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Begegnungen
Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Band 7:57–58.
FERENC GLATZ
Corvinus-Preis, Ungarn 1997
Das moderne Europa wurde in der Renaissance geboren. Seien der Geist und die Freiheit des Menschen sowie das Fachwissen die determinierenden Faktoren der gesellschaftlichen Werteordnung: diese Prinzipien haben den Kontinent Europa an die Spitze des globalen Fortschritts katapultiert. Und dieselben Grundprinzipien stellen bis heute die wichtigsten Kriterien unseres Europäertums dar.
Bei jener Wiedergeburt Europas kam dem Königreich Ungarn und der Politik des Landes, ebenso wie seiner Elite-Intelligenz eine spezifische Rolle zu. Buda gestaltete sich zu einem der führenden geistigen Zentren Europas. Initiator und auch Vollstrecker der „Kulturpolitik” ist derzeit der König selbst, d.h. Matthias, der von l458 bis l490 regierte.
Matthias Hunyadi entstammte einer ungarischen Kleinadelsfamilie rumänischer Herkunft. Bereits als junger Herrscher war er schon vor seinem 20. Lebensjahr wissentlich darum bemüht, sein Königreich nicht allein zu einem politischen Faktor Europas zu gestalten, sondern es auch organisch in das kulturelle Europa einzugliedern. Matthias ist eine Renaissance-Persönlichkeit im wahrsten Sinne des Wortes – ein ausgezeichneter Turnierkämpfer, listiger Heerführer, charmanter Diplomat und in seiner Freizeit gebildeter Gesprächspartner der Gelehrten seiner Zeit, Mäzen der Wissenschaft und Kultur. Darüber hinaus verachtet er nicht die Vergnügungen des Lebens und zählt zu den Bewunderern weiblicher Schönheit. Nach europäischem Vorbild wünscht er seine Herkunft bis zu altehrwürdigen römischen Familien nachzuweisen, weshalb er sich den lateinischen Namen Corvinus zulegt. In Buda gründet er eine der größten Bibliotheken des zeitgenössischen Europa, u.a. mit den weltberühmten Corvina-Bänden. Gelehrte, Schriftsteller und Dichter begeben sich zu Hofe. Der König lässt in Visegrád von Baumeistern Europas einen der schönsten Renaissancepaläste jener Epoche errichten. Er selbst fühlt sich in allen Städten Europas wohl und verbringt die letzten 5 Jahre seines Lebens in Wien. Nicht nur der Königshof sondern auch hunderte führende geistige und geistliche Persönlichkeiten Ungarns sind einbezogen in den Kreislauf westeuropäischer Kultur und Diplomatie.
Einer der Gründer des Europa Institutes warf den Gedanken auf, einen Preis zu stiften, welcher regelmäßig solchen Persönlichkeiten verliehen werden sollte, die auf dem Gebiet von Kultur, Wissenschaft und Politik Hervorragendes für die europäischen Beziehungen des ungarischen Staates und der Nation leisteten.
Im Sinne dieser Zielsetzung haben wir den Preis Corvinus-Preis genannt.
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Das Europa Institut Budapest ist seit 1990 eine der bedeutendsten Institutionen auf dem Gebiet der kulturell-wissenschaftlichen Organisation in Mitteleuropa, die gemeinsam mit der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, mit Universitäten in Budapest, Wien, München, Prag, Bukarest und London, mit ungarischen und europäischen Zivilorganisationen (so der Soros-Stiftung, der Paneuropäischen Union usw.) zahlreiche Konferenzen in Bezug auf die europäische Integration Ungarns organisierte. Das Institut war in den vergangenen Jahren – gemeinsam mit der Ungarischen Akademie der Wissenschaften – Mittelpunkt und Organisator jener Veranstaltungen, die sich mit der Unionsfähigkeit Ungarns befassten und aufgrund welcher die ersten Analysen über die Chancen eines Beitritts Ungarns für die EU verfertigt wurden. Zu seinen Veranstaltungen erschien auch der Herr Staatspräsident nahezu jährlich einmal. Das Institut ist Treffpunkt und Forum des von der Parteipolitik freien wissenschaftlichen und politischen Lebens.
Einer der Gründer des Europa Institutes, Senator Dr.Dr. Herbert Batliner ist Kurator mehrerer solcher Stiftungen, die in Europa der Unterstützung der ungarischen Kultur dienen. Er wurde vom Herrn Staatspräsidenten 1992 persönlich empfangen und nahm im Jahre 1995 eine hohe Staatsauszeichnung entgegen. Herr Batliner und die von ihm geleiteten westeuropäischen Stiftungen subventionieren verschiedene kulturelle-literarische-medizinische Programme, deren Ziel es ist, den europäischen Geist und die europäische Kultur aufrechtzuerhalten, die Institutionen der europäischen geistigen Verbürgerlichung weiter auszubauen. Auch der jetzt gestiftete Corvinus-Preis dient diesem Zweck. Er wird vom Stiftungsrat solchen Gelehrten, Schriftstellern oder Künstlern zuerkannt, die für die Verbindung von Europa und Ungarn, für die Erschließung des gemeinsamen europäischen Kulturschatzes und dessen Erhalt Hervorragendes leisteten.
Zum ersten Male wurde der Corvinus-Preis vom Kuratorium dem Regisseur und Oscar-Preisträger István Szabó zugesprochen. Vor der internationalen Jury hatte er im Wettbewerb mit weltweit bekannten Politikern, Künstlern und Gelehrten zu bestehen. István Szabó ist der gegenwärtig berühmteste Vertreter der ungarischen Filmkunst. Im Ausland ernten seine Filme weltweit Erfolge und vermitteln überall die Geistigkeit Mitteleuropas und Ungarns.
Der Preis wird alle zwei Jahre im Gebäude der Ungarischen Akademie der Wissenschaften überreicht.
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Begegnungen
Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Band 19:43–51.
LAJOS VÉKÁS
EU-Gemeinschaftsprivatrecht und nationale Kodifikation
1. Die Integration von EG-Richtlinien in eine nationale Rechtsordnung stellt eine besondere Schwierigkeit für die Kodifikation dar. Hier wird dieses Problem am Beispiel der Umsetzung von Verbraucherrichtlinien veranschaulicht.
Die Frage einer zweckmäßigen systematischen Unterbringung der privatrechtlichen Verbraucherschutzbestimmungen stellt sich auch ohne eine umfassende Reform des Privatrechts. Im Zuge der Vorbereitung eines neuen ZGB erhält sie jedoch eine besondere Bedeutung: Wie soll das Verhältnis eines neuen bürgerlichen Gesetzbuches und des privatrechtlichen Verbraucherschutzes aussehen? Beim Suchen einer guten Antwort auf diese Frage ist es nicht einfach in den Gesetzgebungen der EU-Staaten ein einheitliches oder zumindest ein überzeugendes Beispiel zu finden. Bezüglich der systematischen Einordnung des Verbraucherprivatrechts sind nämlich die Lösungen der EU-Staaten uneinheitlich.
2. Gegenüber dem allgemeinen Privatrecht stellen die Verbraucherschutzvorschriften in vieler Hinsicht ein Sonderprivatrecht dar. Es ist deshalb fast selbstverständlich, dass die meisten EG-Richtlinien bis zuletzt nicht in die bürgerlichen Gesetzbücher eingefügt, sondern in gesonderten Gesetzen geregelt worden sind. Diese Methode kann also nicht nur auf technische Gründe oder auf die Bequemlichkeit des Gesetzgebers zurückgeführt werden, obwohl auch diese eine Rolle spielen können.
Die Erlassung besonderer Gesetze für die Umsetzung der einzelnen Richtlinien unterstreicht vor allem jene prinzipielle Überlegung, dass der Gesetzgeber das auf klassischen privatrechtlichen Prinzipien aufbauende Gesetzbuch nicht mit Normen des Verbraucherschutzes belasten will, welche die Autonomie der Parteien antasten. Soweit es möglich ist, wünscht er eher auch heute noch in den großen klassischen Kodizes die uneingeschränkte Respektierung der Vertragsfreiheit, das Prinzip des pacta sunt servanda, den dispositiven Charakter der Vertragsnormen etc. zu bewahren. Deshalb hält er es für angebrachter, die nicht immer mit diesen Prinzipien zu vereinbarenden privatrechtlichen Rechtsmittel des Verbraucherschutzes vereinzelt zu regulieren oder aber in einem besonderen Gesetz für Verbraucherschutz zusammenzufassen. Allein die Unabdingbarkeit der Verbraucherschutznormen macht dieses Gebiet etwas fremd für das klassische Privatrecht. Schon deshalb ist es nicht verwunderlich, dass der Gesetzgeber lange Zeit gezögert hat die privatrechtlichen Verbraucherrichtlinien in das bürgerliche Gesetzbuch zu integrieren.
Die Entscheidung in welcher Form die Kodifizierung des privatrechtlichen Verbraucherschutzes erfolgen soll, wird des Weiteren durch die häufig bruchstückhaften Lösungen in den Richtlinien der Europäischen Union zum Verbraucherschutz erschwert, da sie in ein bereits bestehendes Privatrechtssystem einfügt werden müssen.1
3. Diese Probleme und solche kodifikatorische Überlegungen erklären die nationalen Unterschiede bei der Umsetzung des Richtlinienverbraucherschutzrechts.
a) Angesichts des gewohnheitsrechtlichen Charakters des common law kann es als selbstverständlich angesehen werden, dass das englische Recht in zahlreichen speziellen Gesetzen dem Verbraucher Schutz gewährt. Ein Teil davon enthält Regelungen von allgemeinem Charakter, die Mehrheit regelt jeweils bloß einen speziellen Problemkreis. Unter ihnen finden sich Gesetze, mit denen die Umsetzung von EG-Richtlinien erfolgte und zu denen eventuell bereits ein „nationales Gegenstück“ besteht, das weiterhin parallel in Geltung bleibt. Diese Art der Rechtsetzung zieht zwangsläufig die Notwendigkeit häufiger Gesetzesänderungen nach sich.2 Die neulich erfolgte Umsetzung der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie kann als typisch für das Verhältnis zwischen common law, statutory law und europäischem Richtlinienrecht betrachtet werden. Infolge der Umsetzung mussten mehrere Gesetze (Acts) geändert werden. Verständlicherweise hat sich die Einführung der von der Richtlinie verlangten, für das common law jedoch fremden specific performance (Nachbesserung, Austausch der Sache) in das Sale of Goods Act und in das Supply of Goods and Services Act 1982 als häretisch und schon deshalb besonders schwierig erwiesen.3
b) Auch die meisten kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen haben aber ihre bürgerlichen Gesetzbücher mit dem Richtlinienrecht aus Brüssel bis zuletzt nicht „belastet“. Bekanntlich hat beispielsweise der deutsche Gesetzgeber bis zu dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz vom 11. 10. 2001 die einzelnen Verbraucherrichtlinien mit Spezialgesetzen umgesetzt.4 Einzig die Richtlinie über den Pauschalreisevertrag ist ursprünglich in das BGB5 eingebaut worden. Eine konzeptionelle Wende hat erst das Fernabsatzgesetz angedeutet, das mehrere Gesetzesstellen des BGB im Interesse des Verbraucherschutzes modifiziert hat.6 Durch die Bündelung der verbraucherschützenden Widerrufsrechte sowie weitere verbraucherrechtliche Spezialregelungen ist ein erster Schritt zur Integration des vertragsrechtlichen Verbraucherschutzes in das BGB unternommen worden. Die Umsetzung der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie ist dann schon „naturgemäß“ mit dem Einbau in das BGB verwirklicht worden.
c) Andere kontinentaleuropäische Staaten fügen ihre Verbraucherschutznormen – ohne Rücksicht auf ihren Normcharakter – in einem Sondergesetz über Verbraucherschutz zusammen. Ein gutes Beispiel stellt für diese Methode das 1979 erlassene österreichische Konsumentenschutzgesetz7 (KSchG) dar, welches möglichst alle Regelungen, die den Schutz des Verbrauchers bezwecken, ungeachtet ihres rechtlichen Charakters, systematisch zusammenfassen will. Deshalb trifft es nicht nur materiell privatrechtlichen Regelungen zum Schutz des Verbrauchers, sondern enthält auch prozessrechtliche (in den §§ 14, 28-29; 36 KSchG) und strafrechtliche Bestimmungen (in § 32 KschG). Eine solche Kodifikation erfüllt zwar die Transparenzerfordernisse, die gerade im Verbraucherschutz eminent wichtig sind, lässt jedoch den heterogenen methodologischen Charakter der zusammengefassten Normen außer Acht. Bei den privatrechtlichen Verbraucherschutzregeln ist es in diesem Gesetz gelungen, fortschrittliche Lösungen zu finden, wie etwa das Rücktrittsrecht des Verbrauchers (in §§ 3-4 KSchG), die Regelung unzulässiger Vertragsklauseln bei Verbrauchergeschäften (in § 6 KSchG), die besonderen Regeln über die Gewährleistung und die vertragliche Garantie (in §§ 8-9b, sowie § 23 und § 28a KSchG), die Bestimmung über die Stellvertretung (in § 10 KSchG) und über den Ratenkauf (in §§ 13, 16ff, KSchG), sowie die internationalprivatrechtliche Drittstaatklausel (in § 13a). Im Großen und Ganzen kann festgestellt werden, dass das österreichische Konsumentenschutzgesetz ein konzeptionelles, grundsätzlich vom Privatrecht inspiriertes, anspruchsvolles Gesetzeswerk ist, das sich auch zur Umsetzung einzelner EU-Richtlinien als geeignet erwiesen hat.8
d) Wegen seiner ehrgeizigen Zielsetzung lohnt es sich auch den französischen Code de la consommation zu erwähnen. Vorangehend muss erwähnt werden, dass der französische Gesetzgeber die Inkorporation der Richtlinie über die Produkthaftung9 in das französische Rechtssystem – zugegebenermaßen zehn Jahre nach der festgelegten Frist – nahezu beispielhaft gelöst hat. Das in Umsetzung der Richtlinie erlassene französische Gesetz10 wurde in den Code civil eingegliedert und zwar nach dem Kapitel über die Bestimmungen der deliktischen und quasi-deliktischen Haftung, jedoch unter einem eigenen Titel.11 Auf diese Weise hat der französische Gesetzgeber zumindest den Zusammenhang mit den allgemeinen Regeln des Schadenersatzrechts (Code civil Artikel 1382-1386) hergestellt und gleichzeitig die optimale Transparenz geschaffen.12 Ganz eigenartig ist jedoch die Praxis der französischen Gesetzgebung hinsichtlich der Einordnung der übrigen (zu den allgemeinen Vertragsregeln, bzw. zu den besonderen Normen der einzelnen Vertragstypen gehörenden) privatrechtlichen Verbraucherschutzbestimmungen innerhalb des Rechtssystems. Inhaltlich kennzeichnend ist, dass kein Unterschied zwischen Normen verschiedener Rangordnung, die dem Schutz des Verbrauchers dienen, gemacht wird. Diese Lösung sondert einerseits die privatrechtlichen Bestimmungen von den allgemeinen Normen des Verbraucherschutzes ab (vor allem werden sie aus dem Code civil „herausgenommen”13), andererseits – in ein thematisches System gestellt – werden sie mit Rechtsnormen anderen, hauptsächlich verwaltungstechnischen Charakters vermengt.14 Bei dem Code de la consommation, welcher im Jahr 1993 per Gesetz15 erlassen (später auch durch eine Anordnung16 ergänzt) wurde, handelt es sich nicht um einen einheitlichen Kodex, sondern um ein typisch kompilatives Gesetzeswerk. Dieser „Kodex” des Verbraucherschutzes ist eine per Gesetzeskraft (bzw. per Verordnung) veröffentlichte, systematisierte Sammlung von Rechtsnormen zum Schutz des Verbrauchers, welche nur durch Gesetz (bzw. per Verordnung) modifiziert werden kann.17
e) Das neue Niederländische Bürgerliche Gesetzbuch (NBW) wurde bereits zur Zeit der Verbreitung des Verbraucherschutzgedankens ausgearbeitet. Eine Vielzahl der diesbezüglichen Richtlinien der Europäischen Union konnte man bei der Ausarbeitung des Gesetzbuches mitberücksichtigen. Den so gestellten Erwartungen entspricht der niederländische Kodex fast musterhaft. Es sind nicht nur die vor Abschluss der Kodifikationsarbeiten erlassenen Richtlinien an ihrem Platz. So ist das Produkthaftungsrecht in das System des deliktischen Schadenersatzes eingefügt18 und die Regelung über den Reisevertrag zu den einzelnen Vertragstypen eingereiht19 worden. Der niederländische Gesetzgeber hat aber auch die meisten Regelungen der nach dem Inkrafttreten des Gesetzbuches verabschiedeten Richtlinien „vorausbedacht“. Bezeichnend ist für diese Weitsichtigkeit, dass von den Bestimmungen der Klauselrichtlinie einzig das Prinzip des in dubio contra proferentem20 im niederländischen Gesetzbuch fehlte.21 Es wich darüber hinaus nur in Nuancen bei der Bestimmung des Anwendungsbereichs und einiger Sanktionen von der Richtlinie ab.22 Es ist abschließend doch zu erwähnen, dass die Umsetzung der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie anscheinend auch dem niederländischen Gesetzgeber etwas Kopfzerbrechen macht. Wie könnte man sonst die Verspätung der Umsetzung erklären.
f) Wie erwähnt, hat der deutsche Gesetzgeber die Umsetzung der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie zum Anlass genommen, eine längst geplante umfangreiche Reform des Schuldrechts (Leistungsstörungsrechts, Kaufrechts, Werkvertragsrechts, Darlehensrechts) und des Verjährungsrechts durchzuführen.23 Durch diese sog. „große Lösung“ sind alle verbraucherrechtlichen Nebengesetze und damit alle Umsetzungsgesetze von Verbraucherrichtlinien in das BGB integriert worden.24
Die Vorschriften der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie sind hauptsächlich in das Kaufrecht des BGB umgesetzt worden, und zwar teils als allgemeine (für Nichtverbraucherverträge: abdingbare, für Verbraucherkäufe: unabdingbare) Regel,25 teils als nur für Verbraucherverträge geltende unabdingbare Sondervorschriften.26 Da bereits die Allgemeinen Vorschriften über Kauf (Erfüllungstheorie, präzisierter Sachmangelbegriff – mit Sonderbestimmungen für den Fall einer Verkäufergarantie –, grundsätzlich vorrangiger Nacherfüllungsanspruch des Käufers, Gewährleistungsfristen etc.) auf dem durch die Richtlinie vorgegebenen Modell beruhen, kommt der „Untertitel 3” mit vergleichsweise wenigen Sonderregelungen aus. Aus den inhaltlichen Neuerungen ergaben sich auch vielfältige Konsequenzen im Bereich des Systems des Leistungsstörungsrechts. Die durch die Richtlinie notwendig gemachten Änderungen sind auch im Werkvertragsrecht durchgeführt worden. Sie sind weniger einschneidend als diejenigen im Kaufrecht und beschränken sich im Wesentlichen auf die Verlängerung der Gewährleistungsfristen sowie auf eine systematische Anpassung des Gewährleistungsrechts an das neue Allgemeine Leistungsstörungsrecht. Durch die weitgehende Annäherung von kaufrechtlichem und werkvertragsrechtlichem Gewährleistungsrecht konnte die Regelung über Werklieferungsverträge radikal vereinfacht werden.
4. Aus den bisherigen Erfahrungen mit den Umsetzungsmethoden in den Mitgliedsstaaten kann man einige Folgerungen ziehen. Die in Einzelgesetzen erfolgte Umsetzung führt zur Zersplitterung des Verbraucherprivatrechts. Auch sie hat jedoch einen nicht zu vernachlässigenden Vorteil. In den Einzelgesetzen ist die europarechtliche Herkunft der Regeln leicht zu erkennen und auch die nötigen Konsequenzen (einheitliche Auslegungs- und Vorabentscheidungspflicht etc.) sind am einfachsten zu ziehen. Insgesamt ist diese Methode trotzdem nicht zu empfehlen.
Unserer Meinung nach sind die privatrechtlichen Verbraucherrichtlinien in einer kontinentaleuropäischen, kodifizierten Rechtsordnung entweder in einem Sondergesetz für Verbraucherschutz zusammenzufügen oder aber in das bürgerliche Gesetzbuch thematisch zu integrieren. Die erste Methode wird von der österreichischen, teils auch von der französischen Legislatur praktiziert, die zweite vom niederländischen und neulich auch vom deutschen Gesetzgeber angewendet. Beide Lösungen haben neben Vorteilen auch Nachteile. Die erste entspricht besser den Transparenzerfordernissen des Verbraucherschutzes, vermengt jedoch Normen unterschiedlichen Charakters und nimmt gleichzeitig das heute so wichtige Gebiet des Privatrechts aus dem Kodex heraus. Die zweite Methode hebt den grundsätzlich privatrechtlichen Charakter der Richtliniennormen hervor und bevorzugt die Einheit des Privatrechts, vernachlässigt jedoch das Transparenzgebot. Die gemeinsame Schattenseite beider letzt erwähnten Lösungen besteht darin, dass der Gesetzgeber die europarechtliche Herkunft der Regelungen in irgendwelcher Form extra klarstellen muss um damit ihre einheitliche Auslegung zu sichern. Bei einer überobligatorischen Umsetzung obliegt diese Pflicht dem nationalen Richter nur bei Anwendung des Richtlinienrechts für Verbraucherverträge; die Einheit des nationalen Privatrechts macht jedoch die einheitliche Auslegung der überobligatorisch umgesetzten Normen auch für Nichtverbraucherverträge wünschenswert.
Auch beim Einbau in das bürgerliche Gesetzbuch kann man aus zweierlei Möglichkeiten wählen. Man kann die Umsetzung in das bürgerliche Gesetzbuch auf den Verbrauchervertrag beschränken, d. h. die Richtlinie nur obligatorisch umsetzen. Diese Lösung verdoppelt gegebenenfalls die Regelung des betroffenen Vertrags (beispielsweise des Kaufvertrags) innerhalb des Gesetzbuches. Eine überobligatorische Integration hat dagegen augenfällige Vorteile. Vor allem können so die aus der Umsetzung der Richtlinie entstehenden Chancen zur Modernisierung des alten Rechts genützt werden. Diesen Vorteil hat z.B. der deutsche oder der österreichische Gesetzgeber bei der Umsetzung der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie gezogen.
5. Bevor ein Vorschlag für die ungarische Kodifikation gemacht werden kann, fassen wir die bisherigen Umsetzungen der Verbraucherrichtlinien in der folgenden Tabelle zusammen:
Die bisherige ungarische Umsetzungspraxis zeigt ein ähnlich buntes Bild wie anfangs in den meisten Mitgliedsstaaten der Fall war. Bis auf die Klausel- und die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie, die teils bzw. ganz in das ZGB integriert worden sind, ist die Umsetzung der Verbraucherrichtlinien bis heute durch Spezialgesetze erfolgt. Die Verbraucherrichtlinien zeigen ihrerseits solche gemeinsamen Lösungsansätze auf, welche ihren thematisch-organischen Einbau in das neue Gesetzbuch erleichtern. Als solche können vor allem die folgenden privatrechtlichen Schutzmaßnahmen betrachtet werden:
– erhöhte Informationspflichten gegenüber dem Verbraucher;
– Rücktrittsrecht für den Verbraucher innerhalb einer bestimmten Frist („Bedenkzeit“ zu Gunsten des „überrumpelten“ Verbraucher);
– Sicherung von anderen Mindestrechten (beispielsweise Gewährleistungsrechte) für den Verbraucher;
– günstigere Fristen für den Verbraucher zur Geltendmachung seiner Rechte;
– Sicherung dieser Rechte durch zwingendes Recht.
Es konnte bereits darauf hingewiesen werden, dass die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie eine Wende in der Umsetzungspraxis der EU-Mitgliedsstaaten ausgelöst hat. Anders als bei den früheren Verbraucherrichtlinien haben mehrere Gesetzgeber den Weg der Integration in das bürgerliche Gesetzbuch gewählt. Insbesondere die schwerpunktmäßige Stellung des Themas innerhalb des Schuldrechts hat zu diesem Umdenken geführt. Trotz des privatrechtsfremden Charakters der Unabdingbarkeit der Regelungen für Verbraucherverträge und anderer Schwierigkeiten inhaltlicher und systematischer Art des Einbaus wollte man ein so wichtiges Gebiet des Vertragsrechts nicht in einem Sondergesetz regeln. Die Eingliederung der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie in das Gesetzbuch war auch in Ungarn durch jenen Umstand erleichtert, dass in dieser Richtlinie solche Lösungen gewählt worden sind, die zur Verallgemeinerung geeignet und in verallgemeinerter Form, teils auch überobligatorisch, einer wahren Kodifizierung zugänglich waren. Diese Integration stellt u. E. eine zukunftsweisende Methode dar und gibt ein gutes Beispiel für die Umsetzung der anderen Richtlinien in das neue ungarische Gesetzbuch. Über die allgemein bekannten Vorteile einer Kodifizierung hinaus bringt die Integration in das Gesetzbuch auch jenen zusätzlichen Vorteil, dass sich die ansonsten unvermeidlichen Widersprüche zwischen den Bestimmungen der einzelnen Richtlinien verringern. So würden etwa nicht unterschiedliche Fristen für das Rücktrittsrecht des Verbrauchers festgelegt werden, wie es gegenwärtig in den Richtlinien und in den umgesetzten zerstreuten nationalen Rechtsnormen immer wieder vorkommt. Ebenfalls können Probleme bei der Rechtsanwendung vermieden werden, die sich aus einer etwaigen Überschneidung der Regelungsbereiche der Richtlinien ergeben.27 Man muss aber gleichzeitig sehen, dass bei der hier bevorzugten und vorgeschlagenen Lösung das Transparenzgebot zu kurz kommt. Für das europarechtliche Erfordernis der einheitlichen Auslegung ist naturgemäß auch bei einer Integration in das bürgerliche Gesetzbuch und bei einer überobligatorischen Umsetzung zu sorgen.
Alle Vor- und Nachteile der möglichen Umsetzungsmethoden mit berücksichtigend scheint uns in Ungarn die Integrierung des privatrechtlichen Richtlinienrechts in das bürgerliche Gesetzbuch die bestmögliche Lösung zu sein. Wo die Materie der Richtlinie es erlaubt, ist eine überobligatorische Umsetzung zu empfehlen. Der zwingende Charakter der Vorschriften zugunsten des Verbrauchers muss natürlich festgeschrieben werden.
Anmerkungen
1
Zur Problematik der Richtlinienumsetzung siehe: Stefan Heß: Die Umsetzung von EG-Richtlinien im Privatrecht. Frankfurt/M. 1999, S. 164; Martin Gstaltmeyr: Bewährung von EG-Richtlinien (Sanktionssysteme bei fehlender oder fehlerhafter Umsetzung durch die Mitgliedstaaten). München 1998, S. 298. Zur Umsetzungspraxis von Frankreich, Groß-Britannien, Deutschland, Italien, Spanien und der Schweiz, in erster Linie mit der Analyse der Rechtsprechung siehe: Neues Europäisches Vertragsrecht und Verbraucherschutz. Bundesanzeiger: Köln 1999, mit Beiträgen u. a. von Nicole Fontaine, Dieter Hoffmann, Ewoud Hondius, Jim Murray, André Schwachtgen. Vgl. auch Elissavet Kapnopoulou: Das Recht der missbräuchlichen Klauseln in der Europäischen Union. Mohr: Tübingen 1997, S. 361.; Pat Brazil: Reception of Uniform Law into National Law: on Exercise in Good Faith and Progressive Development of Law. RDU/ULR 3 (1998) S. 303 ff.; Gerhard Kohlegger: Die Umsetzung von Gemeinschaftsrecht im Zivil-Justizbereich - eine erste Bilanz. ZfRV 40 (1999) S. 161 ff. Zur finnischen Umsetzungspraxis siehe H. T. Klami: Finnisches Privatrecht. ZeuP 4 (1996) S. 273-283 (S. 276 ff.).
2
Consumer Protection Acts 1961, 1971 und 1987; Hire-Purchase Acts 1954 und 1964, Misrepresentation Act 1967, Trade Descriptions Act 1968, Unsolicited Goods and Services Act 1971, Fair Trading Act 1973, Supply of Goods (Implied Terms) Act 1973, Consumer Credit Act 1974, Unfair Contract Terms Act 1977, The Unfair Terms in Consumer Contracts Regulations 1994 und 1999, Consumer Safety Act 1978 (Amendment Act 1986), Supply of Goods and Services Act 1982, Consumer Arbitration Agreements Act 1988, Sale and Supply of Goods Act 1994, General Product Safety Regulations 1994, Sale of Goods (Amendment) Act 1995.
3
Neben den hier erwähnten beiden Gesetzen, die auf mehreren Stellen geändert worden sind, ist hinsichtlich des Begriffs der Vertragsmäßigkeit auch das Supply of Goods (Implied terms) Act 1973 modifiziert worden. Die Änderungen sind am 31. März 2003 in Kraft getreten.
4
Die Klauselrichtlinie ist in das AGB-Gesetz eingegliedert worden. Den letzten geltenden Text des AGB-Gesetzes (nach seiner letzten Modifizierung) siehe: BGBl Teil I. Nr. 29/2000, S. 947 ff.
5
§§ 651 a ff BGB. Über die technischen Mängel dieser Integration siehe u. a. Karsten Schmidt, Fn. 5. S. 52.
6
Artikel 2 des „Gesetzes über Fernabsatzverträge und andere Fragen des Verbraucherrechts“ wurden folgende neue Regeln in das BGB eingefügt: § 13 idgF definiert den Begriff des „Verbrauchers“, § 14 idgF den Begriff des „Unternehmers“. Der neu eingefügte § 241 a sieht für den Fall der Lieferung unbestellter Sachen oder der Erbringung unbestellter sonstiger Leistungen durch einen Unternehmer an einen Verbraucher Schutzregeln vor. Nach dem neuen § 661 a hat ein Unternehmer, der Gewinnzusagen oder vergleichbare Mitteilungen an Verbraucher sendet und durch die Gestaltung dieser Zusendungen den Eindruck erweckt, dass der Verbraucher einen Preis gewonnen hat, dem Verbraucher diesen Preis zu leisten. Die ebenfalls durch das Fernabsatzgesetz eingefügten §§ 361 a und 361 b sind durch die Schuldrechtsreform überholt und durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz außer Kraft gesetzt worden. Inhaltlich sind die letztgenannten Verbraucherschutzvorschriften durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz in das BGB an anderen Stellen eingebaut worden. (Zu den in dieser Fn. genannten Regelungen siehe auch die Übergangsvorschrift in Art. 229 § 2 Abs. 1 EGBGB).
7
Bundesgesetz vom 8. März 1979 mit dem Bestimmungen zum Schutz des Verbrauchers getroffen werden.
8
Zur beispielhaft gelungenen Umsetzung der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie in das ABGB und das KSchG siehe Welser/Jud: Die neue Gewährleistung. MANZ: Wien 2001, 213 S.
9
85/374/ EWG-Richtlinie
10
Loi n. 98-389, 19 mai 1998
11
Livre III., Titre IV bis, Art. 1386-1 a 1386-18 : De la responsabilité du fait des produits défectueux.
12
Dass die Frage der Transparenz ein nicht zu vernachlässigender Gesichtspunkt ist, dafür ist die ungarische Lösung ein gutes Beispiel. Das ungarische Produkthaftungsgesetz (Gesetz Nr. X von 1993), das die Produkthaftungsrichtlinie umsetzt, hat unserer Meinung nach bisher deshalb keine angemessene Anwendung in der Praxis gefunden, weil es durch seine Platzierung außerhalb des ZGB jenseits des Blickfeldes der Rechtssuchenden und Rechtssprechenden „hängen geblieben“ ist.
13
Diese Methode kritisiert Carla Joustra: Consumer Law, in: Towards a European Civil Code (2. Auflage). Ars Aequi Libri/Kluwer: Nijmegen/The Hague 1998. S. 133-148 (S. 138). Die Umsetzung der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie wird voraussichtlich anders erfolgen.
14
Vgl. Ewoud Hondius: Consumer Law and Private Law: The Case for Integration. Notarius International 3 (1998) S. 107-119 (S. 110).
15
Loi nr. 93-949, 26 juill. 1993.
16
Decret n. 97-298, 27 mars 1997.
17
Die Kompilationsmethode dieser Art, das heißt die systematische Zusammenfügung von thematisch zusammengehörenden Rechtsnormen unterschiedlichen Normcharakters in einer Sammlung mit selbständiger normativer Wirkung, hat sich in den letzten Jahrzehnten - trotz ihrer verfassungsrechtlichen Bedenklichkeit und ihrer methodologischen Probleme - in der französischen Gesetzgebungspraxis verbreitet.
18
Art. 6-(185-193) niederländisches BW.
19
Art. 7-(500-513) niederländisches BW.
20
Art 5 Satz 2 der Richtlinie des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (93/13/EWG).
21
Art. 6-(231-247) niederländisches BW; vgl.: Ewoud Hondius: The Reception of the Directive on Unfair Terms in Consumer Contracts by Member States. ERPL 3 (1995) S. 241 ff. (S.248, S. 250).
22
Kritisch über die Unterlassung der vollständigen Umsetzung der Richtlinie Ewoud Hondius: Non-Implementation of the Directive on Unfair Terms: the Dutch case. ERPL 5 (1997) S. 193 ff.
23
Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts vom 11. Oktober 2001.
24
Über Haustürgeschäfte: §§ 312f, über Fernabsatzverträge: §§ 312 bff, über Teilzeit-Wohnrechteverträge: §§ 488ff, über Verbraucherkreditverträge: §§ 491ff. Auch das AGB-Gesetz ist (systematisch vollkommen und inhaltlich weitgehend unverändert) in das BGB integriert worden: §§ 305ff.
25
Untertitel 1: Allgemeine Vorschriften: §§ 433-453 BGB.
26
Untertitel 3: Verbrauchsgüterkauf: §§ 474-479 BGB.
27
Dieses Problem wird treffend durch die im Urteil des EuGH vom 22. April 1999 (C-423/97) aufgetauchte Frage illustriert. In dieser Rechtsangelegenheit kollidieren die sachlichen Anwendungsbereiche der Haustürwiderrufs-Richtlinie und der Fernabsatzrichtlinie.
Der Autor ist einer der Gründer des Wissenschaftlichen Beirates des Europa Institutes Budapest. Er ist Mitglied der Ungarischen Akademie der Wissenschaften.
Begegnungen19_Szasz
Begegnungen
Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Band 19:111–118.
ZOLTÁN SZÁSZ
Nationale Konfliktgemeinschaften in der Habsburgermonarchie
Das ungarisch-rumänische Verhältnis1
In den achtziger Jahren veröffentlichte der tschechische Historiker Jan Křen – zuerst als Samisdat in der Tschechoslowakei, dann in Kanada – sein inzwischen auch auf Deutsch erschienenes Werk „Die Konfliktgemeinschaft. Tschechen und Deutsche 1780-1918”.
In dessen Einleitung charakterisiert er das deutsch-tschechische Verhältnis folgendermaßen: „Die tschechisch-deutsche Nachbarschaft und Durchmischung gehört zu den ältesten Beziehungsgeflechten in mitteleuropäischen Raum. (...) Zumindest an ihrer Ostgrenze sind die Deutschen mit keiner anderen Nation so eng verbunden wie mit den Tschechen.”
Um dies weiter zu illustrieren, zitiert Kren den tschechischen Dichter und Germanisten Otakar Fischer; dieser bezeichnete Deutsche und Tschechen als zwei „ineinander verwachsene und ineinander verbissene Nationen”.
Vierzig Jahre zuvor, im Jahr 1948, eröffnete László Makkai, der damals beste Kenner der siebenbürgischen und rumänischen Geschichte in Ungarn, sein Buch über die ungarisch-rumänische Beziehungsgeschichte (Magyar–román közös múlt) mit dem folgenden Satz: „Es gibt in Europa keine zwei Völker – die Deutschen und Tschechen nicht ausgenommen – die sich in einem derart großen Bereich berühren würden wie das ungarisch und das rumänische. Die Siedlungsgebiete des ungarischen und rumänischen Volkes sind in kleineren und größeren Sprachinseln ineinander verkeilt. Daher kann man nicht von einem Zusammenleben zweier geschlossener nationaler Bevölkerungen Seite an Seite sprechen, ein Umstand, der im Laufe der Geschichte für beide Seiten eine ständige existentielle Frage bedeutete.”
Berufspolitiker, Friedensstifter und Journalisten betrachteten Siebenbürgen oft als ungarisch-rumänisches Elsass-Lothringen: Argumentationsmuster und nationalen Stereotypen waren einander sehr ähnlich, die Gebietsabtretungen und wechselweisen Grenzveränderungen lösten ähnliche Reaktionen aus, und die Lösungsansätze wiesen ebenfalls einige Parallelen auf. Diese ineinander verschränkten Argumentationsmuster nehmen zumindest seit dem Ende des 19. Jahrhunderts von zentralem Stellenwert im Rahmen der nationalen Diskurse beider Seiten ein; bis in die jüngste Vergangenheit, wie die Diskussion um die Autonomievorstellungen aus dem Kreis der Siebenbürger Ungarn zeigen.
Auch die Geschichte des ungarisch-rumänischen Verhältnisses reicht in eine weite Vergangenheit zurück. In diesem Zusammenhang gilt es jedoch festzuhalten, dass es sich bei Siebenbürgen, einer historischen Region des Zusammen- und Nebeneinanderlebens von Rumänen, Siebenbürger Sachsen und Ungarn, um keinen eindeutig definierten Begriff handelt: in diesem Überblick verwende ich die Bezeichnung „Siebenbürgen” nicht für das gesamte, nach dem Ersten Weltkrieg von Ungarn an Rumänien abgetretene Gebiet. Dies entspricht dem Sprachgebrauch der Zeit um die Jahrhundertwende sowohl auf ungarischer als auch auf rumänischer Seite: damals bezog sich der Begriff „Siebenbürgen” (Erdély, Ardeal) auf eine kleinere Einheit (57 000 km2), das heutige Zentralrumänien, eine Region, we1che schon im Mittelalter innerhalb des ungarischen Königreiches eine eigene Verwaltungseinheit gebildet hatte.
Ungarische Überlegungen, unter osmanischer Oberherrschaft – Mitte 17. Jahrhunderts – eine Art rumänisch-ungarisches, die Karpaten übergreifendes Dacia (Fürst Gabriel Bethlen) ins Leben zu rufen – der Namen war eine Anlehnung an die ehemalige römische Provinz – fanden mit der Eroberung Siebenbürgens durch Habsburgische Truppen (1687) ein Ende, die auch die Südkarpaten zur Grenze der Einflussbereiche zweier europäischer Großmächte, der Habsburger und der Osmanen, machte.
Auf beiden Seiten entwickelten sich im Laufe des 18. Jahrhunderts jene Parameter, die das Denken der politisch-gesellschaftlichen Eliten für die Zeit bis zum Auseinanderbrechen der Habsburgermonarchie bestimmen sollten. Erste Frühformen eines von Geistlichen formulierten rumänischen kollektiven Bewusstseins spiegelten sich in der 1735 geprägten Formel des rumänischen unierten Bischofs Micu-Klein: „Wir sind seit dem Kaiser Trajan die ältesten Bewohner Siebenbürgens” Die Konzeption der römischen (später dakorumänischen) Kontinuität, wonach eine lateinisch sprechende Bevölkerungsgruppe die Wirren der Völkerwanderungszeit als direkte Vorfahren der Rumänen nördlich der Donau überlebt hätte, wurde 19. Jahrhundert in wissenschaftlichen Welt kontrovers diskutiert, diente jedoch bereits 1791 zur Grundlage des Kampfes der rumänischen Intelligenz für ihre politische Emanzipation.
Die Rumänenfeindlichkeit des ungarischen Adels wiederum wurde durch 1784 niedergeschlagenen Horia Bauernaufstand in Ostungarn wesentlich verstärkt, der auch zu einem ersten Auseinandergehen der ungarischen (Szekler) und rumänischen Bauern führen sollte. Die absolute rumänische Bevölkerungsmehrheit innerhalb Siebenbürgens jedoch konnte von der Mitte des 18. Jahrhunderts auch der siebenbürgische Adel, der sich als ein integraler Bestandteil der ungarischen Nation begriff, nicht in Zweifel ziehen. Erklärt wurde dieser Umstand jedoch vermehrt damit, dass – so ein zeitgenössisches Zitat – „der Rumäne sich aufmachte, als der Ungar für die Heimat (gegen die Türken) sein Blut vergoss, (...) und sich in den leer gewordenen Ortschaften ansiedelte”.
Als im Vormärz die bürgerliche Umgestaltung über die Bauernbefreiung die gesellschaftliche Emanzipation der Rumänen auf die Tagesordnung gesetzt hatte, verband die rumänische Intelligenz den sozialen Aufstieg bereits mit dem Anspruch auf Anerkennung als eigene Nation. Die nach 1841 offen geführten Diskussionen über verschiedene liberal nationalistischen Magyarisierungstrategien ließen jedoch in den Reihen der rumänischen Intelligenz bereits das Gefühl einer Bedrohung der nationalen Existenz entstehen.
Auf die Problematik der Revolution von 1848 und des ungarischen Unabhängigkeitskrieges von 1848/49, der für die kommenden Jahrzehnte auf bezüglich des ungarisch-rumänischen Verhältnisses eine entscheidende Auswirkung haben sollte, kann ich im Rahmen dieses Überblickes nicht ausführlicher eingehen. Erwähnenswert erscheint vor allem, dass das Wissen um die bevorstehende Katastrophe die ungarische liberale Elite im Juli 1849 dazu brachte, die Rumänen als gleichberechtigte nationale Gruppe innerhalb Siebenbürgens und als Nation in Ungarn anzuerkennen und ihnen weitgehende Autonomierechte (bis hin zu einer eigenen Nationalgarde) zusicherten. Andererseits verstärkte sich auf rumänischer Seite die antiungarische Einstellung der Eliten weiter, und sie erhofften sich die Einrichtung eines großen rumänischen Kronlandes innerhalb der Habsburgermonarchie. Die liberalen Eliten in der Walachei, dem Kerngebiet der späteren rumänischen Einigungsbewegung, dachten damals – noch sehr vorsichtig – bereits an die Möglichkeit einer großrumänischen Lösung unter Einschluss Siebenbürgens.
Im Laufe der Diskussion in den Emigrantenkreisen, die nach dem Scheitern sowohl der ungarischen als auch der Revolution in den rumänischen Fürstentum Walachei entstanden waren, fand auf rumänischer Seite die Wahrnehmung des Ungarn als nationalem Hauptfeind in das Nationalbewusstsein Eingang. Dies stand in keinem Gegensatz mit einer Kooperationsrhetorik und Taktik, welche sich vor allem auf den nichtslawischen Charakter beider Nationen in einem slawischen Umfeld bezog, in dem Russland bereits die beiden rumänischen Fürstentümer in seine Expansionsüberlegungen einbezogen hatte.
Im Siebenbürgischen Fürstentum, das nach 1849 wieder ein eigen verwaltetes Kronland im Rahmen der gesamten Habsburgermonarchie darstellte, konkurrierten ungarischer Adel und rumänische Intelligenz um die Unterstützung durch das politische Machtzentrum in Wien. Bis zum Ende der Monarchie jedoch verlagerten sich die Bezugspunkte beider Seiten zunehmend: während die ungarische Elite der zunehmenden politischen Instabilität des engeren Österreichs wegen, ihre Augen zunehmend auch nach Berlin richteten, wandten sich die Rumänen aufgrund der Enttäuschung ihrer Hoffnungen auf eine eigenes Kronland ebenfalls einer zweiten Schutzmacht zu: dem späteren Königreich Rumänien, welches (schon von 1861) begonnen hatte, eine politische Ausstrahlung auf Siebenbürgen zu entfalten.
Noch vor dem Abschluss des österreichisch-ungarischen Ausgleiches von 1867, der die Habsburgermonarchie in einen Bund zweier nominell unabhängiger Staatswesen umwandelte, war ein Teil der ungarischen Liberalen in der Frage der verfassungsmäßigen Stellung Siebenbürgens zu Zugeständnissen bereit. Sowohl Deák, als auch sein Gegner Kossuth (in seinem Plan einer Donaukonföderation) dachten an eine ähnliche Lösung wie im Falle Kroatiens: Siebenbürgen sollte, so die Überlegungen, eine beschränkte Autonomie, einen eigenen Landtag und eine korporative Vertretung im ungarischen Parlament erhalten. Deák war auch bereit, die Rumänen innerhalb Siebenbürgens als gleichberechtige nationale Gruppe anzuerkennen und damit ihren rechtlichen Status innerhalb des politischen Systems an die der Ungarn, Székler und Siebenbürger Sachsen anzugleichen. Widerstand kam jedoch vor allem von seinen Anhängern in Siebenbürgen, welche nicht bereit waren, ihre wider erworbene Machtpositionen mit neuen Gruppen zu teilen. Manche befürchteten auch, dass damit die 1867 vollzogene Wiederangliederung Siebenbürgens an Ungarn zum Gegenstand einer großpolitischen Dauerdebatte werden und interethnische Konflikte wieder aufleben könnten.
Die Frage der verfassungsrechtlichen Stellung Siebenbürgens war jedoch infolge des stufenweisen Ausbaus des ungarischen Nationalstaates um die Jahrhundertwende endgültig von der politischen Tagesordnung verschwunden. Das ungarische Nationalbewusstsein war vor allem vom politischen Denken der Grundbesitzerklasse geformt worden, und zwar im Sinne sowohl eines Machterhaltens über die Nationalitäten Ungarns, als auch der Durchsetzung eines ungarischen Einflusses in Südosteuropa (und zwar nicht als territoriale Expansion, sondern zur Einrichtung einer „Schutzmacht” gegen den russischen Einfluss am Balkan). In dieser Nationskonzeption wurde das ungarische Ethnikum in einem zweifachen System nationaler Hierarchien verankert: es wurde der Habsburgischen Gesamtmonarchie untergeordnet, um auf diese politische Erwartungen in Richtung einer „vergrößerten Macht” und eine Vorzugsstellung zu projizieren. Dem ungarischen Ethnikum hingegen wurden vor allem die Nationalitäten, und damit auch die Rumänen Siebenbürgens, untergeordnet.
Mit der Neuordnung der Habsburgermonarchie durch den österreichisch-ungarischen Ausgleich gelang es der liberalen Grundbesitzerelite auch, ihre traditionelle politische Hegemonie innerhalb Siebenbürgens wiederherzustellen. Dies geschah durchaus auf verfassungsmäßigem Wege, jedoch auch unter Einbindung absolutistischer Kräfte am Wiener Hof. Auf diese Weise konnte ein direkter Konflikt mit den Rumänen – wie während des Unabhängigkeitskrieges 1848/49 – vermieden werden; hierdurch verringerte sich jedoch nicht nur die Gefahr eines gewaltsamen Auseinandersetzung, sondern auch jene für eine Lösung auf dem kooperativen Verhandlungsweg. Eine weitere Folge für den politischen Alltag Siebenbürgens war, dass durch das Aufgehen Siebenbürgens im ungarischen Staat, keine dringende Notwendigkeit zu einem ungarisch rumänischen Interessensausgleich mehr gegeben war.
Weder in rechtlicher noch in politischer Hinsicht waren die Rumänen ab 1867 gleichberechtigte Partner gewesen. Nach dem Ausgleich existierte die „rumänische Frage” zwar als administrative, kulturelle, sozioökonomische und konfessionelle Frage weiter und wurde, wenn auch selten, im Parlament und in der Presse behandelt. Ein Forum für die Herstellung eines formellen Kontaktes zwischen beiden nationalen Gruppen fehlte jedoch nach wie vor, nicht zuletzt weil eine solche Kontaktaufnahme aus der Sicht des politischen Regimes nicht legitim sein konnte: So gab es zwar individuelle Freiheiten innerhalb der „einheitlichen politischen ungarischen Nation” – der bürgerlichen Erweiterung der feudalen „natio hungarica”. Kollektive Rechte jedoch gab es nur im kulturell-konfessionellen Bereich. Darüber hinaus stellte eines der Grundprinzipien des Staates dar, dass dieser, wie es hieß, nicht mit seinen „einzelnen Bürgern feilschen” könne.
Diese ungarische nationalstaatliche Entwicklung stand in einem gewissen Widerspruch zu jenen Auseinandersetzungen, we1che die Verstärkung der ökonomischen Lage des rumänischen Bürgertums Ungarn – von einem vergleichsweise niederem Niveau aus – um die Jahrhundertwende auslösten und we1che auch das Bild der Rumänen in der ungarischen Publizistik weiter negativ prägen sollten: gemeint ist die Parzellierung des ungarischen Mittelgrundbesitzes, die auch wesentlich durch Siebenbürgisch Sächsische und Rumänische Geldinstitute durchgeführt wurde. Den Wünschen der agrarischen Elite nach einer staatlichen Intervention nach preußischem Vorbild waren die merkantil-liberalen Kreise nicht bereit, entgegenzukommen. Waren daher für einen Teil der ungarischen Gesellschaft Angstphantasien kennzeichnend – so verglich ein Autor den Siebenbürgen Rumänen mit einem Maulwurf, der sich immer weiter vor grabe in die geheiligte ungarische Erde – bedeutete derselbe Vorgang für die rumänische Seite – so sprach etwa Baritiu 1885 über einen „wahren wirtschaftlichen Krieg”, infolgedessen der rumänische Bodenbesitz im ganzen Land vergrößert werden sollte, „wenn wir weiter existieren wollen, wenn wir überhaupt ein Vaterland für uns haben wollen.”
Auf außenpolitischem Gebiet war 1883 durch die Integration des 1878 völlig unabhängig gewordenen Rumäniens in den Dreibund aufgrund eines Geheimvertrages eine zweifelhafte Beruhigung der rumänischen Frage erfolgt. Budapest-Wien versuchte seit diesem Zeitraum auf diplomatischem Wege Bukarest dazu zu bewegen, auf die sich dort bald artikulierende gesamtrumänische Bewegung mäßigend einzuwirken, fand sich jedoch angesichts ihrer vorläufigen Harmlosigkeit mit deren Existenz ab. Zunehmend versuchte die rumänische Regierung jedoch, unter Hinweis auf die nationale Frage Wien und später auch Berlin für eine entgegenkommendere ungarische Nationalitätenpolitik zu mobilisieren. Es wurde folglich der rumänischen Seite ermöglicht, sozusagen den Spieß umzudrehen und ihrerseits in der Siebenbürgischen Frage die Stimme zu erheben.
Das 20. Jahrhundert begann für die Beziehungen zwischen Ungarn und Rumänen dennoch vielversprechend. Beruhigend wirkte die Auflösung einer eigenen Sektion, welche im Amt des Ministerpräsidenten in Budapest zur Beobachtung der Nationalitäten (und Sozialdemokraten) eingerichtet worden war. Und die politischen Vertreter der ungarländischen Rumänen folgten dem Beispiel der Slowaken und beteiligten sich nach Jahrzehnten der formellen Passivität erneut an Parlamentswahlen, ein Schritt, der als „Normalisierung” des politischen Lebens angesehen wurde. Entsprechend möchte ich noch etwas detaillierter auf die zwei letzten Versuche einer Bereinigung des ungarisch-rumänischen Verhältnisses eingehen, deren Verlauf durchaus auch für ganz Österreich-Ungarn einen paradigmatischen Charakter aufwies.
Im Sinne einer Stärkung Ungarns und der Monarchie begann Graf István Tisza, der sich auch persönlich immer wieder von der Notwendigkeit eines ungarisch-rumänischen Ausgleiches überzeugt gezeigt hatte, im Jahr 1910 Verhandlungen mit der politischen Führung der Rumänen in Ungarn. In die Verhandlungsserie, die sich bis einige Monate vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges hinzog, waren auch Berlin und Bukarest mit eingeschalten. Eines der Hauptprobleme jedoch stellte für beide Seiten die Tatsache dar, dass sie entgegensetzt zu den dominanten Auffassungen in der ungarischen wie der rumänischen öffentlichen Meinung verhandelten. Zusätzlich jedoch durchkreuzte der ausgeprägt ungarnfeindliche und rumänenfreundliche Thronfolger Franz Ferdinand diesen Ausgleichsversuch. Ohne über seine Zukunftsvorstellungen genau im Bilde zu sein, können wir feststellen, dass er sich nach seinem Regierungsantritt – der täglich zu erwarten war, zu dem es jedoch infolge des Attentats in Sarajevo nie kommen sollte – selbst die Lösung des Problems vorbehalten wollte. Die Interferenz zweier Versuche zur Befestigung der Monarchie wirkte jetzt negativ aus.
Zu jener Zeit konnte man in Siebenbürgen selbst die Tiefe des Grabens, der die Bevölkerung der Region bereits in zwei Gesellschaften trennte, leicht übersehen. In einer Ausgabe eines bekannten deutschen Reiseführers wurde das Siebenbürgen um die Jahrhundertwende als ein Land des Friedens beschrieben, mit vier oder fünf dynamisch wachsenden zentralen Orten, sonst jedoch mit vielen langweiligen Kleinstädten, zahlreichen Sprachen und Mundarten sowie mit altmodischen Dörfern; Siebenbürgen erschien hier als ein Mikrokosmos und eine Fundgrube für Ethnographen.
Dennoch erhielt unter der Oberfläche gerade um die Jahrhundertwende eine zunehmende nationale Segregation schärfere Konturen. Die rumänischen Kulturorganisationen, allen voran das Netzwerk der ASTRA, hatten bereits auf vielen Gebieten Parallelstrukturen zur staatlichen ungarischen Administration, welche die Anliegen der rumänischen Bevölkerung halbherzig oder nur rudimentär zur Kenntnis nahm, aufgebaut. Das Netzwerk, in das auch die von Zeitgenossen oft mit Angst erwähnten Geldinstitute und auch die rumänischen Kirchen mit eingebunden waren, kümmerte sich auch um landwirtschaftliche oder gesundheitliche Fortbildung und verfügte auch über etliche caritative Unterorganisationen mit überwiegend sozialen Aufgabenbereichen. Sie bildete eine minimale, aber ideale Basis, um im Herbst 1918, nach der Zusammenbruch der Habsburgermonarchie eine Übernahme der lokalen Verwaltung im heutigen Siebenbürgen durch die Rumänen durchzuführen.
Insgesamt besehen funktionierte bis dahin in den ländlichen Gemeinden – trotz der starken ethnisch-konfessionellen Hierarchisierung – im Alltagsverkehr ein leidliches bis gutes Auskommen noch weitgehend. Demgegenüber waren freundschaftliche Kontakte zwischen beiden Gruppen im städtischen Bereich umso unwahrscheinlicher, je höher die betreffenden in der jeweiligen sozialen Hierarchie verankert waren. Die abgesondert verlaufene nationale Integration hatte zwei getrennte Gesellschaften entstehen lassen, welche die Grundlage eines politischen Ausgleiches hätten bilden können. Parallel zur Entwicklung in österreichischen Teil der Doppelmonarchie – genannt sei hier nur der Mährische Ausgleich von 1905 – bereitete sich mit zeitlicher Verspätung auch in Ungarn eine Lösung der Minderheitenproblematik vor, welche nationale Konfliktgemeinschaften institutionalisierte, Interessensgemeinschaften überführen wollte – entsprechend der Metapher, dass der rumänische Minderheitenpolitiker Vasile Goldiş für das ungarisch-rumänische Verhältnis gebrauchte: beide Nationen seien wie Siamesische Zwillinge; sie seien beide Rücken an Rücken aneinandergewachsen, jedoch könne der eine ohne den anderen nicht überleben.
Dass im ungarisch-rumänischen Fall die Kräfte des Ausgleiches jenen der Konkurrenz unterlagen, war nicht zuletzt auch auf das geringe Wissen der ungarischen Gesellschaft über Wünsche und Ziele ihrer mit Abstand größten nationalen Minderheit zurückzuführen. Unter der ungarischen Intelligenz gab es wenige Empathie und nur eine Handvoll aufmerksamer Beobachter, die sich der Dimension der rumänischen Nationalbewegung vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges überhaupt bewusst waren und bereits vermuteten, was dies sowohl für das rumänisch-ungarische Verhältnis als auch für den ungarischen Staat bedeutete.
So auch Károly Kós, der im Bereich der Architektur zu den Schöpfern einer eigenen Siebenbürgischen Variante des ungarischen Nationalstils zu zählen ist und im Rumänien der Zwischenkriegszeit zu den Unterstützern einer national übergreifenden, sich erneut für eine Sonderstellung Siebenbürgens einsetzenden Transsylvanismus-Bewegung zählte. Im August 1911 nahm Kós an einer Jahresversammlung der ASTRA teil und schilderte seine Eindrücke mit folgenden Worten: „Ich habe eine imposante Nationalversammlung gesehen. (...) Ich habe dort eine Armee gesehen: die nationale Armee. Diese greift uns nicht mehr nur mit Sensen und Holzkanonen an und wird auch kein Sklave der Interessen Wiens sein. Das ist jetzt eine Nation, die bewusst arbeitet und sich mit Geld und Kultur bewaffnet hat. (...) Jetzt (...) müssen wir erkennen, dass wir es in Siebenbürgen mit einer konsolidierten rumänischen Gesellschaft zu tun haben, sowohl auf wirtschaftlichem und sozialem als auch auf kulturellem Gebiet. Diese Gesellschaft kennt zur Gänze ihre Stärke und Ziele. Diese Gesellschaft ist diszipliniert, fanatisch und idealistisch. Diese Gesellschaft ist eine Nation.”
Diese Entwicklung war das Produkt einer mit Konfrontationen und Kooperationen gefüllten langen historischen Periode im Rahmen der meist modernen und zugleich meist liberalen Staatsformation der Zeit: die Habsburger Monarchie.
Der tiefste Grund des ungarisch-rumänischen Gegensatzes war nicht einfach die Konfrontation von zwei politisch-territorialen Bestrebungen im Laufe der Formation ihrer Nationalstaatlichkeit. Es ging viel mehr darum, dass die Ausbildung der rumänischen Nation fand hauptsächlich und – nicht nur in Siebenbürgen – im konfliktreichen Prozess der Koexistenz mit und später der Abgrenzung von den Ungaren statt.2
Anmerkungen
1
Dieser Aufsatz ist Teil der Vorbereitung einer mit Peter Haslinger gemeinsam geplanten größeren Arbeit über die historischen Lehren der rumänisch-ungarischen Spannung, des s.g. „nationalen Diskurses”. Als Ausgangspunkt diente Erdély története III. Hrsg. B. Köpeczi, red. Z. Szász (Budapest, 1986); englische Übersetzung: History of Transylvania Vol. III. Ed. Z. Szász. New York 2002, Atlantic Studies on Society in Change No. 108. Ed. Béla K. Király; – P. Haslinger: Arad, November 1918. Wien– Köln–Weimar 1993.
2
Aus der neuen Literatur siehe L. Boia: Istorie şi mit in constiinta romanească. Bucuresti, 1997; L. Boia: Două secole de mitologie naţională. Bucuresti 1999; – Nation-Building and Contested Identities. Romanian & Hungarian Case Studies. Ed. B. Trencsényi, D. Petrescu etc. Budapest-Iaşi 2001, mit einer ausgewählten Bibliographie für die Periode 1990-2000.
Der Autor ist Professor des Europa Institutes Budapest.
Begegnungen19_Schambeck
Begegnungen
Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Band 19:81–98.
HERBERT SCHAMBECK
Die Entwicklung der europäischen Integration
– ein Beitrag auch zu einer Rechts- und Wertegemeinschaft?
„Europa ist Vergangenheit und Zukunft zugleich. Seinen Namen hat es vor zweieinhalb Jahrtausenden erhalten und gleichwohl befindet es sich im Zustand Entwurfes.”1
Diese Feststellung hat der Historiker der Sorbonne Jaques le Goff in seiner Schrift „Das alte Europa und die Welt der Moderne” getroffen. Ich möchte sie meinen Ausführungen voranstellen und dies vor allem auch deshalb, weil wir uns zum einen nach einer an Freund und Leid traditionsreichen langen Geschichte Europas befinden, die geradenach der Zeitenwende zum 3. Jahrtausend nach Christi bedacht sei, und zum anderen, weil wir uns in der Ordnung des integrierten Europas besonders nach den Regierungskonferenzen von Maastricht, Amsterdam und Nizza und der Einsetzung eines sogenannten „Verfassungskonvents” in einem Stadium der Neuorientierung befinden.
Diese Gemeinschaft ist auf dem Weg der Supranationalität als Staatenverbund eine politische Union mit einer Mehrdimensionalität an politischen Zielen geworden.
I.
Sprechen wir von Europa, so muss aber festgestellt werden, dass Europa verschiedene Dimensionen hat. Geographisch reicht Europa vom Atlantik bis zum Ural, lässt sich nach dem Westen durch Küsten abgrenzen, ist aber offen durch die Weite Russlands, das an Alaska grenzt. Fragt man nach der Mitte des geographischen Europa, dann ist es interessant, dass diese um die Stadt Lemberg in der Ukraine liegt und Prag übrigens ebenso wie Laibach westlich von Wien, Preßburg, Budapest und Warschau sowie sogar Sofia westlich von Athen liegt. Diese geographischen Standortbestimmungen Europas möge man bedenken, wenn man von der sogenannten „Osterweiterung” spricht. Im Zusammenhang mit Ungarn möchte ich betonen, dass schon jetzt 75 % des Export Ungarns in die EU gehen. Es sei auch hervorgehoben, dass die ungarische Währung vergangenes Jahr um 12 % aufgewertet wurde und die Aufwertung, die András Inotai, vor dem Sommer in einem Vortrag in Wien feststellte, in Ungarn durch ein Wachstum begleitet wurde, das dreimal so hoch lag, wie der EU-Durchschnitt.
Mit Freude verfolgen wir in Österreich die Entwicklung Ungarns im Allgemeinen sowie in Bezug auf Österreich und in Vorbereitung auf seine Mitgliedschaft in der EU. Das gilt in gleicher Weise in wirtschaftlicher, politischer und rechtlicher Hinsicht. So ist Österreich Ungarns zweitwichtigster Handelspartner, umgekehrt ist Ungarn Österreichs viertwichtigster. Der Handel sichert in beiden Ländern eine große Zahl von Arbeitsplätzen.
Seit dem Jahr 1989 hat sich das Volumen des bilateralen Handels mehr als vervierfacht und ist noch lange nicht ausgeschöpft.
Österreichische Unternehmen haben ca. 1,6 Mrd. Euro in Ungarn, einem der wichtigsten Zielländer für österreichische Direktinvestoren, investiert. Der Boom ist hier auch keineswegs noch zu Ende. Österreich ist mit einem Anteil von 10 % drittwichtigster ausländischer Investor in Ungarn!
Möglichkeiten einer weiteren Zusammenarbeit ergeben sich in vielen Bereichen der Wirtschaft, so beim Ausbau der Infrastruktur, im Tourismus oder bei Klein- und Mittelbetrieben. Bereits heute verzeichnet etwa die österreichische Tourismusindustrie mehr Nächtigungen ungarischer als japanischer Gäste.
In diesem Zusammenhang sei auch im Hinblick auf den angestrebten Abschluss der Beitrittsverhandlungen neben dem erforderlichen Erreichen des Verhandlungsergebnisses auch die Notwendigkeit der Erfüllung der Kopenhagener Kriterien, hervorgehoben, nämlich an wirtschaftlichen Kriterien eine voll funktionsfähige Marktwirtschaft sowie die Fähigkeit, dem Wettbewerbsdruck und den Marktkräften in der EU standzuhalten.
An politischen und rechtlichen Kriterien seien die Demokratie, die Rechtsstaatlichkeit, die Menschenrechte und der Schutz der Minderheiten genannt. Anliegen und Notwendigkeit, die ich selbst heute nicht bloß der Vollzähligkeit wegen nennen möchte, sondern zu denen ich auch auf Grund meiner früheren Parlamentsfunktionen und als Staatsrechtslehrer in Budapest Stellung genommen habe, so 1992 in einem Vortrag im Rahmen des Ministerratspräsidiums, 1994 in Gastvorlesungen an der juridischen Fakultät der Universität, 1995 bei einem gemeinsamen Symposium meiner Rechtsfakultät an der Universität Linz, mit der in Budapest sowie 1997 bei einer Tagung von Repräsentanten zentraleuropäischer Parlamente im Parlament in Budapest, bei der ich über den parlamentarischen Beitrag zur Vorbereitung einer Teilnahme an der europäischen Integration gesprochen habe.
Österreich und Ungarn haben eine viele Jahrhunderte lange gemeinsame Geschichte im Rahmen der Habsburgerdonaumonarchie, wobei im heutigen Rückblick unterschiedliche Traditionen feststellbar sind. So hat Österreich 1918 schon nach dem 1. Weltkrieg seine monarchische Staatsform in eine republikanische geändert, Ungarn nach dem 2. Weltkrieg und ist daher erst nach der politischen Wende 1989 mit der neuen Verfassung eine Entwicklung der Demokratie, des Parlamentarismus und des Rechtsstaates möglich geworden.
Diese auch historischen Hinweise sind auch im Hinblick auf die neue Ordnung Europas wichtig, weil die EU als Wirtschafts- und Währungsgemeinschaft auch Rechts- und Wertegemeinschaft sein soll.
In diese Sicht bringt jeder Staat in die EU als politische Union seine Tradition und so seine Möglichkeiten ein.
Vergleichsweise Hinweise sind daher notwendig, um zu zeigen, wie mehrdimensional Europa in seinem Einteilungs- und Vergleichsprofil ist. So sind Unterschiedlichkeiten an Kosten, Preisen und Löhnen ebenso deutlich wie die Verschiedenheiten an politischen Systemen, besonders in Bezug auf die Organisation der Demokratie, Parteien, Interessenverbände, des Parlamentarismus, den Rechtsstaat, die Grundrechte im allgemeinen und den Minderheitenschutz im besonderen. Letzteres ist gerade für Ungarn von Wichtigkeit, seit es 1919 im Friedensvertrag von Trianon einen sehr großen Teil seines Gebietes und seiner Bevölkerung an Nachbarstaaten verloren hat.
Betrachten wir näher die jetzigen EU-Mitgliedstaaten im Hinblick auf ihre Staatsform und ihren Staatsaufbau. So sind Großbritannien, Norwegen, Dänemark, Holland, Belgien, Luxemburg, Schweden und Spanien Monarchien, und die übrigen Republiken. Ihrem Staatsaufbau nach sind Deutschland, Belgien sowie Österreich Bundesstaaten, und die übrigen Einheitsstaaten mit unterschiedlichen Gliederungen; man bedenke auch die Unterschiede der Regionen Frankreichs, Griechenlands, Italiens, die Kreisgemeinden Dänemarks, die Distrikte Luxemburgs und Portugals, die Provinzen der Niederlande, die autonomen Gemeinschaften Spaniens sowie die Grafschaften Großbritanniens und Irlands.
Dieser auch nur skizzenhafte Überblick europäischer Staatsstrukturen zeigt, dass der Staatsaufbau, ob unitarisch, föderalistisch oder regionalistisch, für jedes dieser Länder von eigener Prägung ist. Sie lassen Identitäten entstehen, auf deren Basis sich Regionen bilden, die in einer bestimmten Form einen Staatscharakter annehmen und eine Föderalstruktur begründen können. Jeder Bundesstaat hat seine eigene Bedingtheit. So ist Deutschland sowie die Schweiz aus einem Staatenbund und Österreich aus einem dezentralisierten Einheitsstaat sowie Belgien aus ethnischen Gründen ein Bundesstaat geworden.
Derzeit umfasst die Europäische Union drei Bundesstaaten, nämlich Deutschland, Österreich und Belgien, zwei regionalisierte Staaten, und zwar Spanien und Italien, deren Regionen bzw. autonome Gemeinschaften über eigene Gesetzgebungskompetenzen verfügen, drei dezentralisierte Staaten, nämlich Frankreich, die Niederlande und Portugal, deren Gebiete administrative Befugnisse selbständig wahrnehmen, sowie sieben unitarische Staaten mit nachgeordneten Gebietskörperschaften auf lokaler Ebene.
Auch dort, wo keine föderalen und regionalisierten Staaten gegeben sind, erkennt man heute im wachsenden Maße die Bedeutung der Regionalisierung und Dezentralisierung. Sie spielt eine Rolle für die Wirtschaft, vor allem für die Beschäftigungs-, Standort- und damit Industriepolitik. Immer mehr werden wirtschaftlichen Vorteile einer regionalen und dezentralen Organisation erkannt.
Die Europäische Union kennt konzentrische Kreise, die nicht deckungsgleich sind. So gibt es zunächst den Kreis jener Staaten, die mit dem 1. Jänner 2002 den Euro als harte Währung eingeführt haben, mit einer bestimmten Anzahl von Staaten: derzeit mit 12. Sodann gibt es den zweiten Kreis, den Schengen-Kreis, dem ebenfalls eine bestimmte Anzahl von Staaten angehören, die sich in innenpolitischen, polizeilichen und in fremdenpolizeilichen Agenden zusammengeschlossen haben. Der Euro Kreis und der Schengen-Kreis sind nicht ident nach der Anzahl der Mitgliedstaaten. Des Weiteren gibt es den so genannten sicherheits- und verteidigungspolitischen Kreis. Dieser beinhaltet ebenfalls nur eine bestimmte Anzahl von Mitgliedstaaten und dieser Kreis ist in sich wieder in Sub-Kreise aufgespalten, nämlich in jene Staaten, die gleichzeitig auch Mitglieder der NATO sind und jene Staaten, die nicht gleichzeitig Mitglieder der NATO sind. Es zeigt sich schon allein an diesen Beispielen, dass die Europäische Union eine vielschichtige und damit komplexe Angelegenheit ist.
Der sicherheits- und verteidigungspolitische Kreis, also jener der „Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP)”, wird zwar von allen 15 Mitgliedstaaten der Europäischen Union gebildet, von denen jedoch nur 11 gleichzeitig auch der NATO angehören: Belgien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Italien, Luxemburg, Niederlande, Portugal und Spanien. Neben Österreich sind eben auch Finnland, Irland und Schweden bislang keine NATO-Mitglieder. Der „Westeuropäischen Union (WEU)” wieder gehört nur Dänemark nicht an, jedoch die übrigen 14 EU-Staaten.
II.
Jeder Staat in Europa und daher auch die jetzigen Fünfzehn, welche an der europäischen Integration teilnehmen, haben die eigene Bedingtheit ihrer Existenz und ihre zu bewältigende Geschichte sowie Zukunftserwartung. Im Hinblick auf diese betont auch der Vertrag von Maastricht das Streben „eingedenk der historischen Bedeutung der Überwindung der Teilung des europäischen Kontinents und der Notwendigkeit feste Grundlagen für die Gestaltung des zukünftigen Europas zu schaffen.”2
Auf diesem Weg der Integration Europas wurde die Teilung Europas der Nachkriegszeit rückgängig gemacht und hat Europa seine Handlungs- und Entschlussfähigkeit auf dem europäischen Kontinent und darüber hinaus in der Völkergemeinschaft wiedererlangt. Sie war 1945 in Europa und in der Folge für manche Staaten in Mittel- und Osteuropa verloren gegangen. Sehr deutlich zeigte sich dies, und ich möchte daran erinnern, als sich am 8. Mai 1945 in der Mitte einer Elbebrücke russische und amerikanische Truppen am Ende des II. Weltkrieges trafen. Europa war zerschmettert auf dem Boden liegend und bei dem Treffen der beiden Großmächte scheinbar gar nicht dabei. Der belgische Ministerpräsident Paul Henri Spaak, später selbst ein Wegbereiter des integrierten Europa, hat oft betont, wie sehr er erschüttert war, als er hernach diese historische Begegnung auf dem Pressefoto sah!
Schon zuvor war auch ohne Mitwirkung der betroffenen Staaten und ihrer Bevölkerung 1945 in Jalta und Potsdam die Teilung Europas besiegelt worden. Im Letzten bestimmten – erinnern wir uns nur daran – der machthungrige Josef Stalin und der sterbenskranke Franklin D. Roosevelt das Schicksal Europas, was Unfreiheit und Unmenschlichkeit für Millionen Menschen in Mittel- und Osteuropa zur Folge hatte.
Als das kommunistische Imperium zusammenbrach, mit dem nur wenige, wie Papst Johannes Paul II., ein Kenner und Leidender des Faschismus und Marxismus, vorausblickend rechneten, folgte auf Jalta im Dezember 1989 Malta, wo sich die Präsidenten der USA, George Bush Sen., und der damaligen Sowjetunion, Michail Gorbatschow, trafen, um nach dem Zerfall des Sowjetimperiums und dem Untergang der Volksdemokratien die Neuordnung Europas zu besprechen. Nicht zu Unrecht könnte man daher von einem Weg Europas von Jalta, wo Unfreiheit die Folge war, nach Malta sprechen, wo George Bush und Michail Gorbatschow das Niederreißen des Eisernen Vorhangs und der Mauer sowie das Ende der Zweiteilung Europas und der Unterdrückung sanktionslos zur Kenntnis nahmen und die entstehende Freiheit sicherten. Es ist tragisch, dass man neben dem Weg von Jalta nach Malta in unserer Zeit aber auch feststellen muss, dass es einen sehr opferreichen Weg auch von Sarajewo 1914 zu dem Sarajewo des Milosevic gibt!
Im Vergleich von Jalta und Malta muss aber auf einen weiteren, nicht unwesentlichen Unterschied verwiesen werden. Während es nach dem Ende des Nationalsozialismus und Faschismus nach 1945 zur strafrechtlichen Verfolgung der Verantwortlichen gekommen war, sind solche nach dem Ende des Kommunismus, dem besonders in dem bereits 1998 in 4. Auflage erschienenen „Schwarzbuch des Kommunismus in” vielen Millionen Fällen ebenfalls Unmenschlichkeiten in großer Zahl nachgewiesen werden konnten, nur beschränkt erfolgt. Einen Prozess vergleichbar dem in Nürnberg hat es, meines Wissens nach, abgesehen von wenigen Verhandlungen über Einzelpersonen der früheren DDR in Berlin, weder in Prag noch in Warschau, Budapest, Sofia, Bukarest oder gar in Moskau oder andernorts gegeben. Ideologien und Herrschaftssysteme werden anscheinend mit verschiedenen Maßstäben gemessen. Die „Neue Zürcher Zeitung” behauptete sogar in ihrer Ausgabe vom 21./22. Februar 1998 auf S. 1, es wäre in Malta anscheinend für die Verbrechen der kommunistischen Zeit die sogenannte Straffreiheit vereinbart worden.
Welche Konsequenzen auch immer im Hinblick auf die Unmenschlichkeiten kommunistischer Regime und anderer autoritärer sowie totalitärer Herrschaften gezogen werden, es kommt darauf an, daraus zu lernen und sich gemeinsam heute über die Grenzen der Staaten um ein „niemals wieder” zu bemühen. Damit wird nicht das Wort für ein Aufrechnen der Geschichte, sondern vielmehr für das Lernen aus der Geschichte gesprochen.
In einem neuen Miteinander sollen wir uns in einem integrierten Europa und darüber hinaus um ein gegenseitiges Verstehen und gemeinsames Erkennen der Bedeutung möglichst allgemein anerkannter Grundwerte und Grundrechte bemühen. Die zahlreichen Opfer der Vergangenheit sollen nicht umsonst gewesen sein.
In diesem Zusammenhang lassen Sie mich auch der vielen, auch jungen Menschen gedenken, die nach der Niederschlagung des ungarischen Volksaufstandes 1956 hingerichtet, ihr Leben für die Freiheit verloren. Als ich am 8. November 1996 in der Ungarischen Akademie der Wissenschaften einen Vortrag hielt, hatte ich damals am späten Nachmittag die Gräber vieler dieser Märtyrer der ungarischen Nation für die Demokratie am Rande dieser Stadt besucht.
Wie schwer man sich mit der Beurteilung von Vorgängen der Umbruchzeit nach dem II. Weltkrieg und dem folgenden Kommunismus auch heute im Zeitalter der EU und des sich etappenweise entwickelnden EU-Rechts tut, zeigt die von nicht wenigen verlangte Beurteilung der Benes-Dekrete im Hinblick auf die Erweiterung der EU.
Noch viele derartige Schicksalsfragen und Problemstellungen könnten genannt werden. Sie lassen uns erkennen, dass uns allen auch heute die Bewältigung einer Zeit mit ihren Problemen aufgetragen ist, die wir selbst nicht verursacht haben! Es begleitete uns auch in einer Zeit der europäischen Integration, die zwar als Wirtschaftsgemeinschaft begonnen hat, die soziale Verantwortung als Auftrag für auch einen geistigen Aufbruch.
Welche Erwartungen in verschiedener Sicht man auch immer an die EU stellen mag, eine hat sie schon jetzt erfüllt. Es ist ihr gelungen, eine Friedensordnung zu stiften. Es hat im Vergleich zur 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts mit zwei Weltkriegen, die von Europa mit weltweiter Wirkung ausgegangen sind, keine kriegerischen Auseinandersetzungen mehr in Mitteleuropa gegeben, die früher jahrhundertelang z.B. zwischen Frankreich und Deutschland traurige Tradition hatten. Es sei auch besonders betont, dass die Wiedervereinigung Deutschlands gerade unter dem Dach des integrierten Europa so schnell vor sich gehen und damit zur Stabilität in Mitteleuropa sowie darüber hinaus beitragen konnte.
III.
Das integrierte Europa hat diesen Weg zu einem neuen Miteinander anstelle des früheren Neben- und leider auch Öfteren Gegeneinanders durch das Recht begonnen. Das Gemeinschaftsrecht begründete eine Rechtsgemeinschaft; sie ist auf dem Weg von Verträgen durch das Zusammenwirken von Staaten zustande gekommen, zu Beginn waren es 1958 sechs und seit 1995 sind es fünfzehn Staaten.
In einem bestimmten Maße hat es eine europäische Rechtskultur schon immer gegeben. Diese Zeit reicht aufgrund älterer Traditionen vom Ende des Mittelalters bis ins 18. Jahrhundert. Auch mit dem römischen und kanonischen Recht war lange Zeit die Rechtseinheit Europas begründet. Beide bildeten das sogenannte Gemeine Recht, das ius commune. Es hatte in allen Staaten Mittel- und Osteuropas mit Ausnahme Englands, wohl aber auch in Schottland gegolten und wurde auch an den Universitäten dieser Länder gelehrt. Treffend hatte daher auch der inzwischen leider verstorbene Frankfurter Rechtslehrer Helmut Coing seinen vor der Kölner Juristischen Gesellschaft gehaltenen und 1989 veröffentlichten Vortrag über „Europäische Gemeinsamkeiten in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft” betitelt: „Von Bologna bis Brüssel”. Er betonte: „Es gab eine einheitliche europäische Rechtswissenschaft, deren Sprache das Lateinische war, wie ursprünglich in allen Disziplinen. Jeder deutsche Jurist des 16. und 17. Jahrhunderts etwa zitierte italienische, französische und auch spanische Autoren.”3
Mit der Aufklärung und den Nationalstaaten kam es zu einer Vermehrung und Vertiefung der staatlichen Gesetzgebung, die dadurch auch für die Rechtswissenschaft einen höheren Stellenwert erlangte.
Die europäische Integration und ihr Recht konnten an diese Rechtstradition anknüpfen. Das Recht ist auch das einigende Band zwischen der Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten.
Dieses Gemeinschaftsrecht ist in Form von Verträgen zwischen den Mitgliedstaaten, welche diese auch nach innerstaatlichem Recht genehmigten und damals ratifizierten, zustande gekommen und hernach vom Europäischen Gerichtshof konkretisierend zur Entfaltung gebracht worden. Die Bedeutung dieser Rechtsfortbildung gilt für das Gemeinschaftsrecht im Allgemeinen und die Grundrechte im Besonderen. Als Beispiele hierfür seien die Freiheit des Berufs und des Eigentums, die Wirtschaftsfreiheit und die Vertragsfreiheit im Besonderen genannt.
Der Europäische Gerichtshof hat zur Rechtsfortbildung über den wirtschaftlichen Bereich hinaus beigetragen, so z.B. im Zusammenhang mit der Unverletzlichkeit der Privatwohnung und dem Anspruch auf Achtung des Familienlebens. Der Europäische Gerichtshof hat auch das Gemeinschaftsrecht durch eine Anzahl von allgemeinen Rechtsgrundsätzen bereichert, so durch den der Verhältnismäßigkeit, der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes.
Als Rechtsgemeinschaft lebt die EU von den Gründungsverträgen und ihrer etappenweisen Fortentwicklung. Dieses Recht steht im Dienst einer „Zwecksgemeinschaft”, um einen treffenden Begriff von Hans-Peter Ipsen zu gebrauchen, zunächst zur Schaffung eines Raumes ohne Binnengrenzen, indem die vier Freiheiten, nämlich des Verkehrs von Waren, der Personen, der Dienstleistungen und des Kapitals gewährleistet sind. Diese europäische Integration war von Anfang an durch eine Funktionalität bestimmt, die auf die Errichtung einer supranationalen politischen Ordnung gerichtet war, die über den wirtschaftlichen Zusammenschluss hinaus, wie es in der Präambel des Vertrags zur Gründung der europäischen Wirtschaftsgemeinschaft 1957 schon bestimmt war, „die Grundlagen für einen immer engeren Zusammenschluss der europäischen Völker zu schaffen”.4 In dem Vertrag von Maastricht 1992 führte dieser zur Schaffung einer politischen Union, die auf den Wegen des weiterentwickelten Vertragsrechtes als Rechtsgemeinschaft auch Wirtschaftsgemeinschaft ist und Währungsgemeinschaft wird.
Diese EU ist kein Staat und kann es auch nie werden! Die EU kann auch die sie tragenden Mitgliedsländer nie ersetzen, weil sie gerade in einer verzahnten Verklammerung von deren Konstituierung und Legitimierung lebt! Die EU vermittelt bisweilen manchen den Eindruck, ein Superstaat zu sein oder zu werden; sie ist vielmehr das, was das Deutsche Bundesverfassungsgericht als einen „Staatenverbund”5 bezeichnet hat.
Die EU als Rechtsgemeinschaft hat einen Charakter sui generis. So wirken die einzelnen Mitgliedsländer durch den Rat an der Rechtssetzung und Rechtsvollziehung mit der Kommission zusammen. In diesem Zusammenwirken erfolgt eine Integration von spezifisch staatspolitischen Interessen mit europapolitischen Notwendigkeiten. Diese Form der Integration hat mit der Gewaltenteilung im Sinne Montesquieus nichts zu tun. Sie ist eine eigene Form der Ausübung und Teilung von Funktionen. Die EU ist des Weiteren im Hinblick auf die Bedeutung des Rates und der Kommission und die verhältnismäßig geringen Kompetenzen des europäischen Parlaments von einer sogenannten Exekutivlastigkeit und einem Demokratiedefizit begleitet.
Diese beiden oft zitierten wichtigsten Kritikpunkte der EU sind erleb- und überprüfbar. Sie ergeben sich vor allem aus den Kennzeichen und Grundsätzen demokratischer Verfassungsstaatlichkeit, die auf diese supranationale Staatengemeinschaft übertragen werden, ohne dass man sich der Unterschiede dieser Staatengemeinschaft mit der Ordnungsstruktur der einzelnen Mitgliedsländer überhaupt ausreichend in ihrer Begründung und ein wenig Notwendigkeit bewusst ist.
Diese bisher nie dagewesene Staatengemeinschaft – früher EG, jetzt EU – wäre als Ergebnis europäischer Integration nie in verhältnismäßig kurzer Zeit ohne diese Exekutivlastigkeit und ohne diesem Demokratiedefizit zustande gekommen. Das in vielen Staaten bewährte Modell des demokratischen Verfassungsstaates mit parlamentarischem Regierungssystem wäre auf supranationaler Ebene mit wachsender Zahl an Mitgliedern niemals für die europäische Integration in so kurzer Zeit zielführend gewesen. Die EU als Rechtsgemeinschaft sui generis verlangte einen Kompromiss.
IV.
Wenngleich die EU eine Rechtsgemeinschaft sui generis ist, die ohne Tradition an europäischer Integration nach dem 2. Weltkrieg entstanden ist und kein Superstaat ist und es auch nicht werden kann, so wird die EU doch von den einzelnen Menschen in Europa nach den Kriterien des Staates, wie etwa mit Rechtssetzung, Rechtsvollziehung, Gerichtsbarkeit und Gewaltenteilung beurteilt. Nicht nur die Institutionen der EU haben sich weiter zu entwickeln, es entwickelt sich auch der Meinungs-, Willens- und Urteilsfindungsprozess. Dabei wäre es wichtig, dass an die Stelle des bisherigen miteinander aller EU-Mitgliedsländer nicht eine Dominanz der großen Staaten gegenüber den mittleren und kleineren Mitgliedsländern der EU tritt. Dies würde nämlich die bisherige grundsätzliche Solidarität innerhalb der EU, ein wirksames Kennzeichen europäischer Integration, im Kern gefährden. Alle Mitglieder der EU sind nämlich gleichwertig.
Dies verlangt eine klare nämlich allgemein verständliche Kompetenzverteilung innerhalb der EU. Sie könnte zu der auch für jeden in dem integrierten Europa so wichtige Rechtssicherheit führen.
Unter Beachtung des Prinzips der Subsidiarität sollte sich die EU auf die Gebiete beschränken, welche nur gemeinschaftlich gelöst werden können; als solche seien beispielweise genannt die Absicherung des Binnenmarktes, die Gemeinsamkeit der Währung und ihre Stabilität, die Wettbewerbspolitik, die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik sowie die europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik, der Umweltschutz, die Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität, die Asyl- und Flüchtlingspolitik. Daneben sollten nach Art. 308 EGV die EU-Mitglieder jederzeit in der Lage sein, die Kompetenzen der EU erforderlichenfalls abzurunden.
Es wäre begrüßenswert, im Rahmen des Sinnvollen und Möglichen Offenheit in den EU-internen Verhandlungs- und Entscheidungsprozessen und Öffentlichkeit jener Sitzungen des Rates zu schaffen, wenn dieser als Rechtssetzungsorgan tätig wird.
Für den Rat wäre im Interesse der Handlungsfähigkeit einer erweiterten EU eine Vermehrung der Materien überlegenswert, die durch Mehrheitsbeschluss entschieden werden könnten. Vertragsänderungen, Erweiterungen und Erhöhung der Eigenmittel sollten vorerst weiterhin einstimmig gefasst werden. Zweckmäßig wäre die Mehrstimmigkeit z.B. in einigen Bereichen der Steuer- und Sozialpolitik sowie der Rechtsharmonisierung.
Begrüßenswert wäre die Ausweitung der parlamentarischen Mitwirkungs- und Kontrollrechte. Alle parlamentarischen Kontrollmöglichkeiten sollten auf die nationalen Parlamente und das Europäische Parlament abgestimmt werden. Man darf nämlich nicht übersehen, dass die Vermehrung der Kompetenzen des europäischen Parlaments mit einer Verringerung der Zuständigkeiten der nationalen Parlamente der EU-Mitgliedstaaten verbunden sein kann; das Verhältnis zwischen beiden sollte daher ein komplementäres sein. Es sollten auch die nationalen Parlamente vor den gesetzgebenden Entscheidungen des Rates der Union systematisch und rechtzeitig in die EU-Rechtsetzung einbezogen werden, was bei uns in Österreich weitgehend der Fall ist.
Des Weiteren begrüßenswert wäre die Wahl des Kommissionspräsidenten durch das Europäische Parlament und die uneingeschränkte Budgethoheit an dieses. Die Verfahren sollten vereinfacht, transparenter und somit für den einzelnen EU-Bürger nachvollziehbar werden. Bürgernähe wäre auch in der EU so wichtig, weil immer mehr Menschen im integrierten Europa nicht wissen, was immer weniger Menschen mit ihnen und über ihnen verfügen.
Auch dieser Transparenz wegen sollten die Verträge vereinfacht, die Rechtstexte verständlicher und zur Information der Zugang erleichtert werden.
All dies wäre eine wichtige Voraussetzung für eine europäische Öffentlichkeit, die Parteien und Interessenverbände sowie Massenmedien auf europäischer Ebene mit Europaprogrammen verlangt. Es gibt nämlich auch noch keinen EU-Radio oder EU-Fernsehsender! Sie wären wichtige Voraussetzungen für ein Europabewusstsein und eine europäische Verantwortung von möglichst vielen Menschen.
V.
In der Entwicklung als Rechtsgemeinschaft wurde in letzter Zeit öfters die Frage nach einer Verfassung der EU gestellt. Dies war vor allem der Fall nach der Sitzung des Europäischen Rates in Nizza im Dezember 2000, der die Absicht nach einer geplanten grundlegenden Änderung der europäischen Verträge äußerte und erstmals eine Grundrechtscharta der EU verabschiedete. Eine solche Verfassung im materiellen Sinn hat die EU bereits im primären Gemeinschaftsrecht, nämlich in ihren-Gründungsverträgen und deren vertraglich erfolgten Weiterentwicklungen, sie hat sie aber nicht und kann sie auch nicht gleich dem Verfassungsrecht eines Staates im formellen Sinn haben.
Es gibt im Vorgleich zu einer Staatsrechtsordnung keine verfassungsgebende europäische Versammlung, die eine solche EU-Verfassung beschließen könnte, aber auch kein einheitliches Volk Europas, sondern vielmehr nur das der einzelnen Staaten.
Die in Nizza im Dezember 2000 verabschiedete EU-Grundrechtscharta, auf deren inhaltliche Wertigkeit ich noch zu sprechen kommen werde, ist aber eine bloße politische Erklärung ohne jegliche unmittelbare Rechtsverbindlichkeit! Sie ist bestenfalls wie die seinerzeitige Europäische Sozialcharta eine Sozialgestaltungsempfehlung und hat daher in keine Weise einen Rang, der dem eines Verfassungsrechtssatzes entsprechen würde. Dem Rang im Stufenbau des EU-Rechtes nach sind übrigens die Organisationen und Institutionen im primären Gemeinschafsrecht grundgelegt, aber nicht die EU-Grundrechtscharta! Es gibt hingegen vergleichsweise kein Verfassungsrecht eines Staates, weder in der Vergangenheit noch in der Gegenwart, in dem die Regelung der Organisation eines Staates höherrangiger als die Grundrechte erfolgt.
Die Unerträglichkeit des Fehlens der Grundrechte findet auch darin einen sichtbaren Ausdruck, dass der Europäische Gerichtshof in Luxemburg die EMRK als EU-Grundrechtskatalog kraft Richterrechts rezipiert hat, ohne dass sie formell in der Europäischen Union in Geltung steht.
Ich halte es übrigens nicht für juristisch und politisch unmöglich, dass in der Zukunft einmal von den Vertretern aller EU-Staaten eine über dem primären Gemeinschaftsrecht der EU stehende rechtliche Grundordnung der EU beschlossen wird, welche die Grundsätze und Grundwerte der europäischen Integration sowie die Organisation der EU festlegt, ihnen eine qualifizierte Wertigkeit und Sicherheit des Bestandes bei aller Offenheit einer systemgerechten Weiterentwicklung gibt! Eine solche Beschlussfassung müsste aber eine gesamteuropäische Meinungs-, Willens- und Urteilsbildung in der breiten Öffentlichkeit voraussetzen. So weit ist aber die Entwicklung des integrierten Europa noch lange nicht.
Diese Meinungs-, Willens- und Urteilbildung spielt sich mehr auf staatlicher Ebene ab, als in der europäischen Öffentlichkeit, die es entsprechend gar nicht gibt. Sehr deutlich zeigt sich dies bei Wahlen zum Europäischen Parlament, die meist verhältnismäßig schlechte Wahlbeteiligungen haben und sich überwiegend mit innerstaatlichen und sehr selten, wenn überhaupt, mit europapolitischen Themen beschäftigen. Aufsehen erregt auf Europaebene höchstens Negatives, wie die Rinderseuche BSE oder die Korruption und der Rücktritt der EU-Kommission.
Der einzelne Bürger kann meist nur die kommunale, regionale, föderale und unter Umständen die nationale Politik und ihre Repräsentanten beurteilen, aber kaum die europäische Politik. Die Unionsorgane können daher leichter als die Politiker in den einzelnen Mitgliedsländern marktwirtschaftliche Konsequenzen ziehen und harte Maßnahmen setzen, da sie nicht immer mit den Reaktionen der Bevölkerung konfrontiert sind und durch die Bürgerferne auch nicht auf die Bürgergunst mangels Wahl durch diese angewiesen sind. Der Integrationserfolg der Gemeinschaft geht nämlich zum Großteil auch auf diese supranationale Kabinettspolitik zurück. Das Soziale der Marktwirtschaft, welches das Deutsche Grundgesetz enthält, ist in der EU auch nicht entsprechend gegeben. So wurde erst im Vertrag von Maastricht die Sozialpolitik als gemeinsame Aufgabe genannt und nach dem Regierungswechsel in Großbritannien durch den Vertrag von Amsterdam Teil des Gemeinschaftsvertrages.
In einem spürt aber der einzelne Bürger die EU und macht sich seine Gedanken: so etwa wenn ein Staat wie Österreich sich bemüht, die sogenannten Maastricht-Kriterien mit den Konvergenzbestimmungen zu erfüllen. Dies verlangt den Abbau der Staatsverschuldung und ein Nulldefizit im Budget.6 Es hatte für uns in Österreich insbesondere eine Steuerreform, eine umfassende Reprivatisierung der verstaatlichen Banken und Industrien und den Verkauf von Bundesvermögen, wie z.B. Bundesforste, Hofreitschule etc. und die Streichung vieler Subventionen und Sozialhilfen zur Folge.
Am 1. März 2001 präsentierte der österreichische Finanzminister Karl-Heinz Grasser das Budget 2002, welches oft als „historisches” bezeichnet wird, da es erstmals seit 30 Jahren ein Nulldefizit für den Gesamtstaat, aber gleichzeitig einen Belastungsstop anstrebt. Mit diesem Budget wird von der jahrzehntelangen Tradition der „Schuldenpolitik” abgegangen, damit Österreich wieder auf die Überholspur wechselt und das Wirtschaftswachstum, Vollbeschäftigung und der Wirtschaftsstandort Österreich gefestigt wird.
Auch sollen die Regierungsschwerpunkte der nächsten Jahre mit diesem Budget gesichert bzw. initiiert werden: Verwaltungsreform, Privatisierungen, Senkung der Lohnnebenkosten, Sanierung der Sozialversicherung, Abfertigung neu und Kinderbetreuungsgeld für alle ab 2002 sowie eine neue Landwirtschaftspolitik.
Diese Beispiele können zeigen, dass mit dem Weg zur Wirtschafts- und Währungsunion auch soziale Konsequenzen verbunden sind, die für viele auch schmerzvoll sind und sehr viel Aufklärungsarbeit verlangen.
In gleicher Weise verlangt die Währungspolitik der EU und die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank und damit ihre Entpolitisierung das erforderliche Verständnis. Der Stabilitätsauftrag setzt nämlich die Unabhängigkeit der Zentralbank voraus; wie kürzlich auch der Gouverneur der österreichischen Nationalbank Klaus Liebscher betonte, sind „unabhängige Notenbanken am besten in der Lage ..., Inflationserwartungen glaubwürdig stabil auf niedrigem Niveau zu halten”.7
Es gibt daher auch in den einzelnen Staaten eine entsprechende Unabhängigkeit der jeweiligen nationalen Notenbanken, deren Politik nicht auf Wahltermine und Funktionsperioden von Parlamentariern und Regierungsmitgliedern abgestellt werden kann und soll! Manche Kritiker der Integration Europas werden diese Unabhängigkeit der europäischen Zentralbank zum Demokratiedefizit der EU zählen, sie ist aber notwendig, damit eine ausgewogene Währungspolitik möglich ist!
VI.
Mit der Weiterentwicklung der EU, vor allem auch im Hinblick auf die angestrebte Erweiterung, verdeutlicht es sich immer mehr, dass die Europäische Integration, sowohl was ihre Einrichtungen, Grundsätze und Zielsetzungen betrifft, schon beginnend mit der Übertragung von Hoheitsrechten der Staaten auf eine supranationale Institution ohne bisherigem Beispiel und daher sui generis ist, sie verbindet nämlich das Supranationale mit dem Intergouvernementalen. Vergleiche mit der jahrhundertelang sich entwickelnden demokratischen Verfassungsstaatlichkeit lassen sich ebenso wenig ziehen, wie mit dem parlamentarischen Regierungssystem der Staaten. So hatte schon der geistige Vater der Idee der europäischen Integration Jean Monnet in seinen Memoiren „Erinnerungen eines Europäers” am Ende seines Lebens rückblickend geschrieben: „Niemand kann heute sagen, welche Form das Europa haben wird, in dem wir morgen leben werden, denn der Wandel, der aus dem Verändern entsteht, ist unvorhersehbar”.8 Er war damit völlig einer Meinung mit dem politischen Wegbereiter seiner europäischen Integrationsidee, der diese zur politischen Wirklichkeit führte, nämlich Robert Schuman, der schon am 9. Mai 1950 im Uhrensaal der Quai d’Orsay auf die Frage eines Journalisten nach der Bedeutung dieser Idee antwortete: Es ist „ein Sprung ins Unbekannte”.9
Der folgende Sprung war rückblickend festgestellt erfolgreich, er verlangt aber viel Verständnis für das Notwendige und Vertrauen in das Neue; das Bisherige an Politik und Recht in den Staaten Europas lässt sich in ihrer Integration nicht kopieren, auch der Versuch der Übertragung kann nicht deckungsgleich gelingen, es entsteht etwas anderes Neues und nicht die Rechtsgemeinschaft als eine Art Verfassungsstaat.
Roman Herzog, der übrigens Vorsitzender des Konvents zur Erarbeitung der EU-Grundrechtscharta war, bezweifelte auch, ob eine Verfassung, deren Begriffswelt aus dem 18. und 19. Jahrhundert stammt, überhaupt auf die europäische Wirklichkeit im 21. Jahrhundert übertragen werden könne, zumal die einzelnen europäischen Völker fortbestünden und es ein europäisches Volk gar nicht gebe. Er bezweifelte auch, ob von einer Verfassung eine identitätsstiftende Wirkung in und für Europa ausgehen könne. Er hielt auch diesen Konvent zum Unterschied von den Fraktionen des deutschen Bundestages und des Europäischen Parlaments für die Erarbeitung eines etwaigen Entwurfes einer solchen EU-Verfassung nicht für geeignet.10
Negativ zu einer EU-Verfassung äußerte sich auch Jean-Claude Juncker: „Es gibt keine europäische Nation, es gibt kein europäisches Volk” und warnte: „Daher sollte man die Leute nicht mit einer Verfassung erschrecken.”11
Ein solcher Superstaat wäre auch deshalb nicht möglich, weil eine Staatsverfassung für alle Teile eines Staates gleich gelten sollte, hingegen jetzt die EU einer unterschiedlichen Regelung entgegengeht. Mit der Gründung einer Währungsunion von zwölf Mitgliedstaaten, mit dem Schengen-Abkommen und der Verteidigungsgemeinschaft wird die einheitliche Geltung des europäischen Rechts gelockert. Paul Kirchhof hat es schon treffend hervorgehoben, die EU „wird mit dem Beitritt weiterer Mitgliedstaaten abgestufte Rechts- und Wirtschaftsstandards innerhalb der Gemeinschaft als langfristiges Übergangsrecht anerkennen müssen. Es entstehen unterschiedliche Europarechtskreise von differenzierter Dichte und Reichweite.”12 Man übersehe auch nicht, dass die Vielzahl an Einzelermächtigungen, die das Gemeinschaftsrecht kennzeichnen, für eine Verfassung im formellen Sinn, also für ein Verfassungsrechtssystem ungeeignet ist. Verfassungsrecht ist staatskonstituierend, das ist aber für die EU unmöglich. Darum möchte ich im Anschluss an Paul Kirchhof und Thomas Oppermann sagen: „Das Leitbild europäischer Integration ist nicht ein zu schaffender Bundesstaat, sondern der bestehende Staatenverbund.”13 Dieser ist für eine etappenweise mögliche Entwicklung offen und kann die EU wie bisher ihrer Eigenart gemäß auf vertragsrechtliche Weise ausgebaut werden; etwa zu einem Vertragsverfassungsrecht, aber nicht im traditionell hergebrachten Sinn des demokratischen Verfassungsstaates, der die EU auch nicht ist. In diesem Sinne hat sich übrigens bereits der Vorsitzende des Konvents zur Zukunft Europas, der frühere französische Staatspräsident Valerie Giscard d’Estaing schon am 26. Februar 2002 in seiner Antrittsrede deutlich festgelegt, als er selbst vorschlug, „dass wir uns bereits heute auf die Bezeichnung, ’Verfassungsvertrag für Europa’ einigen.”14
Vieles kann schon jetzt an Verbesserung in der EU getan werden, in ihr findet etwa die Anwendung des verpflichtenden Gemeinschaftsrechts nur schleppend statt. So ist nach dem Jahresbericht der EU-Kommission über die Anwendung des Gemeinschaftsrechts der Prozentsatz der von den Mitgliedstaaten in nationales Recht ungesetzten Gesetzgebungsakten zurückgegangen.
So bestehen große Umsetzungsdefizite vor allem im Gesundheitswesen, dem Umweltrecht, auf das allein 20 Prozent aller Klagen vor dem Europäischen Gerichtshof entfallen, des Weiteren im Binnenmarkt für Elektrizität, die Gleichbehandlung von Mann und Frau, dem Sozialrecht, insbesondere Pendler, Wanderarbeitnehmer und Zuwanderer. Es wurden bisher nur 38 von 53 Sozialrichtlinien umgesetzt!
Es besteht eine gestiegene Tendenz der 15 EU-Staaten, sich den gemeinsamen EU-Verpflichtungen zumindest teilweise zu entziehen. Dies zeigt sich an der Zahl der von der Kommission gegen einzelne Staaten vor dem europäischen Gerichtshof in Luxemburg eingereichten Klagen. Ihre Zahl ist auch von 123 auf 178 angestiegen!
Ein weiteres Zeichen des schlechteren Umgangs mit dem Gemeinschaftsrecht zeigt die Zunahmen der an die Kommission gerichteten Beschwerden. Auch diese Zahl ist gestiegen und zwar um 16 Prozent, nämlich von 1128 auf 1305.
Im Hinblick auf diese Tendenzen schleppender Anwendung des verpflichtenden Gemeinschaftsrechts hat das Europäische Parlament die EU-Kommission aufgefordert, die Gründe für eine mangelnde Umsetzung von Richtlinien näher zu untersuchen.
VII.
Diese Offenheit der EU wäre aber falsch verstanden, wenn sie sich nur als funktional bestimmte Zwecksgemeinschaft auffassen würde. Grundlage der EU bilden auch Grundsätze und zwar nach Art. 6 des EU-Vertrages die Grundsätze der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit; die EU achtet auch die Grundrechte der Europäischen Menschenrechtskonvention und die sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechtes ergeben, des Weiteren achtet die EU die nationale Identität ihrer Mitglieder.
Die Anerkennung von Grundsätzen und Grundrechten durch die EU setzt das Bewusstmachen von Werten und so die notwendige Werterkenntnis und Werthaltung voraus. Am Beginn der europäischen Integration stand die Befriedung zwischen Deutschland einerseits und Frankreich sowie der Beneluxländer andererseits. Sie wurde hernach begleitet bis zur politischen Wende vor mehr als zehn Jahren durch die lange politische Konfrontation mit dem kommunistischen Osten, beides hat sich nun zum Glück erübrigt, was mit zur Eschatologie der Geschichte gehört. Heute kann und soll nicht mehr die Konfrontation mit einem gegnerischen politischen Block in Europa die einigende Kraft sein, sondern es sollte das zusammenführende Bewusstsein der gemeinsamen geistigen, religiösen und kulturellen Wurzeln sein. Schon Robert Schuman schrieb am Ende seiner Tage: „Europa muss, ehe es zur militärischen Allianz oder zum wirtschaftlichen Bündnis wird, vor allem eine kulturelle Gemeinschaft im höchsten Sinne des Wortes bilden.”15 Das verlangt ein Bewusstmachen des Gemeinsamen an Werten, welche die Kultur abendländischer Prägung tragen. In diesem Sinne mahnte schon Papst Johannes Paul II. bei der Europafeier 1982 in Santiago de Compostela „Altes Europa, finde wieder zu Dir selbst.”16
Papst Johannes Paul II. will die Verbundenheit der früher getrennten Teile Europas und nennt sie „jene beiden Lungen, ohne die Europa nicht atmen kann”.17 Er forderte auch „vielleicht weniger von einer Osterweiterung, als vielmehr von Europäisierung des gesamten Kontinents”18 zu sprechen und stellte fest: „Auch in unserer Zeit bleibt die Seele Europas geeint, weil es über seinen gemeinsamen Ursprung hinaus von den gleichen christlichen und human Werten lebt, wie beispielsweise der Würde der menschlichen Person, dem echten Gefühl für Gerechtigkeit und Freiheit, der Arbeitsamkeit, dem Unternehmungsgeist, der Liebe zur Familie, der Achtung vor dem Leben, der Toleranz, dem Wunsch zur Zusammenarbeit und zum Frieden, die seine charakteristischen Merkmale sind und es kennzeichnen.”19 Zu diesen notwendigen Werten für eine neue Ordnung Europas seien auch in leidvoller Geschichtserfahrung das Selbstbestimmungsrecht der Völker sowie der Minderheitenschutz, besonders auch der religiöse und ethnische Minderheitenschutz gezählt. Leider muss heute festgestellt werden, dass im Zusammenhang mit der neuen Ordnung Europas im Allgemeinen und der der Europäischen Union zwischen proklamierten Werten und Praxis ein großer Unterschied besteht!
Es ist aber wohl erfreulich, dass sich die Wiedervereinigung Europas mit und außerhalb der EU mit einem Streben um ein neues Wertebewusstsein überhaupt verbunden hat, das so notwendig ist; ist doch mit dem Ende des Kommunismus und auch mit der politischen Wende in bestimmten Teilen Mittel- und Osteuropas ein nicht zu übersehendes ideologisches Vakuum entstanden, das es auszufüllen gilt, sonst machen sich dort neue Formen an Ideologien breit oder es greifen Anarchismus und Terrorismus um sich. Aus diesem Grund darf sich die europäische Integration nicht auf eine bloße Soll- und Habenrechnung beschränken. Joseph Kardinal Ratzinger hat bereits auf „das zunehmende Absinken der europäischen Idee in eine bloße ökonomische Arithmetik, die zwar Europas wirtschaftliche Macht in der Welt immer weiter steigerte, aber die großen ethischen Ziele immer mehr auf Besitzvermehrung reduzierte und in die reine Logik des Marktes einebnete”20, hingewiesen und ausdrücklich davor gewarnt. Das gilt nicht nur für die postkommunistischen Staaten, in deren Bevölkerung vor allem in der Jugend das notwendige Verstehen von geistigen und religiösen Werten oft fehlt, sondern auch für den früheren sogenannten freien Westen Europas, den der Funktionalismus, Materialismus und Skeptizismus heimgesucht hat. Nicht zu Unrecht hat daher Papst Johannes Paul II. Europa „zu einer notwendigen und mutigen Neuevangelisierung aufgerufen...”.21
Die Bedeutung des Christentums für die neue Ordnung Europas auch als Wertegemeinschaft soll nicht überraschen, hat doch das Christentum wie keine andere Religion Europa geprägt. Es sei auch nicht vergessen, dass die Begründer des integrierten Europas, wie Robert Schuman, Konrad Adenauer, Alcide de Gasperi und Joseph Bech, um nur die wichtigsten zu nennen, alle bekennenden Christen waren.
Es ist erfreulich, dass die letzten Präsidenten der EU-Kommission, nämlich Jacques Santer, Jacques Delors und auch Romano Prodi auf die Bedeutung der Anerkennung der Werte für die europäische Integration hingewiesen haben. In diesem Sinne erklärte Prof. Prodi in seiner Rede auf der Konferenz über den interkulturellen Dialog am 20. März 2002 in Brüssel: „Im Laufe der Geschichte war die Religion oft Ursache von Konflikten, ja sogar von großen Kriegen. Aber sie war auch immer eine Quelle der Hoffnung, der Kreativität und Weisheit. Religion kann und muss einen wesentlichen Beitrag leisten zu den Zielen, die wir alle teilen: zu künftiger Freiheit vor Furcht, friedlicher Fortschritt zum Wohle aller und Verteidigung der menschlichen Werte gegen Gewalt, Hass und Diskriminierung”.22
Es sei auch nicht unerwähnt, dass bereits die Regierungskonferenz von Amsterdam 1997 die Bedeutung des Religiösen für die Integration Europas in der Beschlussfassung der Kirchenklausel anerkannt hat; sie lautet: „Die Europäische Union achtet den Status, den Kirchen und religiöse Vereinigungen oder Gemeinschaften genießen und beeinträchtigt ihn nicht. Die Europäische Union achtet den Status von weltanschaulichen Gemeinschaften in gleicher Weise”.23
Im Sinne dieser Kirchenklausen wäre es begrüßens- und wünschenswert, wenn die vor kurzem gemachten Vorschläge der „Kommission der Bischofskonferenzen des EU-Raumes” (Com ECE) und der Kommission für „Kirche und Gesellschaft” der Konferenz europäischer Kirchen (CEC) betreffend die derzeitige und künftige Rolle der Kirchen und Religionsgemeinschaften in der Europäischen Union in einem geplanten Verfassungsvertrag der Europäischen Union aufgenommen würden.
Es geht bei diesen Vorschlägen um die Wahrung der Religionsfreiheit in all ihren sowohl individuellen als auch gemeinschaftlichen Dimensionen, um die Anerkennung der spezifischen Identität der Kirchen und Religionsgemeinschaften und die Führung eines „strukturierten” Dialogs mit ihnen sowie um die Achtung des juridischen Status, den die Kirchen, Religionsgesellschaften und weltanschaulichen Organisationen in den Mitgliedstaaten der Union genießen.
Außerdem wurde für die etwaige Präambel eines europäischen Verfassungsvertrages ein Vorschlag erstellt, der einen Bezug zur religiösen Dimension der europäischen Werteordnung herstellt, und dabei – ähnlich wie in der polnischen Verfassung – der Weltanschauung der Nichtglaubenden gerecht wird. Auf diese Weise wird auch einem Anliegen von Papst Johannes Paul II. Rechnung getragen, nämlich einen Dialog von Kirche und Welt zu führen und sich um eine auch ökumenische Brüderlichkeit zu bemühen.
Es wäre wertvoll, wenn dieses Wertedenken sich auch in der EU-Grundrechtscharta, die zwar, wie bereits betont, keine Rechtsverbindlichkeit besitzt, sondern eine bloße politische Deklaration ist, ausdrücken würde. Sie sollte in einen künftigen Verfassungsvertrag der EU aufgenommen werden. Sie enthält erstmals für und in Europa in ein und demselben Dokument sowohl die klassischen, nämlich liberale und demokratische Rechte, wie auch soziale Grundrechte und Minderheitenschutzrechte. Sie bemüht sich zwar an dem von allen Mitgliedstaaten akzeptierten Standard von Grundrechten festzuhalten, bleibt aber noch manche Antwort schuldig.
VIII.
Mit dieser Bemerkung komme ich zur Grenze dessen, was sich derzeit rechtsnormativ ausdrücken lässt, nämlich zu dem, was über Politik und Recht hinaus für das Miteinander in der neuen Ordnung Europas erforderlich und nicht von Institutionen, sondern von Personen zu erbringen ist, nämlich neben Rationalität auch Spiritualität verbunden mit Glaubwürdigkeit, Zuverlässigkeit, Berechenbarkeit, Wahrhaftigkeit sowie gemeinsam mit Leistungswillen auch Sozialverständnis. Dies ermöglicht bei aller Pluralität in den freien Demokratien die wichtigste Fundierung der Integration, nämlich die geistige und kulturelle Übereinstimmung. Auch um diese sollte sich das integrierte Europa als Rechts- und Wertegemeinschaft in dieser neuen Ordnung unseres Kontinents bemühen und damit fernab von jedem Eurozentrismus ein beispielgebender Partner in der Völkergemeinschaft werden und sein.
Anmerkungen
1
Jacques le Goff, Das alte Europa und die Welt der Moderne, München 1994, S. 7.
2
Vertrag von Maastricht vom 7. Februar 1992, Abl. 1992, Nr. C 191, S. 4 ff., auch Abl. 1992, Nr. C 224, S. 1 ff.
3
Helmut Coing, Von Bologna bis Brüssel. Europäische Gemeinsamkeiten in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, Kölner Juristische Gesellschaft, Band 9, Bergisch Gladbach-Köln 1989, S. 8.
4
Präambel des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft vom 25. März 1957, Europarecht, Textausgabe, hrsg. von Claus Dieter Classen, 17. Aufl., München 2001, S. 26 f.
5
BVerfGE 89, 155 ff.
6
Heinrich Neisser, Die Politiken der EG (Gemeinschaftsaufgaben), in: Heinrich Neisser-Bea Verschraegen, Die Europäische Union – Anspruch und Wirklichkeit, Wien–New York 2001, S. 93.
7
Klaus Liebscher, Warum unabhängige Zentralbanken? in: Die Europäische Zentralbank, Stuttgart 1999, S. 75.
8
Jean Monnet, Erinnerungen eines Europäers, Baden-Baden 1988, S. 661.
9
Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 9. Mai 2000, S. 11.
10
Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 14. Mai 2001, S. 4.
11
„Die Presse” vom 17. Mai 2001, S. 7.
12
Paul Kirchhof, Der Verfassungsstaat und seine Mitgliedschaft in der Europäischen Union, in: In einem vereinten „Europa dem Frieden der Welt zu dienen ...”, Liber amicorum Thomas Oppermann, Berlin 2001, S. 205.
13
Kirchhof, a.a.O.; vergl. Thomas Opperman, Europarecht, 2. Auflage, München 1999, Rn. 914 ff.
14
SN 1565/02.
15
Robert Schuman, Für Europa, Vorwort von Konrad Adenauer, Hamburg–Genf–Paris 1963, S. 47.
16
L’Osservatore Romano, Wochenausgabe in deutscher Sprache vom 24. November 1982, S. 15.
17
„Europa-Rede” Papst Johannes Paul II. in der Wiener Hofburg am 20. Juni 1998, Kathpress Sonderpublikation Nr. 4/98, S. 11.
18
Europarede, a.a.O.
19
L’Osservatore Romano, Wochenausgabe in deutscher Sprache vom 24. November 1982, S. 15.
20
Joseph Kardinal Ratzinger, Wendezeit für Europa? Diagnosen und Prognosen zur Lage von Kirche und Welt, Freiburg 1991, S. 84.
21
L’Osservatore Romano, 25. September 1998, S. 8.
22
Romano Prodi, Speech at the Conference Intercultural Dialogue Brussels, 20 March 2002, EU-Institutions press relaeses DN: Speech/02/114, Date 20/3/2002, page 3.
23
Erklärung Nr. 11 der Schlussakte von Amsterdam.
* Gastvorlesung, gehalten am 29. Oktober 2002 im Rahmen der Andrássy-Gyula-deutschsprachige-Universität und des österreichischen Kulturforums unter Mitwirkung des Europa Institutes Budapest in Budapest.
Begegnungen19_Riklin
Begegnungen
Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Band 19:25–41.
ALOIS RIKLIN
Veracity in Politics
Truthfulness in politics: is there such a thing? Is this not a contradiction in terms? Isn’t politics a dirty business? Politics has to do with power, and is not power as such evil, as Jacob Burckhardt thought?1 Didn’t Niccolo Machiavelli recommend that whoever wants to remain a good Christian, indeed a good human being, should keep his distance from politics?2 Didn’t Hannah Arendt write in her book Wahrheit und Lüge in der Politik [Truth and Lying in Politics]: ”Truthfulness has never numbered among the political virtues, and lying has always been permitted as a political instrument”?3 Didn’t Niklas Luhmann argue that political systems are not meant to be checked on the basis of ethical criteria?4 Didn’t he say that whoever entered the level of politics would ineluctably face the dilemma of moral naïveté or moral cynicism.5 Luhman decided in favour of cynicism: if a politician is caught lying, he will be sacrificed so that everything else can continue to run its course unchanged.6 Didn’t Hans-Georg Soeffner outline an equally cynical representation theory whereby we delegate the dirty business of politics to elected representatives so that we ourselves will be able to wash our hands of it?7 And did not Jean-François Revel write: ”The very first of all the forces that govern the world is the lie”?8
However, it is not entirely true that truthfulness has never numbered among the political virtues and that lying has always been permitted as a political instrument. The virtue of veracity and the vice of mendacity in general, including the realm of politics, have often been discussed in the history of ideas, in the Bible, by Aristotle,9 by St Augustine,10 by St Thomas Aquinas11 and by Kant,12 to name but some of the most important sources. Still, any express application to politics is somewhat rare; it is most likely to be found in the so-called Mirrors of Princes, for instance in the Mirror written by Aegidius Romanus.13 Unlike the cardinal virtues of justice (iustitia), self-control (temperantia), strength (fortitudo) and good sense (prudentia), veracity (veracitas) is hardly ever found in the art of politics, either. In most recent times, two authors in particular have expressly treated truthfulness in politics: the Harvard philosopher Sissela Bok (1980) and Freiburg’s moral theologian Eberhard Schockenhoff (2000).
Then again, the first political thinker who in the long history of political ethics conceived of veracity as a central problem of politics is a contemporary; Václav Havel. In 1978, between his first arrest and two later spells in prison, he wrote a courageous book entitled Versuch, in der Wahrheit zu leben [An attempt to live in truth].14 In this book, Havel condemned the mendaciousness of the post-totalitarian communist system and chose for himself the way of truthfulness, irrespective of the high risks of false imprisonment, professional discrimination and social ostracism. Havel did not one-sidedly regard the powers that be as guilty of lying; rather, he located the diabolical aspect of the post-totalitarian system in the fact that it turned victims into accomplices: by threatening them and their descendants with disadvantages, it coerces the victims to participate in it. When Havel had become president, he reminded his fellow citizens of their complicity arising from their coming to terms with life in lying.15 Consequently, he exhorted them in his address before the first democratic general elections to vote for candidates who ”are used to telling the truth and do not wear a different shirt every week”.16
Havel was primarily thinking of life under a totalitarian system where – to speak with Orwell – the Ministry of Truth rewrote even history to make it fit the prevalent circumstances. Yet in asides, Havel left no doubt that he did not consider the reality evinced in democratic countries to be flawless by any manner of means.17 Indeed, the lies that have been told by politicians and then been brought to light in the most recent times, particularly in big countries, are shocking. Cases in point are the Rainbow affair in France, the Spiegel, Barschel, Engholm and party donation scandals in Germany, and the Pentagon Papers, Watergate and Irangate in the US.
I shall now proceed to describe the position in moral philosophy, and then develop a typology on the basis of practical cases, and finally outline incentives for truthfulness in politics.
1. Position in moral philosophy
Lying is not the sole deviation from truth. St Thomas Aquinas classed truthfulness as one of the common virtues and contrasted it, not only with lying, but also with hypocrisy and boastfulness.18 This, however, is far from covering the entire field of untruthfulness, whose further facets include perjury, false promises, disinformation, dissimulation, guile, breach of promise, palliation, flattery, pretexts, distraction, suppression of important information, secrecy, obfuscation, forgery, deception, and manipulation by means of advertising. Montaigne wrote that the opposite of veracity was a boundless field containing a hundred thousand varieties.19 Yet lying is the clearest and most conspicuous form of untruthfulness, and this is why moral philosophy has focused on the lie as the nucleus of untruthfulness, lying conceived as a false statement of a false sign made with intent to deceive.
Three positions are to be discerned in moral philosophy; the absolute prohibition of lying, the basic permissibility of political lying, and its partial permissibility.
1.1 The absolute prohibition of lying
The first author of antiquity to deal systematically with lying was St Augustine.20 He differentiated between eight levels of lying. Yet he regarded any lying as sinful, even a lying that would harm no one or protect someone innocent. The Bible and the church fathers were his main sources. Christ said in the Sermon on the Mount: “But let your communication be, Yea, yea; Nay, nay: for whatsoever is more than these cometh of evil” (Matt. 5, 37). John calls the devil ”the father of the lie” (John 8, 44). The Old Testament, however, gave St Augustine more of a headache than the New. Of course, he was able to refer to the Eighth Commandment (Ex. 20, 16) and to the numerous complaints about falsehood in the Psalms (e.g. Ps. 5, 7). But what should be thought of the false reports in the Old Testament, and particularly of the ”most refined staging of a successful feint”21 when Jacob, at the instigation of his mother Rebecca, made his blind father, Isaac, believe that he was the elder brother, Esau, thus obtaining the firstborn’s inheritance by false pretences? (Gen. 27, 1-40) Augustine solved the problem presented by such biblical passages with the pious explanation: “Non est mendacium, sed mysterium.”
Immanuel Kant represented the same rigorism, not on theological grounds, but on the basis of the ethics of reason.22 Benjamin Constant had attacked him on that score.23 Kant replied with a small work entitled Über ein vermeintes Recht aus Menschenenliebe zu lügen [On a putative right to lie for the love of mankind],24 in which he quoted the standard case, brought into play by Constant, of the potential murderer who wants to be told whether his intended victim is inside the house. According to Kant, even the person thus addressed by the potential murderer is obliged to tell the truth. The obligation of veracity applies regardless of any consequences. Lying “is the waste and, as it were, destruction of his human dignity”.25
1.2 The permissibility of lying
St Augustine and Kant did not set their sights on political lying, but it was implied. With a view to political lying, Plato and Machiavelli defended the opposite position. In his Politeia, Plato granted the philosopher kings the right to lie in the interest of the state. They, and they alone, were allowed to tell lies in order to safeguard the ideal state.26 If subjects tell lies, they will have to be punished for it. The powers that be, however, may spread the false tale that God had admixed the rulers with gold, the guardians with silver, and the providers of food with iron ore.27 For the purpose of human breeding, they may also deceive couples by letting them believe they had met by chance whereas in fact they had been brought together with intent.28
An even more general justification of political lying and untruthfulness was provided by Machiavelli in his Principe29: the prince must be a ”master of hypocrisy and dissimulation”; he does not keep promises if that is detrimental; since people are evil and bad, the prince is entitled to break his word; people are so stupid that every fraudster will find someone to defraud; it is neither possible nor necessary for the prince to have all the virtues – indeed, it is positively harmful to have them all and use them all the time: the appearance of virtues is sufficient. The Principe’s motto is ”seeming, not being”: the inversion of Cicero’s ”being instead of seeming”.30 By way of a role model, Machiavelli recommended Cesare Borgia, one of the biggest crooks in the history of the world. He admired the sang froid with which Cesare lured his disloyal condottieri into a trap in Sinigaglia under the guise of friendship and killed them one after the other31 – an atrocity which would serve Hitler as the model for the Röhm putsch.32
1.3 The partial permissibility of lying
The intermediate position of the partial permissibility of lying is equivocal. In early modern times, it was particularly Hugo Grotius33 and Samuel von Pufendorf34 who investigated the problem and set up boundaries on either side. Since then, moral theologians and moral philosophers have found exemption rules in great numbers and have permitted lies
– if they are told in an extreme emergency,
– if they will result in great benefits, or prevent great damage,
– if they are told for reasons of humility or modesty,
– if their intention and purpose are good,
– if there is no intention to deceive,
– if the person to whom the lie is told has no right to be told the truth,
– if it is told for reasons of courtesy or in consideration of human frailty,
– if it will not harm anybody,
– etc.35
The former Bishop of Chur and present Archbishop of Liechtenstein, who for a time adorned his name with the letters indicating a doctor’s degree which he had never acquired, thought he would be able to exculpate himself by saying that it had not harmed anyone...
Sissela Bok also permits exemption from the prohibition of lying, but those do not go as far as the list adduced above. Political lying, in particular, is measured against a very severe yardstick. Contrary to Plato and Machiavelli, she maintains that a government’s position does not make telling lies any more honourable.36 She scrutinises the usual excuses37 and then rates them according to their justifiability.38 First, it must be examined whether there is an honest alternative to lying. Then, the lying must be subjected to a public test, i. e. a fictitious discussion such as can be had among reasonable people.39 The method is reminiscent of Immanuel Kant, John Rawls, and discourse ethics.
Sissela Bok does not believe that these problems can be solved in abstract terms. By that token, she also rejects the utilitarian approach which determines the permissibility of lying on the basis of beneficial consequences alone. Rather, she prefers following the Stoics, Talmudists and early Christian thinkers and tackling the problem on the basis of concrete cases.40 The following typology will also be based on practical cases.
2. A typology of practical cases
I shall first deal with some cases of legitimate untruthfulness, followed by some that strike me as illegitimate. In doing so, I shall admit forms of untruthfulness which are not lies in the defined sense of the word.
2.1 Legitimate untruthfulness
Untruthfulness out of courtesy or consideration: The courtesies that are customary in diplomatic relations are harmless, just as everyday restraint for reasons of human consideration does not yet constitute hypocrisy.41 Truth can be hurtful, indeed offensive. We need not tell every fool to his face that he is one.
Suppression, discretion, and secrecy: The case collection of Harvard University includes the following occurrence.42 On the occasion of the Cuba crisis in 1962 the two superpowers were facing the abyss of direct military confrontation. The Soviet Union was about to establish a nuclear missile base in Cuba. The US demanded that the base should be closed down, and set up a blockade against Soviet freighters. At the climax of the crisis, Khrushchev made an offer to John F. Kennedy in a letter that the USSR would give up the Cuban base if, by way of countermove, the US withdrew the nuclear missiles stationed in Turkey. Now, the American President had ordered the close-down of the missile base in Turkey twice before; however, the order had not been carried out because the Turkish government opposed it. Kennedy did not regard it as politic to accept the Soviet offer since such a deal might raise doubts among the European allies as to whether the US nuclear umbrella over Western Europe had any permanence. Kennedy decided to reply to a previous letter of Khrushchev’s and to propose that the US would not invade Cuba. At the same time, he unofficially sent his brother Robert to the Soviet UN ambassador, Anatoly Dobrynin, with the private message that the President had already ordered the withdrawal of the nuclear missiles from Turkey and that he gave his assurance that this order would be carried out speedily. Khrushchev gave in. Subsequently, Kennedy was asked at a press conference whether the US had made any concessions with regard to disarmament. The President’s answer was negative; he said that he had instructed the negotiators to limit themselves exclusively to Cuba and that no other questions had been discussed.
This reply was true, but it was incomplete. Strictly speaking, there had not been any bartering of base against base. But Kennedy suppressed that he had unofficially given his assurance that the missiles would now be withdrawn from Turkey without any delay. The President had not made a concession but confirmed a decision he had made earlier. This suppression was risky, but not contrary to the truth. No one, not even a politician, is obliged to tell everyone else the whole truth at any time. Unlike a witness in a criminal trial, we are not obliged “to tell the truth, the whole truth and nothing but the truth”. We would not have won the popular ballot for the extension building of our University if we had not carefully suppressed our weak points.
This does not mean that suppression, discretion and secrecy are justified in every case. Secret mongering can also be exaggerated, which is what Pericles criticised the Spartans for in his funeral oration for the Athenians who had fallen in the first year of the Peloponnese War. During the time when I served in the Swiss Army, I had the impression that secrecy was exaggerated. Virtually every order could have been classified one level lower. Aargau’s senator Julius Binder made a move along these lines in parliament. Conversely, a joker proposed that a fifth level of secrecy should be introduced: “For service use only”, ”Confidential”, ”Secret” and ”Top secret” should be supplemented by the new and highest level called ”Destroy before reading”!
Ambiguity and secret reservation: Galilei stated in the ecclesiastical inquisition trial that he had never believed that Copernicus was right. When he was saying that, however, he was secretly thinking that he did not believe but knew that the earth revolves around the sun and not vice versa. In this way, he ensured that he was given a milder punishment. It is quite possible that the circles around Cardinal Bellarmin realised what Galilei was up to. His secret reservation was legitimate since the inquisition court was not entitled to force anyone to revoke the results of scientific research. Meanwhile, the Roman Catholic Church has had to acknowledge this too, in that it has rehabilitated Galilei in a highly embarrassing and lengthy proceeding, with a delay of nearly four hundred years.
The secret reservation was brought into discredit, particularly among Protestants, under the term mental reservation, after Pascal, in his ninth Lettre provinciale had launched a polemic against “Jesuit” craftiness.43
Again, this does not mean that ambiguity and secret reservation are legitimate in every case. I shall return to this later.
White lie to save life and limb:44 For English Catholics, French Protestants and Spanish Jews, pretending to have changed their denomination or religion was often the only way of saving their property, often even life and limb, in early modern times.45 This was legitimate since the state and the churches violated the freedom of religion with their repression. If self-defence against the use of violence is lawful, then so is a white lie to save life and limb. And if a white lie is lawful on one’s own behalf, then it is a fortiori lawful for the protection of others.
The Bible provides an example. When Saul wanted to kiss his son-in-law David, David’s wife Michal lied to the messengers in order to enable him to escape (I. Sam. 19, 8-24). St Augustine and Kant may have thought of this when they fundamentally rejected any white lie, even the one in this specific case. In the fragment ”Was heißt: Die Wahrheit sagen” [What does it mean: to speak the Truth], which Dieter Bonhoeffer wrote in a Gestapo prison, he called the exponents of this rigorism ”truth fanatics”.46 In a hierarchy of values, the protection of innocently prosecuted people carries more weight than the obligation of being truthful. Those people who in the Second World War hid Jews and, in so doing, invented a white lie or violated a law, deserved admiration for their brave deed, not blame or even punishment.
Stratagems:47 In the Second World War, the Allies planned to invade the French Atlantic coast from England. These plans were not only kept secret but were combined with strategic deception. This deception proved successful, and the Germans believed that the invasion would take place at a different time, and not in bad weather, and in a different place, not in Normandy.
This case is easy to judge. If military force against an aggressor is legitimate (ius ad bellum), then it would not make any sense if the milder form of deception should not be legitimate, either (ius in bello). Waring parties expect stratagems to be used. Since Hugo Grotius48 the international law of war49 has expressly declared stratagems lawful.
2.2 Illegitimate untruthfulness
My seven cases of illegitimate untruthfulness all come from abroad, not one of them from Switzerland. However, this does not mean to say that I am inclined to see the mote in the other’s eye but not the beam in my own. The simple reason is that I have not found any spectacular Swiss case. Apparently, exponents of bigger countries are more sorely tempted than the politicians of small countries. Power is liable to entice people into corruption, great power into a high degree of corruption. Life in a small country may well be governed by what George Bernard Shaw mockingly wrote: “Virtue is insufficient temptation”!
Qualified mental reservation: The Harvard case collection describes the undercover operation conducted by the US secret service, the CIA, against the election of Salvador Allende in 1970.50 After no candidate had won an absolute majority, it was up to the Chilean congress to choose from among the two leading contenders. Although the CIA has spent eight million dollars to prevent it, Allende was elected. The secret operation had an aftermath in the American Senate when President Nixon nominated the previous CIA chief, Richard Helms, to be the US ambassador to Iran. During the hearings in the Senate, the following dialogue took place: Senator Symington asked Helms whether the CIA had tried to topple the Chilean government. Helms replied: “No, sir.” Senator Symington then asked whether any monies had been given to opponents of Allende’s. Again the reply was: “No, sir.”
According to the letter Helm’s answers were correct. The point at issue was not to topple the government but to prevent the President’s election. And no monies were given to individuals but to groups which supported or rejected candidates. This case of mental reservation cannot be justified, for there is no excuse for deceiving a democratically elected parliamentary organ, which is entitled to clarify issues in a democracy, with a cheap trick. Helm’s behaviour undermined democracy and, in the long term, contributed to a loss of confidence in the American administration.
Thus, not every mental reservation in legitimate. The US Congress considered the question. When the members of the House of Representatives are sworn in, they must swear to take and comply with the oath upon the constitution without any mental reservation: ”Do you solemnly swear that you will support and defend the Constitution of the United States against all enemies, foreign and domestic; that you will bear true faith and allegiance to the same; that you take this obligation freely, without any mental reservation or purpose of evasion; and that you will well and faithfully discharge the duties of the office on which you are about to enter. So help you God?”
Unlawful word of honour: The case of illegal, i.e. undeclared party donations to Germany’s chancellor Helmut Kohl is still widely talked about. After the former chancellor first denied the acceptance of such donations and then only admitted as much as had been proved already, they refused to disclose the names of the donors by invoking his word of honour.
The chancellor’s behaviour was in glaring contravention of the constitution, the party donation law, and the official oath. A politician’s word of honour “only deserves the general public’s respect as long as the action to which he pledges his honour remains within the framework of the law and on the ground of honesty. A word of honour which refers to the maintenance of secrecy about jointly perpetrated violations of the law does not meet this requirement. In a case of conflict, it must therefore give way to the readiness to enforce the law, as is in accordance with the official oath sworn by high-ranking politicians before the general public.”51
Electioneering fraud: Sissela Bok’s book refers to the case of the American presidential campaign of 1964.52 The point at issue was the re-election of President Johnson as against Senator Goldwater. In the campaign, the Vietnam War played an important part. The situation in Vietnam was constantly worsening. In the Johnson Administration, the view had gained ground that an increase in the US commitment could not be avoided. Making a big song and dance about this, however, was not politic in the campaign. Senator Goldwater championed an escalation of the war and did not shy from nuclear threats, either. Conversely, Johnson was depicted as a harbinger of peace. He himself proclaimed that the overriding problem, the crucial point in the election campaign was the question as to who would best be able to preserve peace. The electioneering strategy proved successful. Johnson was elected. A short time after the election, he ordered a reinforcement of troops in South Vietnam and the bombardment of North Vietnam. In order to be elected, Johnson duped the American electorate in a reproachable manner.
Disinformation of parliament and the people: The 1964 electioneering fraud was systematic. It was no isolated incident but part of a deception that went on for years: a deception not of the enemy but of the country’s own population. There is evidence of this in the Pentagon Papers. Hannah Arendt wrote a great essay about them.53 Still under Johnson’s pesidency, the US defence minister Robert S. McNamara had commissioned a secret study to provide a systematic picture of the history of the Vietnam War. This study clearly revealed that for years, the government had deceived the American public with purposively optimistic information about how the war was progressing. The deception of Congress in the Tonkin affair was particularly grave. In August 1964, a US destroyer was shot at by North Vietnamese torpedo boats in the Gulf of Tonkin. The American government reacted to the alleged surprise attack with indignation. The Pentagon Papers made it clear that the incident was a concerted American provocation. Its purpose was to get the US Congress to grant the President the power of attorney for a stronger commitment in this undeclared war. This then happened. Someone involved with this secret study, Daniel Ellsberg, informed the New York Times, which started to print selected articles from the Pentagon Papers. In the meantime, Johnson had been replaced by President Nixon, who tried to stop publication by means of a court order. However, the Supreme Court ruled in favour of the freedom of the press and deemed that the Pentagon Papers were not worth classifying. Subsequently, they were published in their entirety.
The 47 volumes of the Pentagon Papers prove that the American government had for years provided its own people with an overoptimistic picture of the war. The Vietnam War, which had never been declared and which ended with a disastrous defeat of the USA, was accompanied by a large-scale disinformation campaign. This short-term, dishonest image policy resulted in a credibility gap with long-term effects.
Rigged elections: The invocation of the name “Milosevic” will suffice!
Broken promise: It makes an essential difference whether the person making the promise at the time believed in good faith that he would be able to fulfil it and circumstances then changed fundamentally in an unforeseeable manner, or whether he secretly harboured the intention to break the promise even at the time when he made it. The latter was the case when the Hungarian uprising was crushed in 1956. The Soviet government guaranteed the Hungarian Prime Minister Imre Nagy and his Defence Minister Pál Maleter safe conduct to the negotiations, and then arrested them immediately.
Politician’s official lie: The 1972–1974 Watergate affair is a case in point. In May 1972, the Democrat’s headquarters in the Watergate Building were broken into in order to tap the telephone of President Nixon’s Democratic rival. In June 1972, a second burglary was attempted, this time to tap the phone of the chairman of the Democratic Party. However, the burglars were caught, arrested and tried. On the strength of an investigation conducted by the Ministry of Justice, and of research carried out by two journalists on the Washington Post, it came to light that the break-ins had been executed with the approval of Nixon’s campaign chief, and that they were merely the tip of an iceberg of numerous dirty tricks, such as defamatory machinations against rivals of Nixon. The two journalists were later awarded the Pulitzer Prize. President Nixon tried to wriggle out of it by solemnly protesting that he knew nothing about is. He repeated this statement several times, both before and after his splendid re-election. After his re-election, the Senate set up an investigation committee. When it became known that all the conversations in the Oval Office of the White House had been tape-recorded, the Justice Ministry’s and the Senate Committee’s special investigator demanded that the tapes be surrendered. Nixon refused this request with reference to his executive privilege. However, the Supreme Court ordered the disclosure of the tapes, which revealed that Nixon had been informed three days after the second burglary at the latest, and that he had therefore lied to the American public several times. In July 1974, the House of Representatives initiated the impeachment proceeding against the President. Nixon escaped his impeachment by resigning from office.
Perjury before a parliamentary investigation committee: This leads us to the Iran/Contra affair of 1984–1986. It is documented in the case collection of Harvard University.54 The affair was an undercover action since it was known to only a few people in the National Security Council and in the CIA. President Reagan was partially informed, the Secretary of State and the Defence Minister were as good as not informed at all, and nor were Congress and the committees responsible for secret operations. The double affair consisted, first, in the secret sale of weapons to Iran for the liberation of American hostages in Lebanon and, second, in the use of the proceeds of the arms sales for the support of the Contra rebels against the Sandinista regime in Nicaragua. When the deal came to light, Congress conducted an investigation that lasted several months. During the interrogation, the two main protagonists, Admiral John Poindexter and Lieutenant Colonel Oliver North, lied to the Congress committees and sabotaged the investigation by destroying and forging documents. Even so, Congress managed to expose the affair. North was cashiered, and Poindexter had to resign from this office as the President’s security adviser.
The main protagonists tried to exonerate themselves by saying that the arms export had not been carried out directly but through third parties, that no budgetary funds released by Congress had been used, and the President had basically given his consent, and that lies and cover-ups had been necessary because the ”enemy” was listening in. Both covert operations were illegal since there was a ban on arms exports to Iran and because Congress had prohibited any support of the Contra rebels. Lying to parliament, and even more so committing perjury before a parliamentary investigation committee, cannot be justified in a democracy by any manner of means.
These horror stories involving different types and cases of whopping lie and other untruthfulness might create the impression that politics is a thoroughly dirty business even in constitutional democracies. This conclusion would, however, be premature. Although we are unaware of the percentage of undetected cases, we do not know when and how often politicians have been prevented from untruthful words and deeds by their personal integrity or for fear of the consequences of being found out.
3. Incentives for truthfulness
Are there any incentives for truthfulness in politics? Or more precisely: are there any incentives in person-oriented, institution-oriented or results-oriented ethics?55 Person-oriented political ethics strive towards an approximation to morally good politics through good office holders, institution-oriented ethics do so through good institutions, and results-oriented ethics through good results.
3.1 Person-oriented political ethics
In November 1997, the General Secretary of the United Nations was presented with a draft Universal Declaration of Human Responsibilities.56 The draft was conceived of as a counterpart to the Universal Declaration of Human Rights, which had been announced by the United Nations in 1948. Fifty years on, the declaration of rights was complemented by a declaration of responsibilities.
Art. 12 of the Universal Declaration of Human Responsibilities says: ”Every person has a responsibility to speak and act truthfully. No one, however high or mighty, should speak lies. The right to privacy and to personal and professional confidentiality is to be respected. No one is obliged to tell all the truth to everyone all the time.”
At first sight, this may sound naive. But on closer inspection, one is amazed to find that the author of the Universal Declaration of Human Responsibilities is none other than the InterAction Council, an association of former heads of state and heads of government from all five continents. Its Honorary Chairman is Helmut Schmidt, former Chancellor of the Federal Republic of Germany, and its present Chairman is Malcolm Fraser, former Prime Minister of Australia. Twenty-five of the elder statesmen signed the draft declaration, among them Switzerland’s former Federal Councillor Kurt Furgler.
The draft of the Universal Declaration of Human Responsibilities was not simply dashed off. Rather, it was prepared in two expert meetings and two annual general meetings of the InterAction Council. The main author was the Swiss theologian Hans Küng, who had initiated a worldwide movement with his book Global Responsibility. In Search of a New World Ethic in 1990. The aim of the movement is the establishment of a modicum of shared ethical values, fundamental attitudes and standards which can be agreed upon by, if at all possible, all the religions, regions and nations. In 1993, the Parliament of the World’s Religions issued a declaration regarding a global ethic.57 This declaration, as well as Hans Küng’s book A Global Politics and Economics, published in 1997, emphasise the obligation of truthfulness.58
The publication of the Universal Declaration of Human Responsibilities triggered of a partially fierce debate in the German weekly newspaper Die Zeit.59 This is not the place to go into the ins and outs of that debate, but a further-reaching result of the controversy has an immediate connection with the obligation of truthfulness. In his opening article, Helmut Schmidt had laid a false track.60 Like the Universal Declaration of Human Rights of 1948, the Declaration of Human Responsibilities is not legally binding; they are both declarations of intent. Yet the Declaration of Human Rights resulted in treaties that are binding under international law, particularly the two UN Human Rights Conventions of 1966. Now Helmut Schmidt hoped that the Declaration of Human Responsibilities would have a legal impact in a comparable manner. That was a wrong track. Why?
There are legal responsibilities, and there are ethical responsibilities. The distinction here used to be between perfect and imperfect responsibilities.61 Tax liability, conscription, electoral duty, the prohibition of torture, the prohibition of theft, the protection of the civilian population in times of war, etc., can be established as legal responsibilities. But the “responsibility to treat all people in a humane way” (Art. 1) or the golden rule “What you do not wish to be done to yourself, do not do to others” (Art. 4) are inappropriate for a legally binding form. The same applies to the obligation of truthfulness of Article 12.
If we recognise that the obligation of truthfulness is not meant as a legal responsibility but as a moral appeal, then it has the potential to sharpen office holder’s conscience. It does not only merit inclusion in a Universal Declaration of Human Responsibilities, but also in professional codes of conduct for politicians or in newly formulated political oaths, which office holders have to swear in most countries. Understood this way, Article 12 of the Universal Declaration of Human Responsibilities is not naive. And generally speaking, the wish appears to be justified that the Declaration of Human Responsibilities should be debated by the United Nations and that it should be adopted as a declaration of intent, possibly in an amended form.
3.2 Institution-oriented political ethics
Moral appeals on their own are effective only up to a point. Claus Offe wrote: “Politics are only as honest as their institutions are effective...”62 The qualifier “only” strikes me as exaggerated. However, institutions are very important as incentives for truthfulness. In a democracy, such institutions are the opposition, parliament, the judiciary, and the media. If they work well, they will discourage lies, deception and other kinds of untruthfulness.
In four of the cases discussed above, the democratic institutions functioned, albeit with losses, and only after the event. In the German party donation scandal, the media, parliament and the parties worked together. In the affair of the Pentagon Papers, it was a combination of an individual citizen’s personal courage, the media, and the Supreme Court. In the Watergate and Irangate cases, the checks worked thanks to the interaction between the media, the Justice Ministry, and Congress. Such cases may well act as signals. Any future politician will have to think about whether the risk of untruthfulness is worth it. He is well aware now that public response will be very severe. Those who are caught will have to expect a hiatus in their career, or its very end.
3.3 Results-oriented political ethics
Political trust and mistrust are the result of, among other things, truthful or untruthful behaviour. Truthfulness fosters trust, untruthfulness destroys it. Trust is a fundamental category in a democracy, in a constitutional state and in international law. The principle of trust is the foundation of all law. Politicians want to be elected or re-elected, i.e. they must make an effort to win the electorate’s trust. Political parties want to secure as big a share as possible in parliamentary and government power, i.e. they must also make an effort to win the electorate’s trust. It is not only the politicians and the political parties, however, that depend on the trust of the electorate and, in a direct democracy, of the voters; rather, trust and mistrust are also directed at institutions, at parliament, government, the judiciary, the constitutional state, democracy itself. In a democracy, any policy can only be implemented in the long term if it is accepted by the electorate, i.e. it again depends on trust. Elections and referendums are a trial of trust. In parliamentary democracies, votes of confidence or of no confidence may take place between election times. Opinion polls determine the measure of trust placed in persons, parties and institutions. An official ethical code enjoins US senators and representatives to behave so as not to bring Congress into disrepute.63 Most recently, ”truth commissions” have been set up, for instance in South Africa, to create a new basis of trust through reconciliation after bloody conflicts.
Of course, truthfulness and untruthfulness are not the only criteria of trust and mistrust. Other criteria include political successes and failures, or lawful and unlawful behaviour. However, the results of polls and media reports reveal very clearly that the politically interested general public responds very sensitively, angrily, indeed indignantly to untruthfulness. During the Vietnam War and in the wake of Watergate, the American’s trust in their own government shrank drastically: from three quarters in 1964 to a quarter in 1980.64 Similiar collapses of confidence could be observed as a consequence of the scandal surrounding the donations to the German Christian Democratic Union Party and the nuclear submarine disaster in Russia. Politician’s, political parties’ interest in preserving and enhancing trust is a positive incentive for truthfulness.
*
In the introduction, I quoted Václav Havel. To conclude, I would like to return to him. 2500 years of political ethics came and went until a statesman, namely Havel, raised truthfulness to the rank of a decisive quality of politics. Max Weber, in his famous lecture Politik als Beruf [Politics as a Profession], demanded three prime characteristics from politicians: passion for the cause, a sense of responsibility, and Augenmass.65 Should not a fourth characteristic be added: truthfulness?
Notes
1
Burckhardt 1921, pp. 33/96/140
2
Machiavelli 1667, I/26, p. 88
3
Arendt 1972, pp. 8/44
4
Luhmann, in: Kemper 1993, p. 40
5
Ibid., p. 34
6
Ibid., p. 39
7
Soeffner 1998, p. 224 (quoted after Münkler 2000, p. 303)
8
Revel 1990, p. 11
9
Nicomachian Ethics, 1127 a 20–1128 b 9
10
De mendacio and Contra mendacium
11
Summa theologica, II–II q. 109–112
12
Über ein vermeintes Recht aus Menschenliebe zu lügen (Kant, Vol. 4, pp. 637–643)
13
De regimine principum, pp. 80–82
14
Havel 1989
15
Havel 1991, pp. 8–17
16
Ibid., p. 83
17
Havel 1989, pp. 84–86
18
St Thomas Aquinas, II–II q. 109–112
19
Montaigne 1985, pp. 79–83 („Von denLügnern” [Of the liars])
20
Augustinus 1968, pp. 411–466/467–528; Müller 1962, pp. 52–56
21
Schockenhoff 2000, p. 59
22
Geismann/Oberer 1986
23
Ibid., pp. 23–25
24
Kant 1963, Vol. 4, pp. 637–643
25
Ibid., p. 562 („Metaphysik der Sitten” [The Metaphysics of Moral])
26
Plato, 389 b–d
27
Ibid., 414 c–415 b
28
Ibid., 459 c–e
29
Machiavelli, Il Principe, Chap. XVIII.
30
Cicero, De officiis, II/44, p. 181
31
Machiavelli 1990, pp. 375–379
32
Sternberger 1988, p. 85
33
Grotius 1950, III/1
34
Pufendorf 1994, I/10
35
Müller 1962, pp. 271–279/325–327/330–334
36
Bok 1980, p. 219
37
Ibid., pp. 98–116
38
Ibid., pp. 117–135
39
Ibid., pp. 119–132
40
Ibid., pp. 76/78
41
Ibid., p. 213; Schockenhoff 2000, p. 37
42
Gutmann/Thompson 1990, pp. 39–74
43
Pascal 1998, p. 679
44
Laros 1951, p. 37; Bok 1980, pp. 65/136; Schockenhoff 2000, pp. 106–108
45
Zagorin 1990; Schockenhoff 2000, p. 89
46
Bonhoeffer 1963, p. 388
47
Ibid., p. 391; Bok 1980, p. 178
48
Grotius 1950, III/1, VI
49
The Hague Law of Land Warfare, Art. 24
50
Gutmann/Thompson 1990, p. 44
51
Schockenhoff 2000, p. 324
52
Bok 1980, pp. 207–209
53
Arendt 1972, pp. 7–43
54
Gutmann/Thompson 1990, p. 48–60
55
For an explanation of this differentiation, cf. Riklin 1995
56
Text on: www.asiawide.or.jp/iac/UHDR/EngDecl1.htm
57
Towards a Global Ethic: an Initial Declaration, on www.cpwr.org/calldocs/EthicTOC.html
58
Küng 1997, pp 108–112
59
Die Zeit, No. 41 of 3/10/1997, No. 42 of 10/10/1997, no. 43 of 17/10/1997, No. 44 of 24/10/1997, No. 45 of 31/10/1997
60
Die Zeit, No. 41 of 3/10/1997
61
Küng in: Schmidt 1997, p. 92
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Offe in: Kemper 1993, p. 131
63
Martel 2001, p. 71
64
Orren 1997, pp. 80f
65
A term that does not readily translate into English. Literally “measurement by eye”, it means precisely that for a craftsman who, with a quick and experienced eye, is capable of measuring dimensions without the application of a measuring tape. At an abstract level, the term accordingly denotes a quick faculty of perception combined with a sound sense of judgement.
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The author is one of the founding professors of the Europa Institut Budapest and coeditor of the Statutes of the institute. From 1990 to 2002 he was a member of the Academic Advisory Council of the institute.