1088 Budapest, Rákóczi út 5.; Tel: (36 1) 381 23 47; E-mail: Ez az e-mail-cím a szpemrobotok elleni védelem alatt áll. Megtekintéséhez engedélyeznie kell a JavaScript használatát.

Begegnungen09_Busek

Begegnungen
Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Band 9:33–43.

ERHARD BUSEK

Schwieriger Weg. Heim nach Europa

 

Seit 1989 ist die Frage nach der Vorstellung von der endgültigen Form des Kontinents, der „finalité d’Europe”, real gestellt. Konnte man zuvor nur hoffen, dass ganz Europa irgendwann einmal selbst sein Schicksal bestimmen könnte, ist jetzt der historische Augenblick gekommen, möglicherweise ein Fenster der Weltgeschichte geöffnet, in dem eine Neugestaltung möglich ist.

Die Frage nach der definitiven Form des Kontinents ist nicht leicht zu beantworten. Demgemäß fallen auch die Antworten unterschiedlich aus. Manche meinen, dass Europa Russland zu umfassen habe, und fordern dass eine künftige Integration bis Wladiwostok reichen muss. Es ist allerdings nicht klar, ob Russland das selbst will. Das Land ist ein Kontinent für sich, wodurch die Überlegung relativiert wird, ob er zu Asien oder zu Europa gehört. Jedenfalls ist alles dazu zu tun, dass ein künftiges Europa zumindest enge Relationen zu Moskau hat. Die globale Entwicklung wird zeigen, ob die gegenwärtige Tendenz, die Räume immer näher zueinander zu bringen, sich fortsetzt.

 

An einem kritischen Punkt

In Wahrheit ist die jetzige Strategie zur Erweiterung der EU an einem kritischen Punkt angelangt. Zwei Richtungen der Entwicklung sind jedenfalls genau zu beobachten. Die eine ist eine problematische, nämlich der Versuch, wieder Trennlinien in Europa einzuziehen, mögen sie nun Kerneuropa, Europa der zwei Geschwindigkeiten, der konzentrischen Kreise oder Schengen- und Euroland heißen. Sicher ist manches Problem dadurch leichter zu lösen, aber den moralischen Vorwurf, gerade in der Mitte Europas entgegen den Sehnsüchten der Bürger mehrere Arten von Europäern zu unterscheiden, erspart man sich dadurch nicht. Damit sind wir aber wieder in Mitteleuropa, denn dort sind die nächsten Entscheidungen zu treffen.

Die gegenwärtigen Anmeldungen zur EU sind zweifellos nicht in einen Topf zu werfen – auch nicht die zunächst akzeptierten Verhandlungspartner. Es hieße Apperzeptionsverweigerung zu betreiben, wenn man alle Kandidaten gleich bewertete. Sie sind auch, wie die Grafik zeigt, durchaus nicht gleich in der starken Unterstützung eines demokratischen Systems. Der Sinn einer solchen Unterscheidung besteht nicht darin, manche Kandidaten auf stille Art auszuscheiden, sondern eine Strategie zu entwickeln, die schrittweise Integration ermöglicht. Die bisherige Vorgangweise, Gruppen von Beitrittskandidaten zu schaffen, wird diesmal schwierig sein, weil die Unterschiede stärker sind. Alles spricht dafür, die Verhandlungen überall zu gleicher Zeit zu eröffnen. Dort aber, wo sie abgeschlossen werden können, sind sie umzusetzen – ein Warten auf andere wäre sinnlos. Dass dabei Umbauten der EU notwendig sind, bestreitet niemand; sie sind aber nicht unbedingt in kausalem Zusammenhang mit der Erweiterung zu sehen, weil eher die politischen Anforderungen der Zeit eine Vertiefung verlangen. Auf außen- und sicherheitspolitischem Gebiet handlungsfähig zu sein, ist für die Union auch in ihrem jetzigen Umfang und auch jetzt von Bedeutung.

Entscheidend ist der Faktor der Zeit, denn die Anforderung, ein größeres Europa zu bilden, alle Ressourcen zu nutzten und Instabilitäten zu beseitigen, ist naheliegend. Ohne irgendwelche einseitigen Prioritäten werden es die Visegrád- Staaten und Slowenien sein, die sich für einen nächsten Schritt anbieten. Mag sein, dass es rund um die innenpolitische Situation der Slowakei Unsicherheiten gab, aber eine Reihe von Argumenten spricht dafür, gerade jetzt mittel- und langfristig dieses Land nicht zu vergessen. Die Innenpolitik wird sich in Richtung einer weiteren Entwicklung der Demokratie und des Rechtsstaates stabilisieren müssen, wenn die Slowakei in der EU mitwirken will. Die Süderweiterung der EU mit Griechenland, Spanien und Portugal wurde aus ähnlichen Gesichtspunkten durchgeführt und hatte bleibenden Erfolg.

Die Slowakei durch Zypern oder Estland zu ersetzten, macht geopolitisch wenig Sinn. Wer auf die Landkarte schaut, wird die strategische Lage des Landes entlang des Karpatenbogens erkennen. Die Aufnahme Sloweniens wiederum ist wegen der absolut westlichen Orientierung des Landes naheliegend und wegen seiner Scharnierfunktion an der Adria in Richtung Südosteuropa bedeutsam. Dadurch entsteht auch eine Anregung für Kroatien, schneller den Weg der Stabilität zu gehen. Es wäre wünschenswert, dass die friedliche Entwicklung der Nachfolgestaaten Jugoslawiens es ermöglichte, Kroatien auch bald zu den Aufnahmekandidaten zählen zu können. Wenn man davon ausgeht, dass es auf absehbare Zeit elf Staaten wären, die zu den gegenwärtig fünfzehn hinzukommen – wenn wir zunächst die mediterranen Kandidaten Malta und Zypern vernachlässigen wollen, die quantitativ nicht so ins Gewicht fallen, eher qualitativ durch ihre strategische Bedeutung –, so würde sich die Union von gegenwärtig über 370 Millionen Einwohnern auf 26 Staaten mit über 480 Millionen vergrößern. Flächenmäßig würde die Union um etwa ein Drittel zunehmen.

Das ist der Platz, auch einen Blick auf das Stimmungsklima in diesen Ländern zu werfen, wobei eindeutig damit auch die Strategie bestätigt wird, die nächsten Nachbarn der heutigen europäischen Union in erster Linie aufzunehmen. Es handelt sich dabei um einen osmotischen Prozess, der nicht nur ökonomisch, sondern auch politisch sichtbar wird. Das gilt nicht nur für das Interesse an der Europäischen Union, sondern auch für die Unterscheidung der Vor- und Nachteile, die hier sichtbar werden. Die Kandidaten der ersten Reihe haben zweifellos den längsten Weg der Transformation schon durchschritten und alle Hochs und Tiefs in der politischen und wirtschaftlichen Entwicklung mitgemacht. Einiges dazu aus Bevölkerungssicht gibt die Meinungsforschung wieder (siehe Bild). Es verdient festgehalten zu werden, dass gerade in diesen Ländern es zwar Regierungswechsel gegeben hat, aber vergleichsweise sowohl die demokratische Entwicklung sich auf jene Normalität zu bewegt, an die wir gewöhnt sind. Wirtschaftlich interessant ist, dass man heute nicht mit Sicherheit sagen kann, wer im Transformationsprozess führend ist. Lange Zeit waren wir überzeugt, dass es die Ungarn sind, dann wieder gab es viel Bewunderung für den Weg der Tschechischen Republik, heute ist Polen führend. Gleichzeitig muss bemerkt werden, dass etwa Slowenien seine gesamte Wirtschaft westlich orientiert und seine traditionellen Märkte im ehemaligen Jugoslawien so gut wie nicht bearbeitet hat, was durch Bemühungen der letzten Zeit korrigiert werden sollte, weil die wirtschaftliche Erfahrung auch politisch nutzbar ist, um Südosteuropa zu stabilisieren.

An dieser Stelle muss eine generelle Perspektive eingefügt werden: Wir stehen alle unter dem Eindruck der Kosovo-Krise, die nichts anderes ist als eine Verlängerung der Krise in Bosnien-Herzegowina, von der heute kaum mehr geredet wird, wenngleich sie als Problem nach wie vor besteht. Tatsache ist, dass wir nach wie vor keine stabile Lösung in dieser Region gefunden haben. Eine Nostalgie in Richtung auf das alte Jugoslawien nützt hier auch nichts, weil der Vorrat an Gemeinsamkeit nach dem Tode Titos offensichtlich erschöpft gewesen ist. Auch möchte ich diese Entwicklung als einen Prozess eines nachgeholten Nationalismus verstehen, der sich in unseren Teilen Europas hoffentlich ausgelebt hat, dort aber noch in vollem Gange ist. Man könnte sagen, dass diese aus dem 19. Jahrhundert kommende Irritation des Zusammenlebens der Menschen offensichtlich im Gefrierfach des Kommunismus war, um nach Wegfall dieser Ideologie wieder schlagend zu werden. Dass gewisse Traditionen des Balkans das ihrige dazutun, wird ohnehin genügend erwähnt. Die einzig mögliche Antwort darauf scheint mir allerdings das Ziel der Integration zu sein. Nicht neue Grenzen zu schaffen oder gar Teilungen, sondern eine langfristige Strategie einzuschlagen, die zum schrittweisen Abbau von Grenzen führt, ist die einzige Möglichkeit. Damit kann man die Probleme der nationalen Minderheiten einer Lösung näherbringen, aber auch einen Wirtschaftsraum schaffen, der von der Größe her interessant ist. Das Hindernis für private Investitionen besteht nicht nur in der Unsicherheit der Gesetzgebung und deren Ausführung mangels einer geeigneten Gerichtsbarkeit und eines Bankenwesens und vieler anderer Dinge, sondern wohl auch, dass der Raum als Gesamtes nur interessant sein kann. Das allein ist schon ein weiteres Argument für Integration. Das generelle Ziel muss auch in Südosteuropa bleiben, die Integration in eine größere Europäische Union weiter zu treiben. Das verlangt aber eine zügige Erledigung der gegenwärtigen Schritte der Erweiterung der Europäischen Union.

Da wird aber auch schon der erste Problemkreis sichtbar: Im Gegensatz zu den westeuropäischen Ländern sind die mittel- und osteuropäischen Länder noch immer stark agrarisch geprägt. Durchschnittlich etwa 15 Prozent der Bevölkerung arbeitet dort in der Landwirtschaft, während in der heutigen Union der Prozentsatz bei 5 Prozent und weiter sinkend liegen dürfte. Wer die Aufregungen um die Agrarordnung der EU verfolgt, kann ermessen, welche Probleme in der Durchsetzung der Osterweiterung entstehen und wie gerade die Bauern in der EU reagieren werden, obwohl die Produktivität der beitrittswerbenden Ländern im Vergleich geringer ist und die Erweiterungsländer gerade aus Österreich viele landwirtschaftliche Produkte importieren.

In Wahrheit ist aber das Problem in der Strukturpolitik größer. Wenngleich etwa Slowenien gerade dabei ist, das Pro-Kopf-Einkommen Griechenlands zu überholen, ist das Wohlstandsgefälle doch beträchtlich. Hier liegt auch das Argument, sich für Maßnahmen der Integration auszusprechen, weil ansonsten die wirtschaftliche, soziale und damit politische Destabilisierung auch der gegenwärtigen Union droht. Regional wird das gar nicht so einfach durchzusetzen sein, denn die bisherigen Nutznießer sind Spanien, Italien, Griechenland, Portugal und Irland – alles Länder, denen mit Immigration und Unsicherheit an der Grenze durch die mittel- und osteuropäischen Staaten kaum zu drohen ist. Deutschland zählt nach der Wiedervereinigung ebenfalls zu den Nutznießern, aber möglicherweise ist die eigene Erfahrung und die Nachbarschaft zu Polen ein stärkeres positives Argument. Gerade aber die neue deutsche Regierung lässt Dynamik in der EU-Erweiterung vermissen.

Argumente für die Erweiterung

Damit erhebt sich die Frage nach weiteren Argumenten für die Erweiterung. Sie müssen für bewusste Europäer vor allem in der demokratischen Grundstruktur des Kontinents und in einer Vision des „neuen Europa” liegen. Die Verpflichtungen, die im „acquis communautaire ” – dem bisherigen Stand der europäischen Integration durch die Bindung der Staaten aneinander – eingegangen werden, sind ein Bestandteil der politischen und wirtschaftlichen Stabilität und somit friedensstiftender Natur. Die gleichzeitig diskutierte NATO-Osterweiterung kann kein Ersatz sein, denn Integration greift weiter als ein Sicherheitsbündnis.

Es ist damit zu rechnen, dass manche Politiker versuchen werden, EU-Betritt und NATO-Mitgliedschaft für die betreffenden Staaten im Austausch gegeneinander anzubieten; wenn also ein Staat NATO-Mitglied wird, soll er auf die EU zunächst verzichten und umgekehrt. Das ist aber keine europäische Strategie, bestenfalls Taktik. Die NATO wird in ihrer Zukunftsperspektive – nicht langfristig, sondern in kurzer Zeit – um eine europäische Formation nicht herumkommen. Für Europa in sich entsteht damit kein Problem, vielmehr ist es die Frage, ob die USA sich zurückziehen wollen und die Europäer für sich selbst Verantwortung übernehmen wollen. Das „neue” Europa verlangt auch eine neue Definition des Verhältnisses zu den USA, denn geographisch ist die NATO (North Atlantic Treaty Organization) längst über den Nordatlantik hinausgewachsen. Hier werden die Gespräche eher zwischen der Union und den USA zu führen sein.

Brauchbar ist sicher der Vorschlag von Tony Blair, die Frage der Sicherheitsarchitektur als vierte Säule in die Europäische Union einzuführen. Damit wird nicht nur den Neutralen der Weg in die Gemeinsamkeit erleichtert, sondern auch die europäische Verantwortung unterstrichen. Einerseits immer auf die USA angewiesen zu sein, andererseits aber auch gleichzeitig daran Kritik zu üben führt nicht weiter. In der Folge der Kosovo-Krise wird das sicher die weitere Befindlichkeit der NATO beeinflussen. Sinnvoll aber kann es nur sein, anstelle der Kritik an den USA eine eigene Verantwortung zu setzen. Der Weg dahin ist aber für die Europäer lang. Die Wiederfindung Europas mit allen seinen Teilen kann aber nur durch eine funktionsfähige Sicherheitsarchitektur geschehen. Sie zu vernachlässigen würde den Integrationsprozess rein auf das Ökonomische reduzieren, was aber kaum Zukunft hat. Praktisch gesehen: Kann man den Euro haben, gleichzeitig aber niemand der ihn verteidigt? Das Interessanteste ist, dass die Beitrittskandidaten hier weitestgehend eine klarere Sicht haben als so manche europäische Mitgliedsstaaten.

Die Assoziierung von Bulgarien, Polen, Rumänien, der Slowakei, der Tschechischen Republik, von Ungarn und den baltischen Staaten sowie dem Nachzügler Slowenien hat sich als ein taugliches Instrument erweisen. Zwischenstufen, wie sie für die EFTA-Staaten gewählt wurden (European Economic Area – EWR), sind eher als Umweg und Verzögerung abzulehnen. Vielmehr wäre es besser, ähnlich wie mit PHARE und TEMPUS Aktionsprogramme einzuleiten, die in den Schwächebereichen eine Heranführung der beitrittswilligen Länder an ein verträgliches EU-Durchschnittsniveau fördern. Die Teilnahme an und regelmäßige Information nach wichtigen Treffen der EU ist eine solche praktische Form der Einübung im politischen Bereich. Die Agenda 2000 ist daher auszuweiten, insbesondere Infrastrukturinvestitionen sind eine Vorbedingung für wirtschaftliches Wachstum.

Es empfiehlt sich auch, offen über die Kosten der Erweiterung zu diskutieren, denn die in Rede stehenden Länder sind Nettoempfänger, also auf die Finanzkraft der bisherigen Mitglieder angewiesen. Beim Beitritt von Portugal, Spanien und Griechenland hat eine ähnliche Situation bestanden, die damals auch politisch verträglich war. Wenn man vom Niveau des unteren Randes der Mitgliedsstaaten ausgeht, ergibt das pro Kopf der Bewohner der neuen Mitglieder etwa 400 ECU, in Summe wahrscheinlich 50 Millionen ECU Zusatzkosten – das ist ein erheblicher Brocken. Nach den Berechnungen der EU-Kommission würden nur etwa 13 Prozent auf den landwirtschaftlichen Garantiefonds entfallen, 87 Prozent aber auf die Strukturfonds. Damit ist jedoch einmal mehr klar, dass die Lösung des Problems nicht in einer generell Erhöhung der Beiträge der Nettozahler unter den EU-Staaten liegen kann, sondern dass lange Übergangsfristen gewählt werden müssen und die immer wieder verlangte Reform der bestehenden Agrar- und Strukturpolitik gleichzeitig zu leisten ist.

Auch ohne Osterweiterung steht die Landwirtschaftspolitik der EU unter Veränderungsdruck. Sie ist mittelfristig nicht nur finanzierbar, sie droht auch GATT-widrig zu werden. Ein geordneter Rückzug von den bisherigen Strategien, insbesondere der Stützpreispolitik, ist notwendig.

Die Ergebnisse des Berlin-Sondergipfels der EU sind entschieden zu schwach ausgefallen. Dem luxemburgischen Ministerpräsidenten Junkers ist zweifellos Recht zu geben, wenn er davon spricht, dass ein Sieg einzelner nationaler Regierungen immer eine Niederlage Europas bedeutet. Insbesondere in der Agrarreform wird es daher zu einem Berlin II kommen müssen, um eine wirkliche Agenda 2000 umzusetzen.

Dasselbe gilt für die Strukturpolitik. Aufgabe der EU-Regionalpolitik ist es, die Einkommensunterschiede zu verringern und die Strukturen zu verbessern, um die entsprechenden Voraussetzungen für eine positive Entwicklung zu schaffen. Das Wohlstandsgefälle zwischen den wohlhabenderen EU-Ländern und Griechenland ist nicht geringer geworden, sondern sogar gewachsen. Bei Spanien, Irland und Portugal war der Erfolg größer. Gerade aber Konfliktfälle des Jahres 1996 zwischen EU-Kommission und den Mitgliedsländern – etwa die kritisierten VW-Subventionen in Sachsen – zeigen, dass damit Walgeschenke der Politiker und nicht wirtschaftliche Strukturverbesserungen gemacht werden. Die Erziehung zur Subvention und die Verzerrung des Wettbewerbs kann nicht das Ziel der in der EU großgeschriebenen Freiheit des Marktes sein. In der Frage der Übergangfristen wird man sich leichter tun, weil sie bei Beitritten schon Tradition haben und eine Mitwirkung nicht behindern, sondern fördern.

Damit werden die „verschiedenen Geschwindigkeiten” für eine gewisse Zeit innerhalb der EU stattfinden und nicht zu einer Teilung Europas führen. Auch das „opting out” – die Möglichkeit des Aussteigens aus einer Verpflichtung – könnte eine Hilfe für manchen Staat sein, wie es beim Schengen-Vertrag zur Vereinfachung der Grenzkontrolle, beim Sozialprotokoll zu den Arbeitsrechten und aller Voraussicht nach bei der Währungsunion der Fall sein wird. Es sollte jedoch Ausnahme bleiben und nicht zur Regel werden, weil dabei immer mehr das Bild von den Rosinen entsteht, die aus dem gemeinsamen Kuchen gepickt werden, während eine umfassende gemeinsame Rechts- und Marktordnung immer mehr durchlöchert und fragmentiert wird. Ein „Europa à la carte” wäre die Folge, nicht aber eine kräftige Union. Bei grundsätzlichem Durchdenken der Situation Europas spricht allerdings mehr für ein positives Handeln, also einen Beitritt möglichst vieler mitteleuropäischer Länder. Gerade die kritische Situation nach 1989 lässt das als die beste Antwort erscheinen, alles andere erzeugt mehr Gefahren als Chancen und zukunftsweisende Ergebnisse. Mitteleuropa ist Europa – das integrierte Europa hat seine Reife allerdings noch unter Beweis zu stellen, denn Europa ist selbst nach diesen Beitritten noch nicht vollständig. Die weiteren Beitrittswilligen werden nicht nur ermuntert, sondern erfahren dadurch auch eine Strukturverbesserung – ökonomisch ebenso wie politisch. Die Frage nach der „finalité d’Europe” ist gestellt, und niemand anderer als die EU kann sie beantworten!

Es würde aber zu kurz greifen, wenn man nur auf die generelle Dimension der Erweiterung der Europäischen Union eingeht. Der Begriff der „Ost”-Erweiterung ist irreführend. Erstens findet sie in der Mitte des Kontinents statt, zweitens geht es um eine generelle Erweiterung, die nicht durch geographische Merkmale beeinträchtigt werden soll, denen in der europäischen Öffentlichkeit ein eher abträglicher Beigeschmack anhaftet. Niemand versteht den Begriff „Osten” als etwas Positives. Diese psychologischen Aspekte sind von ganz entscheidender Bedeutung, weil sie etwa in der österreichischen Öffentlichkeit und wahrscheinlich auch in anderen europäischen Ländern eine meinungsbildende Rolle spielen. Die intelligenteren Kritiker der Erweiterung argumentieren damit, dass zunächst überhaupt die Vertiefung der Europäischen Union stattfinden müsste, um eine Erweiterung durchführen zu können. Die bisherige Entwicklung des Gemeinschaftsprojektes zeigt allerdings, dass die Vertiefung nur dann stattgefunden hat, wenn gleichzeitig eine Erweiterung angestanden ist. Es handelt sich um einen Prozess der Gleichzeitigkeit, der offensichtlich nur unter dem Druck der offenen Probleme Ergebnisse zeitigt. Es werden sich nämlich die jetzigen 15 Mitglieder der EU kaum eher dazu entschließen, endlich einmal einen europäischen Außenminister, eine europäische Armee und eine europäische Polizei zu schaffen, wenn sie zunächst unter sich bleiben. Eher wird es darum gehen, von manchen Aspekten des Nationalstaats Abschied zu nehmen, weil man mit seinen Mitteln die anstehenden Probleme angesichts der Globalisierung wohl kaum mehr lösen kann. Es gibt nämlich ein Argument, das generell für die Erweiterung der Europäischen Union spricht: die Globalisierung. Europa kann nur bestehen, wenn es in entsprechender Größe und Kapazität an diesem Prozess teilnimmt, denn die potentiellen Partner in diesem Match wie China, Indien, die arabische Welt und Südostasien verfügen über ganz andere Größenordnungen, zu denen Europa erst heranreifen muss. Meinem Erachten nach ist aber das Bestehen unseres alten Kontinents innerhalb des Globalisierungsprozesses nicht nur im Ökonomischen, sondern auch im Ökologischen und im Sozialen möglich, wenn es zu einem dynamischen Prozess der Integration kommt. Dass dieser Prozess nicht einfach ist, und eine Herausforderung bedeutet, soll gar nicht geleugnet werden. Politik ist aber dazu da, Probleme zu lösen und nicht Angst zu erzeugen.

Mit Bedauern habe ich in der letzten Zeit registriert, dass es namhafte Stimmen aus der Politik gibt, die ihre Aufgabe darin sehen, als Warner vor der EU-Erweiterung aufzutreten. Meines Erachtens verfehlen diese Politiker ihre Aufgabe und sind offensichtlich so am Tagesgeschäft orientiert, dass ihnen die konzeptive Sicht für die nächsten Jahre mit populistischen Argumenten verstellt ist. Die EU-Erweiterung ist nämlich die Chance, die Gestaltung des Kontinents für die Zukunft vorzunehmen.

Zunächst gibt es ein paar vordergründige primitive Argumente, warum die Ostgrenze der Union verschoben werden muss. Zu lange hat Europa Grenzen gehabt, zu viele Lasten (zum Beispiel Schengen) sind damit verbunden, zu sehr verlieren wir damit Chancen in der Nachbarschaft, auch wirtschaftliche Erfolge zu haben. Das berühmte Argument, dass Arbeitsplätze abwandern und billige Arbeitskräfte zuwandern, sticht noch dazu nicht. Wenn unsere Nachbarn „draußen” bleiben, dann wird das Lohnniveau dort weiter tief und die Tendenz der Abwanderung umso größer sein. Je rascher es gelingt, ihre wirtschaftliche und soziale Situation an unser Niveau anzunähern, umso eher bleiben die Menschen im Lande und die Arbeitsplätze dort, wo sie sind. Die größere Gefahr besteht heute sicher unter dem Aspekt der Globalisierung in der Abwanderung etwa nach Indien oder Südostasien, wie es der Textilindustrie längst passiert ist. Die Abwanderung billiger Arbeitsplätze sichert bei einem Verbleib der höherqualifizierten Tätigkeiten den Wirtschaftsraum, denn die Alternative besteht nicht im Behalten aller Arbeitsplätze, sondern in der Abwanderung des gesamten Unternehmens.

Es gibt daneben aber auch moralische Argumente. Es war ja nicht die angenehmste Situation, dass wir längere Grenzen mit kommunistischen Nachbarn als mit freien Demokratien hatten. Nun hat sich das seit 1989 geändert – und schon wieder wollen wir jemanden von Europa ausschließen. Wir können uns außerdem nicht als Europa bezeichnen, wenn wir andere Europäer weghalten wollen. Dass etwa Iren, Spanier oder Portugiesen nicht interessiert sind, mag verständlich sein, wenngleich auch sie daran erinnert werden müssen, dass ihnen ihre Integration in die Europäische Gemeinschaft sehr viel an politischer, wirtschaftlicher und sozialer Stabilität gebracht hat. Christen, Gewerkschaften und Moralisten sollte außerdem noch das Argument der Solidarität überzeugen – umso schmerzlicher, dass man auch von dieser Seite ganz und gar egoistische Argumente hört.

Im Übrigen verlangt die Globalisierung, dass Europa alle seine Reserven mobilisiert, um überhaupt im weltweiten Ausmaß wettbewerbsfähig zu sein. Glaubt denn jemand wirklich, mit den großen Wirtschaftsgebieten Amerikas, Chinas oder Indiens auf die Dauer mit Kleinstaaterei konkurrieren zu können?

Ein weiteres Argument ist die Sicherheit. Ein Nachbar, mit dem man zusammenarbeite, ist keine Bedrohung, er ist auch stärker gezwungen auf unsere Wünsche einzugehen und für Ordnung im eigenen Haus zu sorgen.

Wer die Argumentation nicht so vordergründig haben will, sollte sich überlegen wie viel wir kulturell im Austausch mit unseren Nachbarn durch lange Zeiten gewonnen haben.

Ein klassisches Beispiel dafür ist meine Heimatstadt Wien. Gerne zeigen wir „Wien um 1900”, wo diese Stadt für wenige Sekunden der Weltgeschichte eine Welthauptstadt des Geistes war – denken Sie an Billroth oder Freud in der Medizin, an Hoffmann und Loos in der Architektur, an Boltzmann und Mach in den Naturwissenschaften, an Klimt und Schiele, Musil und Karl Kraus, Bruckner und Mahler und so weiter. Die Großen dieser Zeit kamen alle aus der Nachbarschaft Wiens, die sich heute um die Erweiterung der Europäischen Union anstellt. Wer will bestreiten, dass sie nicht Europäer waren, wer will behaupten, dass sie nicht ein Bestandteil Europas sind. Gerade das Schlagwort „Zurück nach Europa”, das viele Intellektuelle und Politiker nach 1989 in den Transformationsstaaten angestimmt haben, ist ein Zeichen dieser Sehnsucht. Niemand kann bestreiten, dass jene, die heute keine Mitglieder der Europäischen Union sind, nicht auch Europäer sind.

Welches Recht haben die heutigen Mitglieder der Europäischen Union, eine Grenze zu ziehen? Wer zur EU gehören will, sollte auch die faire Möglichkeit dazu haben. Uns berührt überhaupt nicht die Situation jener Länder, die heute oft unter der schrecklichen Bezeichnung „left outs” geführt werden. Dazu gehören Kroatien und Mazedonien, Albanien und Bosnien-Herzegowina und nicht zuletzt Jugoslawien. Es darf ruhig die Frage gestellt werden, ob nicht diese Separation mit einem der Wurzeln des heutigen Kosovo-Konflikts ist, der längst nicht mehr allein mit Kosovo zu tun hat, verbunden ist. Die einzige mögliche Antwort auf lange Sicht ist auch in dieser Region die Integration, wenngleich sie zum heutigen Zeitpunkt mehr als weit entfernt ist. Die europäische Integration wird aber nur ein Erfolg sein, wenn man auch die Geistdimension von Europa sieht, nicht allein die ökonomische. Jacques Delors hat einmal gemeint, dass wir die Aufgabe haben, Europa wieder eine Seele zu geben, Johannes Paul II. hat bei seinem letzten Wienbesuch von den zwei Lungenflügeln Europas gesprochen, durch die der Kontinent atmet. Genau an jener Bruchstelle aber befinden wir uns.

Ein weiteres Argument gibt es noch zum Schluss: Wer die Situation Europas beschreiben will, wird es am besten mit „Kosmos und Chaos” tun, wie es Michael Emerson in seinem Buch „Redrawing the Map of Europe” getan hat. Kosmos ist zweifellos die Europäische Union, der EWR und die EFTA. Zu diesem Kosmos wollen die Erweiterungsländer der ersten und der zweiten Reihe. Da hat aber längst das Chaos bereits begonnen. Chaos aber strebt nach Ordnung. Die grundsätzliche Frage ist gestellt, ob wir nach 1989 dem neuen Achsenjahr Europas, in der Lage sind, in eigener Sache eine Ordnung herzustellen. Die Fragezeichen sind mehr als deutlich. Nicht zuletzt, ob wir es aus eigener Kraft können. Noch sind wir auf die USA angewiesen, doch ist die Schlüsselfrage zum Ende des Jahrhunderts, ob Europa wieder sein Schicksal selbst in die Hand nehmen kann. Wir haben auch die Chance, aus den Irrtümern zu lernen, die rund um den Beginn des Jahrhunderts äußerst geschichtsmächtig geworden sind und uns immerhin zwei Weltkriege, Holocaustvertreibungen und unendliches Leid gebracht haben. Sind die Zeichen an der Wand Beweise dafür, dass es sich um eine letzte Auseinandersetzung in diesem Jahrhundert oder um eine erste im gleichen Sinn im kommenden Jahrhundert handelt? Damit beginnt die Frage der Erweiterung der Europäischen Union mehr als schicksalhaft zu werden.

Die Dimension dieses Erweiterungsschritts ist von großer historischer Bedeutung. Es gilt dafür, den gegenwärtig rechten Augenblick zu erkennen und danach zu handeln. In Europa hat der Geist der Wagnis Tradition, hoffentlich können wir ihn in eigener Sache auch zeigen!

 

Tabellen

Begegnungen09_Aretin

Begegnungen
Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Band 9:15–31.

KARL OTMAR v. ARETIN

Das Reich und die europäische Politik 1763–18061

 

Die Friedensschlüsse von Paris und Hubertusburg vom Februar 1763 beendeten einen Krieg, bei dem viele der Teilnehmer im Nachhinein der Meinung waren, sie hätten auf der falschen Seite gekämpft. Diese Tatsache hatte international die Folge, dass die 1756/57 geschlossenen Allianzen 1763 – wie das englisch-preußische oder das russisch-österreichische Bündniszerbrachen, oder – wie die österreichisch-französische Allianz – ihren aggressiven Charakter verloren. Das Reich war Österreich 1757 nur widerwillig in den Krieg gefolgt. Man sah sich plötzlich in einen Krieg mit internationalen Verflechtungen verwickelt, dessen Konsequenzen man nicht übersehen konnte.

Wenn sich das Reich trotzdem dem Krieg gegen Preußen, genau genommen der Reichsexekution gegen Preußen anschloss, dann spielte hier die Empörung über den preußischen Überfall auf Sachsen, später Mecklenburg ebenso eine Rolle, wie die Völkerrechtsbrüche, die sich Friedrich gegen Sachsen zu Schulden kommen ließ. Von der Eingliederung der kapitulierenden sächsischen Armee in das preußische Heer, der Plünderung und Zerstörung des Brül’schen Palais in Dresden und des sächsischen Schlosses Hubertusburg bis zur Zerstörung der Dresdener Vorstädte war dies eine lange Liste. Je länger jedoch der Krieg dauerte, desto größer wurden die Sympathien evangelischer Reichsstände für Friedrich den Großen und desto stärker die Abneigung gegen Frankreich.2 Für die Haltung vieler deutscher Fürsten wurde es am Ende des Siebenjährigen Krieges wichtig, dass sich in diesem Krieg über die politischen Gegensätze die alten, die Reichsgeschichte seit 1648 beherrschenden konfessionellen Gegensätze international verfestigt hatten: Die katholischen Vormächte Österreich und Frankeich gegen die evangelischen Mächte Preußen und England.3 Der Feldherrnruhm Friedrichs des Großen fand darüber hinaus überall im Reich Bewunderung. Am Ende wurden im Reich aus den konfessionellen Bindungen politische Parteien, deren Anführer in Wien und Berlin saßen.

Es waren im Grunde genommen zwei Kriege, die sich auf eine höchst komplizierte Weise miteinander verbunden hatten. Der eine war ein Kolonialkrieg zwischen England und Frankreich, der 1755 mit dem englischen Angriff auf die französischen Kolonien in Nordamerika begonnen hatte. Der andere hatte seine Ursache in dem Versuch Österreichs, mit Hilfe einer Koalition mit Russland und Frankreich, Preußen Schlesien zu entreißen und – wenn möglich – das Königreich auf einen Stand zurückzuführen, der es ihm nicht mehr ermöglichte, die Rolle einer europäischen Großmacht zu spielen.4

Der Verlauf des Kolonialkrieges zwischen England und Frankreich hatte auf das Reich kaum einen Einfluss. Auch der Krieg um Schlesien hatte im Hubertusburger Frieden ein unspektakuläres Ende gefunden. Friedrich dem Großen wurde der Besitz Schlesiens zugesprochen. Österreich musste sich endgültig sowohl mit dem Verlust des reichen Schlesiens als auch mit der Tatsache abfinden, das mit Preußen im Reich ein Land in den Rang einer europäischen Großmacht aufgestiegen war. Diese beiden Tatsachen veränderten die europäische Politik wie auch die Reichspolitik stärker, als es nach außen den Anschein hatte.

1

Die Einmischung fremder Mächte in die inneren Angelegenheiten des Reiches hatte eine lange Tradition. Seit 1648 waren Schweden und Frankreich Garantiemächte des Westfälischen Friedens und damit der Reichsverfassung. Während Schweden davon fast keinen Gebrauch machte, benutzte Frankreich dieses Privileg für eine sehr aktive, meist gegen den Kaiser gerichtete Reichspolitik. Die französischen Könige bezeichneten diese Garantie als eine der „herrlichsten Perlen” ihres Königtums. Im Reich wurde diese Garantie zunächst als Friedensgarantie gegen den Kaiser angesehen, den man nach 1648 verdächtigte, den für ihn ungünstigen Westfälischen Frieden anfechten zu wollen. So war die Garantie ursprünglich von Richelieu auch gedacht gewesen, der für Frankreich eine Sonderstellung als Garant des Friedens in Europa erstrebte. Zwei wichtige Entscheidungen machten die Pläne Richelieus zunichte: Kaiser Ferdinand III. und später sein Nachfolger Leopold I. verzichteten darauf, die Entscheidung von 1648 in Frage zu stellen und akzeptierten die in Münster und Osnabrück gefundene Form der Reichsverfassung. Die Bedrohung des europäischen Friedens ging nicht von Wien sondern von Versailles aus. Es waren die Eroberungskriege Ludwigs XIV., die Europa zwischen 1672 und 1715 in eine nicht zu enden wollende Kette von Kriegen stürzten. Der Westfälische Friede konnte deshalb die Rolle einer europäischen Friedensordnung, wie sie Richelieu erstrebt und wie sie im Text des Friedens angelegt war, nie spielen. Rousseau, Voltaire und der Abbé Gabriel Bonnet de Mably interpretierten noch im 18. Jahrhundert die unter französischer Garantie stehende Reichsverfassung als europäische Friedensordnung.5 Dies war nur insofern richtig, als vom Reich kein Krieg ausgehen konnte. So durfte z.B. die Reichsarmee die Grenzen des Reiches nicht überschreiten.

Mit dem österreichisch-französischen Bündnis von 1756/57 veränderte sich die Stellung Frankreichs zum Reich. 1757 hatte Ludwig XV. – als Garant der Reichsverfassung – offiziell sein Eintreten in den Krieg gegen Preußen mit dem Überfall Friedrichs des Großen auf Sachsen begründet. Nach 1763 trat Kaunitz für eine Fortsetzung des Bündnisses auch mit dem Argument ein, Frankreich werde dadurch daran gehindert, als Garant der Reichsverfassung im Reich eine gegen den Kaiser gerichtete Politik zu führen. Das war allerdings ein Irrtum. Wie die Arbeit von Eckhard Buddruss über die französische Deutschlandpolitik 1756–1789 zeigt, hielt sich Frankreich zwar in der Reichspolitik tatsächlich zurück.6 Dagegen unterstützte es im Geheimen die gegen den Kaiser und Österreich gerichtete Poltik Friedrichs des Großen.

2

Österreichs Stellung veränderte sich 1763 sowohl im Reich wie international erheblich. Das Bündnis mit Russland war noch während des Krieges zerbrochen. Russland war an die Seite Preußens getreten. Das Bündnis mit Frankreich bestand zwar weiterhin, aber es war klar, dass sich Frankreich nicht ein zweites Mal in einen Krieg um Schlesien hineinziehen lassen würde. Außenpolitisch war Österreich isoliert. In Frankreich mehrten sich die Stimmen, die das Bündnis mit Österreich für einen Fehler hielten. Es hindere – so meinten seine Gegner – Frankreich daran, wie vor 1756, aktive Reichspolitik zu betreiben.

Auch das Verhältnis des Kaisers zum Reich hatte sich 1763 gewandelt. Man war sich zwar am Wiener Hof darüber im Klaren, dass Schlesien verloren war, bemühte sich aber um ein Äquivalent. Die österreichischen Bestrebungen richteten sich dabei auf das benachbarte Bayern, das Österreich im Spanischen Erbfolgekrieg 1704–1714 und im ersten Schlesischen Krieg 1741–45 besetzt hatte. In den Friedensschlüssen nach dem Spanischen Erbfolgekrieg war die Möglichkeit, Bayern gegen die Niederlande einzutauschen, festgehalten. Nach 1763 war Österreich auf einen Landgewinn im Reich aus, der es für den Verlust Schlesiens entschädigen sollte. Eine solche Politik war zwar ganz im Sinn der europäischen Großmachtpolitik, wie sie Ludwig XIV. und Friedrich der Große gehandhabt hatten. Sie stand aber im klaren Gegensatz zu der Rechtsordnung des Reiches, die bis dahin die Reichspolitik und die der Römischen Kaiser bestimmt hatte. Österreich besaß keinen Rechtstitel auf ein Gebiet im Reich. Mit seiner Absicht auf Vergrößerungen wurde Österreich auch in der internationalen Politik zu einem Unsicherheitsfaktor, von dem eine Bedrohung des Friedens ausgehen konnte.

3

Noch etwas Weiteres kam hinzu: Nicht nur, dass Preußen in den Kreis der europäischen Großmächte aufgerückt war. Das Reich, das seit 1648 unter einem ausgewogenen Rechtssystem in der Balance zwischen dem Kaiser und den am Reichstag in Regensburg versammelten Reichsständen existiert hatte, sah sich auf einmal in ein System des Gleichgewichts eingespannt, in dem Österreich und Preußen sich die Waage hielten. In diesem System war Österreich mit seiner Absicht, in Bayern einen Ersatz für Schlesien zu finden, die auch den Frieden im Reich bedrohende Macht. Die Übertragung des Gleichgewichtssystems auf das Reich veränderte aber auch das System der Reichsverfassung. Gebietserwerbungen waren damals unabhängig vom Rechtsanspruch nur im Einvernehmen der beiden deutschen Großmächte möglich. Territoriale Vergrößerungen waren damit nicht mehr die Folge von Rechtsansprüchen, sondern das Ergebnis politischer Verhandlungen. Das Reich als Ganzes wurde daher nach 1763 ein Objekt der Politik, das selbst keine Initiative entwickelte. Kurfürst Karl Theodor von der Pfalz konnte seinen Erbanspruch auf Bayern nur verwirklichen, weil sich Österreich und Preußen darüber vorher nicht geeinigt hatten. Wäre es zu einer Einigung der beiden Großmächte gekommen, so wäre wahrscheinlich Bayern an Österreich und Jülich-Berg an Preußen gefallen. Wie solche willkürlichen Entscheidungen aussahen, zeigte die 1. polnische Teilung 1772. Weil sich Österreich, Preußen und Russland einig waren, wurde ein Land in einer Art ausgebeutet, wie es jedem Rechtssystem Hohn sprach.

Zum zweiten machte das Gleichgewichtssystem die andere Großmacht – Preußen – zum Partner bzw. Gegenspieler Österreichs. Das wollte man in Wien nicht akzeptieren, wo man sich noch immer auf die Würde eines Kaisers berief und nicht bereit war, Preußen als gleichberechtigt anzuerkennen. Die Berufung auf das kaiserliche Amt war Reichspolitik im althergebrachten Stil. Die Politik des Gleichgewichts, unter der die Reichspolitik seit 1763 stand, entsprach dem Stil der europäischen Großmachtpolitik, auf die die weniger mächtigen Reichsstände keinen Einfluss besaßen.

Im preußischen König sahen die evangelischen Reichsstände nach 1763 ihren Schutzherren, obwohl der König als Freigeist bekannt war. Preußen wurde auch in konfessioneller Hinsicht als Schutzmacht des evangelischen Reichsteils der Widerpart des Kaisers. Die in Deutschland ohnehin schwierigen Verhältnisse wurden dadurch noch komplizierter, weil die Parteiungen im Reich konfessionell begründet wurden. Damit wurden Einrichtungen, wie die itio in partes, zu politischen Auseinandersetzungen benutzt, die 1648 zur Regelung konfessioneller Spannungen geschaffen worden waren. Die itio in partes sollte verhindern, dass am Reichstag eine Religionspartei die andere überstimmte. Bei Religionsstreitigkeiten wurde nach Konfessionen abgestimmt, sodass ein friedlicher Ausgleich – die sog. amicabilis compositio – gefunden werden musste. Die itio in partes wirkte mehr als Drohung, als dass sie zur Anwendung kam. Haeberlin zählte insgesamt acht Anwendungen, davon keine nach 1763.7 Als Drohung wurde sie aber auch nach 1763 häufig in der politischen Auseinandersetzung eingesetzt. Die amicabilis compositio wurde nach 1763 nicht mehr angestrebt. Man blockierte sich gegenseitig. Die große Chance, die sich in der Reichspublizistik als Reichsreformbewegung nach 1763 abzeichnete, konnte nicht genutzt werden. Das hinderte zwar Friedrich den Großen 1785 nicht, den Fürstenbund als Ansatz zur Reichsreform auszugeben. Tatsächlich verhinderte Preußen aber nach 1785 alle Ansätze einer Reform der Reichsverfassung.

4

Die preußische Politik war nicht weniger auf territoriale Vergrößerungen ausgerichtet als die österreichische. Die von Friedrich dem Großen auf eine Friedensstärke von 220 000 Mann gebrachte Armee konnte nur mit äußerster Sparsamkeit aus dem Land unterhalten werden. Bei einer weniger sparsamen Haushaltsführung wurden territoriale Zugewinne notwendig. Auch hier erstrebte Friedrich der Große Vergrößerungen im Reich an. So war auch Preußen nach 1763 sowohl im Reich, wie in der internationalen Politik ein Unsicherheitsfaktor. Friedrich, der in diesen Jahren die militärische Welt mit glanzvollen Manövern erstaunte, begründete die übergroße Stärke seiner Armee mit der Bedrohung durch Österreich.

Aus dem gleichen Grund war auch Österreich gezwungen, eine stärkere Armee zu unterhalten, als es ohne die preußische Bedrohung notwendig gewesen wäre. Beide deutschen Großmächte veränderten mit ihren Armeen die Stimmung im Reich, dessen Reichsarmee seit der Niederlage von Roßbach 1757 Gegenstand des allgemeinen Gespöttes war, und deren Fürsten ihre Soldaten, wenn überhaupt, als Paradetruppen unterhielten. Im Siebenjährigen Krieg und in den Plänen, wie sie Friedrich vor seinem Regierungsantritt und später in seinen Testamenten geäußert hatte, wurden Sachsen und Mecklenburg als Eroberungsziele genannt. Beide Länder hatte Preußen im Siebenjährigen Krieg besetzt. Der König war sich aber darüber im Klaren, daß eine Eroberung dieser Länder nach 1763 unmöglich war. Er besaß jedoch einen rechtlichen Anspruch auf eine andere Erwerbung: Die Markgrafentümer Ansbach und Bayreuth waren in den Händen von Nebenlinien der Hohenzollern. Nach 1763 standen beide Nebenlinien der Hohenzollern vor dem Aussterben. Es war nun das erklärte Ziel des Königs, die Erbfolge in Ansbach-Bayreuth in seinem Sinn zu entscheiden.

Diese Absicht war für Österreich eine weitere Bedrohung. Brandenburg-Preußen wurde mit diesem Landgewinn mächtiger, ohne dass Österreich dagegen etwas unternehmen konnte.

Das alles erklärt, weshalb sich Österreich mit allen Mitteln gegen eine Bestätigung dieser Erbordnung wehrte, die auch vom Reichstag nicht zu erhalten gewesen wäre. Preußen fasste damit Fuß in Süddeutschland. Bayreuth grenzte an Böhmen und vergrößerte die Gefahr für dieses Kronland. Preußen wurde damit auch kreisausschreibender Fürst des Fränkischen Reichskreises, der bisher als kaisertreu galt. Friedrich ließ sich daher die Erwerbung der Markgrafentümer bei der Erneuerung des russisch-preußischen Bündnisses 1769 von der Zarin Katharina zusagen.8 Das war zwar reichsrechtlich irrelevant, aber Russland besaß damit die Möglichkeit, bei der Regelung der inneren Verhältnisse des Reiches mitzureden.

5

Nicht Frankreich als Garantiemacht der Reichsverfassung und Russland als Partner Preußens, auch England stand in einem ganz besonderen Verhältnis zum Reich. Seit 1714 war der Kurfürst von Hannover König von England. Während der Eroberungskriege Ludwigs XIV. war England der treueste Verbündete des Kaisers. Auch Maria Theresia hätte die ersten beiden Schlesischen Kriege kaum so gut überstanden, wäre England/Hannover nicht auf ihre Seite getreten. Dieses Bündnis hatte sich in der Vergangenheit allerdings meist sehr nachteilig für Kaiser und Reich erwiesen. Noch bei jedem Friedensschluss hatte England den Kaiser im Stich gelassen. Das war im Frieden von Nymwegen 1679 und Ryswik 1697 ein Ärgernis. Im Frieden von Utrecht 1713, als sich England an die Seite Frankreichs stellte und Kaiser und Reich, entgegen allen eingegangenen Verpflichtungen, einen schimpflichen Frieden diktierte, wurde diese Haltung zum Skandal.9 Im Frieden von Aachen 1748 wurde der Leiter der österreichischen Delegation, der spätere Staatskanzler Graf Kaunitz, von dem englischen Vertreter Lord Sandwich von den entscheidenden Verhandlungen ferngehalten. Gegen die Proteste von Kaunitz wurde in diesem Frieden Schlesien Preußen zugesprochen, obwohl zu diesem Zeitpunkt Friedrich der Große nicht mehr am Krieg teilgenommen hatte, und Preußen an den Verhandlungen nicht beteiligt war.10 Für Maria Theresia besonders verbitternd war die Tatsache, dass der Reichstag den Frieden von Aachen 1751 ratifizierte und Friedrich der Große sich damit seither reichsrechtlich im legitimen Besitz Schlesiens befand. Mit diesem Frieden hatte England begonnen, das Gleichgewichtssystem im Reich einzuführen, das in demselben Frieden von Aachen in Italien Gültigkeit erlangte, wo sich die bourbonischen Besitzungen, das Königreich Neapel-Sizilien und das Herzogtum Parma-Piacenza, mit dem österreichischen Herzogtum Mailand mit dem Großherzogtum Toskana die Waage hielten. Für Italien leitete das österreichisch-französische, bzw. habsburg-bourbonische Bündnis von 1756 eine fast vierzigjährige Phase des Friedens ein. Zu dieser Entwicklung hatten die Rechte des Reiches in Italien kaum etwas beigetragen. Es war das System des Gleichgewichtes, das sich hier als segensreich erwies.

Für Österreich verband sich mit dem Frieden von Aachen die Einsicht, dass im Bündnis mit England Schlesien nicht zurückerobert werden konnte. Insbesondere Kaunitz hatte seitdem starke Vorbehalte gegen England. Trotzdem kam es nach 1748 zu einer Erneuerung des englisch-österreichischen Bündnisses, was sich für das Reich als segensreich erwies. Die Tatsache, dass der Kaiser über einen starken Verbündeten im corpus evangelicorum verfügte, entschärfte den konfessionellen Gegensatz. Die Folge war, dass eine Reihe wichtiger Reichsgesetze vom Reichstag beschlossen werden konnte.

Das österreichisch-französische Bündnis von 1756/57 wurde in England als Verrat angesehen. England/Hannover trat im Siebenjährigen Krieg auf die Seite Preußens. Dieses Bündnis wurde nach 1763 nicht mehr erneuert. Im Reich wurde Hannover aber zum schärfsten Gegner des Kaisers. Ziel dieser Obstruktionspolitik Hannovers im Reich war weniger, den evangelischen Reichsteil zu stärken, als das österreichisch-französische Bündnis zu sprengen. Mehrfach ging von London nach 1763 das Angebot an den Wiener Hof, ihr Bündnis zu erneuern, unter der Bedingung, dass Österreich seine Verbindung mit Frankreich lösen würde. Als Gegenleistung bot London eine Unterstützung der kaiserlichen Reichspolitik an. Kaunitz ließ dieses Angebot, wie wir sehen werden, unbeantwortet. Nicht gering einzuschätzen ist der Einfluss der englischen Verfassung auf die Verfassungsdiskussion im Reich. Beide wurden als gewachsene Mischverfassungen angesehen, die vergleichbare Elemente aufwiesen.11 Auf dieser Linie blieb Hegels Vorschlag in seiner damals nicht veröffentlichten Schrift von 1802 „Die Verfassung Deutschlands”, in der er die Empfehlung gab, den Städtetag des Reiches in eine Art gewähltes Unterhaus zu verwandeln. Die englische Reichspolitik und der von England ausgehende Einfluss auf das Reich sind weitgehend unerforscht.

6

Als neue Großmacht, die im Reich Einfluss erhalten wollte, meldete sich das seit 1763 mit Preußen verbündete Russland an. Bereits hinter der Unterstützung, die Katharina II. 1769 bei der Erneuerung des preußisch-russischen Bündnisses Friedrich dem Großen für die Verwirklichung seiner Ansprüche auf Ansbach-Bayreuth versprach, stand die Absicht der Zarin, in die inneren Verhältnisse des Reiches einzugreifen. Nach der ersten polnischen Teilung 1772 wollte Katharina die verschiedenen territorialen Ansprüche im Reich in einem österreichisch-preußisch-russischen Bündnis einer friedlichen Regelung zuführen. Der Zufall wollte es nämlich, dass am Ende des 18. Jahrhunderts vier Dynastien im Reich vor dem Aussterben standen: Die beiden Hohenzollernlinien der fränkischen Markgrafentümer und die bayerische und die pfälzische Linie des Hauses Wittelsbach. Die Initiative der Zarin scheiterte an der ablehnenden Haltung des preußischen Königs. Trotzdem war man in Versailles, St. Petersburg und London überzeugt, dass sich Österreich und Preußen im Geheimen abgesprochen hätten, dass Österreich Bayern gegen die österreichischen Niederlande eintauschen und im Gegenzug Preußen die Zustimmung für die Vereinigung mit Ansbach-Bayreuth erhalten würde. Tatsächlich aber hatten die beiden deutschen Großmächte, verstrickt in ihre Rivalität, keine Absprachen getroffen, sodass es nach dem Tod des bayerischen Kurfürsten Max III. Joseph 1777 zwischen Österreich und Preußen zum bayerischen Erbfolgekrieg kam. Diese, als „Kartoffelkrieg” verspottete Auseinandersetzung wurde allerdings weniger auf dem Kriegsschauplatz als in den Kabinetten ausgefochten. Vergeblich versuchte Friedrich der Große, Russland zu einer aktiven Beteiligung an diesem Krieg zu bewegen. Auch der Verbündete Österreichs, Frankreich, wollte sich in diesen Krieg nicht mithineinziehen lassen. Als aber nach längeren Verhandlungen Russland mit seinem Eingreifen drohte, gelang es Österreich, Frankreich zu mobilisieren. An einer Neuauflage eines österreichisch-preußischen Krieges hatten weder Frankreich noch Russland ein Interesse. Ihnen ging es um die Erhaltung des Friedens. So kam es, dass ein durchaus innerdeutsches Problem unter der Beihilfe zweier auswärtiger Großmächte im Januar 1779 in Teschen gelöst wurde. Katharina strebte bei diesen Verhandlungen an, Russland zum Garanten der Reichsverfassung zu machen, um so mit Frankreich gleichzuziehen. In der Weisung an den russischen Vertreter in Teschen, Fürst Repnin, heißt es:12 „Auf diese Weise werden wir vor ganz Deutschland die Ehre einer Lösung dieser Frage genießen und vielleicht auch eine Vereinigung verschiedener Fürsten in ein System zustande bringen, woraus dann für Russland das erwünschte Vorrecht sich ergeben dürfte, ein Bürge der deutschen Reichsverfassung zu werden, also eine Eigenschaft zu erlangen, welcher Frankreich seinen überlegenen Einfluss in die Politik verdankt.” Der Friede von Teschen 1779 wurde auf Vermittlung Frankreichs und Russlands abgeschlossen, die auch den Frieden garantierten.

Der preußische Vertreter in Teschen, Johann Eustach Graf Görtz, war damals fest entschlossen, Russlands Wunsch, Garant der Reichsverfassung zu werden, zu erfüllen. In Wien stand man diesem Ansinnen eher skeptisch gegenüber, obwohl man gewillt war, mit Russland ein besseres Verhältnis herzustellen. Ausgerechnet der Vertreter Pfalz-Bayerns meldete Widerspruch an und weigerte sich, Russland ein Garantenrecht der Reichsverfassung einzuräumen. Schließlich kam Görtz auf die Idee, dem Wunsch Russlands durch eine Kombination von zwei Artikeln zu entsprechen. Er fügte einen Artikel 12 ein, in dem es hieß: „Der Westfälische Friede werde durch gegenwärtigen Friedensvertrag erneuert und bestätigt, als wenn sie demselben von Wort zu Wort eingerückt wären.” In Artikel 16 ist die Garantie des Friedens von Teschen durch Frankreich und Russland ausgesprochen. Auch dagegen wandte sich der kurpfälzische Vertreter. Der russische Vertreter, Fürst Repnin wollte auf einem Artikel bestehen, in dem die Garantie der Reichsverfassung durch Russland ohne Einschränkung ausgesprochen wurde. Es blieb bei dieser Kombination zweier Artikel, durch die in Artikel 12 der Westfälische Friede zum Bestandteil des Vertrages gemacht wurde, und der ganze Vertrag unter die Garantie von Russland und Frankreich gestellt wurde. Da der Westfälische Friede unter der Garantie Frankreichs und Schwedens stand, wurde Russland auf diese Weise Garantiemacht der Reichsverfassung. Schließlich gab auch der pfalzbayerische Vertreter nach, und es blieb bei der Kombination der Artikel.

Als der Friedensvertrag von Teschen vor den Reichstag kam, kam es erneut zu Differenzen. Der Gesandte von England/Hannover, von Ompteda, erhob Einspruch. Er setzte in das Ratifikationsgutachten vom 2. März 1780 den Passus, dass der Friede keinem Reichsgesetz widersprechen dürfe.

Die Frage, ob Russland seit Teschen, wie Frankreich, ein Garant der Reichsverfassung war, blieb ungeklärt. Als preußischer Gesandter in St. Petersburg wies Görtz Katharina 1781 darauf hin, Russland sei durch die Kombination von Artikel 12 und 16 Garantiemacht geworden. Katharina hat sich auch mehrfach als Garantin bezeichnet. In Wien aber lehnte der Reichsvizekanzler, Rudolf Fürst Colloredo, diese Ausdeutung des Friedens von Teschen ab.

Ein Jahr später, 1781, nach dem Abschluss des österreichisch-russischen Bündnisses, ernannte Katharina mit dem jungen Diplomaten Nicolai Petrovic Romanzoff einen eigenen Gesandten im Reich.13 Zusammen mit dem russischen Gesandten am Reichstag in Regensburg, von Asseburg, und dem in Wien, Dimitrij Michailowi Fürst Gallitzin war Romanzoff Träger einer aktiven russischen Reichspolitik in den Jahren 1781 bis 1792, deren Umfang bisher nur in Umrissen bekannt ist. Die Fäden liefen über Gallitzin. Es handelte sich, nach allem was wir wissen, weniger um die Vertretung eigenständiger russischer Interessen, als vielmehr um die Unterstützung der österreichischen Reichspolitik, deren Fehler und Ungeschicklichkeiten die anfängliche Begeisterung der Zarin erlahmen ließen. 1784 war es Romanzoff, der in Zweibrücken die Verhandlungen über einen Tausch Bayerns gegen die österreichischen Niederlande führte. Da auch Kurfürst Karl Theodor von Bayern keine legitimen Nachkommen besaß, war der Herzog Karl August von Zweibrücken der Erbe Pfalz-Bayerns. Ohne seine Zustimmung zum Tausch Bayerns gegen die österreichischen Niederlande, das heutige Belgien, war das Projekt nicht zu verwirklichen. Durch eine ungeschickte Bemerkung gab Romanzoff zu dem Gerücht Anlass, das mächtige Russland habe den kleinen unbedeutenden Herzog von Zweibrücken zwingen wollen, in den Tausch einzuwilligen. Die Empörung, die darüber im Reich herrschte, benutzte Friedrich der Große 1785 zur Gründung des Fürstenbundes. Romanzoff bemühte sich nach 1785, die Ausbreitung des Fürstenbundes zu verhindern, allerdings ohne großen Erfolg. Katharina war empört, dass Friedrich der Große ihrem Diplomaten unterstellte, er hätte bei den Verhandlungen in Zweibrücken den Herzog mit Drohungen zum Tausch zwingen wollen. Als ihr Graf Görtz offiziell Mitteilung vom Abschluss des Fürstenbundes zur Erhaltung der Reichsverfassung machte, ließ sie ihm durch ihren Kanzler Ostermann ausrichten, dass die Reichsverfassung nach dem Teschener Frieden durch Russland garantiert sei. Das genüge zu ihrer Erhaltung. Dazu bedürfe es keiner so dubiosen Assoziation wie den Fürstenbund. Russland mischte sich in den folgenden Jahren mehrfach in die inneren Angelegenheiten des Reiches ein. Romanzoff trat bei verschiedenen Anlässen fast wie ein österreichischer Gesandter auf. Sein Engagement ging so weit, dass er 1786 bei der Emser Konferenz die Verhandlungen der 4 deutschen Erzbischöfe im Auftrag des Wiener Hofes beobachtete. Die Reichspolitik der Jahre 1782 bis 1792 ist ohne die Aktivitäten Russlands nicht zu verstehen.

7

Auch England-Hannover wurde 1785 von der Verfassungskrise erfasst, die von der Reichspolitik Kaiser Josephs II. ausging und 1785 in den gegen den Kaiser gerichteten Fürstenbund kulminierte. Das geschah auf zweierlei Art. Noch war ja im Reich das Misstrauen gegen Friedrich den Großen nicht überwunden, der bisher kaum Interesse an der Reichsverfassung gezeigt hatte. Schon vor Friedrich hatte es bei einigen mindermächtigen Fürsten, wie Franz von Anhalt, Karl Friedrich von Baden, Wilhelm von Hessen-Kassel oder Carl August von Sachsen-Weimar, Überlegungen gegeben, gegen den Einfluss der beiden deutschen Großmächte Österreich und Preußen auf die Reichspolitik einen Fürstenbund zu gründen. Als nun Friedrich diesen Gedanken 1785 aufgriff, wollten diese Fürsten mit England/Hannover zusammengehen. So tief aber wollten sich Georg III. von England und sein Kabinett nicht in die Reichspolitik verstricken lassen. Hannover trat zwar dem Fürstenbund bei, lehnte aber eine Sonderstellung im Fürstenbund ab und verwies die mindermächtigen Fürsten an den Berliner Hof. Zur selben Zeit versuchte England, das Bündnis mit Österreich zu erneuern, mit dem Ziel, die österreichisch-französische Allianz zu sprengen.

Diese Verhandlungen liefen über Russland. Katharina machte dem englischen Botschafter Vorhaltungen, warum sich England/Hannover in Verhandlungen mit Friedrich dem Großen über die Gründung eines Fürstenbundes einlasse. Im Auftrag des englischen Ministeriums bot der Gesandte an, dass Hannover nicht dem Bund beitreten werde, falls Österreich ernsthaft ein Bündnis mit England erwägen würde. Ausdrücklich betonte die englische Regierung, dass sie in diesem Fall bereit wäre, die österreichische Reichspolitik zu unterstützen und verwies auf die Zusammenarbeit in den Jahren zwischen 1748 und 1755. Parallel dazu liefen Verhandlungen auch über den österreichischen Gesandten in London und den Reichsvizekanzler Colloredo. Von ihm wusste man, dass er ein Gegner des Bündnisses mit Frankreich war. Kaunitz ließ auch diese Offerte unbeantwortet. Als Katharina darüber ihr Unverständnis äußerte, verwies der Staatskanzler auf die negativen Erfahrungen, die Österreich bei Friedensschlüssen mit England gemacht hatte. Den Hinweis Katharinas, dass die Allianz mit Frankreich wertlos sei, weil dieses insgeheim die Reichspolitik des Kaisers bekämpfe, beantwortete Kaunitz mit dem wenig überzeugenden Argument, er wisse zwar, dass Frankreich die preußische, gegen den Kaiser gerichtete Politik unterstütze. Das Bündnis verhindere jedoch, dass Frankreich eine aktive Reichspolitik betreibe.

8

In der Phase zwischen dem Hubertusburger Frieden und der Französischen Revolution war das Reich stärker denn je in die internationale Politik eingebunden. Das geschah einmal, weil beide deutschen Großmächte im Bunde mit anderen europäischen Großmächten standen, oder wie England-Hannover im Reich eigene Interessen hatten. Waren vor 1763 Bündnisse häufig Anlass zu kriegerischen Auseinandersetzungen gewesen, so veränderten sie nach 1763 ihren Charakter und wurden zu Sicherungen des Friedens. Als Friedrich der Große 1783 von dem russisch-österreichischen Vertrag erfuhr, den Katharina ihm verheimlicht hatte, strebte er eine Erneuerung des Bündnisses mit Frankreich an, in der Sorge, dass die russisch-französisch-österreichische Allianz von 1756/57 wiederbelebt werden könnte. Vergennes verweigerte sich Friedrich mit dem Hinweis, ein Bündnis mit Preußen werde sofort ein englisch-österreichisches Gegenbündnis hervorrufen und damit die Gefahr eines Krieges heraufbeschwöre. Als Verbündeter des Kaisers könne Frankreich Joseph II. ohne Kriegsgefahr von unüberlegten Schritten abhalten. Das österreichisch-französische Bündnis hatte also nach 1763 friedenssichernde Funktionen – ein Novum in der europäischen Politik.

Tatsächlich intervenierte Frankreich 1784/85 energisch in Wien gegen die Pläne, Bayern gegen die österreichischen Niederlande zu vertauschen. Frankreich hatte sehr zum Ärger des Wiener Hofes kein Interesse an einer Vergrößerung Österreichs, oder daran, dass Österreich ein Äquivalent für den Verlust Schlesiens erhielt. Dagegen hatte, nicht minder zum Ärger der Wiener Politik, Frankreich im Frieden von Teschen zusammen mit Russland Brandenburg-Preußen den Erwerb von Ansbach und Bayreuth nach dem Tod der dort regierenden Markgrafen garantiert. Das französisch-österreichische Bündnis, das 1756 den Siebenjährigen Krieg ausgelöst hatte, wurde nach 1763 ein Instrument, mit dem Frankreich Vergrößerungen Österreichs verhinderte. Es war zu einer den Frieden im Reich und in Europa sichernden Einrichtung geworden.

Ganz ähnlich waren die Folgen des englisch-preußischen Bündnisses von 1788, das sich aus dem Fürstenbund und nach dem Scheitern der Bündnisgespräche mit Österreich ergaben. Es war der Londoner Hof, der nach 1788 verhinderte, dass die weitausgreifenden Pläne des preußischen Ministers Hertzberg zur Ausführung kamen. Hertzberg hatte die erheblichen Schwierigkeiten, in die Österreich durch den unglücklich verlaufenden österreichisch-türkischen Krieg und durch die Aufstände in Ungarn und den Niederlanden geraten war, zu einem großen Revirement zu Ungunsten Österreichs benutzen wollen. Auch diese Allianz galt daher der Sicherung des Friedens.

Der Friede im Reich und in Europa wurde durch das österreichisch-französische und das englisch-preußische Bündnis gesichert, weil weder Frankreich, noch England bereit waren, sich nach 1763 noch einmal über den österreichisch-preußischen Konflikt in einen Krieg verwickeln zu lassen. Diese Tatsache wurde durch die dritte Großmacht Russland noch unterstrichen. Wie der bayerische Erbfolgekrieg eindrucksvoll gezeigt hatte, waren weder Österreich noch Preußen Großmächte im Stil Englands, Frankreichs oder Russlands. Die Drohung Russlands, und später Frankreichs, in den Konflikt einzugreifen, hatte dazu geführt, dass die beiden deutschen Großmächte bei der Lösung eines innerdeutschen Problems, nämlich der bayerischen Erbfolge, die Hilfe zweier auswärtiger Mächte in Anspruch nahmen. Katharina fühlte sich danach als Garantin der den inneren Frieden im Reich sichernden Reichsverfassung. Auch wenn sie nach 1781 die österreichische Reichspolitik unterstützte, war sie doch nie bereit, einen den Frieden gefährdenden Bruch der Reichsverfassung zu akzeptieren. Der von den Betroffenen freiwillig verabredete Tausch Bayerns gegen die Niederlande hätte nämlich nach allgemeiner Ansicht nicht gegen die Verfassung verstoßen.

9

Das System internationaler Sicherungen des Friedens, wie es sich nach 1763 entwickelte, blieb auf das Zusammenleben der verschiedenen Reichsstände nicht ohne Auswirkungen. So sehr auch das aus der Rivalität der beiden deutschen Großmächte erwachsene System des Gleichgewichts eine an Österreich und Preußen orientierte Parteibildung begünstigte, so ist doch danach zu fragen, welche Rolle das Reich für die beiden Mächte spielte und welche eigenständigen Interessen das Reich als die Summe aller Reichsstände in dieser Situation entwickelte.

Das Verhältnis der beiden Großmächte zum Reich ist nicht nur als eine Rivalität interpretiert worden. Der englische Historiker Joachim Whaley hat die Frage aufgeworfen, ob es eigentlich richtig wäre, vom österreichisch-preußischen Dualismus zu sprechen.14 Es wäre nämlich nach 1763 weniger um einen Kampf der beiden deutschen Großmächte gegeneinander als vielmehr um den jeweiligen Einfluss im Reich gegangen, was die Bedeutung dieser Einrichtung zeige. Whaley sieht darin eine Aufwertung des Reiches. Friedrichsens letzte diplomatische Coups, die Gründungen des Fürstenbundes, scheint dieser These rechtzugeben. Der Fürstenbund kann zunächst durchaus als ein Versuch gewertet werden, das Reich, d.h. die Summe der Reichsstände für Preußen zu gewinnen. Die Behauptung, dass dieser Bund der Erhaltung der Reichsverfassung diene und die im Bundesvertrag niedergelegte Garantie der Besitzverhältnisse deuten auch in diese Richtung. Sie wurde von den geistlichen Fürsten, die durch die Diözesanpolitik Josephs II. stark beunruhigt waren, auch als Verzicht auf die bislang von Preußen und dem corpus evangelicorum betriebene Säkularisation der geistlichen Territorien angesehen.

Eine kurze Analyse der österreichischen und der preußischen Reichspolitik zeigt aber sehr schnell, dass es sich dabei doch um eine echte Rivalität handelte, bei der das Reich nur Mittel zum Zweck war.

Die Reichspolitik Josephs II. ging später von völlig irrationalen Vorstellungen aus. Sein Fragenkatalog an seine beiden Kanzler Colloredo und Kaunitz und den Staatsminister v. Pergen zeigen, dass er sich anfangs mit großem Engagement seiner Aufgabe als Kaiser annahm.15 Joseph folgte deren Rat und ging an eine Reform der beiden obersten Reichsgerichte.16 Seine Bemühungen, eine durchgreifende Reform des Reichkammergerichts durchzuführen, stießen jedoch auf den hartnäckigen Widerstand England/Hannovers, das schon damals das französisch-österreichische Bündnis sprengen und das alte österreichisch-englische Bündnis erneuern wollte. Dem Kaiser sollte drastisch vor Augen geführt werden, wie wenig er ohne England im Reich erreichen könne und wie wenig ihm das Bündnis mit Frankreich im Reich nütze. Der Kaiser zog jedoch daraus und aus dem Verhalten des corpus evangelicorum den Schluss, dass eine vom Kaiser initiierte Reform des Reiches unmöglich war. Als er nach dem Tode Maria Theresias 1780 Alleinherrscher wurde, spielte das Reich in seinen Plänen nur noch eine ganz untergeordnete Rolle. Seine Denkschrift zum Tausch Bayerns gegen die Niederlande 1784, der Vorschlag, den Reichshofrat einzusparen und seine Diözesanpolitik beweisen, dass ihm sein Einfluss im Reich gleichgültig geworden war, und dass er die Kaiserkrone am liebsten niedergelegt hätte.

Auch die Reichspolitik Friedrichs des Großen war nicht auf das Reich ausgerichtet. Zwar enthielt der Fürstenbund neben der Garantie der territorialen Verhältnisse auch einen Hinweis, Reichsreformpläne zu unterstützen. Damit wollte Friedrich die mindermächtigen Fürsten für sich gewinnen, deren Bundes- und Reichsreformpläne er kannte. Tatsächlich aber ging es Friedrich im Fürstenbund um eine Verbindung mit Sachsen und Hannover. Um die mindermächtigen Fürsten hat er sich später nie mehr gekümmert. Sein Nachfolger, Friedrich Wilhelm II. zeigte anfangs zwar Interesse an den Reichsreformideen des Herzogs Carl August von Weimar. Sein Minister Hertzberg war sich jedoch mit Sachsen und dem englischen König einig, dass eine Reichsreform nicht im Interesse der drei Kurfürsten lag. Auch hier blieb die preußische Politik Großmachtpolitik, die auf die Rivalität mit Österreich ausgerichtet war. Es ging schon Friedrich dem Großen nicht um das Reich oder eine Reform seiner Verfassung, sondern darum, den Einfluss des Kaisers im Reich zu treffen. Es gibt keine Pläne der drei evangelischen Kurfürsten, die der Erhaltung, dem Aufbau oder der Reform des Reiches dienten. Wäre der österreichisch-preußische Dualismus tatsächlich auf das Reich bezogen gewesen, wie Whaley meint, hätten die Friedensjahre 1763–1792 für eine Reform der Reichsverfassung genutzt werden können. Pläne und Überlegungen dazu waren in der Reichspublizistik reichlich vorhanden. Sie haben in der Politik Österreichs und – von den ersten Regierungsjahren Friedrich Wilhelms II. abgesehen – auch in der Preußens keine Rolle gespielt. Der den Frieden im Reich gefährdende Gegensatz zwischen Österreich und Preußen wurde durch ein internationales System der europäischen Großmächte England, Frankreich und Russland gehindert, das Reich in das Chaos eines vierten Schlesischen Krieges zu stürzen. Im Westfälischen Frieden sollte das Reich und die Reichsverfassung das Kernstück einer europäischen Friedensordnung bilden. Diese Aufgabe hat das Reich nie erfüllen können. In den Jahren 1763 bis 1792 ist das Reich jedoch durch ein System internationaler Verflechtungen in diese Rolle hineingewachsen.

10

Es lag im System dieser internationalen Verbindungen, dass sofort Rückwirkungen auf das Reich erkennbar wurden, als Frankreich im Trubel der Revolution unterzugehen drohte. In der Annahme, dass ein Feldzug gegen Frankreich mit einem raschen Sieg enden würde, wurden 1792 sowohl in Wien wie in Berlin Pläne für eine territoriale Neustruktur des Reiches entworfen, bei der wesentliche Einrichtungen der Reichsverfassung aufgegeben worden wären. Man dachte über die Säkularisation der geistlichen Fürsten nach, über die Abschaffung kleinerer Fürsten und Reichsgrafen und einiger Reichsstädte. Auch der Tausch Bayerns gegen die Niederlande wurde erwogen. Daß diese Pläne nicht realisiert wurden lag einmal an der sich rasch verändernden militärischen Lage. Zum anderen regte sich 1792/93 auch Widerstand im Reich. Zum Hüter der Reichsverfassung und als strikter Gegner aller territorialen Pläne erwies sich England/Hannover. Auch in Dresden wurden die Pläne abgelehnt, weil man, wie in Hannover, einen Machtzuwachs der beiden deutschen Großmächte und als Konsequenz die Teilung Deutschlands entsprechend dem polnischen Vorbild befürchtete. Dass diese Befürchtungen nicht unberechtigt waren, zeigte sich bei der zweiten und dritten polnischen Teilung 1793/95, nach der Polen von der Landkarte verschwunden war.

Im Frieden von Luneville 1801 wurde dem Reich eine Neuordnung der territorialen Verhältnisse aufgezwungen. Die territorialen Verluste der Reichsstände, die diese durch die Abtretung des linken Rheinufers erlitten, sollte durch Entschädigungen im Reichsgebiet ausgeglichen werden. Mit Hilfe der Säkularisation geistlicher Staaten sollte dafür das Land gefunden werden. Obwohl 1802 durchaus die Chance bestand, die neuen territorialen Verhältnisse ohne das Frankreich Napoleons zu bestimmen, verwickelten sich die beiden deutschen Großmächte wieder in ihre Gegnerschaft und blockierten damit eine vernünftige Lösung. Das Schauspiel, das Österreich und Preußen bei diesen Verhandlungen boten, war so unangemessen, dass Russland sich seiner Rolle als Garant der Reichsverfassung erinnerte und zusammen mit Frankreich die neue Gebietsaufteilung in Deutschland festlegte. Der französische und der russische Gesandte am Reichstag traten gemeinsam in Regensburg vor den Reichstag und diktierten den versammelten Reichstagsgesandten, was in Paris und St. Petersburg über die territorialen Veränderungen beschlossen worden war. Dem Reichstag blieb nichts anderes übrig, als das Ergebnis zum Reichsdeputationshauptschluss zu erheben und der Kaiser musste ihn ratifizieren.

11

Welche Bedeutung hatte dieses merkwürdige System für die europäische Politik, in dem die drei wichtigsten Großmächte, Frankreich, England und Russland in die Reichspolitik eingebunden waren? Im Grunde ging es darum, zu verhindern, dass der österreichisch-preußische Gegensatz dazu führen konnte, dass es darüber zu einem weiteren europäischen Krieg wie dem Siebenjährigen Krieg kommen konnte. Nach 1763 gab es in Frankreich wie in England Stimmen, in diesen Krieg gegen die eigenen Interessen verwickelt worden zu sein. Diese Erkenntnis steigerte sicherlich die Bereitschaft nach 1763, den österreichisch-preußischen Gegensatz zu neutralisieren.

Überblickt man die nach 1763 in Europa noch vorhandenen Konfliktherde, so wird man sehr bald feststellen, dass Schlesien und der Tausch Bayerns gegen die österreichischen Niederlande die einzigen noch ungelösten Probleme darstellten. Frankreich stellte keine Ansprüche mehr, nachdem ihm 1735 Lothringen zugesprochen worden war. Seine Forderung nach Abtretung des linken Rheinufers tauchte erst während der Revolution auf. Sie bildete im alten, vorrevolutionären Frankreich keinen Konfliktstoff. Die Bemühungen Spaniens, nach Italien zurückzukehren, die nach 1714 mehrfach den europäischen Frieden bedroht hatten, waren befriedigt, seit Neapel-Sizilien und Parma-Piacenza in den Händen spanischer Sekundogenituren waren. Das polnische Problem war im Einvernehmen der drei Teilungsmächte „gelöst” worden. Der von beiden Seiten mit großer Hartnäckigkeit wachgehaltene österreichisch-preußische Konkurrenzkampf war als einziger Konfliktstoff übriggeblieben. Von daher erklärt sich das starke Interesse der westeuropäischen Großmächte, diesen Konflikt nicht eskalieren zu lassen. Sowohl das österreichisch-französische wie das preußisch-englische Bündnis richtete sich nicht gegen jemand, sondern diente der Erhaltung des europäischen Friedens.

12

Qualitativ änderte sich die Stellung des Reiches in der europäischen Politik nach 1763 erheblich. Nach 1763 war das Reich in sich überkreuzende Bündnissysteme eingebunden. Ein kompliziertes, durch ausländische Allianzen abgesichertes Gleichgewichtssystem trat bis 1792 an die Stelle des alten Rechtssystems des Reiches und sicherte dessen Existenz. Nie zuvor war das Reich so sehr Gegenstand, wenn auch nicht Partner der europäischen Politik. Frankreich und Schweden waren und Russland fühlte sich nach 1779 als Garanten der Reichsverfassung. England, Schweden, Dänemark und Sardinien waren als Reichsstände am Reichstag zu Regensburg vertreten und auf vielerlei Weise mit dem Reich verbunden. So waren England und Dänemark Garanten einer evangelischen Politik in Hessen-Kassel und Württemberg, als in diesen protestantischen Ländern katholische Herrscher regierten.17

Das Rechtssystem des Reiches existierte von diesen internationalen Verflechtungen ziemlich unberührt weiter. So war das Vertrauen einer Mehrheit der Untertanen in das Rechtssystem des Reiches und die Tätigkeit der beiden obersten Reichsgerichte, Reichshofrat und Reichskammergericht, nach 1763 und erstaunlicherweise auch in der letzten Phase des Reiches ungebrochen.18 Andererseits führte die Verstrickung der beiden deutschen Großmächte in die europäische Politik zu einer völligen Passivität des Reiches. Die Maximen der Reichsverfassung und des Reichsrechtes galten zwar weiter. Wichtige Entscheidungen aber kamen von außen. Das Reich als Summe aller Reichsstände im Sinn einer Reichsreformbewegung konnte sich weder bei der Gründung des Fürstenbundes, noch später durchsetzen, als Herzog Karl August von Weimar und Karl Theodor von Dalberg Vorschläge für eine Reichsreform entwickelten. Andererseits verhinderte die Existenz der Reichsverfassung bis weit in die neunziger Jahre des 18. Jahrhunderts Maßnahmen, die mit der Rechtsordnung nicht zu vereinbaren gewesen wären. Wie brüchig allerdings diese Ordnung war, zeigte sich in den Jahren zwischen dem Ausbruch der Revolutionskriege und dem Frieden von Basel 1795, als die beiden deutschen Vormächte einig waren. Sowohl in Österreich, wie in Preußen, wie in den Verhandlungen untereinander wurden Pläne erörtert, die einen völligen Umsturz nicht nur der territorialen Verhältnisse, sondern auch der Reichsverfassung zur Folge gehabt hätten. Der Ausfall der Garantiemacht Frankreich gefährdete die innere Ordnung des Reiches. Reichsverfassung und ein System europäischer Mächte garantierten eben gemeinsam nach 1763 den Fortbestand des Reiches und seiner Verfassung.

 

Anmerkungen

 

 1

Zu den Einzelheiten verweise ich auf meine dreibändige Arbeit „Das Alte Reich 1648–1806” und hier insbesondere auf Band 3 „Das Alte Reich und der österreichisch-preußische Dualismus (1745–1806)”, 1997, als Ganzes. Die hier vorgetragenen Ideen der Verflechtung des Reiches in seiner letzten Phase in die europäische Politik sind eine Frucht dieser Arbeit.

 2

Vgl. dazu die Haltung des jungen Markgrafen Karl Friedrich von Baden, der seine Abneigung gegen die katholische Politik des Kaisers sehr deutlich zum Ausdruck brachte. H. Gerspacher: Die badische Politik im Siebenjährigen Krieg, 1934, S. 44–75.

 3

Von preußischer Seite wurde während des ganzen Krieges versucht, den Krieg als einen Religionskrieg der katholischen Vormächte zur Unterdrückung des Protestantismus zu interpretieren. Aber nicht Preußen, auch Rom sah darin einen Religionskrieg, was der Wiener Hof ebenso energisch leugnete, weil er Rückwirkungen auf die evangelischen Reichsstände befürchtete. Vgl. dazu J. Burkhardt: Abschied vom Religionskrieg. Der Siebenjährige Krieg und die päpstliche Diplomatie, 1985, S. 166–176 und 244–249.

 4

Diese Absicht ist in der Denkschrift Maria Theresias an Daun vom 24. 7. 1759 klar ausgedrückt. Die Kaiserin begründet darin die Notwendigkeit, Preußen auf den Stand eines mittleren Reichsfürsten herabzubringen, weil anders der Kaiser das Reich nicht regieren könne. Die Denkschrift veröff. bei J. Kunisch, Der Ausgang des Siebenjährigen Krieges. Ein Beitrag zum Verhältnis von Kabinettspolitik und Kriegführung im Zeitalter des Absolutismus. in: Zeitschrift für Historische Forschung 2, 1978, S. 95–100.

 5

Vgl. dazu K. O. v. Aretin: Das Reich, Friedensordnung und Europäisches Gleichgewicht 1648–1806, 1986, S. 56ff.

 6

E. Buddruss: Die französische Deutschlandpolitik 1756–1789, 1996.

 7

Zu diesem Komplex vgl. M. Heckel: Itio in partes. In: Zeitschrift der Savigny Gesellschaft für Rechtsgeschichte, kanonistische Abteilung 64, 1978, S. 108–308.

 8

Vgl. K. O. v. Aretin (wie Anm. 1), Band 3, S. 177f.

 9

Die Einzelheiten bei O. Weber: Der Friede von Utrecht. Verhandlungen zwischen England, Frankreich, dem Kaiser und den Generalstaaten 1710–1713, 1891.; M. Braubach: Die Friedensverhandlungen in Utrecht und Rastatt, in: Historisches Jahrbuch 90, 1970, S. 284–298.

10

Vgl. dazu H. Schilling: Kaunitz und das Renversement des Alliances. Studien zur außenpolitischen Konzeption Wentel Anton von Kaunitz, 1994, S. 26 f.

11

Auf den häufig wenig beachteten englischen Einfluss auf die Debatte um eine Reform der Reichsverfassung vgl. U. Wilhelm: Der deutsche Frühliberalismus. Von den Anfängen bis 1789, 1995.

12

Zitiert nach: A. Brückner–C. Mettig: Geschichte Russlands bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, Band 2, 1913, S. 37.

13

Zur Mission Romanzoff vgl. K. O. v. Aretin: Das Reich, Friedengarantie und europäisches Gleichgewicht, 1648–1806, S. 337–352.

14

I. Whaley: Die Habsburger Monarchie und das Heilige Römische Reich im 18. Jahrhundert. In: Sacrum Imperium. Das Reich und Österreich 996–1806 (hrsg. v. W. Brauneder–L. Höbelt), 1996, S. 290f

15

Der Fragenkatalog Josephs II. ist veröffentlicht in: Aus der Zeit Maria Theresias. Tagebuch des Fürsten Johann Josef Khevenhüller-Metsch, kaiserlicher Oberhofmeister 1742–1776 (hrsg. v. R. Graf Khevenhüller–Metsch u. H. Schlichter), Bd. 6, S. 479–486. Die Antworten der beiden Kanzler Colloredo und Kaunitz, ebenda S. 482–518. Die Denkschrift Pergens ist veröffentlicht in: H. Voltelini: Eine Denkschrift des Großen Johann Anton Pergen über die Bedeutung der römischen Kaiserkrone für das Haus Österreich, in: Festschrift für H. v . Srbik, 1938, S. 152–168

16

Vgl. K. O. v. Aretin: Reichshofrat und Reichskammergericht in den Reichsreformplänen Kaiser Josephs II. In: Friedenssicherung und Rechtsgewährung. Sechs Beiträge zur Geschichte des Reichskammergerichts und der obersten Gerichtsbarkeit im alten Europa (hrsg. v. B. Distelkamp und J. Scheurmann), 1997, S. 51–81.

17

Zu Württemberg vgl. die Arbeit von G. Haug-Moritz: Württembergischer Ständekonflikt und deutscher Dualismus. Ein Beitrag zur Geschichte des Reichsverbandes in der Mitte des 18. Jahrhunderts, 1992, S. 179–199. Zu Hessen-Kassel vgl. J. Burkhardt (wie Anm.3) S. 75–100.

18

Das ist das erstaunliche Ergebnis der Arbeit von R. Saiber, Untertanenprozesse vor dem Reichskammergericht. Rechtsschutz gegen die Obrigkeit in der zweiten Hälfte des 18.Jahrhunderts, 1999.

Begegnungen07_Sipos

Begegnungen
Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Band 7:39–48.

PÉTER SIPOS

Der Internationale Spielraum Ungarns 1957–1964

 

Am 23. Oktober 1964 mussten die Mitglieder des Politbüros der USAP (Ungarische Sozialistische Arbeiterpartei, ung. MSZMP) die Worte von János Kádár erschüttert gehört haben, in denen es um die Einzelheiten der Entlassung des N. S. Chruschtschow und die offiziellen sowjetischen Begründung ging. Der Erste Sekretär teilte mit, dass die Nachricht in den Reihen der ungarischen Parteimitglieder Unruhe stiftete. Mehrere befürchten die Rückkehr zur stalinistischen Politik, da – so Kádár – es bereits einige gegeben hätte, die „erfreut auf die Rückkehr des Rákosi” Champagner hätten knallen lassen. Der ungarische Parteivorsitzende äußerte ferner dass er dem sowjetischen Botschafter Denisow mitgeteilt hätte: Unannehmbar, dass Chruschtschow des „Personenkultes” verdächtigt werden könne und in der Bekanntmachung seiner Ablösung hätte man ja auch einiges über seine Verdienste sagen müssen. Kádár stellte verbittert fest, dass er in einer wichtigen Frage ungewöhnlicherweise einen anderen Standpunkt vertritt als „die sowjetischen Genossen – und das ist ungesund, weil es sich hier um tatsächliche Meinungsverschiedenheiten handelt”. Und dies wurde – ähnlich von der früher üblichen Praxis abweichend – auch vor die Öffentlichkeit gebracht. Die „Népszabadság” publizierte nämlich Kádárs würdigende Worte über Chruschtschow – beispiellos in den Ländern des „Blocks”. Der ungarische Parteivorsitzende war sich über die Spielregeln und die Etikette natürlich im klaren und wusste, dass ihm L. I. Breschnew, der frischgebackene sowjetische Erste Sekretär, seine offene Sympathieerklärung für den putschartig entfernten Vorgänger nie verzeihen wird. Für Kádár war der Chruschtschowismus jedoch politisch lebenswichtig, und er wollte die Kontinuität um jeden Preis betonen.

In keiner anderen der Haputstädte der sowjetischen Blockländer wurde den erbitterten Machtkämpfen in der sowjetischen Parteiführung 1957–58 soviel Aufmerksamkeit geschenkt wie in Budapest – vielleicht Warschau könnte hier noch hervorgehoben werden. Die Mehrheit der ungarischen politischen Öffentlichkeit unterstützte Chruschtschow, dem es im Juni 1957 gelang, die Molotow-Kaganowitsch-Malenkow-Gruppe und ihre Verbündeten aus dem obersten Führungsorgan, dem Präsidium zu entfernen. Die seit Stalins Tod im März 1953 mehr oder weniger verwirklichte Kollektivführung wurde praktisch abgeschafft, und der Erste Sekretär sicherte sich eine exklusive Führungsrolle. Diese Stellung wurde mit der Entlassung des Verteidigungsministers Schukow im Oktober 1957 weiter stabilisiert. Chruschtschow – obwohl er keinesfalls über eine Machtstellung stalinistischen Charakters verfügte – erlangte das ultimative Entscheidungsrecht innerhalb des Präsidiums, er war berechtigt, die Zusammensetzung der Führungsorgane zu bestimmen, wodurch er seine privilegierte Position weiter verstärken konnte. Nach der Entfernung des Regierungschefs Bulganin 1958 vereinigte er in seinen Händen die Ämter des Ersten Sekretärs und des Ministerpräsidenten. Außer ihm konnte keiner mehr über einen als eigene Hausmacht fungierenden Apparat verfügen.

So konnte Chruschtschow die auf dem XX. Kongress der KPdSU angefangene Destalinisierung fortsetzen, ferner seine Reformen zwecks etwaiger Modernisierung des Sowjetsystems. Dies war für Kádár eine lebenswichtige Frage, da er sich von den Parteichefs des sowjetischen Blocks am meisten dem Begriff des „Musterschülers” im chruschtschowistischen Sinne näherte. „Wäre die Chruschtschowsche Politik dem Stalinismus oder Neostalinismus unterlegen, so hätte der einstige Innenminister keine Illusionen im Bezug auf seine politischen Chancen gehabt. Bestenfalls hätte er mit der völligen Bedeutungslosigkeit am Rande der Gesellschaft rechnen können. So wurde seine politische Karriere untrennbar von dem Erfolg Chruschtschows seinen Gegenspielern gegenüber” – schrieb über ihre Schicksalsgemeinschaft Ferenc Fehér.

Die Lage der Kádár-Führung wurde jedoch nicht bloß durch die Geschehnisse auf der obersten Ebene der KPdSU beeinflusst. Die Änderungen in der Weltkommunistischen Bewegung erwiesen sich – im Zusammenhang mit den vorhin bereits angesprochenen Problemen – als nicht weniger bedeutend. Die frühere – zumindest nach außen demonstrierte – monolithische Einheit wurde ab 1957 selbst für die Außenwelt erkennbar durch ein instabiles internationales System ersetzt, in dem die erbitterten Auseinandersetzungen und 1962–63 die sich schon bis zur Trennung vertiefenden Krisen alltäglich wurden. Die führende Rolle der sowjetischen Partei war dahin, in den Manifestationen der KPdSU ging es lediglich um die „erste Partei” oder den „Vortrupp”.

Immer mehr kam – wie P. Togliatti ausgedrückte – der Polizentralismus zur Geltung, die Bedingung der Selbständigkeit der einzelnen Parteien. Die ehemalige Einheit spaltete sich zwar nicht in zwei kleinere, doch aber auch kohärente Teile. Die wichtigste Trennung stellte zweifelsohne die sowjetisch-chinesische Rivalität dar, die auch auf die meisten anderen Streite Einfluss nahm.

Andererseits aber schuf weder der eine noch der andere Rivale ein „eigenes” neues politisches Zentrum, so zerbrach der frühere Monolith in Mosaike. Die Staatsbürger versuchten, ihre eigenen nationalen Interessen zur Geltung zu bringen, während sie unter Regierungsproblemen litten. Die Bewegungen, die keine regierende Position einnahmen, versuchten den Rückgang ihres gesellschaftlichen Einflusses und ihrer Bedeutung aus eigenen Kräften aufzuhalten. Die in Ungarn Politisierenden blickten auch um die Wende der 50-er und 60-er Jahre so gut wie gewohnheitsmäßig hinter die Zeilen der Tageszeitungen und folgten mit Vorliebe der Tradition, die durch die einheimische Massenkommunikation streng kontrollierten Informationen um von ausländischen Rundfunksendern entstammende Nachrichten zu ergänzen. So sprach sich herum, dass es mit den Jugoslawen wieder „Probleme gibt”, was keinen wunderte. Umso erstaunlicher war aber selbst für die sich für berufen haltenden homo politici, dass es „Probleme”, sogar, wie es immer mehr klar wurde, „schwere Probleme” mit den Chinesen gebe.

Diesmal rechneten viele mit der Tatsache, dass hier nicht von Streitigkeiten abstrakten, theologischen Charakters die Rede ist, sondern die Streite in der internationalen kommunistischen Bewegung – aus Abhängigkeitsrelationen heraus – den ganzen Spielraum des Systems und dadurch auch die einheimische Lebenssituation auf direkte Weise mit beeinflussen.

(960 wurde das Dokument „Über unsere Meinungsverschiedenheiten bezüglich der Beurteilung der Weltsituation, der strategischen und taktischen Fragen der internationalen kommunistischen Bewegung” vom Politbüro der USAP erstellt, welches im darauffolgenden Monat dem Vorbereitungsausschuss der für November vorgesehenen Moskauer Konferenz zur Kenntnis gebracht wurde. Aus dem als offizielle Stellungnahme der ungarischen Partei anzusehenden Resümee geht hervor, dass sich die Chinesische Kommunistische Partei gegen die Erklärung von 1957 wandte, in der die internationale Lage im Geiste des XX. Kongresses der KPdSU von 1956 beurteilt wurde. Die chinesische Führung stufte die von Chruschtschow formulierten Thesen über das friedliche Zusammenleben von Ländern unterschiedlicher Gesellschaftsordnung und die mögliche Herbeiführung einer Proletardiktatur auf friedlichem Wege als fehlerhaft ein. Nach Mao Tse-tung sei der Imperialismus ein „Papiertiger”. Diese Ansicht wurde vom ZK der USAP so kommentiert: „Wenn hinter dem Imperialismus nur ein Papiertiger steckt, warum jagten wir ihn denn nicht aus Südkorea hinaus, warum dulden wir, dass er auf der Insel von Taiwan so dasitzt, warum jagen wir ihn nicht aus Europa hinaus, warum wird er in Japan nicht zerschlagen, und so weiter und so fort?” Die erste und direkte Zielscheibe der Angriffe der chinesischen Führung war um die Wende der 50-er und 60-er Jahre öffentlich noch nicht die KPdSU, sondern der Bund der Kommunisten Jugoslawiens. So wollte Mao Tse-tung die Scheineinheit zwischen den beiden großen Parteien vorerst bewahren.

Als Vorwand zu einer erneuten Offensive gegen die Jugoslawen diente, dass das neue Parteiprogramm der BKJ vom April 1958 den Bürokratismus und den Etatismus, ferner den pseudorevolutionären Sektarianismus ablehnte, sich außerdem zum Selbstverwaltungsideal bekannte und die Rolle der Partei lediglich auf Erziehung und Überzeugung beschränkte. Dies löste eine große Empörung in den Führungsspitzen der kommunistischen Parteien der Sowjetblockländer raus, und sie bemängelten in einem kritischen Ton den „Revisionismus” der Jugoslawen. Die Chinesen verlangten darüber hinaus, dass sie Belgrad gegenüber wieder die Stellung des stigmatisierenden und ausgrenzenden Kominform-Beschlusses von 1949 beziehen sollten, was selbst die Aufrechterhaltung von zwischenstaatlichen Beziehungen unmöglich gemacht hätte. Die anderen Parteien – mit Ausnahme der Albaner – begnügten sich mit der Tonlage des Kominform-Beschlusses von 1948, die zwar ähnlich unbegründet und unberechtigt, doch eher kritisch als verurteilend war.

Nach der bereits zitierten Stellungnahme des Politbüros der USAP vom September 1960 „sollen wir trotz der tiefgreifenden ideologischen und politischen Gegensätze danach streben, mit Jugoslawien zwischenstaatliche Normalbeziehungen zu schaffen und aufrechtzuerhalten. Auch diese zwischenstaatlichen Beziehungen haben etwaige Auswirkungen auf die Gestaltung der internationalen Zusammenarbeit mit neutralen Ländern. Dem sollte die Frage der zwischenstaatlichen Beziehung zu Jugoslawien untergeordnet werden. Dies ist nicht minder wichtig im Hinblick auf die Förderung des Kampfes um die Aktionseinheit des westeuropäischen Proletariats. Eine abnormale zwischenstaatliche Beziehung zwischen den Ländern des sozialistischen Lagers und Jugoslawien erschwert unseren westeuropäischen Schwesterparteien den Kampf um die Aktionseinheit der Kommunisten und Sozialdemokraten.” János Kádár schloss sich also gleich und augenfällig dem sowjetischen Standpunkt, beziehungsweise Chruschtschow an. Auf der Sitzung des ZK der USAP am 21. Dezember 1960 äußerte er zur Moskauer Konferenz: „... der ideologische Kampf bestand unsererseits und seitens anderer Schwesterparteien in der Verteidigung derjenigen Hauptlinie, ...die von der KPdSU im Sommer 1953 initiiert worden war, ... und die mit dem XX. Kongress weiter befolgt wurde... Wir haben dafür gekämpft, diese Linie hat gesiegt und sich verstärkt.” Der Spielraum der Kádár-Führung wurde maßgeblich durch die Ost-West-Beziehungen beeinflusst, unter anderen auch durch das Verhältnis zwischen den beiden Supermächten. Für die Wende der 50er–60er Jahre war kennzeichnend, dass sowohl die Vereinigten Staaten als auch die Sowjetunion anfingen, ein Gleichgewicht der „strategischen Einschüchterung” zu entwickeln. Dies waren die Übergangsjahre, in denen die Weltmächte die machtpolitischen Möglichkeiten und Grenzen des Rivalen gegenseitig erfassten. Der Rüstungswettbewerb, der noch unentschieden zu sein schien und den beiden Chancen zum Gewinn der Oberhand bot, wurde zum entscheidenden Faktor im außenpolitischen Denken und Handeln der beiden Bündnissysteme. Das Misstrauen den Absichten des anderen gegenüber und die Unsicherheit bei der Erfassung seines Rüstungspotentials führten auf der einen wie auf der anderen Seite zu übertriebenen Schätzungen und Mutmaßungen. Auch mit diesen labilen und Argwohn erregenden Kalkulationen ist der häufige Wechsel von Spannung und Entspannung zu erklären.

In den Ost-West-Beziehungen folgten die Phasen der Détente und des Antagonismus zyklisch aufeinander. Die erste Entspannungsphase dauerte von Stalins Tod bis zu dem Suez-Krieg und der sowjetischen Intervention in Ungarn. Ab 1957 begann es wieder zu „schmelzen”, und 1958 kam es zu Verhandlungen über die Einstellung von nuklearen Versuchen. Darauffolgend initiierte Chruschtschow eine die Konfrontation wiederbelebende Kampagne zur Lösung der deutschen Frage und des status quo Berlins. Nach diesem Zwischenfall wurde 1959 das Treffen zwischen Eisenhower und Chruschtschow in den Vereinigten Staaten unter Dach und Fach gebracht. Die nach der Präsidialresidenz „Geist von Camp David” genannte etwas freundlichere Atmosphäre wurde wieder abgekühlt durch mit dem Abschuss des U-2 Aufklärers über sowjetischem Gebiet ausgelösten Skandal, und infolge dessen durch das Vereiteln des nächsten Gipfeltreffens in Paris. Doch führten dann 1961 Kennedy, der neugewählte Präsident und Chruschtschow persönliche Gespräche, um einander sozusagen besser kennenzulernen. (So nebenbei sollte bemerkt werden, dass dieses Treffen – unseres Wissens – das erste weltpolitische Ereignis war, das vom ungarischen Fernsehen live übertragen wurde.) Diese „frühen” Zusammenkünfte der führenden Persönlichkeiten der Supermächte brachten der Menschheit keine Erlösung, auch keine Entscheidungen großer Tragweite wurden bei diesen getroffen. Sie waren jedoch äußerst wichtig hinsichtlich der Verbesserung der politischen Atmosphäre. Ost und West hatten zumindest Minimalkontakte miteinander, und die Welt sah und empfand, dass trotz und inmitten gegenseitiger Beschimpfung und Beckmesserei der amerikanisch-sowjetische Dialog doch weitergeführt wird und an dessen Kontinuierlichkeit die beiden Seiten interessiert sind.

Dies schien auch durch einiges nur bestätigt zu sein, dass nämlich die territoriale Unverletzbarkeit der Vereinigten Staaten für den Fall eines bewaffneten Konflikts völlig dahin war, nachdem die erste sowjetische interkontinentale ballistische Rakete und dann der erste künstliche Erdsatellit (Sputnik) gestartet worden waren. Die amerikanische Regierung füllte die „Raketenlücke” mit nahezu panischen Anstrengungen sofort aus und konnte so ihren Rückstand aufholen. Anfang der 60er Jahre entwickelte sich die Fähigkeit der „gegenseitig gesicherten Vernichtung” (Mutual Assured Destruction, MAD) heraus. Die beiden Supermächte sahen als gemeinsames Interesse an, die Lage durch eine verhandlungsgemäß vereinbarte Rüstungskontrolle zu stabilisieren. Die Rüstungskontrolle – laut einer zu jener Zeit gängigen Definition – „beinhaltet jede Form von militärischer Zusammenarbeit zwischen potentiellen Gegnern, um die Wahrscheinlichkeit eines Krieges auf das Minimale zu beschränken, seine Ausdehnung und Intensität – falls er doch ausbricht – zu vermindern, ferner die politischen wie wirtschaftlichen Kosten der Kriegsvorbereitungen zu reduzieren.”

Selbst die Tatsache galt als Novum im Verhältnis zu den früheren Jahre, dass über ein „Tempolimit” in puncto Rüstungswettlauf nachgedacht wurde. Hier ging es nicht um leere Propaganda, bombastische und unüberlegte, von Grund aus inakzeptable Vorschläge, sondern um tatsächliche diplomatische Aktivitäten. Es ließen sich die ersten, durch internationalen Konsens realisierten Erfolge sehen: 1957 wurde die Internationale Atom-Energie-Agentur ins Leben gerufen, 1959 wurde das Antarktis-Abkommen unterzeichnet, das auf 14 Millionen Quadratkilometern des Eiskontinents jegliche Nuklearversuche untersagte und eine völlige Demilitarisierung vorschrieb. Damit wurde zumindest ein Erdwinkel aus dem Wettrüsten ausgeschlossen. Ein weiterer wichtiger Faktor war auf dem Weg zur Konsolidierung – was den internationalen Hintergrund anbetrifft –, dass die Entwicklungsländer – insbesondere Südostasien und die arabischen Staaten, weniger Zentralafrika – zu den Hauptakteuren der Weltpolitik avancierten.

Die Chruschtschowsche Denkweise stellte eine wesentliche Neuerung im Vergleich mit den Ansichten Stalins dar, da er in der Dritten Welt – auch dieser Begriff selbst muss zu jener Zeit eingebürgert worden sein – potentielle Verbündete erahnte. „Für den Kampf gegen den Weltimperialismus” 1958–59 begann der Wettlauf zwischen den Sowjets und Amerikanern um die Positionen im Nahen Osten.

Die sowjetischen Stellungen wurden dadurch nur verstärkt, dass sich Ägypten und Syrien 1958 in einer Union, der Vereinigten Arabischen Republik, unter Nassers Führung zusammenschlossen. Noch im selben Jahr kam nach einer Revolution im Irak eine linksorientierte Militärdiktatur an die Macht.

Der Idee der „Unabhängigkeit”, in deren Kernpunkt die Bestrebung zur gleichartigen Distanzierung von den beiden Supermächten stand, kam immer größere weltpolitische Bedeutung zu. Die Bewegung der unabhängigen Länder wurde 1961 in Belgrad, wo Staats- und Regierungschefs von 25 Ländern zusammentrafen, unter der geistigen Führung von Tito, Nehru und Nasser institutionalisiert.

Seit Ende der 50-er Jahre spielte Westeuropa eine immer wichtigere Rolle im internationalen Geschehen. 1957 wurden nach der Unterzeichnung der sog. Römer Verträge die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und die Europäische Atomgemeinschaft (EURATOM) ins Leben gerufen, womit die Grundlagen der Integration geschaffen wurden. Zum selben Zweck wurde die Europäische Freihandelszone (EFTA) 1959 auf britische Initiative gegründet, der zumeist neutrale Staaten, ferner die skandinavischen Länder beitraten.

Der außenpolitische Spielraum der Kádár-Regierung beschränkte sich in der ersten Hälfte des Jahres 1957 auf die Länder des Warschauer Paktes, China, schließlich – von heftigen Auseinandersetzungen belastet – Jugoslawien. Im System der internationalen Beziehungen war wohl das erdrückende Erbe der letzten Periode zu spüren. Zu einer bedeutenderen Öffnung kam es nicht einmal nach dem Juni 1953. Wie es einer Meldung des Außenministeriums vom Juni 1955 zu entnehmen ist, habe die ungarische diplomatische Initiative die durch die sowjetischen politischen Änderungen gebotenen Chancen nicht wahrgenommen, so liegt sie selbst hinter Bulgarien und der Tschechoslowakei zurück. Diese Situation kennzeichnet auch die Tatsache, dass Ungarn 1938 zu 38, 1958 lediglich zu 36 Ländern diplomatische Beziehungen hatte. Im Jahre 1954 wurden in die kapitalistischen Länder 3040 Dienstreisen und insgesamt nur 95(!) Privatreisen registriert. Etwaige Änderungen ließen die statistischen Angaben ab 1959 erkennen. Die Kennzahl der diplomatischen Beziehungen wuchs 1958 auf 39, 1962 auf 57 Länder. Ungarn nahm 1958 an 186, 1961 an 329 internationalen Konferenzen teil. Die Zahl der Dienstreisenden in kapitalistische Länder betrug 1959 12 784, die der Privatreisenden 15 483 Personen; von 28 267 emigrierten 38 Personen (0,13 %), 1960 blieben von 38 584 Reisenden 23 Personen (0,07 %) endgültig im Ausland. Sicherlich trugen auch diese Erfahrungen dazu bei, dass das Politbüro der USAP im Oktober 1960 etwaige, doch vorerst ziemlich unerhebliche Reiseerleichterungen beschloss. Laut dieses Beschlusses kann grundsätzlich jeder ungarische Staatsangehörige einen Reisepass haben, mit Ausnahme derjenigen, „deren Ausreise gegen die Interessen der Volksrepublik Ungarn verstößt”. Zu dieser Gruppe mussten die 280 000 Personen gezählt haben, die „laut Angaben des Innenministeriums als Belastete galten”. Für Wehrpflichtige war die Ausreise in die BRD weiterhin untersagt. Die Privatreise in die Ostblockländer war, falls sie keinen Devisenkauf voraussetzte, einmal pro Jahr genehmigt, womit praktisch also vor allem Besuche bei Verwandten gefördert waren. An den von Reisebüros organisierten Gruppenreisen konnte demgegenüber jeder Reisepassinhaber teilnehmen, soweit er natürlich genügend Geld hatte.

All diese Ereignisse ließen die Welt wissen, dass der Konsolidationsprozess im Gange ist, und sich die Selbstsicherheit des Regimes erhöht hat. Mit internationalen Interessen stimmte die im April 1960 erlassene Amnestieverordnung des Präsidialrats überein, laut derer die zu weniger als 6 Jahren Freiheitsstrafe Verurteilten auf freien Fuß gesetzt wurden, und die sog. „Verhaftung aus allgemeinen Sicherheitsgründen” (Internierung) wurde abgeschafft.

Für die Kádár-Regierung – ähnlich wie für die DDR – galten vor allem die möglichen Kontakterweiterungen zu den Entwicklungsländern als Ausbruchschancen aus der Isolierung. Im August 1957 besuchte eine unter der Leitung eines stellvertretenden Außenministers stehende Regierungsdelegation Indien, Burma, Indonesien, Nepal, Ceylon, Syrien, Ägypten und den Sudan, sie wurde – unter anderem – von Nasser, Nehru und Bandaranaike empfangen, die damals zu den führenden Politikern der Dritten Welt zählten. 1960 stattete Sukarno einen Besuch in Budapest ab, im darauffolgenden Jahr reiste Nkrumah in die ungarische Hauptstadt. Hinsichtlich des zwischen der Kádár-Regierung und der UNO bestehenden Verhältnisses – darauf kommen wir noch zurück – war es von wichtiger Bedeutung, dass in den Jahren 1958–61 20 Länder von Afrika die Unabhängigkeit errangen und der Weltorganisation beitraten, wo sie sich dem Block der sich von den westlichen Ländern distanzierenden Neutralen anschlossen.

Anfang 1960 wurden zwischen Japan und Ungarn die diplomatischen Kontakte aufgenommen, und im August führte eine japanische Wirtschaftsdelegation Verhandlungen in Budapest.

In Europa normalisierten sich die diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen hauptsächlich zu den EFTA-Ländern und den neutralen Staaten.

Trotz der Teilerfolge, die der Lockerung der Isolation dienten, konnte Ungarn als kein Vollmitglied der internationalen Gemeinschaft anerkannt werden, solange die Ratifikationsprozedur des Mandats der ungarischen Delegation (seit Februar 1957) hinausgezögert wurde, und die „ungarische Frage” bei der UNO auf der Tagesordnung stand, deren Erörterung gleichzeitig die Verurteilung des Kádár-Regimes bedeutete. Bei der Abstimmung über die Aufnahme auf die Tagesordnung gestalteten sich die Verhältnisse für die ungarische Regierung immer günstiger. Während es 1958 61 Ja, 10 Nein-Stimmen bei 10 Stimmenthaltungen gab, erhielt der Vorschlag 1962 nur 43 Ja-Stimmen, 19 Abgeordnete stimmten dagegen und 34 enthielten sich der Abstimmung. Es war vorabsehbar, dass die Zwei-Drittel-Mehrheit, die nötig war, „die ungarische Frage” auf der Tagesordnung zu halten, bald nicht mehr zustande kommt. Doch war es für die ungarische Regierung bei weitem nicht unwichtig, wann ihre Lage bei der UNO normalisiert wird, und wann sie in diesem Zusammenhang ihre internationale Handlungsfähigkeit zurückgewinnen kann. Andererseits selbst die Vereinigten Staaten – die es allen voran befürworteten, dass die Entscheidung über das Mandat verschoben wird und die „ungarische Frage” weiterhin auf der Tagesordnung bleibt – hatten kein Interesse daran, durch eine eventuell für sie negativ ausfallende Abstimmung einen Prestigeverlust zu erleiden. Sowohl der amerikanischen wie auch der ungarischen Regierung wurde es klar, dass die einzig mögliche Lösung zur Überwindung der Gegensätze in der UNO ist, fürs erste die ungarisch-amerikanischen Beziehungen zu normalisieren. Nach dem anfänglichen „Abtasten” ab 1960 wurde 1962 im amerikanischen Außenministerium dem zuständigen ungarischen Sachberater ein inoffizielles „Memorandum” über die Bedingungen eines Abkommens übergeben. Laut dieses Dokumentes halten die Vereinigten Staaten für wünschenswert, diejenigen, die wegen der Beteiligung an den Ereignissen im Oktober-November 1956 verurteilt wurden und immer noch inhaftiert sind, auf freien Fuß zu setzen. Als Gegengeste setzt sich die amerikanische Regierung für die Abschaffung der Benachteiligung Ungarns in der UNO ein, sie macht ferner in einem Manifest die internationale Öffentlichkeit auf die ungarischen Änderungen aufmerksam und bestätigt, dass eine weitere Diskussion der „ungarischen Frage” in der Weltorganisation nicht mehr dem Fortschritt diene. Danach wäre die amerikanische Regierung bereit, Verhandlungen über die Normalisierung der bilateralen Beziehungen zu führen. Nach der Kuba-Krise wurde János Kádár während seiner Verhandlungen in Moskau im November 1962 nicht nur eine Erlaubnis erteilt, er erfuhr sogar eine ausgesprochene Ermutigung von der Seite Chruschtschows, damit das Geschäft „Amnestie für Normalisierung” abgewickelt wird. Der Erste Sekretär der USAP unterstrich in seiner Ansprache auf dem VIII. Parteikongress, dass die ungarische Regierung bereit sei, ihre Beziehungen zu den Vereinigten Staaten aufs rechte Gleis zu bringen. Man brauchte keine große Phantasie, um herauszufinden, warum er direkt nach dieser Rede mitteilte, dass 95 % der aus politischen Gründen Verhafteten von 1956 auf freien Fuß gesetzt würden und in diesem Zusammenhang noch weitere Maßnahmen vorgesehen seien.

Auch die amerikanische Seite löste ihr Wort ein. Auf der XVII. Plenarsitzung der UNO wurde der Sonderauftrag des australischen Diplomaten Leslie Munro – laut eines am Ende Dezember 1962 ratifizierten Beschlusses – zurückgezogen, damit wurde die „ungarische Frage” von der Tagesordnung der Weltorganisation gestrichen.

Die ungarische Antwort darauf war die allgemeine Amnestieverordnung des Präsidialrats von März 1963, laut derer alle politischen Gefangenen freizulassen waren. Als Schlussakt des Normalisierungsprozesses in der UNO stattete der UNO-Generalsekretär, U Thant vom 1.–3. Juli 1963 in Ungarn einen Besuch ab. Während seiner Besprechung mit János Kádár teilte der burmesische Diplomat mit, dass sein Ziel der Erwerb von Erfahrungen und Informationen sei, „die ihm bei der Beilegung der (ungarischen Frage) behilflich sind”. Dies wurde auch durch einen internationalen Rechtsakt bestätigt, in dessen Rahmen der Mandatprüfungsausschuss der UNO 1963, vor der XVIII. Plenarsitzung, die Mandatsurkunden aller Delegationen, die ungarischen inbegriffen, einhellig ratifizierte.

Im internationalen Spielraum – wie es auch aus dem vorhin Erläuterten hervorgeht – folgte Kádár unterschiedlichen Haltungsformen einerseits der Sowjetunion und den anderen Ostblockländern gegenüber, andererseits den westlichen Staaten gegenüber. Was die „sozialistische Relation” anbelangt, bekannte er sich zum Grundprinzip, „eine jede Entscheidung ist zu rechter Zeit auf Partei- und Staatsebene mit den brüderlichen Ländern, vor allem mit der Sowjetunion, abzusprechen.” Die Betonung der Einheit hielt er insbesondere „nach außen” für wichtig. Er war der Ansicht, dass „unsere potentiellen Gegner so einschätzen: wir sind einig, und wir müssen darauf bestehen”. Die vorherige Absprache betrachtete er im Gegensatz zu der sowjetischen Führungsspitze als gegenseitige Verpflichtung, und dies erwartete er auch von ihr, darum war er über die Entlassungsumstände Chruschtschows so sehr empört. Während der Breschnew-ära verhielt er sich – wie es von einem amerikanischen Diplomaten in einem anderen Zusammenhang formuliert wurde – wie ein „unwilliger Verbündeter”. Im Bezug auf die westlichen Länder war die Kádársche Ambivalenz daran zu erkennen, dass er die Notwendigkeit der „Bekämpfung des Imperialismus” und der „friedlichen Koexistenz” gleichzeitig betonte. Doch während sich die erste These in allgemeinen Redewendungen und in der stetigen Wiederholung einer abstrakten „prinzipiellen Linie” manifestierte, setzte sich die andere These in der Praxis durch, und diese regte ihn dann an, im seit 1963 breit geöffneten internationalen Spielraum weitere Verhandlungen zu führen und Kontakte zu knüpfen. Als die Sektarianer und/oder übereifrigen Bürokraten des Außenministeriums vorschreiben wollten, dass die ungarischen Diplomaten den Amerikanern gegenüber eine distanzierte Haltung einzunehmen hätten, winkte Kádár sie ab: „Machen wir die Sachen nicht so mechanisch... politische Schritte lassen sich nicht mit Rechnungszettel und Logarithmentafel berechnen.”

Der Pragmatismus bewirkte von der zweiten Hälfte der 60er Jahre an eine Verbesserung und Erweiterung der Kontakte zu einer ganzen Reihe von sich bisher distanzierenden westeuropäischen Ländern und zum Heiligen Stuhl. Bis zum Ende des Jahrzehntes wurde Kádár in den meisten Hauptstädten und im Vatikan zum beliebtesten osteuropäischen Parteichef.

Begegnungen07_Pok

Begegnungen
Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Band 7:49–53.

ATTILA PÓK

Zum Problem der Periodisierung der Geschichte der Ostblockländer

 

„We shall at once be lost in a forest of historical complexity – an endlessly intriguing forest to be sure, a territory where peoples, cultures, languages are fantastically intertwined, where every place has several names and men change their citizenship as often as their shoes, an enchanted wood full of wizards and witches, but one which bears over its entrance the words: ‘Abandon hope, ye who enter here, of ever again seeing the wood for the trees’. Every attempt to distill some common ‘essence’ of ... [the region’s] history is either absurdly reductionist or invincibly vague.” (Timothy Garton Ash)

 

In diesem kurzen Beitrag möchte ich auf einige Probleme des im Titel genannten Problemkreises aufgrund meiner Erfahrungen auf zwei Arbeitsgebieten eingehen.

Das erste Gebiet ist die Zusammenstellung einer „Chronik des internationalen Lebens nach 1945”, ein kleines Buch von etwa 16 Druckbogen, das ich vor 10 Jahren veröffentlicht habe und jetzt arbeite ich an der Vorbereitung der zweiten Ausgabe. Hier geht es nicht um eine traditionelle Chronologie sondern um eine – auf dem deutschen aber auch auf dem ungarischen Buchmarkt immer mehr verbreitete andere – Gattung: außer der Liste der Ereignisse werden auch Zitate von zeitgenössischen und späteren Quellen und bewertenden Darstellungen veröffentlicht.

Das zweite Gebiet sind Lehrveranstaltungen: im Laufe der letzten zehn Jahre habe ich in Chicago, Wien und Budapest ziemlich viele Kurse über die Geschichte Ost- und Mitteleuropas im 19.–20. Jahrhundert für amerikanische Studenten gehalten – dabei auch über die Geschichte der Region nach dem Zweiten Weltkrieg.

In beiden Fällen stellt sich natürlich die Grundfrage: falls wir davon ausgehen, dass das sowjetische politische, wirtschaftliche, soziale usw. System auf die Region – mit Churchill’s Worten in seiner berühmten Fulton-Rede – von Stettin bis Triest aufgezwungen wurde, könnten wir voraussetzen, dass sich dieser Block oder dieses Lager mehr oder weniger einheitlich bewegt und die wichtigsten Wendepunkte in allen Ländern ungefähr gleichzeitig stattfinden.

Das ist natürlich eine äußerst oberflächliche Zugangsweise, wobei es – außer der Vernachlässigung der Besonderheiten der europäischen Blockländer – gar nicht beachtet wird dass das sozialistische Staatssystem keinesfalls mit den Ländern des von den sowjetischen Truppen direkt unter Kontrolle gehaltenen Gebietes gleichzusetzen sei – in seinem bekannten Buch über die kritische politische Ökonomie des Sozialismus schreibt Professor János Kornai über 26 sozialistische Länder in der Welt 1987 – davon 9 in Europa, 8 in Asien, 8 in Afrika und 2 in Amerika. (Sein Kriterium des sozialistischen Systems ist sehr einfach – dies sind die von kommunistischen Parteien geleiteten Länder.)

Der von uns für diese Tagung festgelegte Horizont ist bewusst viel begrenzter und natürlich – wenn wir mit unserer vergleichenden Methode systematisch Schritt für Schritt vorgehen wollen – könnte er kaum anders sein.

Vom Gesichtspunkt meines Themas, die Periodisierung gesehen will meine erste Bemerkung aber die Nötigkeit dieses globalen Horizonts betonen – weder in einem Handbuch, noch in einem Universitätskurs kann man bei der Untersuchung allgemeiner Charakterzüge von Staatsystemen sowjetischer Prägung auf nicht-europäische Entwicklungen verzichten.

Ein anderes methodologisches Problem bei der Feststellung der chronologischen Grenzpunkte ist die Rolle der nicht direkt innen- und außenpolitischen Faktoren in der Periodisierung: wirtschafts- und sozialpolitische Maßnahmen, Änderungen der Kulturpolitik, die quellenmäßig schwer definierbaren Umwälzungen auf den verschiedenen Ebenen der Öffentlichkeit sind alle wichtig, und sollten beachtet werden.

Aufgrund obiger Überlegungen möchte ich meine Hypothese erwähnen.

Ich bin der Meinung, dass die allgemeine Geschichte der Ostblockstaaten (wobei ich an alle „sozialistische Länder” denke) ein ziemlich eindeutiger Ausgangspunkt und bis jetzt etwa vier Wendepunkte hat, die aber mit den Periodengrenzen der inneren Geschichte der einzelnen Ostblockländer nicht immer gleichzusetzen sind.

Der Ausgangspunkt ist natürlich die Periode 1948–1950, wobei in acht Ländern der Sieg der Roten Armee, die sich in Churchills Fulton-Rede, in Stalins Stellungnahme zu dieser Rede und besonders im Fiasko der Ausdehnung des Marshallplanes auf Osteuropa immer mehr zeigenden Zeichen der Spaltung Europas die äußeren Rahmenbedingungen für die kommunistische Machtübernahme schaffen. Innenpolitisch sind die Kollektivierung der Landwirtschaft, Verstaatlichungen im Industrie- und Dienstleistungssektor, die Gründung von zentralen staatlichen Planungsbüros (GOSPLAN) und zuletzt meistens die „Fusion” von kommunistischen und sozialdemokratischen Parteien und dann „Säuberungen” in der neuen Partei die wichtigsten Schritte diese Prozesses. Die Unterschiede sind jedoch riesig: in Polen, Rumänien, Ungarn und in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands spielt die Anwesenheit der sowjetischen Armee eine entscheidende Rolle, der Kommunismus in Jugoslawien und Albanien war in großem Maße ein eigenes Produkt, die fast 40 Prozent welche die Kommunistische Partei in der Tschechoslowakei 1947 bei den parlamentarischen Wahlen bekommen hat, waren nicht weit von der Realität entfernt und die traditionelle russenfreundliche Einstellung in Bulgarien hat die Aufnahme der kommunistischen Ideen und der Kommunistischen Partei erleichtert. Westliche Literatur zum Thema war viele Jahre lang von Hugh Seton Watsons Theorie über das vorgeplante Muster der Sowjetisierung Osteuropas nach 1945 geprägt und obwohl die Unterschiede der kommunistischen Machtübernahmen uns heute viel besser bekannt sind, ist doch 1949, das Jahr der Gründung des Rates für Gegenseitige Wirtschaftshilfe als Geburtsdatum des sowjetischen Blocks (oder wenn wir an die Ausrufung der Chinesischen Volksrepublik und an die Gründung Nord-Koreas denken, des sozialistischen Weltsystems) eindeutig. Mehr noch: viele neuere zusammenfassende Darstellungen der allgemeinen europäischen oder osteuropäischen Geschichte definieren nicht 1945 sondern 1949 als einen wirklichen Wendepunkt, als wahren Abschluss der Periode des zweiten Weltkrieges.

In Vorbereitung auf dieses Referat habe ich etwa ein Dutzend hauptsächlich britische und amerikanische Synthesen zur europäischen und osteuropäischen Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts und der Periode nach 1945 vom Gesichtspunkt der Periodisierung durchgesehen: das letzte Datum, das einheitlich als eine eindeutige chronologische Grenze in diesen Büchern angenommen wird, ist das Ende des Ersten Weltkrieges. Die meisten Kollegen akzeptieren dann auch 1948–1949, 1953, 1968, und – dabei gibt es wieder fast Übereinstimmung – 1989 als welthistorisch entscheidende Wendepunkte in der Geschichte unserer Region.

Ehrlich gesagt habe ich aber vom Gesichtspunkt der Periodisierung für das Nützlichste das magistrale Buch von János Kornai, seine auf Englisch 1992, auf Ungarisch 1993 veröffentlichte kritische politische Ökonomie des sozialistischen Systems gefunden.

Kornai schreibt über vier Prototypen der Entstehung, des Bestehens und des Niederganges des sozialistischen Systems:

a) das revolutionäre Übergangssystem (vom Kapitalismus zum Sozialismus)

b) das klassische System (klassischer Sozialismus)

c) das Reformsystem (Reformsozialismus)

d) postsozialistischer Übergang

Diese Prototypen sind natürlich Modelle: kein Land in keiner Periode seiner Geschichte entspricht diesen Kriterien. Falls wir aber auf eine Analyse der allgemeinen Merkmale der sowjetischen Staatsysteme zielen, kann – meines Erachtens – Kornais Modell als ein ausgezeichneter Ausgangspunkt dienen. Vom Gesichtspunkt der Periodisierung her sehe ich als Wendepunkte die Daten des Übergangs für kürzere oder längere Zeit vom klassischen System zum Reformsystem oder zurück an, oder wenn für eine kürzere oder längere Periode die Möglichkeit für eine solche Wende offen ist.

Laut Kornais Definition sind die Merkmale des klassischen Systems in fünf Blocke einzuteilen:

1) Die ungeteilte Macht der marxistisch-leninistischen Partei, der herrschende Einfluss der offiziellen Ideen;

2)Vorherrschaft des staatlichen und quasi-staatlichen Eigentums;

3) Übergewicht der bürokratischen Koordination;

4) Planhandel, Quantität contra Qualität, Paternalismus, dehnbare Budgetgrenzen, schwache Preissensitivität;

5) Übertriebenes Wachstum, chronische Mangelwirtschaft, Arbeitskraftmangel und Arbeitslosigkeit „innerhalb der Tore”, spezifische Stellung des Außenhandels.

Als Faktoren der Änderungen des klassischen Systems beschreibt Kornai vier Ursachen:

1) Akkumulation der wirtschaftlichen Schwierigkeiten;

2) Unzufriedenheit der Bevölkerung;

3) Unsicherheit der Machthabenden;

4) Äußere Beispiele.

Mein Vorschlag für die chronologischen Grenzen bezieht sich also auf Daten, bei denen sich hauptsächlich unter dem Einfluss solcher Faktoren die Möglichkeit für den Übergang vom klassischen System zu Kornais drittem Prototyp, zum Reformsozialismus ergibt, oder sich markant eine Bewegung in die Gegenrichtung von Prototyp 3 zu Prototyp 2 zeigt.

Die erste große Möglichkeit für den Übergang vom Prototyp 2 zu Prototyp 3 ergibt sich nach Stalins Tod 1953 bis zur Niederschlagung der ungarischen Revolution von 1956 – die vielversprechende Periode des XX. Kongresses der KPdSU.

Die zweite vielversprechende Periode des möglichen Überganges vom Prototyp 2 auf Prototyp 3 fängt – meines Erachtens – mit dem XXII. Kongress der KPdSU 1961 an. Trotz der baldigen schweren Krisen (Kuba 1962; der Bruch zwischen China und der Sowjetunion usw.) scheint dieser Kongress eine langfristige Periode der friedlichen Koexistenz der beiden großen Weltsysteme zu eröffnen wobei das sowjetische Lager die neuen Kraftquellen in Reformen, das heißt gewisse Lockerungen hauptsächlich in Merkmalblock 3 bis 5 vorsieht. Merkmalblock 1 ist aber kaum, Merkmalblock 2 wenig zu ändern und die Entlassung Chruschtschows signalisiert 1964 den Beginn des Abschlusses dieser Periode. Abschluss, obwohl die Vorbereitung von Reformplänen in Polen, in der Tschechoslowakei und in Ungarn noch voll im Gange ist und nur die Invasion der Tschechoslowakei in 1968 diese Periode eindeutig abschließt.

Die folgenden Jahre bis 1985 können als Jahre der „kurzfristigen Ewigkeit”, der Stagnation, beschrieben werden, wobei ich die Periode von Ende 1979 bis 1982 für sehr wichtig halten würde. Während dieser Jahre, von dem sowjetischen Einmarsch nach Afghanistan bis zum Tode Breschnews versuchte der sowjetische Block eine Stärkung seiner Position mit der Festigung der Merkmale des klassischen Systems zu erreichen – die polnische Krise ist hier von entscheidender Bedeutung.

Die Bedeutung von 1989, als allgemeine Öffnung Richtung Prototyp 3 und in vielen Fällen dann die schnelle Weiterentwicklung Richtung Prototyp 4 bedarf natürlich keiner besonderen Erleuchtung, es wäre aber vielleicht ein Fehler – wenn wir wirklich wissenschaftlich vorgehen wollen – darunter auch das letzte Jahr der Geschichte der Diktaturen sowjetischen Typs zu verstehen. Bei einem breiteren Horizont kann das – meiner Meinung nach – kaum der Fall sein.

Kornais Vorschlag bezieht sich natürlich hauptsächlich auf wirtschaftliche Faktoren, kann aber vielleicht gut als Ausgangspunkt zu einer Diskussion über die Periodisierung der Geschichte der Ostblockländer dienen.

Zuletzt möchte ich mein Kurzreferat mit einem Zitat von einer amerikanischen Zusammenfassung über die Geschichte der Region nach 1945 schließen. Der Autor, Thomas W. Simons Jr. war viele Jahre lang Diplomat in Osteuropa, unter anderem Botschafter in Warschau 1990 bis 1993.

”The reality of contradictory truths presented Westerners who cared about the area – academics, but also those of us who lived and worked in the area and the policymakers we served – with a genuine dilemma. If you limited your analysis to what was bizarre and unnatural, it was hard to understand how the regimes survived; if you went beyond it to ask how they functioned on a day to day basis, you risked losing sight of how odd they were. I believe that dilemma is likely to survive the regimes themselves, now that (or to the extent that) they are safely consigned to the lumberroom of history; it will survive as an analytical and intellectual problem for those who seek to understand what is likely to follow them.” (Eastern Europe in the Postwar World. New York, 1993. 132.)

Wir hoffen, dass unsere Tagung und weitere Tagungen unserer Reihe zur Lösung dieses Dilemmas beitragen werden.

Begegnungen07_Orosz

Begegnungen
Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Band 7:75–85.

ÉVA OROSZ

Hungarian Health Care System in Transition*

 

Hungarian health reform is embedded in the socio-economic processes: a transition to market economy having great social costs: growing unemployment, poverty and deepening social inequalities. Transition of the health care system is connected to basic elements of the political and economic transformation such as changing role of the state, decreasing redistribution by the state budget, privatisation, competition and individual freedom. A well-functioning health care system meeting the requirements of equity, efficiency and quality should be developed under a situation of transition when economy, society and political system are undergoing dramatic changes and are fraught with uncertainty and instability. It makes difficult to reconcile long-term visions with short run exigencies. In fact, the grave economic situation set the agenda for the health reform rather than internal problems of the health system – forcing and at the same time hindering the changes.

Major problems of the health care system

The present crisis of the health system is a complex one consisting of three intertwining factors: long-lasting problems inherited from the state-socialism, new problems created by economic transformation, and side-effects of the on-going health care reform.

Problems inherited from socialist system are:

• deterioration of health status and inability of public policy to react to it

• deficiencies of the health care system

– inefficient resource allocation

– ineffective, highly-centralized management

– excess capacity in acute hospital care

– widening gap between existing capacities and available financial resources

• dual structure of health care system

Problems created by economic transition are:

• growing tension between health expenditures and income-producing capacity of economy

• distorted fund-raising

• distorted pharmaceutical market, soaring pharmaceutical expenditures

• growing deficit of health insurance (as a consequence of the above factors)

Side-effects created by on-going health reform are:

• adverse incentives generated by the new financing methods introduced in 1993

• disintegration of financial and professional control

• wide-spread bending of the rules of the financing system (false reporting of performance)

To cope with these problems would be a demanding task even if Hungary had a well-considered health care reform program, capable health care administration and public support for the implementation of reforms. In reality, there is no consensus even within the government and the ruling political parties as to the basic issues of the reform, health care administration is rather weak and support of the population and health professionals are missing.

 

Health status – an epidemiological crisis

Since the mid-1960s the life expectancy of males (especially in the case of the middle- aged men) has been decreasing. The differences between developed countries and Hungary are not only quantitative, but their trends diverged from the mid-60s onwards. The alarming deterioration in health status is a part of the failure of the state socialist type of modernization. Similar trends have evolved in the other former socialist countries – although having different magnitude and duration. In the male population between 35 and 65 the probability of surviving was slightly worse in 1994 than it had been in 1920–21. In some middle-aged male groups Hungarian mortality is among the highest in the developed world. (CSO, 1996)

Differences between social groups in Hungary are of similar magnitude as the East-West mortality gap – it can be stated that an ”East-West gap” also exists within Hungary. A few data are presented only to exemplify striking differences. As to sex differences in 1960/65 the female excess in life expectancy at birth was 5.6 years, while in 1992 it was 9.1 years. According to the educational status the difference between the highest and lowest male life expectancy at 30 was 10.5 years in 1990. Males with 15 or more grades can expect a further 44.5 years of life, while those with less than 8 grades only 33.7 years (Hablicsek, 1995). A married man aged 30 can expect as an average further 39 years of life span, while a non-married only 30 years.

Life expectancy further decreased in the early 1990s, but recently a slight increase can be observed.

 

Trends in health expenditures

During the socialist era, and especially in the ‘60s and ‘70s, the ‘non-productive’ sectors, including health care, were considered low priority. A comparison of trends in health care expenditures in Hungary and in the advanced Western countries highlights fundamental differences. Between the early 1960s and the mid-1970s Western countries experienced an expansionary phase: in the period of economic prosperity, health expenditures increased 40–60 % faster than the GDP. The Hungarian health care system, however, has never experienced a similar (expansionary) period. After several decades of under-financing, the public sector health expenditures increased substantially as a share of GDP between 1989 and 1991, from 4.9% in 1989 to 6.4% in 1991. (Table 1) There are two factors that justify this: in these two years, real GDP decreased rapidly, and in 1990, during the period of transition from direct financing from the state budget to a health insurance scheme, funds allocated to the health care sector increased considerably. (It should be emphasized that the data are based on the registered GDP, while the grey economy is estimated about 20-30% of the GDP.) Between 1991 and 1993 the share of the (public sector) health expenditures in GDP remained at the same level. It means that the contraction of health care resources was similar to that of the GDP. 1994 is an ‘outlier’: both real value of health expenditures and their share in the GDP increased. (Presumable it was an effect of ‘the election year’.)

In 1995–96 both the share of health expenditures in GDP and their real value decreased. The real value of funds allocated for ambulatory and in-patient care decreased by 25% between 1990 and 1996. As is generally known, inflation in health care was above average, therefore the decrease in the real value of expenditures allocated for ambulatory and in-patient care between 1990 and 1995 was, in fact, even more significant (about 43%, taking into account the special rate of inflation affecting the health care sector). It contributed to growing debts of great number of hospitals.

The distribution of health insurance fund between expenditures on personal health care and drug subsidies has changed considerably: in 1990, their ratio was 76.7% vs. 22.2%, while by 1996 it had reached 70% vs. 30%. It is to be noted that compared to international data, the proportion of drug subsidies was already high back in 1990. Total expenditures including patients’ co-payment reached 2.2% of GDP in 1996.

In 1996, the per capita expenditures were around 220 USD calculated at exchange rate (it would be higher at PPP), while in developed western countries they reached 6 to 10 times as much. (When making this comparison it has to be taken into account that we purchase medical equipment and medicine at the same prices as they do.)

In the early 1990s – from a macro-economic point of view – the share of health expenditures in GDP was relatively high for Hungary’s level of income. On the other hand, it cannot be considered satisfactory in comparison to social needs. This conflict, basically rooted in the low level of our economic development, has been further sharpened by the crisis resulting from the transition to a market economy, by the dramatic decrease of GDP. This basic contradiction between a macro-economic viewpoint and the requirements of the health sector cannot be solved in the short run. As a consequence of a modest increase in GDP and a cut (in real terms) in health expenditures the share of health care in GDP decreased in 1995 to the level it was in the late 1980s.

 

Process of health care reform

Important changes have taken place since 1989, particularly in the health financing system. Major measures include:

• switch from a general tax-based funding to funding through compulsory insurance, establishment of an autonomous purchaser of health services: the Health Insurance Fund (HIF),

• greater emphasis on primary care, introduction of the Family Physician Service,

• decentralisation and privatisation mainly in service provision,

• performance-based remuneration has begun while maintaining a cap on health expenditures,

• a start on reduction of excess hospital capacities.

In 1990–91 the shift to health insurance, reorganisation of primary care and privatisation, then in 1993–94 the introduction of performance-based financing and in 1995-96 restructuring of hospital care were given priority by health policy-makers. Shift to social insurance was expected to provide secure financing (vs. earlier weak position in the yearly bargaining over the state budget). The health administration expected the remedy of structural problems from performance-based financing, while doctors expected the improvement of their personal income. In fact, none of these expectations have been fulfilled. It soon became obvious that reform ideas and implementation, expectations concerning reform measures and actual effects differ. By the mid-1990, reforms implemented have started to exert their side-effects and new problems created by economic transition have been on the increase. As a consequence, health policy has become doubtful about the goals set in 1989–90.

 

A Chronology of Reform Measures in Health Care

1989

– Private medical practice authorized

1990

– Switch from tax-based funding to funding through compulsory insurance

– Ownership of health facilities transferred to local governments

– New system of consensus management in hospitals introduced

1991

– Establishment of National Public Health Service

1992

– Social insurance fund separated into a Pension Fund and a Health Insurance Fund

– Parliament defines eligibility conditions for health insurance

– Family Physician Service is created and capitation-based payment

 introduced

1993

– Voluntary ”Mutual” Health Insurance authorized

– Self-Governments of Social Insurance are set up with employer and

 employee representation (first election of representatives of

 employees)

– Starting in July, out-patient care remuneration based partly on a

 fee-for-service scheme, and hospital care remuneration on DRG-type

 scheme

1994

– Act on Hungarian Medical Chamber

1995

– Guidelines issued to replace consensus management with chief hospital manager

– Start on reduction of hospital capacities

1996

– Act on norms of hospital capacity (capacity reduction)

A shift to compulsory health insurance

The independent Social Insurance Fund was established in 1989 (prior to which the revenues and expenditures of social insurance institutions were not separated from the state budget). The expenses of drug subsidies were transferred from the budget to the fund in 1989. The financing of health care services was transferred to the Social Insurance Fund in 1990.

There are three main sources of funding for the health care system: social insurance contributions paid by employers and employees, general revenues (state budget), direct (out-of-pocket) payments. Investments and public health (hygiene and health promotion) activities are financed from the state budget. As to social insurance, in 1993 employers paid 44% and employees paid 10% of which 19.5% and 4% were for health insurance. (Employers’ contribution gradually decreased: it was 18% in 1996, while in 1997 employers pay 15% plus 1800 Ft /per month/per capita.) Health insurance covers health care services, pharmaceutical subsidies, sick-pay and disability pensions under retirement age. This high contribution rate encourages the black economy, underreporting of earnings, non-payment of assessed contributions, and discourages employment. Two main elements of the direct payments are co-payments on drugs and gratuity money. Gratuity money goes directly to doctors, distributed extremely unevenly among them, and it distorts the incentives of the official financing methods. Co-payments on drugs have increased more than 4 times between 1990 and 1995.

During the transition period, despite the restrictive measures, HIF has not been able to balance its budget. The deficit has been – directly or indirectly – due to economic factors outside the health sector. A major problem of compulsory health insurance is that the financial burden of funding the health system is distributed in a distorted, unjust way. Main factors are the following:

• Considerable groups are evading the payment of social insurance taxes through:

– underreporting of earnings in private sector, growing black economy,

– non-payment of assessed contributions in both private and public sector (arrears of social insurance has amounted to near 24% of the total revenues in 1995.)

• Contribution on behalf of non-employed population groups – pensioners, unemployed, those on social assistance are ill-defined. The state pays a lump-sum of money as contributions on behalf of certain non-active population groups (receiving social assistance). This amount of money is far below what would be reasonable: calculated on average per capita health expenditures. Consequently the burden on controllable incomes is great; cross-subsidizing by contributions paid by employers is unreasonably high. The share of social insurance contributions compared to general tax revenues in funding health care system is too high. Distorted funding has been a major cause of the imbalances of the Health Insurance Fund.

On the expenditure side, problems manifest themselves in different ways:

– curative-preventive services have fixed spending caps – tensions are occurring at the micro-level (e.g. increasing deficit of the hospitals)

– drug-subsidies, sick pay and disability pensions are ‘open-ended’. Expenditures on these items have exceeded every year the budgeted values contributing to the deficit of the HIF. (The only exception was the spending on sick-pay in 1996.)

 

Reform of the financing methods

The former system was inefficient, but able to control costs. Since the 1988 reform document, financing according to performance has been a top-priority goal. The new system has been expected to encourage micro-efficiency, while maintaining cost- control. The shift to new methods of remuneration of providers represents a serious effort to improve efficiency by linking payment to performance. New methods of payment, as implemented to date, are fraught with flaws.

 

Provider Payment Mechanisms in Hungary

 

TYPE OF SERVICE                        REMUNERATION METHOD

Family Doctor Service                      fixed allowance per doctor

                                                           + weighted capitation

Inpatient Care

l. Acute Hospital Care

–   general rule                         DRG-type with spending cap

–   special services (kidney dialysis,   fee-for-service

–   CT, MRI, cardiac surgery, etc.)    

2. Long-term Care      per diem

 

Outpatient Specialist Care                 basic fee + capped fee-for-service

                                                           (German point system)

Special ”Tasks” (school health,

public health nurse services               fixed budget(historical basis)

dental care, special dispensaries, etc.)

 

The capitation system for family physicians does not provide sufficient incentive to improve the content of Family Medicine. As to the specialized care, performance-related financing was compromised by retaining elements of the old system in order to avoid mass bankruptcy of health care institutions. The capped fee-for-service method for outpatient specialist care was applied to only 45% of the budget until the end of 1995. This financing method theoretically reduces the incentive to increase services otherwise built into a fixed-tariff fee-for-service system. In practice in Hungary, it does not seem to have generated the desired effect. The result has been an increase in the number of ‘service points’, and a reduction in the money value of a single point.

A hospital can earn HIF revenues from different sub-funds: acute care; long-term care; special services such as kidney dialysis, CT, MRI, heart surgery, etc.; and out-patient care. Acute care and long-term care are financed in different ways, as described below. Special services are remunerated by fee-for-service. Acute care services are financed essentially by a method similar to that of the American Diagnosis Related Groups (DRG). However, the DRG method as applied in Hungary’s hospitals, rewarded past inefficient performance by assigning higher ‘cost coefficients’ to hospitals that had higher unit costs in 1992. The Forint value of each unit of performance was hospital-specific until the end of 1995 and it was determined on the basis of the given hospital’s costs and performance in 1992. Hospitals that had higher unit costs in 1992 received higher weights. In October 1995, the hospital-specific Forint values of DRG units of performance was eliminated and two ‘coefficients’ were introduced: so-called professional (department) coefficient and the ‘institutional coefficient’. Furthermore – according to the government regulation – individual hospitals could not fall outside the range of 90% and 120% of their previous revenues. It was again a compromise between performance-related finance and the old input/previous budget/-related finance – because of the fear of bankruptcy of hospitals. Changes introduced in 1995 (and the faulty way as they were applied by the officials of the HIF) further confused even messed the relationship between real performance of an individual hospital and remuneration given for it by the health insurance. As remuneration systems tend to favour inpatient over outpatient care, hospitalization rate even has increased – which means that incentives generated by the financing system contradict to professional goals.

 

Privatization and decentralization in health sector. Implementation of a mixed ownership pattern

The fundamental question of the change of the political system in welfare, similarly to other areas, is the change of the role of the state which is characterized by two principle processes, namely privatization and decentralization. We interpret privatization as being the withdrawal of the state from financing, the service sector and regulation. The change of the role of the state not only involves privatization but also decentralization within the public sector. Decentralization we define as being the shift of various tasks to lower levels of administration, as well as the establishment of various councils (self-governments).

Privatization of health care has been taking place in all three major fields: regulation, finance and services. But this has not affected public sector dominance so far. It should be emphasized that there is no clear-cut division between the public and private sectors – public institutions often provide a background or basis for the operation of the private sector. The most important components of privatization in health care are: (1) reorganisation of primary care, i.e. the introduction of family doctor system; (2) emergence of private insurance; (3) an increase in direct payment for prescriptions; (4) privatisation of pharmacies; (5) development of private medical companies.

Ownership was affected by two significant changes after 1990:

• health care institutions, previously owned by the state but operated by the local councils, became the property of local governments

• private businesses were allowed and encouraged.

In Hungary private enterprises in health care including private pharmacies were allowed for by a decree of 1989 (private practice was possible to maintain beside full time work in the state sector even before). After the political changes in Hungary in 1990, the Government saw no significant difference between the world of business and health care services. However, the reality has proven to be much more complicated than theory. Privatisation did not start in the health care in 1990. By 1992, even political goals were reduced to the so called ”functional privatization” of family doctor services and support of new private institutions – the privatization of the existing stock of public institutions (especially hospitals) was opposed by the government. Functional privatization meant that a family doctor has become self-employed (or established a private firm) having contract with the local government and the health insurance – while the local government remained the owner of the health care facilities. 2829 of the total 6772 family doctor services functioned as private practices or enterprises in early 1995. Despite the uncertainty of health policy, privatization has evolved in several ways in Hungarian health care since 1989. Private enterprises are extremely heterogeneous, ranging from physicians working individually to foreign companies striving for an international presence.

 

Restructuring of health care delivery

The service structure of the Hungarian health system has failed to provide a cost- effective response to the increase in chronic diseases. There has been excess reliance on curative hospital services. Patients are treated at a higher level of the health care system than is medically required, usually in hospitals instead of in primary care or out-patient specialist care. Services such as targeted screening, health education or even rehabilitation are underdeveloped. Institutions (nursing homes, home care) primarily caring for the elderly are almost entirely missing.

Creation of a Family Physician service

The creation of the Family Physician service has been the most concrete effort to move towards a more cost-effective mix of health services. The institution of personal choice in selection of a family physician (through the health-card-system) linked with the shift to capitation-based payment was intended to constitute incentives for the maintenance of quality service and closer ties between physician and client. Also, the new system has offered public sector physicians the option to privatize, with access to health insurance funding. Important problems remain, however. Old-style practices of the ‘district doctors’ have not changed: family physicians continue to offer mainly prescriptions and referral services, and just little more.

Reducing hospital capacities

The persistence of excess capacity in the health service system, and particularly in acute hospital care, continues to be a major cause of inefficiency of financial shortages, and ultimately of poor quality services. In Hungary in 1994, there were 33 physicians and 101 hospital beds (78 acute beds) per 10.000 population, the averages for EC countries, where per capita budgets for health are significantly higher than in Hungary, were 25 physicians and 90 beds (55 acute) per 10.000 in 1990. The rationality of reducing hospital capacities is obvious if basic figures are considered: average length of stay was 11.6 days (9.6 in the case of acute care) in 1994, discharge rate was 21.3 per 100 inhabitants and occupancy rate was 67%. The number of beds per 10.000 population is only one of the indicators for analysis, however, it is not an adequate target for government interventions. A new act on ‘responsibility of health care provision and territorial capacity standards of provision’ was passed in July, 1996. The act defines inpatient and outpatient capacity by county (maximum number of hospital beds per county and the relative share of each speciality within the total number of beds). The number of beds is based on a (rather questionable) formula. To determine reductions the act sets up local consensus committees for each county – however, without any real authority. Reductions were effected by the contracts on capacities concluded between HIF and the hospitals in December 1996. The number of hospital beds in acute care was reduced by 9% (from 73353 to 67029).

 

Major alternatives of the reform – What kind of public/private mix?

During 1995–96 policy debates sharpened as to the main direction of the reform. We must emphasize that, explicitly or implicitly, the two alternatives concerning the main trend of the reform have been present since the mid-80s in professional and political debates and various programs. One of the possibilities is a health care system based fundamentally on public financing (compulsory insurance and tax-financing) and mixed ownership in the service sector (in providing services the non-profit sector takes over, to a great extent, the role of the state sector), in which private health insurance assumes a supplementary role. The main objectives of this reform are to contain costs and to increase the efficiency of the health care system. That is, the objective is the development of a service structure, an institutional-, financing- and information system which guarantees that the money spent on health care contributes to the greatest possible improvement in health status. In short: the main objective here is to increase ‘value for money’. The modernization program of the Ministry of Welfare, as well as the strategy of the Health Insurance Self- Government follows these principles.

The other approach, supported by the Ministry of Finance, states that the main objective of the reform is to reduce public expenditures, as a result of which the financial resources of health care need to be provided for, to a great extent, from the private sector: a widespread introduction of patient fees, and private health policies. In this case public financing would be limited to rather basic services, and the health care of the poor. Considering short-term, top-priority budget interests, the Ministry of Finance fails to realize that the trend it proposes contradicts long-term macro-economic interests, for it would launch structural changes leading to the massive increase of total health expenditures.

The new bills on Health and Health Insurance reflect the approaches of the Ministry of Welfare: retaining the dominance of public financing. (However, we expect that the debate between the two approaches will not come to an end,)

The question of ‘whither the health reform’ is still open. The following basic questions of the health care reform are to be answered: How much public money should Hungary spend on health care? How to distribute the burden of funding the health care system? What principles of access (for what services) should be applied? How to improve efficiency? What kind of public/private mix (in financing and service provision) should be developed? How to define the responsibility and scope of authority of the Ministry of Welfare, health insurance and local governments?

The forthcoming one or two years will show whether privatization is progressing, whether restructuring of health care delivery will be profound or only illusive, toward what model the Hungarian health care system is muddling through. The analysis of the processes involved and the possible effects of different policy options can help decision-making. However, we should not cherish illusions – political ideologies and improvisation under the pressure of economic exigencies might influence the reform more strongly than principles of equity and efficiency.