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Begegnungen22_Goncz

Begegnungen
Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Band 22:22–28.

ÁRPÁD GÖNCZ

Schriftsteller und/oder Politiker?

 

Im großen Webster Wörterbuch, worin die genauen Definitionen aller wissenswerten Begriffe aufgelistet sind, steht unter „Politik” der folgende Eintrag: „Ausführung einer politischen Tätigkeit oder Teilnahme an einer Tätigkeit dieser Art, oft als Berufung”. Präzisiert man die Bedeutung des Begriffes „politische Tätigkeit” erhält man: die tatsächliche Führung des Staates oder die Teilnahme an der tatsächlichen Führung des Staates als – und das ist keine Seltenheit – Berufung.

Im gleichen Wörterbuch steht unter „Literatur”: „Berufung als Schriftsteller, das Schaffen von geschriebenen Werken, hauptsächlich von erdachter Prosa, von Gedichten, usw.”

Aus den Definitionen der zwei Begriffe geht also eindeutig hervor, dass im allgemeinen (und im Einklang mit dem jahrtausendelangen Sprachgebrauch) die Ausübung der mit den zwei Begriffen verbundenen Tätigkeiten als Berufung angesehen wird, und zwar als Berufungen zwei verschiedener Arten. Dabei schließt die eine die andere nicht aus: bei beiden geht man von einem angeborenen Talent und einer Reihe von – angeeignetem – Wissen aus. Das benötigte Talent und Wissen ist bei den zwei verschiedenen Berufungen nicht gleich, doch gibt es bedeutende Abdeckungen. Phantasie, Einfühlungsvermögen, Menschenkenntnis, Ausdrucksvermögen und – um auch die Fehler zu nennen, die als Tugende geltend gemacht werden können- der Wunsch nach Selbstverwirklichung und ein wenig Eitelkeit sind bei beiden unabdingbar. Obwohl die Literatur ohne – sagen wir – Wirtschaftskenntnisse, die Politik ohne literarische und ästhetische Kenntnisse auskommen kann, gilt das Erkennen von gesellschaftlichen und historischen Zusammenhängen als die Vorbedingung für eine erfolgreiche schriftstellerische und politische Tätigkeit.

Sowohl das Schreiben als auch die politische Tätigkeit sind geprägt von einem inneren Drang zur Selbstdarstellung, und Kenntnis der menschlichen Beziehungen, Empathie und Intuition basierend auf einer breiten Palette von Erfahrungen zeichnen sowohl das Schreiben als auch die politische Tätigkeit aus. Es sind die Instinkte bei diesen Tätigkeiten, die dominieren, das Bewusstsein testet nur – bestätigt oder verwirft – die Entscheidungen, mit denen der Schriftsteller oder Politiker Einfluss auf die Menschen um ihn herum und seine weitere Umwelt in seinen Vorstellungen oder in der Wirklichkeit nehmen will. Mit oder ohne Erfolg. Sobald eine Entscheidung des Schriftstellers die inneren Proportionen, die innere Wahrheit des Werkes verletzt, wird das Werk unglaubhaft; wenn die Entscheidung des Politikers den zeitgenössischen Tendenzen in der Gesellschaft, in der Wirtschaft, in der Geschichte entgegenhält, verliert seine Politik an Glaubhaftigkeit. Und beweist somit, dass der Schriftsteller – oder Politiker – sich dem Meistertitel seiner Berufung nicht würdig erweist, und ein Stümper ist.

Natürlich kann eine falsche Entscheidung von Seiten des Schriftstellers nicht mit einer falschen Entscheidung eines Politikers verglichen werden: ein schlecht gelungenes Werk muss ja niemand lesen, aber die Last einer falschen politischen Entscheidung muss von Millionen getragen werden.

Was ich bis jetzt niedergeschrieben habe ist all zu simpel, wahrscheinlich sogar richtig, überaus, sogar übertrieben elegant. Und es wird nur noch glaubhafter, weil ich aus eigener Erfahrung das Leben des schriftstellerisch tätigen Schriftstellers und des amtierenden Politikers kenne: als Staatspräsident eines kleinen ostmitteleuropäischen Staates, der Republik Ungarn, war ich 10 Jahre lang bemüht das auf wilden Wogen strauchelnde Schiff eines existierenden Staates in einen sicheren Hafen zugeleiten.

Die Frage aber, ob jemand Schriftsteller und Politiker, Schriftsteller oder Politiker ist, muss als weit komplizierter betrachtet werden. Es hängt nicht allein mit dem vorhandenen Talent des Einzelnen zusammen, sondern mit dem Lebensraum, mit der Subkultur der gegebenen Region, mit den Traditionen, die den einzelnen Schriftsteller und/oder Politiker von der Wiege auf umgaben, und mit den gesellschaftlichen Umständen, die ihn zur Wahl zwischen den beiden Berufungen zwangen. Wenn es in unserer Region, in Ostmitteleuropa, mehrere Schriftsteller-Politiker gibt als sagen wir in Westeuropa, kann das kaum als Zufall, kaum als eine wunderbare Eigenart des Schicksals, und noch weniger als eine überdurchschnittlich große Anzahl an Schriftstellern mit genialem Talent für das Politische gelten. Die Gründe für diese Eigenart müssen vor allem in den gesellschaftlichen Umständen, vor allem in der lückenhaften Herausbildung des Bürgertums gesucht werden.

In Ungarn ist die Literatur (innerhalb dieser die Dichtung) ein Mittel der nationalen Selbstdarstellung, ähnlich der Rolle z.B. der Musik in Österreich, zum großen Teil des Dramas in Bohemien oder Polen.

Die wichtigsten Fragen, mit denen sich das Land auseinandersetzen musste, wurden mindestens seit zweieinhalb Jahrhunderten nicht von „professionellen“ Politikern, die auf Grund ihrer Klassenzugehörigkeit diese Tätigkeit ausübten, sondern von Intellektuellen, von Schriftstellern formuliert, die als relativ unabhängig angesehen werden konnten – und ihr Wort hatte mehr Gewicht als das Wort der Politiker. Nicht selten widmeten sie ihr Leben um die Richtigkeit ihrer Worte zu beweisen oder opferten sich gar dafür. Das gilt auch für die Zeit der sowjetischen Besatzung in Ungarn: das Wort eines Schriftstellers abgemagert an der Grenze der Verbote und des Erduldens reichte, wenn es glaubhaft war, mit Hilfe der Kapillare weiter als die in vielen Exemplaren erscheinenden, weit gepriesenen, hochstilisierten, also von Grund auf suspekten Werke. Ich spreche ausdrücklich von Belletristik: das Samisdat war in Ungarn nur zu einem geringen Anteil und nur in Ausnahmefällen literarischer Art. Die Samisdat-Herausgabe eines belletristischen Werkes hatte keinen Rang und wenn auch nicht aus politischer, doch aber aus ästhetischer Sicht erweckte sie eher Verdacht als Vertrauen. Ich könnte nicht sagen, was bei meiner Ernennung zum Präsidenten des Schriftstellerverbandes eine Rolle spielte als ich auf Grund meiner englischsprachigen übersetzerischen Tätigkeit und nicht in erster Linie als Roman- oder Dramenautor gewählt wurde – ich der langjährige, aber nur im engeren Kreis bekannter Mitarbeiter der demokratischen Opposition: meine Werke, meine Rolle bei den Ereignissen von 1956, meine politische Vergangenheit und die damit verbundene Gefängnisstrafe oder meine politische Tätigkeit. Unter diesen Umständen wurde ich von der wichtigsten freidenkenden Gruppe der Wende, dem Bund der Freien Demokraten, als Staatspräsident nominiert und diese Nominierung wurde von dem Forum der Ungarischen Demokraten, dem Sieger der ersten freien Wahlen, ebenfalls anerkannt. Wenn sie in Anbetracht des oben Geschilderten fragen, ob ich Schriftsteller oder Politiker bin, antworte ich Schriftsteller und Politiker. Jemand, der seine schriftstellerischen Fähigkeiten letztendlich den während seiner politischen Tätigkeit und der erlittenen Gefängnisstrafe angesammelten Erfahrungen, seine Präsidentschaft doch in erster Linie seinen schriftstellerischen Fähigkeiten verdankt. Jemand, dessen Werke aus seinen Erfahrungen auf dem Gebiet der Politik schöpfen, dessen Präsidentschaft mit seiner schriftstellerischen Tätigkeit verbunden ist. Laut der Verfassung der Republik Ungarn ist das Amt des Staatspräsidenten mit wenig Macht verbunden: die politische Macht ist konzentriert in der Hand des Parlaments und mittels dem Parlament in der Hand des vom Parlament gewählten Ministerpräsidenten – es ist die Persönlichkeit des Staatspräsidenten, die ihm politisches Gewicht verleiht. Sein Amt steht über den Parteien, sein Ansehen erhält er nicht in erster Linie von den politischen Kräften oder Parteien, die hinter ihm stehen, sondern durch seine Persönlichkeit.

Und diese tritt für die Außenwelt vor allem mittels seiner Worte zum Vorschein. Solange er lebt und kommuniziert: die lebendigen Zellen mit den Nachbarzellen, die Biene mit ihrem Tanz, der Mensch mit Worten.

Das Wort ist von Natur aus vergänglich, auch dann, wenn es festgehalten wurde und als Gedanke beständig und greifbar gemacht wird. Es kann aber zur Macht werden, denn alles was das Bewusstsein formt, was zur Tat anregt, ist Macht und nimmt somit sowohl auf das Schicksal des Sprechers, wie des Zuhörers Einfluss.

Das Wort ist also gleichzeitig eine Quelle der Gefahren und des Lebens; es verbindet, trennt, gibt Kraft oder macht kraftlos. Es wird von Menschen geschaffen, und gerade weil es menschlich ist, kann es menschenfeindlich werden.

Unser Zeitalter ist geprägt von einer schrecklichen Inflation der Worte, wir leben im Dickicht der Worte und gerade die Unzahl der Worte ist der Grund dafür, dass unser Lebensraum immer weiter eingeengt wird. Für uns ist die Zeit gekommen das Dickicht der Worte auszugeizen und zu veredeln. Es lohnt sich darüber nachzudenken, was das menschliche Wort eigentlich menschlich macht. Vor allem vielleicht, dass das mit seinem Gebrauch verbundene Ziel die Kommunikation ist und nicht das Trüben des Sinngehaltes. Das es von jemanden an einen anderen gerichtet ist, auch wenn es nicht immer gezielt bei der Person ankommt. Wenn der Kontext den Sinn des Wortes nicht auslöscht und wenn die mit ihm verbundene Absicht klar zu erkennen ist.

Ist es denn aber möglich, dass eine in Worte gefasste Nachricht einen anderen Menschen erreicht, sie muss doch ein Meer des Ungewissen durchqueren bevor sie zu einem anderen Menschen gelangt.

Das Ziel eines Schriftstellers und eines Politikers ist es aber gerade dass sein Wort gezielt ankommt, dass er sich verständlich machen kann, dass sein Wort zur Handlung anregt.

Mit einem Schwert kann man nur Menschen niedermetzeln, mit Worten aber kann man die Wahrheit töten oder – im positiven Sinne des Wortes – sie beschützen. Mit dem Töten der Wahrheit geht all das oder es gehen all die unter, die ihre Kraft aus der Wahrheit geschöpft haben, oder die gerade durch die Wahrheit entkräftet wurden. Die Wahrheit, dieser leichtflüchtige Begriff, den niemand wirklich definieren kann, der aber doch allen gegenwärtig ist, sehe ich als etwas Gegebenes an, etwas was sowohl für den Schriftsteller, als auch für den Politiker ein Mittel ist, oder eher ein Ziel. Besonders, wenn sie zum Handeln anregt.

Das Wort des Schriftstellers muss vor allem ausdrucksvoll sein. Es muss das, was der Schriftsteller als Wahrheit erkennt ausdrücken können. Es richtet natürlich nicht an alle Menschen, sondern ausschließlich an die Leser, die bereits mit Interesse sich dem Werk zuwenden, und – wenn sie nicht das finden was sie suchen – sich diesem schlimmstenfalls abwenden und das Werk niederlegen. Und ein weiteres Werk des Schriftstellers nicht ein zweites Mal in die Hand nehmen. Das mit dem Wort des Schriftstellers verbundene Risiko ist also – natürlich für den Schriftsteller selber eine Frage der Existenz – doch letztendlich eine Privatangelegenheit. Eine Privatangelegenheit zwischen dem Schriftsteller und dem Leser.

Das Wort des Politikers dagegen geht über das Private hinaus. In Folge seiner Worte werden mit großer Wahrscheinlichkeit eine Reihe von Gedanken angeregt, die zu Entscheidungen auf dem Gebiet des öffentlichen Lebens beitragen. Seine Worte können zur Handlung anregen oder zur Ablehnung führen. Sie werden zu einer öffentlichen Angelegenheit. Aus der Privatangelegenheit des Künstlers und des Lesers.

Erlauben sie mir hier eine kleine Abschweifung zu unternehmen: wie ich es bereits gesagt habe, sind dem Amt des Staatspräsidenten feste Grenzen gesetzt. Im Gegensatz zu ihm können die Teilnehmer der exekutiven Staatsgewalt zwar indirekt doch aber effektiv ihre Wünsche äußern (ich denke hierbei nicht an die Parlamentsdiskussionen), weil sie präzise verfasste Gesetze, Regelungen, Anordnungen zur Hilfe haben, mit denen sie Einfluss auf das Leben der einen oder anderen Gemeinschaft haben. Ihre Wortwahl mag also zwar ihre Beliebtheit beeinflussen, ist aber aus der Sicht des Bedeutungsgehaltes unabhängig von der individuellen sprachlichen Gestaltung.

Als Staatspräsident erkannte ich vor allem auf Grund der Erfahrungen der ersten Jahre, in denen die Grenzen meines Amtes klar zum Vorschein kamen, dass ich ein einziges eindeutiges Mittel zur Verfügung habe um mich selber und meine Bestrebungen verständlich zu machen. Das Mittel der Worte. Ich habe es früh erkannt, dass ich mich als einen glücklichen Menschen schätzen darf. Ich habe als Übersetzer, als Autor von Dramen bereits früher die Kraft der Worte kennengelernt.

Selbstverständlich ist das Genre – ob Epik, Drama, Gedicht – maßgebend für einen künstlerisch gestalteten Text, und dies verlangt vom Autor vor allem eine präzise visierte Ausdruckskraft.

Ein Politiker aber, der seine Worte als Mittel benutzt, muss seine Zuhörer über den Wahrheitsgehalt seiner Worte überzeugen können. Die Zuhörer werden dank des Fernsehens, des Radios, der Presse seine Worte an alle Bewohner des Landes weitergeben, wenn vielleicht auch nicht zu allen, doch zu denen, auf deren Schicksal (so denken sie zu mal) das Wirken des Politikers in irgendeiner Weise Einfluss nehmen kann.

Die Verantwortung des Schriftstellers und des Politikers kann also nicht gleichgesetzt werden. Das Wort des Schriftstellers ist grundsätzlich an den freiwilligen Interessenten gerichtet, das Wort des Politikers – im Prinzip – an alle. Daraus folgt, dass es völlig verständlich sein muss und moralisch unanfechtbar: die politische Lüge ist lebensgefährlich, für den, der sie ausspricht und auch für den, der sie sich anhört.

Erlauben sie mir ein Geständnis. Es hat niemand an meiner Stelle meine Reden geschrieben; ich habe auch selber entschieden, ob was ich denke gesagt werden kann oder nicht.

Ohne Frage sind die Erkennungszeichen für einen politischen Text – gleich zu welchem Thema – anders als für einen künstlerisch gestalteten Text. Vor allem, dass das erstere keine Zweideutigkeit, keine Spiele mit der Form, keine Fremd- bzw. allgemein un(verständliche) Worte duldet. Ich würde sogar den Luxus der langen Sätze zu dieser Liste setzen. Denn der politische Text verlangt, dass die Aufmerksamkeit des Lesers bis zum Schluss und bis auf die letzte Zeile des Textes auf den Inhalt gerichtet ist. So, dass ihn sowohl jemand ohne höheren Schulabschluss, wie auch ein Fachmann mit Universitätsabschluss versteht. Der Verfasser von politischen Texten darf also nicht nur zu einer erlesenen Gruppe reden, er kann nicht „Künstler“ sein.

In Anbetracht all dessen kann ich also sagen, dass in mir, dem Politiker, also zwei Schriftsteller leben. Der erste, der als Schriftsteller seine „erdachte“(erlebte) Aussage versucht „künstlerisch“ zu gestalten, und der zweite, der versuchte den uns umgebenden Alltag, eine Scheibe der lebendigen Wirklichkeit völlig eindeutig, in entblößter Form zu formulieren. Gegebenenfalls für Staatsoberhäupter aus dem Ausland, gegebenenfalls für Politikerkollegen, doch meistens für eine im voraus nicht definierbare Leserschaft, also für das klassische „alle“. Und vor allem eindeutig.

Ich kenne beide „Methoden“ des Schreibens: die des Schriftstellers, der für seine Leser oder für die Zuschauer seines Theaterstückes schreibt, die seine Werke kaufen und seine Gedankengang voraussichtlich genau folgen können, also jemand der sich die künstlerische „Zweideutigkeit“, sogar Mehrdeutigkeit leisten kann; aber auch die des Politiker-Schriftstellers, dem dieses Vorrecht nicht zugesprochen wird, weil die „Golddeckung“ seiner Worte nicht künstlerischer, sondern eindeutig moralischer Natur ist.

Dieses Doppeldasein des Schriftstellers, der Gegensatz des mit der künstlerischen Verantwortung und mit der gnadenlosen Wahrheitsliebe kämpfenden Schriftstellers, war das große Abenteuer meines Lebens. Zum Abenteuer gehörte auch, dass ein großer Teil der Öffentlichkeit von mir, dem Politiker-Schriftsteller, gerade den Schriftsteller in mir zurückwies: anfangs wurde mir mein Recht als Schriftsteller vor dem Publikum zu stehen ganz klar abgesprochen.

Zum Abschluss der oben im Sinne der Objektivität ausgeführten Gedanken, erlauben sie mir den Luxus der Subjektivität. Nämlich – diesmal mir selber – die Frage zu stellen: welcher in dieser eigenartigen Mischung mit dem Namen Árpád Göncz, 10 Jahre lang Staatspräsident der Republik Ungarns, eigentlich der wirkliche Árpád Göncz ist?

Derjenige, der immer sehr bewusst das was er zur gegebenen Zeit sagen wollte, um damit eindeutig die alltägliche Wahrheit, wozu er sich bekannte aussagte, und zwar in dem Glauben, dass diese Vorgehensweise andere zu einer Stellungnahme oder zum Handeln anregen würde? Oder seine Worte künstlerisch zu formen bedachter Schriftsteller?

Ich meine, dass ich die zwei nur schwer von einander trennen könnte. Die besagte Person, die seine schriftstellerischen Fähigkeiten letztendlich während seiner politischen Tätigkeit und der erlittenen Gefängnisstrafe angesammelten Erfahrungen verdankt. Seine Präsidentschaft doch in erster Linie seinen schriftstellerischen Fähigkeiten.

Ungarn zusammen mit den anderen ostmitteleuropäischen Staaten durchlebt eine schwierige Zeit, wobei die Schwierigkeiten nur in zweiter Linie politischer Natur sind. Die tödliche Ladung dieses Zeitalters war und ist verbunden mit den wirtschaftlichen Problemen, die auf der Großzahl der Bewohner des Landes lasten, sowie den daraus entstehenden gesellschaftlichen Gegensätzen. Gegen diese ist der Staatspräsident zum größten Teil machtlos. Ich denke, dass die Mehrheit der Bewohner Ungarns meiner Person und meinen Worten Vertrauen geschenkt hat; vielleicht, weil sie gefühlt haben: dass ich auch einer von ihnen bin. Weil sie gefühlt haben, dass dank dessen, was ich durchlebt habe, ich ihre Sorgen teile. Dass ich dies auch in Worte fassen kann. Meinem Bestreben nach eindeutig und in einer menschlichen Sprache. Ich muss gestehen mein Seelenzustand als „Präsident“ war bis zum Ende schizophren. Ich war bange vom Gefühl der Machtlosigkeit gegenüber den über mich türmenden Kräften. Ich war bange vom Gefühl der Verantwortung, das auf dem „auserwählten Mann“ lastet, der trotz seiner Auserwähltheit die Augen offen hält. Und beobachtet – vor allem sich selbst und alles was um ihn herum geschieht.

Den gnadenlosen Gegensatz, der zwischen den Freiheiten seines Präsidentenamtes und den mit dem Amt verbundenen strengen Regeln besteht. Und er kennt die Machtgier, die Versuchung der ihm zugesprochenen Vorrechte, doch auch die Siegesfreude über die Standhaftigkeit.

Ich muss gestehen, dass ich die Erfahrungen aus den 10 Jahren meiner Amtszeit aus dem Grunde gesammelt habe um sie einmal niederzuschreiben.

Als Satire?

Und ich habe es genossen, wenn ich im lauwarmen Wasser eines unverbindlichen intellektuellen Gesprächs eintauchen durfte. Ich war glücklich, wenn ich mir in einer oder anderen kurz aufgeflammten politischen Feder meiner Überheblichkeit bewusst wurde.

Und traurig, wenn ich bemerkte, dass ich gegebenenfalls sogar mein innerstes Ich „spielen“ musste.

Ich hatte immer Angst, dass sich jemand vor mir fürchtet.

Es hat mich aber gefreut, wenn man mich gern hatte.

Doch ich habe es gehasst, wenn ich mich der Eitelkeit ertappte; was heißt: ich habe es nicht ausstehen können, wenn man Schönes über mich sagte. Mir und über mich.

Ich habe es allerdings auch gehasst, wenn man Schlechtes über mich sagte.

Mit einem Wort, hätte ich es gewollt, hätte ich trotzdem niemand anders sein können als ich selbst.

Schriftsteller?

Politiker?

Letzten Endes ist es doch völlig unwichtig. Weder meine Selbstbewertung, noch die Bewertung meiner Person durch die Nachwelt wird davon abhängen.

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Begegnungen
Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Band 22:169–170.

Hungary at the turn of the Millennium

 

Today Europe and the entire world are facing new challenges. The information revolution is more than merely an industrial-technological revolution; it is also a cultural revolution. With the invention of a new generation of microchips – in the early 1970’s – a new age has begun in the history of mankind and the culture of interhuman relations has been fundamentally altered. These changes have an impact on production, on social life, on the relations between individuals and states. With the acceleration of the process of globalization, every single local workplace is becoming part of the world-wide competition. The knowledge-radius of individuals is constantly expanding, people are capable of reviewing events happening in various parts of the world in seconds through travelling or telecommunications.

The continents (Europe among them), the national and state communities (including those of the Hungarians) and individuals (including ourselves as intellectuals), are facing new challenges. We must consider the new global processes, we must reconsider our new possibilities in the division of labour, and we must decide for ourselves what we really want to achieve. We are facing an imperative situation; together with the peoples of the continent – as well with the peoples of other cultures – we must determine what we should do.

Who should explore the alternatives becoming available for the continent, for the communities of individual nation states? The answer is: the intellectuals must do it! Above all, scholars and entrepreneurs should perform this task. We, scholars, are true cosmopolitan citizens – after all, our workshop is the entire globe – and we are also “patriots”, since we are also members of a given local and national culture. We are not thinking in terms of four-year electoral cycles as the political elites do; rather, our thinking is centred on humanity, the nation, the cultures of the world. These facts provide ample reason for intellectuals to attempt to ascertain the possibilities opening currently, and find the ”breakout points” for their respective communities.

In September 1996 as the new President of the Hungarian Academy of Sciences, I suggested, that the members of the Academy create a National Strategic Research Program. Let us have the Academy become the advisor to the nation!

The research program started under the title, “Hungary at the Turn of Millennium.” We raised certain questions, such as ”What direction is the world taking, and what is our position in this process?” “What sort of conditions will we have to face as a member of the European Union?” What can we, Hungarians, expect in general from the Eastern enlargement of the European Union in areas such as agriculture and food production, information transmission, the maintenance and protection of the ecosystem? How about NATO and strategic defence water management, the maintenance of bio-diversity, energy resources and the politics of energy conservation? What about the future of the languages of small nations, health care social policies, the information revolution and the coming information society, etc.? Fourteen large projects were started and had been completed between 1997 and 2000. In each case, the result was the publication of monographs dealing with the respective issues.

The Europe Institute Budapest decided to participate in the dissemination of these new Hungarian research findings in foreign languages. The Europe Intsitute, as the strongest civil organisation in the field of European studies wishes to act as a mediator between Hungarian and European intellectual ventures and strategies.

Volume 6 of “Begegnungen” (1998) had already issued a programmatic study entitled ”Hungary at the Turn of the Millennium” (”Begegnungen,” Budapest, 1998, vol. 6, pp. 9-30). Upcoming volumes of “Begegnungen” will include studies prepared within the framework of this Strategic Research Programme (selected in consultation with the Advisory Council of the Programme) in English and German languages.

(G.)

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Begegnungen
Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Band 22:61–70.

FERENC GLATZ

Europe’s Future and the Future of National Minorities

 

I. The Union of the Future

Majority and Minority

How much chance exists for the survival of ethnic minorities in the Europe of the 21st century in the form of communities of cultural units? What kind of European Union are we going to have?

And what sort of technical-communication culture are we going to possess in the 21st century?

How will the territorial administrative system of the European Union be shaped and how will the contours of the current state-administrative organs within territorial administrations be organized and what sort of functions will they perform? These are questions that we raise for ourselves when thinking about the future course of European integration. The questions are there for sure, the answers are not.

The current state-administrations will definitely lose their omnipotence in the European Union since part of their power will be transferred to larger units of territorial administration (to the Union) in foreign affairs, military and financial matters. However, the national character of administration within the member states will persist in everyday affairs; after all, every banking transaction, the overall organization of armed forces, not to speak of local governments, will have to be conducted in the national language. Similarly, local schooling, trades, maternal registry, the organization of production will also continue to be performed in the national language.

Then come further questions: Will it be possible to speak of national minorities in today’s terms in such a state of reduced sovereignty? After all, the concept of “minorities” can be perceived only in relation to the majority living in a given state. In the Union that will be a large territorial unit, everyone will be in a “minority!”

In any case, will the new administrative system strengthen or weaken the self-identification of the individual with the nation? If the answer is yes to the first part of the question, will the integration strengthen the consciousness of national unity only for the majority nation or will that of the “minorities” also be strengthened by it? Speaking in concrete terms, will the weakening of the administrative role of the Hungarian national state in the European Union of the 21st century mean that the non-Hungarian nationalities living in that state will not be required to learn only the Hungarian language? For instance, will the framework of the Union be useful for Slovaks living in Hungary? Theoretically, it will be irrelevant for them that they, Slovaks, live in a Union-member Hungary or in a Union-member Slovakia.

Or are we going to be required to define the concepts of “minorities” and “majorities” in regional terms? Are we going to use these terms in the sense of majority and minority languages existing in a given region? Then, another question must be raised, namely, if Hungarians will comprise a majority in a Slovakian region, let us say in the Ipolyság, will the Hungarian language constitute the majority language there and the Slovak language will be that of the minority? These are questions that the future will have to answer…

In any case, we must begin thinking about the concepts of minorities and majorities.

 

Consciousness and Citizenship in the Union

We cannot avoid considering the following questions: “Will there emerge a concept of Union citizenship?” Will there be an identification of the individual with the Union? How will such a concept relate to a European identity? After all, the European Union – as a territorial administrative unit – will never be identical with the concept of Europe as a geographical or cultural area. In other words, a European identity will not necessarily be the same as a European Union identity. How will a Union identity relate to the individual’s identification with citizenship in a state or other – regional or other territorial community – identification? And how will all this relate to the identification of the individual as a citizen and as a member of a nation? The latter of this does not necessarily mean identification with a unit of territorial administration! After all, members of a nation may live in several areas in separate groups (even in geographically distant regions). The way Hungarians live in Transylvania, in the Székely lands, far from Hungary’s borders and equally far from their co-nationals living in Kolozsvár located in the centre of Transylvania itself. Not to speak of those Hungarians who live in diasporas disseminated, from America to various other states in the world. The same can be said of the Poles or of the Slovaks; some of the latter live 200 kilometres distant from the main Slovak groups in southern Hungary. (It has been long known that a significant group of ethnic Slovaks has been living in that area since the 18th century who are – at least in my mind – members of the Slovak nation living in the territory of the Hungarian state.)

 

Free Movement, Integration, Identity

There is already a common currency, the Euro, and common policies have also been introduced, such as in agriculture and environmental protection. Common policies regulating transportation will certainly be established and it is also certain that common security practices and jurisprudence, as well as regulations in areas of business life, will emerge. These will all be significant steps toward the integration of territorial administration. However, we are unable to discover the “human dimensions” of the Union’s framework. Hardly any thought is given to the freedom of human migrations. (We do not like to discuss this issue since it might conflict with the interests of the labour market of national states.) I consider it unthinkable to introduce any sort of restriction on the movement of labour within the European Union. In fact, one of the advantages – if not the greatest – of the Union, in contrast to those of the national states, is the size of the market; this includes free movement of products and expertise on a large scale.

If a European-scale migration emerges, the consequences will be the spread of diverse ethnic-national groups scattered all over the Union. People will become more citizens of Europe and less citizens of the nation states. It is likely that Hungarians will be scattered all over the member states of the Union, living on territories of France, Germany, Holland, and so on. After a while there will be small ethnic communities of Hungarians in these lands, the same way as Turkish and Croatian groups are formed today or have been formed during the last 30 years. The future citizens of the Union will chose a country according to whether in that specific locality purchasing power for their abilities or their expertise exists. They will probably pay their taxes in that area as well. They will learn local languages and assimilate at least partly local customs and habits. At the same time, they may also retain their original national language and part of their customs.

Whose minorities will such communities be? They will be citizens of the Union and, at the same time, also Hungarian minorities of the Union. The same process will happen to the Hungarians of Slovakia; they will simply be “Hungarians” living within the Union. Their citizenship will remain Slovak, and they will also be European Union citizens. It is possible that their affinities as citizens of the Union will increase at the expense of the Slovak one. The key question is, of course, “will there be a Union citizenship?” And if there is a Union currency – as indeed there is – will there be a Union income tax? In other words, the national states (for example the Slovak state) shall not contribute a certain amount of money to maintain the administration of the Union, however citizens living in the Union shall pay their taxes directly to the Union? Union citizenship also means that various civil societies and autonomies will consider themselves minorities not in relation to the Slovak state but in relation to the inhabitants of neighbouring regions, the former majority populations, if their majority consists of Slovaks.

The “national-ethnic autonomy” will then accommodate itself to the autonomies of the various other identities. These identities will exist and function as long as the respective communities have a need for a separate consciousness of these groups. In any case, the administrative systems of the Union will have to consider a great many variations on this concept and must be prepared for the possibility that any solution will provide new directions for the organization of the Union’s communities. These communities will modify by their very existence the frameworks of territorial administrations.

 

Industrial-Technological Development, Plurality of Identities and Self-Government

Let us consider another factor, namely, the industrial-technological development of the 21st century. When we discuss the expected industrial-technological development of the 21st century, we must first pose a question; “What sort of changes can be expected in the culture of human communications by the revolution in world computer chips?” I am convinced that the new culture of communications will lead to the emergence of a new type of individualism. The mass use of television, the emerging new internet-culture whose real impact cannot yet be foreseen, electronic mailing service, the fact that everyone’s desk at home will provide a view on the cultures of the world, the all-conquering cellular telephone, are all pointing to such a direction. But the “new individualism” – carrying with it certain dangers – will, hopefully, not lead to the isolation of the individual, to his separation from others, but to the emergence of a new consciousness of community which will be based on the individual’s choice. Therefore, individualism will not mean isolation, but that people will select their community relations and, alongside with it, their identity on an individual basis that is, in a variety of ways. It means that the individual will experience his sense of identity more deliberately. For instance, alongside his identity as a European citizen (that will take first place), the ethnic-national-, age-, gender-, and ideological identifications will be acting as forces for the cohesion of respective groups. The consciousness of citizenship will continue to survive, but on a different level; it will probably survive as a community of taxpayers.

 

Autonomies and Civil Associations

My forecast about the growth of the impact of civil associations in the 21st century is based on the notion of the strengthening of the new type of individualism. Civil associations are the self-management organs of citizens whose importance is recognized by the community, the state, or the Union. If the Union will consider the survival of a variety of ethnic and national groups important, then it will finance from the common budget groups dedicated to serving the maintenance of ethnic-national consciousness of the citizens. However, it can also happen that the Union would order the surviving national states to finance the creation and maintenance of their respective ethnic-national autonomous administrations.

The new individualism, this new social energy, is many-sided – possibly it will constitute a new type of self-identification of the individual, and it will create a set of new associations, new autonomies. The process may become a foundation for the strengthening or establishment of new civil associations.

According to our definition, the very existence of civil associations that the community recognizes calls for institutions of certain functions that do not necessarily have to be integrated into the framework of state- or sector administration. In such a case the state, or the European Union, ensures support for the citizens, the taxpayers – from the budget – to freely form under the condition that they perform a certain function within the community. There are certain tasks that cannot be performed by the state or sector administrations. Through such actions the weight of the executive power is reduced and the ratio of the freely formed associations of citizens is increased. (For this process to succeed there is the associations need for the emergence of a new type of citizenry.)

I consider various ethnic autonomies to correspond to such civil associations. The nation-state or the European Union will recognize that the masses of citizens living on its territory will establish various kinds of autonomies organized in several ways (including ethnic autonomies). Their rights will be enacted into laws and, at the same time, they will be regulated or delimited in the areas of their competence. The regulations will include funds derived from the budget – that is, from the common purse – for the performance of functions to benefit the respective association. An autonomous self-government for ethnic minorities could be one form of a civil association in the 21st century. And since the desire of the citizens for the freedom of association continues to increase – including organizations based on ethnic identities –, the rise and strengthening of civil associations will contribute to the increasing demand for the establishment of autonomous ethnic self-governments.

Therefore, my conclusion is that in the coming decades the new industrial-technical revolution will strengthen the recognition of self-realization and the citizens’ need for the free exercise of these self-realizations and identities. All this points to the fact that the consciousness of ethnic identities and autonomies, organized on ethnic foundations, is going to undergo unforeseen changes in the future.

 

II. Europe and its Nations in the 21st Century

 

I intended to illustrate — with my introductory questions and attempts at providing some partial answers – how much the future of the autonomous national-ethnic self governments will depend on the territorial administrative system of the continent and on the impact of the industrial-technological revolution. I would now like to describe some working hypotheses for consideration in today’s discussions. The aim is to have our plans contrasted by realities.

 

1. Europe is a Continent of Ethnic Diversity

I believe that the future Europe will be a continent of ethnic diversity. More exactly, it will be a place where the current ethnic varieties will continue to exist.

National cultures will be freely renewed, or will equally freely disappear. The Union must ensure the possibility for this social-cultural evolution.

One of the unique characteristics of Europe has been the fact that two dozen national cultures have existed and continue to exist on its territories, each equipped with its own literature and system of customs embedded in its own institutions. My surmise is that the enlargement of the Union will end the possibility of the suppression of ethnic-national differences or, conversely, their support by means of government. In other words, ethnic-national identities may be spontaneously strengthened or weakened. One of the fundamental characteristics of the Union could be that the exclusive rule of the majority nation in the administration will come to an end and it will not be able to oppress the national minorities with the power of the state (including the power of the administration of regions). My other hunch is that national differences will not lead to wars. It will be necessary to establish unified principles of policies for the ethnic groups living on the territories of the Union. For the realization of this principle I consider it to be necessary that the European Union, as well as lower levels of administration, leave the decision up to individuals to decide on their own the ethnic-national identities.

 

2. About the Nature of National Identity, its Weakening and Strengthening

National identity is a phenomenon that is cultural-social in nature. It is manifest in two areas of everyday life, namely, in a national language and a system of customs.

A citizen considers his national identity important in certain periods of his life and he places it before other – social, ideological, gender, and even family – identities. In other periods of his life this feeling of community-creating becomes weaker. It is also natural that the process should be different in each individual case; there are some people who consider national identity unimportant throughout their lifespan, regardless of their use of a given mother tongue and the acceptance of the set of rules of their community’s customs.

Therefore, the notion of belonging to a nation is a matter of the individual’s conviction and a subjective feeling. Citizenship, even blood relations and age, however, are administrative in nature, “objective,” and they are independent of the individual’s choice. Belonging to a nation is simply a matter of declaration, that is subjective. An individual may change his national identity. Tendencies that restrict such changes are “excluding,” and have no place in the new Europe. Ethnic diversity and exclusion are contradictory principles. (Of course, one may leave the administrative framework of citizenship on a voluntary basis and we even consider the Europe of the 21st century to become the community of individuals possessing multiple citizenships.)

Let us now take a closer look at two areas of national identity, namely, language and the systems of customs.

 

3. About Language Cultures in the 21st Century

There will probably be three levels of languages in the Europe of the 21st century; one will be a world-language (probably English), the languages of respective states (as long as state administrations will continue to exist, – perhaps even in centuries-long perspective – these languages will survive) and the mother tongue. The world-language, the lingua franca, will probably be English. In addition, there will continue to exist regional lingua francas acquiring regional “rank” from one of the state languages. (For instance, in the Near East this will probably be Arabic, in the Far East Japanese or Chinese, and their various dialects. In Central Europe, it will probably be German, in the former French colonies in Africa French, in Eastern Europe Russian and so on.) This will probably be also the case in several occupations in which there may develop “professional languages of transmission” besides English.

The question is: will the citizen of the 21st century’s Europe be able to acquire knowledge of 2-3 languages? In other words, will he be able to learn, besides his mother tongue, the language of the state that will not be necessarily the same? And in addition will he learn another world language as a lingua franca and also acquire a regional language or a language of his trade? Will the man of the 21st century be able to operate jurisprudence, transportation and education by using several languages (approved officially by the respective states)? Would it be worth his energy to acquire so many languages simply in order to facilitate everyday communications easier? In other words, would he be willing to spend his intellectual abilities and resources on this endeavour instead of using them for developing other abilities?

 

Cultures of Customs in the 21st Century

Another area in the everyday life of ethnic-national communities concerns the culture of customs. We understand under this term the sum of food consumption, clothing and customs of behaviour. Today one can observe the use of many more variations in the system of customs and habits than before. Modes of conduct may even divert from ethnic-national lines. There may be citizens in Europe who speak Hungarian as their mother tongue, but will follow French, Spanish, German, Slovak, or Romanian customs in styles of clothing, behaviour, or even in traditions of celebrating holidays. And this will be quite all right.

The strongest influences exerted on the system of habits within a culture are climate and modes of conduct to overcome climatic challenges, such as clothing, consumption of food, an individual’s position in production, and traditions of feelings.

Modernization in the twentieth century, globalization, free movement, the discovery of ever newer cultures, the taking over of certain elements from such new cultures and the new individualism will generally speaking not lead to the disappearance of the diversity of culture-systems. The citizen will have the chance to select his own system of culture more freely than it is the case today. Yet, his possibilities will always be curtailed to some extent by the actual climate and the natural environment, also general conditions set by the majority, or even by the majority in society and the requirements of technology. After all, the system of habits of people living near the North Pole, their ways of constructing housing or their behaviour, their food culture, will always be different than, let us say, the behaviour of people living near the Equator, just as the temper of southern peoples, whose behaviour is closely related to opportunities provided by the climate, will always be different from the behaviour of northern populations.

 

The Use and Cultivation of the Language of the State

The framework for the survival of ethnic-national minorities, as we indicated above, rests on the continued use of the national language and the system of habits. The use of language and, less importantly, everyday communications and relationships, are kept alive, in daily contacts since their survival depends on their use. The maintenance and further development of the language and system of habits is an appendage of the cultural institutions in daily life. Among these institutions, however, family relations and customs are entirely of a private matter. If the state prevents the improvement of the language of a minority, the citizens belonging to this minority experience an emotional confrontation with their own administrative system, and will be forced to consider that their children will become handicapped compared to their peers, if they cannot acquire both languages. They also have to consider learning a third language, the regional or the world-wide lingua franca. For 200 years – since we have been living under modern administrative systems in Europe – the ever renewed political controversies have revolved around the use of the mother tongue in dealing with administration; over the language of education, of administration of trades and professions. It is well known to researchers that the survival of minorities in the 19th-20th centuries depended on their right to use their language in dealing with administrative offices.

The use of the mother tongue is a human right, and it is not only individual persons, but also language - and national communities that are its subjects. It is a collective right. Freedom of opportunity must be ensured for the individual regardless of birth, or the place of one’s position in production (society), but also in terms of his right to use the mother tongue. This is a fundamental principle of our liberalism. We are not speaking only of an individual’s freedom to use his mother tongue, but also of his possibility to improve it. It is at this point that the use of the mother tongue becomes a collective right. After all, the state must ensure education in the mother tongue for a community (a collective), in order to enable its members to use the television, and enjoy literary institutions. The question is; to what extent will the European state of the 21st century ensure the exercise of this collective right?

 

Bicameral Parliaments and the Plurality of Identities

We cannot neglect the issue for the political representation of minorities. We are speaking especially and particularly of the realization of the principle of self-government. It is necessary for the preservation of minority existence to be able to influence the apparatus of the state. This can be done in the form of street demonstrations or even in coercive actions as had happened in Yugoslavia between 1990 and 1999, or by using parliamentary means as in Romania and Slovakia. I naturally support the principle of parliamentary representation for minorities.

However, for the latter it is necessary to accept a representative system based on a bicameral legislature. In one of the chambers, let us say, in the lower house, representatives are elected on the basis of their party affiliations and in the other the representatives elected by civil associations will participate. (This could be called the senate.) Representatives of civil societies may be chosen by local ethnic groups, religious associations, educational-, scientific-, cultural-institutions, trade unions and other associations – even based on gender affinities. There is no danger of smuggling the old feudal privileges based on birth back into the system, as it is invoked by my friends who consider themselves liberals. The second chamber would be designed to ensure the extension of the saintly principle of liberalism, namely, the freedom of the individual for self-realization and the emergence of plural identity. We are talking here about representatives elected by the “people”! This type of representation will provide opportunities for the citizens to express and live their loyalties beyond party sympathies.

Such a bicameral representative system may be created on both the state and even village levels. During the 1980’s I only surmised that liberal practices of representation must finally arrive at the principle of bicameral legislation. In 1999, however, while observing the confrontation of European political systems with the emergence of social, ethnic, and other (religious, “green” etc.) orientations, it had become my conviction that, without the realization of these factors, the European parliamentary system will once again enter a dead end. (As it failed after 1930, at the time of the great upsurge of social and ethnic identities. And then came Fascism and Communism…)

*

This is the way the liberal traditions of Europe are connected in my thinking with the new individualism, engendered by the industrial-technological revolution, ethnic self-government and the freedom of expression for the politics of the 21st century. This is also the way in which my way of thinking connects the cause of European ethnic minorities with democracy, with the principles of popular representation, and with the modern ethics of citizenship. This is also the way in which the future-oriented thinking and behaviour of European citizens is connected to the research of minority life. I consider the development of the latter important because it may strengthen a form of self-identification of the new type of European citizenship and may also support the proud framework of a new civil existence.

Begegnungen22_Glatza

Begegnungen
Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Band 22:9–12.

FERENC GLATZ

Lob des zivilen Verhaltens

 

Ich gehe davon aus: das 21. Jahrhundert wird das Jahrhundert der Bürger und Zivilorganisationen sein. Das Jahrhundert derer, die sich am heutigen Tag hier zusammengefunden haben. Es ist zwar richtig, dass sich in unseren Reihen Minister, ehemalige und amtierende Staatspräsidenten, Parteivorsitzende befinden, also Vertreter und amtstragende Herren des Staatswesens – doch sind wir, seid ihr alle hier und jetzt als einfache Bürger, als Intellektuelle anwesend. Das Europa Institut Budapest wurde 1990 als eine solche Zivilorganisation gegründet und ist bis heute eine solche Zivilorganisation geblieben. Ich grüße im Geiste dieser zivilen Einstellung Herrn Staatspräsidenten Ferenc Mádl, Gründungsmitglied des Wissenschaftlichen Beirates unseres Institutes, meinen Akademiker-Gesellen, Universitätsprofessor. Und in diesem zivilen Geiste grüße ich Herrn Árpád Göncz. Ich grüße ihn als ehemaligen Präsidenten der Republik Ungarn, als Autor, als ehemaligen Generalsekretär des Schriftstellerverbandes, den Menschen der in den 10 Jahren seiner Amtszeit Bürger der Republik blieb – und der erste Bürger der Republik wurde. Seine Bescheidenheit, seine Menschlichkeit behielt er bei, und aus diesem Grund war er ein jahrzehntlang Präsident, sowohl einer Regierungskoalition, als auch der gesamten Gemeinschaft der Staatsbürger. Er blieb stets ein Intellektueller, wovon unter anderem seine regelmäßigen Besuche im Europa Institut Budapest bis zum Ende seiner Amtszeit zeugten.

 

Sehr geehrte Damen und Herren!

Das Europa des 20. Jahrhunderts war geprägt von der Herausbildung – ich könnte auch sagen durch die übertriebene Herausbildung – der exekutiven Staatsgewalt. Wenn aber die exekutive Gewalt zu viel an Gewicht gewinnt und starke Auswirkungen auf die Wirtschaft und auf das Privatleben der Bürger hat, wird der Kampf gerade um diese Staatsgewalt selbstverständlich heftig und erbittert sein. Somit wird nämlich der Inhaber der Staatsgewalt Inhaber der Macht, also Herr über ’Leben und Tod’ – d.h. über den Lebensunterhalt des Einzelnen. Das gilt heute sowohl für Europa, wie – wenn nicht noch mehr – für die ehemaligen sozialistischen Länder. (In den letzteren war, wenn ich das bemerken darf, schon immer eine übergewichtige exekutive Macht anwesend. Nicht nur in Zeiten der Diktatur, sondern bereits in früheren Jahrhunderten.) Das Ideale wäre: das Gleichgewicht zwischen bürgerlicher Zivilsphäre und politischer Macht, das Gleichgewicht zwischen bürgerlicher Eigeninitiative und den die Macht anstrebenden, sich zu diesem Ziele gebildeten Parteien. Dieses Gleichgewicht geriet am Anfang des 20. Jahrhunderts ins Schwanken. Wir leben heute zwar nicht in einer Diktatur, doch ist es gelegentlich zu befürchten, dass der Alltag der Parteien, der Kampf um die Macht stärkeren Einfluss auf unser Leben nimmt als zur Zeit der weichen Diktatur in den 1980er Jahren. Das Wiederherstellen des Gleichgewichts in der Zivilsphäre Europas ist wünschenswert, das allein kann die Herausbildung einer wettbewerbsfähigen, kreativen, aktiv schaffenden, neuen Gesellschaft in Europa sichern. Um das Gleichgewicht herzustellen wird das erneute Aufstellen der zivilen Organisationen in Europa benötigt. Also, Wiederaufstellung und Kooperation – in Form eines Dialogs – mit dem Staatswesen.

Als Vertreter dieser Auffassung möchte ich meine besondere Freude darüber aussprechen, dass an unserer heutigen Sitzung herausragende und anerkannte Vertreter des Staatswesens und der Parteien anwesend sind.

Ich grüße die Mitglieder der Regierung der Republik Ungarn, Herrn Peter Kiss, Kanzlerminister, Herrn Kulturminister István Hiller, der vor vielen Jahren – noch in seinen jungen Jahren, wenn ich das so sagen darf, in seinen noch jüngeren Jahren als heute–die Tätigkeit des Europa Institutes Budapest unterstützte und daran mitwirkte. Ich grüße Gábor Kuncze, den Präsidenten des Bundes der Freien Demokraten (SZDSZ) und den Präsidenten der stärksten nicht zur Regierung gehörenden Institution, den Präsidenten des Verfassungsgerichtes, János Németh. (Die letzte Periode seiner Amtszeit wird in den nächsten Tagen ablaufen, und ich wünsche ihm, dass er seine jahrzehntlang wohl bekannte konsensschaffende Vorgehensweise weiterhin beibehält.) Ich grüße aus den Reihen unserer ungarischen Gäste die Professoren unseres Institutes, vor allem Domokos Kosáry, der gerade jetzt in den kommenden Tagen, bzw. Wochen seinen 90. Geburtstag feiert – und mit ihm feiert das halbe Land. Er stand von Anfang an bei der Gründung des Europa Institutes Budapest an meiner Seite und tut dies bis zum heutigen Tage. Ich grüsse unsere ausländischen Gäste, vor allem Dr. Erhard Busek, Vizekanzler a. D., der ebenfalls an der Gründung des Europa Institutes Budapest mitwirkte, und der bei unserer heutigen Feier eine der Hauptrollen spielt als Laudator unseres Preisträgers. Ich grüße die Herren Botschafter, die uns mit ihrer Anwesenheit beehren und von denen mehrere regelmäßige Teilnehmer der Veranstaltungen des Europa Institutes sind. Und schließlich, doch nicht zuletzt, möchte ich Herrn Dr. Herbert Batliner, den eigentlichen Gründer des Europa Institutes, den Stifter des heute zu verleihenden Corvinus-Preises, begrüßen. Und mit der Begrüßung der Vertreter des Staatswesens, der Politik möchte ich gleichzeitig alle Freunde, Kollegen willkommen heißen, die an unserer Feierlichkeit teilnehmen.

 

Sehr geehrte Damen und Herren!

Heute wird der Corvinus-Preis verliehen. Dr. Herbert Batliner gründete den Corvinus-Preis im Jahre 1996. Der Preis trägt eine hohe Geldsumme, eine auf Leder geschriebene Urkunde mit den Verdiensten des Preisträgers und die erste und alleinige Kopie der Corvinas von König Matthias mit sich. Als Begriff wurde der Name Corvinus in Verbindung mit dem ungarischen Herrscher der Renaissance, Matthias Hunyadi, europaweit bekannt. Der Corvinus-Kult sollte die Absicht von König Matthias zum Ausdruck bringen, dass die ungarische Kultur Teil der westeuropäischen Kultur zu werden wünscht. Die Absicht des Stifters dieses Preises war zur Einbettung der ungarischen Kultur ins Europäische beizutragen, die Menschen auszuzeichnen, die zur Europäisierung des Ungarntums beigetragen haben. Seien sie Ausländer oder Ungarn. Der Preis wird vom Stiftungsrat des Europa Institutes alle zwei Jahre verliehen. Der erste Corvinus-Preis wurde 1997 dem Oscar-Preisträger Filmregisseur István Szabó verliehen. Der zweite Preisträger war 1999 Andrei Pleşu, der ehemalige Kulturminister der Republik Rumänien, zu der Zeit gerade Außenminister, und neben bei lassen sie mich bemerken, seit 1990 ebenfalls einer der Professoren, die das Europa Institut gegründet haben. Und bei dieser Gelegenheit möchte ich besonders hervorheben, dass der Stiftungsrat einstimmig und in Begleitung weniger Sätze als Begründung, die im Protokoll festgehalten wurden, den diesjährigen Corvinus-Preis verliehen hat. Diese lauten wie folgt: „Dem Intellektuellen, dem Politiker, der seine humane Einstellung in der Welt der Politik bewahren konnte. Dem Ungarn, der in Ungarn Europa und in Europa Ungarn vertreten hat.“ Während der Sitzung des Stiftungsrates haben wir natürlich lange darüber diskutiert, wie wichtig die Wiederbelebung der alten, die Grundlage unserer Zivilisation bildenden griechisch-römischen Werte im Europa des 21. Jahrhunderts ist. Darüber, dass die Zivilsphäre, nachdem die Parteipolitik sie in den vergangenen 50 Jahren beinah völlig erobert hat, also dass diese ihren zivilen Charakter wiedergewinnen soll. Wir haben darüber gesprochen, dass Árpád Göncz für uns nach 1990 ein Symbol war. Ein Symbol, ein Vorbild, jemand, der sowohl für die Zivilgesellschaft als auch für die politische Elite eine Bedeutung hatte. Eine Brücke zwischen der zivilen Gesellschaft und der politischen Elite. Denn wir brauchen solche Bindeglieder. Wir halten die professionellen Politiker in Ehren. Letztendlich sind es sie, die mit dem Geld der Steuerzahler wirtschaften, über Gesetze entscheiden, die den alltäglichen Umgang unserer Gesellschaft regeln, und die unsere zwischenstaatlichen Beziehungen gestalten, die ja somit der Bewegungsfreiheit des Einzelnen Grenzen setzen. Ohne eine gute politische Elite gibt es kein wettbewerbsfähiges Europa, keine lokalen Gemeinschaften der Staatsbürger, keine Mikrogemeinschaften auf dem Land oder in den Städten. Doch der kluge Politiker muss auch wissen: es gibt keine erfolgreiche Politik ohne Zivilsphäre. Der Bürger soll nicht nur für eine Stimme bei den Wahlen stehen, sondern mitdenkender Partner des Politikers werden. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts muss eine neue Allianz geschlossen werden zwischen der Parteipolitik und der Zivilsphäre, den Eigeninitiativen der Bürger. Diese waren die Gedanken, die zur Nominierung von Árpád Göncz bei der Kuratoriumssitzung verlautet wurden. Árpád Göncz, der schon immer ein Gefühl für den Ausbau von Verbindungen hatte.

 

Sehr geehrte Damen und Herren!

Ich habe Ihnen soeben die Umstände, die Argumente während der Diskussion der Entscheidung des Kuratoriums geschildert. Ich möchte damit nicht nur alle diejenigen grüssen und ehren, die hier anwesend sind, sondern alle, die zu den europäischen Bindungen der Kulturen kleiner Nationen beigetragen haben und bis heute dazu beitragen.

Ich danke Ihnen für ihre werte Aufmerksamkeit.

Begegnungen22_Giannakopoulos

Begegnungen
Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Band 22:235–248.

ANGELOS GIANNAKOPOULOS

Dimensionen des Begriffs einer europäischen Identität1

 

1. Einleitung

Der europäische Integrationsprozess hinsichtlich der Entstehung und Funktion einer supranationalen Steuerungsebene in der institutionellen Form der EG/EU wurde bis dato unter zwei Hauptaspekten thematisiert und untersucht: zum einen unter dem Aspekt der Übertragung von bisherig nationalstaatlichen Kompetenzen auf die supranationale Ebene und zum anderen unter dem Aspekt der auf ökonomische Denkweisen ausgerichteten, von einer hierarchisch operierenden Bürokratie implementierten und auf einer rechtlich-wirtschaftlichen Ebene voranschreitenden Vereinheitlichungspolitik (Kleinsteuber 1990). Spätestens seit der Verabschiedung der Maastrichter Verträge sind jedoch zunehmend Diskurse über die Bestimmung einer europäischen Identität zu vernehmen. Vor allem angesichts der bevorstehenden Erweiterung der EU gewinnen kultur-, mitunter identitätsbezogene Fragestellungen, also die Problematisierung von Kultur deutlich an Konjunktur. Es wird dabei insbesondere nach denjenigen normativen und verhaltensstrukturierenden Ordnungsvorstellungen gefragt, die als Bezugsrahmen zur Bestimmung einer gemeinsamen europäischen Identität von Bedeutung sein können.

Die Formel, die seitdem als mögliche Antwort auf solche Fragestellung kursiert, ist die der „Einheit in der Vielfalt”.2 Angesichts dieser Formel ist zunächst einmal festzuhalten, dass sie zum einen nach den normativen und institutionellen Bedingungen einer politisch voranschreitenden europäischen Integration fragt, zum anderen aber insgesamt davon ausgeht, dass Kultur die dezentrale, regionalistische und „chaotische” Gegenwelt zum sich vereinheitlichenden Binnenmarkt darstellt. Auf europäischer Ebene kann man eindeutig von einem „Polytheismus der Werte” ausgehen. Dieser besondere Charakter der europäischen Kultur wird gerade an der Vielfalt der Sprachen, der Ausdrucksformen, der künstlerischen Leistungen, aber auch der Wahrnehmungen, der Denkweisen und -muster manifest.

Aufgrund oberer Erkenntnisse erfolgt die Auseinandersetzung mit den Dimensionen einer europäischen Identität innerhalb dieses Beitrags aufgrund folgender Prämissen: Die erste Prämisse wird vom wissenssoziologischen Identitätsbegriff gestellt, wonach Identität nicht etwas substantielles, sondern etwas relationales und prozesshaftes darstellt. Identität stellt somit keine analytische, sondern eine zu erklärende Kategorie dar. Europäische Identitätsbildung wird zum zweiten an eine kritische Demokratietheorie in Beziehung gebracht und zwar bezüglich derjenigen normativ-politischen Voraussetzungen, die diesen Prozess fördern und Präformen einer europäischen Bürgergesellschaft entstehen lassen können. Schließlich werden anhand einer kritischen Demokratietheorie diejenigen Prinzipien herausgearbeitet, die zur Institutionalisierung einer europäischen Identitätsbildung wesentliches beitragen könnten.

 

2. Dispute über die Dimensionen einer europäischen Identität

Wer die intellektuellen und politischen Dispute über eine europäische Identität vor dem Kopenhagener Erweiterungsgipfel 2002 aufmerksam verfolgt hat, dem kann nicht entgangen sein, dass danach Ausschau gehalten wurde, welches die Prinzipien, Konstanten, Kontinuitäten und Gleichförmigkeiten eines gemeinsamen europäischen kulturellen Erbes, einer europäischen kulturell-ideologischen Tradition sind. Die allgemeine Haltung geht in dieser Frage davon aus, dass Europa nicht etwa geographisch, sondern kulturell-historisch zu bestimmen ist (Le Goff 2000, Bergedorfer Gesprächskreis 1995). Die Konstanten einer gemeinsamen europäischen Identität werden dabei von der Antike, den griechisch-römischen Kulturmustern und der jüdisch-christlichen Tradition gestellt (Schulze 1999). Diese vielschichtigen, aufeinander bezogenen Entwicklungen, Prozesse und Strukturen lassen sich unter dem von Max Weber geprägten Begriff des „okzidentalen Rationalismus” zusammenfassen (Lipp 1994). Die Komponenten eines europäischen kulturellen Wertsystems im Sinne eines integrativen consensus omnium, müssen ohne Frage in den Grundprinzipien und Universalwerten der Antike und in der daraus abgeleiteten liberal-demokratischen, sowie humanistischen Gesellschaftsordnung verortet werden. Die Festsetzung von Wert und Würde des Menschen, von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit in Verbindung mit den demokratischen Grundprinzipien und den Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit sind auf kulturell-politischer Ebene die Konstanten einer europäischen Identität. Nach Hobsbawm beispielsweise kann der eigentliche Gegenstand einer Geschichte Europas kein geographischer Raum und auch kein menschliches Kollektiv, sondern nur ein Prozess sein; ein Prozess, der das bisher beständigste spezifisch europäische Kulturerbe von der Antike bis heute hervorgebracht hat, und der als wichtigster Bestandteil einer europäischen Identität erfasst werden sollte: Das Erbe der Aufklärung. Diese Einsicht stellt innerhalb eines geeinten Europa keinen bloßen modus vivendi, sondern die Basis eines übergreifenden Konsenses dar (Hobsbawm 1996). Kulturelle Fragmentierungen, Spaltungen und Polaritäten innerhalb des europäischen Kontinents sind allgegenwärtig Innerhalb der europäischen Kultur hatten Schlüsselideen (Christentum, Humanismus, Vernunft, Wissenschaft) stets ihre Gegensätze. Im Rahmen seines Konzeptes über die Wechselwirkung zwischen vielen „Dialogiken”, die sich entweder miteinander verbunden haben oder eben im Widerstreit standen, entwickelt Morin folgende Paarungen: „Religion/Vernunft; Glaube/Zweifel; mythisches Denken/kritisches Denken; Empirismus/Rationalismus; Existenz/Idee; das Spezielle/das Universale; Problematisierung/Neubegründung; Philosophie/Naturwissenschaft; humanistische Bildung/naturwissenschaftliche Bildung; alt/neu; Tradition/Evolution; Reaktion/Revolution; Individuum/Kollektivität; Immanenz/ Transzedenz; Hamlet/Prometheus; Don Quichotte/Sancho Panza; etc.” (Morin 1985: 126).

Eisenstadt stellt fest, dass „die ständige Konstitution vielfältiger, häufig konkurrierender Gemeinschaften, von denen jede das Recht für sich in Anspruch nimmt, diesen weiten (europäischen) kulturellen Rahmen am besten zu repräsentieren, ein Markenzeichen europäischer historischer Erfahrung (ist)” (Eisenstadt 1999: 374). Zieht man beispielsweise die religiöse Kultur als zentrale institutionalisierte Ordnungsvorstellung heran, so wird deutlich, dass sowohl die über längere Zeiten dominanten Konfessionsmuster als auch die Divergenz der Struktur der religiösen Kultur historisch bedingte kulturelle Differenzen und Wertmuster bzw. verhaltens- und einstellungsspezifische Unterschiede hervorgerufen haben (Pickel 1996). So sind die daraus entstandenen dauerhaften Kulturlinien und soziokulturellen (Wert-)Muster variabel (Zuhlener, Denz 1993). Gerade die konfessionelle Heterogenität Europas schuf die Bedingungen für religionskulturelle Unterscheidungsdiskurse, die zu jeweils bestimmten kollektiven Repräsentationen und symbolischen Vorstellungen und letztlich zu einem Abgrenzungsverhalten führten (Kahlscheuer 1996, Schilling 1996).

Anstrebungen die kulturelle Identität Europas zu bestimmen, führen unentwegt zur Erkenntnis, dass „Europa sich einfachen Definitionsversuchen entzieht. Zu kompliziert und zu widersprüchlich sind die historischen Entwicklungslinien; zu vielschichtig sind die Ergebnisse, zu vielfältig die politischen und kulturellen Faktoren, als dass man dies alles auf einfache, plakative Formeln verkürzen könnte” (Weidenfeld 1985: 13). Ralf Dahrendorf konstatiert seinerseits, Europa sei eine Kopfgeburt (Dahrendorf 1990). Angesichts der offensichtlichen Schwierigkeit einer europäischen kulturellen Identität inhaltlich zu erfassen, führt kein Weg an einer methodologisch-terminologischen Trennungslinie zwischen den Begriffen „Europa” und „Europäische Union” vorbei. Europa mag wohl als Idee durch die Jahrhunderte europäischer Geschichte hinweg existiert haben, als Topos einer gemeinsamen kulturellen Identität aber existiert es sicherlich kaum.

Bei der Erläuterung der Problematik „Europäische Union” stellt sich die grundsätzliche Frage, ist denn die Europäische Union überhaupt auf eine gemeinsame Identität angewiesen? Die Maximierung des gegenseitigen Nutzens innerhalb der verschiedenen institutionellen Formen, die die europäische Systemintegration in den letzten 50 Jahren erfahren hat – Montanunion, Europäische Gemeinschaft, Europäische Union – hat zugegebenermaßen auch ohne die Vorgaben einer europäischen kulturellen Identität funktioniert. Es mag zwar sein, dass der Vergemeinschaftungsgrad bzw. die Vereinheitlichung innerhalb dieser institutionellen Formen sehr unterschiedlich ausfällt, doch stellt die Europäische Union den bis dato günstigsten Bezugsrahmen für den Prozess einer Identitätsbildung dar. Selbst sie ist aber weit davon entfernt „einen umfassenden und finalen Bezugspunkt zur Herausbildung einer kollektiven europäischen Identität (zu bieten)” (Lepsius 1999: 208).

Die Europäische Union betrachtet sich selbst dennoch nicht als eine institutionelle Realität, die ihre Existenz ausschließlich ökonomischen, strategischen, usw. Erwägungen verdankt. Das „europäische Kulturabkommen” von 1954, die „Erklärung zur europäischen Identität” von 1973 – von den Rahmenbedingungen ganz zu schweigen, die auf die Bewahrung und gemeinsame Verwaltung des europäischen kulturellen „Erbes” hinauslaufen und darüber hinaus in relevanten Förderungsmaßnahmen ihren Niederschlag finden – wollen an den Tag legen, dass verwaltungsspezifische Regelungen, die beispielsweise den Butterpreis, die Fischfangquoten, den berühmt-berüchtigten Krümmungsradius der EG-Banane, die genaue Normung des „Euro-Apfels” oder die Ausgleichszahlungen im Rahmen von Kohäsionsfonds betreffen, nicht das primum movens europäischer Systemintegration darstellen (Rüttgers 1998, List 1999). Jean Monnet selbst soll gesagt haben: „Wenn ich es noch einmal zu tun hätte, so würde ich mit der Kultur anfangen” (aus Buchheim 2000:18).

Im Vertrag über die Europäische Union (1992) kommt die Absicht zur Geltung eine europäische Identität als außenpolitische Selbstbehauptung institutionell zu verankern. Die Frage nach einer europäischen Identität spielt sowohl in der Präambel des Vertrags als auch in den Artikeln 2 und 6 eine zentrale Rolle. Es liegt auf der Hand, dass sowohl dieses Dokument als auch die weiter oben genannten Dokumente, die Stellung zur europäischen Identität nehmen oder sie thematisieren, die Absicht verfolgen den Handlungshorizont der EG/EU als eigenständiges Ganzes sowohl innerhalb Europas als auch innerhalb der weltpolitischen Arena zu definieren.

Die Europäische Union möchte auch nach innen Identität vermitteln. Sie will von den Bürgern akzeptiert und legitimiert werden. Europäische Identität sollte als eine neue (kollektive) Dimension verstanden werden, um Nationalismus und Rassismus in Europa zu überwinden, ohne dabei in puren Ökonomismus und Institutionalismus zu verfallen (Pfetsch 2001). Das vorgegebene Ziel ist dabei deutlich: eine europäische politische Union. Angesichts dieser Zielsetzung wird die Frage nach der „Einheit in der Vielfalt” erst recht relevant. Denn dies bedeutet den Übergang vom Modell einer institutionellen, ökonomisch-rechtlichen zum Modell einer vernetzten und dezentralen Integration, die vor allem kulturell zu bestimmen ist.

Es ist gerade in dieser Hinsicht jedoch darauf hinzuweisen, dass der stark ausgeprägte technokratisch-bürokratische Charakter der EU die Bestimmung einer sozio-kulturellen Symbolik erschwert. Es fehlt namentlich derjenige gesellschaftliche Erfahrungs-, Handlungs- und Orientierungszusammenhang, d.h. diejenigen symbolisch ausgeformten kulturspezifischen Weltbilder, die in einem wissenssoziologischen Sinne die Subjekte dazu befähigen, sich gemeinsame Normen, Regeln, Rollen, zu bewältigende Aufgaben und Bewältigungsroutinen anzueignen (Schröer 1997). Trotz der stark mythologisierenden Darstellung Europas als wertegemeinschaftliche, gemeinschaftsidentitäre „politische Religion” und trotz einer gewissen Ritualisierung von Prozessen ist der Versuch zur künstlichen Erschaffung einer sowohl formalen als auch inhaltlichen europäischen Symbolik – europäische Fahne, Hymne, Europapass, EU-Führerschein, europäische Veranstaltungen, gemeinsame Währung, usw. – eher als oberflächlich und von einem substantiellen gemeinsamen Handlungs- und Orientierungszusammenhang weit entfernt zu beurteilen (Walkenhorst 1999).

Denn erfasst man Kultur als Programm, dann sind Riten, Symbole usw. nicht an sich wichtig, sondern ihre Interpretation und Bewertung in kognitiv-normativ-emotionalen Bezugsystemen (Schmidt 1999). Diese Bezugssysteme sind, wie bereits weiter oben erwähnt, innerhalb der Europäischen Union mangelhaft ausgestattet. Die bloße institutionelle Einführung einer gewissen Symbolik auf der Basis einer „Information” nützt in dieser Hinsicht nicht viel: Denn es fehlen die Vorstellungen und Ideen. Identifikationen produzieren Einstellungen, bloße „Informationen” erzeugen keine Ideen.

 

3. Das relationale und prozesshafte Verständnis einer europäischen Identität

Kommt man nun zu einer Gesamteinschätzung bedeutender Wesenszüge der Argumentationsweisen über das Fundament einer europäischen Identität, so geht es um den Versuch, gesellschaftliche Kollektivierung auf einer nunmehr supranationalen Ebene anhand von gemeinsamen Merkmalen zu konstruieren, d.h. primordial homogene Räume zu schaffen (Münch 1999). Dabei wird oft vergessen, dass nicht Einstellungen Identitäten, sondern Identitäten Einstellungen hervorbringen (Lilli 1998).

Oppositionell zu dieser maximalistischen Haltung wird dagegen behauptet, dass „Europas kulturelle Identität nicht allein in der Vielfalt zu suchen sei, sondern und sogar mehr noch in der Konfrontation von aufrechterhaltenen Spannungen zwischen Gegensätzen” (Buchheim, 2000 S. 18-19). Daher sei nicht nach einer dialektischen Zauberformel zur primordialen Synthese einer europäischen kulturellen Identität zu suchen, sondern nach einem Zugang zur Problematik, den man unter dem Begriff der „Dialogik” zusammenfassen kann. Während nach einer dialektischen Begründbarkeit der Identität, Selbst- und Andersheit, als eine unauflösliche Einheit gedacht werden (Dethloff 1993), sind es einer dialogischen Verstehensweise zufolge gerade gegensätzliche, reflexive, transfunktionale und plurale Prinzipien, die Europa in gewissem Sinne „kulturgenetisch” ausmachen. Dialogik bedeutet somit weniger Begründung, Beweisführung und Konklusion, sondern vielmehr Austausch, Verkehr, Gegenseitigkeit und Entgegenkommen, ja letztendlich lebendige und schöpferische Unruhe (Morin 1991, Lipp 1994). Dialogisches Verhältnis zwischen den einzelnen Bestandteilen des europäischen Integrationsprozesses bedeutet somit, dass diese sich verändern, wandeln, sich stets in Bewegung befinden. Stellt die Modellvorgabe eines dialektischen Verhältnisses dieser Bestandteile ein teleologisches Konzept dar, so lässt dagegen das dialogische Modell den Ausgang dieses immerwährenden Interaktionsprozesses offen. So muss die aktuelle Frage der Realisierbarkeit der Formel „Einheit in der Vielfalt”, die unmittelbar mit der Ausformung eines Europas der Bürger zusammenhängt, in entscheidendem Maße erweitert werden: „Der europäische Genius liegt nicht nur in der Vielfalt und im Wandel, sondern im (Wechselverhältnis) dieser Vielfalt..., (im) befruchtende(n) Aufeinandertreffen von Unterschieden, Antagonismen, Konkurrenzen und Komplementaritäten” (Lipp 1994: 622). Infolgedessen wird die Ansicht vertreten, dass eine Homogenisierung der kulturellen Identität für die Europäische Union nicht erforderlich ist (Lepsius 1999). Es genügt eine Vermittlung der Wertbeziehungen einzelner nationaler Kulturen. Eine europäische praxisbezogene Kulturpolitik kann daher nur als „Übersetzungspolitik” verstanden werden.

Schwengel plädiert für eine offene Definition des Selbst als Macht- und Identitätsquelle. Er übernimmt den von Morin stammenden Begriff unitas multiplex als Bezeichnung für einen ureuropäischen Pluralismus und hebt in seinem Konzept der europäischen Identität als Machtbildung, als anthropologische Basis der Europäisierung die Ambivalenzerfahrung und zwar als differenzierte und vitale Macht- und Identitätsbildung hervor. Die Aneignung der kulturellen europäischen Ambivalenzerfahrung entsteht dabei „nicht im Kontext theoretischer Welten, sondern in Schulen und Lehrbildung, Universitäten und politischer Öffentlichkeit” (Schwengel 2000:78).

Sobald die post-nationale Identität ihre Legitimität nicht mehr von der nationalen Geschichte oder von einer vermeintlich vorgegebenen nationalen Identität bezieht, sondern von der Gesellschaft, fällt die Nation mit der „societé” zusammen. Sie muss Werte hervorbringen und nicht den Staat als bloßen Verteiler und Verwalter betrachten. Darin besteht die Funktion der politischen Öffentlichkeit im Sinne Habermas´: Eine republikanische Gesinnung hervorzubringen. Nur sie kann die Identifikation der Nation mit der Verfassung leisten und dem Verfassungspatriotismus eine sittliche Substanz geben. Eine solche Sittlichkeit zu erzeugen ist die Aufgabe der europäischen Identität. Diese Sittlichkeit hebt allerdings nicht alle Differenzen auf, sie entsteht vielmehr aus der Entzweiung, aus der Dynamik der Krise und der Kritik (Raulet 2000).

Es geht also hierbei und im Gegensatz zu maximalistischen Definitionsversuchen einer europäischen Identität nicht darum, wie sich kulturelle Identität durch Annäherung und Assimilation oder durch Abgrenzung entstehen ließe, sondern darum wie die Bewertung der Differenzen zwischen heterogenen Kulturen, denen wir unsere eigene Identität verdanken, in der Zukunft ausfallen wird. Diese Identität wird eine stets neu zu konstruierende Identität sein müssen (Schmidt 1999). Die entscheidende Frage der europäischen Zukunft wird somit sein, wie viel und welche Verschiedenheit durch die symbolische Markierung einer Identität innerhalb des Identischen zugelassen wird (Eder 1999). Insofern muss europäische Identität als interkulturelle praxisbezogene Dialogfähigkeit und Kompetenz erfasst werden. Zur Substanz dieses „offenen” Prozesses gehört nicht Selbstbehauptung und Kontrolle, sondern Respekt, Kooperation und Dialog. Da nicht deterministisch, lässt dieser Prozess freien Raum für geschichtliche Gestaltung und Kreativität. Nur unter dieser Voraussetzung sind innerhalb europäischer Systemintegration Institutionen zu schaffen, die die Ressource der Vielfalt erhalten, „egal ob bei Obstsorten, kulturellen Mustern oder auch politischen Herangehensweisen” (List 1999: 305).

Anhand dieser Erkenntnisse bestünde die Aufgabe einer sozialwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit kulturellen Aspekten des europäischen Integrationsprozesses insbesondere darin die statischen, monolithischen Modelle europäischer Identität zu thematisieren, sie als unzureichend, ja teilweise als irreführend zu kritisieren, weil sie Identität teleologisch auffassen, Kultur entdynamisieren und entdramatisieren, indem sie sie als ein autonom-autarkes mobile perpetuum betrachten, das ohne die Banalitäten und Zwängen des Alltags, den immerwährenden Input-Output-Prozess bestehen kann. Sie hat in Bezug auf kulturelle Aspekte des europäischen Integrationsprozesses nicht in Kategorien der Vereinheitlichung zu denken, da eine derart aufgefasste Vereinheitlichung Ausschließungstendenzen fördert, sondern in Kategorien der Plurivalenz, der Transfunktionalität und Rekurrenz. Kurz: Die Kulturanalyse muss letztendlich die Spannung in die Betrachtungsweise mit einbeziehen (Lipp 1994a). Sie hat aufzuzeigen, dass Identität sich nicht planen lässt, sondern sich – wenn überhaupt – aus dem wechselvollen und langwierigen Prozess eines routinisierten Konfliktalltags, aus dem Wechselspiel zwischen Konsens und Dissens erwächst, wobei sie diesen Prozess aufrecht erhält. (Giesen, 1999, Eder 1999). Sie hat aufzuzeigen, dass „civility” nicht ohne die integrierende Wirkung des Streites, „der vorläufigen Lösungen und der immer mitlaufenden Kritik” zu denken ist (Giesen 1999: 144).

 

4. Kritische Demokratietheorie und europäische Identitätsbildung

Die weiter oben skizzierten maximalistischen und primordialen Haltungen können demnach einem vorpolitischen Verständnis von Gemeinschaft im Sinne einer Schicksalsgemeinschaft zugeordnet werden, worin die gemeinsame Herkunft, Sprache und Geschichte eine wichtig Rolle spielen. Relationale, dialogische Haltungen dagegen implizieren ein politisches Verständnis von Gemeinschaft, worin kollektive Identität nur in Verbindung zum demokratischen Prozess gedacht werden kann. Im letzteren Fall hat also nicht das Volk, sondern die Republik den Vorrang (Habermas 2001).3 Die Erfahrung des demokratischen Nationalstaates hat gezeigt, dass der Kreisprozess zwischen Nationalbewusstsein und demokratischer Staatsbürgerschaft zu neuen Formen staatsbürgerlicher Solidarität geführt hat. Sie hat uns allerdings auch gelehrt, welche die empirischen Voraussetzungen es sind, die zu solchen Formen führen können. Auf den Prozess einer europäischen Identitätsbildung übertragen, wären diese Voraussetzungen: 1. Eine europäische Bürgergesellschaft, 2. eine europaweite politische Öffentlichkeit und 3. die Schaffung einer gemeinsamen politischen Kultur. Auf die Erfüllung dieser Voraussetzungen wird die Verabschiedung einer europäischen Verfassung hin zu einer möglichen föderalen Form einer künftigen politischen Union sicherlich katalysathorisch wirken. Die EU würde in diesem Fall den aus dem Nationalstaat bekannten Kreisprozess, der den demokratischen Staat und die Nation hervorgebracht hat, reflexiv auf sich selbst anwenden. Das hätte Auswirkungen sowohl was die Machtverschiebungen innerhalb des institutionellen Rahmens der EU angeht (Kommission, Rat, Parlament) als auch was die Formation einer europaweiten politischen Öffentlichkeit und Bürgergesellschaft anbelangt.

Dieser letztere Punkt wird allerdings besonders kontrovers diskutiert, wobei die Meinungen weit auseinander gehen. Er soll an dieser Stelle kurz skizziert und auf die Perspektive einer europäischen Verfassung als Rahmen zur Institutionalisierung einer europäischen Identität bezogen werden.4

Die Thematik der politischen Union ist unmittelbar mit der Frage der demokratischen Legitimation exekutiver Gewalt innerhalb der EU und darüber hinaus mit der Feststellung eines bedeutenden Demokratiedefizits ihrer Strukturen verbunden (List 1999). Am Beispiel des Nationalstaates wissen wir, dass demokratische Legitimation aus der Wechselwirkung zwischen institutionalisierten Beratungs- und Entscheidungsprozessen und informeller Meinungsbildung in der öffentlichen Kommunikation hervorgeht. Im Fall der EU wird somit der Übergang von den internationalen Verträgen, die sie konstituieren, zur nächsten Etappe einer gesetzgebenden europäischen Verfassung als äußerst problematisch eingestuft, da ein europäisches Volk, also eine Nation von Staatsbürgern, nicht vorhanden ist, das dies konstituieren könnte. Von den drei Aspekten demokratischer Legitimation (Output-, Input- und der sozialen Legitimation), ist es also die Dimension der sozialen Legitimation, die hier demnach von unmittelbarem Interesse wäre.

Soziale Legitimation gemäß der nationalstaatlichen Vorgabe ist an drei Aspekten festzumachen: an zivilgesellschaftlichen Strukturen, am Grad der gesellschaftlichen Homogenität und des kollektiven Bewusstseins. Anders als beim Nationalstaat kann nicht verkannt werden, dass aufgrund der Sprachenvielfalt, vor allem aber der Divergenz der Sinnbezugssysteme, die Herausbildung einer europäischen transnationalen Öffentlichkeit stark leidet und zu einem partizipativen Defizit bei den Unionsbürgern führt. Die Divergenz der nationalen historischen Erfahrungen, Sichtweisen, Institutionen usw. führt zwangsläufig zu mehr Heterogenität auf europäischer Ebene als dies innerhalb nationaler Gesellschaften der Fall ist.

Innerhalb dieser Diskussion reklamiert jedoch Bach in seiner Betrachtung des Legitimationsproblems der EG/EU die starke normative Bindung an nationalstaatliche Vorlagen, wenn es darum geht Demokratiedefizit innerhalb des institutionellen Rahmens der EG/EU zu beurteilen (Bach 1999). Er geht vielmehr von systemeigenen Wertbegründungen, Funktionszusammenhängen und institutionell-politischen Prozessbildungen der europäischen Integration aus. Er unterscheidet streng zwischen Legitimationsproblem und Demokratiedefizit. „Die Frage nach der Legitimität eines politischen Systems ist nicht identisch mit derjenigen nach seiner demokratischen Verfasstheit” (Bach 1999: 83). Die Basis seiner Argumentation sind zunächst Merkmale technokratischer Regime: Bedeutungszunahme der staatlichen Exekutive, Autonomisierung der administrativen Planungs- und Lenkungsinstanzen, zunehmende Bürokratisierung, Verwissenschaftlichung der Politik, Entpolitisierung der Rationalitätskriterien des Problemlösungsverhaltens der Entscheidungsträger. Sie führen unentwegt zu einem Legitimationsproblem und zwar als Prozess der Entdemokratisierung und Entpolitisierung „der parlamentarischen Demokratien infolge des Verlustes von Partizipations- und Kontrollinstanzen der Staatsbürger, sowie als Konsequenz der Substitution öffentlich-diskursiver Willensbildung durch Experten- und Beamtenentscheidungen (Bach 1999: 81). In diesem Sinne betrachtet er die EU als ein technokratisches Regime sui generis. Er geht jedoch von keiner Legitimationskrise in der EU aus. Im Gegenteil: Es herrscht Konsens über die Leitwerte der europäischen Einigung – Frieden und Sicherheit durch transnationale Kooperation, Wirtschaftswachstum durch Binnenmarktverwirklichung, Grenzabbau und Freizügigkeit. Als wichtigster Aspekt politischer Legitimation soll des Weiteren der Sachverhalt einer erweiterten, ständig wachsenden Handlungsfähigkeit der EU festgehalten werden. (Bach 1999: 85).

In Bezug wiederum auf die bisherige Beurteilung des sogenannten Demokratiedefizits, das sich auf die demokratische Legitimation der Entscheidungsprozesse innerhalb der EU bezieht, ist nach Bach ihre Prägung zu reklamieren, weil sie eben aus traditionellen politischen Legitimationsvorstellungen herrührt, die die politischen Kulturen und die Institutionenordnung der westeuropäischen Nationalstaaten prägen. Die Staatswerdung Europas wird somit mit nationalen Leitbildern konfrontiert. Außerdem verstellt das Schlagwort über das Demokratiedefizit den Blick auf die historische Einzigartigkeit des Regimes der EU. Es handelt sich, nach Bach, um eine politische Institutionenordnung sui generis (Bach 1999: 85-87). Erkennt Bach somit im europäischen Vertragswerk als Hauptinstrument und Integrationsmotor der europäischen Rechtsangleichung eine prinzipielle Prozess- und Zielorientiertheit, aus der folglich ein teleologisches Integrationsprinzip abzuleiten wäre (Bach 1999: 108), so bleibt bei ihm nichtsdestoweniger die katalysatorische Wirkung eines verfassungsgebenden Prozesses in Bezug auf die demokratische Legitimation von europäischer Integration unberücksichtigt. Gerade in Bezug auf die Herausbildung einer europäischen Bürgergesellschaft und politischen Öffentlichkeit und angesichts der bereits weitgehenden „Ver-Verbandlichung” (List 1999: 290) der EU-Politikprozesse und der Europäisierung der Verbandstätigkeit, wird ein verfassungsgebender Prozess und die dazu gehörige intergesellschaftliche Kommunikation zwangsläufig eine Verlagerung der national begrenzten soziopolitischen Aktivitäten nach Brüssel und Strassburg bewirken, woraus eine Bündelung transnationaler korporativer Interessen und partikularer Wertorientierungen entstehen könnte (Habermas 2001). Dies hätte Auswirkungen auf das Entstehen einer europäischen politischen Öffentlichkeit und Bürgergesellschaft, da die nationalen Kommunikationsräume sich füreinander öffnen würden. Aktuelle Debatten der letzten Jahre (BSE-Krise, Korruptionsvorwürfe gegen die Kommission, die Thematik Türkei) haben diese Option bereits in die Praxis umgesetzt. Die Formation einer europäischen Öffentlichkeit und Bürgergesellschaft bedarf jedoch wiederum einer gemeinsam geteilten politischen Kultur. Was sind aber die relevanten und richtungweisenden Elemente dieser Kultur und was genau bedeuten sie in dieser Gesamtkonstellation im Hinblick auf den europäischen Identitätsbildungsprozess?

Es ist in dieser Hinsicht nicht unwichtig darauf hinzuweisen, dass die genuin europäische historische Erfahrung die Erfahrung der Ambivalenz ist. Diese schmerzliche historische Erfahrung aus Konflikten, Spannungen, Konkurrenzen, Feindschaften, Rivalitäten, Brüchen und Diskontinuitäten im europäischen Kontinent in ihrer sowohl innergesellschaftlichen als auch zeitlichen Dimension hat letztendlich all diejenigen abstrakten, rechtlichen Formen der staatsbürgerlichen Solidarität, die Einrichtung eines ideologischen und politischen Wettbewerbs der Parteien und die intellektuelle Aneignung von zum Teil gegensätzlicher Traditionen: Judentum, Christentum, Antike usw., ja den Januskopf der Moderne hervorgebracht. Die europäische Identität ist aber nicht ausschließlich in den Produkten dieser Errungenschaften zu sehen, sondern vor allem im schmerzlichen Lernprozess der Produktion dieser selbst. Diese historische Erfahrung ebnet den Weg zu einer europäischen postnationalen Demokratie, innerhalb deren, wie auch immer im Detail gearteten, föderalen Strukturen (Görner 1996, Walkenhorst 1997, Hrbek 2003), sowohl die Anerkennung national-kultureller Differenzen jenseits einer bloßen Assimilation oder Koexistenz als auch die Erschaffung von immer abstrakteren institutionellen Formen der „Solidarität unter Fremden” (Habermas 2001) zu gewährleisten sind.

Eine Europäische Union, die in ihren Strukturen der conditio humana gerecht wird, kann demnach nicht ohne oder gar gegen ihre Bürger verwirklicht werden. Eine demokratische Gemeinschaft dieser Bürger wiederum kann nicht auf der Basis einer „fiktiven” historischen Identität aufgebaut werden, sondern nur auf den gemeinsamen „Zukunftsvisionen” von Menschen unterschiedlicher Kulturen, denen es bewusst ist, dass sie den historischen Verlauf gemeinsam gestalten.

 

Literaturliste

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Anmerkungen

1

Die Ausführungen innerhalb dieses Beitrags entsprechen den bisherigen Erkenntnissen innerhalb des von der „Volkswagenstiftung” unterstützten internationalen Forschungsprojekts: „Europäische Integration und kulturelle Denk- und Wahrnehmungsmuster. Kulturelle Aspekte des EU-Erweiterungsprozesses anhand der Beziehungen EU-Türkei”, das der Autor an der Universität Konstanz durchführt.

2

Zieht man den Begriff „Einheit in der Vielfalt” zunächst einmal heran, so ist es nicht unwichtig auf seinen begrifflichen Ursprung hinzuweisen, der angesichts seines Einsatzes mit Bezug auf identitätsbezogene Prozesse von Bedeutung ist. Er impliziert die „ökologische” Interdependenz von Teilen eines gewachsenen, integralen Ganzen, so wie dies in der entsprechenden zunächst einmal aus naturwissenschaftlichen Diskursen entwickelten Auseinandersetzung der 80er Jahre manifestiert wurde (Boockhin 1985; Bateson 1983). Als zentraler Aspekt dieser weder linearen noch zyklischen Betrachtungsweise soll hier die Erkenntnis hervorgehoben werden, dass „ökologische Ganzheit das genaue Gegenteil unveränderlicher Homogenität, nämlich eine dynamische Einheit in der Vielfalt (ist). In der Natur stellen sich Gleichgewicht und Harmonie in einer sich fortwährend veränderten Differenzierung, in einer sich dauernd ausbreitenden Vielfalt her. Ökologische Stabilität ist nicht die Funktion von Einfachheit und Homogenität, sondern von Komplexität und Vielfalt. Die Fähigkeit eines Ökosystems, seine Integrität zu wahren, hängt nicht von der Einförmigkeit seiner Umgebung ab, sondern von ihrer Vielfältigkeit” (Boockhin 1985: 37).

3

Die Ausführungen innerhalb dieses Abschnitts beziehen sich auf diesen Text. Siehe auch Habermas 1994 S. 643 ff.

4

Es wird hierin die auf den Habermasschen diskurstheoretischen Öffentlichkeitsbegriff gestützte These von Eder/Kentner übernommen, wonach eine Öffentlichkeit erst dann besteht, wenn zur gleichen Zeit die gleichen Themen unter gleichen Relevanzgesichtspunkten kommuniziert werden. Auf der Basis dieser Prämisse wäre eine sich formierende europäische Öffentlichkeit durchaus zu beobachten (Eder und Kantner 2001). Eine skeptischere Haltung gegenüber einer sich bereits formierenden europäischen Öffentlichkeit vertritt Gerhards, siehe Gerhards 2001.