Begegnungen12_Vekas
Begegnungen
Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Band 12:137–143.
LAJOS VÉKÁS
Wissenschaftleraustausch und geistige Wiedervereinigung Europas*
I.
1. 1620 wurde in Ungarn eine europäische Reisebeschreibung veröffentlicht. Ein Student, namens Márton Szepsi Csombor hat 1616–18, am Vorabend des 30-jährigen Krieges also, eine damals typische Peregrinationsreise in Westeuropa unternommen und seine Eindrücke, Erfahrungen und Erlebnisse – „Lieder eines fahrenden Gesellen” – mit großer Lebendigkeit beschrieben. Mit besonderem Interesse hat er die Hochschulen, u. a. auch die Heidelberger Universität aufgesucht. Das auf Ungarisch geschriebene Buch trägt einen lateinischen Titel: Europica varietas1: das bunte Europa. Dieser Titel hat für den Verfasser und die zeitgenössischen Leser gewiss keine Wertschätzung enthalten; er war eine bloße Feststellung. Aber wissen wir, heutige Bewohner dieses Kontinents, nach einer 50jährigen Trennung, die kulturelle-historische Einheit und Vielfalt der europäischen Nationen zu schätzen?
2. Nach einer über Jahrzehnte dauernden gegensätzlichen Entwicklung ist inzwischen die Annäherung Osteuropas an den Westen in mancher Hinsicht gelungen; der für viele Menschen sehr schmerzhafte Prozess kann schon nach einer kurzen Periode beachtliche Fortschritte aufzeigen. Man darf jedoch nicht vergessen, dass historische Fehlschläge, wie der sogenannte „real existierende Sozialismus”, erst in einer historisch langen Zeit, wenn überhaupt, wieder korrigiert und die dadurch entstandenen gesellschaftlichen Schäden wieder gutgemacht werden können.
Die Beseitigung der künstlichen Isolation beider Seiten Europas hat 1989 angefangen. Der Öffnung des Eisernen Vorhanges und dem Fall der Berliner Mauer folgten wichtige politische Schritte von historischer Bedeutung: stellvertretend für viele andere sei hier nur auf die Assoziierungsverträge osteuropäischer Staaten mit der EU bzw. auf die begonnenen Beitrittsverhandlungen mit einigen Ländern des ehemaligen Ostblocks hingewiesen. Im Hintergrund dieser Ereignisse von langfristiger Tragweite und außenpolitischer Wichtigkeit erfolgten in mehreren osteuropäischen Staaten tiefgreifende wirtschaftliche und soziale Änderungen, wie die umfangreiche Privatisierung oder der Ausbau parlamentarisch-demokratischer Institutionen. Diese grundlegende Umgestaltung der Wirtschaft und des politischen Lebens in einigen, ehemals von der Sowjetunion besetzten und kommunistisch-diktatorisch beherrschten Ländern hat sich zum Ziel gesetzt, marktwirtschaftliche Bedingungen zu erfüllen bzw. rechtsstaatliche Verhältnisse zu schaffen. Der geringste Fortschritt in diesem langwierigen Entwicklungsprozess ist in meinen Augen im geistigen Aufeinandertreffen westeuropäischer und osteuropäischer Regionen festzustellen.
In dieser festlichen Stunde möchte ich über dieses Phänomen sprechen und dabei versuchen folgende Fragen zu beantworten:
– wie ist die gemeineuropäische geistig-kulturelle Einheit, historisch betrachtet, aufzufassen; und
– wie können die Universitäten im Rahmen des wirtschaftlich-kulturellen Vereinigungsprozesses der sich ausweitenden EU – mit Hilfe von Studenten- und Wissenschaftleraustausch – zu einer wieder stärker werdenden Mentalitätsgemeinschaft europäischer Nationen beitragen.
II.
1. Die Worte „Europa”, „Europäer” erlangten erst seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts einen besonderen Sinn und Inhalt. Die sehr schmale Schicht von gebildeten Menschen wusste selbstverständlich bereits im Mittelalter, dass sie auf einem Erdteil lebt, welcher schon von den klassischen Geographen des Altertums als Europa bezeichnet und damit von den beiden anderen damals bekannten Kontinenten, von Afrika und von Asien unterschieden wurde. Die geographischen Grenzen und Details selbst waren jedoch unklar und unscharf; erst Anfang des 16. Jahrhunderts hat sich die Kartographie soweit entwickelt, dass man über unseren Kontinent ausführliche, detaillierte und ziemlich zuverlässige Landkarten zeichnen konnte.
Bis zum Ende des 15., Anfang des 16. Jahrhunderts waren die geistig-kulturellen Attribute des Europäertums noch viel weniger ausgeprägt als die geographischen. Lange Zeit war der Begriff „Europäer” mehr oder weniger mit dem des „christlichen” identisch und er diente hauptsächlich dazu, Völker, die anderen Religionen angehörten, abzugrenzen. Die Philosophen, Dichter und Künstler der Renaissance und des Humanismus haben den Ausdruck „Europäer” an fürstlichen Höfen, in kirchlichen Zentren und – nicht zuletzt – an den Universitäten mit weiteren Merkmalen bereichert. Die humanistischen Strömungen haben – ausgehend von Italien – das griechisch-römische kulturelle Erbe in seinem vollen Umfang wiederentdeckt, begeistert aufgearbeitet und in den Mittelpunkt ihrer schöpferischen Arbeit gerückt. In dieser Zeit gehörte schon ein gewisser Stolz zum Wort „Europa”. 1471 hat z. B. der berühmte Astronom, Johannes Müller, als Regiomontanus bekannt, über seine damalige Aufenthaltsstadt Nürnberg mit Dankbarkeit und lobend als „Mittelpunkt Europas” gesprochen.
Das inhaltlich ausgedehnte, reichhaltige Europabewusstsein wurde durch den aggressiven Vorstoß des osman-türkischen Reiches im 16. und 17. Jahrhundert ideologisch-politisch verstärkt. Die türkischen Truppen haben nach Konstantinopel (1453) im Jahre 1541 auch Buda erobert und bis 1686 besetzt gehalten und auch Wien zweimal belagert. Obwohl die europäischen Mächte nie eine antitürkische Allianz schließen konnten (ganz im Gegenteil : Franz I. von Frankreich ist z. B. gegen Kaiser Karl V. mit dem Sultan ein Kriegsbündnis eingegangen), hat die ständige Drohung der Türken die christlich-europäische Gesinnung offensichtlich gestärkt. Der französische Gelehrte und politische Philosoph, Louis Le Roy, appelliert beispielsweise an dieses Bewusstsein, als er 1559 die europäischen Herrscher um die Beendigung der gegenseitigen Feindseligkeiten bittet und sie mit den Worten zur Versöhnung auffordert: „Hört der Stimme unserer gemeinsamen Mutter Europa zu!”
Ähnlich konnte Francis Bacon 1623 den Ausdruck „wir Europäer” gebrauchen und sich darauf verlassen, dass seine Leser ihn nicht nur inhaltlich verstehen, sondern von ihm auch emotional mitgerissen werden. Zu dieser Zeit waren die Unterschiede der europäischen Kultur zu anderen Zivilisationen auch für die Reisenden auffallend. Ein Engländer, Peter Mundy, Verfasser einer berühmten mehrbändigen Reisebeschreibung, charakterisiert seine Eindrücke nach einer langen Fahrt aus Konstantinopel über den türkisch besetzten Balkan bei der Ankunft in der damals zu Venedig gehörenden Stadt Spalato: „Es schien uns, in einer neuen Welt angekommen zu sein.”
2. Seit dem Spätmittelalter haben die Universitäten in der Verbreitung der abendländischen Kultur und damit des europäischen Bewusstseins eine eminente Rolle gespielt. Besonders wichtig waren in dieser Hinsicht die akademischen Wanderungen sowohl der Professoren als auch der Studenten. Sie haben den Geist eines dozierenden und studierenden Zentrums zu einem anderen ähnlichen Ort mitgebracht und damit für eine ständige gegenseitige geistig-kulturelle Befruchtung und Anregung gesorgt.
Nach der Reformation haben sich zwar die Reisewege der Studenten unterschiedlicher Konfessionen getrennt; auch diese Entwicklung konnte jedoch die grundsätzlich gemeinsame Struktur und die europäisch kulturelle Grundlage des Hochschulwesens nicht beeinträchtigen. Schon das griechisch-römische, historisch-mythologische Vokabular, die Bibel und das Latein als Unterrichtssprache haben dies für weitere Jahrhunderte gesichert, allerdings nur, solange keine kriegerischen Auseinandersetzungen innerhalb der christlichen Welt die Arbeit an den Universitäten behinderten.
III.
1. Der in der Einführung erwähnte fahrende Geselle aus Ungarn, Márton Szepsi Csombor, schreibt in seiner Reiserzählung über den Aufenthalt im Sommer 1618 in der schönen Stadt am Neckar: „Die Universität ist zwar kleiner als ich gehofft habe; sie wird trotzdem aus allen Nationen Europas besucht. Ungarische Studenten beeilen sich besonders gern zu ihr.”2 Und dann zählt er namentlich nicht weniger als 16 Studenten aus Ungarn auf, die in diesem letzten Friedensjahr vor dem 30-jährigen Krieg an dieser Universität studierten. Eine mehr als beachtliche Zahl, wenn man die damaligen Einschulungsquoten, Vermögens- und Verkehrsverhältnisse usw. mitberücksichtigt, sowie auch an die Tatsache denkt, dass der Peregrinationsweg ungarischer Studenten auch zu vielen anderen Universitäten führte. Die katholischen Studenten gingen vor allem nach Wien, Krakau und Prag, sowie nach Bologna und Padua, aber auch nach Perugia, Siena, Ferrara, Rom, Neapel oder Paris. Für die protestantischen Studenten waren neben deutschen Hochschulen vor allem holländische Universitäten, wie die in Leyden, Franeker und Utrecht, begehrte Studienreiseziele.
Über die Ungarn, die in Heidelberg studierten, haben wir eine komplette Liste bis 1810. Ein fleißiger Siebenbürger Sachse, Friedrich Teutsch, hat seinen Aufenthalt an der hiesigen Universität auch dazu genutzt, dass er in den Matrikeln nach früheren Studenten des Heimatlandes suchte und die zusammengestellte Liste 1872 unter dem Titel „Die Studierenden aus Ungarn und Siebenbürgen auf der Hochschule in Heidelberg, von der Gründung derselben bis 1810”3 veröffentlichte. Er schreibt dazu: „Die authentischen Nachweisungen über den Besuch ausländischer Universitäten sind für die Kulturgeschichte des Landes von großem Wert. Die Matrikeln wurden mir, wie ich dankbar erwähne, mit freundlicher Bereitwilligkeit von Herrn Bibliothekar Dr. Bender zur Verfügung gestellt und Herr Professor Wattenbach half dem ungeübten Anfänger freundlich über manche Schwierigkeit des Lesens hinweg.” Er fügt noch hinzu: „Der Band der Matrikel, der die Jahre 1662–1704 umfasst, fehlt leider.”
2. Die Liste beeindruckt den heutigen Leser sehr. Nicht nur die Zahl der Studierenden (298 Personen) ist imponierend, sondern noch mehr die wichtige politische bzw. kulturelle Rolle, die viele von ihnen nach ihrer Heimkehr in der Geschichte Ungarns gespielt haben. Stellvertretend für viele andere möchte ich hier die Laufbahn zweier Persönlichkeiten kurz schildern.
Miklós Bethlen, aus einer der berühmtesten Fürstenfamilien Ungarns stammend, kam im Juli 1661 nach Heidelberg. Nach seinen Studien hier ging er noch nach Utrecht und Leyden und hielt sich auch in Oxford und Paris auf. Glänzend ausgebildet kehrte er im Herbst 1664 nach Ungarn zurück, wurde einer der wichtigsten Politiker seiner eigenen Heimat Siebenbürgen und mit wichtigen diplomatischen Missionen betraut. Seine Tätigkeit fiel in eine sehr kritische Zeit seines Landes. Nach der Vertreibung der Türken erfolgte die politische Reintegration Ungarns in die westliche Welt unter der widersprüchlichen Herrschaft des Kaisers Leopold I. Bethlen selbst hat sein langes Leben im Gefängnis bzw. im Hausarrest in Wien beenden müssen. Dort hat er seinen Lebenslauf niedergeschrieben und auch auf seine Studienjahre an westlichen Universitäten zurückgeblickt. Er erwähnt, dass ihn Kurfürst Karl Ludwig in Heidelberg oft zum Tisch und zur Jagd eingeladen hat und erinnert sich an seine Professoren: an den Mathematiker Lunelschoss, die Theologen Spanhemius, Fabritius und Hottinger, sowie – last but not least – an Samuel Puffendorf. Über den letzteren schreibt Bethlen: „er war damals noch sehr jung, las Grotius’ de jure belli et pacis, und wurde später ein sehr berühmter Rechtsgelehrter.”4
Den zweiten Namen, den ich von den ehemaligen Heidelberger Studenten aus Ungarn gern ein bisschen ins Rampenlicht stellen möchte, ist Ferenc Pápai Páriz, der zehn Jahre nach Bethlen, 1672, in diese Stadt kam. Seine Zeugnisse waren so ausgezeichnet, dass ihm hier auch eine Professur angeboten wurde. Er wollte aber nach der Theologie und Philologie auch Medizin studieren und ging deshalb nach Basel. Seine Erfolge waren auch dort so herausragend, dass ihm als Assessor der medizinischen Fakultät die Ehre erwiesen wurde, 1675 bei der Gedenkfeier für seinen gestorbenen Professor, Johannes Henricus Glaserus, die Rede zu halten. Seine Rede, ein philosophisch-literarisches Meisterwerk, wurde zuerst auf Latein in Basel gedruckt, dann öfters auch auf Ungarisch veröffentlicht.5 Er kehrte aus Basel nach Ungarn zurück, praktizierte einige Jahre als Arzt, später wurde er Hochschullehrer und las gleichzeitig klassische Philologie, Philosophie und Naturwissenschaften, fast über vier Jahrzehnte. Er war zudem ein bedeutender Lexikograph. Seine gedruckten Werke reichen von philosophischen, theologischen und kirchengeschichtlichen Aufsätzen über Medizin bis zur Heraldik.
3. Gern würde ich noch weitere Erfolgsgeschichten über akademische Studienreisen meiner Landsleute in Heidelberg erzählen. Nicht weniger überzeugend wäre z. B. über den Psalmübersetzer, Bibelherausgeber, Lexikographen und Grammatiker, Albert Szenci Molnár zu sprechen, der in Heidelberg 1597 immatrikuliert wurde und später sowohl an ungarischen als auch an deutschen Hochschulen gelehrt hat. Noch unausweichlicher ist in diesem Zusammenhang die Person von Loránd Eötvös, der hier 1870 bei Bunsen, Helmholtz und Kirchhoff promoviert hat und heute als einer der größten Naturwissenschaftler seiner Zeit betrachtet werden kann. Seinen Namen trägt auch die bedeutendste Universität Ungarns, an der Eötvös fast 50 Jahre gelehrt und deren Rektorenamt er auch bekleidet hat.
Weil der Rahmen dieser Rede weitere Ausführungen nicht erlaubt, möchte ich nur begründen, warum ich meine beiden Beispiele gerade aus der Zeit um die Wende des 17. Jahrhunderts gewählt habe. Sowohl Miklós Bethlen als auch Ferenc Pápai Páriz haben ihre Tätigkeit – der eine als Politiker, der andere als gelehrter Professor – in einer Zeit ausgeübt, in der nach dem Ende der osman-türkischen militärischen Besetzung die Wiedereingliederung Ungarns in den europäischen Kulturkreis auf der Tagesordnung stand. Aufgrund dieser Beispiele kann man wohl eines festhalten: die Akademiker, die westeuropäische Universitäten besucht haben, haben das gemeineuropäische geistig-kulturelle Erbe in Osteuropa aufrechterhalten und zum Wiedereingliederungsprozess einen unerlässlichen Beitrag geleistet.
IV.
1. Ohne vorausdeutende historische Vergleiche zu machen und eine Parallelentwicklung mit unserer Zeit feststellen zu wollen, sehe ich in der heutigen Situation – mutatis mutandis – eine auffallende Analogie. Wie ich einführend kurz geschildert habe, hat die sowjetische Besatzung, der kalte Krieg Generationen des akademischen Nachwuchses in Mittel- und Osteuropa die Möglichkeit eines westeuropäischen Studiums oder Nachstudiums fast gänzlich genommen. In der neuzeitlichen Geschichte unseres Kontinents kam es (die Kriegsjahre ausgenommen) nie zu einer so dichten geistig-kulturellen Isolation zwischen Ost und West wie in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Ausnahmen, wie die erfolgreiche Stipendienpolitik der Humboldt-Stiftung in manchen osteuropäischen Ländern, unterstreichen nur die traurige Wahrheit dieser Feststellung. Die negativen Konsequenzen dieser ideologisch geprägten und militärisch durchgeführten kulturellen Absonderung bleiben leider auch nach dem Fall der Mauer und des Eisernen Vorhanges lange Zeit sichtbar.
Für die Überwindung dieses geistigen Bruches sehe ich – nicht zuletzt durch die historischen Erfahrungen bestätigt – im Wissenschaftleraustausch eine ausgezeichnete Möglichkeit.
2. Lassen Sie mich daher aus meiner fünfjährigen Erfahrung als Gründungsrektor des Collegium Budapest, des ersten „Institute for Advanced Study” in der mittelosteuropäischen Region berichten. Das Collegium wurde 1991 als Ergebnis einer europäischen Zusammenarbeit auf Initiative des Wissenschaftskollegs zu Berlin gegründet. Sieben europäische Staaten und weitere Institutionen, darunter auch das Land Baden-Württemberg, haben sich mit dieser Gründung das Ziel gesetzt, hochrangige Wissenschaftler aus Ost und West zusammenzubringen, um ihnen die Möglichkeit eines sorgenfreien Forschungsaufenthaltes für ein Semester oder gar für ein akademisches Jahr zu bieten, sie in den Stand zu versetzen, ihre eigenen Forschungsthemen zu bearbeiten und zu vertiefen. Während der ersten fünf Jahre hat das Collegium rund 160 Wissenschaftler aus über 20 Ländern einladen können. Sie vertreten viele Disziplinen aus den Sozialwissenschaften, Humaniorien und den theoretischen Naturwissenschaften. Jedes Jahr hat das Institut einen Schwerpunkt ausgewählt, in dessen Rahmen dann etwa 8–12 Forscher enger zusammenarbeiten. Diese Schwerpunkte umfassen einerseits Themen aus der Wirtschaftswissenschaft, Soziologie, Rechtswissenschaft und Politikwissenschaft, andererseits theoretische Entwicklungsbiologie, Mathematik und Wissenschaftsphilosophie. Ein besonderes Charakteristikum dieses Instituts ist das Zusammenleben von Wissenschaftlern aus unterschiedlichen Kulturkreisen und verschiedenen Wissenschaftszweigen. Die bisherigen Erfahrungen sprechen dafür, dass dieses Konvivium spontan über die konkreten Wissenschaftsergebnisse hinaus besondere Früchte trägt.
V.
Am Ende meiner Rede muss ich einsehen: Ich habe hier in Heidelberg, anlässlich dieses schönen Festes mehr über Ungarn und Osteuropa als über diese Stadt und diese Hochschule gesprochen. Hoffentlich war meine Absicht doch nicht zu verkennen: Ich wollte nur die Universität zu Heidelberg loben, ihre Weltoffenheit hervorheben, ihre historische Rolle in der Bewahrung und Verbreitung des europäischen Geistes mit meinen Beispielen unterstreichen, und meine Überzeugung zum Ausdruck bringen, dass die altehrwürdige Ruperto-Carola dieser wichtigen Aufgabe auch in der Zukunft treu bleibt.
Der berühmte Professor dieser Universität, Karl Jaspers schreibt: „Die Weltweite des Heidelberger akademischen Lebens wurde mitbestimmt durch die Anwesenheit, sei es merkwürdiger, sei es bedeutender Persönlichkeiten, die aus Deutschland und Europa nach Heidelberg drängten, hier einen geistigen Boden und Widerhall fanden.”6 Ich bin sicher, dass Ihre Universität auch in der Zukunft dieser Tradition folgt.
Anmerkungen
1
Eine kritische Ausgabe des Werkes ist 1968 und 1979 beim Szépirodalmi Verlag, Budapest erschienen.
2
Europica varietas (1979) S. 247.
3
Archiv des Vereins für siebenbürgische Landeskunde 10/1872., S. 182–192. vgl. auch: Sándor Tonk: Erdélyiek egyetemjárása a középkorban (Die Peregrination siebenbürgischer Studenten im Mittelalter, ungar.) Bukarest, Kriterion Verlag, 1979.; Miklós Szabó–Sándor Tonk: Erdélyiek egyetemjárása a korai újkorban 1521–1700 (Die Peregrination siebenbürgischer Studenten in der Frühneuzeit 1521–1700, ungar.) Szeged, 1992.
4
Siehe Miklós Bethlen: Élete leírása magától (Autobiographie). In: Magyar remekírók. Budapest, Szépirodalmi Könyvkiadó, 1980, S. 572–573.
5
Siehe Ferenc Pápai Páriz: A Glaserus-i Szent Hagyaték (Das heilige Vermächtnis von Glaserus, ungar.) Budapest, Magvető Kiadó, 1982.
6
Siehe Karl Jaspers: Der Heidelberger Geist. In: Michael Buselmeier: Heidelberg Lesebuch. Frankfurt am Main, Insel Verlag, 1986. S. 204–209.
* Eine redigierte Fassung des Festvortrages, den der Verfasser am 17. September 1997 an der Ruprecht-Karls-Universität zu Heidelberg gehalten hat.
Begegnungen12_Torok
Begegnungen
Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Band 12:117–135.
GÁBOR TÖRÖK
Konzepte zu einem Insolvenzgesetz
1. Zur Notwendigkeit eines neuen Gesetzes
Mittlerweile ist es üblich geworden, im Zuge der für einen Beitritt zur Europäischen Union notwendigen Rechtsharmonisierung gleich ganze Rechtsgebiete mit den Normen der Union in Einklang zu bringen. Dies kann die Schaffung eines neuen Gesetzes bedeuten, manchmal genügt auch eine Anpassung oder Erweiterung der bestehenden Normen. Da die EU gleich zwei Richtlinien zum Thema Insolvenzrecht erlassen hat, ist eine Änderung des in Ungarn seit 1991 geltenden Gesetzes (Nr. 49) unvermeidbar.
Bezüglich der Verrechnung zwischen Banken wurde mit der Richtlinie 26/1998 (V. 19.) des Europäischen Rates die Verpflichtung zur sog. Nettoisierung eingeführt. Dieses Prinzip besagt, dass im Zuge der Verrechnung unter in diesem System tätigen Banken keinerlei – sonst durch nationale Konkursgesetze zwingend vorgeschriebene – Sicherheiten bzw. Sicherheitsansprüche die Erfüllung hindern dürfen. Im ungarischen Justizministerium werden bereits Vorbereitungen zu einem für die Harmonisierung notwendigen Gesetzesentwurf getätigt. Zurzeit deutet einiges darauf hin, als ob diese Frage in einer Rechtsquelle außerhalb des Insolvenzgesetzes geregelt werden wird.
Richtlinie 1346/2000, die am 15. 05. 2001 in Kraft tritt, stellt das internationale Konkursrecht auf Unionsebene dar, welches – wie aus obigem Datum ersichtlich – zum Zeitpunkt des Beitritts unseres Landes bereits lebende Rechtsmaterie sein wird. An sich wäre damit eine grundsätzliche Modifikation des ungarischen Konkursgesetzes noch nicht zwingend notwendig, da die Richtlinie ausschließlich Verfahrensrecht enthält: Sie ermöglicht zwar die Einbeziehung mehrerer, in verschiedenen Mitgliedsländern auffindbarer Vermögenswerte desselben Schuldners in ein und dasselbe Konkursverfahren, erlaubt jedoch selbstverständlich auch ergänzende Verfahren in den jeweiligen Mitgliedsländern. Diese werden dann nach dem materiellen Recht des betreffenden Landes abgewickelt.
Trotzdem ist es offensichtlich, dass das gemeinsame Verfahrensrecht eine Annäherung der verschiedenen nationalen, materiellen Rechtsnormen zur Folge haben wird. Es ist sogar anzunehmen, dass – selbst wenn wir untätig bleiben würden – sich das ungarische Konkursrecht innerhalb von vier bis fünf Jahren nach dem Beitritt den anerkannten und angewendeten Normen der anderen Mitgliedsstaaten anpassen würde.
Es sind eher die seit dem Inkrafttreten des Konkursgesetzes auftretenden praktischen Probleme, die uns zu einer Reform veranlassen.
Wie aus einer Wirtschaftsstudie eindeutig hervorgeht, wird unser geltendes Konkursrecht den Ansprüchen, die von den Betroffenen an eine derartige Regelung gestellt werden, nicht gerecht. Weder die Rechtsadressaten (Gläubiger, Schuldner) noch die Anwender (Gerichte, Masseverwalter) sind mit der gegenwärtigen Regelung zufrieden und äußern – vom jeweiligen Standpunkt aus – gewichtige Kritik. Mit etwas Übertreibung könnte man sagen, dass alle Anregungen zusammengenommen bereits die gesamte Materie eines neuen Gesetzes ergeben würden – natürlich mit zahlreichen einander widersprechenden Vorschriften.
Es ist mittlerweile beinahe ein Gemeinplatz, dass das Konkursrecht das gesetzgeberische Werkzeug der jeweils aktuellen Wirtschaftspolitik ist. Dies zeigen neben zwei Novellierungen unzählige kleinere Modifikationen, deren gemeinsames Ziel die Verbesserung des Gesetzes war. Es ist nicht die derzeitige Aufgabe, zur Frage der Auswirkung dieser Änderungen Stellung zu nehmen. Dies wurde bereits von der Praxis und der Fachliteratur getan. Dennoch ist es angebracht anzumerken, dass die Praxis sich bis heute mit vier verschiedenen Rechtsmaterien „herumschlagen” muss, die in gewisser Weise markant voneinander differieren. Dies bürdet den Akteuren zweifellos eine unnötige und unverhältnismäßig große Last auf und erschwert den Abschluss der Verfahren.
Erfreulicherweise hat die ungarische Rechtskodifikation bereits mehrmals der Schaffung formal neuer und einheitlicher Gesetze (Wettbewerbsgesetz, Gesellschaftsgesetz) gegenüber größeren Modifikationen den Vorzug gegeben und damit die Arbeit der Rechtsanwender erleichtert sowie die Durchschaubarkeit des ungarischen Rechtssystems erhöht.
Daher empfehlen wir, auch im Falle des Konkursrechts eine grundsätzliche Neuformulierung anstelle einer Modifizierung.
2. Begriffe, Definitionen
Es ist allgemein bekannt, dass die Terminologie des geltenden ungarischen Konkursrechts weder dem nationalen noch dem internationalen Usus entspricht. Das ist an sich noch kein Problem, besteht der an einen Rechtsbegriff gestellte Anspruch doch darin, das betreffende Rechtsinstitut markant und von anderen klar abgrenzbar zu erkennen. Gleichzeitig muss jedoch bei Übersetzungen in andere Sprachen darauf geachtet werden, dass dieser inhaltliche Wert erhalten bleibt.
Der jetzige Sprachgebrauch wird keinem dieser Kriterien gerecht. Im Jahre 1986 war die Verwendung des Begriffes „Konkurs” schon aus politischen Gründen unmöglich, weshalb wir diese Verordnung in Gesetzeskraft unglücklicherweise „Liquidationsverfahren” nannten. Diese Terminologie blieb leider auch nach dem Systemwechsel bestehen und bewirkte die eigenartige Situation, dass wir bekannte Begriffe für anderes verwenden und somit unserer rechts-historischen Tradition widersprechen. Weiters kann – und das ist das größere Problem – diese Eigenheit den fremdsprachigen Leser verwirren.
Es ist also offensichtlich, dass unsere Terminologie dem internationalen konkursrechtlichen Sprachgebrauch angepasst werden muss.
Unsere Vorschläge:
– Wir empfehlen, das Gesetz „Insolvenzgesetz” zu nennen. Die Gründe: In Deutschland ist seit 1. 1. 1999 ein äußerst umfangreiches und sehr gut vorbereitetes Insolvenzgesetz in Kraft, welches im Einflussbereich der deutschen Rechtsdogmatik, somit auch in Ungarn, bereits große Wirkung gezeigt hat. Der Begriff des Insolvenzrechts ist auch in Ungarn gängig geworden.
– Weiter empfehlen wir, den Begriff „Liquidationsverfahren” auf „Konkursverfahren” zu ändern. Obwohl das erwähnte deutsche Gesetz diesen Begriff nicht mehr verwendet, ist er in den anderen zwei deutschsprachigen Ländern und in der EU gängig. Mit dieser Änderung würden wir uns also der großen Mehrheit anschließen.
– Wir regen zudem an, den Begriff „Endabschluss” beizubehalten. Einerseits ist dieser Ausdruck in der ungarischen Rechtssprache gängig geworden, andererseits gehört er dogmatisch nicht in den Wirkungsbereich des Insolvenzrechtes, womit keine Begriffsproblematik wie im Falle „Konkurs” – „Liquidation” besteht. Obwohl er streng dogmatisch nicht in das Gesetz gehört, sollte er innerhalb dessen Wirkungsbereichs gehalten werden: Wir treten hier in Folge für radikale Änderungen im Zuge der Neuregelung dieses Verfahrens ein und meinen, dass in diesem Fall der Vermeidung von Missverständnissen der strengen Dogmatik gegenüber der Vorzug zu geben ist.
3. Ziele des Gesetzes
Im Zuge der praktischen Erfahrung konnten an der derzeitigen Regelung vor allem aus wirtschaftlicher Sicht erhebliche Mängel festgestellt werden. Das neue Gesetz soll eine vergleichsweise schnelle und einfache Anwendung ermöglichen und darüber hinaus durchschaubar und berechenbar sein. Gegebenenfalls muss auch auf den Automatismus der Verfahren Rücksicht genommen werden.
In Hinblick auf das heutige ungarische Wirtschaftsleben sollte der Schwerpunkt auf das Primat der Gläubigerinteressen gelegt werden. Darunter verstehen wir Folgendes: Theoretisch ist es unbestritten, dass das Insolvenzrecht die normalen schuldrechtlichen Bande durchschneidet und an ihre Stelle im Augenblick der Konkurseröffnung eigene verfahrensrechtliche Regeln setzt. Jedoch darf nicht vergessen werden, dass es sich hier um ein spezielles Rechtsverhältnis handelt: Der Schuldner bestreitet in der Regel nicht Bestand oder Summe der Forderung, er vermag sie lediglich nicht zu erfüllen.
Tatsache ist, dass sich – aus volkwirtschaftlichen Überlegungen heraus – die Rechtsentwicklung im Verlauf der letzten 100 bis 150 Jahre dahingehend geändert hat, den Schuldner zu begünstigen, wobei entsprechende Lösungen zum Nachteil der Gläubiger ausfielen. Jedoch entspricht die systematische Benachteiligung der Gläubigerinteressen nicht den Prinzipien der Rechtsordnung und kann darüber hinaus zu Beeinträchtigungen der normalen Schuldverhältnisse führen. Wirtschaftsstudien belegen, dass das neue ungarische Insolvenzgesetz grundsätzlich eher zum Vorteil der Gläubiger Partei ergreifen sollte. Die Begünstigung ihrer Interessen sollte sich jedoch nicht nur in der größtmöglichen Befriedigung der Gläubigerforderungen erschöpfen; vielmehr sollte dem Gläubiger zu diesem Zweck bei Bedarf und Sinnhaftigkeit eine aktive Rolle in der Reorganisation des Schuldners ermöglicht werden.
4. Konzeptionelle Änderungen
4. 1. Praktische Analysen belegen eindeutig, dass in Ungarn außerordentlich viele Konkursverfahren eröffnet werden. Die Gläubiger missbrauchen diese rechtliche Möglichkeit als psychologische Drohung und verursachen damit unnötige Arbeitsbelastung der Gerichte und eine Wertinflation dieser Rechtsinstitution. Deshalb erscheint die Erschwerung der Einleitungskriterien von Konkursverfahren mittels Rechtsvorschriften sinnvoll. Erste Schritte in diese Richtung wurden durch eine am 1. September 2001 in Kraft tretende Gesetzesänderung getätigt: nach diesem Datum soll die Einleitung eines Verfahrens in jedem Fall 40.000,– Forint kosten.
Um diesen Weg weiterzugehen, empfehlen wir, dass der Schuldner in bestimmten Fällen selbst zur Einleitung des Verfahrens gegen sich verpflichtet wird. Bezüglich der Gläubiger sollte eine Mindesthöhe der Forderungen eingeführt werden.
4. 2. Die derzeitige Regelung setzt die Bedeutung von Sicherheiten, die in dinglichen Rechten bestehen, herab. Dies führt zu wirtschaftlichen Dissonanzen. Unserem Konzept folgend – in dem die Begünstigung der Gläubigerinteressen einen Eckpfeiler darstellt –, schlagen wir vor, das Vermögen des Schuldners nach zwei unterschiedlichen Kriterien zu beurteilen. Mit den Wertgegenständen, an denen eine dingliche Sicherheit besteht, soll der dieses dingliche Recht innehabender Gläubiger seine Forderungen unmittelbar befriedigen können (Aussonderungsrecht). Wenn die Verwertung der Sicherheit die volle Höhe der Forderung abdeckt, erlischt der Gläubigerstatus des mit dem Aussonderungsrecht ausgestatteten Gläubigers, ein eventueller Mehrerlös fließt in die Konkursmasse ein. Reicht der Erlös jedoch nicht aus, so wird dieser Gläubiger für die Höhe der Restforderung zum „Normalgläubiger” und tritt in die Rangordnung der Gläubigerbefriedigung ein.
4. 3. In vielen Fällen verursacht die Auszahlung berechtigter Entgeltansprüche von ArbeitnehmerInnen erhebliche Schwierigkeiten. Wenn dafür Deckung gegeben ist, können selbst gesicherte Forderungen nicht in voller Höhe erfüllt werden. Sollte unser oben formulierter Vorschlag (Punkt 4. 2) Anwendung finden, könnte dies aber bewirken, dass die Erfüllung von berechtigten Entgeltansprüchen der ArbeitnehmerInnen noch mehr gefährdet wird. Es könnte nämlich passieren, dass der Großteil des Schuldnervermögens an einen Gläubiger mit gesichertem Befriedigungsrecht ausbezahlt wird. Um sowohl die berechtigten Entgeltansprüche als auch die Begünstigung von Gläubigerinteressen zu wahren, schlagen wir die Errichtung eines Fonds vor. Der Fonds sollte von der Ungarischen Staatsschatzkammer geführt werden. Er würde durch Einzahlung eines bestimmten Prozentsatzes des durch den Arbeitgeber ausbezahlten Arbeitsentgelts gespeist. Auf diesem Wege würde der Fonds immer neu gefüllt und auch die berechtigten Entgeltforderungen der ArbeitnehmerInnen wären gesichert. Bei vorübergehender Abschöpfung des Fonds könnte er durch kurzfristige Umstrukturierung des Staatsbudgets – bei Rückzahlungspflicht – wieder Liquidität erlangen.
Dies würde zwar naturgemäß die Arbeitskraft weiter verteuern, doch würden sich die die ArbeitgeberInnen belastenden Kosten rentieren: Da die gesicherten Forderungen in diesem System tatsächlich garantiert wären, könnte eine größere Bereitschaft der Banken zur Vergabe von Krediten und eine Senkung der Kreditzinsen erwartet werden.
4. 4. Nach geltendem Recht wird der Masseverwalter vom Gericht bestellt. Der Kreis der bestellbaren Masseverwalter wird durch die Regierung im Wege der Verordnung festgelegt. Die Aufnahme in das Verzeichnis der Masseverwalter erfolgt durch öffentliche Ausschreibung.
Die Verordnung über die Masseverwalter bedarf keiner besonderen Modifikation. Hingegen müsste die Art und Weise der Bestellung der Masseverwalter in der Zukunft geändert werden. Die Gerichte müssen zurzeit nur einen Umstand bei der Bestellung berücksichtigen, nämlich dass der zu bestellende Masseverwalter im obigen Verzeichnis aufscheint. Das bedeutet derzeit etwa 120–130 berechtigte Organisationen.
Anweisung Nr. 123/1963 über die Zivilprozessordnung besagt, dass bei Einleitung eines Konkursverfahrens die Ermittlung des zu bestellenden Masseverwalters mittels eines Computerprogramms zu erfolgen hat. Dieses Programm empfiehlt – unter Rücksichtnahme auf die Reihenfolge der im Verzeichnis aufscheinenden Organisation sowie auf deren Auslastung – die im Zuständigkeitsbereich des Gerichtes registrierten oder tätigen Masseverwalter.
Diese Anweisung über die Prozessordnung wirft zahlreiche Probleme auf. Die Regelung spricht über die im „Zuständigkeitsbereich des Gerichtes registrierten” Masseverwalter. Dieser Begriff ist rechtlich weder eindeutig noch klärbar. Die Verordnung sieht nämlich die Bestellbarkeit der im Verzeichnis aufscheinenden Masseverwalter für jedes Gericht des Landes vor. Eine derartige Nomenklatur wie die Gruppe der „im Zuständigkeitsbereich des Gerichtes registrierten” Masseverwalter existiert in keiner Rechtsvorschrift.
In der Praxis „registrieren” die mit Konkursverfahren befassten Gerichte eigenmächtig zehn bis dreißig der über hundert Masseverwalter in den Zuständigkeitsbereich des Gerichtes hinein. Das Tätigwerden anderer Masseverwalter ist ausgeschlossen. Auch für die Bestellung der Masseverwalter haben die Gerichte mehrere Methoden: Auf dem Wege des sog. Automatismus werden die Masseverwalter vom besagtem Computerprogramm schematisch, in einer fixen Reihenfolge bestellt. Es wird also weder auf ihre Qualifikation noch auf ihre praktische Erfahrung Rücksicht genommen. In diesem Falle kann wohl kaum angenommen werden, dass das befasste Gericht bzw. der das Verfahren leitende Richter unter Rücksichtnahme aller maßgebenden Umstände den Verwalter mit der größten fachlichen Qualifikation und Vorbereitung bestellt.
Die andere Methode ist, dass das Gericht tatsächlich auf die Umstände des Falls, die wirtschaftlichen Eigenheiten des Schuldners und die Qualifikation des Masseverwalters Rücksicht nimmt und versucht, die bestmögliche Wahl zu treffen. Leider hat auch diese Methode einen Haken: Immer häufiger werden Gerichte ungerechtfertigter Weise der Bevorzugung einzelner Masseverwalter verdächtigt.
Um selbst den Anschein einer solchen Bevorzugung zu vermeiden, sollte statt der schematischen oder automatischen Bestimmung ein gänzlich neues Auswahlsystem gefunden werden.
Sowohl aus der Praxis als auch während diverser Vorträge wurde der Vorschlag geäußert, dass der Schuldner über die Bestellung eines bestimmten, ihm günstig erscheinenden Masseverwalters entscheiden können soll. Dies erscheint jedoch nicht praktikabel, wenn man bedenkt, dass der Schuldner erhebliche Interessen daran hat, dass weitere Vermögensteile aus dem Restvermögen „gerettet” werden. Würde man diesem Vorschlag folgen, würde immer die Möglichkeit oder der Anschein bestehen, dass Schuldner und Masseverwalter „zusammenspielen”.
Unser Meinung nach könnte die Bestellung des Masseverwalters mit der folgenden Methode am besten und objektivsten bewerkstelligt werden: Unter Rücksichtnahme auf die vertrauliche Natur der Angelegenheit sollte die Bestellung in die Hände des Gläubigers bzw. des Gläubigerausschusses gelegt werden. Die Aufgabe des Gerichtes wäre danach lediglich die Einsetzung des so bestimmten Masseverwalters nach Feststellung der Zahlungsunfähigkeit.
Vorstellbar ist auch jene Variante, in der der Gläubiger – mit Stattgabe oder Einverständnis des Landesvereins der Masseverwalter einen Vorschlag die Person des Masseverwalters betreffend unterbreitet.
Würde man sich für diese Konstruktion entscheiden, müsste auch die Möglichkeit einer eventuellen Abberufung eines so bestellten Masseverwalters – während des laufenden Konkursverfahrens überlegt werden.
Nach geltender Regelung ist eine Abberufung während des Verfahrens praktisch unmöglich.
Sollte der Gesetzgeber im Zuge einer Gesetzesänderung die Stellung des Gläubigerausschusses aufwerten wollen, so sollte auch darüber entschieden werden, unter welchen – streng bestimmten – Kriterien bei Vorliegen der im Gesetz genannten Gründe der Gläubiger oder der Gläubigerausschuss den bestellten Masseverwalter wieder abberufen kann.
4. 5. Die kritischste Phase des derzeitigen Konkursverfahrens ist jene, in welcher das Gericht die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners feststellt, den Masseverwalter bestellt und der Schuldner daraufhin gegen die Entscheidung des Gerichts Berufung einlegt. Diese Berufungen sind – so besagen Erhebungen – rein formeller Natur. Die Intention des Schuldners ist nichts anderes, als in der so gewonnenen Zeit das Vermögen der Gesellschaft „beiseite” zu schaffen. Obwohl dies die Interessen der Gläubiger schwer verletzt, können die Rechtsanwender nichts gegen diese Praxis unternehmen.
Eine Analyse dieser Fälle zeigt, dass im Durchschnitt anderthalb Jahre vergehen, bis der Oberste Gerichtshof die letzte Entscheidung trifft. Er bestätigt in neunzig Prozent der Fälle die Entscheidung der Erstgerichte und gibt den Berufungen nicht statt. In diesen anderthalb Jahren können unredliche Eigentümer bzw. die Organe der schuldenden Gesellschaft den untätig wartenden Gläubigern enorme Schäden verursachen.
Diese unglücklichen Zustände ließen sich unser Meinung nach mit der Einführung eines einzigen neuen Rechtsinstitutes beseitigen: Das Gericht sollte unmittelbar nach Einleitung des Liquidationsverfahrens einen „provisorischen Masseverwalter” bestellen. Die Aufgaben des provisorischen Masseverwalters wären – ohne ins Detail zu gehen – die Wahrung der Gläubigerinteressen und die Beobachtung der wirtschaftlichen Aktivitäten des Schuldners, bis das Gericht – auf Antrag der Gläubiger – den endgültigen Masseverwalter bestellt hat. Des Weiteren sollte er sich über die wirtschaftliche Lage des Schuldners eine Übersicht verschaffen, indem er dessen Vermögenslage, Bücher, Kasse, Wertpapier- und Warenbestand, Verträge und Bankkonten prüft beziehungsweise von den Organen der Gesellschaft Aufklärung verlangt. Über die Resultate sollte er die Gläubiger oder den Gläubigerausschuss kontinuierlich unterrichten.
Wir halten es für überlegenswert, die vermögensrelevanten Verpflichtungen des Gemeinschuldners ab dem Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung an die Zustimmung des Masseverwalters zu knüpfen.
Durch die Bestellung eines provisorischen Masseverwalters würde der Schuldner weder Schaden erleiden noch in eine ungünstige Lage geraten. Wird das Konkursverfahren vom Handelsgericht oder vom Schuldner selbst initiiert, spricht natürlich nichts gegen eine derartige Einschränkung der Rechte des Schuldners. Hat hingegen der wirtschaftliche Rivale des Schuldners das Verfahren beantragt, könnte er theoretisch die Tätigkeit des provisorischen Masseverwalters – die den Schuldner auf jeden Fall einschränkt – missbrauchen, um den Schuldner in eine unangenehme und peinliche Lage zu bringen. Unser Vorschlag für diesen Fall: Wird das Verfahren vom Gericht eingestellt, weil der Schuldner nicht zahlungsunfähig ist, soll der Gläubiger, der das Verfahren in schädigender Absicht beantragt hat, dem Schuldner schadenersatzpflichtig werden. Der provisorische Masseverwalter würde seine Funktion ohnehin nur bis zur Bestellung des endgültigen Masseverwalters ausüben, womit die Möglichkeit des unbegründeten Zeitgewinnens durch „Scheinberufungen” praktisch ausgeschlossen wäre.
4. 6. Die derzeitige Regelung und Praxis des Gläubigerausschusses erreicht nicht die vom Gesetzgeber ursprünglich gesteckten Ziele. In der überwiegenden Zahl der Fälle werden erst gar keine Gläubigerausschüsse gebildet oder sie bleiben untätig. In anderen Fällen nehmen die gebildeten Ausschüsse bloß formale Aufgaben wahr. Daher plädieren wir dafür, die Bildung von Gläubigerausschüssen künftig zwingend vorzuschreiben. Wenn die Anzahl der Gläubiger nicht die minimal geforderten drei erreicht, würden die Gläubiger automatisch zum Mitglied des Ausschusses. Der Gläubigerausschuss beziehungsweise die Gläubiger könnten den Masseverwalter nach eigenen Vorstellungen nominieren. Bei Vorliegen bestimmter Kriterien hätten sie auch die Möglichkeit, diesen abzuberufen.
Die Rolle des Gläubigerausschusses im Verfahren sollte auf jeden Fall aufgewertet werden. Die Einführung der angelsächsischen Handhabung, die die Verwertung der Vermögensgegenstände zur Aufgabe des Gläubigerausschusses macht, ist überlegenswert. Das Tätigkeitsfeld des Masseverwalters wäre indes reduziert: die Eintragung der Gläubigerforderungen ins Anmeldungsverzeichnis und deren Einreihung, die Erledigung der mit einem eventuellen Ausgleich verbundenen Aufgaben, die Geltendmachung der Forderungen/Ausständigkeiten des Schuldners gehörten hier dazu. Rechtlich unproblematisch ist es auch, wenn die Gläubiger bzw. der Gläubigerausschuss wiederum den Masseverwalter oder einen Dritten mit der Verwertung des Vermögens beauftragt. Unser Vorschlag würde jedoch die Verwertung des Schuldnervermögens schneller, einfacher und effizienter machen. Darüber hinaus könnten so Gerüchte und Annahmen, die zurzeit darauf hinweisen, dass Masseverwalter die Verfahren absichtlich in die Länge ziehen beziehungsweise zu unerwünschten vermögenswerten Vorteilen kommen, hintangehalten werden. Damit könnte auch jener bedenklichen Praxis begegnet werden, welcher sich Masseverwalter beinahe ausnahmslos bedienen. Nämlich dass sie – mit einigen Ausnahmen – regelmäßig Sachgegenstände (vor allem Fahrzeuge) des Schuldners ohne jegliches Entgelt benützen und damit den Gläubigern erheblichen Schaden zufügen.
Im Zuge einer Neuregelung müssten den Gläubigern bzw. dem Gläubigerausschuss also wesentlich mehr Rechte während des gesamten Verfahrens eingeräumt werden. Vor allem sollte der Masseverwalter verpflichtet sein, den Gläubigern von den gegebenen Abschnitten des Verfahrens kontinuierlich – nach einem festgelegten Schema – zu berichten.
4. 7. Durch die Bearbeitung der Berufungen werden Verfahren oftmals sehr in die Länge gezogen. Obwohl wir mit der Bestellung eines provisorischen Masseverwalters bzw. der Einführung dieser Institution auf die Problematik rund um den ersten Abschnitt des Verfahrens eine uns als sinnvoll erscheinende Lösung anbieten, können wir dies nicht im Falle der durch die Berufungen verursachten Verzögerungen tun.
Werden Entscheidungen des Masseverwalters angefochten, entscheidet jenes Gericht, welches das Konkursverfahren eingeleitet hat. Diese Entscheidungen können selbstverständlich auch noch vom Obersten Gerichtshof überprüft werden. Die Verfahren werden also noch länger als die zuvor erwähnten.
Als Variante A kann vorgeschlagen werden, dass Konkursverfahren nicht von Komitatsgerichten abgewickelt, sondern zukünftig die städtischen Gerichte in den Komitatshauptstädten für zuständig erklärt werden. So könnten die Komitatsgerichte und das Hauptstädtische Gericht in Budapest die Berufungen rasch erledigen.
Variante B: Berufungen gegen einzelne Entscheidungen, die im Zuge von Anfechtungen gefällt werden, die die Tätigkeit des Masseverwalters betreffen, sollen während des Verfahrens nicht mehr möglich sein. In solchen Fällen könnte die Berufung erst gegen das fallentscheidende Urteil eingebracht werden.
4. 8. Wie sich in der Praxis zeigt, wird oft erst nach Eröffnung des Konkursverfahrens bekannt, dass das Schuldnervermögen nicht einmal zur Deckung der Verfahrenskosten ausreicht. Dieser Umstand bereitet zahlreiche Probleme. So werden nicht nur Gerichte umsonst belastet, sondern es entstehen den Masseverwaltern darüber hinaus überflüssige Kosten. Deshalb empfehlen wir die Wiedereinführung der aus dem ungarischen Konkursgesetz aus dem Jahre 1881 bekannten und damals gut bewährten Lösung, dass nämlich beim Fehlen eines nicht einmal kostendeckenden Vermögens das Verfahren abgewiesen wird. So würden die Akteure vor viel unnötiger Arbeit bewahrt, gleichzeitig könnte mit der Institution eines provisorischen Masseverwalters der Schuldner am „Beiseiteschaffen” seines Vermögens gehindert werden.
4. 9. Es ist allgemein bekannt, dass das Gesetz 2000/137 den pfandrechtlichen Abschnitt des BGB neu kodifiziert und in § 266 den Begriff des „vermögensbelastenden Pfandrechts” eingeführt hat. Das Rechtsinstitut wird im Absatz 1 beschrieben: „Am Vermögen oder dessen als wirtschaftliche Einheit funktionierenden Teilen (Vermögen) juristischer Personen oder Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit kann ohne Angabe der das Vermögen bildenden Sachen, Rechte und Forderungen (Vermögensteile) – mit der notariellen Beurkundung des Pfandvertrags und der Aufnahme des Pfandrechts in die Pfandrechtsregistratur – ein das Vermögen belastendes Pfandrecht begründet werden. Dieses Pfandrecht erstreckt sich nach Abschluss des Pfandvertrags auch auf Vermögensteile, die in das Vermögen des Pfandschuldners gelangen, ab dem Zeitpunkt in dem der Pfandschuldner Verfügungsberechtigung über sie erlangt; es erlischt aber, wenn der Vermögensteil das Vermögen des Pfandschuldners verlässt.”
Bei Einführung eines Aussonderungsrechtes ist es logisch, dass der Gläubiger, der über das Vermögen belastendes Pfandrecht verfügt, eigentlich alleine ist, da das gesamte Schuldnervermögen für seine Forderung haftet. Würde ein Konkursverfahren eröffnet, gäbe es so nur einen Gläubiger, da die auf mehrere Gläubiger ausgelegten Verfahrensregeln obsolet werden. Wir empfehlen, dass in solchen Fällen keine Konkurs-, sondern – wenn sich der Gläubiger dafür entscheidet – nur Ausgleichsverfahren eröffnet werden können. Es ist dem Gläubiger nämlich zumutbar, dass er die Tätigkeit des Schuldners verstärkt verfolgt, was den Vorteil hätte, dass die Gesellschaft etwa durch wirtschaftliche Neuorganisation noch rechtzeitig wieder auf die Beine gestellt werden kann. In diesem Fall – aber auch in anderen Fällen des Ausgleichs – müsste der tatsächliche Einfluss des Gläubigers auf die tägliche wirtschaftliche Tätigkeit des Schuldners gestärkt werden.
Bei dieser Frage darf die Stellung in der Rangordnung nicht unerwähnt bleiben. Stehen in der Rangordnung noch andere Gläubiger vor dem Gläubiger, der über das Vermögen belastendes Pfandrecht verfügt, so dürfen diese nicht benachteiligt werden. In diesem Fall muss Letzterer für die Befriedigung der Forderungen der in der Rangliste vor ihm stehenden Gläubiger sorgen. Dies kann im Zuge des Ausgleichsverfahrens aus dem Vermögen des Schuldners erfolgen. Auch die Möglichkeit, dass der Gläubiger, der über das Vermögen belastendes Pfandrecht verfügt, mit eigenen privatrechtlichen Mitteln eine Einigung mit den anderen, vor ihm in der Rangliste stehenden Gläubigern erzielt, ist nicht undenkbar.
4. 10. Wie unter 4. 9 bereits erwähnt, halten wir die Stärkung der Berechtigungen des Gläubigers im Zuge eines Ausgleichsverfahrens bei der wirtschaftlichen Tätigkeit des Schuldners für sinnvoll. In diesem Zusammenhang können wir zwischen zwei Lösungen wählen. Die eine ist die derzeitige Regelung, die mit der Führung durch den Schuldner und einem Ausgleichsverwalter operiert. In der anderen Variante bekämen die Gläubiger das Recht, einen Ausgleichsverwalter zu bestellen, der für die Abwicklung des Ausgleichs verantwortlich zeichnet.
4. 11. Das Gesetz aus dem Jahre 1997 über das Gesellschaftsrecht hat den Rahmen des Rechtsinstituts der beschränkten Haftung in Konkursfällen theoretisch bereits gesprengt. Doch war die Anhebung des Stamm- bzw. Grundkapitals in Gesellschaften mit Rechtspersönlichkeit nicht nur in der Inflation, sondern auch im verstärkten Schutz der Gläubigerinteressen begründet. Davon ausgehend halten wir es für überlegenswert, dass wenn in einem Konkursfall kein Stamm- oder Grundkapital zur Verfügung steht und die Gesellschaft kein Konkursverfahren gegen sich beantragt, die beschränkte Haftung erlöschen soll.
4. 12. Bezüglich der Endabschlüsse kann festgehalten werden, dass die Verfahren dermaßen kompliziert sind, dass kapitalschwächere Gesellschaften sich einen solchen Schritt mehrmals überlegen müssen. Entgegen ungarischer Praxis und Gesetzgebung gehört in den Mitgliedsländern der EU der Endabschluss nicht in den Wirkungsbereich der Konkursgesetze. Das hat verständliche dogmatische Ursachen. Dieses Thema wird als finanz- bzw. gesellschafts-rechtliche Frage behandelt und ohne eigenes Spezialverfahren gelöst. Die Übernahme dieser Handhabung halten wir für sinnvoll. Im Sinne unseres Vorschlags blieben die materiell-rechtlichen Vorschriften – die Entscheidung über das Verfahren betreffend – erhalten, hingegen würden die Regelung über die Bestellung eines Endabrechners und die zwingend vorgeschriebene Verfahrensordnung aufgehoben. Die Geschäftsführung gibt die Entscheidung dem Handelsgericht bekannt und beantragt die Veröffentlichung. Daraufhin sollte die Abschlussbilanz und der Vorschlag zur Vermögensverteilung ohne jegliches formelles Verfahren bis zu dem von den Eigentümern bestimmten Termin fertig gestellt und ebenfalls von der Geschäftsführung dem Handelsgericht mit dem Antrag auf Löschung aus dem Firmenbuch übergeben werden. Die Berechtigungen von Endabrechnern, die heute noch geltendes Recht darstellen, würden somit obsolet. Diese Variante erscheint sinnvoller, da der Endabschluss eine an sich souveräne Entscheidung des Eigentümers ist, mit der die „Außenwelt” nicht viel zu tun hat. Es gibt keinen reellen Grund dafür, dass wir in solche gewöhnlichen schuldrechtlichen Verhältnisse mit den Mitteln des Rechts einwirken. Andererseits setzt unser Vorschlag voraus, dass zukünftig ausschließlich dann ein Endabschluss eingeleitet wird, wenn die Gefahr der Zahlungsunfähigkeit nicht besteht und die Gesellschaft all ihre bestehenden schuldrechtlichen Verhältnisse mit den Mitteln des Privatrechts ordnen kann.
Selbstverständlich kann es vorkommen, dass die Existenz einer Forderung bekannt wird, von der die Organe der Gesellschaft selbst bei größter Sorgfalt keine Kenntnis haben konnten. Um solche Fälle zu lösen, empfehlen wir, dass die Eigentümer der auf dem Wege des Endabschlusses aufgelösten Gesellschaft ein Jahr lang, vom Zeitpunkt der Löschung gerechnet, bis zum Wert des aufgeteilten Vermögens für derartige Forderungen haftbar sein sollen. Mit Ablauf dieser Frist würde die Forderung erlöschen. Anderenfalls wäre das Prinzip der Verkehrssicherheit gefährdet.
5. Aufbau des Gesetzes
Als Einführung jeder bedeutungsvolleren Kodifikation ist es angebracht, die Ziele des Gesetzgebers in einer Präambel darzustellen. Diesbezüglich empfehlen wir die Präambel zu erweitern: Sie soll Sinn, Inhalt und Ziele beider Verfahren darstellen und das Verhalten beschreiben, das zu zeigen die teilnehmenden Akteure verpflichtet sind. Der Grund für eine Erweiterung der Präambel ist, dass beide Verfahren schweren Missbrauch ermöglichen (dies kann selbst mit der strengsten Regelung nicht vermieden werden) und die allgemeinen Begriffe des BGB zur Haftung hier wahrscheinlich nicht ausreichen, weil in diesen Fällen die Messlatte der erhöhten Sorgfalt vor den Parteien gestellt werden muss.
5. 1. Wie auch das geltende Gesetz beginnt die neue Rechtsvorschrift mit Begriffsdefinitionen und materiell-rechtlichen Normen:
5. 1. 1. Geltungsbereich des Gesetzes. Was diesen Punkt betrifft, so besteht ein ständig wiederkehrendes, praktisches Problem darin, dass das geltende Gesetz den Begriff der „wirtschaftenden Organisation” als Terminus technicus verwendet und diesen mit der Aufzählung solcher Organisationen auch erklärt. Daraus ergibt sich aber, dass bei jeder weiteren Formation, auf die der Gesetzgeber den Geltungsbereich des Gesetzes erstrecken will, eine sofortige Gesetzesänderung nötig wird. Wenn man bedenkt, dass sich im Zuge der Kodifikationsarbeiten zum BGB herauskristallisiert hat, dass der Begriff der „wirtschaftenden Einheit” – wohlbemerkt zum Glück – zur Verbannung aus der ungarischen Rechtssprache verurteilt wurde, ist es empfehlenswert, ihn ins neue Insolvenzgesetz gar nicht erst aufzunehmen. Da das Konkursrecht das Recht der Geschäftstreibenden ist, könnte folgende Definition Verwendung finden: „Der Geltungsbereich des Gesetzes erstreckt sich auf die geschäftsmäßig mit wirtschaftlicher Tätigkeit befassten juristischen und nicht-juristischen Personen.” Diese Begriffsdefinition erscheint geeignet, auch Organisationen in den Geltungsbereich des Gesetzes zu ziehen, die nur sekundär eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben. Wir denken hier in erster Linie an Vereine und Stiftungen. Die konkursrechtliche Behandlung dieser Organisationen bereitet dem ungarischen Gesetzgeber von je her Probleme. Dies wäre mit unserem Vorschlag gelöst. Selbstverständlich sind hierfür auch andere Modifikationen notwendig: So müsste das AGB um eine Haftungsregelung erweitert werden, die die volle und unbeschränkte privatrechtliche Haftung der entscheidungstragenden Organe vorschreibt, wenn infolge deren Tun im Bereich der geschäftsmäßigen wirtschaftlichen Tätigkeit der Vereine und Stiftungen eine Konkurssituation auftritt.
Andererseits muss selbstverständlich als Hilfsregel der Begriff der „geschäftsmäßigen wirtschaftlichen Tätigkeit” mit Inhalten gefüllt werden.
5. 1. 2. Der Schuldner. Vom Schuldner können wir nur während des Konkurs- bzw. Ausgleichsverfahrens im vollen rechtlichen Sinn sprechen. So empfehlen wir die Beibehaltung der jetzigen Regelung, nach der der Schuldner jene Person ist, die ihre Verbindlichkeit(en) zum Zeitpunkt derer Fälligkeit nicht erbringen kann oder vermutlich nicht erbringen wird können.
5. 1. 3. Der Gläubiger. Gläubiger ist die Person, die eine vermögenswerte Forderung gegen den Schuldner stellt, welche vom Masseverwalter in das Anmeldungsverzeichnis eingetragen wurde.
Gläubiger mit Aussonderungsrecht ist derjenige, der dem Schuldner gegenüber über ein dingliches Sicherungsrecht verfügt.
5. 1. 4. Das Vermögen. Alle Vermögenswerte, an denen der Schuldner im Sinne des BGB Eigentumsrecht hält. Hierzu gehören auch unbefristete oder länger als zehn Jahre bestehende Mitrechte sowie an einzelnen Vermögenswerten haftende Nutzungsrechte.
5. 1. 5. Die Konkursmasse. Die Konkursmasse ist der Teil des Schuldnervermögens, der nicht mit dinglichen Sicherungsrechten behaftet ist.
5. 2. Das Konkursverfahren
5. 2. 1. Die Einleitung des Verfahrens. Mit dem geltenden Recht übereinstimmend kann das Verfahren vom Schuldner selbst oder von den Gläubigern eingeleitet werden. Unsere Änderungsvorschläge betreffen den Zeitpunkt und die nötigen Kriterien.
Wir empfehlen, dass der Schuldner zur Einleitung des Verfahrens verpflichtet sein soll, wenn er Rechtspersönlichkeit hat und im überwiegenden Teil des vorangegangenen Wirtschaftsjahres über kein Stamm- oder Grundkapital verfügte oder wenn seine öffentlichen Schulden gleich hoch sind wie sein Kapital. Auch Mehrwertsteuer- oder Beitragsschulden zur Sozialversicherung gehören hier dazu. Im Falle von Beitragsschulden zur Sozialversicherung kann es auch zur strafrechtlichen Haftung kommen, da die Summe der Sozialversicherungsbeiträge privatrechtlich den ArbeitnehmerInnen gehört. Eine Nichteinzahlung dieser Beiträge kann auch als Unterschlagung gewertet werden. Der Schuldner kann weiters jederzeit die Einleitung eines Konkursverfahrens gegen sich beantragen, wenn er befürchtet, seine Verbindlichkeiten in Zukunft nicht erfüllen zu können.
Der Gläubiger ist zur Einleitung des Verfahrens berechtigt, wenn seine Forderung fällig ist, deren Höhe einen gewissen Mindestbetrag erreicht und die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners bekannt ist.
5. 2. 2. Zahlungsunfähigkeit. Die klassischen Konkursrechte ließen der richterlichen Abwägung in dieser Frage viel Raum, weil sie davon ausgegangen sind, dass strukturelle Probleme, welche die betriebswirtschaftliche Tatsache des Nicht-Zahlens verursachen, möglicherweise behoben werden können. Gleichzeitig nahmen sie auf den Umstand Bedacht, dass das Konkursverfahren ein drastischer, langwieriger und kostspieliger Eingriff in das Wirtschaftsleben ist und nach Möglichkeit vermieden werden sollte. Es wäre leicht zu verlangen, dass die Richter das Recht der Abwägung zurückerhalten sollen, doch wäre dies angesichts der Arbeitsbelastung der Gerichte wenig zielführend. Gleichzeitig scheint es – so zumindest das Feedback aus der Praxis –, dass die im geltenden Konkursgesetz enthaltenen drei Fälle die Lösung dieser Frage zufrieden stellend normativ lösen. Deshalb empfehlen wir die Beibehaltung der in § 27 Abs. 2 in den Punkten a, b, und c dargestellten Kriterien mit dem terminologischen Unterschied, dass der Schuldner die im Zuge des Ausgleichsverfahrens geschlossene Vereinbarung nicht einhält.
5. 2. 3. Das Verfahren des provisorischen Konkursverwalters. Die unverzügliche Bestellung ermöglicht dem provisorischen Masseverwalter, bis Ablauf seines Amtes die wirtschaftliche Situation des Schuldners zu erfassen. Er muss über die Resultate bei der Ermittlung des Schuldnervermögens berichten; weiters darüber, ob die Geschäftsabschlüsse, die höchstens ein Jahr vor Konkurseröffnung abgeschlossen wurden, anfechtbar sind und welchen Erfolg die Anfechtungen versprechen. Kann er diese Tätigkeit erfolgreich ausführen, kann das Verfahren bei der Bestellung des endgültigen Masseverwalters (der auch wieder er selbst sein kann) in eine viel aktivere Phase treten. Der endgültige Masseverwalter kann bei Beginn seiner Tätigkeit bereits auf Informationen zurückgreifen, deren Eruierung sonst viel Zeit in Anspruch genommen hätte.
5. 2. 4. Die Tätigkeit des Masseverwalters. In Einklang mit den klassischen Konkursrechten und der modernen, international angewandten Praxis bekommt der Masseverwalter Verwaltungs- und Verfügungsberechtigung über die Konkursmasse. Er überwacht die Verwertung der Vermögenswerte (er ist bestreitungsbefugt und kann den Vorgang sogar stoppen) und vollzieht die Absonderung derselben an die Gläubiger, die über Aussonderungsrechte verfügen. Selbstverständlich muss er bei der Verwaltung der Masse eng mit der ehemaligen wirtschaftlichen Führung des Schuldners zusammenarbeiten. Die Verpflichtung zur Erstellung einer Abschlussbilanz durch den letzten Geschäftsführer bleibt erhalten, die Änderung würde lediglich darin bestehen, dass der Masseverwalter diese auch an die Gläubiger übersenden müsste.
Eine der Schwächen des geltenden Gesetzes ist es, dass weder die Gläubiger noch die Schuldner kontinuierlich mit Informationen über den Fortgang des Verfahrens versorgt werden, da der Masseverwalter nur auf Anfrage hin zur Auskunftsleistung verpflichtet ist. Unserer Meinung nach sollte die Verpflichtung zur kontinuierlichen und stetigen Auskunft eingerichtet werden. Im Zuge dessen würden sowohl die Gläubiger und der Gläubigerausschuss als auch die Eigentümer über die einzelnen wirtschaftlichen Ereignisse – z. B. innerhalb von 15 Tagen nach deren Eintritt – mit Informationen versorgt. Die Aufnahme der Gläubigerforderungen ins Anmeldungsverzeichnis würde insofern gleich bleiben, als die Entrichtung der Registrierungsgebühr durch die Gläubiger bliebe aufrecht, obwohl diese Übung dogmatisch sehr fragwürdig erscheint. Jedoch gibt es in diesem Abschnitt des Verfahrens keine andere Liquiditätsquelle, aus der die Tätigkeit des Masseverwalters honoriert werden könnte. Die Entgeltlichkeit der im Wirtschaftsleben verrichteten Arbeit ist hingegen ein marktwirtschaftliches Grundprinzip.
Dies ist der Zeitpunkt, zu dem über die Fortführung des Verfahrens entschieden wird, da sowohl der endgültige Masseverwalter als auch der Kreis der Gläubiger feststeht und die Vermögenssituationen durchschaubar sind. Unabhängig von der Tätigkeit des Masseverwalters empfehlen wir die zwingende Vorschreibung der Bildung eines Gläubigerausschusses innerhalb von 30 Tagen ab Verfahrenseröffnung.
Gemäß Variante 1 umfasst der Gläubigerausschuss die Gläubiger mit den drei höchsten Forderungen; Variante 2 sieht vor, dass dieser Kreis um den Vertreter des kontoführenden Geldinstituts erweitert wird. Nach seiner Bildung übt der Gläubigerausschuss die Kontrollfunktion über die Tätigkeit des Masseverwalters aus: Er muss über die Fortführung oder Einstellung bestimmter Teilgeschäfte und über den Fortgang der Vermögensverwertung informiert werden. Vermögensdispositionen über mehr als 10 Prozent der Konkursmasse sind nur mit Zustimmung des Ausschusses möglich. Selbstverständlich kann der Gläubigerausschuss auch die wirtschaftliche Tätigkeit der über Aussonderungsrecht verfügenden Gläubiger überwachen.
Ist der Gläubigerausschuss mit der Tätigkeit des Masseverwalters unzufrieden, ist er berechtigt, diesen abzuberufen. Es müssen natürlich die normativen Grundlagen geschaffen werden, unter welchen Umständen und nach welcher Aufforderung dies geschehen kann. Auch der abberufene Masseverwalter hat Anspruch auf ein Entgelt – es sei denn, der Gläubigerausschuss kann ihm die Verletzung der gebotenen erhöhten Sorgfaltspflichten nachweisen. Nach Abschluss seiner wirtschaftlichen Tätigkeiten fertigt der Masseverwalter eine Abschlussbilanz und einen Vorschlag zur Verteilung des Konkursvermögens an. Bis zu diesem Zeitpunkt kann der Gläubigerausschuss jederzeit den Abschluss eines Zwangsausgleichs initiieren, um den Abschluss des Konkursverfahrens, also die Auflösung des Schuldners, zu vermeiden. In dieser Situation ist der Masseverwalter – mit der geltenden Regelung übereinstimmend – zu Verhandlungen mit dem Vertreter des Schuldners befugt. Hingegen erscheint, vom geltenden Recht abweichend, die Befragung des Masseverwalters nach dessen fachlicher Meinung empfehlenswert, ist er doch derjenige, der die Geschäfte des Schuldners in der letzten Zeit geführt hat.
Die klassische Aufgabe des Masseverwalters bleibt aber die Eintragung der Gläubiger in das Anmeldeverzeichnis. Nimmt das Gericht die Abschlussbilanz oder den Vorschlag zur Verteilung des Vermögens an, befreit es den Masseverwalter von seinem Amt und ordnet die Auszahlung seines Entgelts an.
5. 2. 5. Die Rangordnung der Befriedigung. Das hier angeregte System unterwirft die Rangordnung der Befriedigung grundsätzlichen Veränderungen, da die gesicherten Forderungen einen eigenen Befriedigungsmodus erhielten und daher die Masse nicht mehr belasten. So lautet die von uns – unter Aufrechterhaltung der konkursrechtlichen Prinzipien (kein Gläubiger wird vor einem in der Rangordnung vor ihm stehenden Gläubiger befriedigt) – entwickelte Rangordnung wie folgt:
1. Kosten. (Diese Kategorie beinhaltet bereits alle Kosten des Gerichtsverfahrens und das volle Entgelt des Masseverwalters.)
2. Masseforderungen. (Die Masseforderung ist ein altes und bewährtes Institut des Konkursrechts. Hierzu gehören alle Auszahlungen, die praktisch ohne Rechtstitel, aufgrund der Verfügungen des Masseverwalters getätigt worden sind, egal ob die Masse in verpflichteter oder berechtigter Position war. Es ist nämlich leicht einzusehen, dass die zur Fertigstellung von halb fertigen Waren nötigen äußeren Mittel nur gegen Bezahlung von den Lieferanten geliefert werden, weil diese nicht zu Konkursgläubigern werden wollen. So werden derartige Auszahlungen während des Verfahrens laufend getätigt und sind zum Zeitpunkt des Verfahrens bereits erfüllt.)
3. Gewährleistungs- und Garantieansprüche. (Diese Ansprüche entstehen nicht aus wirtschaftlicher Tätigkeit, doch sind die Berechtigten aufgrund ihres erhöhten Schutzbedürfnisses in diese erste Gläubigergruppe einzuordnen. Der Masseverwalter muss eine gesonderte Summe bestimmen, die voraussichtlich ausreicht, um derartige Forderungen bis zum Ablauf der Gewährleistungs- bzw. Garantiefrist zu decken. Wird die Summe nicht aufgebraucht, erhöht sie die Quote der anderen Gläubiger.)
4. Öffentliche Schulden, mit Kapital- und gesetzlichen Zinsen gerechnet. (Es ist bekannt, dass hinsichtlich öffentlicher Schulden viele Strafen bzw. Verzugszinsen Aufrechnung finden und die Verpflichteten davon – wegen eines oft nicht ausreichenden Informationsflusses – erst sehr spät Kenntnis erlangen. Es würde den Zielen des Konkursverfahrens widersprechen, die Last solcher oft sehr hoher, manchmal sogar die Höhe der Forderung überschreitender Kosten den anderen Gläubigern aufzubürden. Es erscheint logisch, bei der privilegierten Befriedigung solcher Forderungen nur mit dem normalen gesetzlichen Zins zu rechnen.)
5. Gesetzlich verzinste Kapitalforderungen von Gläubigern, die als Klein- und Kleinstunternehmen klassifiziert werden können. (Wie das in diesem Themenbereich angesiedelte Gesetz 1999/ XCV. zeigt, ist die Unterstützung von Klein- und Kleinstunternehmen wirtschaftspolitisches Ziel. Besagtes Gesetz liefert eine hervorragende Definition dieser Begriffe. So gilt jedes Unternehmen mit einer Beschäftigtenanzahl von weniger als 50 und einer Nettoeinnahme von höchstens 700 Millionen Forint oder einer Bilanz-Gesamtsumme von höchstens 500 Millionen Forint, an dessen Eigentum der Anteil des Staates oder Gemeinden zusammen nicht mehr als 25 Prozent beträgt, als Kleinunternehmen. Unternehmen, die weniger als 10 Personen beschäftigen und deren Nettoeinnahmen oder Bilanz-Gesamtsumme nicht die für Kleinunternehmen geltende Obergrenze erreichen, sind als Kleinstunternehmen zu klassifizieren.)
6. Sonstige Kapitalforderungen
7. Verzugszinsen
In Summe dürfen gesetzliche Zinsen natürlich nur bis zur Eröffnung des Verfahrens verrechnet werden.
5. 2. 6. Die Verwertung des Restvermögens. Das Gericht legt das Schicksal des Restvermögens nach Annahme der Abschlussbilanz und dem Verteilungsvorschlag in die Hände des Gläubigerausschusses. Hierauf ist der Gläubigerausschuss berechtigt, die Vermögenswerte zu verwerten. Weil sein Interesse, dies zu den höchstmöglichen Preisen zu tun, evident ist, scheint die Beibehaltung der derzeitigen komplizierten Regelung über die Vermögensverwertung erforderlich.
5. 2. 7. Das Entgelt des Masseverwalters. Die oben dargestellte Neuregelung des Konkursrechtes erfordert, sowohl das Entgelt des Masseverwalters als auch dessen Kosten zu überdenken. Da der Masseverwalter am Ende des Verfahrens das Vermögen nicht selbst verwertet, kann der Wert des durch ihn verwerteten Vermögens nicht als Basis seiner Entgeltsberechnung herangezogen werden. Wir meinen, dass das Preisniveau für Beratungen, das sich in letzter Zeit herausgebildet hat, dem Gericht eine gute Grundlage bei der Berechnung des konkreten Entgelts – wobei hier auch die Meinung des Gläubigerausschusses gehört werden sollte – bietet. Die Bestimmung des Berechnungsschemas wie auch die detaillierte Auflistung der Kosten, die der Masseverwalter in Anspruch nehmen darf, würde eine Verordnung des Finanzministers erfordern. Dadurch könnte der Gesetzgeber viel schneller und ohne Gesetzesänderung auf eventuelle Preisänderungen reagieren. Als Grundsatz muss festgehalten werden, dass die Tätigkeit des Masseverwalters ein geschäftliches Unternehmen wie jedes andere ist. Ein angemessener Gewinn muss also ermöglicht werden.
5. 3. Das Ausgleichsverfahren
Die Einleitung des Verfahrens kann der Schuldner ohne Beschränkungen, der Gläubiger, der im Sinne des § 266 BGB über ein vermögenbelastendes Pfand- recht verfügt, und jeder andere Gläubiger, dessen dinglich gesicherte Forderung die Hälfte des Schuldnervermögens übersteigt, beantragen.
Das Verfahren beginnt mit der Bekanntgabe vor Gericht. Wird das Verfahren vom Gläubiger eingeleitet, prüft das Gericht nur die persönlichen Daten und verfügt mit seinem Bescheid die Abwicklung des Ausgleichsverfahrens. Das bedeutet gleichzeitig, dass der Schuldner ein dreimonatiges Zahlungsmoratorium bekommt, während die gegen ihn gerichteten Forderungen ohne Verzugszinsen, nach gesetzlichem Zinsfuß verzinst werden. Hat der Schuldner das Verfahren eingeleitet, ist er verpflichtet, innerhalb von zwei Monaten ab Einleitung des Verfahrens einen Ausgleichsvorschlag zu präsentieren, für den er bei der Vergleichsverhandlung das Einverständnis des Gläubigers erbittet. Zur gültigen Erlangung des Einverständnisses könnte man als Alternative zu der zwischen 1991 und 1993 geltenden Regelung zurückkehren, nach der das Einverständnis aller Gläubiger nötig war, oder die heutige, seit 1993 geltende Lösung (Zwangseinigungstechnik) beibehalten, die aber faktisch nicht funktioniert.
Haben die Gläubiger das Verfahren beantragt, gehört die Bestellung eines Ausgleichsverwalters in ihre Entscheidungskompetenz.
Der Schuldner muss sich gemäß Ausgleichsvorschlag verhalten. (Ein wichtiger Punkt, der im Ausgleichsvorschlag festgehalten werden muss.) Jede bedeutende Abweichung stellt automatisch ein Recht auf Konkurseröffnung dar, was den Schuldner zur Einhaltung des Vorschlags motiviert. Die Verwirklichung des Plans kann maximal drei Jahre in Anspruch nehmen. Nach Ablauf dieser Zeit muss das Gericht das Verfahren abschließen beziehungsweise als Konkursverfahren fortsetzen.
Fehlt eine Vereinbarung und die Kriterien der Zahlungsunfähigkeit sind erfüllt, geht das Verfahren in Konkursverfahren über. Dies ist aber nicht gesichert, da sich die Einleitung eines Ausgleichsverfahrens – diese Meinung wird zumindest von der wirtschaftliche Fachliteratur vertreten – nur bei ferner Gefahr einer Zahlungsunfähigkeit lohnt. Es kann also leicht passieren, dass der Schuldner zum Zeitpunkt der fehlgeschlagenen Einigung noch zahlungsfähig ist.
6. Schlussbemerkung
Aus dem Genre der Thesen folgt, dass es noch zahlreiche offene Fragen gibt, die erst im späteren Abschnitt der Kodifikation gelöst werden können. Da unser Vorschlag grundlegende Änderungen beinhaltet, müssen noch einige unbehandelte Fragen erwähnt werden. Bei den Begriffsdefinitionen (Punkt 2) wird sichtbar, dass das Konzept nicht auf § 4 Abs. 3 des Konkursgesetzes eingeht, der die Liste der nicht zum Vermögen der wirtschaftenden Gesellschaft gehörenden Titel enthält. Wir meinen, dass die Erklärung des Vermögens durch das Eigentum diese Regelung obsolet macht. Es ist auch offensichtlich, dass unter marktwirtschaftlichen Umständen die Frage der Reserven zur Landesverteidigung nicht hierher gehört, obwohl gerade aus demselben Grund ein Konkursverfahren gegen diese Einrichtung möglich wäre. Hier treten aber öffentlich-rechtliche Lösungen in den Vordergrund.
Genauso wenig muss auf den Begriff des Leiters der wirtschaftlichen Organisation eingegangen werden, da dieser durch die Rechtsvorschriften, die die jeweilige Organisationsform regeln, ohnehin definiert wird. Mit großer Freude ließen wir die Passagen über staatliche Unternehmen, Trusts und Tochterunternehmen aus, da diese – obwohl die Begriffe im geltenden Recht noch zu finden sind – faktisch nicht mehr existierende Gesellschaftsformen darstellen. Einen Grund für ihre künstliche, formelle Erhaltung sehen wir nicht.
Weitaus bedeutender jedoch ist die Problematik des Umweltschutzes. Unser geltendes Gesetz enthält hierzu spezielle Bestimmungen. Das ist eine bemerkenswerte Lösung, da dieser Bereich in keinem Land der Union innerhalb des Konkursgesetzes berücksichtigt wird.
Richtigerweise nimmt der Umweltschutz eine bedeutende Rolle innerhalb der staatlichen Aufgaben ein. So wurde diesbezüglich ein eigenes Behördensystem aufgebaut und es wird viel dafür getan, dass budgetäre Mittel bereitstehen. Allein die Schätzung von Umweltschäden im Laufe eines Konkursverfahrens kann bereits Kosten in sich bergen, die ein Großteil der zur Verfügung stehenden Mittel aufbraucht. Die Beseitigung solcher Schäden dauert in der Regel erheblich länger als ein normales „privatrechtliches” Verfahren. In dieser Hinsicht kann das Prinzip der Gefahrtragung in der zivilen Sphäre nach zwei Gesichtspunkten markant unterschieden werden: Es gibt Unternehmen, die im Zuge ihres Umbaus privatisiert wurden und bei denen die Verursachung von Umweltschäden gar nicht oder nicht in jedem Fall bekannt wurde. In dieser Gruppe – die die größere darstellt – ist die Anmeldung von Schadenersatzansprüchen gegen die derzeitigen Eigentümer bzw. deren Gläubiger stark hinterfragbar. Einerseits weil sie in der überwiegenden Zahl der Fälle nichts von Umweltschäden gewusst haben, andererseits weil ihre Verantwortung – soweit eine besteht – nur schwer beweisbar ist. Anders hingegen bei der Gruppe der neu gegründeten Unternehmen, die zur Aufnahme ihrer Tätigkeit die Erlaubnis der Umweltschutzbehörden einholen müssen. In diesen Fällen handelt es sich nicht um konkursrechtliche Problematik, es kann jedoch öffentlich-rechtlich vorgegangen werden.
Die Annahme dieses Konzepts bedeutet eine außerordentlich große Kodifikationsaufgabe. Einerseits muss bestimmt werden, mit welchen Abweichungen das Gesetz auf Geldinstitute anwendbar ist, andererseits wird die Durchführung materiell-rechtlicher Änderungen in anderen das Wirtschaftsleben regulierenden Gesetzen notwendig.
Gleichzeitig müssen wir der in der Einleitung erwähnten EU-Richtlinie entsprechen, die nur verfahrensrechtliche Aufgaben enthält. Fraglich bleibt natürlich, in welchem Maße die EU-Rechtsquelle bis zu unserem Beitritt modifiziert wird.
Im Oktober 2000 kamen das Europa Institut Budapest und der Lehrstuhl für Bürgerliches und Handelsrecht der Universität für Wirtschaftswissenschaften Budapest überein, dass das Europa Institut in sein wissenschaftliches Programm die Unterstützung der Ausarbeitung von in Bezug auf die Aufnahme in die Union erforderlichen wirtschaftsrechtlichen Voraussetzungen in Ungarn unterstützt. Auf Empfehlung des Leiters des Lehrstuhles, Universitätsprofessor Gábor Török wurde zunächst die Ausarbeitung einer Konzeption für ein neues Insolvenzgesetz auf die Tagesordnung gesetzt. Außer unserem Institut unterstützen das Center of Legal Competence und die Wirtschaftsuniversität Wien bzw. die Aktion Österreich-Ungarn dieses Projekt, finanziert wird es von Banken Ungarns.
Bei vorliegendem Text handelt es sich um das Arbeitsmaterial der am 15. Mai 2001 im Institut veranstalteten internationalen Konferenz.
Begegnungen12_Szarka
Begegnungen
Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Band 12:196–204.
LÁSZLÓ SZARKA
Ethnopolitik und ethnische Konflikte in Zentraleuropa vor und nach 1918
„Alle Volksstämme des Staates sind gleichberechtigt, und jeder Volksstamm hat ein unverletzliches Recht auf Wahrung und Pflege seiner Nationalität und Sprache” – so wurde das wichtigste ethnopolitische Prinzip „des Staatsgrundgesetzes über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger für die im Reichsrat vertretenen Königreiche und Länder” vom 21. Dezember 1867 formuliert.1
Demgegenüber ging das ungarische „Gesetz über die Gleichheit der Nationalitäten” vom 6. Dezember 1868 vom staatsnationalen Begriff „der einheitlichen und unteilbaren ungarischen politischen Nation” aus, innerhalb dessen „alle Mitbürger aller Nationalitäten gleichberechtigte Mitglieder” sind. Die anderen Völker sollten in dem politisch einheitlichen Ungarn nur ihre sprachliche Unterschiedlichkeit bewahren, und die Forderungen der Nichtmagyaren um ihre Gleichheitsberechtigung wurden grundsätzlich nur im Sprach- und Schulbereich anerkannt.2
József Eötvös, der als Minister der revolutionären ungarischen Regierung resignierte, hat in seiner politischen Schrift „Über die Gleichberechtigung der Nationalitäten in Österreich” aufgrund der negativen ethnischen Konflikte der Revolutionszeit festgestellt: „Alle nationalen Bestrebungen stehen im direkten Gegensatz mit den Grundsätzen der Freiheit und Gleichheit”, weil zwischen den Begriffen der Freiheit und Gleichheit einerseits, und dem der gesonderten Nationalität andererseits, nicht nur in der Idee, sondern auch im Leben ein nie zu beseitigender Gegensatz bestehe”.3 Nach Eötvös wollten alle nationalen Bewegungen ihre Selbständigkeitsidee gnadenlos durchsetzen und damit erreichen, dass die bestehenden Staaten aufgelöst werden. Die Teilung des Staates nach der Sprache und Nationalität hat Eötvös in dieser Zeit als eindeutig negative Alternative gesehen, und gegenüber den Vorteilen eines Vielvölkerstaates bezeichnete er die diesartige Entwicklung als einen Rückschritt in der Realisierung der politischen Freiheit und Gleichheit.
Er ist aufgrund seiner Erfahrungen und Analysen dazugekommen, dass „das Prinzip nationaler Gleichberechtigung in seiner Entwicklung notwendig zur Auflösung der Monarchie führe”.4 Deshalb hat Eötvös sein Lösungskonzept eindeutig auf die sprachlichen Rechte und auf die individuellen Rechte aufgebaut: als eine adäquate Lösung der Ansprüche der Nationalitäten bezeichnete er „die freie Kommunalversammlung und durch die dem Einzelnen gebotene Möglichkeit, sich zur Wahrung der sprachlichen Nationalität mit seinem Sprachgenossen zu vereinigen, mit einem Worte, durch einen hohen Grad individueller Freiheit”.5 Eötvös hat später in seiner Studie über die Nationalitätenfrage eine strenge Selbstkritik geübt, aber die Angst vor einem durch die Autonomiebestrebungen beschleunigten Zerfall des Staates ist bei ihm auch weiter geblieben.6
Die drei politisch am besten organisierten nichtmagyarischen Nationalitäten Ungarns – die slowakische, rumänische und die serbische nationale Bewegung – formulierten ihren Anspruch auf einen autonomen staatsrechtlichen Status bereits im Laufe der Jahre 1848/49 in mehreren politischen Programmen, nationalen Deklarationen, Memoranden und Gesuchen, und von Seiten aller drei Bewegungen wurde als höchstes Ziel die Ablösung von Ungarn und die Gründung von abgesonderten Provinzen als Garantie für ihre nationale Autonomie betrachtet.
Das Programm der Bildung von autonomen nationalen Gebieten als Ziel der nationalen Bewegungen ethnoregionalen Charakters in Ungarn tauchte in den Arbeiten zur Verfassungsrekonstruktion zwischen 1860–1867, sowie in den Diskussionen dieser Zeit wiederholt und betont auf. Obgleich die Erfahrungen im Zusammenhang mit den Nationalitätenkonflikten aus dem Jahre 1848 sowohl für die ungarische als auch die nicht-ungarische Seite eine wichtige Rolle in diesen bewegten Zeiten spielten, gelang es doch nicht, in dem Nationalitätengesetz Ungarns aus dem Jahre 1868 einen gemeinsamen Nenner zu finden.
Mihal Polit, serbischer liberaler Politiker in Ungarn, ging davon aus, dass in Ungarn die Demokratie in keiner Weise mit der ungarischen nationalen Ausschließlichkeit zu vereinbaren sei: „Die Konsequenz der Demokratie in Ungarn kann nur die sein, dass sie nicht einen Nationalstaat, sondern einen Nationalitätenstaat schafft.”7
Im Gegensatz dazu versuchten von ungarischer Seite die Politiker, die in der Zeit vor dem Ausgleich von bestimmender Bedeutung waren, so beispielsweise József Eötvös und Ferenc Deák, den Geist des Szegediner Nationalitätengesetzes aus dem Jahre 1849 von Szemere, der nach der sprachlich-kulturellen Gleichberechtigung trachtete, in die neuen politischen Verhältnisse hinüberzuretten. Den Anspruch auf die politische Einheit des Landes, auf dessen einheitliche Gesetzgebung und staatliche Regierung verwirklichte der Entwurf des Nationalitätengesetzes aus dem Jahre 1868, der von Deák eingebracht worden war, in der Weise, dass die Nationalitäten innerhalb der Kategorie der einheitlichen und ungeteilten ungarischen politischen Nation nur in ihren sprachlichen und kulturellen Rechten gesondert behandelt wurden.
Der Grundbegriff des ungarischen Staatsgedankens, „die ungarische politische Nation” wäre – als staatsbürgerliche Gemeinschaft – in sich selbst kein unüberwindbares Hindernis zur Versöhnung mit den Nationalitäten gewesen. Dies belegt die Tatsache, dass im Zusammenhang mit dem Nationalitätengesetz dieser Begriff auch von zwei nicht-ungarischen Anträgen verwandt wurde. Der erste Paragraph des rumänisch-serbischen Entwurfes von Vlad und Popoviå lautete beispielsweise: „Die anderssprachigen Völker, die in Ungarn auf verschiedenen Gebieten in größerer Zahl und Dichte leben, namentlich die Rumänen, Slawen, Serben, Russen und Deutschen, sind als mit den Ungarn gleichberechtigte Nationen anzuerkennen, und die Gesamtheit dieser bildet die politische Nation Ungarns.”8
In Wirklichkeit bedeutete das tatsächliche Problem, dass der Begriff der politischen Nation auf verschiedene Weise interpretiert wurde. Die mehrheitliche ungarische Meinung, sowie die entscheidende Mehrheit der ungarischen politischen Elite verstanden unter der politischen Nation den Wirkungskreis der Entfaltung der ungarischen ethnischen Nation, seine innere Expansion, die politische und sprachliche Assimilation.
Nach dem anderen Standpunkt, für den die Namen Deák und Eötvös standen, doch der in den Jahrzehnten nach der Verabschiedung des Gesetzes nur von einer Minderheit vertreten wurde, bedeutete die Kategorie der politischen Nation, dass neben dem absoluten Primat der Wahrung der Staatseinheit (territorial, staatsrechtlich und administrativ) das kulturelle Institutionensystem der sprachlichen Gleichheit der Nationalitäten staatliche Unterstützung genossen hätte, was eine Vorstellung war, die in Richtung einer Art kulturellen Autonomiemodells wies.
Gemäß des zeitgenössischen nicht-ungarischen politischen Standpunktes war dies ein Begriff föderativer Struktur, in dem die ungarische nur eine der „sechs reichsbildenden Nationen” war. Der Entwurf zum Nationalitätengesetz, der von den Abgeordneten der Nationalitäten eingebracht worden war, drängte als Grundlage der Reform des Verwaltungswesens, die mit einer inneren Föderalisierung gleichwertig war, auf die den „Nationalitäten entsprechende Gestaltung” der Komitate. Auf den Gebieten der politischen Vertretung, der Ämterverteilung, des Etats mit nationalem Ziel usw. wurde hingegen die Proportionalität, das heißt die Einführung des Prinzips der nationalen Parität gefordert.
Es ist jedoch eine Tatsache, dass ohne die Gleichberechtigung der Nationalitäten und die grundlegende innere Reform des Verwaltungswesens dies von vornherein eine chancenlose Alternative blieb. Sehr gut erkannte dies beispielsweise Polit-Desančić, der den archimedischen Punkt der Nationalitätenfrage in der Reform des Verwaltungswesens sah: „Die Nationalitätenfrage in Ungarn ist keine staatsrechtliche Frage, aber auch keine Frage der Sprache, sondern eine rein staatsrechtliche Frage.”9
Ein Teil der liberalen ungarischen Politiker und die politischen Führungspersönlichkeiten der Nationalitäten stimmten also darin überein, dass das Terrain und Instrument der politischen Gleichberechtigung der Nationalitäten die durch die Nationalitäten gelenkten Komitate, beziehungsweise die regionalen Einheiten der Komitate nach Nationalitäten hätten sein können.
Die staatsnationale Funktion der ungarischen politischen Nation und eine derartige föderalistische Herangehensweise der Emanzipation der Nationalitäten schlossen sich jedoch gegenseitig aus. Der federführende Ideologe des ungarischen liberalen Nationalismus, Gusztáv Beksics, fasste im Zusammenhang mit dem Nationalitätengesetz aus dem Jahre 1868 dies folgendermaßen zusammen: „Diese Deklaration (d.h. Präambel) des Gesetzes, die das zuvor als Paria behandelte Rumänentum auch zu einem gleichberechtigten Mitglied der ungarischen Nation machte, hat damit, dass es auf diese Weise die unauflösbare Einheit der ungarischen Nation feststellte, jegliche föderative Bestrebung im Voraus ausgeschlossen. Denn wo der subjektive Begriff des Staates, die Nation einheitlich ist, dort ist notwendigerweise auch der Staat selbst einheitlich.”10
Es bleibt die Frage, ob die ethnopolitischen Grundsätze nach dem Ausgleich in Trans- und Zisleithanien wirklich und konsequent und ohne Korrektionen eine diametrale Entwicklung geschaffen haben. Und wenn wir diese, ohne Zweifel sehr verschiedenen Entwicklungslinien in ihrer Komplexität mit den unterschiedlichen ethnoregionalen, ethnosozialen Strukturen, Traditionen, Zielsetzungen erklären, bleibt es noch immer zu beantworten, warum die Endphase des Zerfalls in beiden Hälften des Reiches eigentlich ebenso gelaufen ist.
Ich möchte mich jetzt mit einer wichtigen Dimension der ungarischen Nationalitätenpolitik kurz beschäftigen, die man in der ungarischen Geschichtsschreibung gleichzeitig als eine ständige ethnische Konfliktquelle und eine wichtige ethnopolitische Zielsetzung betrachten kann.
Es geht um die ethnoregionale Dimension der ungarländischen nichtmagyarischen nationalen Bewegungen, bzw. um die teilweise fehlende regionale Behandlung dieser Bewegungen in der ungarischen Regierungspolitik. Es gehört zu den phrasenhaften Feststellungen der ungarischen Geschichtsschreibung, dass die ungarische Regierungspolitik in der Anfangsphase des Zeitalters des Dualismus eigentlich am tiefsten durch die Diskussion über die Vor- und Nachteile der zentralistischen, bzw. der dezentralisierten Staatspolitik gekennzeichnet war.
Die Ohnmacht und die Schwäche des ungarischen Staates gegenüber der österreichischen Reichshälfte auf einer Seite, und die Hegemonieansprüche und die panslawistischen und großrumänischen Phobien auf der anderen Seite, haben diese politischen Diskussionen am Ende für die zentralistische Lösung entschieden. So wurde auch die traditionelle Idee der Autonomie der Komitatenpolitik geopfert, und gerade dies hat dann auch für die ethnopolitische Radikalisierung der Komitatenpolitiker gegenüber den Nationalitäten eine sehr negative Motivation gegeben. Und dieser immer stärker zentralisierende Kurs hat auch dazu beigetragen, dass selbst die – immer mehr nur auf die individuellen Sprachrechte beschränkte – Gleichberechtigungsidee stufenweise isoliert geblieben ist. Die zentralistische ungarische Staatspolitik hat dann in der Mitte der 1890er Jahren ihren stärksten ideologischen Hintergrund in dem Staatsnationalismus gefunden.
Der ungarische Staatsnationalismus, war in dieser Region eigentlich die erste nationalistisch geprägte radikale Staatsidee, praktisch eine Mischung der historisierenden und Modernisierung orientierten Integrations- und Assimilationspolitik. Die langverlorenen historischen Großmachtpositionen des mittelalterlichen Ungarns, die ebenso langverlorene klare ethnische Mehrheit und Reinheit des ungarischen Staatsgebietes waren ebenso wichtige Motive in der Argumentation der Assimilationspolitik, wie der erfolgsreiche Urbanisations- und Industrialisierungsprozess, oder die Modernisierung des Schulsystems.
Die ungarische Nationalitätenpolitik auf der Regierungs- und paradoxerweise auch auf der Komitatenebene in dem zweiten und vor allem in dem letzten Drittel der Dualismuszeit können wir mit diesem Zentralisations- und Assimilationskurs charakterisieren. In Rahmen dieser ist für die ethnoregionalen, und maßgebend autonomistisch geprägten Nationalitätenbewegungen kein Spielraum und keine Anpassungsmöglichkeit geblieben. Sie konnten sich in der Staatspolitik höchstens in die politische Passivität zurückziehen oder eine loyale Politik führen. Die oppositionellen rumänischen, slowakischen, serbischen und teilweise auch die deutschen und ruthenischen politischen Kreise haben sich aber für eine andere Alternative entschieden, und begannen ihre ethnopolitische Basis innerhalb ihrer eigenen Regionen neu zu organisieren und eine politische, wirtschaftliche und kulturelle Unterstützung, ein Hinterland bei den Nachbarn, unter Sprachverwandten oder eben bei den Mutternationen zu suchen.
Diese zwei parallelen ethnopolitischen Konzepte – der zentralisierende und assimilierende ungarische Staatsnationalismus und der seine ethnopolitische Basis ausbauende nichtmagyarische Ethnoregionalismus – wurden dann schon vor dem Ersten Weltkrieg öfters miteinander konfrontiert.
Die Erfolge der Assimilation waren nur in den slowakischen und deutschen Regionen so bedeutend, dass man die Assimilationspolitik langfristig als ein Lösungskonzept annehmen konnte. Aber auch bei diesen meistens integrierten und assimilierten zwei Volksgruppen konnte man immer öfter die Zeichen des Ethnoradikalismus registrieren, während bei den Rumänen und Serben ihre ethnoregionale und autonomistische Entwicklung immer deutlicher wurde. Das alles hat schon vor dem Ersten Weltkrieg dazu geführt, dass unter dem Druck der außenpolitischen Faktoren der Kriegsvorbereitungen selbst der ungarische Ministerpräsident István Tisza eine Kompromisspolitik – eine Art der Paktpolitik – gegenüber den drei stärksten Nationalitäten Ungarns iniziierte.
Eine systematische nationale Gleichberechtigung der Nationalitäten wurde in der ganzen Monarchie nicht erreicht, obwohl es theoretisch ein gemeinsames Lösungskonzept für die positiven ethnopolitischen Überlegungen und Zielsetzungen auf der Regierungsseite ebenso sein konnte, wie auf der Seite der Nationalitäten. Während Österreich in dieser Richtung doch ziemlich große Schritte tat und in seiner tschechischen, polnischen und teilweise südslawischen ethnoregionalen Politik auch neue politische Institutionen durchsetzte, hat in Ungarn der Zentralismus und der Assimilationskurs eine solche Entwicklung bis 1910– 1912 total blockiert.
Diese zweifache Entwicklung hat dann auch dazu beigetragen, dass die tschechoslowakischen, serbokroatischen und großrumänischen Einheitsbewegungen ebenfalls ihre innere, österreichische-zisleithanische politische Unterstützung gehabt haben.
Hat der Zerfall der Monarchie die Ängste von Baron Eötvös bewiesen? Warum sind die, für die ungarische Nationalitätenpolitik positiven Reformgedanken für die ganze Periode der Dualismuszeit apriori illusorisch und utopisch geblieben? Und das alles trotz der Tatsache, dass selbst Eötvös in den 1870er Jahren die einzige Möglichkeit der inneren Lösung der nationalen Fragen in einer grundsätzlich durchgeführten ethnopolitischen Reform der Monarchie, aufgrund sprachlicher, ethnoregionaler Autonomisierung und Föderalisierung gesehen hat, ebenso, wie seinerzeit Palacký, und im Spätherbst 1918 auch Oszkár Jászi, der Nationalitätenminister der ungarischen Regierung.
Um eine richtige Antwort auf diese Frage zu finden, möchte ich ganz kurz auf die ministerielle Tätigkeit von Oszkár Jászi skizzieren. Das Hauptziel des Jászi-Ministeriums kann damit gekennzeichnet werden, dass er bestrebt war, die Politik der westlichen Großmächte durch Übereinkommen mit den Nachbarvölkern zu mäßigen. Gleichzeitig wusste Jászi genau, dass sich die durch ihn angebotene Kantonisierung Schweizer Typs, die Helvetisierung, also das System der regionalen Autonomien innerhalb Ungarns, mit der Gründung eines unabhängigen nationalen Staates im Gegensatz zu dem Anschluss an die Sprachverwandten als eine ziemlich aussichtslose Konzeption erwies.11
Trotzdem es ist ja für die Entwicklung der ungarischen ethnopolitischen Konzepte sehr wichtig, dass erst zu dieser Zeit der Gedanke der Herausbildung von nationalen Autonomien, der inneren Föderalisierung als letzte Möglichkeit zur inneren Lösung auftauchte. Parallel dazu gelangte Jászi von seinem im Frühjahr 1918 erstellten Entwurf der Vereinigten Donaustaaten, in dem er einen monolithischen Ungarn-Plan entwickelte, im Laufe der Monate November-Dezember allmählich ebenfalls zur Schaffung eines Systems nationaler Autonomien.12
Nach dem Misserfolg der rumänischen Verhandlungen in Arad am 13./14. November bewertete Jászi die Bereinigung der slowakischen Frage, indem er die Entstehung des tschechoslowakischen Staates in Betracht zog, bereits sehr viel realistischer: „Leider jedoch, muss ich es als zweifelhaft ansehen, dass uns eine Einigung mit ihnen in den gegensätzlichen Fragen gelingen könnte, denn ebenso wie bei den Rumänen, kompliziert auch bei dem slowakischen Nationalitätenrat die Entstehung eines äußeren Staates die Frage. Infolge der tschechischen Bestrebungen kann auch in der slowakischen Frage vermutlich ebenfalls nur die nationale Friedenskonferenz eine Entscheidung fällen. Bis dahin können wir nur streben, dass wir eine Übergangsordnung schaffen und die anarchistischen Erscheinungen von Plünderung und Raub verhindern, die sowohl für Ungarn als auch für Slowaken gleichermaßen nur Schmerz und Leid bedeuten.”13
Nach Jászis Auffassung versuchte die provisorische ungarische Nationalitätenpolitik, die in dieser kurzen Übergangsperiode auf der Einigung mit den Nationalitäten basieren sollte, dreierlei Ansprüchen Genüge zu tun:
Zur Verwirklichung des als allgemeingültig betrachteten nationalen Selbstbestimmungsprinzips nach Wilson hätte die Anbietung der kulturellen und regionalen Autonomien ganz zu Beginn ohne Zweifel einen revolutionär neuen Verhandlungszustand bedeuten können.
Mit der Regelung der inneren Ruhe des Landes und der Zusammenarbeit der Nationalitäten zur Sicherung der öffentlichen Versorgung gab es Hoffnung auf die praktische Verwirklichung der Kooperation der autonomen Einheiten.
Durch die „Helvetisierung” des Landes geschahen auch Vorbereitungen zur Schaffung des nationalen Kantonsystems. Mit der Versetzung derer auf gesetzliche Grundlagen hätte die Stabilisierung des Provisoriums zugleich die innere Entfaltung der Selbstbestimmung und die Aufrechterhaltung des Prinzips der territorialen Integrität bis zur Entscheidung der Friedenskonferenz bedeuten können.
Mehr als dies erhoffte in der immer drückenderen diplomatischen Isolation des Landes, inmitten der zunehmenden militärischen Bedrohungen bereits Anfang Dezember niemand mehr. Auch die zarten Hoffnungen, die in das Prinzip der Volksbestimmungen gesetzt wurden, knüpften sich hieran: „Die ungarische Volksregierung akzeptierte vorher die Zuständigkeit der Friedenskonferenz für die Entscheidung über eine Volksbestimmung, aufgrund derer die auf dem ungarischen Staatsgebiet lebenden Rumänen, Serben und Ruthenen ihr Recht selbst bestimmen können, welchem Staatsgebiet sie sich anzuschließen wünschen.” So formulierte dies der „kleine Katechismus”, der die Grundprinzipien der Arbeit des Ministeriums zusammenfasste.14 Untersucht man diese drei Zielsetzungen, ist es notwendig zu betonen: Trotz jeglicher Erfolglosigkeit bei den Verhandlungen, trotz der bedeutenden Misserfolge hatte das Ministerium in einer außerordentlich kurzen Zeit, praktisch innerhalb eines Monats jene Propositionen ausgearbeitet, deren Verwirklichung in den Jahrzehnten vor dem Ausbruch des Weltkriegs als eine revolutionär neue Lösung der Nationalitätenfrage Ungarns gefeiert – oder eben verurteilt – worden wäre.
Bei den bereits erwähnten Verhandlungen in Arad warf Jászi neben Alajos Kovács, der das siebenbürgische Kantonsystem darlegte, den Gedanken des siebenbürgischen Planes zu einem ungarisch-rumänischen Kondominium auf. Gerade jene Tatsache, dass in den geplanten siebenbürgischen Kantonen die ungarischen, rumänischen beziehungsweise sächsischen Minderheiten unter zwanzig Prozent geblieben wären, deutet darauf hin, dass selbst die Institutionalisierung der siebenbürgischen nationalen Abgrenzung nicht von vornherein eine vollkommen hoffnungslose Unternehmung war.
Daneben ließ er mit seinem skizzenhaften Entwurf des „slowakischen Imperiums”, der als Verhandlungsbasis bei den Einigungen mit den Slowaken diente, indem zu der Zeit im ungarisch/slowakischen Verhältnis das Ziehen einer Sprachgrenze noch relativ genau rekonstruierbar war, ein anderes Modell aufblitzen – das Modell des einheitlich nationalen autonomen Gebietes. Dies wurde später in Ruska/Krajna beziehungsweise dem wendischen Komitat und der deutschen Autonomie (letztere zwar ohne gebietliche Präzisierung) weiter konkretisiert.15
Ein derartiger theoretischer Ausbau der östlichen Schweiz scheint zu bezeugen, dass der Mangel an einer inneren ethnisch-territorialen Abgrenzung – was sich bei uns im Vergleich zu der österreichischen Entwicklung immer als ein grundlegendes nationalitätenpolitisches Negativum erwiesen hat – mit entsprechenden politischen Entscheidungen ersetzbar, lösbar gewesen wäre. Obgleich sich der ungarische Kantonentwurf, der unter den ministeriellen Schriftstücken am 2. Dezember „ad acta” gelegt wurde, bereits zweifelsohne als Anachronismus erwies.16
Die ethnopolitischen Konzepte der ungarischen Regierungspolitik während des Dualismus sind wegen der beschränkten und stufenweise abgebauten Elemente der nationalen Gleichberechtigungspolitik in die totale Sackgasse geraten, wo keine Kompromisspolitik mehr helfen konnte. Die ethnoregionale Organisationsarbeit der Nationalitäten demgegenüber hat ihnen ermöglicht, ihre ethnische und territoriale Basis gegenüber der zentralistischen Staatsmacht auszubauen und zu festigen.
Im Zerfallsprozess der Österreich-Ungarischen Monarchie hat die unterschiedliche ethnopolitische Entwicklung in beiden Hälften des Reiches unmöglich gemacht, eine reale innere und auch für die Betroffenen günstige und annehmbare Alternative gegen die Kleinstaaterei anzubieten.
Die ethnischen Konflikte waren auch während des Desintegrationsprozesses relativ harmlos und kurzfristig, weil jenem schon eine neue Großmachtkonstellation folgte.
In dem kleinstaatlichen Zwischen-Europa hat sich die ethnische und staatliche Struktur der Region nicht nur total verändert, sondern auch die Logik der Geschichte wurde modifiziert. Es ging nicht mehr nur um die Gleichberechtigung der Nationen und Nationalitäten, sondern um die Bewahrung der nationalstaatlichen Souveränitäten und gleichzeitig auch um den Minderheitenschutz. Der Kampf zwischen diesen zwei gegensätzlichen Grundprinzipien – zwischen dem Souveränitäts- und Selbstbestimmungsprinzip – hat bedeutend dazu beigetragen, dass im kleinstaatlichen Zwischen-Europa die nationalstaatliche Realität zu einer Quelle der militanten Konflikte geworden ist.
Die nationalen Kleinstaaten haben ihre Staatsideen von Anfang an auf den Staatsnationalismus gebaut, und damit haben sie ein Autonomisierungs-, bzw. Föderalisierungskonzept apriori ausgeschlossen. Die Signatarmächte des Versailler Friedenssystems mit ihrer Passivität haben das nicht nur toleriert, sondern auch wesentlich dazu beigetragen, dass die nationalstaatliche Ordnung Ostmitteleuropas ebenso zum Kriegskonflikt geworden ist, wie die ethnopolitische Entwicklung in dem Staatensystem vor dem Ersten Weltkrieg.
Anmerkungen
1
Urbanitsch, Peter–Wandruszka, Adam (Hrsg.): Die Habsburgermonarchie 1848–1918. Die Völker des Reiches III/2. Bd. Wien 1980. S. 782.
2
Kemény, G. Gábor (Red.): Iratok a nemzetiségi kérdés történetéhez Magyarországon a dualizmus korában, Bd. I. Budapest 1952. 161.
3
Eötvös, Joseph: Über die Gleichberechtigung der Nationalitäten in Österreich. Pesth 1850 S. 62.
4
Ebenda, S. 106.
5
Ebenda, S. 132.
6
Über die Entwicklung Eötvös’s Auffasung vgl. z. B. Gángó, Gábor: Eötvös József az emigrációban. Debrecen, Kossuth Egyetemi Kiadó, 1999. 118–120, 174–178; Galántai, József: Nemzet és kisebbség Eötvös József életművében. Budapest, Korona Kiadó, o. s. d.; Péter, László: Az Elbától keletre. Budapest, Osiris Könyvkiadó, 1999. 234–240.
7
Képviselõházi Napló, 1872–1875. XI. Bd. S. 190
8
Kemény, G. Gábor: Iratok... Bd. I. S. 45.
9
Képviselõházi Napló, 1875–1878. Bd. I. S. 79.
10
Beksics, Gusztáv: A román kérdés és a fajok harca Magyarországon. Budapest 1895. S. 89.
11
Haslinger, Peter: Arad, November 1918. Oszkár Jászi und die Rumänen in Ungarn 1900– 1918. Böhlau Verlag, Wien–Köln–Weimar 1993. S. 122–140.; Szarka, László: A Jászi-féle nemzetiségi minisztérium működése 1918 októberétõl 1919 márciusáig. In: Grad, Cornel–Ciubota, Viroel (ed.): Sfarsit si inceput de epoca. Korszakvég – korszakkezdet, Lekton, Zalu 1998. S. 355–370.
12
Über die zeitgenössischen Alternativen der staatsrechtlichen Lösungsmöglichkeiten: Schönwald, Pál: A magyarországi 1918–1919-es polgári demokratikus forradalom állam és jogtörténeti kérdései. Budapest, Akadémiai Kiadó, 1969. S. 44–51.
13
Budapester Tageszeitung „Világ” 28. November 1918.
14
Domokos, László: Kis Káté a Magyarországon élő nemzetek önrendelkezési jogáról. Budapest 1919. S. 13.
15
Schönwald, P.: A magyarországi..., S. 64–87.
16
Der Text des Kantonentwurfes: Szarka, László: Duna-táji dilemmák. Nemzeti kisebbségek – kisebbségi politika a 20. századi Kelet-Közép-Európában. Budapest, Ister Kiadó, 1998. S. 332–334.
Begegnungen12_Szalai
Begegnungen
Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Band 12:311–318.
MIKLÓS SZALAI
An Attempted Electoral Reform in Hungary at the Turn of the Century
The Hungarian constitutional conflict in 1905–6 was ended by a peculiar compromise: the Coalition made a secret pact with Emperor Francis Joseph, in which it gave up (or at least set aside for an indefinite time) the realisation of its nationalist constitutional program, above all the demands for the national character of the Hungarian part of the joint army and, in turn, it took upon itself the implementation of the electoral reform, which had been promised and devised by the Fejérváry-government.
The politicians of the Coalition kept secret the pact with the king, and they didn’t intend to keep either the one, or the other part of it. They hoped that, under favourable circumstances, they would be able to wrest some constitutional concessions from the king. Their promises for universal, democratic suffrage they didn’t want to keep, because most of them were afraid of the growing strength of the movements of non-Magyar nationalities in Hungary, and of the growing Hungarian workers’ movement. Nevertheless, it was obvious, that at least some sort of electoral reform had to be introduced. For this was the demand not only of Francis Joseph (especially after the Austrian elections of 1907, on the basis of universal suffrage, the results of which had been the strengthening of the Christian Socialists, loyal supporters of the dynasty) but also most of the supporters of the coalition. For the camp of the coalition (virtually almost the whole Hungarian public opinion) regarded electoral reform not only helping the Magyar national case, but also the liberal, parliamentary spirit, which was violated by the unconstitutional methods of Tisza’s and Fejérváry’s governments.
Yet in the first one-and-the-half year of its rule, the coalition put aside the issue of electoral reform. The outcome of the first Austrian elections based on universal suffrage – the relative weakening of the different nationalist forces, and the German Liberals, and the strengthening of the Socialists, and Christian Socialists – could not arouse the enthusiasm of the coalition for universal suffrage. Instead, it attempted to realise somehow its national aspirations – but only with very limited success.
However, in the autumn of 1907 two events brought home the necessity of some reform to the leaders of the Coalition. In Csernova the followers of Father Hlinka, the well-known Slovak nationalist leader, clashed with the Magyar gendarmerie, and the incident had caused heavy casualties. This event made international public opinion aware of intolerant nationalist politics of the Hungarian ruling classes toward the nationalities, and had very unfavourable effects for the international prestige of Hungary. On the other hand, the Social Democratic workers’ movement made a great mass demonstration for universal suffrage at 10. October, 1907.
However, the Coalition, composed of an alliance of heterogeneous political forces, united originally only by hatred against Tisza and his regime, did not have a common position about the nature of the reform to be introduced. Count Gyula Andrássy the younger, the Minister of Home Affairs in the Coalition government and his Constitutional Party, were upholders of the Compromise of 1867. They were conservatives even in the Coalition in the matter of suffrage. Nevertheless Andrássy had enough political insight to recognise the necessity of alleviating mass political discontent with some sort of electoral reform. Andrássy, as an upholder of the Compromise, had a secret hope, that the main force of the Coalition, the Independence Party, would lose its great popularity during the governing period of the Coalition – because it would be unable to realise the principles of 1848, the program of personal union – and at the next election the upholders of the Compromise would gain a majority. His aspiration was to create a suffrage which would limit the political weight of the main basis of the Independence Party, the peasant masses of the Great Hungarian Plain. Of course, Andrássy also just wanted to reduce the influence of the Socialists, but – as his great and hated opponent, Count Stephan Tisza – he also had a higher opinion of the educated and disciplined, well-organised urban working class, than of the poor peasantry, and he was aware, that in an industrial society the political scene necessarily had a socialist-working class component. Thus, he wanted to give at least “something” to the workers’ movement by the reform. As for the non-Magyar nationalities of Hungary, Andrássy was the bitterest enemy of their political aspirations for autonomy but, being aware the worsening international prestige of Hungary, he didn’t want an electoral law of openly Magyar nationalist character. To reconcile these many political respects Andrássy found a new, unusual means at the end of 1907: the plural vote. The plural vote – which in this period existed only in Belgium – meant, for Andrássy, that the votes of the more educated, wealthier and more sedate elements of the population would counteract the political influence of the illiterate masses. Particularly, the bill of Andrássy would have given franchise to every Hungarian male citizen, over 24, who had owned an apartment, or rented one at least for one year. However, the illiterates could exercise their suffrage only in an indirect form, in a decimal system: ten of them would elect a trustee. Their votes would amount to a small fragment of all the votes: 3,3 percents. One vote was given to every literate male citizen over 24 years of age. Those would get two vote, who either completed the first four classes of the secondary school or of the higher elementary school, or had a job, the necessary condition for which was such a level of education, or he was over 32, did his military service, and had at least three legitimate children or payd a tax of at least 20 koronas per year, or had at least one male employee over 16, or had a job at one place at least for five years. Three votes could be received by those, who completed the eight classes of secondary school, or had a job, the condition of which was such an education, or paid an amount of taxes at least 100 korona per year. The votes of “single” voters would amount to 35.1 % of all the votes, the votes of “double” voters to 44.2 %, and the votes of “triple” voters would come to 17.4 % of all the votes. The proposal wouldn’t have had a very elitist, antidemocratic character, if it had contained the secret ballot. However, Andrássy was against the secret ballot, and he would have allowed it at least partially only in the larger towns.1
Although Andrássy didn’t admit officially that he wanted a plural vote, the first news about his proposal had filtered out to the public at the spring of 1908, and it gave rise to strong resistance from almost all sides of political life. Stephan Tisza, and the “old guard” of the Liberal Party, who were not present in the parliament but had great influence on public opinion through their press, found even Andrássy’s proposal too liberal and they attacked it. József Kristóffy, ex-minister of Home Affairs in the Fejérváry-government, and confidant of Archduke Francis Ferdinand, who conceived the idea of crushing Magyar nationalism by the promise of universal suffrage, now tried to organise a small party of his own. He read out at a dinner the text of the pact between the Coalition and the king, in which the Coalition promised the introduction of universal suffrage. The conservative Austrian circles around the journal “Das Vaterland” also began publishing against the idea of plural vote – their concerns were similar to those of Kristóffy and Archduke Francis Ferdinand. The Social Democratic worker’s movement protested with strikes receiving unconditional support from their Austrian comrades and from the Second International, the secretary-general of which then was Camille Huysmans. He was Belgian and had a personal acquaintance with the negative social and political effects of the plural vote, and wrote a letter against it to Andrássy. The periodical of the bourgeois radical intelligentsia, “Huszadik Század” (“The Twentieth Century”) analysed and criticised Andrássy’s proposal on a high theoretical level. According to the writer, it wouldn’t reduce, but rather strengthen the hierarchical character of Hungarian society, and would ensure the decisive political influence for politically uneducated elements whose livelihood depended on the State, and could be easily influenced.
But Andrássy’s proposal didn’t receive unequivocal support in the camp of the Coalition. The right wing of the main force of the Independence Party, led by Ferenc Kossuth, had even more conservative views about the workers’ movement than Andrássy. At the same time he didn’t want the “triple” vote (being afraid of the overwhelming influence of the urban population, less receptive to his Magyar nationalist ideas, which always were more popular among the Magyar peasantry). As for the left wing of the Independence Party, its members had, in principle, some inclination to revive the democratic content of the tradition of Kossuth. However, this tendency – represented primarily by Julius Justh – was overwhelmed by the chauvinistic aspirations of the other leader of the left wing: Lajos Holló. Holló and his circle demanded that Andrássy include in the bill the requirement of Magyar literacy, as a condition for the franchise. Andrássy couldn’t accept this – he found a separate measure to counterbalance the nationalities. This was a new arrangement of the constituencies – unfavourable to the nationalities. According to Andrássy’s schema, about 300 electoral districts with a secure Magyar majority stood against hardly more than 100 electoral districts of the nationalities. However, this solution couldn’t satisfy his nationalist opponents in the Independence Party, because they suspected the germ of some sort of autonomy for the nationalities in the idea of “separate” non-Magyar districts.2 The third party of the Coalition, the Catholic People’s Party, was afraid growing of the influence of the secularised urban population and the Jews, and it wanted to preserve the weight of their own mass basis – mostly illiterate, religious peasant masses. Although they were not adherents of universal suffrage they were unwilling support the property and educational qualifications proposed by Andrássy.
Emperor Francis Joseph didn’t receive Andrássy’s plan with sympathy. “Plural vote isn’t a nice thing, isn’t nice at all” – he said to his minister at his audience. However, Andrássy explained to the king that, while in Austria the joint Austro-Hungarian Army is a popular institution, in Hungary, if all literate male would have equal suffrage, the decisive political power would go to politically uneducated voters, who enthusiastically support the socialists, the Independence Party, or the non-Magyar autonomists. The old Emperor, even if unwillingly, acquiesced in the idea of plurality, but he insisted on the secret ballot. Andrássy made a half-hearted promise to the partially secret ballot.3
Contrary to his loud opponents in the Independence Party, the clever Andrássy was aware of the great popular force of the Hungarian workers’ movement, which couldn’t be suppressed by simple administrative means. He was afraid of Socialists provoking consciously bloodshed, which would prompt the king to reject his idea. He began negotiations with Ernő Garami, perhaps the most respected leader of the Socialists. He cited the clerical, conservative, and allegedly anti-Semitic nature of the Magyar peasantry, which could be harnessed to oppose all the aspirations of Socialists and progressives. Garami declared that the Socialist perhaps could acquiesce in the plural vote, if they were given at least the secret ballot.4
It seems that the negotiations convinced Garami and other Socialists, that the workers’ movement couldn’t achieve much more, than Andrássy’s reform for the time being. Thus, for some months the Socialist press moderated its campaign against the minister, and he also changed his tone towards it. However, the Party couldn’t admit to the workers’ masses the acceptance of plurality. Thus, the spirit of the workers remained just pugnacious enough to deter Andrássy from setting the bill before the Parliament before the completion of the great agricultural tasks of the summer.
In the summer of 1908 the issue of the suffrage was removed from the agenda. Andrássy cited the necessity of completing some statistical researches necessary for the reform. In the meantime, the politicians of the Coalition were negotiating with Francis Joseph, and they reached the conclusion that ultimately he would not insist on the secret ballot. However a final compromise was not yet achieved.5
Obviously, Andrássy wanted to obtain final sanctioning by the king, before he would put the proposal before the country, but this was prevented by an unexpected event. The text of the proposal was stolen from the Hungarian Central Office of Statistics by some Socialist sympathisers, and was turned over to the Socialist leaders. The Socialists weren’t completely aware of the extent to which Andrássy wanted to limit the political rights of the working masses. They were convinced of the necessity of more serious mass action by the solidarity of their Austrian comrades. Anyway, the material of Andrássy’s proposal was published in Népszava (People’s Voice, the central organ of the Hungarian workers’ movement) so that Andrássy no longer saw the point of concealing the content of his plan. In September and October a wave of protest and Socialist demonstrations were sweeping across the country, against which the policemen of Andrássy – who otherwise was known as a gentle, humane aristocrat, with a noble passion for arts – took the most brutal measures.
The Parliament’s Autumn session ended without Andrássy setting the proposal before it, and something other moved to the focus of public attention: in October 1908 the Monarchy annexed Bosnia-Herzegovina. The annexation enhanced Andrássy’s position for Francis Joseph. For Andrássy – alone among the leaders of the Coalition – opposed – on the basis of various political considerations – the annexation. Yet he didn’t openly criticise it only because the annexation had been a fait accompli. He didn’t want to inconvenience the leading exponents of Austro-Hungarian foreign policy. Francis Joseph felt that he is indebted to Andrássy for ignoring his opinion in the matters of foreign policy.
On 20. October Andrássy traveled to Vienna to obtain Francis Joseph’s preliminary approval for the proposal. He was worried because of the efforts of the circle of Francis Ferdinand. They wanted to convince the king, that if he accepted the plural vote, he would break his promises. They were also prepared for a hard fight with the king about the issue of secret ballot. Andrássy was convinced by his statistical researches, that he must reject even a partially secret ballot. But he was determined to resign his office, if the King insisted on this issue.6
At his audiences on 22 and 26 October, Andrássy presented to the king the purpose of his plan namely, the preservation of the political rule of the upper and middle classes, as the only way to ensure the survival of the Monarchy. For even if the dynasty could gain the support of the socialist working class for his case by the promise of democratic suffrage, this would be only a fragile and temporary alliance. Because its natural supporters were the upper classes, who were permeated by monarchist sentiment. He also made quite clear, that the Hungarian ruling- and middle classes’ loyalty to the dynasty remains in effect only until the dynasty doesn’t begin to defend his interests by an alliance with the non-Magyar nationalities.
The arguments of Andrássy were convincing for Francis Joseph. He understood that the policy proposed by Francis Ferdinand’s circle, and especially by Kristóffy, to play off the Socialists’ and the non-Magyar nationalities’ against the Coalition was not a viable course at all. But the king had other worries beside the secret ballot. Changing the arrangement of the electoral districts meant increasing the potential mandates of the Independence Party. Francis Joseph didn’t trust Andrássy’s promises about the “transformation” the softening of the stance of the Independence Party. He didn’t want to cooperate with a Parliament, dominated by the Independence Party, and he didn’t want to part with the weapon of blackmail by the threat of the imposing universal suffrage. Thus Andrássy – in return for the preliminary sanctioning of his plan, – had to guarantee the fusion of his own party with the Independence Party on the basis of the Compromise of 1867. He had to guarantee that the Independence Party would reject the idea of an independent Hungarian National Bank. He failed to obtain even the preliminary approval of his proposal about the rearrangement of electoral districts – presumably because of the influence of Archduke Francis Ferdinand.
After Francis Joseph accepted – with such restrictions – the proposal of Andrássy, the feeling of disillusionment dominated the progressive camp. Both the nationalities and the socialists pondered the possibility of boycotting the next election. For if the coalition held elections on the basis of plurality, then the participation of the socialist and the nationalities would be a mere fig leaf on the rule of the traditional parties.
The proposal was introduced in Parliament by Andrássy on 11 November. According to him the Coalition didn’t break his promises, because it took on only the universal, but not the equal franchise. Anyway, he never made any promise, if he believed it to be harmful for the country. He warned the conservative opponents of the proposal to consider the possibility, that in the case of the failure of the bill a later solution would be more radical. On the other hand, those who would like a more radical reform, should accept his proposal because if it fails, then perhaps no reform will be implemented at all.7
At the beginning of December, the inner antagonisms of the Coalition sharpened. In the Independence Party the movement for the independent Hungarian national bank received a new impulse. For the members of the Independence Party were afraid that after the passage of the plural vote, Andrássy would make Francis Joseph dissolve Parliament. In the new election Andrássy’s Constitutional Party would be strengthened, and their party would become a minority. Thus the Independence Party’s plan was to make a fusion with the Constitutional Party before passing the electoral bill on the basis of the idea of the independent national bank. Andrássy – who guaranteed to Francis Joseph just the opposite, the fusion on the basis of the Compromise – couldn’t assent to this.
At the same time the left wing of the Independence Party didn’t want an open struggle against Andrássy’s proposal. The militant wing of the party hoped that they would succeed in winning Ferenc Kossuth over to the cause of the independent bank. The Parliament – before the reform would have been discussed even in the preparatory parliamentary committee – postponed its sessions for a month.
In the meantime, Andrássy wanted to counterbalance the demand for an independent national bank with a new attempt to realise his own national program in the matters of the Army. He believed that the fulfilment of these national demands would be enough to win over the Independence Party to the fusion. He was helped by the common Minister of War, Baron von Schönaich, but their efforts ultimately failed because of the resistance of the leading Army circles and Archduke Francis Ferdinand.
At the beginning of 1909, Julius Justh, the leader of great influence on the left-wing of the Independence Party, took a new, more active political course. He gathered about himself the majority of the Independence Party under the slogan of the independent bank. Justh made clear to Andrássy that the party wouldn’t permit the passage of the plural proposal until there was agreement in the issue of the bank. Andrássy was convinced by the hard attitude of Justh and his group, that his proposal wouldn’t get the majority in parliament. At the same time Andrássy was more and more afraid that if the reform passed in Parliament, Francis Joseph would dissolve Parliament, and try in the new election to achieve a majority for a new Kristóffy-style party, willingly serving the interests of the dynasty. This danger was all the more threatening because Francis Joseph hadn’t sanctioned the rearrangement of the electoral districts, elaborated by Andrássy, thus the plurality in itself wouldn’t have guaranteed a Parliament reliable from the viewpoint of Magyar nationalism. And last but not least a new election without the fusion of the parties of the Coalition (which failed) might mean a new political defeat for the parties of the Compromise.
Thus, on 20 January 1909, Andrássy himself asked the emperor to allow him to set aside the plural proposal for an indefinite time, and Francis Joseph – although not willingly – accepted this. Now began the last period of the Coalition era, in which the problem of franchise was removed from the agenda, and instead the independent national bank and the military demands competed with each other. Such minimal national achievements would mean that the Coalition’s governmental activity was not a total failure. At the end of 1909 however, it turned out, that the Coalition couldn’t achieve this.
The failed attempt of introducing a system of plural vote in Hungary meant a failure of the Coalition. At the end, the Coalition had to leave its post without any notable achievement. However, this was a failure of the Hungarian progressives and the nationalities as well, whose protest couldn’t prevent the plural vote almost becoming law. And it was also the personal failure of Andrássy, who wanted to introduce an unusual system of franchise in Hungary, which corresponded neither the requirements of conservatism, nor those of progressivism.
Notes
1
Az 1906–1910-es Országgyűlés Irományai (Papers of the 1906–1910 Hungarian National Assembly) vol. XXVI. p. 930.
2
“Magyarország nem foederativ ország!” (Hungary is not a federal state!) Magyarország (the organ of the Holló group of the Independence Party) 1908. IX. 9.
3
The Political Diary of Count Gyula Andrássy the younger 1908–1913. London, Slavic Institute, Kónyi-Lónyai Papers, 1908. V. 21.
4
The Political Diary of Andrássy, 1908. III. 19.
5
A letter of József Szterényi (one of the leading politicians of the Coalition, and a member of Andrássy’s Party) to Andrássy. MOL (Hungarian National Archive) , P4. 281.
6
Andrássy’s letter to his wife, at X. 20, 1908. MOL P4. 370.
7
Képviselőházi Napló (The proceedings journals of the House of Representatives of the Hungarian National Assembly), vol. XXI. XI. 11. 1908.
Begegnungen12_Szabo
Begegnungen
Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Band 12:215–223.
DEZSŐ SZABÓ
Zur Identitätsfrage in der deutschsprachigen Presse Ungarns in den ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts
Die deutschsprachige Presse in Ungarn am Anfang des 20. Jahrhunderts
Das Deutschtum hatte in Ungarn traditionell eine wichtige Rolle in der wirtschaftlichen Entwicklung gespielt. So war dies auch nach dem österreichisch-ungarischen Ausgleich der Fall, wobei es hier einerseits um die in Ungarn ansässigen Deutschen, andererseits aber auch um die aus Österreich eingewanderten deutschen Arbeiter geht, die den ungarischen wirtschaftlichen Aufschwung maßgebend bestimmten. An dieser Stelle kann man auch erwähnen, dass sich ein beträchtlicher Teil der Betriebe im Eigentum deutscher oder deutschsprachiger jüdischer Unternehmer befand.1 Im Allgemeinen lässt sich feststellen, dass der Anteil der Deutschen an der Industriearbeiterschaft höher als ihr Anteil an der Landesbevölkerung war. Dementsprechend und als Ergebnis des wirtschaftlichen Aufschwungs wurden zahlreiche deutschsprachige Fachblätter (Handel, Industrie, Druckereigewerbe usw.) herausgegeben,2 und es erschienen die ersten deutschsprachigen Arbeiterzeitungen. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nahm auf der anderen Seite die Zahl der Leser deutschsprachiger Blätter in Ungarn wegen der zunehmenden Assimilation ab.3 Aber auch wenn die traditionelle Facharbeiterschaft ihre einstige Bedeutung und ihre deutsche Prägung verloren hatte, spielte der erfahrene Fachmann, der alle Arbeitsphasen kannte und der meistens deutscher Abstammung war, noch jahrzehntelang eine wichtige Rolle im Betrieb und bei den Entscheidungen, die dort bzw. in den Gewerkschaften getroffen wurden.4 Laut offiziellen Angaben5 gab es übrigens im Jahre 1906 in Ungarn 1787 Presseorgane mit einer Gesamtauflage von 160 Millionen, Budapest besaß 39 Tageszeitungen, mehr als irgendeine andere europäische Hauptstadt. 1937 bestanden jedoch nur noch 74 Tages- und 300 Wochenzeitungen, davon 21 Tages- und 170 Wochenzeitungen in Budapest. Die Zeitungen in der Provinz gehörten fast ausschließlich den Komitaten, hatten meistens lokalen Charakter und deswegen kaum politische Bedeutung. Allgemeingültig war, dass die Blätter eine staatliche Lizenz haben mussten.6 (Später von den im Jahre 1943 insgesamt 28 deutschsprachigen Zeitungen Ungarns waren 6 kirchlich orientiert, die anderen volksdeutsch. Auch diese Zahlen sind aber vorsichtig zu behandeln, denn tatsächlich befindet sich darunter nur eine geringe Zahl solcher Blätter, die wirklich aus der Volksgruppe hervorgegangen sind und von dieser als Leserschaft getragen wurden.7) Die meisten anderen deutschsprachigen Zeitungen stützten sich ebenfalls auf eine deutschsprachige städtische Mittelschicht.
Wir können grob drei Gebiete der deutschsprachigen Presse unterscheiden:
– politische Presseorgane
– wissenschaftliche Zeitschriften
– die Fachorgane der einzelnen Berufsgruppen.
Die wichtigsten deutschsprachigen Tageszeitungen:
Pester Lloyd, Ödenburger Zeitung, Preßburger Zeitung, Hermannstädter Zeitung, Temesvarer Zeitung, Günser Zeitung, Westungarisches Volksblatt u.a.
Zeitschriften:
Ungarische Rundschau, Ungarische Jahrbücher, Deutsch-ungarische Heimatblätter (später Neue Heimatblätter, dann Deutsche Forschungen in Ungarn)
Charakteristisch war die Tendenz der Spezialisierung sämtlicher Presseprodukte, um somit möglichst ein festes Leserpublikum an das jeweilige Blatt binden zu können. Der gleichen Bestrebung dienten die immer intensiver in Anspruch genommenen neuen technischen Möglichkeiten, sowie die Versuche, die Mitteilungsabsicht mit kulturellen Inhalten zu mischen. Nach dieser allgemeinen Darstellung möchte ich mich mit zwei Zeitungen beschäftigen, mit denen ich die behandelte Epoche charakterisieren möchte. Die erste Zeitung ist ein Beispiel für die Interessenvertretung der deutschsprachigen Arbeiter, während im zweiten Teil das Sprachrohr der ländlichen deutschen Bevölkerung Ungarns vorgestellt wird. Ich versuche in den folgenden Ausführungen, ein Blatt, das deutschsprachige Organ der Sozialdemokratischen Partei Ungarns, kurz vorzustellen.
Die Sozialdemokratische Partei Ungarns und ihre Organe
Wir begegnen bereits am Anfang unserer Untersuchung der Frage, warum wohl die SPD in Ungarn eine Zeitlang eine wichtige, wenn auch nicht einzige Trägerin der deutschsprachigen Presse sein konnte. Dies hängt in erster Linie mit der politischen Situation zusammen. Die deutsche Volkspartei konnte keine Massen hinter sich aufweisen, da für die Ungarndeutschen in dieser Zeit – wie eigentlich schon immer – eine apolitische Grundhaltung charakteristisch war. Die überwiegend in der Landwirtschaft tätigen Schwaben politisierten zwar nicht, die Interessenvertretung der in der Industrie tätigen, zu verschiedenen Berufen gehörenden deutschsprachigen Werktätigen war jedoch lebenswichtig. Dies ist die Zeit des großen wirtschaftlichen Aufschwunges, der Herausbildung des ungarischen kapitalistischen Systems und somit auch der Herausbildung des Proletariats. Die erste sozialistische Organisation der ungarischen Arbeiterschaft, der Allgemeine Arbeiterverein, wurde 1868 in Pest gegründet, wobei die deutsche Arbeiterschaft eine bedeutende Rolle spielte. Dieser Verein gab 1870 ein neues Wochenblatt mit dem Titel Általános Munkás Újság heraus, dessen deutschsprachige Version die Allgemeine Arbeiter-Zeitung war. (Bei der Gründung des Blattes spielte Viktor Külföldi, alias Jakob Mayer aus Württemberg eine wichtige Rolle) Erst später gründete man die Wochenzeitung Brüderlichkeit. 1870 rief man die allgemeine Arbeiter-Kranken- und Invalidenkasse ins Leben, deren Vorsitzender der Weimarer Karl Rauchmaul war. In diesem Jahr wurde ein neues Wochenblatt, die Arbeiter Wochen-Chronik gegründet, die 1878 von Leo Frankel übernommen wurde, während Külföldi 1877 eine eigene Wochenzeitung, die Volksstimme ins Leben rief. 1880 einigten sich die beiden Parteien unter der Leitung von Frankel, und im Zuge der Vereinigung wird Népszava zum ungarischen, die Arbeiter Wochen-Chronik zum deutschen Organ der Partei. Es gab andauernd Schwierigkeiten wegen den Pressemaßnahmen der Regierung. Die als Wochenzeitung erscheinenden Presseprodukte mussten z. B. eine Kaution hinterlegen, und zu Zeiten, wo die Volksstimme diese nicht zu leisten vermochte, erschien sie als Monatszeitschrift verhüllt jede Woche unter einem anderen Titel.
1910 betrug die Zahl der in Handwerk und Großindustrie beschäftigten Deutschen 180.000.8 Die Zielsetzung war in dieser Periode, die Abhängigkeit der sozialdemokratischen Presse von den bürgerlichen Druckereien abzuschaffen. Dies gelang Anfang September 1905 in Budapest, als mit 50.000 Kronen Aktienkapital die Világosság („Licht”) Buchdruckerei-Aktiengesellschaft gegründet wurde. Die Druckerei konnte am 15. März 1906 mit zwei größeren und einer kleineren Schnellpresse, zwei amerikanischen Tiegeldruckpressen und einer Rotationsmaschine in Betrieb genommen werden. Bereits ab Anfang April wurde in der ungarischen Hauptstadt die Tageszeitung der Partei, die Volksstimme mit dieser Technik hergestellt. 1909 bezog die Druckerei ein eigenes Haus. Jetzt wurde auch möglich, den deutschsprachigen Werktätigen entgegenzukommen. Man hat aus der bisher dreimal wöchentlich erscheinenden deutschsprachigen Beilage ein Tagblatt gemacht. Über die Motivation kann man im Kalender der Volksstimme folgendes lesen: „Bezüglich der Parteipresse (...) erklärt die Parteileitung, daß nur derjenige Arbeiter seine Pflicht der Partei gegenüber in vollem Maße erfüllt, welcher auf das Zentralblatt der Partei, auf die Népszava bzw. wenn er der ungarischen Sprache nicht mächtig ist, auf jenes Zentralblatt abonniert, welches er versteht (hervorgehoben von mir, D. Sz.). Der Parteitag verpflichtet jede Organisation und jeden Arbeiter, diesem Beschluss Geltung zu verschaffen.”9 Wie jetzt gesehen, wurde als weiterer Schritt der Entwicklung nun auch der Kalender herausgegeben. Dieser hatte die Aufgabe – wie diese Presseform es traditionell verlangt –, das Publikum zu informieren, und noch mehr, es zu unterhalten. Im allgemeinen lässt sich feststellen, dass sich die Struktur des Kalenders der der Zeitung angepasst war, d.h. auch hier versuchte man möglichst viel Unterhaltendes unterzubringen. Eine Mission erfüllten die Kalender im Allgemeinen, indem sie für literarisches „Lesefutter“ sorgten. Sie brachten vor allem unterhaltende Lesestoffe, Erzählungen, Gedichte in deutscher Sprache. Charakteristisch für diese Beiträge ist die Bildhaftigkeit und leichte Verständlichkeit der Sprache. Wichtig ist es zu betonen, dass der Kalender eine Komplementärfunktion erfüllte, indem er kulturelles und literarisches Material reichlich brachte, was für die Volksstimme nicht charakteristisch war. Des Weiteren hatte der Kalender auch die Aufgabe, an die wichtigsten Ereignisse des vergangenen Jahres zu erinnern, diese zusammenzufassen, da es der Redaktion klar war, dass viele Arbeiter sich ein Abonnement nicht leisten konnten
Interessant ist es auch, wie das Blatt sich über die Assimilationsfrage äußert. Hierfür findet man am 28. August 1908 ein gutes Beispiel. Der Anlass bzw. die Vorgeschichte ist, dass eine ungarische Zeitung (höchstwahrscheinlich der Pester Lloyd) von der Notwendigkeit der Assimilation spricht, da „die ungarische Kultur sowieso die höhere sei”. Darauf antwortet die Volksstimme folgendermaßen: „Wir halten diesen Standpunkt im Ganzen für verfehlt. Wohl ist es (...) wünschenswert, die auf einer niedrigen Kulturstufe stehenden Völker auf eine höhere zu überführen – aber nicht durch Wegnahme der Sprache, sondern durch die Anwendung einer höheren Produktionsart.” Die Nationalitätengegensätze interpretiert das Blatt schlicht als Ablenkungsmanöver der herrschenden Klasse, und meint, dass die Magyarisierungspolitik eine „schreckliche antikulturelle Wirkung” ausübe. Das Ergebnis sei der kulturelle Analphabetismus. Die Lösung wäre laut Meinung der Volksstimme auf der Grundlage der Autonomie jeder Nationalität zu suchen. Diese Formulierung ist nicht nur der Ausdruck einer für die damaligen Verhältnisse mutigen Denkweise, sondern auch vom „offiziellen” Standpunkt der Sozialdemokratie her gesehen überraschend, der Grundthese nach spielten nämlich die Nationalitätenunterschiede in Hinsicht auf den großen Prozess der Proletarier aller Länder und somit auf die Internationalisierung eine eher geringere Rolle.
Man könnte nach dem Lesen dieser Zeilen denken, dass die Sprachenfrage innerhalb der Bewegung in bester Ordnung gewesen wäre. In den die Geschichte der ungarischen sozialdemokratischen Partei behandelnden Arbeiten10 kann man oft darüber lesen, dass die Redner der Partei auf öffentlichen Versammlungen in mehreren Sprachen redeten, es gab ja bekanntlich auch mehrere deutschsprachige Organe (Volksstimme, in Temesvár den Volkswillen, in Preßburg die West-ungarische Zeitung). Demgegenüber wissen wir, dass es bereits 1907, anlässlich einer Großversammlung zu heftigen Debatten um die Frage der Mehrsprachigkeit des Organs der Partei gekommen war.11 (Am 1. April hielten die deutschen Gesandten eine außerordentliche Sitzung). Es kam 1910 sogar vor, dass der Abgeordnete, Alfred Horovitz – der übrigens die Abschaffung der Volksstimme und eine Dezentralisierung vorgeschlagen hatte – seine Rede auf Deutsch anfing, dann aber wegen Proteste auf Ungarisch fortsetzen musste.12 Im Februar 1913 folgte ein weiteres Warnzeichen: man sah sich gezwungen, die Deutschkurse für die Druckerei-Arbeiter in Budapest wegen mangelndem Interesse abzuschaffen. Ab 1914 wurde es immer schwieriger, die Volksstimme herauszugeben. Am 24. Juni 1914 erschien im Bruderblatt, in der ungarischsprachigen Népszava ein Aufruf, um die zu diesem Zeitpunkt bereits in einer schweren finanziellen Krise befindliche Volksstimme zu retten.13
Bis 1914 lässt sich eine Vielfalt an literarischen Artikeln beobachten, dann aber, mit dem Ausbruch des Krieges wird die kulturelle Thematik in den Hintergrund gedrängt. Diese Tendenz kann man auch beim Kalender feststellen, die letzte Folge erschien 1919. Es wurde immer weniger angeboten, Kulturelles weicht fast vollständig auf den Kalender aus. Parallel dazu gab es Schwierigkeiten, neue Abonnenten zu gewinnen bzw. überhaupt die alten zu behalten. Die Vermutung liegt nahe, dass diese Bemühungen auch für den Wechsel von der Frakturschrift zu den lateinischen Buchstaben seit 1917 verantwortlich waren. Während der Kriegsjahre kann man die Spuren der immer strenger gewordenen Zensur erkennen: es wurden manchmal ganze Artikel unmittelbar vor dem Druck gestrichen. Dies hängt wiederum mit der Kursänderung der Sozialdemokraten zusammen, die ja anfangs den Krieg befürworteten, seit dem Parteitag von 1915 aber entschieden gegen den Krieg auftraten.
Die Budapester „Repräsentanten” der deutschsprachigen Presse
Infolge der Friedensschlüsse nach dem Ersten Weltkrieg verlor Ungarn nicht nur zwei Drittel seines Territoriums, sondern auch einen großen Teil seiner Bevölkerung, so auch die Mehrheit des Deutschtums. Zwischen 1920 und 1945 gab es in Budapest nur insgesamt acht deutschsprachige Zeitungen. Die bedeutendste davon war der „Pester Lloyd“, der – gemäß seinen Traditionen – bemüht war, seine politische Neutralität zu wahren. „Neues Politisches Journal“, „Neues Pester Journal“ (bis 1925), „Neues Politisches Volksblatt“ und das zwischen 1921 und 1935 als Illustrierte herausgebene „Sonntagsblatt“, des weiteren „Deutsche Nachrichten“ (1936–44) und die im November ‘44 ein einziges Mal erschienenen „Budapester Neueste Nachrichten“ (Redakteur war Philipp Böss) sowie die Fachzeitung „Bauarbeiter“ (Redakteur: Josef Riess) repräsentierten die Budapester deutschsprachige Presse.14
Nach der Unterzeichnung des Friedensvertrags von Trianon mussten die Vertreter der Deutschen in Ungarn feststellen, dass die Zeitungen, die als Sprachrohr der Volksgruppe fungierten (Neue Post, Pester Zeitung), immer weniger die Interessenvertretung des Deutschtums wahrnehmen konnten.15 Einer der Anführer, Jakob Bleyer wollte eine unabhängige Zeitung für die Deutschen. Das Programm der Zeitung wurde von Bleyers politischer Einstellung – ein im katholischen Glauben verankerter Konservativismus und seine deutsch-ungarische Doppelidentität – geprägt. Diese Doppelidentität bedeutete bei vielen Ungarndeutschen nicht mehr einfach das „Hungarus”-Bewusstsein des 19. Jahrhunderts, sondern mehr eine bedingungslose Loyalität zur ungarischen Nation UND zur eigenen deutschen Ethnie.16 Das Sonntagsblatt war in der Zwischenkriegszeit eines der wichtigsten Presseorgane der Deutschen in Ungarn. Die erste Nummer erschien am 2. Oktober 1921. Das Blatt fungierte vierzehn Jahre lang als die einzig wirklich deutsch gesinnte Zeitung in Ungarn, und entsprechend der Absicht der Gründer spielte es die Rolle, das Sprachrohr des deutsch-schwäbischen Volkes zu sein. Der alleinige Eigentümer und Herausgeber des Blattes war bis zu seinem Tode im Jahre 1933 Jakob Bleyer. Dann zeichnete der ältere Sohn von Bleyer Franz Bleyer die Zeitung. Das Blatt sprach in erster Linie die schwäbische Bauernschaft an. Dementsprechend bediente es sich einer einfachen und verständlichen Sprache. Anfang des Jahres 1922 verfügte es schon über fünftausend Abonnenten, und 1927 wurde es schon in vierhundert Dörfern regelmäßig gelesen. Die Auflagenzahl des Blattes nahm von Jahr zu Jahr zu, 1933 betrug sie zwölftausend. Nach den Vorstellungen Bleyers sollte das Sonntagsblatt nicht bloß ein Nachrichtenblatt sein, sondern es beabsichtigte auch weltanschaulich-religiös zu belehren, und der patriotischen Erziehung im Sinne der anti-trianonischen Propaganda zu dienen. Schon der Titel wollte die religiöse Einstellung des wöchentlich erschienenen Blattes ausdrücken, indem dem Sonntag im Leben der Gläubigen eine besondere Bedeutung zukommt.
Das Blatt setzte sich eindeutig für den christlich-nationalen Kurs der ungarischen Regierung ein. Das Blatt wurde bald zum „Forum” des Deutschtums in Ungarn. Die „Politik” des Blattes formulierte Bleyer 1926 mit den folgenden Worten: „Auch im ‘Sonntagsblatt’ machen wir keine eigene Politik, sondern unser ganzes Bestreben ist einzig und allein darauf gerichtet, unser schwäbisches Volk auf die Bahn reiner, christlicher Sitten, treuer Liebe zum angestammten Vaterland und zum angeborenen Volkstum zu leiten und zu fördern ... Freilich bitten wir und flehen wir um die erlösende Gnade, dass im Interesse der geistigen und sittlichen Wohlfahrt unseres Volkes die Gesetze und Verordnungen durchgeführt werden! Das ist doch keine ‘Politik’!”
Das Sonntagsblatt befasste sich regelmäßig mit der widersprüchlichen Nationalitätenpolitik der ungarischen Regierung. Dabei versäumte es nicht, sie zu kritisieren. Deshalb war es während der ganzen Zeit seines Bestehens den Angriffen der ungarischen Presse und Behörden ausgesetzt. Das kam darin zum Ausdruck, dass die Verbreitung des Blattes immerfort gehindert, Kampagnen gegen die „pangermanischen Gedanken” in den ungarischsprachigen Zeitungen geführt, und durch die deutschsprachigen Zeitungen unter dem Einfluss der Regierung Konkurrenz gemacht wurde. Die Nummer des Blattes am 7. Mai 1922 ließ der Innenminister beschlagnahmen, und das Erscheinen des Blattes vom 27. Juni bis 19. Juli 1922 suspendieren. Als Vorwand diente dazu, dass das Blatt eine Broschüre, die die ungarische Nationalitätenpolitik scharf kritisierte, zustimmend besprach. Da sich aber das Sonntagsblatt die ungarischen revisionistischen Bestrebungen zu Eigen machte, war es in den Nachbarländern verboten. Seit der Gründung des Ungarländischen Deutschen Volksbildungsvereins im Jahre 1924 brachte das Blatt auch dessen sämtliche Mitteilungen. Das Blatt hatte von Anfang an mit finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen. Die ungarische Regierung wäre bereit gewesen, das Sonntagsblatt zu finanzieren, was aber Bleyer, um die Unabhängigkeit des Blattes bewahren zu können, zurückwies. Nach dem Tode von Bleyer wurde das Erscheinen des Sonntagsblattes, das unter den Einfluss der volksdeutschen Richtung unter der Führung von Franz Basch geraten war, durch die Regierung eingestellt. Sein Nachfolger, das Neue Sonntagsblatt, das auf die Initiative von Gustav Gratz gestartet wurde, um den Einfluss von Basch zu mildern, erschien bis 1940. Die verletzte ungarische Gesellschaft betrachtete sämtliche politische Bestrebungen der Deutschen, sogar ihre Präsenz in der Öffentlichkeit als latente Gefahr für die Integrität und Sicherheit des Landes. Das Hängen an einer nicht-ungarischen Identität wurde mit dem Fehlen der Loyalität gleichgesetzt. Dieses Verhalten bestimmte die nationalitätenpolitischen Maßnahmen des ungarischen Staates praktisch bis 1948, und markierte zugleich auch jenen engen Spielraum, der dem Ungarndeutschtum blieb.
Die Orientierung an das Deutsche Reich wurde immer deutlicher. Sie bedeutete nationalpolitische Zielsetzungen und deren Manifestation in Form von Agitation und Propaganda, dessen Ausdrucksform von nun an die Presse sein sollte. Der Vorkämpfer dieser radikalen Erneuerung war die um den Bleyer-Schüler Franz Basch gescharte Gruppe der Volksdeutschen Kameradschaft. Diese überzog die deutschen Dörfer – durchdrungen von einer naiven Begeisterung – mit einer wirkungsvollen Agitation, die mit reichsdeutschen Mitteln finanziert wurde. Ihnen gegenüber stand der Kreis der ängstlichen Konservativen, an der Spitze mit dem schon erwähnten Gratz, der sich den offiziellen Regierungsstandpunkt zu Eigen machte, und jedwelche Kursänderung ablehnte. Mit der Kameradschaft bzw. später mit dem Volksbund trat eine neue Generation auf die politische Bühne. Das Problem der Generation von Bleyer war noch, wie man als Ungar auch Deutscher sein konnte. Basch stellte jedoch die Frage, wie man als Deutscher in Ungarn weiterhin zu existieren, sich zu behaupten vermochte. Unter dem nachhaltigen Eindruck der wachsenden magyarischen Intoleranz wuchs deshalb in dieser Generation die Neigung, die Segregation einer Integration vorzuziehen, die Dissimilation einer Assimilation.17 Ihr Ziel war nun die Verteidigung der existenziellen Interessen der Ungarndeutschen, und diesem Ziel unterordneten sie auch die deutschsprachige Presse.
Literatur
Bellér Béla: Kurze Geschichte der Deutschen in Ungarn bis 1919. Budapest, 1986.
Dezsényi, Béla – Nemes, György: A magyar sajtó 250 éve [250 Jahre ungarische Presse], Budapest, 1954
Erényi, Tibor: Az 1918 előtti magyarországi munkásmozgalom és a nemzeti kérdés – A magyar nacionalizmus kialakulása és története [Die ungarnländische Arbeiterbewegung vor 1918 und die nationale Frage – Herausbildung und Geschichte des ungarischen Nationalismus], Budapest, 1964. S. 187–208.
Erényi Tibor: Deutschtum, Sozialdemokratie und Gewerkschaftsbewegung in Budapest. In: Deutsche in Budapest (Hg.: Wendelin Hambuch) Budapest, 1999. S. 112–121.
Farkas, József (Hg.): A magyar sajtótörténet irodalmának válogatott bibliográfiája 1705–1945 [Die Literatur der ungarischen Pressegeschichte. Eine Auswahlbibliographie. 1705–1945], Budapest, 1972. S. 259–261.
Fata, Márta: Jakob Bleyer und das „Sonntagsblatt”. Gründung und Entwicklung des Wochenblattes von 1921 bis 1933. In: Horst Fassel (Hg.): Deutsche Literatur im Donau-Karpatenraum (1918–1996). Regionale Modelle und Konzepte in Zeiten des politischen Wandels, Materialien. Tübingen 1997. S. 9–21.
Kalmár, György: Szociáldemokrácia, nemzeti és nemzetiségi kérdés Magyarországon (1900– 1914) [Sozialdemokratie, die Nationale- und die Nationalitätenfrage in Ungarn 1900–1914] Akadémiai Kiadó Budapest, 1976. S. 248
Kemény, György (Hg.): Magyarország időszaki sajtója 1911–1920 [Ungarische Presse 1911–1920] Budapest, 1942. S. 332
Kende, János: A Magyarországi Szociáldemokrata Párt nemzetiségi politikája 1903–1919 [Die Nationalitätenpolitik der Ungarnländischen Sozialdemokratischen Partei 1903–1919], Budapest, 1973. 124 S
Karl O. Kurth (Hg.): Handbuch der deutschsprachigen Presse außerhalb Deutschlands. Holzner Würzburg, 1956. S. 307–308.
Réz, Heinrich: Deutsche Zeitungen und Zeitschriften in Ungarn von Beginn bis 1918. München, 1935.
Rózsa, Mária: Die deutschsprachige Presse in Ungarn im Überblick. Eine Budapester Dokumentation. In: Anton Schwob-Horst Fassel (Hg.): Deutsche Sprache und Literatur aus Südosteuropa, Südostdeutsches Kulturwerk. München, 1996. S. 265–277.
Schödl, Günther (Hg.): Deutsche Geschichte im Osten Europas. Land an der Donau. Siedler Verlag, Berlin, 1995.
Seewann, Gerhard: Die Deutschen in Ungarn seit 1918. In: Gerhard Grimm-Krista Zach (Hg.): Die Deutschen in Ostmitteleuropa- und Südosteuropa. Band 1, Verlag Südostdeutsches Kulturwerk, München 1995. S. 219–233.
Sipos, Péter: Die Sozialdemokratische Partei Ungarns und die Gewerkschaften 1890–1944. Akadémiai Kiadó Budapest, 1991. 150 S
Sonntagsblatt für das deutsche Volk (verwendete Jahrgänge: 1921–1935)
Szabó, Dezső Die „Deutsche Zeitung” 1940–1944. Sendungsbewusstsein oder Ideologievermittlung? In: Horst Fassel (Hg.): Deutsche Literatur im Donau-Karpatenraum (1918–1996). Regionale Modelle und Konzepte in Zeiten des politischen Wandels, Materialien. Tübingen, 1997. S. 29–38.
Szabó, Dezsõ: Wissenschaftliche Dokumentation vor 1945. In: Wendelin Hambuch (Hg.): Deutsche in Budapest. Deutscher Kulturverein. Budapest, 1999. S. 431–432.
Szabó, János: Literatur und Kultur im „Volksstimme-Kalender”, Budapest, 1906 bis 1919. In: Arbeiterbewegung und Arbeiterdichtung. München, 1981. S. 115–129.
Volksstimme, Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Ungarns (1894–1924), ab 1919 Zentralorgan der Ungarnländischen Sozialistischen Partei. (verwendete Jahrgänge: 1906, 1907, 1908, 1913, 1914, 1917 und 1918) Volksstimme-Kalender, hrsg. v. der Volksstimme (1906–1919) (verwendete Jahrgänge: 1907, 1909, 1910, 1912, 1915, 1919)
Anmerkungen
1
Erényi, Tibor: Deutschtum, Sozialdemokratie und Gewerkschaftsbewegung in Budapest... S. 112.
2
Soós, István: Deutsche Presse in Pesth-Ofen. In: Deutsche in Budapest (Hg.: Wendelin Hambuch) Budapest, 1999. S. 410.
3
Rózsa, Mária, S. 270.
4
Erényi, Tibor: Deutschtum, Sozialdemokratie und Gewerkschaftsbewegung in Budapest... S. 117.
5
Handbuch der Weltpresse, Band 1, hrsg. von der Universität Münster, 1978 S. 392.
6
Vgl. Dezső Szabó: Die Deutsche Zeitung. Sendungsbewusstsein oder Ideologievermittlung, S. 30–31.
7
Handbuch der deutschsprachigen Presse außerhalb Deutschlands, hrsg. von Karl O. Kurth, Holzner Würzburg 1956 S. 307–308.
8
Erényi, Tibor: Deutschtum, Sozialdemokratie und Gewerkschaftsbewegung in Budapest... S. 114.
9
Zitat aus: Volksstimme-Kalender, 1912, S. 18.
10
Es soll hier stellvertretend das Buch von György Kalmár stehen
11
Siehe ausführlicher bei Kalmár, György: Sozialdemokratie... S. 147. und Kende, János: Die Nationalitätenpolitik... S. 61.
12
Kende, János, o.g. S. 62.
13
„Állítsátok helyre a Volksstimme-t!” (Rettet die Volksstimme!) In: Népszava, 24. Juni 1914
14
Siehe bei István Soós, Deutsche Presse in Pesth-Ofen, o.g.w. S. 412.
15
Vgl. Schödl, S. 367–386.
16
Márta Fata: Jakob Bleyer und das Sonntagsblatt., z.W. S. 10–11.
17
Gerhard Seewann: Die Deutschen in Ungarn S. 224.