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Begegnungen
Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Band 26:87–88.

 

Hungary at the turn of the Millennium

 

Today Europe and the entire world are facing new challenges. The information revolution is more than merely an industrial-technological revolution; it is also a cultural revolution. With the invention of a new generation of microchips – in the early 1970’s – a new age has begun in the history of mankind and the culture of interhuman relations has been fundamentally altered. These changes have an impact on production, on social life, on the relations between individuals and states. With the acceleration of the process of globalization, every single local workplace is becoming part of the worldwide competition. The knowledge-radius of individuals is constantly expanding, people are capable of reviewing events happening in various parts of the world in seconds through travelling or telecommunications.

The continents (Europe among them), the national and state communities (including those of the Hungarians) and individuals (including ourselves as intellectuals), are facing new challenges. We must consider the new global processes, we must reconsider our new possibilities in the division of labour, and we must decide for ourselves what we really want to achieve. We are facing an imperative situation; together with the peoples of the continent – as well with the peoples of other cultures – we must determine what we should do.

Who should explore the alternatives becoming available for the continent, for the communities of individual nation states? The answer is: the intellectuals must do it! Above all, scholars and entrepreneurs should perform this task. We, scholars, are true cosmopolitan citizens – after all, our workshop is the entire globe – and we are also “patriots”, since we are also members of a given local and national culture. We are not thinking in terms of four-year electoral cycles as the political elites do; rather, our thinking is centered on humanity, the nation, the cultures of the world. These facts provide ample reason for intellectuals to attempt to ascertain the possibilities opening currently, and find the ”breakout points” for their respective communities.

In September 1996 as the new President of the Hungarian Academy of Sciences, I suggested, that the members of the Academy create a National Strategic Research Program. Let us have the Academy become the advisor to the nation!

The research program started under the title, “Hungary at the Turn of the Millennium.” We raised certain questions, such as ”What direction is the world taking, and what is our position in this process?” “What sort of conditions will we have to face as a member of the European Union?” What can we, Hungarians, expect in general from the Eastern enlargement of the European Union in areas such as agriculture and food production, information transmission, the maintenance and protection of the ecosystem? How about NATO and strategic defence water management, the maintenance of bio-diversity, energy resources and the politics of energy conservation? What about the future of the languages of small nations, health care social policies, the information revolution and the coming information society, etc.? Fourteen large projects were started and had been completed between 1997 and 2000. In each case, the result was the publication of monographs dealing with the respective issues.

The Europe Institute Budapest decided to participate in the dissemination of these new Hungarian research findings in foreign languages. The Europe Institute, as the strongest civil organisation in the field of European studies wishes to act as a mediator between Hungarian and European intellectual ventures and strategies.

Volume 6 of “Begegnungen” (1998) had already issued a programmatic study entitled ”Hungary at the Turn of the Millennium” (”Begegnungen,” Budapest, 1998, vol. 6, pp. 9-30). Upcoming volumes of “Begegnungen” will include studies prepared within the framework of this Strategic Research Programme (selected in consultation with the Advisory Council of the Programme) in English and German languages.

(F. G.)

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Begegnungen
Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Band 26:73–76.

FERENC GLATZ

Intellektueller unter den Politikern, Politiker unter den Intellektuellen

Laudatio auf Erhard Busek

 

Mit Erhard Busek verbindet mich eine enge persönliche Freundschaft seit 16 Jahren. Eine Laudatio auf ihn kann ich deswegen nicht ohne Befangenheit halten. Unsere Generation ist aber seit langem über die Feststellung hinweg, dass die Wahrheit der Bewertung davon abhängt, wer sie ausspricht. Wir sind schon zu der Schlussfolgerung gekommen, dass es nicht zählt, wer etwas sagt, Hauptsache ist, was er sagt.

Erhard Busek wurde in Budapest schon in den 1980er Jahren als eine der großen Politikerpersönlichkeiten angesehen, der die ostmitteleuropäischen Traditionen der österreichischen Politik der vergangenen anderthalb Jahrhunderte fortsetzen kann. Er wurde auch von denen, wie ich, die ihn nicht gekannt haben, als ein Mann gesehen, der die innerhalb des sowjetischen Blocks lebenden Völker mit außergewöhnlichem Verständnis betrachtet, der ihre national-religiösen Konflikte versteht und auch bereit und fähig ist, diese Konflikte aufzulösen, und der mit seinen persönlichen Aktionen und Verbindungen zur Abschaffung des Demokratiedefizits dieser Region beiträgt. Wie mein Freund Péter Hanák formulierte: Er nimmt die Tatsache der sowjetischen Besatzung zur Kenntnis, wie wir sie auch zur Kenntnis nehmen, aber er tut alles, was innerhalb der von der Politik bestimmten Grenzen möglich ist, um die Prinzipien des demokratischen Zusammenlebens im alltäglichen Leben zu stärken. Wir, Historiker, die in den 1970-80er Jahren viel in Mitteleuropa geforscht und an Konferenzen teilgenommen haben, formulierten mehrmals unter uns: Wenn die ostmitteleuropäischen Völker einmal von der sowjetischen Besetzung frei werden, das größte Hindernis ihres Vorankommens werden diejenigen ethnischen und konfessionellen Konflikte sein, die in der Region überall, wenn auch verborgen, zu finden sind. Das andere Hindernis wird wohl sein, dass diese Region wegen der sowjetischen Besatzung aus der industriell-technischen Revolution, die sich in der westlichen Welt nach dem zweiten Weltkrieg entfaltete, ausblieb.

Nach solchen Vorereignissen war es selbstverständlich, dass meine österreichischen Freunde schon in den ersten Tagen nach meiner unerwarteten Ernennung zum Ministeramt im Mai 1989 ein Treffen mit Erhard Busek organisierten. Ich war ein völlig neuer Mann in der Politik, ich gelang vom Universitätskatheder, aus meinem Forscher- bzw. Direktorszimmer in die Regierung. Selbstverständlich versuchte ich meine kulturpolitischen historischen Kenntnisse mit der gegenwärtigen kulturpolitischen Administration zu harmonisieren. Ich setzte mir zum Ziel, das Band der sowjetischen Besatzung und des diktatorischen Staatssystems zu lösen, und einen möglichst freien Bewegungsraum für die Kultur und das Geistesleben zu schaffen. Mein Bestreben ging dahin das institutionelle System der Kulturpolitik abzubauen, die Zensur abzuschaffen, die Freiheit der Forschung und den Pluralismus in der Kulturfinanzierung zu sichern sowie die Freiheit der Gründung privater und kirchlicher Schulen zu gewährleisten. Zur gleichen Zeit versuchte ich der Etablierung der ungarischen Intelligenz in der Welt zu helfen, vor allem durch die Förderung des Lernens von westlichen Weltsprachen. Das Programm konnte ich als neuer Minister innerhalb von Wochen durchführen – wenigstens auf der Ebene der Rechtsregeln – aber es war fraglich, mit welchen Mitteln nach der Abschaffung der schlechten rechtlichen Regelungen und Institutionen eine bessere Praxis ausgebaut werden kann. Die Frage habe ich nicht nur mir selbst, sondern auch Herrn Busek während unseres ersten Treffens gestellt. Er versicherte mir, dass Österreich aus österreichischen Staatsmitteln Deutschlehrer schickt, die nach der Abschaffung des Russischen als Pflichtfremdsprache in Mittelschulen und an Universitäten, Fremdsprachen unterrichten werden. Er versicherte mir, dass er dieselben Vorstellungen von der staatlichen Kulturaußenpolitik hat, wie ich: Die kleinnationalen Kulturen sollen an möglichst vielen Orten in der Welt zerstreut Fakultäten und „Brückenkopfstellungen” ausbauen, wie es von der ungarischen Kulturpolitik noch in den 1920er Jahren begonnen wurde. Es hat sich herausgestellt, dass wir über die ostmitteleuropäische Region genau dieselben Vorstellungen haben. Was noch, auch über menschliche Werte. Die Bildung und die Ausbildung des Geistes hielten wir beide für einen wertschaffenden Faktor; dieser Geist ist genauso wichtig für die Lebensqualität wie der persönliche Reichtum und das Vermögen. Busek war für mich von dem ersten Augenblick an ein wahrer Intellektueller unter den Politikern.

Danach stellte es sich schnell heraus, dass der Wiener Kultusminister auch ein wahrer Politiker ist. Nicht nur unter den Intellektuellen, sondern auch unter den Politikern. Den gemeinsam ausgearbeiteten Plänen folgten in ein paar Tagen Taten. Österreichische Sprachlehrer erschienen in Ungarn, Herr Busek initiierte gemeinsame ostmitteleuropäische und österreichische kulturpolitische Aktionsreihen und „raste” als reisender Botschafter der österreichischen Kultur innerhalb von Österreich bzw. zwischen Pressburg, Belgrad, Budapest und Graz, und wir sind gemeinsam für den ostmitteleuropäischen Gedanken und die Emanzipation der Kulturpolitik aufgetreten. Die Kulturpolitik wurde ja nach dem zweiten Weltkrieg in den europäischen politischen Systemen neben den Machtpolitikzweigen (innere und auswärtige Angelegenheiten, Militärwesen) immer als eine Art „Hobbytätigkeit” betrachtet.

Wir sind fast jeden Monat in österreichischen Kleinstaaten aufgetreten oder haben an lokalen festlichen Veranstaltungen teilgenommen in Staaten die für uns beide als Ausland galten, sowie an zwischenstaatlichen Treffen, in riesigen Zelten auf den Hauptplätzen von Städten, an Kaffeerunden der Kaffeehäuser der Innenstadt oder gegebenenfalls in der pomphaften Wiener Burg, bzw. in der ungarischen königlichen Burg. In diesen Orten sind wir immer in der letzten Minute angekommen, unsere Vorträge haben wir immer improvisiert und wir haben erst in den darauf folgenden Diskussionen einander hingelächelt und festgestellt: Wir kennen einander kaum, trotzdem kennen wir die Gedankenwelt des Anderen sehr gut. Er hat dabei geholfen, dass das kulturpolitische Programm des ungarischen Ministers von dem deutschsprachigen Raum gefördert wurde. Ihm ist es zu verdanken, dass ich Senator Dr. Dr. Herbert Batliner, dem bekannten Mäzen der europäischen Kultur, kennenlernte, der aus seinem Privatvermögen zur Gründung des Europa Instituts Budapest eine wesentliche Summe angeboten hatte, und zu diesem Zweck von anderen westeuropäischen Stiftungen Geld erworben hatte.

Natürlich war in dem Stiftungsrat des Europa Instituts auch Erhard Busek einer der „Tonangeber” und Mithelfer. Und es war selbstverständlich, dass ich, als ich nach der rumänischen Revolution von Dezember 1989 nach Bukarest fuhr und dort den neuen Kultusminister, den Philosophen und Schriftsteller, Andrei Pleşu traf, Pleşu und Busek miteinander bekannt machte, und dem Minister die Mitgliedschaft im Wissenschaftlichen Beirat des Europa Instituts anbot. Die kulturpolitische Achse Wien-Budapest-Bukarest – die Zusammenarbeit der drei Freunde, wie es von unseren gemeinsamen Freunden genannt wurde – führte zu vielen sinnvollen Initiativen in 1990. Viele Pläne wurden über gemeinsame ostmitteleuropäische kulturpolitische Konferenzen geschmiedet, davon wurde eine im April 1990 in Wien verwirklicht. Pläne über das Zustandebringen einer internationalen kulturpolitischen Arbeitsgemeinschaft mit der Zielsetzung, die gemeinsamen institutionellen Grundlagen des Zusammenlebens der ostmitteleuropäischen Kleinnationen mit den Mitteln der Kulturpolitik zu schaffen. (Später beruhte das große Projekt des Europa Instituts in 2000 auf dieser Idee.) Wir setzten große Hoffnungen auf die damals geplante Veranstaltung der Budapest-Wien Weltausstellung. Wir haben mit Busek gemeinsam das Grundprinzip ausgearbeitet – eigentlich bot ein gemeinsames Auftreten in Graz dazu die Gelegenheit –, dass die Weltausstellung vor allem eine kulturelle Veranstaltung sein soll, die die Aufmerksamkeit der Welt auf die kulturelle Vielfalt der gegebenen Region lenkt. (Nur in Klammern möchte ich hinzufügen, dass ich es bis heute für eine falsche politische Entscheidung halte, dass wegen parteipolitischer Überlegungen zuerst Wien, dann auch Budapest dem Recht der Veranstaltung der Weltausstellung entsagte.) Zwei Städte, zwei politische Eliten entschieden darüber, ob die Kultur dutzender Nationen Ostmitteleuropas ein Weltforum bekommen soll, oder nicht. Die Freundschaft und die Zusammenarbeit blieb auch nach 1990, als die Stelle der Intellektuellen in der osteuropäischen Politik von hauptberuflichen, d.h. „Unterhaltspolitikern” übernommen wurde.

 

Lieber Minister! Lieber Freund!

Die Verdienste Erhard Buseks in der österreichischen Politik werden wohl zu seinem 70. oder 100. Geburtstag von Anderen gewürdigt. Andere werden die Frage stellen, ob es kein Luxus von der österreichischen Politik war, dass die österreichische Regierung eine der buntesten Politikerpersönlichkeiten des Endes des Jahrhunderts genau zu der Zeit nicht mehr in Anspruch nahm, als Österreich Mitglied der Europäischen Union wurde. Zu einer Zeit, als Österreich mehrere Möglichkeiten zum Ausbau einer aktiven regionalen Politik hatte, als je zuvor. Jetzt versuche ich nur zu erläutern, welche persönlichen Gründe dazu geführt hatten, dass ich Herrn Dr. Dr. Batliner, dem Stifter des Corvinus-Preises, die Auszeichnung von Erhard Busek vorschlug. Und vielleicht erlaubt mir der Herr Senator, unsere gemeinsame persönliche Überzeugung mitzuteilen: Wir würdigen hier nicht Herrn Busek, den Minister, nicht Herrn Busek, den Funktionär der Österreichischen Volkspartei, nicht Herrn Busek, den Vizekanzler oder Herrn Busek, den südosteuropäischen Sonderkoordinator der Europäischen Union, sondern Erhard Busek, den Menschen. Den Mann, der sein Talent im Dienst seiner eigenen Prinzipien als intellektueller Politiker und nicht im Dienst seiner administrativen Karriere gestellt hat. Ein Mann, der unter uns, ostmitteleuropäischen Intellektuellen – darunter meine ich Domokos Kosáry, Ferenc Mádl, Ferenc Fejtő, Karl Otmar von Aretin, Károly Manherz, Lajos Vékás, Dušan Kováč und Andrei Pleşu – genauso die Offenheit für die Welt, den Geist des Verständnisses vertreten hat, wie unter den Politikern. Und der unter uns Intellektuellen immer die volle Anerkennung verdient hat. Und die Politiker? Wen interessieren die Politiker, wenn wir über die jahrhundertealten Probleme der ostmitteleuropäischen Gesellschaften, über die Auflösung ihrer Probleme nachdenken?

Im Namen des Stiftungsrates des Europa Instituts Budapest hält unser gemeinsamer Freund, einer der Stifter unseres Instituts, Dr. Dr. Batliner die Laudatio von Erhard Busek. Ich wollte nur einen Satz sagen: Lieber Erhard, das war „ein tolles Vergnügen und ein tüchtiges Stück Arbeit”. Aus diesem Satz wurde eine ziemlich lange Rückerinnerung.

Sehr geehrter Präsident, Minister, liebe Freunde! Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit!

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Begegnungen
Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Band 26:9–11.

FERENC GLATZ

Die österreichische Neutralität, Ungarn und das internationale Kräftefeld*

Moralische, militärische und wirtschaftliche Faktoren in der Geschichte

 

1. Der „letzte Vasall” und das „Opfer” (1945–1955)

Österreich schloss sich 1938 dem Deutschen Reich an. Der in Wien einziehende Adolf Hitler wurde von einer begeisterten Masse von Hunderttausenden begrüßt. Vom Ausbruch des Krieges bis zu seinem Ende wurden mehr als eine Million österreichische Soldaten in die Wehrmacht eingezogen. Bis zum letzten Augenblick des Krieges versuchte keine einzige politische Strömung in Österreich, ihren einstigen Staat wiederherzustellen oder die Teilnahme am Krieg zu beenden.

Ungarn wurde am 19. März 1944 von deutschen Truppen besetzt – und diese wurden nur von wenigen begrüßt. Es bildete sich eine deutschfreundliche Regierung. Am 15. Oktober 1944 versuchte allerdings das Staatsoberhaupt, Ungarn vom Dritten Reich loszulösen. Die Besatzungsmacht verhinderte dies.

Im Jahre 1945 betrachteten die Alliierten Österreich als „Opfer”, behandelten die Frage des mit Österreich – möglicherweise – abzuschließenden Friedensvertrages als gesondert zu behandelnde Angelegenheit und beendeten schließlich die Besatzung. Österreich wurde mit der Neutralität belohnt. Ungarn hingegen blieb – ähnlich den anderen Verbündeten Deutschlands – bis 1990 besetzt. Ungarn wurde gar als „letzter Vasall Hitlers” abgestempelt, teils von den Siegermächten (Sowjetunion, Großbritannien und Frankreich), teils von jenen ehemaligen Verbündeten, zu denen Interessengegensätze bestanden (Rumänien und die Slowakei), und teils von den neuen politischen Strömungen, die 1945 an die Macht gelangten. Noch 1955, nach dem österreichischen Staatsvertrag, kam es niemandem in den Sinn, die Rolle Ungarns mit derjenigen Österreichs zu vergleichen. Zumindest jetzt, zum 50-jährigen Jubiläum des Staatsvertrages, sollten die moralischen Qualifizierungen überdacht werden: Wer war in Wirklichkeit der „letzte Vasall”, wer war wirklich das „Opfer”…

 

2. Großmachtinteressen und moralische Argumentation
(1955, 2005)

Wie im Jahre 1945 die Interessen der Großmächte über die Staatsgrenzen, über die Besetzung und über die Aussiedlung von Volksgruppen entschieden, so waren auch 1955 die Kräfteverhältnisse zwischen den Großmächten für die Neutralität Österreichs bestimmend. Ihr langfristiges Interesse war es, ein Wiedererstarken Deutschlands zu verhindern. Im Falle Österreichs wurde nicht aufgrund der tatsächlichen Rolle des Landes während des Weltkrieges, nicht aufgrund irgendeiner moralischen Werteordnung über die Freiheit der Österreicher entschieden. Vielmehr fürchtete man sich vor einer „Wiederauferstehung” Deutschlands und wollte daher eine dauerhafte Selbständigkeit Österreichs gewährleisten.

Es muss zur Kenntnis genommen werden, dass Glück und Zufall historische Faktoren sind. Aber das Glück und die Möglichkeit des Zufalls müssen erkannt werden. Ungarn eröffnete sich erst 1956 eine „zufällige” Situation. Diese wurde von den ungarischen Führern auch ausgenutzt, aber ein erneuter Zufall – der Ausbruch der Suez-Krise Ende Oktober 1956 – machte eine Konsolidierung der Revolution unmöglich. (1989 bot sich dann ein ebensolcher Zufall, der auch ausgenutzt wurde…)

Es muss zur Kenntnis genommen werden, dass Großmächte die Durchsetzung ihrer Machtinteressen niemals offen verkünden. Die politischen Propagandamaschinerien der Staaten entwickeln verschiedene moralische, für die Massen akzeptable gefühlsmäßige und kausale Begründungen, um ihre Maßnahmen zu untermauern. (Denn die Menschen werden – ganz zu recht – so erzogen, dass sie von der Wichtigkeit moralischer Faktoren überzeugt sind und auch der Historiker möchte an ihre Kraft glauben, 1955 ebenso, wie 1945, 1920 oder wie gerade 2005.) Die Historiker müssen aufpassen, dass nicht auch sie Teil irgendeines Propagandaapparats werden.

 

3. Das „Gemeinsame Werk”: Der Kalte Krieg

Der Kalte Krieg ist die gemeinsame „Leistung” der vier Großmächte. Heute kann bereits nachgewiesen werden, dass nicht nur die diktatorische Sowjetunion, sondern auch die demokratischen Vereinigten Staaten von Weltmachtbestrebungen und entsprechenden Aktivitäten geprägt waren. (In diesem Zusammenhang dürfen nicht nur die Militärbasen berücksichtigt werden, sondern auch „politikfrei” erscheinende Aktivitäten wie z.B. die Ausweitung der Dollarzone zu Lasten des Pfundes, die Expansion der Kulturindustrie usw.) Nur deshalb, weil der Historiker die demokratische Ordnung als einzigen gangbaren Weg betrachtet, darf er dennoch nicht verschweigen, dass auch demokratische Staatsführungen „Aggressoren” sein können.

 

4. Die Rolle der technisch-wissenschaftlichen Erfindungen (1945–1990)

Bei der Untersuchung der Triebfedern der Weltpolitik zwischen 1949 und 1990 ist es notwendig, den wissenschaftlichen Entdeckungen und technischen Neuerungen größeres Interesse zukommen zu lassen. Vor einigen Jahren haben wir ein Experiment unternommen: Wir haben versucht, die mehrfache Wende in der Weltpolitik mittels der Entwicklungen in Technik und Wissenschaft zu erklären. (Atom, strategische Langstreckenbomber, Raketentechnik, Weltraumforschung, digitale Informations- und Steuerungssysteme; siehe hierzu den Artikel „Űrkutatás, közgondolkodás, történettudomány” [Weltraumforschung, allgemeines Denken und Geschichtswissenschaft], in: História 7/2000.) Wenn wir diese Faktoren nicht beachten, dann erscheinen lediglich unmittelbare Wirtschaftsinteressen und Ideologien (gegebenenfalls der Kampf zwischen „gut” und „böse”) als Triebkräfte der Geschichte.

 

5. Monozentrische oder multizentrische Weltordnung
(1945–2005)

Das Jahr 1955 veranlasst dazu, über die weltpolitischen Systeme nachzudenken. Es scheint, dass die multipolare Ordnung mehr Alternativen bietet und bei der Lösung von mehr lokalen Konflikten mithelfen kann, als eine monozentrische Ordnung. Die sowjetischen und amerikanischen – und neben ihnen auch die britischen und französischen, später die chinesischen – Machtzentren haben letztlich den wichtigsten weltgeschichtlichen Prozess in den Jahren von 1945 bis 1990 vorangetrieben, nämlich die Emanzipation der Gesellschaften der „Nicht-Weißen-Menschen” und die Entwicklung ihrer eigenen Verwaltungsinstitutionen. (Dies trifft auch dann zu, wenn dies im Rahmen von Wirtschafts-, Kultur- und Interessensphären-Politik erfolgte und von Waffenhandel und Ideologie-Export begleitet war.) Die heutige nordamerikanisch-europäisch-chinesisch-arabische Welt regt hinsichtlich des entstehenden Multizentrismus zum Nachdenken an.

Aber auch das Studium des österreichischen Falles gibt zu denken: Anstelle des Wettkampfes der Großmächte ist die Kooperation der Weltmächte notwendig. Der Mangel an Zusammenarbeit zwischen den Großmächten kann Konflikte über Jahrzehnte hinaus verlängern. Der Zweite Weltkrieg endete in Österreich – als glücklicher Ausnahmefall und Ergebnis der Großmachtkooperation – 1955. In den anderen Verliererstaaten in Europa fand er erst 1990 sein Ende, nämlich mit dem Zusammenbruch der einen Großmacht.

 

* Skizze des Einführungsvortrages anlässlich der Konferenz zum 50. Jahrestag des österreichischen Staatsvertrages an der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, Budapest. Die Tagung wurde am 9. Juni 2005 abgehalten und vom Institut für Geschichtswissenschaft an der Ungarischen Akademie der Wissenschaften sowie vom Budapester Europa Institut ausgerichtet.

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Begegnungen
Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Band 26:171–184.

ANGELOS GIANNAKOPOULOS

Die Föderalisierung der EU als Institutionalisierungsform europäischer Vielfalt

 

I. Einleitung

Die institutionelle Verfasstheit der Europäischen Union im Hinblick auf ihre wie auch immer gearteten föderalen Strukturen wurde in der Periode nach Maastricht sowohl innerhalb der einschlägigen Wissenschaft (Schneider/Wessels 1994; Laufer/Fischer 1996; Ammon/Fischer/Hickmann/Stemmermann 1996; Evers 1994) als auch in der Öffentlichkeit1 besonders intensiv und kontrovers diskutiert. Neueste Entwicklungen innerhalb der Europäischen Union insbesondere im Hinblick auf ihre Erweiterung um zehn neue Mitglieder werden zurecht als eine nie dagewesene institutionelle Herausforderung für den europäischen Integrationsprozess aufgefasst (Schneider 2001: 410). Gerade angesichts der Erweiterung der EU stellt sich tatsächlich die Frage nach allgemeinen Vorstellungen über den Identitätskern von Europa dringender denn je, erfasst man doch grundsätzlich den Föderalismus als eine politische und gesellschaftliche Lebensform (Görner 1996). Es ist diesbezüglich davon auszugehen, dass mit der Aufnahme der meisten ehemaligen Ostblockländer in die EU der Erweiterungsprozess zwar kräftig vorangetrieben wird, die Integration jedoch sowohl von osteuropäischen, als auch von Ländern des Mittelmeerraumes im vereinigten Europa die Konsequenz nach sich zieht, dass unübersehbare Heterogenitätserscheinungen auf den Plan treten. In Bezug auf die gesellschaftspolitische bzw. gesellschaftskulturelle Vielfalt, welche das sich daraus ergebende vereinigte europäische Staatengebilde unweigerlich charakterisieren wird, stellt sich die Frage nach einer adäquaten Auffassung des Europäischen als institutionell verankerte Wertegemeinschaft.

Als sicher soll zunächst gelten, dass das Kohärenzgebot auf der Ebene des gemeinschaftlichen Wertbezugsystems sich in symbolischen Ausdrucksformen niederschlagen muss. Obwohl dies einerseits eine unverzichtbare Selbstverständlichkeit darstellt, besteht andererseits über das Verständnis des Charakters solcher Formen weiterhin Unklarheit, und zwar in Bezug auf die Frage, wie eine kollektiv bindende Symbolkraft entstehen kann. Lassen sich symbolische Gemeinschaftsmerkmale konzipieren, die den Ambivalenzerfahrungen des modernen inter- und postnationalen Europaverständnisses Rechnung tragen können? Eine weitere Frage, die sich hier unmittelbar anschließt, betrifft die Kohäsionstragweite der symbolischen Gemeinschaftsformen des Europäischen: Lässt sich eine gemeinschaftsstiftende und -tragende Kulturbedeutung der europäischen symbolischen Formen konzipieren, die nicht einem unterschiedslosen Zusammenschluss aller irgendwie relevanten Aspekte gleich käme?

Solche Fragestellungen legitimieren sich durch die Erkenntnis, dass die mittlerweile vertraglich hochgesteckten Integrationsziele der EU ohne gewisse föderalen Strukturen nicht zu erzielen sind. Dass diese Notwendigkeit durch die vollzogene Erweiterung eher gestärkt als abgeschwächt wird, liegt auf der Hand. Die Erweiterungsperspektive muss also unweigerlich zu einer erneuten Thematisierung der Föderalismusfrage führen und nicht umgekehrt. Die Erörterung dieser Frage nimmt innerhalb dieses Beitrags folgende Gestalt an: Es wird eine Zusammenfassung föderalistischer Prinzipien vorausgeschickt, wobei der Mittelpunkt sowohl von staats- und politikwissenschaftlichen als auch von kulturellen Problemkonstellationen gestellt wird (Abschnitt II). Es wird sodann auf die derzeitige institutionelle Verfasstheit und den Charakter des ordnungspolitischen Status quo der EU im Hinblick auf ihre Föderalisierung eingegangen. Dabei werden bisherige Erfahrungen des Föderalismus mit dem Institutionsgefüge der EU verglichen und mögliche Entwicklungen in Aussicht gestellt (Abschnitt III und IV). Zum Mittelpunkt der Analyse gehört letztendlich die Erörterung föderalistischer Strukturen vor dem Hintergrund eines Föderalismusverständnisses als vorrangig gesellschaftliche und politische Lebensform. Aufgrund dieses Verständnisses wird die wichtige Unterscheidung zwischen Föderalismus als finales Gestaltungsprinzip europäischer Verfasstheit und Föderalisierung als ein prozessualer Modus europäischer Integration übernommen (Abschnitt V). Es wird in Bezug hierauf die These vertreten, dass sich aus der genuin europäischen Erfahrung der Vielfalt sich die Forderung nach einem grundsätzlich prozessual orientierten Vollzugsmodus des Föderalen ableiten lässt, der auf der Struktur von permanenten, wechselseitigen „Übersetzungen” basieren soll. Föderalistische Übersetzungsverhältnisse bedeuten in diesem Kontext, dass sich sowohl die Merkmale des Einheitseuropäischen im Rahmen staatlicher bzw. regionaler Gesetzgebung, als auch die gesellschaftlichen Lebenswelten sich implementieren lassen müssen.

 

II. Grundlagen des Föderalismus: eine Zusammenfassung

Die Grundlagen des Föderalismus sind vor allem ein 1. Politisches Organisationsprinzip, d. h. eine vertikale Gewaltenteilung und Machtaufgliederung. 2. Ein gesellschaftliches Organisationsprinzip, wobei die Integration heterogener Gesellschaften durch Erhaltung der Vielfalt und der soziokulturellen Eigenständigkeit auf der Basis von Vermittlungsstrukturen gegensätzlicher Zielvorstellungen und durch 3. Eine ökonomische und politische Integration und die Gleichheit der Lebensbedingungen bei regionaler Eigenständigkeit erfolgen soll (Walkenhorst 1997). Daraus sind im Einzelnen folgende Prinzipien abzuleiten: a. Balanceprinzip: „Die weitaus wichtigste Grundidee im Föderalismus ist die einer immer wieder neu zu bestimmenden Balance zwischen Einheit und Vielfalt politischer Ordnung”, b. Gemeinschaftsprinzip: „Sozialphilosophisch bedeutet Föderalismus vor allem die Ablehnung individualistischer Vereinzelung als alleiniger Grundlage menschlichen Strebens”, c. Bundesstaatsprinzip: es handelt sich hierbei um die konkrete Form dieser beiden Prinzipien ohne jedoch die begrifflichen Singularitäten, denen dieser Begriff oft unterworfen wird, d. Aushandlungsprinzip: d. h. die Entscheidungsfindung basiert nicht auf dem Mehrheitsprinzip, sondern auf der Basis von Kompromiss und Konsens, e. Subsidiaritätsprinzip: negative Subsidiarität (es darf keine übergeordnete Kompetenzverlagerung stattfinden, wenn die nachgeordneten Abteilungen eine Selbstregulierung durchführen können), positive Subsidiarität (eine übergeordnete Regulierung findet erst dann statt, wenn die nachgeordnete Abteilung nicht in der Lage ist, eine Problemlösung durchzuführen) und f. Teilhabeprinzip: eine föderalistische Struktur führt eher zu solchen Partizipationsformen, so dass den Bürgern eine aktive Teilhabe am Politischen verwirklicht werden kann (Hueglin 1997: 108 ff.).

Der Föderalismus ist dennoch an keine normative Form zu binden. Es gibt demgemäß keine föderalistische Idealform und dadurch keine definitorische Singularität. Die jeweilige föderale Gestaltung entspricht den jeweiligen historischen und gesellschaftlichen Vorbedingungen und den individuellen staatsstrukturellen Bedürfnissen. Weitgehender Konsens besteht in der Definition des Föderalismus, der zusammengefasst, als ein Staatsaufbau aufgefasst wird, in dem sich mehrere Gliedstaaten mit einem Gesamtstaat die Erfüllung staatlicher Aufgaben teilen und dabei gegenseitig durch bestimmte Mit- und Einwirkungsmöglichkeiten beeinflussen (Deuerlein 1972; Huber/Pernthaler 1988).

Das Föderalismus-Gestaltungsprinzip wird zwischen dem unitaristischen Zentralstaat und dem Staatenbund gestellt, wobei der gebräuchlichste Begriff um dies zu verdeutlichen, der des Bundesstaates ist (wobei festgehalten werden muss, dass dies vor allem dem Föderalismus-Verständnis deutscher Autoren entspricht). Diesbezüglich muss ferner konstatiert werden, dass diese Einteilung, auf der Basis neuester Entwicklungen betrachtet, ziemlich starr ist. Den rein unitaristischen Staat, zumal innerhalb der Europäischen Union, gibt es in diesem Sinne nicht mehr. Selbst Frankreich, das das revolutionäre Prinzip „republique une et indivisible” hoch hielt, führte längst dezentrale Strukturen ein. Bezeichnend sind in diesem Sinne vor allem die Entwicklungen in Belgien und Spanien. Dort ging es vor allem darum separatistische Tendenzen durch Kompetenzverteilung aufzufangen (Walkenhorst 1997: 63 ff.; Kremer 1989; Puhle 1993). Gemäß diesem Schema werden die Staaten der derzeitigen Europäischen Union dennoch in einem klassischen Unterteilungssinne in zentralistische (Griechenland, Dänemark, Schweden, Großbritannien usw.), unitarisch-dezentralisierte (Frankreich, Niederlande usw.), regionalisierte (Spanien, Italien) und Föderalstaaten (Bundesrepublik, Österreich) unterschieden (Walkenhorst 1997: 20).

 

III. Die politische Ordnung der EU im Hinblick auf ihre Föderalisierung: eine Bestandsaufnahme

Ob die Europäische Union föderalistische Organisationsprinzipien anwenden soll, scheint in der einschlägigen Diskussion nicht die Frage zu sein. Es wird eher danach gefragt, in welcher Ausprägung und in welchem Masse sie denn umgesetzt bzw. weitergeführt werden sollen. Es wird festgestellt, dass die mittlerweile vertraglich (Maastricht) hochgesteckten Integrationsziele der EU (vor allem die politische Union und die bisherige sukzessive Umsetzung der drei Integrationsäulen), ohne föderale Strukturen nicht zu erzielen sind (Schneider/Wessels 1994; Hartmann 2001). Die vollzogene Erweiterung verstärkt diese Notwendigkeit. Bezüglich von Integrationsprozessen im Sinne einer föderalistischen Politikgestaltung innerhalb der EU führte der frühere Präsident der Europäischen Kommission Jaques Delors eine bedeutende Unterscheidung ein: er unterschied zwischen Föderalismus und Föderalisierung. Während Föderalismus, seiner Meinung nach, nach endgültigen Gestaltungsprinzipien der politischen Ordnung bzw. nach finalen politischen Strukturen fragt, stellt Föderalisierung einen immerwährenden, unabgeschlossenen Prozess dar. Dass letzterer Begriff am ehesten Gegebenheiten europäischer Integration entspricht, steht somit außer Zweifel (Walkenhorst 1997: 29).

Das bisherige Vertragswerk der EU hat durch die Einführung und Berücksichtigung föderaler Grundprinzipien der immer stärker hervortretenden Regionalisierung innerhalb der EU Rechnung getragen. Das international zu beobachtende Phänomen einer Globalisierung mit gleichzeitiger Verstärkung regionaler Tendenzen macht sich auch innerhalb der EU bemerkbar. Es vollzieht sich ein Prozess der europäischen Unifikation auf der einen Seite bei regionaler Plurifikation auf der anderen. Die Region wird als unmittelbarer identifikatorischer Bezugspunkt für die Bürger nichts an ihrer Gültigkeit einbüssen. Regionalbewegungen werden vermutlich weiterhin als Gegenpol zur zunehmenden Unübersichtlichkeit und Vernetztheit agieren. Auch haben die verschiedenen Regionen Europas neben ihrer „sozialpsychologischen” Funktion an politischer und ökonomischer Relevanz zugenommen. In einer historischen Perspektive ist ferner festzuhalten, dass die regionale Gliederung in Europa älter ist als die nationale. Die gesamte Problematik hat in der einschlägigen sowohl öffentlichen als auch wissenschaftlichen Diskussion ihren Niederschlag im Begriff eines „Europas der Regionen” gefunden, der allerdings eine längere Geschichte hinter sich hat (Ruge 2003).

Der Eingang der Regionen als zusätzliche politische Gestaltungsebene innerhalb des institutionellen EU-Gefüges wurde bekanntermaßen erst mit dem Maastrichtvertrag vollzogen. Dies geschah vor allem anhand 1. des eingeführten Subsidiaritätsprinzips und 2. der Einrichtung politischer Partizipation der Regional- und Länderebene am europäischen Einigungswerk durch den neu gegründeten „Ausschuss der Regionen” (Sturm 2001). Was insbesondere den „Ausschuss der Regionen” angeht, soll nebenbei bemerkt werden, dass hierin vor allem die jahrelange Forderung insbesondere der deutschen Länder und der spanischen Regionen zur Mitgestaltung der europäischen Integration zu sehen ist, so wie sie in den „Zehn Münchner Thesen” (1987) der deutschen Ministerpräsidenten, in der „Münchener Erklärung zum Föderalismus in Europa” (1990) zum Ausdruck kamen (Scharpf 1994; Walkenhorst 1997; Sturm 2001: 117 ff.). Als Drittes sollte noch das damit eng verbundene ebenfalls vertraglich verankerte Leitmotiv der Bürgernähe erwähnt werden.

Dennoch: 1. die politische Gewichtigkeit der Regionen in den einzelnen Staaten ist sehr unterschiedlich. Die Bedeutung der Regionalstrukturen ist, unabhängig von ihrer eventuell „sozialpsychologischer” Funktion, eher in ihrer zunehmenden ökonomischen Ausprägung zu suchen. Die EU Zentralgewalt versteht denn auch die Regionen nur als ökonomische und nicht als politische Einheiten. Dies findet in den vorrangig wirtschaftlichen Hilfeleistungen der Gemeinschaft durch eine Fülle von Unterstützungsprogrammen an die Regionen ihren Niederschlag. Dies bedeutet auch, dass die Regionen nicht als eine föderalisierende Kraft verstanden werden (können). In diesem Sinne soll die Aufwertung der Regionen im Rahmen des „Ausschusses der Regionen” als zusätzliche institutionelle Ebene der EU vom Status des passiven Mittelempfängers zum direkten Ansprechpartner und zum institutionellen Pendent des Subsidiaritätsprinzips nicht überbewertet werden. Der Ausschuss der Regionen besitzt über keine entscheidenden Mitsprache-, geschweige denn Mitentscheidungsrechte, während seine stark heterogene Zusammensetzung seinen bereits bescheidenen Handlungsspielraum noch weiter begrenzt. Auch besteht ein nicht unwichtiger und durchaus verständlicher Interessenkonflikt mit dem Europäischen Parlament, sollte der Ausschuss tatsächlich nicht nur formell als zusätzliche institutionelle Ebene anerkannt werden (Ruge 2003: 312 ff.).

2. Die Wirkung des Subsidiaritätsprinzips wird auf rein institutioneller Ebene ebenfalls überschätzt. Die Gestaltungmöglichkeiten wurden in den Verträgen uneinheitlich ausgedrückt. Es besteht vor allem ein Missverhältnis zwischen der Subsidiarität und der ebenfalls vertraglich verankerten Pflicht der Mitgliedstaaten zur Rechtsangleichung, wobei letztere natürlich auf der Basis einer zentral verabschiedeten Rechtsgesetzgebung erfolgt. Der vertraglich „geregelte” Geltungsbereich des Prinzips ist im Bereich der sogenannten konkurrierenden Zuständigkeiten zwischen Mitgliedstaaten und Europäischer Union zu sehen. Keine Anwendung findet es freilich im gesamten Bereich des Binnenmarktes. Das Prinzip bleibt dennoch auf der Ebene der Andeutung. Es wird nicht direkt mit dem „Ausschuss der Regionen” in Verbindung gebracht, woraus denn auch konkrete politische und rechtliche Praxisperspektiven entstehen könnten. Die Unbestimmtheit des Prinzips in den Verträgen kann somit nicht nur eine Zurückhaltung der EU-Zentralgewalt, sondern auch ihr Eingreifen begründen (Magiera 1994; Frey 1997: 40). Es wird somit bezüglich des Subsidiaritätsprinzips innerhalb des institutionellen Gefüges der EU über ein kontextabhängiges Chamäleon gesprochen (Walkenhorst 1997).

 

IV. Der Charakter des derzeitigen ordnungspolitischen Status quo der EU im Vergleich zu föderalen Organisationsprinzipien

Unter rein politikwissenschaftlichen bzw. staatstheoretischen Auspizien ist es keine leichte Aufgabe den derzeitigen organisationspolitischen Status quo der EU zu ermitteln. Die bisherigen Erfahrungen, die Begriffe wie Einheitsstaat, Bundesstaat oder Staatenbund hervorgebracht haben, sind in Bezug auf die politische Struktur der EU problematisch. Bei der EU handelt es sich eindeutig um eine sui generis interstaatliche Organisationsform.

Dies wird deutlich, wenn man folgende Aspekte berücksichtigt: die EU besitzt kein im gängigen Sinne staatliches Gewaltmonopol. Es gibt keine einheitliche Territorialherrschaft, denn die nationalen Hoheitsgebiete existieren nach wie vor. Eine europäische Staatsbürgerschaft ist unzureichend definiert, und wenn überhaupt dann nur in Verbindung zur nationalen Bürgerschaft. Existiert des weiteren eine immer stärker auftretende Integration ökonomischer, innenpolitischer (und bis dato zumindest auf dem Papier) außenpolitischer Interessen, besitzt die EU dennoch nicht die Eigenschaft eines souveränen, völkerrechtlich selbständigen Staates. Auf der anderen Seite ist die derzeitige Verflechtung von Aufgaben und Politiken zwischen der zentralen und nationalen Ebene in der EU so weit fortgeschritten, dass sie nicht als (loser) Staatenbund bezeichnet werden kann (Hrbek 2003).

Man sollte in dieser Hinsicht die Kontingenz bisheriger europäischer Integration nicht außer Acht lassen. Die EU ist das Produkt von heterogenen Interessenlagen und der unmittelbaren Reaktion auf aktuelle Verhältnisse. Außerdem sind die Integrationsmethoden und -mechanismen je nach Sachgebiet unterschiedlich. Das Offenhalten der Finalitätsfrage in den Verträgen erschwert außerdem eine konkrete Aussage.

Es soll an dieser Stelle auch auf das disparate Verständnis von institutionellen Grundbegriffen innerhalb europäischer Gesellschaften aufmerksam gemacht werden, die eine Begriffsdefinition bezüglich des europäischen interstaatlichen Gefüges deutlich erschweren. Stellungnehmend zur Verfassungsmäßigkeit der Maastrichter Verträge führte das deutsche Bundesverfassungsgericht die Bezeichnung „Staatenverbund” ein, die in der einschlägigen Wissenschaft mit einem „terminologischen Geniestreich” gleichgesetzt wird (Schneider 2001). Der Begriff ist dennoch im französisch- und englischsprachigen Raum wenn überhaupt schwer zu vermitteln. Bereits die Unterscheidung zwischen Bundesstaat und Staatenbund, die ja genuin deutschen historischen Erfahrungen entspricht, ist eine demgemäß spezifisch deutsche Unterscheidung, die in den anderen Sprachen keine Entsprechung bzw. Anwendung findet. Rein wörtlich ist „federal” im Englischen bezeichnenderweise nicht mit Dezentralisierung, sondern mit zentraler Leitung gleichzusetzen. Außerdem unterscheiden die Briten zwischen „union” und „unity”. „Union” wäre als lockere Vereinigung gerade noch akzeptabel, keineswegs aber „unity”. Deswegen wird Föderalismus mit einem unitaristischen Bundesstaatsmodell verknüpft, in dem die einzelnen Staaten auf lokaler Ebene und in bestimmten Politikfeldern zwar unabhängig entscheiden können, ihre staatliche Souveränität aber eingebüßt haben. Dies ist für englische Verständnisweisen eine wenig zu begrüßende Perspektive. Bezeichnend ist des Weiteren, dass die Franzosen beispielsweise den Begriff „Integration” vermeiden, weil er ja Elemente einer Supranationalität beinhaltet, und deswegen über eine „europäische Zusammenarbeit” reden. Supranationalität wird bei den Franzosen mit der Entmachtung der politisch verfassten Nation gleichgesetzt (Ruge 2003: 309 ff., Hrbek 2003).

Eine Alternative bietet in diesem Sinne der Begriff Staatengemeinschaft. Dies impliziert die Teilsouveränität der supranationalen Ebene auf Gebieten wie Wirtschaft, Handel, Soziales usw. Auch dies ist nach einer näheren Betrachtung problematisch. Die Kompetenzausweitung der EU-Zentralgewalt in diesen Gebieten ist so weit fortgeschritten, dass sie deutliche Züge eines Einheitsstaates aufweist. Denn es ist unübersehbar, dass die vertragliche Stärkung der ersten und dritten Ebene der EU die Souveränitätsansprüche der Mitgliedstaaten in bestimmten Gebieten bedeutend eingeschränkt hat. Andererseits ist die politische Dimension der Maastrichter und der nachfolgenden Verträge (Amsterdam, Nizza), zumal was die gemeinsame Gestaltung der Innen- und Außenpolitik betrifft, zu relativieren. Die völkerrechtliche Ausrichtung dieser Politikbereiche ist unverbindlichen Charakters und durch keine Sanktionsmechanismen gesichert. Es entsteht zwar der Eindruck einer voranschreitenden Union, von staatsähnlichen Strukturen ist die EU dennoch weit entfernt. Eine wichtige Entwicklung stellt in dieser Perspektive der Entwurf eines Vertrags über eine Verfassung für Europa des Europäischen Konvents dar. Sollte der Entwurf, wenn auch mit geringfügigen Änderungen, nach der Regierungskonferenz angenommen werden, ist diesbezüglich trotzdem zu erwarten, dass die Finalitätsfrage weiterhin offen bleiben wird.

Zieht man ein Fazit, so sind in Bezug auf die Institutionalisierung föderaler Strukturen innerhalb der EU folgende Punkte aufzuzählen:

1. Die EU-Föderalisierung stößt an Grenzen. Sie werden gestellt vom Sachverhalt einer zu heterogenen regionalen Ebene in den Nationalstaaten und einer deutlichen Meinungsverschiedenheit je nach Nationalstaat und politisches System, was die Zielrichtung der Integration sein sollte, so dass die bereits vorhandenen föderalen Elemente in der alltäglichen politischen Praxis wenig Wirkung gezeigt haben. Die Frage ist, inwieweit die weitere Föderalisierung der EU doch nicht die Schaffung föderaler Strukturen auch in den Nationalstaaten selbst voraussetzt. All diese Fragen ergeben sich jedoch aus der Tatsache, dass man weitgehend auf der begrifflichen Grundlage eines Bundesstaatsmodells argumentiert. Das sind also rein deutsche Fragen und Dilemmas (Münch 1996). Diese Fragen können, zumal in der vorliegenden Ausprägung, keine „französischen” oder „englischen” Fragen sein (Schneider 2001: 414). Das hat sich auch bei den Reaktionen auf die Rede von J. Fischer über „Gedanken zur Finalität der europäischen Integration” (Mai 2000) gezeigt, die völlig unterschiedlich ausgefallen sind (Schneider, ebd.).

2. Viele Beobachter haben sich deswegen von finalen Modellen verabschiedet. Integration bedeutet nicht mehr ein voraussagbares, zwangsläufiges oder zumindest anzustrebendes Endstadium, sondern die einfache Beschreibung der Voraussetzungen für einen je nach Bereich erfolgreichen Integrationsprozess.

3. Es wird demnach die Singularität des europäischen Integrationsprozesses hervorgehoben. Integration wird dialektisch, sowohl als ein pragmatischer als auch als ein politisch forcierter Prozess aufgefasst. Als eine Komposition aus zusammenhängenden Maßnahmen, Übereinkünften, Reaktionen auf aktuellen Lagen, historischen Entwicklungen und politischen Verschiebungen, ein Aushandeln von Interessenlagen und Kompromissen, als ein differenziertes Bild einer multidimensionalen Entwicklung. Die künftige Gestaltung der politischen Ordnung der EU wird wahrscheinlich ein Balanceakt in der Kompetenzverteilung zwischen Supranationalität und nationalstaatlicher Ebene bleiben (Theato 1993).

4. Eine relevante Frage, die diesbezüglich gestellt wird, ist, inwieweit ein unvollendeter, fortwährend offen gehaltener Integrationsprozess die Gefahr birgt, dass altbekannte Widersprüche des Nationalstaatensystems in einer neuen Form wieder auftauchen. Diese Frage ist nicht unwichtig, zieht man die kürzlich anlässlich des Irak-Krieges angetretenen Lage bezüglich der Unterstützung seitens bestimmter EU-Staaten („Achse” England – Spanien–Italien plus eine Anzahl osteuropäischer Beitrittskandidaten) des amerikanischen Vorgehens heran, die negative Auswirkungen auf die Gestaltung einer gemeinsamen Außenpolitik – als dritte vertraglich verankerten Integrationssäule – zeitigt.

5. Es ist somit anzunehmen, dass der weitere Verlauf der europäischen Integration in Bezug auf die künftige politische Verfasstheit der Union ein evolutionärer und kein revolutionärer Prozess sein wird, innerhalb dessen die Bearbeitung eines auf lange Sicht trag- und akzeptanzfähigen Konzepts zur Regelung des Verhältnisses zwischen Einheit und Vielfalt den Charakter eines Mischsystems haben wird. Dieses System wird sowohl föderale und konföderale als auch schlichte kooperative Elemente beinhalten. So wie der Gesamtcharakter der EU ihren künftigen politischen Struktur nach, auch im Sinne einer Föderation, nur eine sui generis sein kann (Hrbek 2003: 187).

6. Angesichts dieser Problematik läuft die Debatte und die darin vorgetragenen Argumente, zumal was politische Kreise angeht, auf den Vorschlag einer „Föderation von Nationalstaaten” hinaus. Hierin ist eine bedeutende konzeptionelle Annäherung von Politikern aus unterschiedlichen Staaten, vor allem Deutschland und Frankreich, zu vernehmen. Das Modell eines zentralistischen Bundes- und Superstaates wird abgelehnt. Manche wichtigen Schritte, die darin als Voraussetzung genannt werden, sind bereits getan oder stehen unmittelbar bevor. Was allemal festgehalten werden muss, ist, dass die Forderung nach einer institutionell abgesicherten, der gesellschaftskulturellen Heterogenität gerecht werdenden Einheitsbildung sich nicht auf den Erfahrungsfundus praktizierter Föderalismusmodelle stützen kann, denn diese haben sich als einseitig zentralistisch orientiert erwiesen. „Eben dazu gibt das Repertoire föderaler Vorstellungen, Problemlösungsmuster und Architekturkonzepte vielfältige Anregungen” (Schneider 2001: 426).

 

V. Föderalismus als politische und gesellschaftliche Lebensform

Föderalismus ist allgemein-theoretisch nicht nur als eine funktionale Größe bzw. als Instrument der Gewaltenteilung, sondern darüber hinaus als Ausdruck eines bestimmten Bewusstseins zu verstehen: das Gelten-Lassen des Anderen, des Verschiedenen unter besonderer Berücksichtigung von Mechanismen des Ausgleichs und der Konsensfindung anhand von gemeinsam akzeptierten Regeln. Föderalismus ist in gewisser Hinsicht eine andersartige „ästhetische” Form des Zusammenlebens (Görner 1996; Oesterreich 1994). Der Begriff Einheit in der Vielfalt, der dies zum Ausdruck bringt, impliziert zwar zum einen die normativen und institutionellen Vorbedingungen einer politisch voranschreitenden europäischen Integration, stellt aber zum anderen – als einen zur institutionellen Vereinheitlichung entgegengesetzten Begriff – Kultur bzw. Wertvorstellungen in den Vordergrund der Betrachtungsweise. Denn man kann insgesamt davon ausgehen, „dass Kultur gerade die dezentrale, regionalistische, sperrige, mitunter chaotische Gegenwelt zum sich vereinheitlichenden Binnenmarkt darstellt” (Kleinsteuber 1991: 340). Der Wahlspruch „in Vielfalt geeint” in der Präambel des europäischen Verfassungsentwurfs erweitert diese Sicht, indem er nationale Identitäten und regionale Besonderheiten zur Geltung bringt. Es liegt auf der Hand, dass in einem Europa der 25 die Bedeutung von Flexibilität, Differenzierung und Parallelität im Rahmen der Herausbildung einer künftigen politischen Gemeinschaft um so größer wird (Emmanouilidis/Giering 2003). Angesichts dieses Sachverhalts gewinnt die Problematik des Föderalismus als Institutionalisierungsform europäischer Vielfalt deutlich an Relevanz. Insbesondere dann, wenn man davon ausgeht, dass kulturelle Vielfalt nicht als Zwang zur Hervorbringung föderaler Strukturen aufgefasst, sondern als föderale Vorbedingung verstanden wird: Föderalismus ist Einheit durch Vielfalt (Görner, ebd).

Nichtsdestoweniger wichtig ist in Bezug auf eine differenzierte Ausbildung einer künftigen europäischen politischen Gemeinschaft der Aspekt, dass der Föderalismus eine andere Wahrnehmung der Politik überhaupt ermöglicht. Er macht den politischen Lebensraum für den Einzelnen erfahrbar und ermöglicht, trotz zentraler institutioneller Vereinheitlichung, die Einbettung der persönlichen Lebensbezüge in überschaubare, kleinräumliche Strukturen (Gauger/ Weigelt 1993). Daher der Vorschlag des früheren finnischen Ministerpräsidenten Paavo Lipponen den bisherigen top-down approach in der EU durch eine bottom-up philosophy zu ersetzen (Schneider 2001: 427).

In einem normativen Sinne ist ferner der Charakter des Föderalismus sowohl als ein evolutionärer als auch als ein offener Lernprozess zu betonen. Diese Dimension zeigt sich im Hinblick auf die vollzogene Erweiterung der EU als besonders relevant. Die bisherige föderale Erfahrung hat deutlich gezeigt, dass Altbewährtes und Neues, gewachsene Identitäten und lokale Bewusstseinsstrukturen in das aktuelle politische Geschehen eingreifen und sich in pluralistische politische Identitäten verwandeln (Nettesheim 2003). Dies geschieht jedoch nicht vor dem Hintergrund eines zusammenhanglosen Multikulturalismus, sondern durch eine spezifische Deutung der Andersheit und des Vielen, aus der sich zunächst eine bestimmte politische Kultur und Struktur ergibt. Der Föderalismus setzt nicht nur voraus, sondern fördert gleichzeitig die Interaktion und Kommunikation zwischen den föderierten Teilen. Nicht zu Unrecht wird Föderalismus als „konsensorientiertes Konkurrenzprinzip” beschrieben (Görner 1996: 30). Somit basiert das politische Handeln auf der permanenten Kommunikation zwischen den verschiedenen Entscheidungsebenen, wobei Einheit durch das hergestellt wird, was die kommunizierende Mehrheit selbst hervorbringt oder als gemeinsame Regel mitträgt.

Föderalismus kann des Weiteren als Vermittlungsstruktur komplementärer Identitäten auf europäischer, nationaler und regionaler Ebene verstanden werden. Eine europäische Identität kann in diesem Sinne nur als eine vergleichende Identität aufgefasst werden (Lilli 1998). Föderalismus kann somit eine Antwort auf die entscheidende Frage der europäischen Zukunft sein, wie viel und welche Verschiedenheit durch die symbolische Markierung einer Identität innerhalb des Identischen zugelassen wird (Eder 1999). T. S. Eliot seinerseits fasste dies in essayistischer Form folgendermaßen zusammen: „the culture of each country should be unique, and the different cultures should recognize their relationship to each other, so that each should be susceptible of influence from the others” (zitiert in Görner 1996: 219).

In einem nun pragmatischen Sinne muss festgehalten werden, dass innerhalb des bereits existierenden institutionellen Gefüges der EU bestimmte sowohl föderale als auch konföderale Elemente zu lokalisieren sind, die mit dem Versuch in Verbindung gebracht werden müssen, eine gewisse formale als auch inhaltliche europäische Symbolik hervorzubringen: die Palette dieser Formen reicht von der europäische Fahne und Hymne über den Europapass, den EU-Führerschein und die Autokennzeichen bis zum Europatag und zur gemeinsamen Währung. Die grundlegende Frage bezüglich dieser Formen dürfte zunächst lauten, ob diese symbolischen Formen zur Herstellung eines langfristigen gemeinsamen Handlungs- und Orientierungszusammenhangs ausreichten. Setzt die Schaffung einer solchen Symbolik einen gemeinsamen Erfahrungs-, Handlungs- und Orientierungszusammenhang, kulturspezifisch ausgeformte Weltbilder, die die Subjekte dazu befähigen, sich gemeinsame Normen, Regeln, Rollen, zu bewältigende Aufgaben und Bewältigungsroutinen anzueignen, voraus (Schröer 1997), oder ist dies alles als ihr Produkt zu sehen? Bringen Identitäten Einstellungen oder Einstellungen Identitäten hervor? Sollte es tatsächlich so sein, dass Symbole erst durch ihre Interpretation und Bewertung in kognitiv-normativ-emotionalen Bezugssystemen ihre Wirkung entfalten (Schmidt 1999), dann kann diese europäische Symbolik ihr Ziel auf dem ersten Blick schwer erreichen. Obwohl als Vorlage dieser „identitätsstiftenden” europäischen Politik eindeutig die bisherige nationalstaatliche Erfahrung dient, so muss konstatiert werden, dass die Union dadurch einen „overlapping consensus” und eine politische Vergemeinschaftung vorantreibt, die die nationale Erfahrung der „substantiellen Sittlichkeit” der politischen Gemeinschaft als „Schicksalsgemeinschaft” deutlich übersteigt. Sollten sich in diesem Sinne tatsächlich symbolische Gemeinschaftsformen herstellen lassen können, die dem Wertekernbestand der EU konkret-anschauliche Gestalt verleihen, dann nur unter der Voraussetzung einer institutionellen Staatenverflechtung, die sich durch einen strukturellen Pluralismus auszeichnet. Dies bedeutet, dass zwischen den symbolischen Gemeinschaftsdarstellungsformen und dem strukturell pluralistischen, europäischen Staatenzusammenschluss ein Korrespondenzverhältnis bestehen muss. Es muss diesbezüglich hinzugefügt werden, dass institutionelle Ordnung ohne Bewusstseinsbildung nicht gedacht werden kann. Erst durch die symbolischen Sinnwelten gelangt jede institutionelle Ordnung zu ihrer endgültigen Legitimation. Symbolische Sinnwelten sind „synoptische Traditionsgesamtheiten, die verschiedene Sinnprovinzen integrieren” (Berger/Luckmann 1977: 98). Sie bilden die letzte und abstrakte, der Alltagserfahrung fremde Ebene der Legitimation von Institutionen: „Symbolische Sinnwelten sind wie schützende Dächer über der institutionellen Ordnung und über dem Einzelnen” (Berger/Luckmann, ebd: 109).

Föderale europäische Strukturen und zwar unabhängig von ihrer konkreten institutionellen Umsetzung würden in diesem Sinne eine Verschiebung des Verständnisses einer europäischen Gemeinschaft als „Schicksalsgemeinschaft” zu Gunsten einer rein politischen Gemeinschaft bedeuten. Nicht gemeinsame historisch-kulturelle Herkunft würden darin eine maßgebende Rolle zur Konstitution einer europäischen politischen Gemeinschaft spielen, sondern der demokratische Prozess der Konsensfindung und das komplementäre Konkurrenzprinzip auf der Grundlage der Interaktion und Kommunikation von Differenzen. So genügt innerhalb dieses Rahmens eine Vermittlung der Wertbeziehungen einzelner nationaler Kulturen. Eine europäische praxisbezogene Kulturpolitik kann daher nur als „Übersetzungspolitik” verstanden werden (Lepsius 1999). Es ist zu betonen, dass eine solche Praxis eine nicht zu unterschätzende Auswirkung auf den europäischen Identitätsbildungsprozess zeitigen kann, der den Übergang von einer politischen Gemeinschaft als „ethische Kulturgemeinschaft” (Nationalstaat) zu einer „universellen Bürgergemeinschaft” (EU) bedeuten würde (Nettesheim 2003).

Dies bliebe wiederum bezüglich der Entstehung einer gemeinsamen politischen Kultur nicht ohne Folgen. Das Vorhandensein föderaler politischer Strukturen würde sich nicht in der bloßen Koexistenz national-kultureller Differenzen erschöpfen, sondern würde sich darüber hinaus und vor allem in der Verfestigung von institutionellen Formen einer „Solidarität unter Fremden” innerhalb des abstrakten Gebildes einer demokratischen (hier interstaatlichen) Rechtsgemeinschaft demonstrieren (so etwa Jürgen Habermas, Habermas 2001; Brunkhorst 1997)). Problemorientiertes Kommunizieren und Handeln, das ja innerhalb föderaler Strukturen zur Bedingung sine qua non der politischen Verfasstheit des Gemeinwesens gehört, würde somit gemeinsame Horizonte und Erfahrungen und damit Gemeinschaft hervorbringen. „Die gemeinsam übernommene Verantwortung für angestrebte Problemlösungen generiert Solidarität. Die Geschichte gemeinsam bewältigter sozialer Problemlagen konstituiert im Laufe der Zeit eine demokratische politische Tradition und ein Kollektivbewusstsein” (Eder/Kenntner 2000: 310). Somit wäre „Dialogizität” die Grundlage von Differenz und einer praxisbezogenen politischen Moral, berücksichtigt man, dass „civility” nicht ohne die integrierende Wirkung des Streites, „der vorläufigen Lösungen und der immer mitlaufenden Kritik” zu denken ist (Giesen 1999: 144).

Trotz vielfältiger Problemlagen und offener Fragen in Bezug auf den Föderalismus als Leitbild einer europäischen politischen Kultur, sollte als Fazit die zwar antiquiert anmutende aber immer noch gültige These festgehalten werden, dass „Föderalismus aus der Notwendigkeit des Menschen (entsteht), seine Freiheit in größtmöglicher Form zu bewahren. Föderalismus erwächst aus dem Wunsch, die Wechselbeziehungen zwischen Individuum und Gesellschaft auszubalancieren, wobei das Recht des Individuums gewahrt und der Anspruch der Gesellschaft nicht geschmälert werden soll” (Deuerlein 1972: 318).

 

Literatur

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Schröer, Norbert (1997): Wissenssoziologische Hermeneutik. In: R. Hitzler/A. Honer (Hrsg.): Sozialwissenschaftliche Hermeneutik. Eine Einführung, S. 109-129, Opladen

Sturm, Roland (2001): Föderalismus in Deutschland, Berlin

Theato, Diemt R. (1993): Modelle für ein vereintes Europa in Gegenwart und Zukunft, in: Baden-Württemberg-Kolloquium 1993 „Europa der Regionen – Modell für eine europäische Föderation”, Tagungsband, S. 23-31, Mannheim

Walkenhorst, Heiko (1997): Die Föderalisierung der Europäischen Union, Oldenburg

 

Anmerkungen

1

Einen bedeutenden Anstoß zu einer öffentlichen Föderalismus-Debatte gab beispielsweise die Rede des deutschen Außenministers Joschka Fischer an der Berliner Humboldt-Universität am 12. Mai 2000 mit dem Titel: „Gedanken über die Finalität der europäischen Integration”, siehe Integration, 3/2000, S. 149-156. Vgl. ferner Hrbek 2003: 189 ff.

Begegnungen26_Gecsenyi

Begegnungen
Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Band 26:47–64.

LAJOS GECSÉNYI

Eine Geschichte in zwei Phasen

Ungarisch-österreichische Beziehungen 1945-1965

 

Ende April/Anfang Mai 1945 erlebten Ungarn und Österreich gleichermaßen eine Zeit der Besinnung, die den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges folgte. Der politische Alltag in Österreich, das nach vielen Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft wieder zu sich kam, und in Ungarn, das bereits erste Schritte auf dem Weg in Richtung Demokratie getan hatte, fand in beiden Ländern unter der strengen Aufsicht der Besatzungsbehörden der Siegermächte statt. Grundlegende politische Gegensätze belasteten das Verhältnis der beiden Länder nicht und auf beiden Seiten bestand die Bereitschaft, die Beziehungen aus der Zwischenkriegszeit wiederherzustellen. Als Alltagsprobleme stellten sich die Ernährung, Unterbringung und Rückführung der ungarischen Kriegsflüchtlinge, die mehrere zehntausend Personen ausmachten, die Sicherung des riesigen verschleppten ungarischen Vermögens sowie – bald daraufhin – der Schutz des österreichischen (deutschen) Vermögens in Ungarn vor den sowjetischen Aneignungsforderungen1. Die vermögensrechtlichen Fragen stellten dann, insbesondere in den ersten Monaten des Jahres 1946, eine derartige Belastung dar, dass sie langfristig eine der wichtigsten Angelegenheiten im Verhältnis zwischen Wien und Budapest blieben. Im Vergleich zu diesen gelangte im Zeitraum bis Herbst 1948 kein einziges Thema von einer ähnlichen Größenordnung auf die Tagesordnung. Die so genannte „Soproner Frage”, also die Kampagne um österreichische territoriale Forderungen, die von verschiedenen Organisationen und Vereinen im Burgenland seit Herbst 1945 eine kurze Zeit lang betrieben wurde, beeinflusste die Situation nicht und die österreichische Regierung distanzierte sich eindeutig von diesen Aktionen2. Die Differenzen, die im Zuge von Handelsgesprächen auftraten, oder das Ausbleiben ungarischer Lebensmittellieferungen gingen mit noch geringeren Reibungen einher3.

Hinsichtlich der offiziellen zwischenstaatlichen Beziehungen strebte das ungarische Außenministerium seit Sommer 1945 danach, möglichst bald eine Vertretung in Österreich einzurichten, um die ungarischen Staatsbürger repräsentieren und die staatlichen Interessen durchsetzen zu können. Obwohl beide Regierungen innerhalb kurzer Zeit die notwendigen Schritte unternahmen, um sich die entsprechenden Genehmigungen zu verschaffen, vergingen infolge des sowjetischen verzögernden Verhaltens zwei Jahre, bis über die notwendigen Zustimmungen der alliierten Kontrollgremien entschieden wurde. Im März 1947 konnten die Büros der „politischen Vertretungen” schließlich in Budapest und Wien eröffnet werden, ein Jahr später wurden die Außenvertretungen dann auf Gesandtschaftsebene erhoben. Ihre Leitung übertrug man dann nur noch auf geschäftsführende Diplomaten4.

Es kam aber auch zu spontanen lokalen Initiativen zur Wiederherstellung der Kontakte. So hielten Vertreter der Gemeinden, die entlang der Grenze lagen, im September 1945 eine Besprechung über die Regelung des Grenzverkehrs ab und trafen eine Vereinbarung über die vorläufige Weiteranwendung der Bestimmungen aus der Vorkriegszeit. In lokalem Rahmen wurde auf ähnliche Weise auch über Fragen des Kleinen Grenzverkehrs, die unter den Aspekten der täglichen Lebensbedürfnisse wichtig waren, verhandelt.

Während sich beide Seiten in zahlreichen Bereichen – in erster Linie mittels Erneuerung verschiedener Verkehrs- und Rechtsabkommen sowie mit der Belebung der Beziehungen in Sport und Kultur – darum bemühten, zum politischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Beziehungsgefüge der Zwischenkriegszeit zurückzukehren, konnte nach einiger Zeit immer weniger von tatsächlichen Fortschritten gesprochen werden. Hierfür war nicht die begrenzte Souveränität Österreichs ausschlaggebend, sondern vielmehr die Zunahme des sowjetischen Einflusses in Ungarn, die sich verschärfenden internationalen Gegensätze und die Vorzeichen des Kalten Krieges. Eine vollständige Wende in den österreichisch-ungarischen Beziehungen erfolgte in den Jahren 1948/1949, als die ungarische Regierung – parallel zum Einfrieren der ungarisch-jugoslawischen Beziehungen – die lebendigen Beziehungsstränge schrittweise durchtrennte, die Verhandlungen zu verschiedenen Themen unterbrach, den Kleinen Grenzverkehr aufhob, die Mehrzahl der Grenzstationen schloss und die bewaffnete Kontrolle der Westgrenze verschärfte. Im Herbst 1949 ließ sie schließlich – auf improvisierende Weise und unter Schaffung zahlloser Gefahrenquellen – Minenfelder und Drahtverhaue, also einen „Eisernen Vorhang” errichten. Zum Bild der Lage gehörte auch, dass die ungarische politische Polizei mit Unterstützung der sowjetischen Besatzungsbehörden in Österreich ab 1949 immer öfters offene Aktionen gegen die in Österreich lebenden ungarischen politischen Emigranten durchführten5.

Entsprechend den Zuständen während des Kalten Krieges kam es ab 1950 – unabhängig von der Tatsache, dass das östliche Österreich unter sowjetischer Besatzung stand – zu ständigen Grenzzwischenfällen mit Waffeneinsatz, die im folgenden Jahr bereits die Gefahr eines vollständigen Bruches zwischen beiden Ländern in sich bargen. Die diplomatischen Vertretungen beschränkten ihre Aktivitäten im Wesentlichen auf den Austausch von Noten. (In stillem Widerspruch dazu stand, dass 1951 noch immer der Abschluss eines bürgerlichen Rechtshilfeabkommen auf der Tagesordnung stand und Gespräche über das Schicksal der gemeinsamen Eisenbahnstationen im Gange waren.) Der persönliche Kontakt zwischen der Bevölkerung und der Fremdenverkehr hingegen wurde im Wesentlichen beendet. Regelmäßige Beziehungen bestanden lediglich zwischen den kommunistischen Parteien und den kommunistisch beeinflussten Organisationen beider Länder6. Das Verlangen nach einer Normalisierung der Beziehungen äußerte sich unter diesen Umständen im Sommer 1952 zuerst auf Seiten Österreichs, als Generalsekretär Vollgruber aus dem Außenministerium dem ungarischen Geschäftsträger den Vorschlag unterbreitete, Verhandlungen über vermögensrechtliche Fragen zu beginnen und die Grenzzwischenfälle gemeinsam und systematisch zu untersuchen7.

Die Initiative, auf die keine Reaktion folgte, bekam erst dann Sinn, als nach dem Tode Stalins infolge der von der neuen sowjetischen Führung verkündeten Entspannungspolitik auch in der ungarischen Außenpolitik eine langsame Tauperiode einsetzte. Das Außenministerium sendete im August 1953 ihrer Wiener Gesandtschaft eine Anordnung, in der es darauf aufmerksam machte, dass sich die Diplomaten um eine Verbesserung und Ausweitung ihrer Beziehungen bemühen sollten8. Hierauf begannen Verhandlungen zu verschiedenen Sachfragen, vor allem über vermögensrechtliche Themen. Es wurde auch eine konkrete Vereinbarung getroffen, nämlich ein Schifffahrts-Abkommen, dass den freien Schiffsverkehr auf der Donau möglich machte9. Im folgenden Jahr kam es zu Verhandlungen über den Abschluss eines Abkommens über den Pflanzenschutz und über die Regulierung der Grenzflüsse10. Der härteste Abschnitt des Kalten Krieges fand damals sein Ende.

Dies änderte natürlich nichts an der Tatsache, dass der außenpolitische Spielraum der einzelnen osteuropäischen Länder auch weiterhin sehr begrenzt blieb. Charakteristischer Weise berührte der berühmte Beschluss des Zentralkomitees der Partei der Ungarischen Werktätigen (PdUW) vom Juni 1953, der die Politik der Rákosi-Gerő-Clique und vor allem ihre Fehler in der Wirtschaftspolitik scharf verurteilte, außenpolitische Fragen überhaupt nicht11. Dieser Sachverhalt charakterisierte auch das Regierungsprogramm.

Der österreichische Geschäftsträger in Budapest Olivier Ressèguier schrieb in seinem Bericht vom 11. November 1953 an Außenminister Leopold Figl: „In außenpolitischer Hinsicht hat der neue Kurs insofern keine Änderung bringen können, als es eine ungarische Außenpolitik nicht gibt, da die ungarische Regierung, deren Existenz ausschließlich vom Willen der Machthaber in der Sowjetunion abhängt, eine selbstständige Politik nicht verfolgen kann.”12

In den diplomatischen Beziehungen erfolgte ein Jahr später ein wesentlicherer Wandel. Eine Anweisung aus Budapest, die Ende April 1954 ausgegeben wurde, hielt die Gesandtschaft explizit zu verstärkten außenpolitischen Aktivitäten an, und zwar mit dem Ziel, die mit Österreich bestehenden Beziehungen auf diese Weise ausgeglichen zu machen13. Ein unzweifelhaftes Zeichen für Veränderungen war auch, dass auf dem III. Kongress der PdUW im Mai 1954 und im Juni 1954 bei der Haushaltsdebatte im Parlament von einer langsamen Verbesserung des ungarisch-österreichischen Verhältnisses die Rede war. Die Budapester Signale stießen auf Resonanz bei der österreichischen Regierung. Auf der Regierungssitzung vom 22. Juni 1954 wurde der Außenminister bevollmächtigt, die Wiederherstellung normaler diplomatischer Beziehungen zu Ungarn und Polen vorzubereiten. Am 14. Juli 1954 wurde dann die Übereinkunft getroffen, anstelle der Geschäftsträger mit Gesandtenrang gegenseitig Gesandten zu ernennen14. Im Mai 1954 kam es in Wien, vom 1. bis zum 17. September 1954 dann in Budapest zu Verhandlungen über die Handelsbeziehungen. Am 17. September 1954 unterzeichneten beide Seiten ein Warentauschabkommen für die Jahre 1954/ 1955 und ein diesbezügliches Protokoll. Ganz im Sinne des Abkommens kam es daraufhin zu einer Zunahme des Warenverkehrs; Österreich lieferte Budapest Holz, Kunstdünger, Stahl, Walzware und chemische Artikel, während Ungarn Lebensmittel, landwirtschaftliche Produkte und Einrichtungen des Gesundheitswesens in das Nachbarland exportierte15. Österreich bot Ungarn auch einen Kredit in Höhe von einer Million Dollar für den Erwerb von Konsumartikeln an16. Gegenüber all dem war allerdings wesentlich bedeutsamer, dass die Spannungen entlang der ungarisch-österreichischen Grenze im Laufe des Jahres 1954 allmählich abnahmen und sich die Zahl der Grenzzwischenfälle verringerte17.

Für die Österreicher war es nun wichtig, früher offen gebliebene Fragen zu regeln, vor allem die Genehmigung der Übersiedlung von Personen mit doppelter Staatsbürgerschaft. Hier, insbesondere aber auf dem Gebiet der Lösung der strittigen wirtschaftlichen und finanziellen Fragen, gelang es vorerst allerdings kaum, Fortschritte zu erzielen. Letzteres berührten mehrere Themenkreise, nämlich österreichische Vermögensgegenstände, die – im Sinne der Entscheidungen der Potsdamer Konferenz – als Teil des deutschen Vermögens in sowjetisches (später ungarisches) Eigentum übergegangen waren, das in Ungarn verbliebene Vermögen der ausgesiedelten Deutschen, die die österreichische Staatsbürgerschaft erwarben, die Frage der grenzüberschreitenden Doppelbesitzungen und schließlich die verschleppten ungarischen Wertgegenstände, die während des Krieges auf österreichisches Gebiet gelangt waren. Die Behandlung der Finanzfragen, die die Österreicher als eines der Hauptziele bei der Regelung der zwischenstaatlichen Beziehungen betrachteten, wurden im Frühjahr 1954 – entgegen den Erwartungen – aufgrund der zurückhaltenden Einstellung der ungarischen Seite nicht fortgesetzt. Budapest berief sich dabei darauf, dass Österreich kein unabhängiger Staat sei18.

Eine eindeutige Stellungnahme aus dem Munde eines führenden ungarischen Politikers, des Stellvertretenden Ministerpräsidenten András Hegedűs, zugunsten der Normalisierung der Beziehungen zu Österreich verlautete schließlich am 1. Dezember 1954 – vielleicht nicht ganz zufällig – auf der Konferenz in Moskau, die sich mit Fragen des Friedens und der Sicherheit in Europa befasste.

Die Nachrichten aus Moskau hinsichtlich der österreichisch-sowjetischen Verhandlungen, die Unterzeichnung und Inkraftsetzung des Staatsvertrages sowie die gesetzliche Verankerung der „immerwährenden Neutralität” hatten für die ungarische Parteiführung eine besondere Signalwirkung. Die Wende reifte ab April 1955. Seit diesem Zeitpunkt sprachen sich ungarische Politiker sowohl auf der Staats- als auch auf der Parteiebene reihenweise dafür aus, die gutnachbarschaftlichen Beziehungen zu Österreich wiederherzustellen. Mátyás Rákosi, Erster Sekretär der PdUW, erklärte während der Feierlichkeiten, die am 3. April 1955 aus Anlass des 10. Jahrestages der „Befreiung” im Opernhaus abgehalten wurden, dass im Sinne der friedlichen Koexistenz der Staaten mit unterschiedlichen Gesellschaftsordnungen Ungarn seine Beziehungen zu Österreich verbessern möchte19. Ministerpräsident András Hegedűs begrüßte in seinem Expose als Regierungschef die Moskauer Vereinbarungen. Ähnlich äußerte sich auch Außenminister János Boldoczki während einer Parlamentsrede20.

Ein paar Tage nach den österreichisch-sowjetischen Verhandlungen in Moskau, am 23. April 1955, traf das Politbüro der PdUW, nachdem es sich den Bericht von Rákosi über die in der sowjetischen Hauptstadt unterzeichneten Vereinbarungen angehört hatte, einen Beschluss über die politischen, wirtschaftlichen und militärischen Aufgaben nach der Unterzeichnung des Staatsvertrages21. Diesem Schritt folgten in den nächsten anderthalb Monaten – vermutlich gerade wegen der durch die ungewohnte neue Lage verursachten Unsicherheiten – neuerliche Beschlüsse. Am 23. Juni 1955 kam eine Vorlage des Außenministeriums, die 22 Punkte enthielt und alle Bereiche der Beziehungen berührte, zum ersten Mal vor das Politbüro. Mit dem Hinweis, dass das Dokument zuerst mit den betroffenen Ministerien abgestimmt werden müsse, wurde es allerdings nach kurzer Diskussion von der Tagesordnung genommen22. Eine Woche später, am 30. Juni 1955, behandelte das Politbüro dennoch den Bericht von Außenminister Boldoczki zusammen mit den Beziehungen zu Jugoslawien und Westdeutschland als Teil des Tagesordnungspunktes „Die internationale Situation und unsere sich daraus ergebenden Aufgaben”. Die sich auf Österreich beziehenden Punkte des Beschlusses beinhalteten politische, wirtschaftliche und kulturelle Aufgaben, so – unter anderem – die Ausreisegenehmigung für Personen mit österreichischer oder doppelter Staatsbürgerschaft aus Ungarn, die Begnadigung verurteilter österreichischer Staatsbürger, die Abwicklung von Verhandlungen über vermögensrechtliche Fragen, die Ausweitung des Warenverkehrs, die Erweiterung der Kooperation auf den Gebieten Verkehr und Landwirtschaft, die Zusammenstellung eines gemeinsamen kulturellen Arbeitsplans, die Ausweitung der literarisch-künstlerischen und der wissenschaftlichen Beziehungen sowie – nicht zuletzt – die Entsendung eines ungarischen Archivdelegierten nach Wien23. Der gute Wille der ungarischen Regierung sowie ihre Verpflichtung in der Angelegenheit ist nachweisbar. Am 27. Juni 1955 ließ sie Wien auf diplomatischem Wege mitteilen, dass Ungarn im Laufe des Herbstes bereit sei, die im Herbst 1953 abgebrochenen Verhandlungen über vermögensrechtliche Themen wieder aufzunehmen24 und lud eine österreichische Parlamentsdelegation zu einem Besuch nach Ungarn ein.

Die führenden Politiker Österreichs richteten in dieser Zeit ihre Aufmerksamkeit in erster Linie auf die Verhandlungen über den Staatsvertrag, so dass sie sich im Frühjahr 1955 den ungarischen Erklärungen nicht annahmen25. Ihre Bereitschaft zu Verhandlungen bekräftigten sie nach der Unterzeichnung des Staatsvertrags mehrmals in der Programmerklärung der zweiten Raab-Regierung, die ihr Amt am 3. Juli 1955 antrat. Unter anderem sprachen sie die Möglichkeit der Erweiterung der Wirtschaftsbeziehungen und der Entwicklung der Zusammenarbeit auf kulturellem Gebiet an26.

Am 6. Juli 1955, zwölf Tage vor dem Gipfeltreffen in Genf, empfing der Erste Sekretär der PdUW Mátyás Rákosi auf Bitten von Karl Braunias den österreichischen Gesandten. Damit kam es erstmals auf dieser Ebene zu einem offiziellen Treffen eines österreichischen – und überhaupt eines westlichen – Diplomaten mit einem ungarischen Parteiführer. Bei dem Treffen, das in guter Atmosphäre stattfand, warf Braunias alle wesentlichen Fragen auf, die die bilateralen Beziehungen betrafen, insbesondere aber die Österreich am meisten interessierenden Angelegenheiten, nämlich die Regelung der Situation der Personen mit doppelter Staatsbürgerschaft und die Lösung der vermögensrechtlichen Fragen sowie die Normalisierung der Situation an der ungarisch-österreichischen Grenze. Daneben drängte der österreichische Gesandter auch auf Erleichterungen in der ungarischen Visapolitik, weil die Aufrechterhaltung der bisherigen Praxis die Entwicklung der wirtschaftlichen, kulturellen und sportlichen Beziehungen behindere. Zudem schlug er vor, weitere Grenzübergänge zu öffnen. Rákosi erklärte, dass die ungarische Seite nach dem Abschluss des Staatsvertrags und der Deklaration der Neutralität zahlreiche Möglichkeiten zur Normalisierung des Verhältnisses zwischen den beiden Ländern sehe und unterstrich bei mehreren Gelegenheiten nachdrücklich, dass die ungarischen offiziellen Organe alles unternehmen würden, um die ungarisch-österreichischen Beziehungen zu verbessern und zu vertiefen. Er versprach, die aufgetretenen Probleme zu lösen, betonte aber vor allem das Ziel, die wirtschaftlichen Beziehungen auszuweiten. Besonderes Interesse zeigte er hinsichtlich der Möglichkeit des Imports von Strom und Holz. Für die gute Atmosphäre des Gesprächs war bezeichnend, dass Rákosi erwähnte, dass er gerne nach Wien reisen würde, wo er in seiner Jugend oftmals gewesen sei27.

Während das Politbüro der PdUW im Zeichen der Doppelgesichtigkeit am 7. Juli 1955 beschloss, den 354 Kilometer langen Grenzabschnitt zu Österreich militärisch zu verstärken28, wurden seitens des Außenministeriums immer wieder neue Vorschläge und Gedanken zur Beschleunigung der Regelung der Beziehungen aufgeworfen. Ein wichtiger Bestandteil der tatsächlichen Veränderungen war, dass die ungarischen Behörden im Laufe der Monate September/Oktober 1955 die vormals strengen Vorschriften für die Ausgabe von Ein- und Ausreisegenehmigungen lockerten. Zum 100. ungarisch-österreichischen Fußballspiel am 16. Oktober 1955 kamen 4.000 Fans aus Wien nach Budapest, d.h. mehr Österreicher, als in den vorangegangenen fünf Jahren die ungarische Hauptstadt besucht hatten. Diese ersten ernsthafteren Zugeständnisse wurden von österreichischer Seite sofort gewürdigt29.

Die Situation an der österreichisch-ungarischen Grenze normalisierte sich im Herbst 1955 und die ungarische Grenzwache unterließ provokative Schießereien. Diese Entspannung erfolgte trotz der Tatsache, dass nach der Unterzeichnung des Staatsvertrages die Zahl der illegalen Grenzübertrittsversuche von Monat zu Monat anstieg und ein Teil von ihnen auch erfolgreich war30. Die Existenz des Minengürtels verursachte auf österreichischer Seite allerdings auch weiterhin ernste Bedenken. Im Oktober 1955 wurde schließlich, nachdem ungarische Grenzsoldaten eine schwere Grenzverletzung begangen hatten, auf ungarischen Vorschlag hin eine gemeinsame ad hoc Kommission zur Untersuchung der Angelegenheit eingerichtet. Nach den Gesprächen verständigte man sich auf österreichische Initiative dazu, dass beide Delegationen ihrer Regierung vorschlagen sollten, einen ständigen gemischten Ausschuss zu Untersuchung von Grenzverletzungen aufzustellen31.

In Budapest löste die Rede von Kanzler Raab, die er bei der Vorlage des Neutralitätsgesetzes am 26. Oktober 1955 im Wiener Parlament hielt und in der er sich anerkennend über die Entwicklung der ungarisch-österreichischen (und der tschechoslowakisch-österreichischen) Beziehungen äußerte, positive Reaktionen aus. In Wien wurde begrüßt, dass Budapest relativ schnell auf die gesetzliche Kodifizierung der „immerwährenden Neutralität” reagiert und noch vor der Sowjetunion und anderen Staaten den neuen internationalen Status Österreichs bereits als fünftes Land anerkannt hatte. Im Januar 1956 wurden zu insgesamt 44 politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Themenbereichen Gespräche auf verschiedenen Ebenen geführt oder erfolgreich abgeschlossen.32.

In der sich international weiter entspannenden Atmosphäre des Jahres 1956, insbesondere nach dem XX. Parteitag der KPdSU, entwickelten sich die ungarisch-österreichischen Beziehungen immer intensiver und vielschichtiger. Am 23. Januar 1956 wurden in Wien hochrangige Verhandlungen über die vermögensrechtlichen Fragen geführt. Deren Ergebnis war, dass zur Klärung einzelner Sachfragen Expertenkommissionen eingesetzt wurden33. Außerdem wurde mit dem Ausbau der unmittelbaren Beziehungen zwischen den Grenzgebieten sowie zwischen dem Burgenland und den westungarischen Komitaten begonnen, es wurden Schritte zur Belebung des Fremdenverkehrs unternommen und neue Grenzübergänge eröffnet.

Ein entscheidender und in seiner Art beispielloser Fortschritt war, dass die ungarische Regierung – aufgrund einer Stellungnahme des Politbüros der PdUW vom 9. März 1956 – am 9. Mai 1956 beschloss, die sog. „technischen Sperren” (Stacheldrahtverhaue und Minenfelder) an der westlichen Grenze Ungarns zu beseitigen.34 Nach den Plänen sollten diese Maßnahmen bis Ende September 1956 abgeschlossen sein. Diese unerwartete und überraschende Entscheidung, die ein großes internationales Echo auslöste, zog allerdings das Missfallen der kommunistischen Parteien in den Nachbarstaaten nach sich35. Die Vorlage über das österreichisch-ungarische Verhältnis, die im Juli 1956 vor das Kollegium des Außenministeriums gelangte, bewertete nicht nur die innerhalb eines Jahres erzielten Ergebnisse positiv, sondern entschied auch über die Aufgaben, die sich auf alle Teilbereiche der zwischenstaatlichen Beziehungen erstreckten, und sogar über das Verhältnis, das zur Sozialistischen Partei Österreichs (SPÖ) entwickelt werden sollte36.

Zur Verwirklichung dieser Pläne und Vorstellungen hatte die ungarische Regierung aufgrund der sich auftürmenden inneren Krise und ihres Ansehensverlustes allerdings nicht mehr genug Kraft. Daher kam es schon vor dem 23. Oktober 1956 nicht mehr zur Kontaktaufnahme zwischen hochrangigen Politikern beider Länder, zum gegenseitigen Besuch von Regierungs- und Parlamentsdelegationen sowie zum Abschluss umfassender Abkommen37. Dies änderte allerdings nichts an der Tatsache, dass der Brückenschlag der ungarischen politischen Führung Richtung Westen – zweifellos mit sowjetischer Unterstützung – grundlegende Ergebnisse versprach und in den Monaten vor dem Beginn der Revolution – zumindest im Falle des neutralen, allerdings der westlichen Welt verpflichteten Österreichs – die Möglichkeit einer offeneren Außenpolitik schuf. Dies konnte aber – im Gegensatz zu den heimlichen Hoffnungen eines Teils der ungarischen Öffentlichkeit – keinesfalls bedeuten, dass sich Ungarn auf den Weg zur Gewinnung eines neutralen Status begeben hatte, denn dies hätte die „Entlassung” aus dem sowjetischen Machtblock vorausgesetzt38.

Im Lichte der positiven Vorgeschichte war besonders verständlich, dass die österreichische Bevölkerung als erste den Opfern der revolutionären Ereignisse, die am 23. Oktober 1956 begannen, zu Hilfe eilte und massenhafte Medikamenten- und Lebensmittellieferungen nach Ungarn in Gang setzte. Auf dem Höhepunkt der Revolution, am 28. Oktober 1956, sah es die österreichische Regierung als ihre moralische Pflicht an, einen Aufruf an die sowjetische Regierung zur Beendigung der Kämpfe in Ungarn zu richten. In den folgenden Wochen war Österreich Initiator und beständiger Unterstützer von Anträgen in der UNO, die eine Untersuchung der Lage in Ungarn forderten und die Anerkennung des Mandats der UN-Delegation in Ungarn verlangten.

Dieses Verhalten brachte bei den sowjetischen Führern vermutlich die „Idee” hervor, unter die – von ihnen definierten – Gründe der Revolution in Ungarn den Vorwurf der Unterstützung durch die Westmächte und der subversiven Aktivität der rechten ungarischen Emigration in Österreich „hereinzuschmuggeln”. Während sie so starken politischen Druck auf den militärisch neutralen, aber eindeutig westlich orientierten österreichischen Staat ausübten, der sich den europäischen Integrationsprozessen anschließen wollte, unternahmen sie auch den Versuch, die tatsächlichen Gründe für den Ausbruch der Revolution zu verschleiern39. Von da an spielte Ungarn eine gute Zeit lang eine zentrale Rolle bei den sowjetischen Angriffen gegen Österreich.

Die ersten Angriffe gegen die österreichische Regierung wurden in Moskau bereits am 28. Oktober 1956 formuliert und gelangten in den folgenden Wochen bis zum Forum der Vereinten Nationen. Zur Verschärfung des Konflikts trug auch die wachsende Flut ungarischer Flüchtlinge sowie die damit verbundenen häufigen Grenzverletzungen und – nicht zuletzt – die beispiellose österreichische Hilfe für die Flüchtlinge wesentlich bei. Letzteres, sowie die eindeutige und entschiedene Stellungnahme der österreichischen bürgerlichen und sozialistischen Presse gegen die blutige Unterdrückung der Revolution erzürnte auch die neue Regierung unter János Kádár. Zur Verschärfung der Spannungen bzw. zur Zunahme der sowjetischen Angriffe auf das neutrale Österreich trug zudem bei, dass die Vereinigten Staaten sich in zunehmendem Maße an der Bewältigung des Flüchtlingsproblems beteiligten. Die Angriffe Moskaus erreichten einen Höhepunkt, als Vizepräsident Richard Nixon bei seiner Österreich-Reise vom 19. bis 21. Dezember 1956 die österreichisch-ungarische Grenze bei der legendären Brücke von Andau besuchte.

In diesem Zusammenhang ist der Beschluss der ungarischen Regierung vom 8. Januar 1957 zu verstehen, die Bewachung der westlichen Staatsgrenze – unter Berufung auf die „Gefahr des Herüberwerfens (sic!) feindlicher Agenten” – zu verstärken. Am 24. Januar 1957 informierte Kádár daraufhin den Ministerrat, dass zu Verhinderung unerlaubter Grenzübertritte und des „Einsickerns feindlicher Agenten” der Grenzschutz an der westlichen und südlichen Grenze sog. „technische Sperren” aufbaue, dass also der im Sommer 1956 abgebaute „Eiserne Vorhang” wiedererrichtet werde40. Eine neue und ziemlich bedeutende Quelle für Spannungen wurde dadurch geschaffen, dass der österreichisch Kanzler Raab in einer Radioansprache am 20. Januar 1956 – zweifellos von Illusionen geleitet – die Möglichkeit aufwarf, für Ungarn nach österreichischem Muster einen neutralen Status zu schaffen. Diesbezüglich schlug er vor, die Angelegenheit im Rahmen einer Konferenz der Großmächte über die Frage der Verringerung der Streitkräfte und der Bewaffnung zu erörtern41.

In dieser gespannten Lage war die Tatsache von unverhältnismäßig großer Bedeutung, dass der österreichische Ministerrat mit seinem Beschluss auf der Sitzung vom 5. Februar 1957 zeitweilig die offiziellen Kultur- und Sportbeziehungen suspendierte42. Dieser lediglich als übergangsweise Beschränkung gedachte österreichische Schritt führte zu den bislang heftigsten Zusammenstößen zwischen den beiden Ländern. Von da an entwickelte sich zwei Monate lang ein „Grabenkrieg” zwischen Österreich und Ungarn, der mit dem Wechsel scharfer Noten sowie mit ungarischen Schritten, die eine Provokation für die österreichische Diplomatie bzw. für das ganze politische Leben Österreichs darstellten, verbunden war.

Nach diesen Vorgängen wurde die österreichische öffentliche Meinung von der Verstärkung der Bewachung der ungarisch-österreichischen Grenze, genauer gesagt von der erneuten Errichtung einer Minensperre unterrichtet. Die Wiedererrichtung des „Eisernen Vorhangs” führte allerdings, auch wenn er zu einem langjährigen Krisenherd in den beiderseitigen Beziehungen wurde, zu keiner Verschärfung der augenblicklichen Lage. Im April 1957 erfolgte nämlich der – im November 1956 abgesagte – Besuch des stellvertretenden sowjetischen Ministerpräsidenten Anastas I. Mikojan in Wien, der sowohl die ungarische als auch die österreichische Regierung dazu ermahnte, ihre Beziehungen zu regeln.43 Dies bewirkte letztlich, dass die Wiener Außenpolitik, auch wenn sie heftig gegen die Minenfelder protestierte, im wesentlichen zur Kenntnis nahm und akzeptierte, dass die Frage der „technischen Sperre” eine innere Angelegenheit Ungarns war. Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass sich erneut herausstellte, dass sich der mit Tretminen und Drahthindernissen versehene Streifen an zahlreichen Stellen auch auf österreichisches Gebiet erstreckte oder so nahe an der österreichischen Grenze verlief, dass er das Leben der Grundstücksbesitzer entlang der Grenze und das von neugierigen Touristen oder verirrten Tieren gefährdete.

Die Überwindung des toten Punktes wäre auch deshalb wichtig gewesen, weil sich im Sommer 1957 ein Konfliktherd zwischen beiden Ländern aufgebaut hatte, der nicht nur die tagtäglichen Beziehungen kontinuierlich gefährdete, sondern auch nicht zur Leitlinie der sowjetischen Außenpolitik passte, die das friedliche Nebeneinander der beiden Weltordnungen verkündet hatte. Die Gelegenheitstreffen der Außenminister im Spätherbst 1957 und 1958 führten trotz alledem nicht zu wesentlichen Veränderungen, obgleich bei den alltäglichen Kontakten von österreichischer Seite aus – nicht zentral gelenkte, sondern den direkten Interessen entsprechend burgenländische bzw. ländermäßige – wirtschaftliche Initiativen und Versuche, wissenschaftliche und kulturelle Beziehungen zu entwickeln, in Erscheinung traten. Die Länderregierung und die politischen Parteien des Burgenlandes traten von nun an in verschiedener Weise und immer häufiger zugunsten einer Beschleunigung der Entspannung ein und nahmen diesbezüglich auch in Kauf, mit den außenpolitischen Vorstellungen der Bundespolitik in Konflikt zu geraten.44

Im Lichte all dessen erhielt die Tatsache besondere Bedeutung, dass 1959 – parallel zu den Veränderungen, die in der internationalen Beurteilung Ungarns spürbar wurden45 – schnelle und bedeutende, im wesentlichen bereits seit langer Zeit vorbereitete Schritte auf dem Weg zur Normalisierung erfolgten. Das österreichische Parlament ratifizierte das bereits 1956 unterschriebene Wasserwirtschaftsabkommen, und es wurden ein Abkommen über den Lastentransport auf den Landstraßen sowie ein Luftverkehrsvertrag abgeschlossen. Das wichtigste Ereignis war, dass im Oktober 1959 ein umfangreicheres dreijähriges Warentauschabkommen unterzeichnet wurde. In dieses wurde auch die industrielle Zusammenarbeit mit Drittländern „eingebaut”. Große Bedeutung hatte auch, dass die vermögensrechtlichen Unterredungen, die 1956 abgebrochen worden waren, auf der Expertenebene weitergeführt wurden. Außerdem begann die Vorbereitung von Abkommen zum Pflanzenschutz und zur Tiergesundheit sowie von Rechtshilfe- und sozialpolitischen Vereinbarungen. Auf Druck von österreichischen Wirtschaftsgruppierungen, die an der Entwicklung der Handelsbeziehungen zu Ungarn interessiert waren, reiste im Frühjahr 1960 eine Regierungsdelegation unter dem burgenländischen Landeshauptmann Johann Wagner zur Internationalen Messe nach Budapest. Der Delegation gehörte auch Ex-Außenminister Karl Gruber an. Auch von Seiten Ungarns reisten immer mehr Delegationen (aus den Bereichen Gewerkschaft, Sozialversicherung, Lebensmittelindustrie und Genossenschaften) nach Österreich. Die effektivste Veränderung erfolgte bei der Erneuerung der regelmäßigen Sportveranstaltungen, bei der Initiierung von Journalistentreffen und bei der Neuorganisation von kulturellen Veranstaltungen unterhalb der offiziellen zwischenstaatlichen Ebene.

Auf dem bereits traditionellen Außenministergespräch im Oktober nahm Bruno Kreisky 1960 die Einladung von Endre Sík an und begab sich in die ungarische Gesandtschaft, d.h. er betrat – rechtlich gesehen – ungarischen Boden. Hintergrund des veränderten Verhaltens bildete vermutlich der Wandel, der in der österreichischen Innenpolitik festzustellen war, nämlich die Stärkung von Kreisky (bzw. Vizekanzler Pittermann) und der Austritt von Minister Helmer aus der Regierung, d.h. die innerhalb der Führung der Sozialistischen Partei Österreichs erfolgenden Kräfteverschiebungen, die der Kádár-Regierung vorteilhaft erschienen46. Andererseits signalisierte der Rücktritt von Julius Raab von der Spitze der Österreichischen Volkspartei und damit seine Schwächung in der Regierung ein Hervortreten der konservativen bürgerlichen Kräfte sowie den möglichen Beginn eines härteren Kurses gegenüber der kommunistischen Führung in Ungarn47.

Die Grenzen der Normalisierung des österreichisch-ungarischen Verhältnisses offenbarten sich dann gerade bei den Verhandlungen von Sík und Kreisky. Nachdem beide über die im Bereich der Wirtschaft erzielten Ergebnisse und über die offenen Fragen gesprochen hatten, brachte Kreisky die seit langem eindeutige österreichische Auffassung offen zum Ausdruck, dass es für einen grundlegenden Wandel des Verhältnisses zwischen den beiden Ländern und für eine Regelung auf Regierungsebene notwendig sei, die politische Atmosphäre in Ungarn zu verändern. Sollte dies nicht erfolgen, hielt er auch die Annahme einer Einladung nach Budapest für unmöglich. Vermutlich auf Veranlassung der amerikanischen Diplomatie versuchte er den ungarischen Außenminister davon zu überzeugen, wie wichtig es sei, dem obersten Beauftragten der UNO Sir Leslie Munro zu ermöglichen, sich über die Lage in Ungarn zu informieren. Zudem bot Kreisky an, bei der Lösung der Angelegenheit von Kardinal Mindszenty zu vermitteln48. Kurz nach dem Treffen stimmte die österreichische Delegation bei den Vereinten Nationen – trotz des Drucks der Sowjetunion49 – erneut gegen die Anerkennung des ungarischen Mandats.

Es muss im Zuge weiterer Forschungen geklärt werden, unter welchen Umständen im Sommer 1960 – abgesehen von den Auswirkungen der Konflikte zwischen den Großmächten, insbesondere der Krise um den Abschuss eines amerikanischen Spionageflugzeugs über der Sowjetunion – die Normalisierungsbestrebungen scheiterten. Tatsache ist, dass sich ab August 1960 die bewaffneten Provokationen entlang der Grenze, die von Seiten Ungarns ausgingen, sowie die damit verbundenen Notenwechsel und Regierungserklärungen erneut wesentlich zunahmen und es wiederum zu einem Pressekrieg kam. Die Entwicklung der Beziehungen erreichte im Laufe der Monate November/ Dezember 1960 ihren Tiefpunkt.

Diese Periode, die einerseits durch Besuche auf höherer oder niederer Ebene, durch eine wechselhafte, insgesamt aber nicht abnehmende Wirtschaftskooperation, durch wachsenden Fremdenverkehr und durch eine größere Zahl an wissenschaftlichen und kulturellen Veranstaltungen geprägt war, andererseits aber mit bewaffneten Grenzzwischenfällen, mit dem Aufbau eines militärischen „Festungssystem” auf der österreichischen Seite der Grenze50, mit diplomatischen Notenwechseln51 und gegenseitigen Angriffen in der Presse einherging, sollte nahezu zwei Jahre andauern. Während die Wirtschaftsdiplomatie unverändert eine entscheidende Rolle spielte, brach im Sommer 1961 das Eis und es begannen konkrete Verhandlungen über die Lösung der grenzbezogenen Fragen52. Demgegenüber war es – zumindest politisch – ein spektakuläreres Ereignis, dass Ex-Kanzler Julius Raab im Mai 1962 als Präsident der Österreichischen Industrie- und Handelskammer – unter Missachtung der Kritik der österreichischen Presse – zwei Tage lang an der Spitze einer Delegation die ungarische Hauptstadt aus Anlass der Internationalen Messe in Budapest besuchte und im österreichischen Pavillon der Messe die dorthin kommenden ungarischen Politiker begrüßte53. Im Sommer 1962 besuchten die Mitglieder der burgenländischen Landesregierung – ohne Unterschiede zwischen den Parteien – zwei Tage lang Sopron und verhandelten mit der politischen Führung des Komitats Győr-Sopron über die Beziehungen im Grenzgebiet.54 Am 20. September 1962 stimmte der ungarische Ministerrat zu, die 1956 unterbrochenen Verhandlungen des vermögensrechtlichen Hauptausschusses auf österreichische Initiative hin fortzusetzen. Damit eröffnete sich die Möglichkeit, eine der bedeutendsten Belastungen im bilateralen Verhältnis zu regeln55. Kurze Zeit später kam es zur Unterzeichnung eine fünfjährigen Handels- und Zahlungsabkommens. Die internationale Situation, die infolge des Baus der Berliner Mauer und der Kuba-Krise entstand, wirkte sich nicht mehr sichtbar auf die positive Entwicklung der Beziehungen aus56.

Ein 1962 – ohne nähere Bestimmung des Zeitpunkts – erstellter zusammenfassender Bericht, der den Titel „Die Außenpolitik der Volksrepublik Ungarn und ihre Beziehungen zu den wichtigsten Ländern” trug, enthielt nicht nur eine positive Beurteilung der internationalen Lage Ungarns, sondern bestimmte unter den Hauptzielen an erster Stelle die Normalisierung der Beziehungen zu Österreich, Großbritannien, Frankreich und Italien, wobei die Republik Österreich besondere Erwähnung fand57. Kurz bevor die Vollversammlung der Vereinten Nationen im Dezember 1962 das Mandat des UN-Beauftragten Sir Leslie Munro zur Untersuchung der „ungarischen Frage” aufhob, stellte János Kádár auf dem VIII. Kongress der Ungarischen Sozialistischen Arbeiterpartei (USAP) fest58, dass man danach strebe, mit Österreich gutnachbarschaftliche Beziehungen herzustellen, und eine nützliche Kooperation zwischen den beiden Ländern möglich sei, da keine Interessenunterschiede bestünden.

Im Laufe des Jahres 1963 wurden regelmäßig politische Treffen auf hoher Ebene abgehalten. So besuchten Anfang Mai 1963 Vizekanzler Bruno Pittermann als Regierungsmitglied, das die Aufsicht über die verstaatlichte Industrie ausübte, und Handelsminister Fritz Bock an der Spitze einer Delegation von Geschäftsleuten Budapest zur Eröffnung der Internationale Messe. Die Beschlüsse des Politbüros der USAP vom 21. Dezember 1963 und vom 16. Juni 1964 über den Abschluss der vermögensrechtlichen Verhandlungen59 räumten dann endgültig die letzten Hindernisse für weitere Sachabkommen und für die Erweiterung der wirtschaftlichen und politischen Kooperation beiseite60. Der Besuch von Jenő Fock, Erster Stellvertreter des Vorsitzenden des Ministerrats, in Österreich im Juni 1964 fand bereits unter diesem Zeichen statt. Die Atmosphäre wurde auch durch den Politbüro-Beschluss vom 28. Juli 1964 positiv beeinflusst, die Ausgabe von Visa zu erleichtern61.

Den Höhepunkt des Prozesses bedeutete aber zweifellos der Budapest-Besuch einer umfangreichen österreichischen Delegation unter Führung von Bruno Kreisky Ende Oktober 1964. In seiner Rede über die Grundprinzipien der österreichischen Außenpolitik an der Ungarischen Akademie der Wissenschaften betonte Kreisky zu Recht, dass die österreichisch-ungarischen Beziehungen nun in eine neue Phase eingetreten seien.62 Hintergrund hierzu bildeten die Verhandlungen in einer sichtlich entspannten Atmosphäre, die Treffen mit den führenden Politikern, die Unterzeichnung von drei bedeutenden Abkommen (eines über vermögensrechtliche Fragen und zweie über Regelungen zur Grenzfrage), die Expertengespräche über weitere Pläne hinsichtlich der bilateralen Beziehungen sowie die Aufwertung der Außenvertretungen in den Rang von Botschaften. Einen bleibenden positiven Eindruck auf den österreichischen Außenminister machte die Unterredung, die er mit János Kádár über allgemeine internationale Zusammenhänge führte. Kádár bekräftigte dabei, dass die Ablösung von Nikita Chruschtschow von der Spitze der KPdSU keine Veränderung in den Grundlinien der ungarischen Außenpolitik bewirke. Diese Aussage wurde durch die Gespräche bestätigt, die Vizekanzler Bruno Pittermann anlässlich seines Budapest-Besuchs im Januar des folgenden Jahres führte63, sowie – kurz darauf – durch die politischen Entscheidungen vom März und Mai 1965 über die Beseitigung der veralteten Minenfelder an der Grenze und über den – mehrere Jahre andauernden – Aufbau einer elektronischen Signalanlage64. Der Gegenbesuch von Außenminister János Péter in Wien signalisierte dann den endgültigen Abschluss der konfliktvollen Zeit nach 1956. Beim Besuch von Péter kam ein Abkommen über die Streichung der Visumspflicht für Inhaber der Diplomatenpässe zustande und es wurde ein entsprechender ministerieller Briefwechsel unterschrieben. Außerdem unterzeichnete man Abkommen zu Zoll- und Passfragen, Rechtshilfe- und Erbrechtsvereinbarungen, ein Autobusverkehrsabkommen und tauschte Urkunden zur Bekräftigung der Grenzverträge aus. Das gemeinsame Kommuniqué betonte schließlich die Vorteile eines Abkommens über den Austausch von elektrischer Energie für die Zukunft65.

Die Normalisierung der österreichisch-ungarischen Beziehungen auf breiter Grundlage wurde – vor dem Hintergrund einer für die ungarische Seite günstigen Entwicklung der internationalen Lage – durch die schnelle Regelung der beiderseitigen Probleme möglich gemacht. Offensichtlich spielte hierbei auch eine oberflächliche Nostalgie hinsichtlich der gemeinsamen Vergangenheit eine Rolle66. Den entscheidenden Faktor aber bedeuteten die auf beiderseitigen Vorteilen beruhende wirtschaftliche Zusammenarbeit und die Ausnutzung der Möglichkeiten des – von Wien verkörperten – internationalen diplomatischen Spielraums67.

 

Anmerkungen

1

Zum ungarischen Vermögen siehe Magyar Országos Levéltár [Ungarisches Staatsarchiv], (MOL) XIX-J-1-k Ausztria 23/g KüM 136/1946. 7. Mai 1946, Zu den sowjetischen Forderungen siehe László Borhi, A vasfüggöny mögött. Magyarország nagyhatalmi erőtérben 1945-1968 [Hinter dem Eisernen Vorhang. Ungarn im Kräftefeld der Großmächte 1945-1968], Budapest 2000, S. 20 f.

2

Vgl. Klaus Fiesinger, Ballhausplatz-Diplomatie 1945-1949. Reetablierung der Nachbarschaftsbeziehungen und Reorganisation des Auswärtigen Dienstes als Formen außenpolitischer Reemanzipation Österreichs, München 1993, S. 309-312.

3

Zur Aufnahme unmittelbarer Kontakte kam es zuerst auf wirtschaftlichem Gebiet. Im August 1945 wurde von Privatfirmen ein Abkommen geschlossen. Dieses bestimmte, dass ungarische Unternehmen – auf Kompensationsbasis für Grubenholz – Kohle an das Nachbarland, das mit schweren Problemen mit dem Heizmaterial kämpfte, liefern sollten. Einige Monate später begannen auch zwischenstaatliche Verhandlungen über ein einjähriges Warentauschabkommen, durch das – neben dem Export von Rohstoffen und industriellen Halbfertigprodukten – vor allem der ungarische Lebensmittelexport aktiviert werden sollte.

4

Siehe Lajos Gecsényi, A budapesti osztrák képviselet jelentéseiből 1946-1947 [Aus den Berichten der österreichischen Vertretung in Budapest 1946-1947], in: Levéltári Szemle 42 (1992), H. 1, S. 57-76; Ders., Magyar-osztrák kapcsolatok 1955-1956 [Ungarisch-österreichische Beziehungen 1955-1956], in: Társadalmi Szemle 50 (1995), H. 10, S. 78-90.

5

Ders., Omega jelenti. ÁVÓ contra osztrák elhárítás. [„Omega” berichtet. Ungarische Staatspolizei gegen österreichische Spionageabwehr], in: História 15. (1993) Nr. 1. S. 11-12.

6

1949 nahm Vorsitzender der Partei-Kontroll-Kommission Károly Kiss in Vertretung der Partei der Ungarischen Werktätigen (PdUW) an den Feierlichkeiten der österreichischen Kommunisten (KPÖ) zum 1. Mai teil. Interessanter Weise entsandte aus Osteuropa neben der PdUW nur die polnische KP einen Vertreter zu der Veranstaltung (Bericht von Károly Kiss, 3. Mai 1949; MOL, M-KS 276.f./65/123.ő.e.). Im Mai 1951 reiste ZK-Mitglied und Justizminister Erik Molnár in die österreichische Hauptstadt, um an den Feierlichkeiten zum 60. Geburtstag des KPÖ-Vorsitzenden Johann Koplenig und am Wiener Jugendtreffen teilzunehmen (Bericht von Erik Molnár, Budapest 1951; MOL, M-KS 276.f.65/218.ő.e.). Im November 1951 reiste eine zweiköpfige Delegation unter Führung von István Hidas, Kandidat des Politbüros der PdUW und Sekretär des Parteikomitees der Hauptstadt, zum XV. Parteitag der KPÖ (Bericht von István Hidas, 12. November 1951; MOL, M-KS 276.f.65/123.ő.e.).

7

Bericht des Geschäftsträgers Tamás Mátrai (MOL, XIX-J-1-k Ausztria 29/f KüM 0861/1952).

8

MOL, XIX-J-1-k Ausztria 5/f KüM 09308/1953. „Das neue Österreich verfügt über ein diplomatisches Netz, das sich auf die ganze Welt erstreckt. Aufgrund dessen ist Wien auch ein wichtiges diplomatisches Zentrum, wo auch die Diplomaten der beiden Weltlager in Kontakt treten. Dies ist im Hinblick auf die Beziehungen unserer Gesandtschaft von Bedeutung.” László Borhi setzt die „Öffnung” auf die Zeit nach dem XX. Parteitag der KPdSU an (siehe Borhi, A vasfüggöny mögött, S. 98), während Csaba Békés darauf verweist, dass die ungarische Führung auch bereits vor 1953 den Versuch unternahm, Beziehungen zum Westen aufzubauen (siehe Csaba Békés, Európából Európáig. Magyarország konfliktusok kereszttüzében, 1945-1990 [Von Europa nach Europa. Ungarn im Kreuzfeuer der Konflikte, 1945-1990], Budapest 2004, S. 134.

9

Die Verhandlungen zwischen Ungarn und Österreich über die Frage der Donauschifffahrt begannen im September 1952. Die Verhandlungen über die Sachinhalte fanden vom 27. April bis zum 12. Mai 1953 statt. Sie endeten mit der Ausarbeitung der Vereinbarung und der Unterzeichnung eines Protokolls. Die Vereinbarung wurde von den beiden Regierungen am 16. Mai 1953 angenommen (vgl. Szabad Nép, 14. Mai 1956; MOL, XIX-J-1-j 1. doboz 1/b. 002545/1955. sz.).

10

Zusammenfassender Bericht der ungarischen Gesandtschaft über das Jahr 1954 (MOL, XIX-J-1-j-1. doboz 1/b. 002545/1955).

11

Zum Beschluss der PdUW-Führung vom 27./28. Juni 1953 siehe Lajos Izsák (Hrsg.), A Magyar Dolgozók Pártja határozatai, 1948-1956 [Beschlüsse der Partei der Ungarischen Werktätigen, 1948-1956], Budapest 1988, S. 188-212.

12

Österreichisches Staatsarchiv (ÖStA), Archiv der Republik (AdR) BKA/AA Pol.-II. Ungarn GZ 142.500/1953. Ressčguier beobachtete übrigens auch die Durchführung des Regierungsprogramms vom Juni 1953 kritisch und war der Meinung, dass es keinen wesentlichen Wandel gebracht habe.

13

MOL, XIX-J-1-k Ausztria 4/bd KüM 05467/1954.

14

Szabad Nép, 15. Juli 1954.

15

Szabad Nép, 23. September 1955.

16

Notiz von Péter Rubin vom 6. Juli 1955 (MOL, M-KS 276.f.65/218. ő.e.); MOL, XIX-J-1-j 53.doboz 25/c 003032/I/1955.

17

György Parragi betonte in seiner Rede während der Haushaltsdebatte am 16. Juni 1954 dementsprechend folgendes: „Wir freuen uns, dass sich die Beziehungen zwischen Ungarn und den beiden Nachbarländern Jugoslawien und Österreich immer mehr normalisieren. Die Spannungen an unseren Grenzen haben wesentlich abgenommen. Die beweist am besten, dass die Zahl der Grenzzwischenfälle sich stark verringert hat.” (Az 1953. évi július hó 3-ára összehívott országgyűlés naplója. 1953-1958 [Protokoll des am 3. Juli 1953 einberufenen Parlaments. 1953-1958], Budapest 1960, Bd. 1, S. 250).

18

Béla Pálmány, A magyar-osztrák viszony [Das ungarisch-österreichische Verhältnis], in: Valóság 49 (1997), H. 4, S. 88. und Lajos Gecsényi-István Vida, Iratok az osztrák-magyar kapcsolatok történetéhez [Schriften zur Geschichte der österreichisch-ungarischen Beziehungen] 1953. október 7.-1956. január 21. In: Századok. A Magyar Történelmi Társulat folyóirata. 134. 2000. 5. S. 1196-1197. Zusammenfassender Bericht der Wiener Gesandtschaft aus dem Jahre 1954 (MOL, XIX-J-1-j 1. doboz 1/b. 002545/1955).

19

Szabad Nép, 3. April 1955.

20

Am 3. April 1955 (Szabad Nép, 23. April 1955).

21

Protokoll der Sitzung des Politbüros der PdUW vom 23. April 1955 (MOL, M-KS 276.f.53/227.ő.e.).

22

Protokoll der Sitzung des Politbüros der PdUW vom 23. Juni 1955 (MOL M-KS 276. f. 53/238. ő.e. S. 138-139.)

23

MOL, M-KS 276.f.53/239.ő.e., 17-26. Das Politbüro war einzig mit dem Plan nicht einverstanden, das Ungarische Kulturinstitut in Wien erneut zu eröffnen.

24

Das Politbüro der PdUW verabschiedete am 11. Juni 1955 die Namensliste der Teilnehmer der Verhandlungsdelegation (MOL, M-KS 276.f.53/236.ő.e., S. 100.)

25

Bruno Kreisky schrieb – vielleicht nicht genau überlegt - in seinen Erinnerungen: „Bis zum ungarischen Aufstand – ich war damals Staatssekretär – hatte ich in der Entwicklung und den Verhältnissen in Ungarn wenig Aufmerksamkeit geschenkt.” (Bruno Kreisky, Im Strom der Politik. Erfahrungen eines Europäers, 1. Auflage, Berlin 1988, S. 226).

26

Puja Frigyes követ jelentése 1955. július 7. [Bericht des Gesandten Frigyes Puja, 7. Juli 1955], in: Társadalmi Szemle 50 (1995), H. 10, S. 80 ff.; siehe auch Erich Bielka, Österreich und seine volksdemokratischen Nachbarn, in: Ders./Peter Jankowitsch/Hans Thalberg (Hrsg.), Die Ära Kreisky. Schwerpunkte der österreichischen Außenpolitik, Wien 1983, S. 200 f.

27

Aufzeichnung von Péter Rubin, 6. Juli 1955 (MOL, M-KS-276.f.65/218.ő.e.). Bericht des österreichischen Gesandten: ÖStA AdR BKA/AA Pol. II. Ungarn 2 GZ 320.715-Pol./1955 (323.612)

28

MOL M-KS 276. f. 53/240. ő.e. Protokoll des Politbüros. Die Vorlage ist von 31. Mai datiert.

29

Außenminister Leopold Figl äußerte Mitte September 1955 in einer Erklärung gegenüber einer westdeutschen Zeitung folgendes: „Seit dem Abschluss des österreichischen Staatsvertrages hat sich das Verhältnis Österreichs zu einzelnen Nachbarländern wesentlich verbessert, in erster Linie zur Tschechoslowakischen Republik und zur Volksrepublik Ungarn. So kam es beispielsweise zu wichtigen Erleichterungen im Reiseverkehr mit beiden Staaten.” (Zitiert laut Szabad Nép, 20. September 1955).

30

Nach den Angaben des Oberkommandos der Grenzwache haben 1314 Personen in Monaten Mai-September illegal das Land verlassen. (Aufzeichnungen des Oberkommandos MOL XIX-B-10 IV/8-10-1956-186)

31

Szabad Nép, 24. Dezember 1955; Szabad Nép, 4. Januar 1956. Das Budapester Innenministerium erarbeitete den ungarischen Entwurf für das Abkommen zur Aufstellung eines ständigen gemischten Ausschusses. Innenminister László Piros legte diesen nach der Zustimmung des Politbüros der PdUW am 9. März 1956 der Regierung vor (Protokoll der Sitzung des Politbüros der PdUW vom 9. März 1956; MOL, M-KS 276.f.53/275.ő.e.)

32

Bericht von K. Braunias (ÖStA, BKA/AA Pol. II. Ungarn 2 GZ 511.049/1956, 511.368).

33

Szabad Nép, 24. Januar 1956, Szabad Nép, 26. Januar 1956; Protokolle der österreichisch-ungarischen Finanzverhandlungen, 24. Februar – 8. Juni 1956 (MOL, XIX-J-j. 48.doboz 23/j). Zum Abschluss eines Abkommens über die vermögensrechtlichen Fragen sollte es allerdings erst 1964 kommen.

34

Protokoll der Sitzung des Politbüros 9. März 1956. (MOL M-KS 276. f. 53/275 ő.e. S. 6-7. bzw. Protokoll des Ministerrates 9. Mai 1956. (MOL XIX-A-83-a B-1423/TÜK/1956)

35

MOL, M-KS 276.f.53/275.ő.e.; MOL, XIX-B-10 IV-8-10. 1956 (02704). Ministerpräsident András Hegedüs bemerkt in seinen Memoiren, dass die Maßnahme eine sehr heftige Diskussion auslöste. „Auch heute noch sehe ich das feuerrote Gesicht des tschechoslowakischen Ministerpräsidenten Siroky, der deswegen verärgert Kritik übte, vor mir. Diese einseitige Maßnahme verletzte mit Recht die tschechoslowakische Führung.” (András Hegedüs, A történelem és a hatalom igézetében [Im Bann der Geschichte und der Macht], Budapest 1988, S. 258. Das Politbüro der PdUW entschied in seinem Beschluss vom 24. Mai 1956 dennoch über die zukünftigen Grundlagen der Grenzbewachung, die nach dem Abbau der technischen Sperre an der Westgrenze und entsprechend der neuen Situation geschaffen werden sollten. Unter anderem wurde entschieden, versteckte technische Mittel einzusetzen, eine effektivere Aufklärung durchzuführen, das Landesinnere intensiver zu sichern und die „Wachsamkeit” der Truppen zu erhöhen. Zugleich wurde auch der Beschluss gefasst, die Grenzgegenden infrastrukturell, wirtschaftlich und kulturell zu entwickeln sowie die Grenzstationen und die dorthin führenden Verkehrswege in Ordnung zu bringen (MOL, M-KS 276.f.53/288.ő.e., S. 62-78).

36

Zum Bericht siehe Magyar-osztrák kapcsolatok 1955-1956, (siehe Anm. 4.) S. 84-90.

37

Kanzler Julius Raab gab der Zeitung „Szabad Nép” (Freies Volk) und dem Ungarischen Rundfunk am 6. September 1956 ein Interview, in dem er die Entwicklung der österreichisch-ungarischen Beziehungen positiv beurteilte (Szabad Nép, 7. September 1956). Während eines Schiffsausflugs nach Esztergom, der daraufhin für die Leiter der Außenvertretungen in Budapest organisiert wurde, warf der stellvertretende Außenminister István Sebes im Rahmen einer „Privat-unterhaltung” die Frage der Einladung und des Ungarn-Besuchs von Raab gegenüber dem – im Frühjahr 1956 nach Budapest entsandten – Gesandten Walther Peinsipp auf. Der Gesandte hielt dieses Ansinnen zum gegebenen Zeitpunkt für nicht zu verwirklichen (ÖStA, BKA/AA Pol. Ungarn-2. GZ 511. 049/1949).

38

Vgl. Békés, Európából Európába, (siehe Anm. 8.) S. 147.

39

Ein umfassendes Bild über den neuen Abschnitt der ungarisch-österreichischen Beziehungen seit Ausbruch der revolutionären Ereignisse in Ungarn zeichnet der vom Verfasser zusammengestellte und vom Ungarischen Staatsarchiv herausgegebene Edition Iratok Magyarország és Ausztria kapcsolatainak történetéhez, 1956-1964 [Schriften zur Geschichte der Beziehungen Österreichs und Ungarns, 1956-1964], Budapest 2000.

40

MOL, XIX-A-83-a 24. Jänner 1957. Protokoll Nr. 14 des Ministerrates vom 24. Januar 1957, Punkt 3.

41

Vgl. Reiner Eger, Krisen an Österreichs Grenzen. Das Verhalten Österreichs während des Ungarnaufstandes 1956 und der tschechoslowakischen Krise 1968. Ein Vergleich, München/Wien 1981, S. 51-54; siehe auch Manfred Rauchensteiner, Spätherbst 1956. Die Neutralität auf dem Prüfstand, Wien 1981, S. 107 f.

42

ÖstA AdR BKA/Aa, Kabinett, Ministerratsprotokolle, Fasz. 66. Beschlussprotokoll 25. Punkt 28. Bedauerlicher Weise sind die Protokolle der österreichischen Regierung in ihrer Gesamtheit der Forschung gegenwärtig noch nicht zugänglich. Daher hat der Verfasser Auszüge und Kopien verwendet, die sich unter den Dokumenten des Außenministeriums befanden.

43

Iratok… (siehe Anm. 39.) No. 16. S. 56.

44

ÖStA AdR BKA/AA Pol.II. Ungarn 2 GZ 558.089-Pol./1958

45

So werden die Ereignisse des Jahres 1959 auch in Bezug auf (West-) Deutschland gesehen (vgl. Mihály Ruff, A magyar-NSZK kapcsolatok (1960-1963) [Die ungarisch-westdeutschen Beziehungen (1960-1963)], in: Múltunk. Politikatörténeti folyóirat. 44 (1999), H. 3, S. 6.

46

Die von Kreisky verkörperte außenpolitische Öffnung manifestierte sich auch darin, dass er im März 1960 innerhalb kurzer Zeit Warschau und auch Belgrad besuchte. Die Visite in Polen schuf umfassende Möglichkeiten zur schnellen Normalisierung der Beziehungen. Vgl. Bundesministerium für Auswärtige Angelegenheiten. Tätigkeitsbericht 1959-1962, [Wien, 1963], S. 49; Bielka, Österreich und seine volksdemokratischen Nachbarn, (siehe Anm. 26.) S. 205 f.

47

Die außenpolitischen Aspekte der Auseinandersetzungen innerhalb der Österreichischen Volkspartei bzw. zwischen den bürgerlichen und den linken Kräften erfordert noch weitere Analysen. Allgemeine Informationen bietet Peter Pelinka, Österreichs Kanzler. Von Leopold Figl bis Wolfgang Schüssel, Wien 2000.

48

Iratok… (Anm. 39.) Nr. 43. S. 153. weiterhin Kreisky, Im Strom der Politik..(Anm. 25.) S. 236-237.

49

Vgl. hierzu die Bemerkungen von János Péter auf der Sitzung des Kollegiums vom Außenministerium (MOL, XIX-J-1-j Ausztria 4/b KüM 005634/1960 (8. doboz), 8.

50

Népszabadság, 1. Dezember 1960; Magyar Nemzet, 11. Juli 1961.

51

Ein Teil von diesen hing – auf sowjetische Veranlassung – mit dem Anschluss Österreichs an die europäische Gemeinschaft bzw. an die europäischen Assoziationen sowie mit der Entwicklung des deutsch-österreichischen Verhältnisses zusammen.

52

Diesbezüglich wurden die Entwürfe für zwei Abkommen auf die Tagesordnung gesetzt, nämlich über die Erneuerung der Grenzmarkierungen, über die Ordnung an der Grenze sowie über die Gründung und Tätigkeit eines gemischten Ausschusses für Grenzstreitigkeiten. Bei den Buda-Pester Verhandlungen im Januar 1962 schrieben die Delegationen bereits die Erneuerung der Grenzmarkierungen und den Text der Vereinbarungen über die gemischte Kommission fest. Siehe Vorlage der Abteilung für Außenangelegenheiten des ZK USAP 14. Februar 1962. Iratok… (Anm. 39.) No. 55. S. 209.

53

Auf die österreichischen Reaktion den Besuch betreffend verweist Hans-Georg Heinrich, Die Entwicklung der österreichisch-ungarischen Beziehungen, in: Die Beziehungen zwischen Österreich und Ungarn: Sonderfall oder Modell ? (Hgb. Zdenek Mlynar und andere) Wien, 1985 S. 23.

54

Jahresbericht von 1961 des Gesandten István Sebes 19. Februar 1962. Iratok… (Anm. 39.) No. 56. S. 218.

55

Vgl. MOL, XIX-A-83-b-3269. Laut Analyse des sowjetischen Botschafters in Wien vom Oktober 1962 hielten es „die Österreicher für die wichtigste Frage, die vermögensrechtlichen Fragen mit ihren sozialistischen Nachbarn abzuschließen,” und betonten, dass „die erfolgreiche Lösung dieser Fragen auch die Regelung der weiteren Fragen fördern werde.” (Bericht vom Gesandten István Sebes; MOL, XIX-J-1-j Ausztria 5/f KüM 003052/1/1962 (23. doboz).

56

Vgl. Mihály Fülöp/Péter Sipos, Magyarország külpolitikája a XX. században [Außenpolitik Ungarns im 20. Jahrhundert], Budapest 1998, S. 433.

57

MOL, M-KS 288.f.32/1962/16.ő.e.m 92-104.

58

A Magyar Szocialista Munkáspárt VIII. kongresszusának jegyzőkönyve 1962. november 20-24. [Protokoll des VIII. Kongresses der Ungarischen Sozialistischen Arbeiterpartei. 20.-24. November 1962], Budapest 1963, S. 23.

59

Protokoll über die Sitzung des Politbüros MOL, M-KS 288.f.5/323.ő.e. Protokoll über die Sitzung des Politbüros MOL, M-KS 288.f.5/336.ő.e.

60

Das Österreichreferat im ungarischen Außenministerium überprüfte im März 1964 mittels eines 35-seitigen Aktionsplans die gesamte Skala der Beziehungen zu Österreich (vgl. MOL, M-KS 288.f.32/1964/39. ő.e.).

61

Protokoll über die Sitzung des Politbüros MOL, M-KS 288.f.5/339.ő.e., 3 f., 76 ff. Der Bericht über den Österreichbesuch von Jenő Fock ist in Iratok… (Anm. 39.) S. 266-270 veröffentlicht; Protokoll über die Sitzung des Politbüros MOL, M-KS 288.f.5/340.ő.e., 3, 21 ff., 42 ff. Vorlage des Innenministeriums (Hauptabt. Spionageabwehr) und Entwürfe über die Einführung eines neuen Systems bei der Visumausgabe von Juni 1964 liegen in MOL XIX-B-1-z 10-64/7 (2201).

62

Es ist merkwürdig, wie Kreisky über seine Bestrebungen nach einer Normalisierung mit Ungarn in seinen Memoiren (1988) geschrieben hat. „Ich hatte früh darauf gedrängt dass man auch mit Ungarn zu einer Politik der Normalisierung finden müsse, wenngleich ich mir darüber klaren war, dass den Ereignissen von 1956 Ungarn aus psychologischen Gründen zu den letzten Staaten zahlen würde, mit denen eine solche Politik aufgenommen werden konnte.” Kreisky, Im Strom der Politik, (siehe Anm. 25.) S. 236.

63

Aufzeichnung des Stv.-Ministers Béla Szilágyi über das Treffen (MOL, XIX-J-1-j Ausztria IV-135 00425/15/1965).

64

Protokolle über die Politbüro-Sitzungen am 2. März und am 11. Mai 1965 (MOL, M-KS 288.f.5/360.ő.e., 14-19; MOL, M-KS 288.f.5/365.ő.e., 129-132).

65

Bericht von Außenminister János Péter für den Ministerrat (MOL, XIX-J-1-j Ausztria IV-135 00425/42/1965).

66

„Unser Wille zur Zusammenarbeit ist beständig, wir wollen gute Nachbarschaft zum ‚österreichischen Schwager’. Wir alle sind unter Franz Joseph geboren, Gomulka, Cyrankiewicz, Tito und Kardelj auch. Wir müssen solche Treffen gerade deswegen fortsetzen. Diese können in Wien, Prag, Warschau, Budapest oder auch in Bratislava stattfinden. Wir müssen dort zusammen existieren, wo wir leben.” – sagte Kádár zu Pittermann. „Es kann festgestellt werden, dass, wenn die Österreicher hierher [d.h. nach Budapest] kommen, sie dann zwar nicht zuhause sind, aber auch nicht fühlen, dass sie im Ausland sind. Und umgekehrt trifft das auch zu. Am Sonntag ist es auf der Kärntnerstrasse [in Wien] genau so, wie in Budapest auf der Andrássy Straße.” – antwortete der Vizekanzler (Aufzeichnung des stellvertretenden Ministers Béla Szilágyi über das Treffen; MOL, XIX-J-1-j Ausztria IV-135 00425/15/1965).

67

Die ungarischen Dokumente, die für die Verhandlungen im Oktober 1964 und von Januar bis April 1965 vorbereitet wurden, bekräftigen diesen Sachverhalt eindeutig. Siehe den Bericht des Gesandten István Sebes von 15. September 1964 über die Vorbereitung des Besuches der österreichischen Delegation: Iratok… (Anm. 39.) Nr. 69. S. 272-279. und die Vorlage des Außenministeriums ans Politbüro von 14. Oktober 1964: Iratok… (Anm. 39.) Nr. 70. S. 280-285. bzw. den Bericht des Botschafters István Sebes von 23. Januar 1965: MOL XIX-J-1-j Ausztria IV-135 00425/7/1965, sowie die Aufzeichnung des stellvertretenden Ministers Béla Szilágyi über das Treffen: MOL, XIX-J-1-j Ausztria IV-135 00425/15/1965.