In 1879 he was accused by the opposition press of abusing his authority and relations for personal enrichment: as an example, he was thought to obtain honours, baronies and building licenses in return for money. In 1887 the so-called Wilson scandal broke in France. The police discovered that high-ranking officials and senators were trafficking in honours. The son-in-law of President Jules Grévy, Daniel Wilson, was also implicated in the affair as he used the presidential seal for trafficking.13 The practice of selling honours and decorations was also widespread in England, according to the rumours there was a regular tariff. Honours were obtained especially by businessmen who financially supported the parties. The Liberal Party led by Lloyd George disposed over a party fund of 1,500,000 pounds (‘Lloyd George Fund’) which had mostly come from the selling of honours.14
(4.) The main cause of governmental corruption, besides private gains, was the unsolved issue of party financing. In England, nearly every party maintained itself from secret funds, licenses and honours sold for bribes. In Hungary, during the elections in 1910 László Lukács the Minister of Finance at that time accepted money for the ruling party, and in 1921 the Hungarian Smallholders’ Party covered its expenses by selling export licenses. In consequence of the illegal trade of spirits in the 1920s, more than 10 million crowns were allegedly transferred to the Czech ruling parties. In 1928, the Polish Minister of Finance, Czechowitz had to resign because he had given an extraordinary credit of 8 million zloties for the election campaign of the ruling parties.15
Targets of accusations
The target of accusation can be a particular government politician whose accusers (his enemies or the press) want his fall because of personal affronts. For instance, in 1872 the Hungarian Prime Minister, count Menyhért Lónyay, was attacked with corruption accusations by the opposition for one year (until his resignation), for villa-building and railway concessions, while other members of his cabinet were not accused. Most often these accusations were formulated during the election campaigns or intense political situations. Generally, the accusers questioned the personal honesty and reputation of the given politician, trying to exclude him from political competition in this way.16 Corruption often concerned the whole political elite. In these cases, accusations were formulated by the persons left out from business, for example, the leaders of companies which had not received licenses or politicians who had not shared in the bribes. Details of the affairs could reach the press or the radical MPs by chance. For instance, in the Panama scandal more than 100 MPs among whom 6 former and 2 ruling ministers were accused. The other famous corruption case of the period was in 1933–1934 and it also involved the whole French ruling class. A Ukrainian impostor, Alexandre Stavisky, embezzled several million franks but was never arrested because of the protection he received from considering his influential political and banker friends, although his actions were denounced forty-five times to the police.17 By 1900, 30 % of the English MPs held directorships in public companies. I can also mention the corrupt Hungarian politicians after the First World War. Two scandals broke out, which implicated a significant part of the Hungarian elite: in 1923, MPs and government members could acquire shares very cheaply from big Hungarian banks before public subscription. In 1932, it came to light that certain tobacco factories regularly gave free cigars and cigarettes to influential politicians,18 and we must not forget that many Rumanian and Czechoslovakian politicians were enriched after the First World War by smuggling spirits.
Corruption accusations could concern the whole regime of political institutions. Because of corrupt elections or suspicious party finances the opposition or the extra-parliamentary forces, radicals and socialists frequently formulated accusations against the whole election and party system. Generally, the most serious consequences followed the charges against institutions, because they could result in the deception of the society and help the birth of dictatorship. The succession of scandals and party conflicts strengthened the extremist groups. After the Stavisky affair riots and antiparliamentary demonstrations began in Paris. After the First World War Czechoslovakia, Rumania and Hungary had to face serious internal crisis marked by political assassinations, explosions and frequent changes in the cabinets. In the 1920s corruption scandals occurred in series, the political life was paralysed, the authority of the ruling class decreased to its minimum (the MPs came to blows several times with each other, in Czechoslovakia a bottle of alcohol was put on the seat of the Prime Minister in the House of Commons etc.).
Functions of accusations
The most obvious aim of corruption accusations should be to clear up the different governmental abuses. But the noble purpose of finding the truth is often pushed into the background for the accusers. None of the anticorruption campaigns and inquiries serves only to clear up of a particular case, but they also want to discredit the former cabinets. In Eastern Europe, corruption accusations often served the intimidation or the liquidation of party rivals. In this case the corruption accusation became a political slogan. In 1926 Marshal Piîsudski, profiting from the discontent of people, took power, occupied Warsaw then published his program which contained the elimination of corruption and the restoration of order: „My programme is the diminution of robbery and pursuit of the path of honesty”, he said. He condemned the crimes and wrong decisions of the previous governments and declared war against corruption. Before long the list of former government members and high-ranking officials accused of corruption was published. In 1927 a special commission was established to investigate governmental corruption. On the other hand, electoral corruption flourished during the Pilsudski regime, as well.19
During the establishment of communist power, corruption accusation proved to be an effective weapon against the ‘enemies’ of the regime. Enlarging corruption cases of the former capitalist regime served the condemnation of those who did not agree with the communist ideology. The condemnation of the whole regime with its democratic institutions and excluded its previous elite from political life. For example, in Hungary in the 1950s communist historians and journalists publicised one after another archive condemning the previous regime and airing governmental corruption cases. Analyses enclosed to the documents, hardly disguising their propagandistic aims, drew an extremely distorted picture about the recent past. I can distinguish two main waves of the early political trials in the area: before 1948 they were organised against the democratic parties (anti-communists) and after 1948, against the leaders of the social democrats and different communist party groups. The methods were always the same. The pretext of the trials was most frequently an accusation of treason and sabotage which, logically, resulted in the most severe punishment. Furthermore, such an accusation seemed to be the most suitable to damage the moral reputation of a politician in the eyes of society and he could hardly defend himself against it. Besides the accusations mentioned above, corruption appears frequently as a secondary crime, especially against politicians being responsible for leading the economy.20 It is important to emphasise that rehabilitations after Stalin’s death proved that the accusations were baseless most of the time and cleared the politicians. In Rumania corruption accusations appear within the communist party in the battle between opposing groups. In 1952 the Gheorghiu-Dej group attained Vasile Luca’s, the Minister of Finances’ expulsion from the party, his arrest and the removal of his supporters: the Home Minister Teohari Georgecu and Minister of Foreign Affairs Anna Pauker. Luca was charged with sabotage, causing great damage to the State and fraud. He was sentenced to death but it was reduced to life imprisonment (he died in jail). The removed politicians were rehabilitated in 1968.21 In 1962 Antonín Novotny, leader of the Communist Party of Czechoslovakia and the President of the Republic removed his popular rival, the Home Minister Rudolf Barak who was later sentenced to 15 years imprisonment for sabotage and abusing state property.22
With the consolidation of the communist regime, the corruption accusation previously used to directly discredit and condemn the targeted politician was pushed into the background. According to my research, Rumanian developments constitute an exception. The Ceausescu-regime built up from the mid-’60s continuously used corruption accusations. Besides the shameless nepotism of the leader (nearly 60 members of the Ceausescu family occupied leading positions), we can observe frequent changes of politicians not belonging to the family or being in disgrace. That is why analysers often call this regime ‘socialism in one family’. Ceausescu called non-family politicians to account for the deterioration of the economic situation in Rumania. The most frequent charges against them were „infringement of communist ethic”, „the pursuit of private benefits” and financial offences. Their punishment was removal from their position and expulsion from the party. We can find significant purges in 1972 and 1975 (deputy prime ministers Vasile Rus, Ilia Fasui, Dimitriu Popa and Virgil Actarian were removed), in 1982 (fall of deputy prime ministers and ministers Cornelia Filipas, Corneliu Burtica and Emil Bobu) and in 1988 (six members of the government were dismissed and others received warnings). In the last decade of the Rumanian dictatorship government politicians were replaced every one or two years. In my opinion, such frequent replacement in the leadership is connected with the nature of dictatorships. While other socialist states moved toward consolidation, Ceausescu built up an archaic (Stalinist) model recalling the 1950s where everything was dependent on the authority of one-person (this was also characteristic, for example, of Cuba and North-Korea).23
The third function of accusations was political extortion. In several cases important political decisions were forced by threatening with corruption accusations. The most typical case occurred in Hungary in 1921. The secretary of the Minister of Agriculture was arrested for selling export licenses for bribes (Esküdt-affair). However, he did it with the approval of the minister who was, at the same time, the leader of the Smallholders’ Party. Supposedly a part of the bribes was needed to cover the expenses of the party. After the arrest of his secretary, the minister was in an awkward situation. Prime Minister István Bethlen used the corruption accusation to force him to approve the union of the Smallholders’ Party and the Bethlen’s Party (KNEP). The strong governing party was actually formed in 1922. Nevertheless, the corruption case was not closed as the secretary of the minister made a full confession. The minister was saved from trial by his sudden death.24 In 1948 Gyula Kelemen, a Hungarian Social Democrat under-secretary of Industry was arrested. He was charged with sabotage, smuggling and transferring significant sums abroad for private use abusing his authority. He was sentenced to life imprisonment. The aims of the communists were to remove a popular politician from the leadership of the Social Democrat Party (Kelemen disapproved of the fusion of the two parties of the Left), and to discredit the successfully working Ministry of Industry directed by Social Democrats. After the scandal broke, the Social Democrat Minister of Industry was forced to leave his post and to emigrate. In the same year Zoltán Tildy, politician of the Smallholders’ Party was removed from the presidency of the Hungarian Republic. Since the communists could not manage to create legal-sounding accusations against him, he was intimidated through his family. His son-in-law, ambassador to Cairo was arrested and sentenced to death with charges of treason and several financial crimes. The communists’ real aim was to discredit Tildy and to force him to resign. Soon Tildy resigned referring to moral reasons. He was kept in house-arrest for years.25
Reactions
Treatment
Until the end of the Second Word War the elites of all the analysed countries were quite passive in clearing up corruption accusations, and the cases were rarely brought to trial throughout Europe. In England, for example, between the two World Wars proposals for transforming the honour system and solving the problem of party finances were generally abandoned. None of the big parties supported the proposals since they had no interest in liquidating their own patronage system.26 In France, after the Panama scandal the Select Committee and the regular court cleared all the MPs except one. Most of the implicated persons continued their career in politics. In the Stavisky affair, under the pressure of events, the minister most implicated, Albert Dalimier, resigned and was followed by the whole Chautemps government. However, allegedly more than 100 other MPs were implicated in the affair. Nevertheless, legal proceedings were not introduced since the prosecutor died in a suspicious accident and the major part of the documents disappeared. In January 1934 Stavisky committed suicide – more precisely, the police let him bleed to death in order to avoid his confession about his connections. Both scandals show the weakness of the police and the courts, and the instability of the Third Republic.
The common feature of Hungarian cases is that legal proceedings rarely took place. Politicians preferred to conceal the scandals and to solve the problems by a duel or suicide than by regular court. During a hundred-year period only 10% of the election petitions were accepted in Hungary.27
The Zichy-case mentioned above is very illuminating from this point of view. Zichy voluntarily resigned and tried to clear himself as a private individual. He asked for the establishment of a Select Committee of Parliament but this was not organised. The embittered Zichy also resigned from his seat in Parliament. Before long, the elite turned its back on him and he was excluded from several aristocratic clubs. Finally, he was mortally wounded in a duel fought in his honour and died in 1880.28 The accusations have never been investigated by a regular court. Only one leading Hungarian politician had been sentenced by the court for corruption.
Leaders of the Ministry of Welfare used significant sums of money taken from different social foundations for elderly people, disabled persons or orphans, for personal purposes. The scandal broke out in 1930. For a long time the government refused to admit the accusations but, finally, the case was brought to trial. After four-year long proceedings the under-secretary Imre Dréhr was sentenced to three and a half years of imprisonment, but he committed suicide. The Ministry was liquidated, the Minister implicated in the affair had died before the end of the trial, and several officials were excluded from clubs.29
Explanations
The elite legitimated political corruption by making a difference between corruption for private gains (‘immoral corruption’) and corruption for the sake of the nation or the party (‘ethical corruption’). Corruption cases related to the financing of the parties and elections were not considered serious crimes. Moreover the accused was often seen as a hero. Hungarian Prime Minister Lukács had to resign because he accepted illegal campaign money, but his party did not consider him guilty. In England, no government member had to resign because of the trade of honours. Of course, politicians used the money acquired for party purposes also for their private aims.30
In every country politicians often blamed others for their own fiascos. If they had to resign for their corruption affairs (it occurred quite rarely) and they could not conceal it by an illness or retirement, they generally made the press or the opposition responsible for the scandals, the moral crisis and the government’s faults. They often sued journalists for libel and tried to limit the freedom of the press. For example stricter regulation was accepted in Hungary in 1914, in Czechoslovakia in 1924. In France the government tabled a bill against the freedom of the press after the Stavisky affair (later it was withdrawn). Politicians especially wanted to end the role of the jury and increase the fines in libel cases. In Rumania the government tried to prevent the publication of corruption accusations through the use of censorship.
Consequences
Governmental corruption and unresolved accusations caused great damages in most of the countries examined. Corruption affairs were usually connected to general economics, politics and moral crisis. In France, after the Panama scandal, the moral of political life deteriorated in the eyes of the people. Corruption became a frequent topic of plays and romans, and public opinion regarded politicians as thieves. The succession of scandals and party conflicts strengthened extremist groups.
In view of the absence of a thorough investigation of the cases, corruption accusation has become a dangerous weapon in the hands of politicians. The leaders of political parties often issue corruption allegations in order to discredit each other without rigorous evidences and the possibility for the accused to refute the accusations convincingly. Corruption accusation is becoming an East-Central European ‘mythological topos’.31 But it is a double-edged weapon: baseless accusations of corruption can be an obstacle for effective politics on the state-level, and the accusations appearing weekly can discredit the whole elite in the eyes of the public and will increase its dissatisfaction.
Epilogue
It seems to me that the development of Western and Eastern Europe became different only in the post-World War II period. In Eastern Europe, the same mentality was conserved while in the West a slow change began as the institutions of the anticorruption war have been built step by step. In France, for example, the prosecutors and the Bureau to Prevent Corruption, in Great-Britain different committees and prestigious tribunals doing a painstaking work (Lynskey Tribunal, Scott Inquiry, Nolan Committee) continue the battle against governmental corruption. On the other hand, we have to realise that in the last decades a significant part of the West European corruption cases were publicized by the media. They constantly watch public characters (‘watchdog journalism’). Moreover, they put the morality of politicians to the test several times: for example in England the Sunday Times succeeded in bribing MPs for tabling a Question in Parliament (the bribery was also tape-recorded, ‘Cash for Questions’ Affair), the Guardian cleared up the Aitken Affair with a forged letter.32
In Western Europe political culture has slowly changed. When a scandal becomes public knowledge, the resignation of the concerned politician follows. He will wait for the clearing up of the case as a simple citizen, and does not jeopardise effective government work and the popularity of his party. (In France and in England this principle has become a general practice for the 1990s.) Naturally, the shaping of new political culture and the behaviour of politicians has not yet been completed. We can still discover certain phenomena from the past. Party financing is not solved yet, and the transparency of party funds and donations is not guaranteed. The distinction between good and bad corruption also exists.33
In contrast, everything remained unchanged in Eastern Europe during the decades of the communist regime. The supremacy of the communist party and its position above the law resulted in the fact that party members were not judged by the same criteria as everyone else. A party member accounted for his crimes practically in front of the party forums, his case remained in a closed circle and he evaded legal proceedings and publicity. Many party members did not have to face a regular law court (except for the big anticorruption campaigns). Communist parties functioned practically above the legal system. The law were born inside the party, the police were directed by the party and the courts were not independent. Therefore, a politician could evade the legal proceeding (he had immunity) if the party wanted him to do so. On the other hand, it was difficult to ascertain who was responsible. Inside the party the exaggeration of the collective decision-making process reduced individual responsibility. The powerful centralisation and the reformed political outlook of professional decisions increased the lack of responsibility even more.34
We can see very clearly that the political elite do not have any interest in a more severe regulation and a more serious anticorruption campaign. The real aim of these anticorruption campaigns was to put an end to corruption and to signal to the elite the limit of illegal enrichment. It also intended to calm down public opinion and to symbolise the possibility of reforming the system.35 In Poland after the 1980–81 crisis a serious enquiry was started, in the course of which suspicion of corruption emerged in connection with 18 ministers and 56 deputy ministers. The committee established by the party examined, among others, the luxurious lifestyle of Secretary Gierek and his son, the buildings and financial affairs of the former Minister of Foreign Trade and Marine Economy, Jerzy Olsowski (he had accepted bribes from international companies). He committed suicide in 1981.36 During the 1980s similar campaigns took place in Czechoslovakia and in Hungary. In, Rumania Ceausescu used the anti-corruption campaigns, to calm down society and to conceal problems of the national economy.
For the time being, East Central European democracies are preserving the old mentality. Although anti-corruption campaigns were conducted in nearly every state (for example in Poland: 1994; in Rumania: 1993, 1997; in Hungary: 1994, 1998) since each ruling party had a paragraph concerning this topic in its party programme. However, the measures against corruption are generally short-lived, superficial and quite unsuccessful. These days politicians are continuing to use the accusations of corruption mainly to discredit each other, while they are unable or unwilling to liquidate the very causes (such as party financing, privatisation) of corruption. Accusations are announced, people listen to and talk about the affair and wait but nothing happens. A Select Committee of Parliament may be established for the inquiry, the police may begin to investigate but no real conclusion is achieved. In general, only a few minor characters and some members of the economic elite are punished, politicians usually do not have to face the regular law court. In the East Central European countries most of the cases are made public by politicians, the press can only publish the statements received from the elite (the mentality and behaviour of journalists of the region are quite old-fashioned and respectful towards authority). This situation results the very limited resolution of the affairs – only up to a certain point determined by the interests of the elite. In spite of this situation the political elite in the post-socialist countries is generally against the press, they make the press the scapegoat for the scandals and for their decreasing popularity. Naturally, West European politicians also criticise the press, but in our area the elite tries to fight against it with the aid of the law. In Poland, Rumania, Slovakia and Hungary there have been libel cases against journalists and researchers. Both in Poland and Rumania the accused were sentenced to terms of imprisonment on the basis of communist laws. In Hungary an MP from the ruling party has tabled a bill to limit the media.37
All in all, in the East Central European area democratic political culture is missing. In our area politicians rarely resign voluntarily even if the accusations are substantiated. If the circumstances still force them to resign, they do not admit the charges: they consider themselves as victims or scapegoats and will accuse others, for example the investigating journalists, who always look for new sensations.
Notes
1
In my searching for corruption cases I have used the monthly published volumes of Keesing’s Contemporary Archives and of the World Political Documentation by the Hungarian News Agency (MTI), and the CD Archives of the Hungarian newspaper Weekly World Economy (HVG). I do not refer explicitly to these archives in the survey of the individual cases. Methodologically I profited very much from the paper of Lull and Hinerman entitled „The Search for Scandal”, and from the „Scandal and Social Theory”, written by J. B. Thompson. The two articles were published in: Lull, James and Hinerman, Stephen (eds.) Media Scandals. Polity Press, Cambridge, 1997. pp. 1–33., 34–64. The first version of this paper was made for the Princeton University – Central European University Joint Conference on Corruption (Budapest, October 29 – November 6, 1999).
2
Nye, J. S. ‘Corruption and Political Development: A Cost-Benefit Analysis’ in. A. J. Heidenheimer et al. (eds.) Political Corruption, Holt Rinehart and Winston, Inc. 1970. pp. 564–578.
3
Peck, L. L., Count Patronage and Corruption in Early Stuart England. Routledge, London, 1993. (2nd.); Hursfield, John, Freedom, Corruption and Government in Elizabethan England. Cambridge, 1973.
4
Harling, Philip, The Waning of ‘Old Corruption’. The Politics of Economic Reform in Britain, 1779–1846. Oxford, 1996.
5
In detail: King, John, P., ‘Socioeconomic Development and the Incidence of English Corrupt Campaign Practices’ in Political Corruption... pp. 379–390.; Gwyn, William B., Democracy and the Cost of Politics in Britain. The Athlone Press. London, 1962.; O’ Leary, C., The Elimination of Corrupt Practices in British Elections, 1868–1911. Oxford, 1962.
6
Zeldin, Theodore, ‘How the Government Won Elections under Napoleon III.’ in Political Corruption... pp. 373–378.; Kreuzer, Marcus, ‘Democratisation and Changing Methods of Electoral Corruption in France from 1815 to 1914.’ in Political Corruption in Europe and Latin America. ed. W. Little – E. Posada-Carbó. London, 1996. pp. 97–112.
7
In detail: Gerõ, András, Az elsöprő kisebbség. Budapest, Gondolat, 1988. In English: The Hungarian Parliament (1867–1918). A Mirage of Power. Columbia Univ. Press, New York, 1997.; Janos, Andrew C, The Politics of Backwardness in Hungary, 1825–1945. Princeton, New York, 1982.
8
Hitchins, Keith, Rumania, 1866–1947. Clarendon Press, Oxford, 1994; Polonsky, A., Politics in Independent Poland, 1921–1939. Clarendon Press, Oxford, 1972.
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Bodley, J. E. C., Francziaország. [France] vol. 2. Budapest, 1900. pp. 331–384.; Brogan, vol. 1. pp. 265–285.
10
In detail: Searle, G. R., Corruption in British Politics, 1895–1930. Clarendon Press, Oxford, 1987. pp. 172–200., 40–51., 272–284.
11
In detail: Berend, Iván T. – Ránki, György: Economic Development in East-Central Europe in the 19th and 20th Centuries. Columbia Univ. Press, New York, 1974.; Kaser, H. C. – Radice, E. A. (eds.), Economic History of Eastern Europe 1919–1975. Vol. 1. Clarendon Press, Oxford, 1985.
12
Articles of the Prágai Magyar Hírlap [Hungarian News in Prague] in 1923–24, and papers of the Ellenzék [Opposition] ( published in Rumania) in 1931.
13
Brogan, D. W., The Development of Modern France, 1870–1939. vol. 1. 1970. pp. 192–199.
14
In detail: Searle, G. R., Corruption in British Politics, 1895–1930. Clarendon Press, Oxford, 1987. Pp. 153–165., 309–313., 379–406.
15
Polonsky, A., Politics in Independent Poland, 1921–1939. Clarendon Press, Oxford, 1972. pp. 272–275., 283–289.
16
Cieger, András, A kormányférfi [The Statesman]. Századvég, 1998. Winter, no. 11. pp. 17–21.
17
Brogan, vol. 2. pp. 653–668.
18
Further details on the cases: Horváth, J. – Nemes, J. – Pintér I. – Szabó L., Régi jó világ. A Horthy-korszak nagy panamáiból [Good Old World. From the Great Financial Swindles During the Horthy-period]. Budapest, Kossuth Könyvkiadó, 1959. pp. 56–82., 230–241.
19
Polonsky, A., Politics in Independent Poland, 1921–1939. Clarendon Press, Oxford, 1972. pp. 171–175., 194–195.
20
Szilágyi, Ákos, “Korrupció és kompromat anno 1948” [Corruption and Compromat anno 1948] 2000, 1998. September, pp. 10–19.
21
Fejtõ, Ferenc: A népi demokráciák története. [A History of the People’s Democracies] Magvetõ-Magyar füzetek, Budapest–Párizs, 1991. vol. 1. pp. 215–218.
22
Fejtõ, vol. 2. p. 163.
23
Shafir, Michael, Romania. Politics, Economics and Society. Lynne Rienner Publishers, Boulder. 1985. pp. 76–79.
24
In detail: Horváth, J. – Nemes, J. – Pintér I. – Szabó L., Régi jó világ. A Horthy-korszak nagy panamáiból [Good Old World. From the Great Financial Swindles During the Horthy-period]. Budapest, Kossuth Könyvkiadó, 1959. pp. 18–55.; Bethlen István titkos iratai [Bethlen István’s Secret Papers]. Szinai Miklós–Szûcs László (eds.) Budapest, Kossuth Könyvkiadó, 1972.
25
Fejtõ, vol.. 1. p. 149.
26
Searle, G. R., Corruption in British Politics, 1895–1930. Clarendon Press, Oxford, 1987. pp. 418–427. According to the author: “British political culture seems...to be based on reticence and concealment.” (p. 418.)
27
Ruszoly, József, A választási bíráskodás Magyarországon, 1848–1948. [The Electoral Judicatory in Hungary between 1848 and 1948] Bp. 1980. p. 501.
28
Further cases: Cieger, pp. 3–22.
29
In detail: Horváth, J. – Nemes, J. – Pintér I. – Szabó L., Régi jó világ. A Horthy-korszak nagy panamáiból [Good Old World. From the Great Financial Swindles During the Horthy-period]. Budapest, Kossuth Könyvkiadó, 1959. pp. 163–198.
30
Gerõ, 1997. pp. 78–81.
31
Expression of András Gerõ. See: 168 óra, vol. 10. No. 6. pp. 10–13.
32
Doig, Alan – Wilson, John, ‘Untangling the Threads’ in Sleaze: Politicians, Private Interests and Public Reaction. Ridley, F. F. and Doig, A. (eds.), Oxford Univ. Press, 1995. pp. 14–30.
33
In the judging of corruption cases, the distinction between private and public interests will play an important role later too. For example in 1990 French former minister Christian Nucci (he is involved in the Carrefour du Développement affair) obtained amnesty on the basis of this distinction. See: Fay, Christophe, ‘France’ in Sleaze pp. 115–128. Most recently, in December 1999, former German chancellor Helmut Kohl based the justification of the secret financing of the CDU on this distinction.
34
Schöpflin, George, „Corruption, Informalism, Irregularity in Eastern Europe: a Political Analysis.” Südost-Europa, 1984. 7–8. 389–401.; Holmes, Leslie, The End of Communist Power. Anti-Corruption Campaigns and Legitimation Crisis. Oxford Univ. Press, New York, 1993. pp. 255–257.
35
Schöpflin, p. 400.; Holmes, pp. 247–249.
36
Tarkowski, Jacek, “Old and New Patterns of Corruption in Poland and the USSR”. Telos 1989. No. 80. pp. 51–62.; Clark, John – Wildavsky, Aaron, The Moral Collapse of Communism. Poland as a Cautionary Tale. ICS Press, San Francisco, 1990. pp. 168., 204.
37
Tucker, Lee, ‘Censorship and Corruption: Government Self-Protection through Control of the Media.’ in Corruption and Democracy. Duc V. Trang (ed.) Budapest, 1994. pp. 185–189.; Dunleavy, Patrick – Weir, Stuart, ‘Media, opinion and constitution.’ in Sleaze... pp. 54–68.;