Begegnungen21_Vizi
Begegnungen
Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Band 21: 49–69.
BALÁZS VIZI
Die Europäische Union und die Minderheitensprachen1
1. Einführung
Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) haben im vergangenen Jahrzehnt immer mehr Gewicht auf die Vervollständigung der politischen Zusammenarbeit innerhalb der Union gelegt2, was jedoch nichts an der Tatsache änderte, dass die Union sich in zahlreichen politisch wichtigen, doch als heikel geltenden Fragen als unfähig zum einheitlichen und selbständigen Auftreten erwiesen hat.
Für eine derartige Frage kann das Verhältnis der EU auch gegenüber den nationalen oder ethnischen, religiösen oder sprachlichen Minderheiten gehalten werden. Die EU als politische Entität hat nur in beschränktem Ausmaß auf die in der europäischen Politik nach 1989 (wieder) auftretenden internationalen Minderheitenschutzbestrebungen reagiert, und die Akzeptierung der Rechte der in der EU lebenden Minderheiten gehört als Einheit und auf der Ebene der EU praktisch bis zum heutigen Tag in keinerlei Form zu den politischen Realitäten.
Der Prozess der europäischen Integration bedeutet grundlegend eine die Entfaltung des freien Wettbewerbs auf dem Markt und des einheitlichen Marktes selbst anstrebende wirtschaftliche Zusammenarbeit, deshalb zögern die Mitgliedstaaten, eine derartige Erweiterung der EU-Befugnisse der Rechte der nationalen oder kulturellen, sprachlichen Minderheiten auf der Ebene der Union zu formulieren, was im Grunde genommen eine politische Frage ist.3 Dennoch kann nicht behauptet werden, dass die Frage der Rechte der Minderheiten, vor allem der sprachlichen Minderheiten, überhaupt nicht auf der Tagesordnung stehen würde: seit Jahren taucht auf verschiedenen politischen und zivilen Foren die Frage der Regelung der Mindheitenrechte in der EU auf, außerdem berührt die Politik der EU – wenn auch nur in einer indirekten Form und marginal – die Minderheitsrechte doch. Da die Auswirkung der europäischen Integration auf die Politik, vor allem seit der Entstehung der Union, seit 1992 im Leben der Mitgliedstaaten und ihrer Staatsbürger heute und auch in der Zukunft immer determinierender sein wird, kann auch die innerhalb der Union zumindest in ihren Keimen erscheinende Minderheitenpolitik nicht außer Acht gelassen werden.
In der ersten Hälfte der 90er Jahre schufen die von den internationalen Organisationen, vor allem von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE)4, sowie dem Europarat formulierten internationalen Minderheitenschutzdokumente, so vor allem die die Minderheitenrechte betreffenden Deklarationen der OSZE5 , die Schaffung der Institution des Generalkommissars für Minderheiten der OSZE (1992), die Europäische Charta der Regional- und Minderheitensprachen des Europarates (1992), das Rahmenabkommen des Europarates über den Schutz der europäischen Minderheiten (1995) – und nicht zuletzt die Deklaration der UN-Generalversammlung über die Rechte der zu den nationalen oder ethnischen, religiösen und sprachlichen Minderheiten gehörenden Personen (1992) – haben für die international anerkannten Rechte der Minderheiten neue juristische und politische Rahmen geschaffen.6
Die Europäische Union als internationale Organisation (d. h. in vielen Hinsichten eher eine „über den Nationen” stehende, supranationale Organisation) hat an der auf dem Gebiet des Minderheitenschutzes begonnenen internationalen Zusammenarbeit und an den Kodifikationsprozessen nicht teilgenommen. Obzwar die Mitgliedstaaten der EU alle Mitglieder sowohl der UNO als auch des Europarates sind, und genau so auch an der Arbeit der OSZE teilnehmen, bekennen sich die Mitgliedstaaten in der Frage des internationalen Minderheitenschutzes zu sehr unterschiedlichen Meinungen. Deshalb konnte und kann man sich im Rahmen der EU nur schwer irgendein einheitliches und gemeinsames Auftreten vorstellen. Obzwar auch die französische und die griechische Regierung der KSZE/OSZE-Abschlussdeklaration beigetreten sind, die die Existenz der auf ihrem Territorium lebenden Minderheiten leugnete, haben nicht alle EU-Mitgliedstaaten die Minderheitenschutzabkommen des Europarates unterstützt, die auch völkerrechtliche Verpflichtungen bedeuten: so hat sich unter Anderem Frankreich nicht dem Europarat-Rahmenabkommen angeschlossen, hat Griechenland den Vertrag nicht ratifiziert, bzw. aus ganz anderen Gründen Belgien, die Niederlande und Luxemburg nicht.7 Außer den aufgezählten Beispielen gibt es auch grundlegende Unterschiede in der Praxis des Minderheitenschutzes der Mitgliedstaaten, wie auch in der Beurteilung der effizienten und akzeptierbaren Mittel des Minderheitenschutzes, so ist z. B. weder im Europäischen Rat, noch in der Kommission aufgetaucht, dass die EU gemeinsame Verpflichtungen des Minderheitenschutzes eingehen soll. Doch hat auch dies nicht ausgeschlossen, dass im Namen der EU die Kommission, oder der Rat sich (vor allem in außenpolitischen Zusammenhängen) in Fragen des Minderheitenschutzes äußern solle.
All das verweist an sich darauf, dass man innerhalb der EU die Frage der Anwendung, der Übernahme des auf anderen Foren, in anderen internationalen Organisationen formulierten Standards des europäischen Minderheitenschutzes aufwerfen kann.8 Die (auch) die Minderheiten berührenden politischen Maßnahmen der EU können in vier Gruppen eingeteilt werden:
– die die sprachlichen Minderheiten fördernden direkten und über die Kulturpolitik indirekt wirkenden Maßnahmen,
– die auch die Minderheiten berührenden Beziehungen der regionalen Politiken,
– die gegen die Diskrimination gerichteten Maßnahmen der Union, sowie
– die in der Außenpolitik auftretenden Maßnahmen zum Minderheitenschutz.
2. Über die auch die Minderheiten berührende Politik der EU im Allgemeinen
Die EU nähert sich der Minderheitenpolitik von mehreren Gesichtspunkten aus ambivalent: obwohl die Union, seit der Annahme des Vertrages von Maastricht (Vertrag über die Europäische Union) im Jahre 1992 der Deklaration der sich in der kulturellen, sprachlichen und regionalen Vielfalt äußernden Einheit eine besonders große Aufmerksamkeit zuwendet,9 zeigt aber die Praxis, dass dies eher nur ein Bestandteil der politischen Rhetorik ist und in der Tätigkeit der EU kaum zur Geltung kommt.
Andererseits fällt jenes doppelte Maß auf, das von der EU bei der Anerkennung der Forderungen der außerhalb und innerhalb ihrer Grenzen lebenden Minderheiten angewendet wird. Vom Anfang der 1990er Jahre an kann in der außenpolitischen Rhetorik der EU kontinuierlich der Anspruch auf die Achtung der Rechte der in Drittländern lebenden Minderheiten erkannt werden. Am markantesten äußerte sich diese Erwartung in der Anregung und Unterstützung des Europäischen Stabilitätsabkommens (1995) und des Stabilitätsabkommens in Südosteuropa (1999) sowie in dem Fakt, dass der Minderheitenschutz sich in der Erhebung auf den Rang des Beitrittskriteriums geäußert hat.10 Dennoch hat es den Anschein, dass die Förderung des Minderheitenschutzes für die Union in erster Linie ein der politischen Stabilität des europäischen Kontinents dienendes außenpolitisches Ziel und Mittel ist, das im Grunde genommen keinen Einfluss auf die interne Minderheitenpolitik der EU (genauer gesagt auf deren Nichtvorhandensein) hat.11
Es muss erwähnt werden, dass vom Gesichtspunkt des Schutzes der Minderheiten aus auch der gegen die Diskriminierung gerichteten Politik der EU eine Bedeutung zukommt. Das Verbot der benachteiligenden Diskriminierung schafft entsprechend den wirtschaftlichen Grundprinzipien der Union die Freiheit des Arbeitsmarktes, die gleichen Chancen auf dem Arbeitsmarkt, zur gleichen Zeit bedeutet sie auch die Erweiterung der sozialen Rechte. Deshalb lastete auch von mehreren Seiten her ein Druck auf dem Rat im Interesse der Einführung eines Artikels gegen die Diskriminierung, wozu es schließlich im 1999 in Kraft getretenen Vertrag von Amsterdam kam.12 Der Artikel 13 ermächtigt den Rat, „die entsprechenden Maßnahmen zu treffen im Interesse des Kampfes gegen die Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, der Rasse oderder ethnischen Herkunft, der Religion oder einer anderen Überzeugung, der Behinderung, des Lebensalters oder der sexuellen Einstellung”. [Hervorhebung des Autors] Es kann festgestellt werden, dass die auf der Zugehörigkeit zu einer sprachlichen Gemeinschaft beruhende Diskriminierung in der Aufzählung nicht enthalten ist, obzwar in den Mitgliedstaaten der EU sprachliche Minderheiten in großer Zahl leben, die, was ihren Sprachgebrauch, die Aneignung ihrer Muttersprache anbelangt, häufig eine benachteiligende Diskriminierung erdulden müssen.13 Zur gleichen Zeit zeugt von der Bedeutung dieses Artikels, dass die Kommission im Jahre 1999 dem Europäischen Parlament ein Anti-Diskriminierungs-Paket vorgelegt hat, das dem Rat die Ausarbeitung von drei Direktiven vorgeschlagen hat. Von diesen ist eine, die sogenannte „Rassische Direktive”, auf die Diskriminierung auf rassischer oder ethnischer Grundlage gerichtet. Die Direktive spricht aus, dass das Prinzip der Gleichbehandlung „die Mitgliedstaaten nicht darin hindert, jene besonderen Maßnahmen beizubehalten oder zu ergreifen, die der Vorbeugung oder der Kompensierung der mit dem rassischen oder ethnischen Ursprung zusammenhängenden Benachteiligungen dienen.” (Artikel 5). Das bedeutet, dass die zum Schutz der Minderheitenrechte angewendete positive Diskriminierung auch im Sinne der Rassischen Direktive nicht gegen das Recht der Individuen auf Gleichbehandlung verstößt.
Als ähnlich widersprüchlich kann scheinen, dass in dem Fall, wenn wir von der die Minderheiten berührenden regionalen Politik der EU sprechen, am meisten von der Anerkennung der regionalen Kulturen durch die Union, von (obzwar viele sagen, dass es nur scheinbar ist) ihrer Unterstützung die Rede sein kann (vgl. den Vertrag über die Europäische Union Artikel 151), was nur die Entwicklung der Kultur einiger territorial homogenen regionalen Minderheiten unterstützen kann. Die Anerkennung der regionalen kulturellen Vielfalt der Mitgliedstaaten (auf politischer Ebene durch die Gründung des Ausschusses der Regionen, auf wirtschaftlicher Ebene z. B. über den regionalen Entwicklungsfonds /ERDF/), scheint einerseits die territorial homogenen Minderheiten zu fördern – wenn das von ihnen bewohnte Gebiet mit der geförderten Verwaltungsregion identisch ist,– andererseits widerspricht es bis zu einem gewissen Grade jenem in anderen Politiken zur Geltung kommenden Grundprinzip, das das Individuum und nicht die Gemeinschaft für die Schlüsselfigur der Gesellschaft mit der freien Marktwirtschaft hält.14 Zur gleichen Zeit wird die kulturelle und sprachliche Vielfalt der Mitgliedstaaten durch die im Jahre 2000 angenommene Europäische Charta der Grundrechte der EU gefestigt, die in ihrem Artikel 22 Folgendes beinhaltet: „Von der Union wird die kulturelle, religiöse und sprachliche Vielfalt geachtet.”15
3. Die Union und die sprachlichen Rechte der Minderheiten
Innerhalb der Union können gegenwärtig die meisten positiven Maßnahmen in Bezug auf die sprachlichen Rechte der Minderheiten verzeichnet werden. Die Ursache hierfür ist zum Teil, dass die Förderung der sprachlichen Rechte oder der Minderheitensprachen auch als kulturelle Aufgabe aufgefasst werden kann, und das kann im Sinne von Artikel 151 des Vertrages über die Europäische Union auch in den Bereich der Union fallen. Auf dem Gebiet der Kulturpolitik verfügt die EU über eine ergänzende Befugnis gegenüber den Mitgliedstaaten, d. h. in den von den Mitgliedstaaten nicht geregelten Fragen besteht die Möglichkeit, dass die Union Maßnahmen ergreift. Der Artikel 151 des Vertrages über die Europäische Union fordert die EU auf, einen Beitrag zu leisten „zum Aufblühen der Kultur der Mitgliedstaaten, und dabei ihre nationale und regionale Vielfalt in Achtung zu halten.” Der Artikel geht auch darauf ein, dass die Union „im Laufe ihrer auf dem Vertrag beruhenden Maßnahmen die kulturellen Gesichtspunkte berücksichtigt.” Gegenüber die praktische Bedeutung dieser Erklärung und ihrer Durchführung sind aber viele sehr kritisch eingestellt, und mehrere Autoren brachten ihre Meinung zum Ausdruck, dass die Achtung der kulturellen Vielfalt und innerhalb dieser der Kultur der Minderheiten gegenwärtig nichts anderes ist als die politische kosmetische Schönmacherei, die die betroffenen Minderheitengemeinschaften beruhigen wollen.16 Dennoch ist es wichtig festzuhalten, dass die politische Darstellung des Europas mit mehreren Kulturen als Wert auch auf die Minderheiten eine günstige Wirkung haben kann.
Auf dem Gebiet der Kultur hatten (zum Teil auch schon vor Maastricht) zahlreiche Programme begonnen, die neben anderen Zwecken finanzielle Förderungen zur Verfügung stellten für Forschungen im Zusammenhang mit den Minderheitensprachen, für Unterrichts- und Übersetzungsprojekte, die der Bewahrung und Entwicklung solcher Sprachen dienten.17
Darüber hinaus kann auch ein implizit zur Geltung gelangendes theoretisches Herangehen dahinter stecken, dass die Anregungen innerhalb der EU eher die Minderheitensprachen und nicht ausdrücklich die nationalen oder ethnischen, kulturellen Minderheiten benennen. Einerseits wäre es aller Wahrscheinlichkeit nach schwer, den Widerstand der die auf ihrem Territorium lebenden Minderheiten nicht anerkennenden Mitgliedstaaten gegen jedwede Initiative der EU-Kommission oder des EU-Rates zu überwinden, die auf die Gemeinschaften der Minderheiten gerichtet wäre. Noch dazu mit Rücksicht darauf, dass der Begriff der „nationalen Minderheit” der am meisten „durchpolitisierte” Minderheitenbegriff ist, der auch auf die politische Mobilisierung der Minderheit verweist, in einem besseren Einklang damit steht die kulturelle, sprachliche Annäherung an die von der EU verkündeten Zielsetzungen.18
Es lohnt sich aber auch hier festzustellen, dass die auf den verschiedenen Foren der EU entstandenen Dokumente inkonsequent die Begriffe „Regional- oder Minderheitensprachen”, „weniger verbreitete Sprachen” und sonstige Varianten von diesen gebrauchen. Gegenwärtig haben aber in Europa die Sprache und der Sprachgebrauch nicht nur eine kulturelle, sondern auch eine große soziale und wirtschaftliche Bedeutung. Bei der relativen Schwächung der Staaten kann die zunehmende Rolle der Individuen, Organisationen und Unternehmen auf diesen Gebieten die Regelung auf der Gemeinschaftsebene der den Sprachgebrauch betreffenden Fragen besonders wichtig machen. Die Akteure der Gesellschaft (und von diesem Gesichtspunkt aus der Mehrheitsgesellschaft) scheinen noch weniger empfindlich zu sein als die Staaten in Bezug auf die Kompensierung der aus dem Minderheitensprachgebrauch resultierenden Nachteile. Hinsichtlich der Politiken und des Rechts der EU kann auch die Frage des Sprachgebrauchs vor allem vom Gesichtspunkt der Gleichberechtigung des Marktes und der Konsumenten aus relevant sein. Das kann auch in dem Fall zutreffen, wenn dies heute weder von der Institution des sich herausbildenden EU-Staatsangehörigen noch von den eventuell damit zusammenhängenden grundlegenden EU-Rechten (s. die Arbeiten der Kodifizierung der Europäischen Charta der Grundrechte) eindeutig untermauert wird.
Von Shiubhne wurde der Grund für die Erfolglosigkeit der innerhalb der EU entstandenen Initiativen des Minderheitenschutzes (vor allem aus der Analyse der bezüglichen Beschlüsse des Europäischen Parlamentes gelangt er zu diesem Schluss) nicht nur in dem Mangel an politischem Willen, der sich von Seiten der Mitgliedstaaten äußert, gefunden, sondern auch in der sich dahinter verbergenden Desinteressiertheit, dernach der Minderheitensprachgebrauch vom Gesichtspunkt der wirtschaftlichen Integration aus nicht relevant ist. Demgegenüber darf man aber nicht vergessen, dass die lokalen Gemeinschaften sich immer direkter an das Marktnetz der EU anschließen zu einer Zeit, in der die Bedeutung der Kommunikation bedeutend zugenommen hat. Wie es z. B. auch 1996 vomEuromosaic-Bericht19 nachgewiesen wurde, üben die wirtschaftlichen Beziehungen einen determinierenden Einfluss auf den Sprachgebrauch aus, diese beschränken vor allem die Möglichkeiten des Fortbestehens der gefährdeten Minderheiten- und Regionalsprachen. Da die Mitgliedstaaten heute einzeln und für sich nicht mehr fähig sind, die ungünstigen Folgen der immer mehr zunehmenden Auswirkungen der Integration auszugleichen, ist auf diesem Gebiet das Auftreten des wichtigsten wirtschaftlichen Stimulators, der Union, nicht mehr nur der gute Wille, sondern auch die Frage der juristischen Verantwortung (falls wir die Bewahrung der sprachlichen, kulturellen Vielfalt ernst nehmen wollen).
Darüber hinaus ist die Anwendung des Acquis communautaire auch mit „Nebenwirkungen” verbunden, die im Leben des Individuums bei Weitem nicht für Nebensachen gehalten werden können. Auf den Gebieten, wo die Gemeinschaftspolitiken und die Politiken der Mitgliedstaaten nebeneinander, als Ergänzungen voneinander existieren (z. B. auf dem Gebiet der Kultur), ist es nicht gleichgültig, ob die von der Union deklarierten Ziele auch in den Politiken der Mitgliedstaaten zur Geltung kommen. Nicht jeder Mitgliedstaat ist da angelangt, dass er die Verantwortung für die Pflege der regionalen und kulturellen Vielfalt auch auf die Minderheiten erweitert hat. In der politischen Ausdrucksweise der EU-Institutionen ist diese Frage zwar schon aufgetaucht, doch ist die Antwort, die Anwendung welcher Instrumente möglich gemacht werden, heute noch schwer zu finden.20
4. Die Beschlüsse des Europäischen Parlaments in Bezug auf die sprachlichen Minderheiten
Von den leitenden Organen der EU (Rat, Kommission und Parlament) hat sich mit den Rechten der sprachlichen Minderheiten mehrmals vor allem das auch politisch sensible Themen übernehmende Europäische Parlament sogar in mehreren Beschlüssen beschäftigt. Diese Beschlüsse sind juristisch gesehen nicht verpflichtend, was einerseits die Verabschiedung im Parlament erleichterte, andererseits ist hier eigentlich von so allgemeinen Empfehlungen die Rede, die keine konkreten, Rechenschaft fordernden Kompetenzen festlegen, sondern die für die Mitgliedstaaten oder für die Kommission verschiedene Vorschläge zum Ergreifen von Maßnahmen auf dem Gebiet des Minderheitenschutzes formulieren.21
Der Beschluss aus dem Jahre 1981 über die Gemeinschaftscharta der Regionalsprachen und -kulturen und der Beschluss über die Charta der Rechte der ethnischen Minderheiten (die sogenannte Arfé-Resolution)22 hält in seiner Präambel fest, „[das Europäische Parlament] ist engagiert für die Schaffung der engeren Einheit zwischen den Völkern Europas und für die Bewahrung ihrer lebenden Sprachen, aufbauend auf die Vielfalt, damit diese ihr gemeinsames kulturelles Erbe bereichern und vielfältig machen.” Der Beschluss verweist zugleich darauf, dass es auch das Wiederaufleben der Regionalsprachen und -kulturen sowie der Bewegungen der unterschiedlichen ethnischen und sprachlichen Minderheiten notwendig machte, dass sich das Parlament gesondert mit dieser Frage beschäftigt. Der Beschluss aus dem Jahre 1981 ersuchte die nationalen und lokalen Behörden der Mitgliedstaaten, vom Kindergarten bis zur Universität den offiziellen Unterricht der regionalen Sprachen und Kulturen in den offiziellen Lehrplänen zu sichern; es solle der Zugang zu den lokalen Rundfunk- und Fernsehsendern und der freie Sprachgebrauch im öffentlichen Leben und in der Gesellschaft ermöglicht werden. Darüber hinaus ersuchte das Parlament die Kommission, die Gemeinschaftsrechtsnormen und Praktiken, die die Minderheitensprachen diskriminieren, einer Überprüfung zu unterziehen.
Der Beschluss blieb nicht ohne Ergebnis, als sein Ergebnis kam im Jahre 1982 das Europäische Büro der weniger verbreiteten Sprachen zustande (s. weiter unten), dennoch wurde im Jahre 1983 ein neuer Parlamentsbeschluss über „die getroffenen Maßnahmen im Interesse der sprachlichen und kulturellen Minderheiten” gefasst,23 in dem das Parlament die Kommission wiederum ersuchte, die im Beschluss aus dem Jahr 1981 angenommenen Maßnahmen einzuleiten, es machte darauf aufmerksam, dass in der EU ungefähr 30 Millionen Staatsbürger leben, deren Muttersprache eine Regionalsprache oder weniger verbreitete Sprache ist.
In zeitlicher Folge war der dritte, der im Jahre 1987 verabschiedete Beschluss der über „die Sprachen und Kulturen der regionalen und ethnischen Minderheiten der Europäischen Gemeinschaft”. In diesem forderte das Parlament, nachdem es wiederum seine Unzufriedenheit darüber zum Ausdruck gebracht hatte, dass es in der Angelegenheit der Minderheitensprachen keinerlei Fortschritte gegeben hatte, neben anderen Zielsetzungen die Mitgliedstaaten auf, a.) „die direkte Rechtsgrundlage des Gebrauchs der Regional- und Minderheitensprachen zu schaffen, vor allem auf der Ebene der Selbstverwaltungen in jenen Gebieten, wo Minderheitengruppen leben”; b.) „solche nationale Verfügungen und die Praxis zu überprüfen, die die Minderheitensprachen nachteilig diskriminieren”; c.) die „dezentralisierten und zentralen Regierungsorgane dazu zu verpflichten, in den betroffenen Gebieten die nationalen, regionalen und Minderheitensprachen zu verwenden.” (Absatz 6) Die Empfehlung in Bezug auf den Gebrauch der Regional- und Minderheitensprachen ging noch auf die Sicherstellung der Familien- und Ortsnamen, auf die Konsumenteninformation, auf die Postdienstleistungen, die Straßen- und Gassennamen und die öffentlichen Aufschriften in den Minderheitensprachen ein (Absatz 9). Die wesentlichste Maßnahme des Beschlusses aus dem Jahr 1987 war jedoch die finanzielle Unterstützung der Minderheitensprachen, da vom Parlament aus dem Haushalt des Jahres 1988 eine Million ECU zweckgebunden absondert wurde.24
An die erwähnten Beschlüsse schließt sich noch der im Jahre 1994 angenommene Parlamentsbeschluss über die „sprachlichen und kulturellen Minderheiten der Europäischen Gemeinschaft” an.25 In diesem Beschluss sind auch schon die den internationalen Minderheitenschutz der 1990er Jahre stark beeinflussenden Veränderungen zu verspüren, so beruft sich der Beschluss in seiner Präambel bereits auf die Europäische Charta der Regional- und Minderheitensprachen des Europarates, auf die Abschlusserklärung der KSZE von 1990 in Kopenhagen sowie auf die Charta von Paris.26 Die Präambel besagt außerdem, dass die Entstehung des Beschlusses von Artikel 128 des Vertrages über die Europäische Union durch die eingegangene Verpflichtung zum Aufblühen der Kulturen der Mitgliedstaaten und zur Achtung der nationalen und regionalen Vielfalt angeregt wurde (Punkt A). Der Beschluss gibt bekannt, dass das Parlament für eine seiner Aufgaben die Bewahrung des sprachlichen Erbes von Europa hält, dazu gehört auch die Förderung der weniger verbreiteten und Minderheitensprachen (Punkt B) und besagt, dass die Bewahrung und Entwicklung der sprachlichen Vielfalt der Union ein Schlüsselelement der Schaffung des demokratischen und friedlichen Europas ist (Punkt F). Der Beschluss betont, dass sich der Begriff der Minderheitensprachen und -kulturen” auch auf jene Sprachen beziehen kann, „die in gewissen Mitgliedstaaten schon offiziell sind, die aber in den benachbarten oder anderen Mitgliedstaaten nicht die entsprechende Verbreitung oder den identischen Status erhalten” (Punkt O), die Ausdehnung kann vor allem für die irische Sprache gelten.
Im Beschluss aus dem Jahr 1994 fordert das Parlament die Mitgliedstaaten wiederholt zur Achtung der in den Beschlüssen von 1981, 1983 und 1987 enthaltenen Vorschläge und Grundprinzipien auf (Absatz 1), verleiht außerdem jener Überzeugung Ausdruck, „dass in den Mitgliedstaaten alle Minderheitensprachen und -kulturen mit dem entsprechenden rechtlichen Statut” zu schützen sind” (Absatz 3), welche Statuten zumindest Verfügungen treffen müssten „über den Gebrauch und die Unterstützung derartiger Sprachen und Kulturen auf dem Gebiet des Unterrichtswesens, der Rechtsprechung und der Verwaltung, der Massenmedien, auf dem Gebiet der geographischen Namen sowie auch auf anderen Gebieten des kulturellen und öffentlichen Lebens, ohne Vorbehalte gegen den Gebrauch der verbreitetsten Sprachen, wenn diese die Erleichterung der Kommunikation zwischen den Mitgliedstaaten oder in der gesamten Union sichern.” (Absatz 4) In dem Beschluss versichert das Parlament der Europäischen Charta der Regional- und Minderheitensprachen seine Unterstützung, außerdem fordert es jene Mitgliedstaaten, die es bisher noch nicht getan haben, zur Unterzeichnung und zur je rascheren Ratifizierung auf. (Absatz 6-7) Es fordert die Mitgliedstaaten und die betroffenen regionalen und lokalen Behörden auf, die zur Unterstützung der Minderheitensprachen und -kulturen, die in zwei oder mehr benachbarten Ländern existieren, die Möglichkeiten zur Gründung von sprachlichen Instituten über die Grenzen hinaus zu fördern. (Absatz 9) Das Parlament forderte außerdem die Kommission und den Rat auf, in ihrer Politik auf den ihrer Hoheit unterstellten Gebieten den Gebrauch und die Förderung der weniger verbreiteten Sprachen zu unterstützen. Dazu müssen auch aus dem Europäischen Regionalen Entwicklungsfonds (ERDF) Ressourcen zur Verfügung gestellt werden, außerdem sind diese Prinzipien auch in der Entwicklungs- und Beitrittspolitik der EU anzuwenden (Absatz 11). Der Beschluss dehnt diese Empfehlungen auch auf die nicht an ein konkretes Gebiet gebundenen, alten Minderheiten (hier sind die Roma und Sinti erwähnt) aus.
Darüber hinaus wurden vom Parlament zahlreiche Beschlüsse angenommen, die sich mit der Situation einiger konkreter Minderheiten beschäftigen. Dies waren überwiegend außenpolitischen Zielsetzungen dienende Beschlüsse, die die Aufmerksamkeit auf die Verletzung der Rechte der in Drittländern lebenden Minderheiten lenken, deshalb ist es überflüssig, sie hier vorzustellen.27
Der letzte Parlamentsbeschluss über die regionalen oder weniger verbreiteten europäischen Sprachen wurde von den Parlamentariern am 13. Dezember 2001 beim Abschluss des Programms „Europäisches Jahr der Sprachen 2001” verabschiedet.28 In diesem wurden wiederum die Empfehlungen der früheren Parlamentsbeschlüsse bestätigt, unter anderem werden auch die Erfahrungen des „Europäischen Jahres der Sprachen” ausgewertet. Die Präambel des Beschlusses hebt hervor, dass die Gemeinschaften der weniger verbreiteten Sprachen auch zur Debatte über die „Zukunft Europas” beitragen werden. Der Beschluss aus dem Jahr 2001 bekräftigt die Wichtigkeit des bis zum Lebensende währenden, für alle Staatsbürger erreichbaren Lernens der Sprachen als Grundlage der gegenseitigen Achtung der Kommunikation im multikulturellen, mehrsprachigen Europa. (Absatz 1-2) Die Kommission wird aufgefordert, Vorschläge zur sprachlichen Vielfalt und zur Unterstützung von dem Erlernen von Sprachen dienenden Maßnahmen zu unterbreiten (Abs. 4). Sie solle vor Ende des Jahres 2003 Schritte unternehmen, aufbauend auf die Erfahrungen des „Europäischen Jahres der Sprachen 2001”, zur Vorbereitung eines mehrjährigen sprachlichen Programms, indem in diesem Programm ein besonderer Fonds für die regionalen oder weniger verbreiteten Sprachen gesichert werden soll (Abs. 5). Außerdem werden der Rat und die Kommission aufgefordert, von den Beitrittsländern im Rahmen der Erweiterung die Achtung der Regional- oder Minderheitensprachen und -kulturen, die Einhaltung von Artikel 22 der Europäischen Charta der Menschenrechte, sowie das zu verlangen, dass die Beitrittsländer den für die Achtung der Minderheiten und der Menschenrechte geltenden Artikeln 1.1 und 1.2 der Jahresberichte (Regular Reports) entsprechen mit Rücksicht darauf, dass die EU „verantwortlich ist für die Entwicklung der Kulturen in den Mitgliedsstaaten und Beitrittsländern, und für die Bewahrung der sprachlichen Vielfalt innerhalb ihrer Grenzen”. (Abs. 6) Darüber hinaus wird die Kommission ersucht, für die zweckmäßige Verwendung der vom Parlament im Haushalt des Jahres 2002 zur Vorbereitung der zur Bewahrung und Förderung der regionalen und weniger verbreiteten Mundarten und Kulturen bestimmten Maßnahmen und für die Kontrolle der Verwendung zu sorgen (Abs. 7). Schließlich werden die Mitgliedstaaten wiederholt aufgefordert, die Sprachliche Charta des Europarates zu unterschreiben und zu ratifizieren. (Abs. 9)
Auf die Anregung des Parlaments wurde in den jährlichen Haushalt der EU (in jedem Jahr einzeln, doch seit zwanzig Jahren kontinuierlich) ein besonderer Budgetposten zur Unterstützung der regionalen oder Minderheitensprache aufgenommen. Die Budgetzeile B3-1000 sicherte für das Finanzjahr 2001 2,5 Millionen Euro „für Maßnahmen, welche auf die Förderung und den Schutz der regionalen oder Minderheitensprachen und -kulturen abzielen.”29 Die Förderung wird von der Kommission zur 50 %-igen Finanzierung von solchen Projekten verwendet, die die Verbesserung der Qualität des Erlernens und des Unterrichts der regionalen und Minderheitensprachen und den Informationsstrom in diesen Sprachen unterstützen. Der Haushaltsposten fördert jene alteingesessenen Minderheitensprachen, die in der EU von einem Teil der Bevölkerung traditionell gesprochen werden. Die Kommission wurde von mehreren Seiten aus bedrängt, dieses Programm im Hauthaltsrahmen der EU zu einem mehrjährigen Programm auszubauen (gegenwärtig arbeitet die EU an einem Haushaltsvoranschlag für sechs Jahre, der jetzige Haushalt dauert bis zum Jahr 2006), doch hat es in dieser Frage bis jetzt keinen Fortschritt gegeben.30
Auch der gegenwärtig zu diesem Zweck zur Verfügung gestellte Haushaltsposten kann nicht für großzügig gehalten werden, mit Rücksicht darauf, dass diese Summe nur einen Bruchteil des Haushalts der EU ausmacht und bei Weitem nicht dazu geeignet ist, allen Gemeinschaften der betroffenen Minderheitensprachen eine entsprechende Unterstützung zu gewähren.
5. Die von der EU geförderten Programme und Institutionen zum Minderheitenschutz
Vom Rat und von der Kommission der EU wurden selbständig und mit anderen Organisationen gemeinsam mehrere zum Schutz und zur Festigung der Minderheitensprachen geeignete Programme gestartet. Eines der größten Programme, das auch die Minderheitensprachen betrifft, wenn auch nur marginal, war das bereits erwähnte „Europäische Jahr der Sprachen”, das vom Parlament, vom Rat und von der Kommission im Jahre 2001 gemeinsam veranstaltet wurde.31 Das Ziel des Programms bestand unter anderem darin, den verschiedenen Sprachen Europas Raum zu bieten, um sich vorzustellen, damit in diesen Rahmen die sprachlichen Institutionen, Unterrichtsstätten offene Tage veranstalten, verschiedene Programme organisieren können; der 26. September 2001 wurde zum Tag der europäischen Sprachen deklariert und die EU übernahm die Cofinanzierung von anderen nationalen oder regionalen, auf lokaler Ebene initiierten sprachlichen Programmen zu 50%. Zwar wurden im Programm nicht die regionalen oder Minderheitensprachen benannt, doch wurde die Aktivität auch nicht ausgesprochen auf die offiziellen Sprachen beschränkt. Ziele des Programms waren, dass die Interessenten Lust für das Erlernen von Sprachen bekommen sollen, das über viele Kulturen verfügende Europa soll vorgestellt werden, die Möglichkeit des Sprachbeherrschens für alle soll bekannt gemacht werden. In diesem Rahmen wurde ein Jahr hindurch eine besondere informative Homepage betrieben, wurden von der Kommission Wettbewerbe im Sprachbeherrschen auf europäischem Niveau, zahlreiche zentrale Ausstellungen und kulturelle Ereignisse veranstaltet. Am Ende des am 18. Februar 2001 eröffneten und am 8. Dezember 2001 in Brüssel beendeten „Europäischen Jahres der Sprachen” fassten auch die Vertreter der Minderheitensprachen ihre Erfahrungen zusammen.32 Als allgemeine Meinung fasste Markus Warasin, der Generalsekretär des Europäischen Büros der weniger verbreiteten Sprachen, zusammen, was das Programm wieder vorgestellt hatte, dass die Union nicht nur von wirtschaftlichen Werten und Interessen zusammengehalten wird, sondern auch von der Achtung vor der kulturellen Vielfalt. Zugleich machte er darauf aufmerksam, dass obzwar das „Europäische Jahr der Sprachen” auf der europäischen Ebene diese Vielfalt repräsentiert hatte, dies in zahlreichen Mitgliedstaaten nicht zur Geltung kommt und die regionalen oder Minderheitensprachen den ihnen gebührenden Status nicht gewährt bekommen. Im Laufe der Auswertung wurde auch gesagt, dass es auf jeden Fall wichtig wäre, in einem derartigen Programm der Union die weniger verbreiteten Sprachen besonders hervorzuheben, weil dies in diesem Fall nicht durchgeführt wurde und die Erfahrung es zeigte, wenn die Ausschreibung des Programms für die Minderheitensprachen die Aufmerksamkeit nicht gesondert auf diese lenkt, so werden diese nur sehr schwer unter die geförderten Anregungen aufgenommen.33 Obzwar es zutrifft, dass es schwer wäre, im Rahmen dieses Programms nachdrücklich über die Förderung der regionalen oder Minderheitensprachen zu sprechen, wurde von den Vertretern der betroffenen Gemeinschaften diese Möglichkeit an sich positiv beurteilt und nach dem „Europäischen Jahr der Sprachen” haben sich die Aussichten auf den Start eines mehrjährigen Programms zum Schutz der Sprachen der Union verbessert.34
In Ergebnis des ersten Beschlusses des Parlaments von 1981 entstand im Jahre 1982 das Europäische Büro der weniger verbreiteten Sprachen (European Bureau for Lesser Used Languages – EBLUL) als unabhängige Non-Profit-Institution, dessen zugegebene Zielsetzung es ist, die sprachlichen Rechte der irgendeine regionale oder Minderheitensprache sprechenden 40 Millionen EU-Staatsbürger zu schützen und die Interessen dieser Gemeinschaften gegenüber den Institutionen der EU genau so zu schützen wie auch internationalen Organisationen gegenüber. Die Mitglieder des Büros sind solche Vereine und Institutionen, die auf dem gesamten Territorium der EU für die Förderung der Minderheitensprachen tätig sind. Die Tätigkeit des EBLUL wird zum größten Teil von der EU-Kommission finanziert, doch kann es natürlich auch als Nicht-Regierungs-Organ auch andere Ressourcen benutzen. Das Büro fasst seine Mitglieder in den einzelnen Mitgliedstaaten in Nationale Komitees zusammen (gegenwärtig sind – Griechenland ausgenommen – diese Nationale Komitees in allen Mitgliedstaaten gebildet), in den Fragen auf EU-Ebene tritt aber im Allgemeinen die Generalversammlung des Büros auf.35 Das Büro nimmt aktiv auch an der Diskussion über die „Zukunft Europas” teil.
Wie das Vorstehende ist aufgrund eines Parlamentsbeschlusses (der sogenannten Kujpers-Resolution im Jahre 1987) als gemeine Anregung der Europäischen Kommission und des EBLULs das MERCATOR-Programm entstanden.36 Das Programm besteht aus dem Netz von drei Forschungsinstituten, die den Unterricht der Minderheitensprachen, den juristischen Hintergrund des Sprachgebrauchs, die Fragen der Medien und der Zweisprachigkeit erforschen und über diese Gebiete umfassende Studien und Datenbanken erstellen.37 Die Koordinierung des MERCATOR-Programms wurde bis 1994 von EBLUL durchgeführt, seitdem gehört es zur Europäischen Kommission. Das Ziel des Programms ist, dass es gründliche, zuverlässige Informationen über den Zustand, die Lage, das gesellschaftliche und juristische Umfeld der Minderheitensprachen an die betroffenen Minderheiten genau so wie an die Mehrheitsnationen oder an die Regierungen vermittelt. Die Mitarbeiter der drei Forschungsinstitute wirken eng miteinander zusammen, halten systematisch Treffen ab und unterhalten Beziehungen zum EBLUL und zu anderen auf dem Gebiet der Minderheitensprachen tätigen Organisationen.
Die EU hat darüber hinaus Beiträge zur Publikation zahlreicher Studien geleistet, von denen das Projekt unter der Bezeichnung EUROMOSAIC herausragt, das unter Einbeziehung zahlreicher Forschungsinstitute und Wissenschaftler nach einheitlichen Gesichtspunkten und in einem vergleichbaren System Studien über die Lage der sprachlichen Minderheiten in der Union verfasst hat. Das Ergebnis von EUROMOSAIC wurde im Jahre 1996 von der EU in dem Abschlussbericht unter dem Titel „Über die Bildung und Erhaltung der Minderheitensprachen sprechenden Gruppen in der EU” veröffentlicht.38 In der Studie wurde von soziologischen und institutionellen Gesichtspunkten aus untersucht, welche Chancen die Minderheitensprachen zur Erhaltung, zur Reproduktion haben. Die Studie betont, dass ein auf seine Vielfalt stolzes Europa nur durch die Bewahrung der sprachlichen Vielfalt erhalten werden kann.39
Das Informationssystem Euroland wurde im Februar 2000 in Brüssel gestartet. Zweck der Internetdienstleistung ist es, die öffentliche Meinung sowie die nationale und regionale Presse mit genauen und authentischen Informationen, mit Nachrichten in den die sprachliche Vielfalt betreffenden Fragen zu versorgen. Euroland beschäftigt sich vor allem mit den Angelegenheiten und Nachrichten der regionalen oder Minderheitensprachen. Die Dienstleistung wird von EBLUL und der Generaldirektion für Kultur und Unterricht der EU gemeinsam unterhalten, an der Spitze steht eine selbständige und unabhängige Redaktion.40
6. Neue Aussichten?
Die Formulierung der Rechte der Minderheiten in einem Vertrag ist in der Union unerlässlich dazu, damit die beschlussfassenden Organe der EU (die Kommission und der Rat) wesentliche Maßnahmen zum Schutz der Minderheiten treffen. Mit Rücksicht darauf, dass die Minderheitenrechte gegenwärtig noch in keinem einzigen Artikel eines Vertrages erwähnt sind41 und dass auf die in den Programmen der Union übrigens vorkommenden Formulierungen zum Schutz der regionalen oder Minderheitensprachen nur gut meinet mittelbare Verweise zu finden sind (in erwähntem Artikel 128 des EU-Vertrags), erscheint sogar auf zwei Gebieten mit besonderem Akzent die Möglichkeit des Einbaues eines Artikels zum Minderheitenschutz in das Rechtsmaterial der Union.
Die Frage taucht ganz eindeutig in der gesellschaftlichen und politischen Debatte über die Zukunft Europas auf, so besonders in der Arbeit des Europäischen Konvents, der die Ausarbeitung der Verfassung der EU durchführt.42 Von der anderen Seite aus und zum Teil damit zusammenhängend taucht auf, dass die rechtliche Gültigkeit der im Jahre 2000 angenommenen, doch über keine eindeutige rechtliche Kraft verfügenden Europäischen Charta der Grundrechte sich ändern, fester werden kann. Die Charta wurde von den Vertretern der Regierungen der Mitgliedstaaten auf dem Gipfel des Jahres 2000 in Nizza zu dem Zweck angenommen, auch formal die tatsächliche Rechtsgleichheit innerhalb der Union zu schaffen, d. h. dass allen Staatsbürgern innerhalb der Union identische Rechte zustehen sollen, unabhängig davon, in welchem Mitgliedstaat sie leben. Im Laufe der vorbereitenden Arbeiten der Charta tauchte die Möglichkeit auf, die Minderheitenrechte in einem besonderen Artikel zu regeln. Dieser Vorschlag kam aber wegen des Widerstandes der französischen Regierung zu Fall.43 Dennoch wurde der die sprachliche und kulturelle Vielfalt unterstützende, vorstehend zitierte Artikel 22 der Charta von mehreren so interpretiert, dass er geeignet wäre, als Ausgangspunkt des Schutzes der Minderheitensprachen zu dienen.
Hier möchte ich die Aufmerksamkeit kurz auf zwei Möglichkeiten lenken. Die eine Frage ist die, die den juristischen Charakter der Europäischen Charta berührt, während die andere die Modifizierung der Charta, die neue Kodifizierung im Europäischen Konvent aufwirft. Auf dem Gipfel von Nizza hatten die Mitgliedstaaten den Vertrag von Nizza nicht in die Charta hinübergehoben, so wurde er auch nicht zum Bestandteil des Gründungsvertrages der EU. Zugleich wurde er von den Mitgliedstaaten einstimmig angenommen, was darauf schließen lässt, dass alle Mitgliedsaaten die Sicherstellung der darin enthaltenen Rechte gleichermaßen übernehmen können. Eine wesentliche Frage der Gültigkeit der Charta auf Unionsebene ist der juristische Charakter des Dokuments. Augenblicklich bieten sich zur eindeutigen Feststellung der juristischen Gültigkeit der Charta zwei Möglichkeiten: a) entweder wird die Charta von den Mitgliedstaaten auf irgendeinem nächsten EU-Gipfel in vertraglichen Form angenommen, oder b) der Europäische Gerichtshof akzeptiert sie in ihrer gegenwärtigen Form als Rechtsquelle, was ein eindeutiger Beweis für den rechtlichen Status der Charta wäre. Heute stehen beide Möglichkeiten offen, obzwar die unmittelbare Anwendung durch den Gerichtshof wahrscheinlicher zu sein scheint.44 Falls es zu letzterem kommt, besteht dann auch die theoretische Möglichkeit dazu, dass vom Gerichtshof die „Achtung der sprachlichen Vielfalt” unmittelbar auf das Recht des Gebrauchs der Minderheitensprachen angewendet wird.45 Zwar ist dies nicht mehr als eine rein theoretische Vermutung, auf jeden Fall hat aber der Gerichtshof mehrmals zum Ausdruck gebracht, dass er die Rechte des Gebrauchs der Minderheitensprache überhaupt nicht für unvereinbar mit dem Acquis communitaire hält.46
Zugleich lastet aber auf dem Konvent von Seiten der verschiedenen NGOs ein Druck, alles im Interesse der Aufnahme eines ausgesprochen zum Minderheitenschutz berufenen oder eines die Minderheitensprachen fördernden Artikels zu unternehmen. In der von EBLUL am 15. Juni 2002 angenommenen und an den Konvent weitergeleiteten Deklaration wird unterstützt, dass die Europäische Charta der Grundrechte in den neuen konstitutionellen Vertrag der Union übernommen soll.47 Der Konvent wird aufgefordert, Artikel 22 der Charta mit detaillierterem Gehalt zu füllen, der in seiner gegenwärtigen allgemeinen Formulierung nur schwer zu deuten ist. Es wird erklärt, dass für die die Regional- oder Minderheitensprachen sprechenden Sprecher die EU-Staatsbürgerschaft nur dann etwas bedeutet, wenn diese auch die weniger verbreiteten Sprachen effizient schützen kann. In diesem Interesse legte EBLUL auf Artikel 22 aufbauend auch einen Textvorschlag vor: Ein weiterer Artikel soll in die Charta eingefügt werden, der auf dem Gebiet des Minderheitensprachgebrauchs die Abstimmung der Praktiken der Staaten verlangen würde. Der Vorschlag geht des Weiteren auch darauf ein, dass der 13. Artikel des Amsterdamer Vertrages über das Verbot der Diskriminierung auch um das Verbot der benachteiligenden Diskriminierung auf den sprachlichen Grundlagen ergänzt werden müsste, außerdem wird vorgeschlagen, dass der Rat über die kulturellen Politiken in Artikel 151 statt der bisherigen einstimmigen Beschlussfassung mit der einfachen Stimmenmehrheit entscheiden könnte.48 Die Erklärung fordert den Konvent auf, ein mehrjähriges, die sprachliche Vielfalt festigendes Programm zu unterstützen, sowie lenkt sie die Aufmerksamkeit auf die Rolle der Zivilorganisationen in der Bewahrung der sprachlichen Vielfalt.
Auch von verschiedenen Parlamentsabgeordneten bzw. Abgeordnetengruppen gehen beim Konvent Vorschläge zum Schutz der Minderheiten ein.49 Auf der Tagesordnung des Konvents stehen aber noch keine konkreten Fragen, so kann man heute noch nicht wissen, ob diesem ähnelnde Vorschläge angenommen werden. In der gegenwärtigen Situation kann man nur behaupten, dass es weder bei dem Schutz der Minderheitensprachen, noch der sprachlichen Minderheiten durch die Union es solange eine gründliche Veränderung geben wird, bis die Mitgliedstaaten zu einem Konsens gelangen, und die Organe der Union in der Zukunft im vertraglichen Recht nicht zur Ergreifung derartiger Maßnahmen ermächtigt werden.
In der Gesamtheit kann diese Ermächtigung, also die Minderheitensprachen berührende Tätigkeit der EU, auf zwei Gebieten auftreten. In einem kleineren Maße auf dem Gebiet der supranationalen Rechtsschöpfung der EU, und mehr in der Koordinierung der sich auf die Mitgliedstaaten beziehenden Politiken. Obzwar von der EU in den letzten Jahren auch mehrere Programme zur Förderung der Minderheitensprachen gestartet worden sind (z. B. Bereitstellung von besonderen Ressourcen, Organisation des Programms des Jahres der Europäischen Sprachen), diese allein sind nicht zum effizienten Umgang mit den Problemen der Minderheitensprachen geeignet. Die Förderung der Sprachpolitiken von kulturellem Standpunkt aus kann zwar nützlich sein, doch kann sie an sich nicht die Erhaltung dieser Sprachen sicherstellen. Die koordinierende Rolle der EU dagegen ist auf dem Gebiet der sprachlichen Politiken der Mitgliedstaaten zu empfindlich und scheint juristisch ein wenig fundiertes Unternehmen zu sein. Obzwar das Europäische Parlament in den juristisch nicht obligatorischen Entscheidungen dafür eingetreten ist, dass die Abstimmung der Politiken in Bezug auf die Minderheitensprachen und die sprachlichen Rechte der Minderheiten die gemeinsame Verantwortung der Mitgliedstaaten sein soll, hat der das gültige Recht wirklich anwendende Europäische Gerichtshof seine Meinung noch nicht so eindeutig ausgearbeitet. Früher analysierte er jede sprachliche Frage ausschließlich in den Kategorien der Diskriminierung und der Unvereinbarkeit mit dem EU-Recht und begann erst in der letzten Zeit in derartigen Urteilen sich auf die Grundprinzipien und die Werte der EU zu berufen.50
Wie Shuibhne formuliert, ist in den Fragen im Zusammenhang mit den Minderheitensprachen das grundlegende Problem dasselbe, wie die in der gesamten Tätigkeit der EU zu findende Unsicherheit: was wird aus der Union, was wird die Zukunft der Integration werden? Mit Rücksicht darauf, dass die Schaffung der „Superstaates”, der europäischen Föderation auch auf lange Zeit fraglich ist, bleibt die wichtigste Frage bestehen: worauf erstreckt sich die Integration, und wo bleibt die Souveränität der Mitgliedstaaten erhalten. Unter den gegenwärtigen Umständen ist die Aufteilung der Kompetenzen zwischen der EU und den Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der kulturellen und sprachlichen Politiken eher verwaschen als effizient und eindeutig. Es sind zwar beinahe zehn Jahre vergangen, seitdem der Vertrag von Maastricht über die Europäische Union den aufgeteilten Kompetenzbereich in den kulturellen Politiken eingeführt hat, doch wirken die Initiativen der EU auf diesem Gebiet bis zum heutigen Tag als Neuigkeit und es kommt selten zu diesen. Die Kommission beruft sich auf das Prinzip der Subsidiarität, während die Mitgliedstaaten mit Freude auch weiterhin über den entscheidenden Teil der kulturellen und sprachlichen Politiken verfügen. Dies ist aber nur eine politische Aufteilung, würde doch das Recht den Organen der EU die Möglichkeit zu einem mutigeren und effizienteren Auftreten sichern.
Auf ähnliche Weise, wie es auch die Möglichkeit zur Erweiterung der mit der EU-Staatsangehörigkeit zusammenhängen Rechte geben würde, ohne dass die Institution der nationalen Staatsangehörigkeit wesentlich verändert würde, hatten die darauf abzielenden Bestrebungen bisher keinen Erfolg.
All das verweist darauf, dass die Mitgliedstaaten ihren politischen Willen auch mit Erfolg gegen die Interessen und Zielsetzung der Integration, oder gegen die diese befolgende und vertretende Kommission mit Erfolg durchsetzen können.
Man kann mit Shuibhne einer Meinung sein auch darin, dass das Verhältnis der Gemeinschaftspolitiken nur im Rahmen von umfassenderen, theoretischen Fragen gedeutet werden kann, ohne deren Beantwortung in der sprachlichen Politik der EU zwei wesentliche Elemente fehlen werden: das ist 1) die Kohärenz und 2) die prinzipielle Wegweisung. Und zwar ohne die Durchsetzung dieser beiden kann man sich weder die Bewahrung der Werte der sprachlichen Vielfalt noch die Schaffung der sprachlichen Sicherheit der Individuen vorstellen.51
Anmerkungen
1
Der Autor ist der Katholischen Universität Löwen zu Dank verpflichtet, da sie seine Doktorstudien im Studienjahr 2001/2002 auch durch ein Stipendium unterstützt hat.
2
Vgl.: Richardson, Jeremy (red.): European Union. Power and Policy-making. New York, 2002, Routledge. S. hierzu noch vor allem die auf die Institutionalisierung der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (Common Foreign and Security Policy - CFSP) gerichteten Bestrebungen. Die stärker werdende - und auch von Fiaskos nicht freie - Übernahme einer Rolle auf dem Gebiet der Außenpolitik widerspiegelt gut die Schwierigkeiten der ernsteren politischen Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten. Vgl.: Zielonka, Jan: Paradoxes of European Foreign Policy. The Hague, 1998, Kluwer Law International. Soetendorp, Ben: Foreign policy in the European Union : theory, history and practice. London, 1999, Addison Wesley Longman.
3
Vgl.: Toggenburg, Gabriel: The European Union’s Endeavours for Minorities. In: Trifunovska, Sezana (red.): Minority Rigths in Europa – European Minorities and Languages. The Hague, 2001, ACM Press. p. 210–211.
4
Bis 1994 Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE).
5
Pariser Charta für ein neues Europa (1990); Artikel 30-40 des Kopenhagener Dokuments der Konferenz der KSZE über die menschliche Dimension (1990), Abschnitt II und VI des Dokuments von Helsinki der KSZE (1992), Charta der Europäischen Sicherheit der KSZE (1999) - Artikel 19-27 des Teils über die menschliche Dimension.
6
S. hierzu ausführlicher: Cumper, Peter - Wheatley, Steven (red.): Minority Rights in the ‘New’ Europe. The Hague, 1999, Martinus Nijhoff. Benoit-Roluner, Florence: The Minority Question in Europa. Texts and Commentary. Strasbourg, 1996, Council of Europe Publishing. Trifunovska: op. cit.
7
Zustand vom 1. Juli 2002
8
Vgl.: Estébanez, María Amor Martín: The Protection of National or Ethnic, Religious and Linguistic Minorities. In: Newahl, N. - Rosas, A. (red.): The European Union and Human Rights. The Hague, 1995, Martinus Nijhoff. p. 133-135.
9
Romano Prodi, der Vorsitzende der EU-Kommission, wie auch andere Beamten der EU, verweisen mehrmals mit der Bemerkung „Europa ist das Europa der Minderheiten” auf jene kulturelle Vielfalt, was zur gleichen Zeit so verstanden werden kann, dass keine einzige Nation innerhalb der Union die Mehrheit bildet, und auch so, als ob dies die Anerkennung der Minderheiten innerhalb der einzelnen Mitgliedstaaten bedeuten würde. Es ist charakteristisch, dass auch bei dem Besuch von Romano Prodi im vergangenen Jahr in Ungarn dieser Satz von ihm zitiert wurde. MTI (Ungarische Nachrichtenagentur, 5. April 2001).
10
S. außerdem auf den Gebieten der Erweiterung und des Minderheitenschutzes: Liebich, André: Ethnic Minorities and Long-Term Implications of EU Enlargement. RSC Series 98/47. Florence, 1998, European University Institute. Friis, Lycke - Murphy, Anna: Negotiating in a Time of Crisis: The EU’s Response to the Military Conflict in Kosovo. RSC WP Series 2000/20, Florence, 2000, European University Institute. p. 1-5.
11
Vgl.: De Witte, Bruno: Politics versus Law in the EU’s Approach to Ethnic Minorities. RSC Series 2000/4, Florence, 2000, European University Institute.
12
Vgl.: Toggenburg: op. cit. p. 229-231.
13
Vgl.: EUROMOSAIC Report, Brussels, OOPEC, ISBN 92-827-5512-6
14
In Spanien z. B. Katalonien, das Baskenland, oder in Italien die einen spezifischen Status genießende Provinz Trentino-Alto Adige, und innerhalb dieser der Bezirk Bozen/Bolzano, ähnlich wie die zu Finnland gehörenden Aland-Inseln, die über eine umfassende Autonomie für die örtliche schwedische Minderheit verfügen, übt die Regionalpolitik der EU auf den ersten Blick einen positiven Einfluss auf die dort lebenden Minderheiten aus. Der Zugang zu den regionalen Förderungen, genau so wie der Zugang zu der Vertretung bei der Union im Ausschuss der Regionen kann auf jeden Fall so aufgefasst werden, dass dadurch auch die Positionen dieser Minderheiten gefördert werden. Dennoch lohnt es sich darauf aufzumerken, dass die von der Union geförderten Regionen nicht überall identisch sind mit den Siedlungsgebieten der regionalen Minderheiten, ganz zu schweigen davon, dass andere, territorial nicht homogene Minderheiten von diesen Politiken überhaupt nicht betroffen werden. Außerdem lohnt es sich hervorzuheben, dass das Ziel der regionalen Förderungen ausdrücklich nur die Förderung der wirtschaftlich benachteiligten Regionen ist. So wurden von den Mitgliedstaaten bei der Bildung der Regionen in erster Linie wirtschaftliche Gesichtspunkte berücksichtigt und am Förderungssystem änderte sich auch durch die Annahme des Artikels 128 des Vertrages von Maastricht nichts wesentlich. Vgl.: Biscoe, Adam: The European Union and Minority Nations. In: Cumper - Wheatley: op. cit. p. 89-91.; De Witte: op. cit. p. 17-20.
15
Dieser Artikel und die anderen möglichen Zusammenhänge mit dem Minderheitenschutz der Charta analysiert Guido Schwellnus: „Much ado about nothing?” Minority Protection and the EU Charter of Fundamental Rights. Constitutional Web-Papers, ConWEB No. 5/2001. http://les1-man.ac.uk/conweb
16
Vgl.: Biscoe: op. cit. p. 92-93. Zur integrierenden Rolle der Kultur vgl. ausführlicher: Mitsilegas, Valsamis: Culture in the Evolution of European Law: Panacea in the Quest for Identity? In: Bergeron, J. H. – Fitzpatrick, P. (red.): Europe’s Other: European Law between Modernity and Postmodernity. Dartmouth, 1998, Ashgate, p. 111-129. und De Witte, Bruno: The Cultural Dimension of Community Law. In: Collected Courses of the Academy of European Law, 1995. Vol 4. Book 1, p. 229-299.
17
Zu all dem gibt es die Möglichkeit im Rahmen des Programms KULTUR 2000, das heute die Programme ARIANE für das Buchverlagswesen und vor allem zur Förderung der Übersetzungen, das dem Schutz des europäischen kulturellen Erbes dienende Programm RAPHAEL und auch das Programm KALEIDOSKOP, das die künstlerisch-kulturelle Zusammenarbeit zwischen den Ländern fördert. http::/ /www.europa.eu.int/comm/culture/eac/c2000-index_en.html
18
Vgl.: P. R. Brass: Ethnicity and nationalism: Theory and Comparison. New Delhi, 1991, Sage. p. 11-41.
19
European Commission, Euromosaic: The Production and Reproduction of the Minority Language Groups in the European Union. (Luxembourg, Office for Official Publications of the European Communities, 1996)
20
Niamh Nic Shuibhne: EC Law and Minority Language Policy. The Hague, 2002, Kluwer Law International. p. 33–60.
21
Vgl.: Toggenburg: op. cit. p. 208-213.
22
Der Beschluss wurde aufgrund der Resolution von Gaetano Arfé vom Parlament am 16. Oktober 1981 angenommen. (OJ 1981 No. C 287, p. 106)
23
Der Beschluss wurde aufgrund des Berichts von Gaetano Arfé vom Parlament am 16. Oktober 1981 angenommen. (OJ 1983 No. C 68, p. 103)
24
Der Beschluss aus dem Jahre 1987 wird nach seinem Unterbreiter auch Kujpers-Resolution genannt. Später wurde im Parlament auch ein Bericht verabschiedet über die „Charta der Rechte der ethnischen Gruppen”, der von Graf Stauffenberg vorbereitet wurde, der aber aus unterschiedlichen Gründen im Plenum nicht eingebracht wurde, und dessen Idee seit dem Inkrafttreten der Europäischen Charta der Regional- und Minderheitensprachen des Europarates noch mehr in den Hintergrund getreten ist. Vgl.: Toggenburg: op. cit. 210
25
Der Beschluss wurde am 9. Februar 1994 aufgrund der sogenannten Killilea-Resolution angenommen. OJ No. C 61 (29. 2. 1994), p. 110-113
26
Die Erklärung der Pariser Charta der KSZE für ein Neues Europa wurde im Jahre 1991 angenommen.
27
Vgl. z. B. den „Beschluss über die Lage der Menschenrechte und der Minderheiten der Urbevölkerung in Argentinien” OJ 1997 No. C 115, p. 171, oder den „Beschluss über die Minderheitenrechte und den Schutz der Minderheitenrechte in Rumänien” OJ 1995 No. C 249, p. 157. Wie zu sehen ist, befassen sich diese Beschlüsse überwiegend mit in Ländern außerhalb der Union lebenden Minderheiten, die einzige Ausnahme ist vielleicht der Beschluss „Über die Diskriminierung der Roma” (S.: OJ 1995 No. C 249, p. 156), der die Kommission ohne territoriale Festlegungen dazu auffordert, Anstrengungen zu unternehmen, dass das Roma-Volk „sich in jene Gesellschaften integriert, wo es lebt”.
28
Der Beschluss war in der Online-Ausgabe des Official Journal im Juli 2002 noch nicht zugänglich. Der Text des Beschlusses ist zu finden unter: www.troc.es/ciemen/ mercator/48-3.htm
29
Früher war dies die Zeile B3-1006. S. http://europa.eu.int/comm/secretariat_general/ sgc/aides/forms/eac06_en.htm
30
Die bezügliche Mitteilung der Kommission ist zu finden: In: OJ 1999 No. C 125, p. 14.
31
Aufgrund des gemeinsamen Beschlusses des Parlaments der EU und des Europäischen Rates Nr. 1934/2000/EC.
32
Vgl.: Eva Blasser - Margret Oberhofer: Looking back: Parliamentarians and minority organisations reflect on the European Year of Languagues. Eurolang News http://217. 136.252.147/webpub/eurolang/news.asp?ID=3445
33
a. a. O.
34
a.a.O.
35
Umfangreichere Informationen über die Tätigkeit des Büros sind auf seiner Homepage zu finden: http://www.ebul.org
36
S. http://www.mercator-central.org
37
Die juristische Datenbank und die Forschungen im Zusammenhang mit dem Sprachgebrauch in der Verwaltung wird von der Stiftung CIEMEN in Barcelona durchgeführt (http://www.troc.es./ciemen/mercator/index-gb.htm), das Unterrichtsprogramm von der Friesischen Akademie in Friesland (Ljouwert/Leeuwarden – Niederlande; erreichbar: http://www.mercator-education.org), während MERCATOR sich mit der Massenkommunikation und Minderheitenpresse befasst, die Forschung in Bezug auf die Medien wird an der University Wales at Aberystwyth abgewickelt (http://www.aber.ac.uk~merww).
38
EUROMOSAIC Report, Brussels, 1996, Office for Official Publications of the European Union. Weitere Details im Weltnetz: http://europa.eu.int/comm/education/ langmin/euromosaic. html
39
a. a. O.
40
41
Abgesehen davon, wenn wir den Artikel 13 des Vertrages von Amsterdam gegen die Diskriminierung nicht zu diesem Begriff zählen.
42
Über den Konvent ausführlicher: http://www.european-convention.eu.int Die gesellschaftliche Debatte über die Zukunft der EU s.: http://www.europa.eu.int/futurum/ index_en.htm
43
Vgl.: Schwellnus: op. cit. p. 10
44
Vgl: McCrudden, Christopher: The Future of the EU Charter of Fundamental Rights. New York, Jean Monnet Working Papers, 2001. 10/2001
45
Bis zum Juli 2002 hat sich der Gerichtshof noch in keinem einzigen Fall auf die Charta berufen.
46
S. das Urteil in der Sache Bickel/Franz C-274/96, beschlossen im Jahre 1996. Der Fall wird analysiert von Toggenburg, Gabriel: Der Europäische Gerichtshof - unverhoffter Anwalt der Minderheiten Europas? In: Academia, No. 18. 1999. p. 7; sowie den Fall Agonese C-281/98, in dem am 6. Juni 2000 das Urteil gefällt wurde, vgl.: Palermo, Francesco: Diritto comunitario e tutela delle minoranze. In: Diritto Pubblico Comparato ed Europea, 2000-III.
47
Die Louwert-Deklaration kann auf der Homepage von EBLUL erreicht werden: http:/ /www.eblul.org
48
Wegen der Anforderung der Einstimmigkeit ist es fast unmöglich, die kulturelle Politik der Union auch auf den Schutz der Minderheiten auszudehnen, da jedweder derartiger Vorschlag auf den Widerstand Frankreichs und Griechenlands stoßen kann.
49
S. unter anderem die Tätigkeit der von Nelly Maes geleiteten ALE/Verts-Fraktion im europäischen Parlament in dem Konvent.
50
Vgl. Shuibhne op. cit. Kapitel 3 und 5. S. z. B. die Rechtsfälle bei Bickel und Franz [1998] C-274/96 und Angonese v. Cassa di Risparmio [2000] C-281/98.
51
Shuibhne: op. cit. p. 289-294.
Literatur
Biscoe, Adam (1999): The European Union and Minority Nations. In: Cumper, Peter Wheatley, Steven (red.): Minority Rights in the ‘New’ Europe.The Hague: Martinus Nijhoff. pp. 89-101.
De Witte, Bruno (2000): Politics versus Law in the EU’s Approach to Ethnic Minorities.RSC Series 2000/4. Florence: European University Institute.
Estébanez, María Amor Martín (1995): The Protection of National or Ethnic, Religious and Linguistic Minorities. In: Newahl, N.–Rosas, A. (red.): The European Union and Human Rights.The Hague: Martinus Nijhoff. p. 130.
Liebich, André (1998): Ethnic Minorities and Long-Term Implications of EU Enlargement. RSC Serie 98/47. Florence: European University Institute.
Novak, Meinhard (1999) EuGH: Gleichbehandlung bei der Gerichtssprache. In: Europäische Zeitschrift für Wirtschaftrecht3/1999. p. 82.
Schwellnus, Guido (2001): „Muchado about nothing?” Minority Protection and the EU Charter of Fundamental Rights.Constitutional Web-Papers, ConWEB No. 5/2001. http://les1.man. ac.uk/conweb
Streinz, Rudolf (1996): Minderheiten- und Volksgruppenrechte in der Europäischen Union. In: Blumenwitz, D. und Gronig,G.:Der Schutz von Minderheiten- und Volksgruppenrechten durch die Europäische Union. p. 11.
Toggenburg, Gabriel (1999): Der EuGH und der Minderheitenschutz. In: European Law Reporter,Vol. 1. p. 11.
Toggenburg, Gabriel (2001): The European Union’s Endeavours for Minorities. In: Trifunovska, Sezana (red.): Minority Rights in Europe–European Minorities and Languages.The Hague: ACM Press. pp. 205-234.
Woelk, Jens (1995): Das Mercator-Netzwerk ist geknüpft. In: Progrom,September, p. 36.
Begegnungen21_Varga
Begegnungen
Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Band 21: 254–255.
ILONA VARGA
Die Sprache der Bea-Zigeuner
In meinem Vortrag versuche ich kurz den heutigen Zustand der Bea-Zigeunersprache zu schildern. Die Bea-Sprache war eine gesprochene Sprache, ganz bis 1993, als Gyula Papp, der Lehrer in Pécs, als Lehrmaterial der Universität Pécs ein Buch über die Bea-Sprache herausgab. Dies war für uns alle, die sich seitdem mit der Schriftlichkeit dieser Sprache beschäftigen, der Ausgangspunkt. Der Fakt selbst, dass es möglich ist, unsere gesprochene Sprache niederzuschreiben, hat vielen von uns große Freude bereitet. Bis man sich aber auch mit ernsteren grammatischen Fragen der Sprache beschäftigen konnte, mussten noch über 10 Jahre vergehen.
Von der Hochschule in Kaposvár wurde Anna Orsós ersucht, die Bea-Sprache zu unterrichten, und dies hatte zum Ergebnis, dass im Jahre 1994 das erste Lehrbuch der Bea-Sprache entstanden ist. Seitdem wurde dieses Material mehrfach modifiziert und ich glaube, dass dieser Prozess auch heute noch nicht abgeschlossen ist.
Als im Zentrum für sprachliche Fortbildung auf den Antrag eines Hochschülers auch in der Bea-Sprache eine staatlich anerkannte Sprachprüfung abgelegt werden konnte, war ich gezwungen, innerhalb der kürzesten Zeit mit einem Wörterbuch herauszurücken, das bei der schriftlichen Prüfung das einzige zugelassene Hilfsmittel ist. Wegen des raschen Tempos bedarf natürlich auch dieser Band weitere Ergänzungen. Doch erhalte ich nur mündliche Unterstützung, in der Wirklichkeit ist es noch nicht gelungen, zufrieden stellende Ergänzung des Wörterbuches vorzunehmen.
Natürlich liegen mit Bezug auf die Bea-Sprache noch viele Aufgaben vor uns, die tatsächliche Schriftlichkeit dieser Sprache kann ja erst auf einige Jahre zurückblicken. Die tatsächliche Entwicklung wurde allerdings dadurch zum Stehen gebracht, dass seit beinahe einem Jahr keine staatliche Sprachprüfung in dieser Sprache abgelegt werden kann, wobei seit einem Jahr keine Begründung vorgelegt wurde. Viele haben in ihrer Arbeit innegehalten und viele haben sie nicht einmal begonnen. Es ist zu befürchten, dass diese gerade entstehende Bea-Sprache so in Vergessenheit geraten wird.
Begegnungen21_Szotak
Begegnungen
Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Band 21: 165–183.
SZILVIA SZOTÁK
Sprachliche Rechte der Minderheiten in Österreich
– mit besonderer Rücksicht auf die ungarische Minderheit
1. Die Minderheitenpolitik Österreichs von 1918 bis zur Gegenwart
Auf dem Gebiet des heutigen Österreichs leben sechs auch offiziell anerkannte Volksgruppen: die Ungarn im Burgenland und in Wien, die Slowenen in Kärnten und in der Steiermark, die Kroaten im Burgenland, die Tschechen und Slowaken in Wien sowie die Sinti und Roma.
Die Einwohner der ungarischen1 Sprachinseln wurden von den ungarischen Königen im 10.-12. Jahrhundert zur Versehung der Aufgabe der Grenzbewachung angesiedelt. Bereits im 16. Jahrhundert bildeten sie schon eine äußere Sprachinsel, in ihrem Sprachgebrauch war bereits damals schon die Verwendung von deutschen Lehnwörtern relativ häufig. Nach 1918, mit dem Zerfall der Österreichisch-Ungarischen Monarchie, gelangte das Burgenland mit den hier siedelnden Ungarn zu Österreich, doch durften sie ihre Sprache auch weiterhin frei verwenden. Auf internationalen Druck war Österreich bemüht, die Menschenrechte der Minderheiten auch in die innere Gesetzgebung aufzunehmen. In den bis 1938 unterrichtenden konfessionellen Schulen2 konnte der muttersprachliche Unterricht auch weiter stattfinden, er konnte aber nur die Bedürfnisse der Volksschule befriedigen. In der Gesamtheit wurden gegen die Anwendung der ungarischen Sprache zwar keine gewaltsamen Maßnahmen von oben eingeführt, doch darf man nicht vergessen, dass mit der Grenzziehung von Trianon das Burgenland von den ungarischsprachigen Intellektuellen, von der Schicht der Lehrer und der Beamten verlassen wurde, außerdem blieben auch die Schuleinrichtungen der Mittelstufe und des Hochschulwesens auf der anderen Seite der Grenze. Dies bedeutete einen so großen Aderlass, den das Ungartum im Burgenland bis zum heutigen Tag nicht aufzuholen vermochte.
Lange Zeit hindurch traten sie nicht im politischen Leben auf, sie organisierten auch keine Parteien und keine politischen Verbände. Die politischen Veränderungen, die sich im Jahre 1938 zugetragen hatten, machten auch den Volksschulunterricht in ungarischer Sprache unmöglich. Nach dem II. Weltkrieg wurde das Schicksal der beinahe seit dreißig Jahren ohne Intelligenz gebliebenen Ungarn von der Isolierung durch den Eisernen Vorhang beinahe besiegelt. Die Gemeinschaft, die ihr Identitätsbewusstsein, ihre Beziehungen zu Ungarn verloren hatte, war fast zur Gänze assimiliert, außerdem hatte auch die Einwohnerzahl stark abgenommen. Die Assimilierung wurde noch durch den Zerfall der geschlossenen Agrargemeinschaften, durch den Abschluss von Mischehen und durch das Auspendeln vor allem in die Richtung nach Wien verstärkt. Von der ihr Identitätsbewusstsein schon beinahe ganz verlorenen Gemeinschaft wurde beinahe im letzten Moment, im Jahre 1968 der Burgenländisch-Ungarische Kulturverein gegründet, dessen Ziel durch die Bewahrung der konfessionellen und politischen Unabhängigkeit in der Vertretung der Interessen der ungarischen Volksgruppe in der Politik, in der Verbesserung ihrer Situation sowie in der Pflege der burgenländischen ungarischen Überlieferungen bestand.
Die kärntnerischen Slowenen 3 (früher Alpenslawen) ließen sich vor 1400 Jahren auf dem Territorium Kärntens und der Steiermark nieder. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts führte der auch in Kärnten gut wahrzunehmende Nationalismus zu ethnischen Zusammenstößen. Am 10. Oktober 1920 wurde als Ergebnis der über die Zugehörigkeit von Südkärnten abgehaltenen Volksabstimmung das Gebiet anstelle dem damaligen Jugoslawien Österreich zugesprochen.
In den 20er Jahren waren mit dem österreichischen Staat Verhandlungen über die kulturelle Autonomie und über die Anerkennung ihrer Volksgruppe im Gange, doch ohne Ergebnis. Von den Nationalsozialisten wurden die Slowenen verfolgt und nach 1942 kam es auch zu Aussiedlungen. Die Atrozitäten beantworteten sie auch mit der Waffe: die Partisanenbewegung breitete sich auf ganz Kärnten aus. In der Gesamtheit führten diese Bewegungen zur Stärkung der slowenischen Volksgruppe. Im Staatsvertrag des Jahres 1955 wurden die Slowenen als Volksgruppe benannt, doch wurden die dort anerkannten Minderheitenrechte nur zum Teil verwirklicht, und dies bot den Anlass zu weiteren Kämpfen. Der 1972 ausgebrochene Ortstafelkonflikt dauert bis zur Gegenwart an. Für die Einführung des obligatorischen zweisprachigen Unterrichts streikten die Slowenen 1958 sogar. (Sie kämpfen am radikalsten für die Durchsetzung ihrer Rechte!)
Die Kroaten4 waren zwischen 1533 und 1584 aus Kroatien, Dalmatien und Slowenien in das damalige Westungarn und in den östlichen Teil Niederösterreichs eingewandert, vor allem wegen des Vordringens der Osmanen bzw. wegen der Ansiedlungsabsichten der österreichischen und ungarischen Feudalherren. Das auch heute starke kroatische Selbstbewusstsein begann sich nach 1848 zu entfalten, es wurde unter dem Einfluss der historischen Ereignisse immer stärker. Im Sinne der Gesetze von 1868 konnte die kroatische Sprache schon in den Schulen und bei den Ämtern verwendet werden. Nach dem Friedensvertrag von St. Germain verblieben einige Dörfer mit kroatischer Bevölkerung bei Ungarn bzw. gelangten einige auch zur Tschechoslowakei. Unter dem Nationalsozialismus wurde zur Festigung des Deutschtums ein Plan zur Aussiedlung der Kroaten ausgearbeitet. 1934 wurde in Wien der Burgenländisch-Kroatische Kulturverein zur Bewahrung der kroatischen Identität gegründet, und dieser vertritt mit der Organisation „Klub der kroatischen Akademiker” zusammen die Interessen der Kroaten. Auch sie wurden vom Staatsvertrag des Jahres 1955 als nationale Minderheit anerkannt. Von den 1970er Jahren an wird die kroatische Identität entschiedener umrissen, vor allem im Kreis der studentischen Jugend, die sich systematisch versammeln, ihre Muttersprache gebrauchen, während bei den Ungarn keine ähnliche Erscheinung zu beobachten ist.
Die sich auf ungefähr 15 000 – 20 000 Personen belaufende tschechische Gemeinschaft5 in Wien war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zwecks der Übernahme von Arbeit in die damalige Reichshauptstadt gezogen.
Die Slowaken leben überwiegend in Wien, sie werden seit 1992 auch als selbständige Volksgruppe anerkannt.
Die erste urkundliche Erwähnung der Roma6 stammt aus dem 14. Jahrhundert. Sie sind auf dem Gebiet von ganz Österreich zu finden. Seit dem Jahre 1993 sind die Sinti und Roma als Volksgruppe anerkannt. Sie verfügen auch über einen Volksgruppenrat. Gegenwärtig sind 3 Roma-Vereine tätig, der „Romaverein Oberwart”, das Wiener „Romano Centro” bzw. „Dokumentationszentrum Österreichischer Roma” und das „Newo Drom” in Güssing.
Charakteristisch für die österreichische Minderheitenpolitik ist, dass sie auf der Bundes-, der Länderebene und auf der Ebene der Gemeinden nicht einheitlich ist. Auf dem Niveau der Bundesländer ist heute der größte Unterschied zwischen Kärnten und dem Burgenland zu beobachten, die Unterschiede gehen auf die Zeit der Monarchie zurück. Im Interesse der Festigung ihrer Macht waren die Habsburger bemüht, die Minderheiten mit Hilfe der Kirche auf die kaisertreue Seite zu ziehen. Das Schulgesetz von 1869 ermöglichte es auf der österreichischen Seite der Monarchie, die Kirche und das Schulwesen voneinander zu trennen, während in der ungarischen Reichshälfte der Unterricht auch weiterhin das Privileg der Kirche blieb. Im Burgenland konnte nach 1921 neben dem Deutschen auch das Kroatische und das Ungarische als Umgangssprache verwendet werden, während in den Schulen in Kärnten die germanisierende Bestrebung vorherrschte, die auch auf der Landesebene unterstützt wurde. Im Burgenland gab es in der nationalsozialistischen Ära kein Beispiel für die allgemeine Verfolgung der nationalen Minderheiten, so bildete sich hier auch kein nationaler Widerstand gegen den Nazismus heraus. Für die Minderheiten ist charakteristisch, dass sie sich nicht in Parteien gliedern, sondern dass sie sich an eine politische Gruppierung anschließen, was entweder fördernd oder hemmend auf den Sprachgebrauch der Minderheiten einwirkt. (Im Falle der italienischen Bevölkerung Vorarlbergs trug ihre aktive Teilnahme an der Gründung der sozialdemokratischen Partei zu ihrer raschen Assimilierung bei, während die sozialdemokratische Orientierung der Tschechen in Wien keine sprachliche Assimilierung bedeutete.)
In Österreich war die Minderheitenpolitik nie von existentieller Bedeutung, sie versuchte immer der jeweiligen innen- und außenpolitischen Situation zu entsprechen, so wurde auch keine langfristige Strategie zur Lösung der Minderheitenproblematik ausgearbeitet. In der Zweiten Republik war man bestrebt, den Minderheiten so viele Rechte zu sichern, wie es den außenpolitischen Erwartungen entsprach. Dem akzeptierten Grundprinzip zufolge: war die Maxime nicht „soviel Rechte wie möglich”, sondern „sowenig Rechte wie unbedingt nötig!”
Die Befreiung Österreichs im Jahre 1945 wirkte sich unterschiedlich auf das Burgenland und auf Kärnten aus. Die Slowenen traten gegen die Nazis auf, während die lokalen Österreicher eher das Naziregime unterstützen. Diese Situation vertiefte die bereits vorhandenen ethnischen Konflikte in Kärnten noch mehr, demgegenüber aber gab es – wegen der bereits erwähnten Gründe – im Burgenland keine Konflikte zwischen den Ethnien. In Bezug auf die Minderheiten war die Lage der Roma am schlechtesten. Auch nach 1945 hatte sich die Konzeption des Staates in Bezug auf die Roma nicht geändert. Im Jahre 1948 wurde über die Aussiedlung der auch weiterhin für asoziale Elemente und potenzielle Verbrecher gehaltenen Zigeuner eine Verordnung des Innenministeriums erlassen.
Die in den Staatsvertrag des Jahres 1955 gelegten Hoffnungen der Minderheiten zerrannen bald. Die minderheitenfeindliche Stimmung nach 1955 wurde durch das Minderheitenschul- und Gerichtsprachengesetz von 1959 noch mehr zugespitzt, weil durch dieses Gesetz die slowenische Sprache auf die Kirche und auf das Gebiet des Zuhauses zurückgedrängt wurde. Die offizielle Landespolitik duldete zwar den offenen Gebrauch der slowenischen Sprache, doch löste dieser Umstand in den österreichischen Bürgern der Mehrheit einen Zorn aus. Der Staatsvertrag von 1955 traf keine Verfügungen über die Rechte der Minderheiten im Burgenland. Der Gebrauch der Minderheitensprachen in der Öffentlichkeit wurde durch keine Landesverordnung geregelt, so bedeutete ihr Gebrauch in den Ämtern und Behörden auch weiterhin kein Problem.
Die in den 60er Jahren sich zuspitzende Südtirolfrage veränderte die österreichische Minderheitenpolitik für eine lange Zeit, obzwar das 1972 in Italien angenommene Gesetzpaket in Bezug auf die Südtiroler eine Wirkung auch auf Österreich ausübte. In Kärnten versuchte man nach dem Vorbild von Südtirol eine ähnliche, sich auf die Ortstafeln beziehende Verordnung zu erlassen. Als Ergebnis davon wurden im Jahre 1972 205 Ortstafeln entfernt, was eine riesige Empörung verursachte (Ortstafelsturm).
Die politischen Parteien versuchten, eine Lösung in der Minderheitenfrage zu finden. Ein logischer Schritt war ihrerseits der Versuch, die Minderheitenfrage aus der Wahlkampfpropaganda herauszuhalten. Das Ergebnis der Vereinbarung der zu diesem Zweck einberufenen Beratung der drei Parteien (der SPÖ, der ÖVP und der FPÖ) war die Entstehung des Volksgruppengesetzes des Jahres 1976. Das Volksgruppengesetz unternahm den Versuch, eine für alle Minderheiten geeignete Rechtsgrundlage sicherzustellen. Das Gesetzpaket ist aber dennoch ein gutes Beispiel dafür, dass von der österreichischen Regierung die aktuellen Probleme nicht berücksichtigt wurden, immer versuchte sie mit ihren Maßnahmen nur Krisensituationen zu lösen.
Die Regierung vertrat die Meinung, dass die dem Bundeskanzleramt unterstellten Volksgruppenräte die Minderheitenrechte und -probleme in institutionalisierter Form vertreten können. Doch wurde von den bisher als Volksgruppen anerkannten Minderheiten (den Slowenen und Kroaten) die Gründung der nur mit beratender und nicht mit beschließender Funktion bekleideten Räte auf ganz verständliche Art und Weise zurückgewiesen. Die Ungarn, die im Jahre 1979 ihren eigenen Volksgruppenrat gründeten, wurden stark kritisiert, ja sogar als Kollaborateure bezeichnet. Obzwar das Volksgruppengesetz von 1976 die Ungarn und auch die Tschechen schon als Minderheiten erwähnte, brachte der Burgenländisch-Ungarische Kulturverein in seiner Mai-Deklaration von 1983 seine Meinung zum Ausdruck, dass die Gültigkeit von Artikel 7 des Staatsvertrages, in dem die Rechte der benannten Minderheiten enthalten sind, auch auf die ungarische Minderheit ausgedehnt werden soll.
In der Gesamtheit kann also festgestellt werden, dass sich das Gesetz aus dem Jahre 1976 zur Lösung der Probleme der österreichischen Minderheitenpolitik als nicht erfolgreich erwiesen hat.
In den Äußerungen der Minderheiten in den 80er Jahren können neue Tendenzen beobachtet werden: Einerseits hatten die Volksgruppen es erkannt, dass die Medien als Instrumente eine sehr gute Möglichkeit zur Durchsetzung ihrer Interessen darstellen. Zweitens erreichen mit Hilfe des Verfassungsgerichtshofes individuelle Beschwerden Gesetzmodifizierungen7. Daneben lockert sich die Bindung der Minderheiten an die großen Parteien, es beginnt eine Art von politischer Neuorientierung.8 Alle diese Tendenzen verweisen auf die Stärkung des Selbstbewusstseins der Minderheiten.
Die Öffnung der Grenzen bringt eine neuere Wende, und zugleich nimmt auch das Interesse für die Minderheitensprachen zu. Der Fakt, dass die österreichische Minderheitenpolitik grundlegend von der innen- und der außenpolitischen Lage abhängt, zeigt sich nach 1989 wiederholt. Ein Beispiel hierfür ist, dass das zunehmende Interesse der Republik Ungarn für die Wiener Ungarn zur Folge hat, dass im Jahre 1992 auch diese als Bestandteil der ungarischen Volksgruppe anerkannt werden. Auf überraschende Weise werden im Jahre 1993 auch die Sinti und Roma als Volksgruppe im Gesetz anerkannt. Österreich achtete darauf, dass es nach der Waldheim-Debatte nicht in neuere internationale Konflikte verwickelt wird.
Der konfliktfreien Epoche zwischen der österreichischen Mehrheit und den österreichischen Minderheiten bereiteten die sogar tödliche Opfer fordernden Bombenattentate von 1994-95 ein Ende. Für ähnliche Atrozitäten gab es in den vergangenen Jahren kein Beispiel.
2. Die internationalen Dokumente und die österreichischen Minderheitenrechte
In der Geschichte des Minderheitenschutzes hatten die den Ersten Wertkrieg beendenden Friedensverträge eine entscheidende Veränderung mit sich gebracht. Als Vorgeschichte hiervon müssen Wilsons 14 Punkte erwähnt werden. Der eine Gedanke dieses Friedensprogramms behandelte gerade das Schicksal der Österreichisch-Ungarischen Monarchie: „Den Völkern Österreichs und Ungarns muss die größte Möglichkeit der selbständigen (autonomen) Entwicklung gegeben werden.” Im Geiste dieser Punkte Wilsons wurde im Mai 1919 jene Sonderkommission gebildet, deren Aufgabe die Ausarbeitung der sich mit dem Schutz der Minderheiten befassenden Vertragsentwürfe war, das heißt, jeder Friedensvertrag enthielt auch einen Teil über den Minderheitenschutz. Das war deshalb notwendig, weil nach dem Ersten Weltkrieg die Grenzen der östlichen Hälfte Europas in hohem Maße umgezeichnet wurden, und die neuen Staatsgrenzen nicht mit den ethnischen Grenzen übereinstimmten. Obzwar sich bei der Unterzeichnung der Friedensverträge neun Länder zum Minderheitenrechtsschutz verpflichteten (Polen, die Tschechoslowakei, Ungarn, Österreich, das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen, Rumänien, die Türkei, Bulgarien und Griechenland), ist die prinzipielle Bedeutung dieser Verträge wegen der Mangelhaftigkeit der die Durchführung sichernden rechtlichen Garantien viel geringer als deren praktische Realisierung im Leben der Minderheiten. Die Ursache hiervon ist, dass der Völkerbundsrat sich nur dann mit den eingehenden Beschwerden befassen musste, wenn eines seiner Mitglieder diese für wichtig zum Einbringen hielt. So ist das System des Minderheitenschutzes (welches im Falle Österreichs unter der Bezeichnung „Vertrag von St.-Germain” in die Fachliteratur Eingegangen ist) der den Ersten Weltkrieg beendenden Vorstadtfrieden von Paris, die am ehesten den politischen Interessen und Zielen der Großmächte dienten, bald zusammengebrochen und hat nur einen formalen Rahmen sichergestellt.
Infolge des während des Zweiten Weltkrieges begangenen faschistischen Völkermordes hat sich eine Auffassung herausgebildet, die an der Stelle der kollektiven Rechte (in diese Gruppe gehört auch der Minderheitenrechtsschutz) den individuellen Rechtsschutz für wichtiger hielt. Auch die Äußerungen der dominanten Politiker jener Zeit widerspiegelten diese Betrachtungsweise: „...die Vertreibung der nationalen Minderheiten scheint eine befriedigende und zielgestrebte Lösung zu sein.” /Churchill, 15. Dezember 1944/.9 „Die Tschechoslowakei wird ein Nationalstaat ohne nationale Minderheiten sein; dieses Ziel muss jedoch zum Teil durch die Vertreibung der Minderheiten, zum Teil durch ihre gewaltsame Assimilierung erreicht werden.” /Beneš/ 10
Das Ergebnis dieser internationalen Stimmung ist es, dass weder in das Grunddokument der UN (Juni 1945), noch in die Allgemeine Deklaration der Menschenrechte (1948) ein besonderer Artikel über die Rechte der Minderheiten aufgenommen wurde. (Obzwar das ergänzende Abkommen letzterer über den Völkermord bereits Minderheitengruppen erwähnt.) Wenn „die individuellen Menschenrechte doch in Achtung gehalten werden, ist die Proklamation der Minderheitenrechte nicht erforderlich” – schreibt E. Roosevelt. Vom Recht der Minderheitengruppe ist zum ersten Mal in Artikel 27 des von der UN im Jahre 1966 angenommenen Internationalen Einheitsdokuments der Bürgerlichen und Politischen Rechte die Rede.
Im Prozess der Tätigkeit der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) lohnt es sich die Konferenz von Helsinki (1975), das Nachfolgetreffen in Wien (1989), die Konferenz von Kopenhagen (1990) und die Konferenz von Istanbul (1999) hervorzuheben. Die Abschlusserklärungen dieser Konferenzen fassen die Minderheitenrechte auch als individuelle und als kollektive Rechte auf, sprechen die Unverletzbarkeit der Grenzen, das Recht der freien Entscheidung aus, was die Zugehörigkeit zu den Minderheiten usw. anbelangt.
Im Rahmen des Europarates lohnt es sich, nachstehende internationale Dokumente zum Schutz der Minderheiten zu erwähnen:
– Gewisse Artikel des Europäischen Menschenrechtsabkommens (1950) – z. B. Artikel 14 – können zum Schutz der Minderheiten angewendet werden.
– Die Empfehlung Nr. 1134 der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (1990) schlug – vor allem unter dem Einfluss der politischen Veränderungen in Osteuropa – dem Ministerausschuss vor, zum Schutz der nationalen Minderheiten ein Abkommen auszuarbeiten.
– Die Empfehlung Nr. 1201 der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (1993) unternimmt zum ersten Mal den Versuch, den Begriff „nationale Minderheit” zu definieren, doch wird eindeutig gemacht, dass Flüchtlinge, Migranten, Gastarbeiter und Einwanderer nicht für nationale Minderheiten gehalten werden, die Zigeuner dagegen ja. Artikel 5 der Empfehlung führt das Recht der Verwendung des Namens, des Unterrichts, der Teilnahme am öffentlichen Leben und der kulturellen Bildung, sowie der Gründung einer politischen Partei in der Minderheitensprache als individuelles Recht an. Artikel 11 verfügt darüber, dass die Minderheiten in den Gebieten, wo sie sich in der Mehrheit befinden, das Recht zur Errichtung von autonomen Behörden haben. Diese Vorstellung bedeutet für die Mehrheit immer das Streben nach Unabhängigkeit, und stößt deshalb auf politischen Widerstand.
– Das Rahmenabkommen (1994) ist ein Dokument, das der Europarat ausdrücklich zum Schutz der Minderheiten bestimmt hat. Es enthält keine Definition der Minderheit, weil die Vertragsparteien keine Definition fanden, auf die sie sich einigen konnten. Obzwar Artikel 3 das Recht auf die Freiheit der Wahl der Identität enthält, formuliert die Mehrheit der Verfügungen jedoch staatliche Verpflichtungen statt der Minderheitenrechte mit folgenden „großzügigen” Termini: „die Vertragsparteien werden bestrebt sein, unter Berücksichtigung ... ihrer besonderen Umstände”, „die Vertragsparteien enthalten sich des Treffens von Maßnahmen...”, usw.
– Auch die Sprachencharta (1992) formuliert statt der subjektiven Rechte staatliche Verpflichtungsübernahmen, und ähnlich wie im Rahmenabkommen kann man nicht das Europäische Menschenrechtsgericht anrufen, die Ministerkommission formuliert nur aufgrund der Berichte des konkreten Staates Empfehlungen. Artikel 1 der Sprachencharta enthält die Definition der Minderheiten- und Regionalsprachen, in der Präambel wird das Recht des Gebrauchs der Regional- oder Minderheitensprache im privaten und im öffentlichen Leben als unverfremdbares Recht bezeichnet. Von den 90 Verfügungen des Teiles III der Charta sind die Staaten verpflichtet, mindestens 35 zu erfüllen.
Aus den wichtigsten internationalen Dokumenten ist zu sehen, dass die meisten von ihnen statt subjektive Rechte staatliche Verpflichtungen formulieren, dass außerdem das Kontrollsystem auf den Berichten der Staaten beruhe. Die juristische Kraft der Abkommen und zugleich auch die Rechte der Minderheiten werden durch die lückenhafte Formulierung geschwächt, die den Staaten zu großen Spielraum belässt, damit sie ihre Minderheitenpolitik ihren besonderen Umständen zufolge herausgestalten.
In Österreich stammen die Rechtsquellen in Bezug auf die Volksgruppen zum Teil aus der Zeit der Monarchie, zum Teil aus der Ersten und der Zweiten Republik. Nachstehend ist zu beobachten, dass die Gesetzgebung des Bundesstaates bemüht ist, den Anforderungen des internationalen Rechts zu entsprechen.
In der Reihe der verfassungsrechtlichen Quellen in Bezug auf die Volksgruppen begegnen wir zum ersten Mal in Artikel 19 des staatlichen Grundgesetzes Nr. 1867/142 der Österreichisch-Ungarischen Monarchie dem umfassenden Schutz der Minderheiten, der Volksstämme: „Sämtliche Nationen des Staates sind gleichberechtigt... Der Staat anerkennt die Gleichberechtigung der im ganzen Land gebrauchten Sprachen in den Schulen, in den Behörden und im öffentlichen Leben...”
Die Artikel 62 bis 69 des Gesetzes Nr. 1920/303, des Staatsvertrages von St. Germain, enthalten Minderheitenschutzrechte, die unter dem Einfluss der Punkte Wilsons in den Staatsvertrag gelangt sind.
Der Staatsvertrag des Jahres 1955, das Gesetz 1955/152 enthält in den Artikeln 6 – 7 Minderheitenrechte. Der Artikel 7 gibt die slowenische und die kroatische Minderheit als Volksgruppe an, und regelt ihre Rechte territorial in drei Bundesländern: in Kärnten, in der Steiermark und im Burgenland. Er besagt, dass die slowenische und die kroatische Minderheit die gleichen Rechte genießt wie jeder österreichische Staatsbürger, dazu gehört auch das Recht des Gebrauchs der eigenen Sprache, legt aber nicht fest, wer aufgrund welcher Kriterien zur slowenischen oder zur kroatischen Minderheit gezählt werden kann. Er gesteht das Recht des Grundschulunterrichts in der kroatischen und slowenischen Sprache zu und genehmigt auch den Mittelstufenunterricht in der Muttersprache in beschränktem Maße, doch ist die Formulierung auch hier nicht präzise und eindeutig. Die gesetzliche Regelung enthält die Ausarbeitung der Lehrpläne für die Schulen, sowie dass bei den Schulinspektionen die Abteilungen für die kroatischen und slowenischen Schulen geschaffen werden müssen. Als Amtssprache kann neben dem Deutschen auch das Kroatische und das Slowenische verwendet werden. Die tschechische und die ungarische Minderheit wird vom Gesetz nicht einmal erwähnt. Es ermöglicht auch die Verwendung von zweisprachigen Ortstafeln, doch verursacht dies wegen der Ungenauigkeit auch heute noch Probleme.11 Wegen der erlittenen diskriminativen Beurteilungen fasste den im Jahre 1968 gegründete Burgenländisch-Ungarische Kulturverein in seiner Mai-Deklaration, die am 5. Mai 1983 angenommen wurde, den Beschluss, dass er Artikel 7 des Staatsvertragens von 1955 in vollem Maße auch auf sich bezieht.
In der Reihe der gesetzlichen Regelungen ist das Volksgruppengesetz aus dem Jahre 1976 von Bedeutung, das ein Rahmengesetz ist und allgemeine Formulierungen enthält. Die Ausarbeitung der konkreten Verordnungen wird der Bundesregierung oder den Länderregierungen überlassen. Von der Bundesregierung wurden in diesem Zusammenhang folgende Verordnungen erlassen:
– Über die Volksgruppenräte (1977),
– über die zweisprachigen, slowenisch-deutschen Ortstafeln (1977),
– die Festlegung jener Institutionen, bei denen das Slowenische auch als Amtssprache verwendet werden kann (1977),
– über das Entgeld der Mitglieder der Volksgruppenräte (1979),
– der Gebrauch der kroatischen Sprache in den Behörden (1990).
Ein Mangel des Gesetzes ist, dass es sich nicht mit dem Unterrichtswesen beschäftigt. Die Realisierung in der Praxis ist widersprüchlich, weil die Verordnungen für gewisse Volksgruppen gültig sind, andere aber nicht einmal erwähnen, wie dies auch aus obiger Aufzählung hervorgeht.
In einer seiner wichtigsten Verfügungen besagt das Gesetz, dass die Minderheiten ihre Interessen über die neu gegründeten Volksgruppenräte durchsetzen können. Die Gründung der Volksgruppenräte erfolgt aber nur sehr langsam. (Der im Jahre 1979 gebildete ungarische Volksgruppenrat kann heute schon 16 Personen delegieren, von denen 8 Delegierte von Organisationen und 8 kirchliche oder politische Vertreter sind; 1989 entstand der slowenische und 1993 der kroatische Volksgruppenrat, die insgesamt 24 Personen delegieren können.) Das Gesetz verfügt über die Unterstützung der Volksgruppen, über die geographischen Benennungen und über den Sprachgebrauch in den Ämtern.
Von den kroatischen und den slowenischen Minderheitenorganisationen wird beanstandet, dass der Gebrauch der Minderheitensprache in gewissen Ämtern nicht eindeutig geregelt ist, so im Falle der Versicherungen, der Kammern und der Selbstverwaltungskörperschaften. Häufig können nur schwer solche Personen in die Volksgruppen delegiert werden, die zur Versehung der Aufgabe geeignet sind. Der Volksgruppenrat ist eine beratende und keine beschlussfassende Körperschaft, und das engt seine Effizienz ein. Die Räte sind den Länderregierungen unterstellt, doch wird ihre Effizienz von dem Umstand zurückgeworfen, dass die Volksgruppenräte von den Regierungen der Bundesländer nicht in die Vorbereitung der Beschlüsse einbezogen werden, obzwar das Gesetz dies möglich machen würde.
Im alltäglichen Leben ist der Gebrauch der Muttersprache als Amtssprache am ehesten verwirklicht, doch nur im Falle der slowenischen und der kroatischen Sprache, dies wird aber von der konkreten Minderheit für nicht ausreichend gehalten. Die angebotene Möglichkeit wird jedoch zur gleichen Zeit in unterschiedlichem Ausmaß genutzt, oder überhaupt nicht in Anspruch genommen. Die offiziellen Formulare können die Parteien sich in der Sprache der Minderheit überhaupt nicht beschaffen. Dem Gesetz zufolge ist es in jenen Ämtern, in denen kein einziger Angestellter die Sprache der Minderheit spricht, obligatorisch, einen Dolmetscher zu stellen, doch besteht hierzu im Allgemeinen aus finanziellen Gründen keine Möglichkeit, oder verlangen dies einzelne Volksgruppen (z. B. die Ungarn) überhaupt nicht.
Von der Topographieverordnung (Burgenland, Bundesgesetzblatt /BGBl/ 1. II Nr., 170/2000) wird es ermöglicht, dass die auf den Ortstafeln stehenden Benennungen nicht nur in deutscher, sondern auch in kroatischer und in ungarischen Sprache angebracht werden. Von den Siedlungen mit ungarischer Minderheit wurden in folgenden Siedungen ungarischsprachige Tafeln angebracht: in Oberwart, Unterwart, Siget und in Oberpullendorf. In diesen Siedlungen kann die ungarische Sprache seit dem 1. Oktober 2000 auch in den Ämtern verwendet werden.
Der vom Verfassungsgerichtshof am 26. Juni 2002 erlassene Beschluss bestätigte wiederholt, dass Artikel 7 des Staatsvertrages aus dem Jahre 1955 für das gesamte von Slowenen bewohnte Gebiet gilt, und erkennt das Recht auf die zweisprachige Schulbildung an, akzeptiert das Slowenische als zweite Amtssprache bzw. sichert das Recht der Anbringung von zweisprachigen Ortstafeln.
Schaut man sich die offizielle Seite der sich auf die Ungarn im Burgenland auswirkenden Rechtspraxis in Ungarn an, muss der Fakt erwähnt werden, dass es ganz bis zum Systemwandel in den Jahren 1989-90 im ungarischen Verwaltungssystem keine Organisationen gab, die die Aufgaben in Bezug auf die Ungarn jenseits der Landesgrenzen versehen hätten. Die mit den einzelnen sozialistischen Ländern im Zeichen des sozialistischen Internationalismus abgeschlossenen Freundschaftsverträge hatten keine Teile, die sich mit den Minderheitenfragen beschäftigt hätten (z. B. mit der Sowjetunion das Gesetz Nr. VI aus dem Jahre 1967), da die Angelegenheiten der Minderheiten für innere Angelegenheiten der einzelnen Länder gehalten wurden. Ein derartiger Vertrag war mit Österreich – ganz natürlich – nicht abgeschlossen worden.
Unter den später abgeschlossenen Grundlagenverträgen und Minderheitenabkommen findet man auch keinen, der zwischen Ungarn und Österreich von 1989 bis zur Gegenwart abgeschlossen worden wäre, obzwar mit allen Nachbarländern, in denen Ungarn in der Minderheit leben, solche Verträge abgeschlossen wurden.
Auf einem Treffen im Jahre 1999, an dem die Leiter der ungarischen Regierung und die Vertreter der ungarischen Organisation jenseits der Landesgrenzen teilnahmen, wurde von den Teilnehmern beschlossen, die Ungarische Ständige Konferenz (Magyar Állandó Értekezlet) zu gründen. Zu den Tagungen dieser Konferenz wurde aus den Reihen der burgenländischen Ungarn zum ersten Mal im Jahre 2001 eine Delegation eingeladen.
In Österreich wurde unter dem Ungartum im Ausland zuletzt im Jahre 2001 in Unterwart das Sub-Kuratorium der „Illyés” Gemeinnützigen Stiftung gebildet, das eine Unterstützung von 9 Millionen Forint im Jahr zu den kulturellen Kosten der burgenländischen Ungarn zur Verfügung stellt.
3. Die Praxis der Alltage
3.1 Das kirchliche Leben
Nach 1918 spielte im Leben des in einen Minderheitenstatus gelangten Ungartums auch die Kirche eine bedeutende Rolle in der Erhaltung der ungarischen Sprache. Die schwierigste Zeit begann 1938. Die Hitlerdiktatur nahm die Minderheiten nicht zur Kenntnis. Die Konfessionsschulen hörten zu bestehen auf. Für das „fremde Wort” gab es Kerkerstrafen. Messen und Gottesdienste in den Minderheitensprachen aber durften gehalten werden.
Das Volksgruppengesetz des Jahres 1976 regelt die Förderung der Kirchen bzw. die Zusammensetzung der Delegierten in den Rates. Die Förderung der Kirchen ist im Vergleich zu den sonstigen organisatorischen Zuwendungen sehr niedrig (2001: Reformierte Gemeinde in Oberwart: 50.000,- ATS, Evangelische Gemeinde in Siget: 30.000,- ATS, Römisch-katholische Kirchgemeinde in Unterwart: 25.000,- ATS und die Römisch-katholische Gemeinde in Oberpullendorf: 75.000,- ATS). In den Volksgruppenrat kann die katholische bzw. die protestantische (evangelische und reformierte) Kirche auch heute je einen Vertreter entsenden.
Die ungarische Volksgruppe gehört drei Konfessionen an: die Einwohner von Oberpullendorf und Unterwart sind Katholiken, die in Oberwart reformierte Calvinisten oder Katholiken, die in Siget sind Lutheraner. Heute haben alle vier Siedlungen einen Ungarisch sprechenden Geistlichen. Das größte Problem tauchte im Zusammenhang mit der ungarischen Messe in Oberpullendorf auf. In der Siedlung versahen seit 1934 die Redemptoristen12 die Seelsorge, doch den Berichten der Dorfbewohner nach taten sie für die Pflege der ungarischen Sprache nicht viel, auch die Kinder konnten sie nicht für die Religionsstunden gewinnen. Nach langen Bemühungen gelang es beim Bischof zu erreichen, dass es im Jahre 2002 zu einem Seelsorgerwechsel kam.
Nach Siget in dem Wart kam im Jahre 1992 ein junges Pastorenehepaar, das die 300 Bewohner des Dorfes nicht nur in ihrem Glauben, sondern auch in ihrem Ungartum erhalten will. Im Burgenland werden im Allgemeinen einmal in der Woche Messen oder Gottesdienste in der Sprache der Minderheiten gehalten, und zwar am Sonntag. Im Falle der Kroaten werden ein- und auch zweisprachige Messen gelesen. Die Kroaten und die Slowenen sind Katholiken. Der Priestermangel gilt auch für die kroatische Minderheit.
3.2 Das Schulwesen
Das Recht auf den muttersprachlichen Unterricht ist die wichtigste Voraussetzung für den Fortbestand der Minderheiten. Da in unserer Region die Staatsgrenzen und die Grenzen der von Minderheiten besiedelten Gebiete nicht überstimmen, ist dies für ein allgemeines Problem zu halten. Obzwar von den Staaten in den internationalen und in den innerstaatlichen Verträgen das Recht auf die muttersprachliche Bildung der Minderheiten garantiert wird, zeigt die praktische Verwirklichung der gültigen Gesetze ein anderes Bild, obzwar dies nicht nur das Interesse der einzelnen Staatsbürger, sondern auch der gesamten Region wäre, sowie sie auch an die multikulturelle Betrachtungsweise der Europäischen Union bzw. an ihren die Sprache und Kultur der Minderheiten fördernden Standpunkt anpassen würde.
Vom Gesichtspunkt des Minderheitenunterrichts aus existieren auf der Welt viele gute und auch viele akzeptierbare Modelle. Es gibt Minderheitenschulen, in denen in den ersten Schuljahren des Unterstufenunterrichts alle Fächer in der Sprache der Minderheit unterrichtet werden. Die nächste, noch funktionsfähige Stufe des Minderheitenunterrichts ist die, auf der die Literatur, die Geschichte, die Geographie und das Singen in der Muttersprache, und die weniger subjektiven, nicht an die Kultur gekoppelten Unterrichtsfächer in der Staatssprache unterrichtet werden. Auch im dritten, doch nicht mehr akzeptierbaren Modell ist der Unterricht der Muttersprache auch in einigen Wochenstunden enthalten, doch als Fremdsprache. Dieses Modell rettet die Minderheit nicht mehr vor dem Verlust ihrer Muttersprache.
Österreich war bereits im Minderheitenschutzvertrag von St. Germain gezwungen, die Verpflichtung einzugehen, den Minderheiten den muttersprachlichen Unterricht zu sichern. Auch der 1921 mit der Tschechoslowakei abgeschlossene Brünner Vertrag enthält Minderheitenschutzrechte in Bezug auf die Tschechen in Wien. Obzwar das Schulgesetz von 1937 den zweisprachigen Unterricht ermöglichte, konnte in der Ära des deutschen Nationalsozialismus davon keine Rede sein. Nach 1938 hörten die kirchlichen Schulen der Minderheiten zu bestehen auf, nach dem Zweiten Weltkrieg kam die ungarische Sprache nur mehr als fakultatives Fach vor. Dem Gesetz nach konnte die Sprache der Minderheit nur dann Unterrichtssprache sein, wenn in der konkreten Siedlung der letzen Volkszählung nach mindestens 70% der Einwohner der Minderheit angehörten. Wenn dieser Anteil zwischen 30 und 70% liegt, ist die Unterrichtssprache die deutsche Sprache und die Minderheitensprache. Wenn der Anteil unter 30% liegt, dann ist das Deutsche die Unterrichtssprache, obzwar die Schüler aufgrund der Entscheidung der Selbstverwaltung bzw. der Schule ihre eigene Sprache lernen können. Bei der Anwendung des Gesetzes bedeutete ein Problem, dass bei den österreichischen Volkszählungen nach der gebrauchten Sprache und nicht nach der Muttersprache gefragt wurde. Vom Staatsvertrag im Jahre 1955 wurde in drei Bundesländern (im Burgenland, in Kärnten und in der Steiermark) der Minderheitenunterricht auf der Ebene der Volksschule und in beschränktem Maße auf der Ebene der Mittelschule ermöglicht.
3.2.1 Der slowenische Minderheitenunterricht
In Kärnten gibt es 5 zweisprachige Privatkindergärten (1990), und es gibt auch Gemeindekindergärten, in denen slowenischer Unterricht erteilt wird. Von der Praxis wird bewiesen, dass die Realisierung nicht so sehr von den Gesetzen abhängt als vom Bedarf und vom Geld. Das Kärntnerische Minderheitenschulgesetz macht den zweisprachigen Unterricht in slowenischen Gebieten zur Pflicht. Von den Schülern muss der bezügliche Bedarf bei ihrer Anmeldung zum Ausdruck gebracht werden.
Vom Gesetz werden zweierlei Unterrichtsformen ermöglicht: 1. ausschließlicher Unterricht in slowenischer Sprache in der Volks- und in der Hauptschule, zweisprachiger Unterricht in der Volks- und Hauptschule. Der erste Typ wurde wegen mangelnden Interesses nicht realisiert, der zweite Typ gestaltete sich in der Praxis wie folgt: in den Klassen 1 bis 3 ist der Unterricht zweisprachig, in den Klassen 4 bis 8 deutschsprachig, in 4 Wochenstunden lernen die Schüler die slowenische Sprache als Pflichtfach. 1990 wurde im Sinne eines Beschlusses des Verfassungsgerichtshofes die territoriale Gültigkeit des Slowenischunterrichts ausgedehnt. In gewissen Kreisen der Minderheit löste dies Furcht aus, weil ihrer Meinung nach vom Gesetz der Unterricht des Slowenischen als Fremdsprache gefestigt wird, und dadurch die slowenische Unterrichtssprache in den Hindergrund gedrängt wird.
1957 wurde in Klagenfurt das Slowenische Bundesgymnasium gegründet, in dem 450 Schüler im Jahr ausschließlich in slowenischer Sprache lernen können. 1990 wurde hier die zweisprachige Handelsakademie gegründet. An der Pädagogischen Bundeslehranstalt werden für die slowenischen und die zweisprachigen Klassen Lehrer ausgebildet.
3.2.2 Die Lage im Burgenland
Die Erlassung der Verordnungen in Bezug auf die Kindergärten ist Aufgabe der Bundesländer. Nach 1989 und 1994 wurde im Juli 2002 das neueste burgenländische Kindergartengesetz erlassen, das an der Stelle von 6 Stunden die Mindeststundenzahl in 9 Stunden festlegte, die für Beschäftigungen in der Sprache der Minderheit verwendet werden müssen. Von den Minderheiten wird jener Punkt beanstandet, der aussagt, dass die zweisprachigen Kindergärtnerinnen innerhalb von zwei Jahren die Sprachprüfung in beiden Sprachen ablegen müssen. Das Gesetz ermöglicht es auch, dass in den Kinderkrippen und in den Kinderhorten die Minderheitensprache unterrichtet wird.
Das Minderheitenschulgesetz des Jahres 1994 sichert im gesamten Burgenland den zweisprachigen Unterricht, wenn mindestes 25% der Eltern es wollen. Zum alternativen Unterricht der einzelnen Fächer in der Minderheitensprache wurde die Mindestzahl der Schüler von 25 auf 8 verringert, doch kann eine schon tätige Gruppe auch mit 5 Schülern fortgeführt werden.
Im Schuljahr 1992/93 wurden in den vier Kindergärten mit ungarischer Unterrichtssprache 35 Kinder erzogen. In Oberpullendorf lernten im Jahre 2000 ungefähr 75 – 80 Kinder in 20 Wochenstunden spielerisch Ungarisch, obzwar nach dem Gesetz 9 Stunden Pflicht sind. Die Kinder haben auf mehreren Veranstaltungen der Stadt bewiesen, was für schöne Erfolge sie erreicht hatten.
In der Grundschule ist es seit dem Schuljahr 1998/99 möglich, dass die Kinder im 1.-4. Schuljahr in 2-3 Wochenstunden die ungarische Sprache als Fremdsprache lernen. Bei der Aufnahme ist auf diesen Wunsch hinzuweisen, und wenn die Kinder Ungarisch lernen wollen, müssen sie es 4 Jahre hindurch als Pflichtfach lernen. Ähnlich ist die Situation auch in der Oberstufe: die eine Hälfte kann in vier Wochenstunden Kroatisch, die andere Hälfte Ungarisch lernen. In 2 zweisprachigen Volksschulen und in 9 Volksschulen mit Ungarisch als Wahlfach lernen 50 Kinder in zwei Sprachen und 170 haben das Ungarische als alternatives Fach gewählt. Heute existiert in Unterwart eine einzige zweisprachige Volksschule und in 21 Grundschulen mit Ungarisch als Alternativfach wird das Ungarische unterrichtet. (Ergänzende Angaben: 1989 lernten in Grundschulen 525 Schüler Kroatisch und 79 Ungarisch. Im Schuljahr 2001/2002 lernten schon ungefähr 600 Schüler Ungarisch.)
In dem 1962 gegründeten Gymnasium in Oberpullendorf wurde 1987 die sogenannte „pannonische Klasse” in kroatischer und ungarischer Sprache eröffnet, wo die Schüler ihre Muttersprache in 3 Wochenstunden als Fremdsprache lernen können. Die Zahl der ungarischen Schüler im Gymnasium mit zwei Unterrichtssprachen in Oberwart steigt von Jahr zu Jahr (diese sind aber nicht alle Ungarn). Im Jahre 2002 legten sieben Schüler das Abitur in Ungarisch ab. Von diesem Jahr an wurde an der Handelsakademie in Nagymarton der Unterricht der ungarischen Sprache eingeführt.
Die kroatische Sprache kann in 3 burgenländischen Gymnasien als Wahlpflichtfach gelernt werden (in Oberpullendorf, Eisenstadt, Oberschützen). Von den 80er Jahren an nahm die kroatische Sprache eine rasche Entwicklung: 1982 erschien der erste Band des burgenländischen kroatisch-deutschen Wörterbuchs, Rundfunk- und Fernsehsendungen in kroatischer Sprache sind zu empfangen, die kroatischen Vereine erhalten eine hohe Unterstützung usw. Dieser umfassende Gebrauch des Kroatischen festigt das Identitätsbewusstsein weiter. Das kroatische Kulturhaus in Großwarasdorf (KUGA) bot zahlreichen Minderheitenveranstaltungen eine Heimstätte. Vom Gesichtspunkt der Erhaltung der Sprache aus war die Aufnahme der Beziehungen zu den Kroaten im Mutterland wichtig.
Seit dem Schulgesetz des Jahres 1994 ist auch für die Roma-Volksgruppe der muttersprachliche Unterricht möglich. Die Volkshochschule der burgenländischen Roma wurde gegründet. Die Roma-Sprache kann auch schriftlich verwendet werden, mit Hilfe des Lehrstuhls für Sprachwissenschaften der Universität Graz wurde auch ein Wörterbuch Roma-Deutsch fertig gestellt.
Wien (Tschechen): Der Comenius-Verein unterhält in Wien einen Kindergarten und eine private Volks- und Hauptschule mit 150 Kindern im Jahr.
In der Gesamtheit kann festgestellt werden, dass die Minderheiten in Österreich – abgesehen von wenigen Ausnahmen – die Minderheitensprache als „Fremdsprache” in durchschnittlich 2 – 3 Wochenstunden lernen. Obzwar die statistischen Angaben einen Aufschwung zeigen, die Zahl der die Minderheitensprache Lernenden steigt, ist das gegenwärtige Unterrichtssystem weder zum Erwerb der Sprache, noch zur Festigung der kulturellen Bindung, noch der Verlangsamung der Assimilation geeignet.
3.3 Medien
Auch die Medien spielen im Leben der Minderheiten eine große Bedeutung. In Österreich verfügt bei dem ORF die kroatische und slowenische Minderheit über eine selbständige Redaktion, der Sender sendet auch für die Minderheiten akzeptierbare Minuten Sendezeit. Die Ungarn erhielten nur innerhalb der kroatischen Redaktion Raum. Der Burgenländisch-Ungarische Kulturverein beklagt sich in seinem Pressekommunique, das er im Jahre 2000 in Oberpullendorf veröffentlichte, über das beispiellose Vorgehen gegen die burgenländischen Ungarn. Es wurde die Erweiterung der wöchentlich 30-minütigen ungarischen Rundfunksendezeit auf 255 Minuten gefordert, sowie dass nach den kroatischen Nachrichten im ORF dreimal täglich auch in 5 Minuten ungarische Nachrichten gesendet werden sollen. Außerdem fordert man eine 20 Minuten dauernde ungarische Rundfunksendung täglich.
Es wurde auch die Einführung einer monatlichen TV-Sendung verlangt, an jedem ersten Sonntag im Monat ausgestrahlt (statt der bisher viermal im Jahr übertragenen), und die Gründung einer ungarischen Redaktion. Ein großer Teil der Forderungen wurde aber auch bisher nicht realisiert.
3.4 Sprachgebrauch in Ämtern, Geschäften und in alltäglichen Sprachsituationen
Im öffentlichen Leben und bei den Ämtern ermöglicht das Gesetz den Gebrauch der Muttersprache, doch werden meistens die Bedingungen dazu nicht gesichert. Auch das kommt vor, dass die Minderheiten keinen Gebrauch von den durch das Gesetz gebotenen Möglichkeiten machen, weil sie ja sowieso Deutsch können. Mit dem Fall des Eisernen Vorgangs ist das Interesse für die Minderheitensprachen immer größer geworden, in den Dörfern entlang der Grenze ist man erfreut, wenn man einen ungarischen Verkäufer anstellen kann. Die Umgangssprache auch in den ungarischen Dörfern ist eher das Deutsche, doch sprechen die, die Ungarisch können, die Sprache gern.
4. Zusammenfassung
In Österreich war die Minderheitenpolitik nie von existentieller Wichtigkeit, man versuchte immer der innen- und außenpolitischen Situation zu entsprechen, so wurde zur Lösung der Minderheitenfrage auch keine perspektivische Strategie ausgearbeitet. Die Quelle der meisten Konflikte ist Artikel 7 des Staatsvertrages des Jahres 1955, der zwei Minderheiten die Mehrheitsrechte sicherte, doch wurde ihre Verpflanzung in die Praxis bis zum heutigen Tag nicht durchgeführt. Das Volksgruppengesetz des Jahres 1976 bedeutet deshalb keine Lösung, weil seine Verabschiedung im Vergleich zum Staatsvertrag einen Rückschritt bedeutete. Für die Kroaten und Slowenen ist immer dieser gewisse Artikel 7 die Grundlage der Berufung im Kampf für ihre Rechte. Obzwar die Gültigkeit dieses Artikels auch seitdem schon von mehreren Verordnungen bestätigt wird, ist es dennoch nicht gelungen, dem Gesetz in der Praxis Geltung zu verschaffen.
Anmerkungen
1
Den Angaben der Volkszählung des Jahres 1991 zufolge beläuft sich ihre Zahl in Österreich auf 19 638, den Schätzungen nach auf 25 000. (Die Angaben der Volkszählung des Jahres 2001 sind noch nicht vollständig bearbeitet, um der leichteren Vergleichbarkeit willen ziehe ich überall die Angaben von 1991 heran).
2
Von insgesamt sechs konfessionellen Schulen war die Rede: in Ober- und Mittelpullendorf (Felső-Középpulya) eine katholische, in Oberwart (Felsőőr) eine katholische und eine reformierte, in Unterwart (Alsóőr) eine katholische und in Siget in der Wart (Őrisziget) eine evangelische Schule.
3
Ihre Zahl beläuft sich auf 20 191, den Schätzungen nach auf 40 000 bis 50 000. Ihre Sprache unterscheidet sich nicht vom Sprachgebrauch in Slowenien; der Einfluss der deutschen Lehnwörter ist stark.
4
Ihre Bevölkerungszahl macht 29 596 aus, den Schätzen nach zwischen 30 000 und 40 000. Ihre Sprache widerspiegelt einen archaischen Sprachzustand aus dem 16. Jahrhundert, sie bildet eine Mundartinsel. Während der Gegenreformation und des Barocks bildete sich die schriftsprachliche Variante des regionalen Kroatischen heraus. Im Streben nach Modernisierung der Sprache spielen die Medien eine große Rolle, auch das Wörterbuch des burgenländischen Kroatischen dient diesem Zweck. (Der erste Band ist im Jahre 1982 erschienen.) Auch die Zusammenstellung von verschiedenen Fachwörterbüchern ist geplant.
5
Ihre Zahl beläuft sich nach den Angaben von 1991 auf 9 822, aufgrund der Schätzungen auf 30 000.
6
Ihre Zahl macht 122, den Schätzungen nach 10 000 - 40 000 aus. Dies ist jene Minderheit, die auf dem Gebiet keines einzelnen Staates die Mehrheit bildet. Im Jahre 2002 machte der finnische Staatspräsident den Vorschlag, im Europarat eine Vertretung für die Roma-Minderheit zu bilden.
7
Ein Arzt aus Klagenfurt erreicht es auf dem Gerichtsweg, dass das Recht zum muttersprachlichen Unterricht unabhängig von der Ortschaft gültig ist, und dass die dagegen gerichteten Verfügungen des Minderheitenschulgesetzes von 1959 aufgehoben werden.
8
Als Abgeordneter der Grünen Partei gelangt der erste eine Minderheit vertretende Politiker, der Slowene Karel Smolle, in das Parlament. Zu Beginn der 80er Jahre entsteht das Informationszentrum der Österreichischen Minderheiten, das zugleich auch Koordinator der politischen Arbeit ist.
9
Für, Lajos: A kisebbségi jogvédelem történetéből [Aus der Geschichte des Minderheitenrechtsschutzes]. In: Magyarok a Kárpát-medencében [Ungarn im Karpatenbecken]. Budapest: Verlag Pallas 1988, p. 320-324.
10
Für, Lajos (1988).
11
Die Slowenen in Kärnten fordern unter Berufung auf das Urteil des Verfassungsgerichtshofes im Dezember des Vorjahres, nach welchem, wenn die Volkszählungen kontinuierlich über 10% der Einwohner einer Siedlung als Minderheit nachweisen, dann zweisprachige Ortstafeln angebracht werden müssen, für 394 Siedlungen werden zweisprachige Ortstafeln gefordert. Landeshauptmann Jörg Haider hält diese Forderung direkt für „sinnlos”, legte sogar Berufung gegen das Urteil des Verfassungsgerichtshofes ein. Die Äußerung Haiders ist diskriminierend und löst im ganzen Land Empörung, doch auch eine minderheitenfeindliche Stimmung aus. Im Sinne des Urteils des Verfassungsgerichtshofes würden darüber hinaus noch an vier Siedlungen kroatisch-deutsche Ortstafeln angebracht werden. Die Verfügung hat keine ungarische Beziehung. Außer den vier erwähnten Siedlungen (Unterwart, Oberwart, Oberpullendorf, Siget) werden von den statistischen Angaben in keiner anderen Gemeinde mehr als 10% ungarische Einwohner nachgewiesen.
12
Die Kongregation der Redemptoristen (des allerheiligsten Erlösers, eine Kongregation der Missionspriester) wurde im Jahre 1732 von Heiligen Alfons Maria Liguori gegründet. Seinem Beschluss ist ihre Aufgabe die seelsorgliche Betreuung der entlegenen Gegenden. 1749 wurde die Kongregation vom Papst bestätigt, und bald, als der Heilige Klemens Maria Hofbauer den Orden auch in die Länder nördlich der Alpen brachte, entwickelte er sich zum größten Männerorden der Neuzeit, der bis zum heutigen Tage tätig ist, vor allem in der Missionstätigkeit und in der Seelsorge.
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... und raus bist du! Ethnische Minderheiten in der Politik. Wien.
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Für, Lajos (1988): A kisebbségi jogvédelem történetéből [Aus der Geschichte des Rechtsschutzes der Minderheiten]. In: Magyarok a Kárpát-medencében [Ungarn im Karpatenbecken]. Red.: Glatz, Ferenc. Budapest: Pallas, p. 320-324.
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www.aeiou.at www.umiz.at
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Begegnungen21_Szepe
Begegnungen
Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Band 21: 13–21.
GYÖRGY SZÉPE
Einführende Gedanken zur Untersuchung der sprachlichen Rechte
in Ostmitteleuropa
1. Die Autoren der folgenden rund ein Dutzend Studien leben in unterschiedlichen Ländern; sie sind Staatsangehörige mehrerer Länder; vermutlich ist auch ihre politische, ethnische und sprachliche Identität abweichend; auch ihre Schulbildung, ihre Arbeitserfahrungen und auch ihr gelebtes Leben weichen voneinander ab; sie sind an unterschiedlichen Arbeitsplätzen und auf unterschiedlichen Posten tätig; vermutlich stimmen nicht einmal ihre Meinungen in Bezug auf die Beurteilung der Vergangenheit und Gegenwart der Welt überein.
Die Einheit des Studienbandes kann bis zu einem gewissen Grade durch sein Thema gesichert werden. Die Untersuchung der in der Republik Ungarn als nationale (ethnische/sprachliche) Minderheit lebenden Menschen, Menschengruppen, sowie die Untersuchung der in den mit Ungarn benachbarten Ländern – in erster Linie der ungarischen Nationalität – als nationale (ethnische/sprachliche) Minderheit lebenden Menschen, Menschengruppen, vor allem im universellen Geiste der Menschenrechte – und vor allem von jenen menschenrechtlichen Aspekten aus, die sich (a) auf ihre Existenz als nationale (ethnische/ sprachliche) Minderheit beziehen, (b) die sich auf ihren Sprachgebrauch beziehen, und (c) die – im Rahmen der vorher erwähnten beiden Aspekte – sich auf ihre Lebensqualität auswirken können.
Die Zusammenstellung des Bandes wurde vom Institut für Minderheitenforschung der Ungarischen Akademie der Wissenschaften angeregt und gefördert. Durch diese seine Unternehmung dient das Institut der internationalen wissenschaftlichen öffentlichen Meinung durch die Darstellung eines Themenkreises, der ohne dieses Institut – in dieser historischen Epoche und in dieser geographischen Region – von den Universitäten nicht hätte zustande gebracht werden können.
2. Damit hängt gleich die erste Frage zusammen, der wir, so glaube ich zumindest, ins Auge blicken müssen. Und zwar sind dies die Schatten der Vergangenheit. Der Verfasser dieser Zeilen hat schon als junger Zeitungsleser seit dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, dann als erwachsener Staatsbürger im identischen Land sieben politische Systemwechsel erlebt (und innerhalb dieser mehrere unterschiedliche wirtschaftliche Umgebungen). Die von den Parlamenten verabschiedeten Gesetze und die Regierungsverordnungen sind uns wie auch die „Lehrpläne und Anweisungen” für die Schulen wie die Kometen über die Köpfe hinweggerast.
Auch heute noch blicke ich mit regem Interesse auf die Vergangenheit der unterschiedlichen Gebiete, Institutionen und Personen zurück. Ich versuche mit Empathie jene Traumata zu erleben, die auch einzelne Menschen, Gruppen von Menschen – ohne ihr eigenes Verschulden oder eventuell mit ihrer eigenen Mitwirkung – erlebt haben, und die sie selbst oder ihre Fürsprecher pausenlos zum Ausdruck bringen. Dies aber fällt – einen Wissenschaftszweig, die Geschichtswissenschaft ausgenommen, – in das Reich der Ästhetik und der Psychologie. Es ist unzulässig, unser heutiges und morgiges Leben im Schatten der Vergangenheit zu leben und aufzubauen, ob wir dies nun als einzelner Mensch oder aber als verschiedene Gruppen von Menschen tun mögen.
3. Die zugefügten Unrechte müssen als Lehren erschlossen werden: was aber auf der einen Seite ein „Unrecht” ist, das ist auf der anderen Seite „die Aufrechterhaltung der Integrität der glorreichen Nation”, „die Erfüllung unserer auserwählten, berufenen Sendung”, usw. Schon vom Gesichtspunkt der alltäglichen, zivilen Denkweise aus ist es etwas Absurdes, dass an einem Ufer des Flusses die Wahrheit eine andere sein soll, als an dem anderen Ufer. Das Vorhandensein und die „Wahrheit” der Berge und Täler, des Hagels, des Hochwassers, der Umweltverunreinigung, der Epidemien, der Modeerscheinungen, des Rundfunks und des Fernsehens, der erhaltenen Vögel und – in normalen Zeitläufen – der Eisenbahnzüge hängt nicht davon ab, in welchem Winkel der Erde die Macht sich gerade in wessen Hand befindet, und welche Untermenge der Menschen seine eigene Macht auf Kosten einer – oder mehrerer anderen Unter- mengen – aufrechterhalten oder gerade erhöhen will.
Nur die allgemeine Achtung des Menschen: auf dem Fundament des Schutzes der Freiheit und Brüderlichkeit, und nur der universelle Schutz der Erde kann jene philosophische Grundlage bilden, auf der die lange Zeit hindurch unlösbaren Konflikte an ihren wahren Platz geraten können. Es ist aber nicht einfach, wie in einer auf dem Wettbewerb beruhenden Marktwirtschaft eine kooperative menschliche Philosophie durchgesetzt werden kann. Das nehmen jene auf sich, die die Menschenrechte in den Mittelpunkt gestellt haben.
4. Der Ideenkreis der Menschenrechte ist, wie allen bekannt, das Produkt der Aufklärung des 18. Jahrhunderts: er enthielt die unveräußerlichen Rechte des Menschen und des Bürgers (citoyens), jene Rechte, die diese nicht von einem anderen erhalten hatten, sondern jene, die ihnen zustanden. Das bezeichnet man als erste Generation der Menschenrechte: das sind die Rechte des „homo politicus”, wie ich es zu lehren pflege.
Dieser individuelle „homo politicus” hat dann im darauf folgenden 19. Jahrhundert merkwürdige Situationen erlebt. Es stellte sich heraus, dass er nicht nur als Bürger von der aus dem Mittelalter dort gebliebenen (und in jener Zeit in einige Länder zurückgekehrten) zentralisierten königlichen Macht unterdrückt wurde, sondern die stärkste Ethnie (Nation) der Reiche (oder großen Königreiche) unterdrückte mit bürokratischen, polizeilichen und kulturellen Instrumenten die anderen Ethnien (ob diese sich nun der damaligen Auffassung zufolge zu einer Nation entwickelt hatten, oder aber nicht). Nicht selten sind richtigen „chinesischen Schachteln” ähnliche Konstruktionen zustande gekommen, in denen die unterdrückte Ethnie (die unterdrückte Nation) zum Unterdrücker einer anderen Ethnie werden konnte. Aus der „Forderung” auf kollektive Rechte der Unterdrückten entstand das „Minderheitenrecht”, das über eine gegebene politische Struktur (ein Reich, ein Königreich, eine Republik) zum rechtlichen Rahmen der Freiheit einer eine vom Zentrum abweichende Sprache sprechenden Gruppe wurde, – sei es nun in der Form eines Begehrens oder eines Zugeständnisses. Einige der minderheitsrechtlichen Prozesse sind symbolisch; doch haben sich zahlreiche realistische Terrains herausgebildet und bis zum heutigen Tag erhalten. Der wichtigste von diesen ist die in der Sprache der Minderheiten verlaufende – muttersprachliche – Schulbildung.
5. Die minderheitenrechtliche Sphäre gilt in dieser geographischen Zone in erster Linie für die ethnisch-sprachliche Minderheit, da diese in der Entwicklung des 19. Jahrhunderts ihre stärkste organisierende Kraft war. Dieser Minderheitengesichtspunkt war insofern ein „sprachlicher”, dass er sich auf einen über eine Sprache zusammenhängenden, Massen umfassenden Kommunikationsraum bezog; und insofern war er ein „ethnischer”, dass innerhalb dieses Raumes auch die eingekeilten kleineren sprachlichen Gruppen ähnliche alltägliche (und festliche) Bräuche ausüben: „sie verstanden einander, auch ohne zu sprechen”.
In diesen Raum der Minderheiten fügte sich die Religion, bzw. die Tätigkeit der die Religion organisierenden „historischen Kirchen” ein. Katholizismus und Protestantismus verwiesen auf die Bindung an Westeuropa; in den protestantischen Konfessionen äußerte sich dies manchmal direkt mit der Ethnie zusammen, dieser untergeordnet; der Katholizismus konnte kraft seines universellen Charakters durch die Tätigkeit seiner herausragenden Würdenträger und seiner Propagandisten zu einem bedeutenden Teilnehmer an den nationalen/sprachlichen/ethnischen Minderheitenbewegungen werden. In der Folgezeit sind in diesem Raum die vor dem 19. Jahrhundert eine Rolle spielenden „historischen Kirchen” bis zu einem gewissen Grade in die Sphäre des öffentlichen Lebens getreten: sie haben zwischen der politischen Sphäre und der zivilen Sphäre eine „dazwischen liegende”, auf halbem Weg befindliche Sphäre herausgebildet (mit einer relativ kurzen Unterbrechung bis zum heutigen Tag).
Die griechisch-orthodoxen Kirchen (mit Strukturen unterschiedlicher Art, doch mit einem identischen Gehalt) richteten ihre Aufmerksamkeit eigentlich hin auf die östlichen und südöstlichen Zentren Europas. Ihre „von ihnen in den Westen” zurückgekehrten Brüder und Schwestern (d. h. die die Oberhoheit des österreichischen Kaisers und des römischen Papstes anerkannten) bildeten die griechisch-katholische (unierte) Konfession, die sich ebenfalls an die nationale Struktur angepasst hatte.
An diese komplexe Struktur passte sich das Judentum nicht an – oder nur um den Preis von großen Schwierigkeiten –, das seine sprachlichen und ethnischen Unterschiede zu einem Großteil aufgab; seine religiösen bzw. kulturellen Besonderheiten behielt es aber bei, deshalb konnte es leicht zum Opfer von irrationalen inneren und äußeren Angriffen werden.
Und außerhalb dieser Struktur verblieb das der „Rasse” (d. h. physisch-anthropologischen Menschenart) zufolge als Minderheit aufzufassende Zigeunertum, das wegen seiner Identität von abweichender Struktur nicht als selbständige Nation existieren wollte, sondern von Stufe zu Stufe zum Schutz seiner Traditionen zurückkehrte. Auch die Roma wurden deshalb für eine lange Zeit aus dem Themenkreis der nationalen Minderheiten weggelassen.
Es muss hinzugefügt werden, dass im Rahmen der freisinnigen Bestrebungen des 19. Jahrhunderts auch bis zum heutigen Tag zu würdigende Vorstellungen und Gesetze zum Schutz der Interessen der historischen christlichen Kirchen und des Judentums, sowie in gewisser Beziehung auch zum Umgang mit den sprachlich-ethnischen Minderheiten entstanden sind.
6. In der eingesetzten Entwicklung der sprachlichen-ethnischen Minderheiten hat sich infolge der im Königreich Ungarn eingetretenen konservativen Wende um die Wende des 19.-20. Jahrhunderts fast alles in sein Gegenteil verkehrt.
Im 19. Jahrhundert hat sich zwischen den Sphären der damals aus der Mode gekommenen Menschenrechte und Minderheitenrechte eigentlich keine positive Beziehung herausgebildet. Die Banderien der mittelalterlichen Kavallerie paradierten unter Nationalbannern, und diese Richtung hatten auch die ihren eigenen Bannern zustrebenden nationalen (sprachlich-ethnischen) Minderheiten eingeschlagen.
In der Zwischenzeit entwickelte sich die Welt weiter. Allmählich schalteten sich in Bezug auf die Schwerpunkte neben Europa auch die Länder anderer Kontinente in das System der internationalen Zusammenarbeit ein. In den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg entstand der Völkerbund, der über große Möglichkeiten in den internationalen Aktionen im Weltmaßstab verfügte. Die Organisationen der Siegermächte hatten aber keine Kraft, was den Umgang mit den Problemen des Minderheitenschutzes neuen Typs anbelangt, die auf dem europäischen Kontinent durch die Pariser Vorstadtfrieden umgestaltet wurden. Diese Probleme waren insofern „von neuem Typ”, dass ein Großteil von ihnen die Verwandlung „von ehemaligen Mehrheitsgruppen” zu Minderheiten zur Folge hatte, gegenüber der untergeordneten Situation der klassischen, über keinen Staat verfügenden, seit langer Zeit so lebenden sprachlich-ethnischen Gruppen.
Dann brach der Zweite Weltkrieg aus, der die Situation zwischen den beiden Weltkriegen aufwühlte, in mehreren Beziehungen gerade unter Berücksichtigung der sprachlichen/ethnischen Gesichtspunkte, in deren Verlauf Massen von Angehörigen der „Minderheiten” (fast zur Gänze z. B. die Juden, die Zigeuner in einem hohen Grade, und die anders Denkenden oder Lebenden) vernichtet wurden. Dann kamen die den Zweiten Weltkrieg wiederum in Paris abschließenden Friedensverträge, die fast zur Gänze den Zustand zwischen den beiden Weltkriegen herstellten, wozu auch das von den sprachlichen/ethnischen Minderheiten gebildete Mosaik gehörte. Und der zweite Friedensvertrag von Paris ließ – de facto – die Rechte der nationalen Minderheiten schon außer Acht.
Das war jene Zeit, in der Europa gerade die Macht über die Welt verloren hatte. Und bis in den 60er Jahren die Beseitigung der Kolonialreiche in Afrika und in Asien begonnen hatte, bis dahin wurden die Rechte des „homo politicus” nur um die Rechte des „homo oeconomicus”, um die Rechte der Arbeitsverrichtung und der sozialen Sphäre, erweitert.
Sowohl die die Bewegungslosigkeit des „status quo” Europas nach dem Zweiten Weltkrieg erschütternden westeuropäischen Generationenbewegungen, als auch die innere Gärung Osteuropas waren dazu erforderlich, damit wiederum die Menschenrechte in den Vordergrund rückten. Das Aufeinandertreffen der außerhalb Europas sich abspielenden Dekolonisierungsprozesse und die Anforderungen der europäischen Minderheiten lösten neue Hoffnungen aus in Bezug auf die Harmonisierung der individuellen klassischen Menschenrechte, der kollektiven Rechte der Minderheiten sowie der Rechte von einzelnen in einer besonders benachteiligten Situation befindlichen Menschengruppen. Die neue Organisation der Menschheit, die Vereinten Nationen – auch durch ihre Spezialorganisationen – konnte die Frage der vom Gesichtspunkt des Überlebens der Menschheit aus erforderlichen Menschenrechte auf die Tagesordnung setzen: als ob die historische Epoche des „homo sapiens sapiens” (so wäre der Gebrauch des Begriffs zutreffend, wenn die Verheißungen in Erfüllung gehen würden) begonnen hätte. Dazu war die Weiterentwicklung des Begriffs der Menschenrechte, die Herausgestaltung der Kategorie der kollektiven Menschenrechte erforderlich geworden.
7. Der Studienband befasst sich mit jenen zweisprachigen Gruppen, bei denen die eine Sprache das Ungarische ist, und zwar innerhalb und außerhalb der Grenzen der Republik Ungarn. Für den Linguisten ist dies Fakt; vom Gesichtspunkt der Gesellschaftswissenschaften aus an sich ein schwer bewertbarer Problemkreis. Die in diesem Thema enthaltenen Menschengruppen haben nämlich an ihrer Kultur (d. h. an ihren Werten und Bräuchen) über die ungarische Komponente unweigerlich teil. Ihre Identität kann eine zweifache sein oder zumindest aus Schichten bestehend. Für Wissenschaftler mit ungarischer Identität ist es in dieser Situation nicht leicht, einen Fokus zu finden, der von allen Betroffenen/Interessierten als „objektiv” angenommen würde. Vielleicht ist dies auch gar nicht möglich (ausgenommen die Summierung von gut angepeilten Einzelerscheinungen und Einzelfragen). Dem Autor dieser Zeilen nach lohnt es sich auch gar nicht, in einer konkreten Region die objektive Zueinanderfügung von umfassenden gesellschaftlichen Fragen zu suchen und zu erzwingen, statt dessen gilt es, einen anthropologischen – das heißt universell menschlichen – Rahmen zu suchen, in dem einer nicht Angeklagter/Ankläger und Richter zur gleichen Zeit sein kann.
Die Linguistik, in der sich der soziale, psychische und biologische Charakter immer mehr miteinander verbindet, steht nicht ohne Chancen da, um gültige Fragen auch in Bezug auf die komplizierten sprachlichen Verhältnisse der Region zu stellen. Und diese Fragen können – mutatis mutandis – auch auf andere Sphären übertragen werden.
An dieser Stelle lohnt es sich auch, auf die sprachlichen Funktionen einzugehen. Hier möchte ich ein wenig den Fragenkomplex der unterschiedlichen Funktionen der Sprache ausführen. (Die Wichtigkeit dieser Aufgabe war für mich evident geworden, als im Verlaufe der Vorbereitung der Empfehlungen der OSZE von Haag die sich in der überwiegenden Mehrheit befindlichen Sozialwissenschaftler, Politologen und Juristen ihre Aufmerksamkeit auf eine einzige sprachliche Funktion konzentrierten: dies war die symbolische Funktion des Sprachgebrauchs der Mehrheit der Staatsmacht und der sprachlich-ethnischen Minderheit. Ich war nicht allein in dieser Diskussion unter denen, denen es schließlich gelungen ist, diesen Kreis zu erweitern.) Zweifelsohne besteht die wichtigste Funktion der Sprache in der Unterstützung der Kommunikation, der Zusammenarbeit zwischen den Menschen: diese sprachliche Funktion hängt unzerreißbar mit den menschlichen Handlungen in ihren unterschiedlichsten Varianten zusammen: vom Spiel bis zu Arbeit, über die Paarwahl, die Familie, die Erziehung, die Freundschaft, die Unterhaltung, den Kampf, das Heraufbeschwören der Vergangenheit, den Gottesdienst, das Verbringen der Freizeit usw.
Dem ist untergeordnet die die Identität symbolisierende Funktion der Sprache, die im Allgemeinen im Zusammenhang mit der gegebenen sprachlichen Gemeinschaft berücksichtigt wird: im einfachen Fall bringt das gegenseitige Verstehen eine – im konkreten Fall – als „wir” funktionierende Gemeinschaft zustande (das Hinzugehören zur „Koine”), in den vergangenen Jahrhunderten wurde der Maßstab aber immer mehr angehoben: auf einem konkreten Sprachgebiet wurde von dem/von den wirtschaftlichen/kulturellen/politischen Zentrum/Zentren eine nur in der Schule erwerbbare sprachliche Norm herausgestaltet, die es entschied, ob jemand vom Gesichtspunkt seiner Selbstidentität aus in berechtigter Weise auf das eine (oder das andere) Zentrum blickt. Hieraus hat sich auch eine geschichtete Form herausgebildet, die die Übernahme der vollständigen Identität auch für die an der Peripherie Lebenden leichter machte. – Die Identität als sprachliche Funktion hat sich mit der Loyalität zu einer gegebenen (oder einst bestandenen) politischen Einheit verknüpft: da ließ sich die Zugehörigkeit zu dem einen Zentrum schwer (oder überhaupt nicht) mit der mit einem anderen Zentrum harmonisierenden Identität vereinbaren. Die aus mehreren Schichten bestehende Identität ist zwar verständlich, kann in der sprachlich/ethnischen Sphäre erläutert werden, vom Gesichtspunkt der Loyalität der politischen Sphäre aus lässt sie sich aber nur schwer tolerieren. – Diese Frage ist aber linguistisch übrigens heute schon nicht mehr von der Frage der Zweisprachigkeit (dem Bilinguismus) bzw. der Diglossie zu trennen. Das Politikum wird so in diese universell vorfindbare sprachliche Erscheinung verwickelt, dass es nicht gleichgültig ist: wer verordnet die Gründung der zweisprachigen Schule, wer fordert diese, und wird die zweisprachige Schule zur Werkstatt der Assimilierung oder zur Erhaltung der Sprache.
Und hier muss auch gleich die kognitive Funktion der Sprache erwähnt werden, die nach der kommunikativen Funktion – mit dieser zusammen – die wichtigste vom Gesichtspunkt des Fortbestehens und der Entwicklung der Gattung des Menschen ist. Von dieser kognitiven Funktion wird entschieden, was für eine Welt das Kleinkind um sich herum ausbaut, wie sieht es diese, wie kann es über diese sprechen. (Achtung: die Erkenntnis hat in hohem Maße einen sprachlichen, doch nicht ausschließlich einen sprachlichen Charakter: auch die Augen und die Hände des Menschen spielen dabei eine Rolle.) Diese anthropologische Argumentation ist die Grundlage für die vernakuläre Erziehung. Für das Kind ist es am optimalsten, wenn es die Welt in der Sprache seiner Familie kennenlernen kann, in dieser Sprache die Schule beginnt und fortsetzt, solange es die wirtschaftlichen/politischen Verhältnisse ermöglichen, wenn möglich bis zum Abschluss der Schule. Dieses Prinzip wurde von den Gründervätern der UNESCO am Ende der 40er Jahre von der vor dem britischen Kolonialreich entstandenen indischen Auffassung übernommen. Und dieses vernakuläre Prinzip wurde die Grundlage des Menschenrechts der Erziehung in der Muttersprache. (Hier sei bemerkt: weder das vernakuläre Prinzip, noch das Prinzip der Erziehung/des Unterrichts in der Muttersprache hat eine ausschließliche Geltung, es hebt nur gerade die Wichtigkeit der ersten Sprache, der Familiensprache, der Muttersprache gegenüber dem Erlernen der später erforderlichen Umweltsprachen, Staatssprachen, bzw. international wichtigen Sprachen hervor, und vor allem dagegen, dass diese Sprachen das Medium des Unterrichts werden sollen. Vielleicht kann es gerade zu den Besonderheiten dieser Region gehören, dass der tschechische Philosoph und Pädagoge J. A. Comenius gerade in Sárospatak, in Ungarn, den Gedankenkreis des in der Muttersprache beginnenden Lernens ausgearbeitet hat.
8. Besonders müssen wir dem Problem ins Auge blicken, weshalb gerade die Vertreter der Republik Ungarn und der ungarischen sprachlichen-ethnischen Gruppe zu Fürsprechern der modernen Menschenrechte (und innerhalb dieser der sprachlichen Menschenrechte) geworden sind, ist doch gerade in diesem Land die Assimilierung der nationalen Minderheiten im größten Ausmaß erfolgt. Hierfür werden im Allgemeinen zwei Gründe angegeben: (a) dieses Land war im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts radikal einsprachig geworden (im Vergleich zu dem früheren mehrsprachigen Zustand), (b) und eben aus diesem Grund gerieten bedeutende Teile des sprachlich-ethnischen Kontinuums unter die (politische, wirtschaftliche, kulturelle) Oberhoheit anderer, mehrerer benachbarter Länder. Das muss mit gewissem kühlen, distanzierten Abstand auch dann ausgesprochen werden, wenn zwischen den beiden Weltkriegen der bedeutendste politische Plan (und Wunschtraum) des damaligen konservativen Regimes die Revision der den Ersten Weltkrieg abschließenden Pariser Vorstadtfrieden, d. h. „die Rückgliederung der vom Königreich Ungarn losgerissenen Gebiete” war. Nun, jene, die Beiträge für diesen Band geschrieben haben – wie auch die Besten der Intelligenz des Raumes – erkennen die gegenwärtige Landkarte Europas an und halten sie für unveränderbar, was die Grenzen der einzelnen Länder anbelangt. In dieser historischen Situation kann die innere Rechtsordnung der Europäischen Union, die virtuelle Rechtsordnung der Vereinten Nationen und die Souveränität voneinander gegenseitig deklarierenden Verträge zwischen den Nachbarstaaten jene Wende bedeuten, in deren Rahmen (a) obzwar jedwede gewaltsame Veränderung der bestehenden Ländergrenzen von der Tagesordnung der möglichen Ereignisse genommen wird, (b) im Rahmen der EU die relative Einheit der natürlichen sprachlichen/ethnischen Gemeinschaften wieder entstehen kann. Und dadurch kann sich die mehrschichtige Identität und die komplexe Loyalität der Bürger dieses Raumes herausbilden und stärker werden: hin zu Europa, zur Ordnung ihres Landes und zu ihrer sprachlich-ethnischen Gemeinschaft. (Wäre die Frage der nationalen Minderheiten nicht auf irgendeine Weise mit der Macht und der wirtschaftlichen Sphäre verbunden, dann wäre diese Annäherung nicht aussichtslos.)
Solange wir aber nicht in der „civitatis dei” ankommen, kann von dem Gebiet der Wissenschaft aus die kooperative Zukunft dadurch unterstützt werden, dass je mehr kontrollierbare Angaben und deren Zusammenhänge enthaltende Studien publiziert werden.
In dieser Auffassung bleibt die „regionale Verantwortung” der Sozialwissenschaftler nicht nur vorhanden, sondern sie wird auch noch verstärkt, indem sie es akzeptieren, dass der vom europäischen Mosaik auf sie entfallende eigene Teil vorgestellt werden muss. Auch das ist kein Problem, wenn derselbe Teil von mehreren, auf vielerlei unterschiedliche Art vorgestellt wird. Eben deshalb halte ich die Unterstützung der Zusammenarbeit von aus mehreren Ländern stammenden, über eine unterschiedliche schulische Ausbildung verfügenden und von unterschiedlichen Berufen ausgehenden Fachleuten bei der Erstellung eines derartigen Bandes für förderungswert. Auf ähnliche Weise wird eine abwechslungsreiche kritische Reaktion allmählich die Handhabung „sine ire et sine studio” der in einem solchen Band vorgestellten und behandelten Problematik in der internationalen wissenschaftlichen öffentlichen Meinung herausgestalten in der Region, zwischen den Regionen, auf dem Kontinent und unabhängig von der geographisches Lage.
Ich glaube, dass bei der Zusammenfassung der Spezifika des Raumes auf jeden Fall jene kompetenter sein werden, die außerhalb dieser Region leben, und von denen nicht einmal den Großvätern ein Härchen gekrümmt worden war im kontinuierlich wehenden stürmischen Wind der Region.
9. Wenn Ungarn und einige Gefährten dieser Region zu Mitgliedsländer der erweiterten Europäischen Union werden (die noch immer nicht den gesamten Kontinent umfasst), dann wird vielleicht das Studium der Verhältnisse dieses Raumes in ganz Europa aktuell werden, wie seit langer Zeit von uns die Verhältnisse der westeuropäischen Staaten studiert werden. In der mitteleuropäischen Zone gibt es – der politischen Tradition zufolge – keine Großmacht: hier gibt es viele Kleinstaaten und eine mittlere Macht; Polen, das von seiner stürmischen Geschichte daran gehindert worden war, seine Funktion als Mittelmacht zu versehen. In diesem Gebiet der Welt sind die Mosaiken farbiger, noch immer sind die von der Vergangenheit geschlagenen Wunden tief (und vor allem ihre Narben schmerzend), doch hat diese Gruppe sich entschieden den Weg der Demokratisierung und Modernisierung gewählt. Ich glaube, dass wegen der Besonderheiten der Region die Befolgung des in Westeuropa entstandenen Prozesses und der Ordnung der Demokratisierung und Modernisierung unmöglich zu sein scheint, wenn – in dieser Region und auch in dem größeren Raum – die politischen Differenzen der benachbarten Länder, die die Grenzen überschreitenden sprachlichen Gemeinschaften sowie der Fragenkomplex der in den meisten identifizierbaren sprachlich-ethnischen Minderheiten in einem umfassenderen menschenrechtlichen Rahmen nicht in einen neuen Zusammenhang miteinander geraten. Falls dies zu einem Beitrag zum Verständnis dieser ein wenig komplizierten mitteleuropäischen Lage werden kann, für den gesamten Kontinent und für die – diesen überschreitende – Welt, was nur von hier stammen kann. Wenn die Fragen von „diesen von der Peripherie Kommenden” auch für die „im Zentrum Befindlichen” interessante Antworten hervorbringen können...
(August 2002)
Begegnungen21_Szarka
Begegnungen
Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Band 21: 23–30.
LÁSZLÓ SZARKA
Die Muttersprache der Minderheiten als gefährdete Sprache
Seit der Prophezeiung Herders beschäftigt sich die Intelligenz der kleinen Nationen Mittelosteuropas damit, ob die kleinen Sprachen, die nationalen Kulturen dieses Raumes verschwinden können, sei es so, dass die weniger lebensfähigen, kleinen Sprachen mit der Verbreitung der slawischen Sprachen und der früher als unumgänglich aufgefassten, heute jedoch wieder unvorstellbar scheinenden Assimilation zuerst an Raum verlieren, dann aussterben, oder aber auf die Weise, dass die Verbreitung der europäischen großen Sprachen, ihre allgemein werdende Verwendung der wichtigste Verursacher des Untergangs der kleinen Sprachen ist.
Was für Faktoren und in welchem Ausmaße können zur Gefährdung einzelner Sprachen beitragen, welche Faktoren engen den Gebrauch der Sprachen der kleinen Nationen im Bereich der zur konkreten Sprachgemeinschaft, der Gemeinschaft der Sprecher gehörenden Minderheiten ein? Gehen wir von der Tatsache aus, dass es in der Reihe der auf zwischen 4 000 und 10 000 geschätzten Sprachen der Welt den Angaben von István Fodor nach nur 138 Sprachen gibt, die von mehr als 1 000 000 Sprechern gesprochen werden. Wenn wir die untere Grenze der Größe der Sprachgemeinschaft auf 10 000 Personen festlegen, ist auch dann nur von 993 Sprachen die Rede. Die restlichen 5 000 bis 9 000 Sprachen gehören also zu jenen gefährdeten Sprachen, die von einigen tausend, bzw. von einigen hundert oder von noch weniger Menschen gesprochen werden und die keine Schriftlichkeit haben. Nur auf 500 kann die Zahl der auch über eine schriftsprachliche Variante verfügenden Sprachen angesetzt werden, dazu gehören auch die Sprachen des Altertums. (Fodor, 2001: p. 229; Bartha, 1999 : p. 17-18).
Das statistische Kriterium der Kategorie der „gefährdeten Sprache” ist jenes, das von der Größenordnung der Sprachgemeinschaft ausgeht, das die überwiegende Mehrheit der Sprachen der Welt in dieser Kategorie unterbringt, darunter auch die Sprachen unserer Sprachverwandten, nämlich der Wogulen, Ostjaken und der Samojeden, doch gilt bis zum Ausgang des 20. Jahrhunderts auch die Abnahme der autochthonen ungarischen Bevölkerung im Burgenland und in Kroatien (in Süd-Baranja und in Slavonien) als ein die Existenz der muttersprachlichen Gemeinschaft gefährdender statistischer Faktor. (Kocsis, 1998: p. 181-186, 200-203). Ähnlich den beiden kleinsten ungarischen Minderheitengemeinschaften bereitet auch der kontinuierliche Rückgang der Bevölkerungszahl die größte Sorge für die Gruppen der Minderheiten in Ungarn. Innerhalb des außerordentlich komplexen Ensembles der Erscheinungen der Assimilationsprozesse in Ungarn (die von historischen, siedlungsstrukturellen, minderheitentypologischen, minderheitenpolitischen Gründen, von den Wechselwirkungen zwischen Hungarisierung und Hungarisiertwerden, von den Folgen der äußeren und inneren Migration usw. abzuleiten sind) bedeuten gegenwärtig ohne Zweifel die außerordentlich ungünstigen demographischen Indizes das größte Problem. Die Angaben zur Muttersprache der zehn Volkszählungen des 20. Jahrhunderts zeigen, dass auf dem Territorium des heutigen Ungarns unter dem summierten Einfluss der vorstehend erwähnten Gründe und Ursachen die Gesamtzahl der Gruppen von nicht-ungarischer Nationalität innerhalb eines Jahrhunderts von 1 037 000 auf 135 152 gesunken ist.
Obendrein hat sich das Tempo des Rückgangs auch im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts nicht verlangsamt: im Jahre 2001 bekannten sich rund 9 Prozent weniger als von nicht-ungarischer Muttersprache als im Jahre 1990. Zwischen 1990 und 2001 hat im größten Ausmaß die Zahl der Ungarndeutschen abgenommen, deren Anteil an der Gesamtbevölkerung des Landes von 8,8 % auf 0,4 % gesunken ist; der Anteil der Slowaken ging von 2,6 % auf 0,3 %, der der Kroaten von 1 % auf 0,1 % und der der Serben von 0,4 % auf 0,03 % zurück. (Daten der Volkszählung des Jahres 1990, 1992: p. 6-7). Bei der Volkszählung des Jahres 2001 – als aufgrund der Empfehlung des Datenschutzbeauftragten auch die Daten zur Muttersprache als sensitive Daten galten demgemäß die Beantwortung der Frage nicht obligatorisch war – zeigten nur die Angaben der Muttersprache von fünf Minderheiten eine Zunahme. Parallel zur minimalen Zunahme der Personen mit Roma als Muttersprache (um 1,3%) erreichten nur die Griechisch-, Serbisch- und Slowenischmuttersprachler ein bedeutendes Wachstum (zwischen 8 und 12 Prozent). Die Zahl der Armenischmuttersprachler ist von 37 auf 294 Personen gestiegen, d. h. die Zahl der sich als Armenischmuttersprachler bezeichnenden Personen lag beinahe um 800 % (!) höher als vor zehn Jahren. Die Werte der Volkszählungsangaben der zu den anderen Minderheiten gehörenden nicht-ungarischen Muttersprachler haben abgenommen. Im Jahre 2001 haben sich 14 345 Personen als Kroatischmuttersprachler bezeichnet, um 3 232 Personen (18,4 Prozent) weniger als im Jahre 1990. Die Zahl der Deutschmuttersprachler hat von 37 511 Personen um 4 281 Personen, d. h. um 11,4 % abgenommen. Doch ist auch die Zahl der Bulgarisch-, Slowakisch-, Polnisch- und Rumänischmuttersprachler gesunken. Die Zahl der im Jahre 1991 zusammen gezählten Rusinisch- und Ukrainischmuttersprachler aber (674 Personen) ist auch einzeln bedeutend angestiegen. Den Angaben von 2001 zufolge gaben 1 113 Personen das Rusinische (Ruthenische) und 4 885 Personen das Ukrainische als Muttersprache an. (Volkszählung des Jahres 2001. 2002, p. 10)
Die den offiziellen Angaben der Volkszählung nach zahlenmäßig unter 5 000 Personen liegenden Minderheiten, die über einzelne Regionen Ungarns verstreut leben (Serben, Slowenen, Griechen, Armenier, Bulgaren, Ukrainer, Rusinen), können ihre kleinen Minderheitengemeinschaften nur unter schwierigen Umständen aufrechterhalten und diese auch als Gemeinschaften der Sprecher auffassen.
Die von unterschiedlichen Gründen ableitbare demographische Abnahme der mittelosteuropäischen Minderheiten bedeutet an sich nicht den Tod der von ihnen gesprochenen Sprache. (Szépe, 2001 : p. 145-147). Die von den sprachlichen Minderheiten gebrauchten spezifischen, nirgends anderswo existierenden Gemeinschaftssprachvarianten aber sind entweder mit ihren historischen und dialektologischen Besonderheiten Träger von regionalen Kulturen, der Identität von historischen oder ethnographischen Gruppen oder sie bedeuten die belebende Kraft der zwischen der Zwei- und Mehrsprachigkeit entstandenen Kontaktvarianten. Diese Gruppen hören infolge ihrer von demographischen Faktoren abzuleitenden Abnahme und im Prozess des stärker werdenden Sprachwechsels oder des Sprachverlusts zu existieren auf. Dieser Sprachwechsel aber verändert nicht nur den Sprachgebrauch der Individuen, denn die muttersprachliche Mundart der ganzen Gruppe oder der Gemeinschaft, die Kontaktvariante geht dabei verloren, die sich in der zweisprachlichen Sprachsituation herausgebildet hat, und damit kann auch die Existenz der spezifischen ethnischen, ethnosozialen Wurzelkultur in Gefahr geraten.
In diesem Sinne können wir vom Tod der in einem besonderen Sprachgebrauch existierenden Sprache der Minderheitengruppe sprechen, auch in dem Fall, wenn die konkrete Sprache anderswo, z. B. im Staat der konkreten Sprachnation oder in einer anderen Minderheitensituation, auch weiterhin gebraucht wird. (Bartha, 1999 : p. 124-127).
Die Gründe für die Gefährdung sind vielfältig und sind auf den Mangel an sprachlicher Planung, am Innehalten der internen sprachlichen Entwicklung, usw., auf die nicht mit der industriellen Entwicklung oder mit den Anforderungen der Modernität Schritt halten könnenden Umstände zurückzuführen. Infolge solcher Gründe sind ebenfalls viele Sprachen endgültig in Gefahr geraten. Zum großen Teil kann von derartigen Faktoren die Gefährdung der Stammessprachen in der dritten Welt abgeleitet werden.
Auch im Falle der Gemeinschaften der eine Minderheitenmuttersprache Sprechenden kann diese Gefahrenquelle in Bezug auf die Erhaltung der Muttersprache ernste Probleme aufwerfen, befinden sich diese Gemeinschaften, die nur mit dünnen Fäden mit der kulturellen, wissenschaftlichen, informatischen Infrastruktur des Mutterlandes, des „Muttersprachenlandes”, mit der aktiven Sprachgemeinschaft der nationalen Gesellschaft verbundenen sind bzw. zu einem großen Teil getrennt, losgelöst und ab ovo im Gebrauch der Muttersprache in einer benachteiligten Ausgangssituation. Darüber hinaus kommt die Sprache der Mehrheitsnation auch in den von der Minderheit besiedelten Regionen in der Verwaltung, im Unterricht, an den Arbeitsplätzen immer stärker zur Geltung, und so gehen die Möglichkeiten des einsprachigen Gebrauchs der Muttersprache allmählich fast automatisch in eine Variante der Zweisprachigkeit, der Doppelsprachigkeit über. Im Wortschatz, in der Ausdrucksweise, im Sprachgebrauch der in den „Kompetenzbereich” der Amtssprache gehörenden Bereiche (Armee, Polizei, Verwaltung, Eisenbahn, Gesundheitswesen usw.) beginnt die Sprache der Mehrheit früher oder später dominant zu werden. Danach folgt dann die Umgestaltung der sich abwickelnden sprachlichen Dominanz im beruflichen Sprachgebrauch, in der Presse, im politischen öffentlichen Leben, in den Mischehen, in den Siedlungen mit gemischter Bevölkerung usw., was außer den Mängeln der Rechte des Minderheitensprachgebrauchs grundlegend von der Endlichkeit der inneren Kraftreserven der Minderheitensprache abgeleitet werden kann.
Die bisherigen Analysen der im Falle der Gemeinschaften der ungarischen Minderheit zu beobachtenden Prozesse weisen darauf hin, dass die Zweisprachigkeit – als determinierender Faktor der ungarischen Kontaktsprache der von den ungarischen Gemeinschaften gesprochenen Sprache in Rumänien, Jugoslawien, in der Slowakei, in der Karpatenukraine, in Slowenien, Kroatien und im Burgendland, zum Großteil auf den seit der Minderheitsformung vergangenen Zeit herausgebildeten neueren bzw. auf enge Gebiete lokalisierbaren Schauplätzen des Sprachgebrauchs mit den besonderen minderheitenspezifischen Fragen des Sprachmangels kämpft. (Csernicskó, 1998 : p. 155 – 161; Göncz , 1999 : p. 123 – 132; Lanstyák, 2000 : p. 176–185).
Die dritte Quelle der sprachlichen Gefährdung ist die Assimilationspolitik des zentralisierenden und unterdrückenden (diskriminierenden) Nationalstaates. Eine andere Frage ist, dass es ziemlich schwer ist, genau die Grenzen zwischen der gewaltsamen und der natürlichen Assimilation anzugeben. In der Geschichte der Assimilationsprozesse kann im allgemeinen der Assimilationszwang im Verhältnis der nebeneinander lebenden Ethnien, Nationen und Volksgruppen gegen die kleineren oder wirtschaftlich schwächeren, weniger organisierten, politisch nicht dominanten Gruppen nachgewiesen werden. Dieser kann im Laufe der Zeit aufgrund der Nachfolge der gesellschaftlichen Mobilität, der positiven oder progressiven gesellschaftlichen Muster zu einem freiwilligen Sprach- und Identitätswandel, d. h. zu einer Art von natürlicher Assimilation werden.
Die Assimilation der Nationalstaaten, d. h. die Verdrängung der Muttersprache der Gruppen der Minderheiten aus dem offiziellen Sprachgebrauch, z. B. aus der Verwaltung, die Stigmatisierung des Gebrauchs der Muttersprache der Minderheiten, die Beschränkung oder der Mangel des muttersprachlichen Unterrichts, das Sinken des Prestiges der Muttersprache der Minderheit im Laufe der im Zusammenleben zwischen der Mehrheit und der Minderheit häufigen einseitigen Zweisprachigkeit, sowie der gewaltsame Raumgewinn der Mehrheitssprache stellt auch für die Muttersprache der mittelosteuropäischen Minderheiten eine ernste, auch am Anfang des 21. Jahrhunderts nachweisbare Gefahrenquelle dar. Die sogenannte natürliche Assimilation tritt in dieser Region in erster Linie in den Schichten der am mobilsten städtischen, jugendlichen Intellektuellen in der Mehrheitsumgebung, der als Angestellte arbeitenden Minderheitengruppen, bzw. im Falle der territorial verstreut lebenden, historischen oder neu eingewanderten Minderheiten auf, also in der Lage der Diaspora. (Szépe, 2001 : p. 16-22). Diese spontan oder zumindest überwiegend freiwillig verlaufenden Prozesse des Sprachwechsels können mit Mitteln zum Schutz der Rechte der Minderheitensprachen kaum effizient ausgeglichen werden.
Die sprachliche Gefährdung hat noch eine vierte, gegenwärtig eher noch als theoretisch geltende Quelle, die im allgemeinen mit der sprachlichen Assimilationsbegleiterscheinung der Globalisierungsprozesse, mit dem umfangreichen Vordringen des Englischen identifiziert wird. Doch löst dieser Prozess auch auf den ersten Blick im Vergleich zu den vorstehend erwähnten Faktoren ganz andere Prozesse aus, bzw. regt sie an, und zwar sowohl auf der Seite der Sprachgebraucher bzw. der Gemeinschaften sowohl der Mehrheit als auch der Minderheit. In Bezug auf das Allgemeinwerden der Englischkenntnisse wird es sich lohnen, die analoge Entwicklung der kleinen Nationen in Skandinavien bzw. in Westeuropa im Allgemeinen zu Grunde zu legen. Die mehrheitliche Einsprachigkeit des 20. Jahrhunderts, die wegen ihrer Bequemheit und in den Augen vieler vorhandenen Risikolosigkeit ein wünschenswertes Modell des Sprachgebrauchs ist, wird wahrscheinlich auch in unserer Region innerhalb von kurzer Zeit nicht mehr haltbar sein. Für die Gemeinschaften der Minderheiten bedeutet die Aneignung des Englischen und im Allgemeinen der Weltsprachen den Beginn der Mehrsprachigkeit. Bei jenen Minderheiten, wo der muttersprachliche Unterricht in der Schule in Wirklichkeit das Wiedererlernen der „vergessenen” Muttersprache der Gemeinschaft bedeutet, lässt sich schon jetzt diese Erscheinung beobachten, dass das Erlernen einer Weltsprache das Wiedererlernen der Muttersprache der Minderheit in den Hintergrund zu verdrängen beginnt.
In der Sprachenpolitik in den Ausmaßen des europäischen Kontinents bzw. für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union geltend liegt zwar die Erkenntnis vor, dass man sich neben der Mehrheitssprache bzw. der Staatssprache kontinuierlich auch mit den Rechten, mit dem Unterricht, der Anregung des Gebrauchs der Minderheitensprachen beschäftigen muss, doch bleibt die gegenwärtige Regulierung und das sprachenpolitische institutionelle System hinter den tatsächlichen Anforderungen zurück (Szépe, 1998 : p. 76-77; Kovács, 1993 : p. 18-23).
Untersuchen wir also die Sprache der Minderheiten in Ungarn und der ungarischen Minderheiten jenseits der ungarischen Staatsgrenzen von den aufgezählten Gesichtspunkten der Gefährdung aus, zeigen sich grundlegende Unterschiede zwischen den Gemeinschaften der Roma, der Bea- und der Romani-Sprache und den anderen Minderheiten in Ungarn, bzw. zwischen den ungarischen Minderheiten jenseits der ungarischen Landesgrenzen. Doch bestehen auch wesentliche Unterschiede zwischen letzteren, was die sprachliche Situation dieser anbelangt. Im Falle der von den Romani-Zigeunern in Ungarn gesprochenen Lovari-Mundart und der von den Bea-Zigeunern gesprochenen Mundarten in Rumänien sind fast sämtliche Ursachen der Gefährdung vorhanden. (Réger, 1995 : p. 79-85; Kiss, Jenő, 1995 : p. 190-191).
Im Falle der Muttersprache der in Ungarn lebenden Minderheiten bedeutet vor allem die Jahrzehnte hindurch angeheizte nationalstaatliche und die in den vergangenen Jahrzehnten angestiegene natürliche Assimilation (in Mischehen, der im Laufe einer Generation sich in der ungarischsprachigen Umgebung abgespielte Sprachwandel, Abbruch der Sprachvererbung in den Familien) den wichtigsten Grund für die sprachliche Gefährdung. Entfernt die Gemeinschaft sich von der Sprachentwicklung des Mutterlandes, wird sie von dieser losgerissen, bleibt auch die natürliche Vererbung, die Weitergabe der regionalen Sprache vorhanden, und bis zur Gegenwart obliegt zum Großteil die Erhaltung, das Wiedererlernen der Sprachen dem Schulsystem der Minderheiten, wozu dieses Unterrichtssystem jedoch nicht fähig ist (Gyivicsán, 1993 : p. 241-249; Bindorfer, 2001 : p. 57-67).
Dasselbe kann auch von den ungarischen Gemeinschaften jenseits der Landesgrenzen gesagt werden, doch ist hier die Dominanz der ungarischen Sprache, der Einfluss der zentralen Sprachvariante Ungarns viel stärker, und die regionalen bzw. Kontaktvarianten des Ungarischen sichern kontinuierlich die Lebensfähigkeit des ungarischen Sprachgebrauchs.
In der Gesamtheit kann festgestellt werden, dass die Sprachen der Minderheiten sich auch in unserem Raum in unterschiedlichen Stadien der Gefährdung befinden. Das müsste aber auch bei den Rechtsschöpfern und Rechtsanwendern und natürlich auch bei den Fachleuten bewusst gemacht werden, die sich mit der Sprachplanung und der Sprachpolitik befassen. Die Erscheinungen des Sprachwechsel und des Sprachverlusts, die sich im Bereich der Minderheiten beobachten lassen, können nur dann genau umschrieben werden, wenn die Praxis der individuellen und kollektiven Zweisprachigkeit gründlich untersucht werden. Es müsste z. B. geklärt werden, inwieweit die zwischen den nicht-ungarischen Gemeinschaften in Ungarn und den ungarischen Gemeinschaften jenseits der ungarischen Landesgrenzen nachweisbaren wesentlichen Unterschiede rechtlich-politischen Ursprungs sind, und inwiefern diese mit den typologischen Besonderheiten der einzelnen Minderheiten erklärt werden können. Wie auch das untersucht werden muss, welche Art der individuellen und kollektiven Zweisprachigkeit für die sprachliche Situation der konkreten Minderheiten charakteristisch sind, und inwiefern diese für die mit der einsprachigen Mehrheit zusammenlebenden, in eine einer einseitigen Zweisprachigkeit lebenden Minderheiten den von der Mehrheit geforderten, ja sogar obligatorisch gemachten mehrheitssprachlichen Sprachgebrauch auf allen Ebenen des offiziellen Sprachgebrauchs bedeuten.
In Bezug auf die internationale sprachliche Regelung der europäischen Minderheiten lässt sich heute noch nicht genau feststellen, in welchem Ausmaße diese imstande ist, das sprachrechtliche Verhalten der einzelnen Länder zu beeinflussen und in welchem Maße diese völkerrechtlichen Dokumente und Empfehlungen imstande sind, die in der Region entstandenen Unterschiede im Sprachgebrauch zu berücksichtigen.
Die internationalen Empfehlungen sind jedoch damit zusammen sehr wichtig, können sie doch z. B. auch vom Gesichtspunkt der muttersprachlichen Erneuerung der Minderheiten in Ungarn eine sehr wichtige internationale Unterstützung sichern. Für die einsprachigen bzw. von der ungarischen Muttersprache dominierten ungarischen Minderheiten bedeuten die internationalen Empfehlungen fallweise weitere große Herausforderungen, können diese doch von den Sprachpolitikern der Mehrheit dazu verwendet werden, den doppelsprachigen Charakter, die Zweisprachigkeit der Minderheitenschulen zu fördern, zugleich versucht man, das Prestige, den Bereich des offiziellen Gebrauchs der Minderheitensprachen kontinuierlich einzuengen.
Die europäischen sprachlichen Empfehlungen, sei nun von der Charta der Minderheitensprache oder von den Haager Unterrichtsempfehlungen des Minderheitenhauptkommissars der OSZE die Rede, sind bestrebt, ausgeglichene Situationen der Zweisprachigkeit der Minderheiten- und Mehrheitssprachen zu verwirklichen. Die tatsächliche Entwicklung wird aber von der alltäglichen Praxis des Sprachgebrauchs, vom Kommunikationswert und vom Prestige der Sprachen entschieden.
Literatur
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