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HORST HASELSTEINER EMLÉKKÖNYVE
Europa Institut Budapest • Budapest 2012. 143–148. p.

ANDREAS OPLATKA

Heitere Bescheidenheit als Stil

Über Begegnungen, Gespräche und Gemeinsamkeiten – sehr persönlich

Auf die Gefahr hin, die Verachtung von Gelehrten auf mich zu ziehen: Das Beste an den wissenschaftlichen Tagungen sind die Pausen. Nicht des Kaffees wegen (der ist, weil für viele Leute literweise gekocht, zumeist abscheulich), sondern wegen der Bekanntschaften, die man machen kann. Oft sind diese neu geknüpften menschlichen Beziehungen die schönsten und nachhaltigsten Geschenke, die man von den Konferenzen nach Hause nimmt. Dies zumal dann, wenn sich die solcherart gewonnenen kollegialen Kontakte allmählich zu Freundschaften wandeln.

Der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde sei Dank, die mir mit ihren Jahrestagungen dazu verholfen hat, Horst Haselsteiner kennenzulernen. Wie das bei harmonischen Bindungen im Leben zumeist der Fall ist, waren die Anfänge unauffällig. Ich wüsste nicht mehr zu sagen, wann wir einander zum ersten Mal begegnet sind, doch mir scheint, dies muss Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre gewesen sein. Vielleicht war es in Coburg, vielleicht in Rostock oder in Berlin, jedenfalls aber in den aufregenden Zeiten, als die ostmitteleuropäischen Einparteistaaten jäh einstürzten und bald auch schon die Sowjetunion mit sich in den Abgrund rissen – eine wundersame und wunderbare Entwicklung, die für unsereinen, für die an Konferenzen versammelten Osteuropa-Experten, einen einzigen störenden Zug aufwies: Niemand von uns hatte diese einschneidenden Ereignisse vorausgesehen.

Doch wie dem auch sei, die außerordentlichen Vorgänge brachten uns als faszinierte Zeitzeugen einander noch leichter näher, sie lösten die Zungen, Stoff zum Besprechen gab es ja in Hülle und Fülle; wir, die Teilnehmer historisch-politischer Tagungen, durchlebten für einmal buchstäblich historische Wochen und Monate. So kam es, dass Horst Haselsteiner und ich in der Kaffeepause einer solchen Konferenz bald schon eine jener Diskussionen führten, bei denen man auch ohne große Überlegungen gleich instinktiv spürt: Da verstehst du und wirst verstanden, bei diesem anregenden Gespräch äußerst sich der andere nicht nur kenntnisreich, sondern ist auch jederzeit bereit zuzuhören und fremde Argumente zu erwägen – eine Unterhaltung, die Gleichgesinnte führen, die einander manches zu sagen haben.

Unauffällig, wie schon gesagt, war diese Begegnung. Keiner von uns beiden hatte an der Konferenz einen Vortrag gehalten, keiner ein aufsehenerregendes Votum abgegeben. Wir gehörten an der Tagung eher zu den stillen, interessierten Zuhörern. Nachträglich will mir scheinen, dass unsere Zurückhaltung wohl mit einem Stil und einer Gesinnung zu tun hatte. Weder der österreichische Professor noch ich, der aus Ungarn stammende und in der Schweiz aufgewachsene Pressemann, mochten uns an den gnadenlos scharf und nicht selten polemisch geführten Diskussionen beteiligen, jenen Ton anschlagen, welcher in der wenig zimperlichen deutschen Gelehrtenwelt offenkundig die Norm bestimmt.

Später sagte ich mir manchmal, dass Horst Haselsteiner – namentlich mit seinen Sprach- und Sachkenntnissen in balkanischen Belangen – so manch einem an diesen Tagungen hätte das Wasser reichen, ja ihn in den Sack stecken können, aber das war nun einmal nicht seine (gerade deswegen so sympathische) Art, sich zu geben. Und ich erinnere mich, anfänglich recht lange gebraucht zu haben, um herauszufinden, dass ich einem Universitätsprofessor gegenüberstehe; mein neuer Bekannter, anders als dies in solcher Lage manch einer tat, beeilte sich kein bisschen, mir seine Achtung gebietende Funktion mitzuteilen. Und als wir uns einander endlich vorstellten (und es nicht nur bei zwei gemurmelten Namen blieb, sondern wir beide auch begriffen, mit wem wir zu tun hatten), da bekam ich von Seiten Professor Haselsteiners keinen Augenblick lang den – mir doch sonst so sattsam bekannten – akademischen Standesdünkel zu spüren, da gab es nicht eine Spur der Herablassung dem anderen gegenüber, der „ja doch nur ein Journalist ist.”

Unsere Herkunft und unsere Lebensläufe brachten mit sich, dass wir die gleichen historischen Interessen und somit sehr viel Gesprächsstoff hatten, aber – und dies lag schon an unseren Laufbahnen – voneinander recht weit entfernt lebten. Und doch sind mir viele Begegnungen, viele gute Freundesgespräche gegenwärtig: in Wien im einen oder anderen Caféhaus, in Horsts Büro an der Universität oder in seiner Wohnung im Kreis seiner Familie an der Dapontegasse, im Ferienhaus im kulturhistorisch gesättigten Payerbach (über dessen Lokalgeschichte ich vom Gastgeber bei einem Waldspaziergang eine faszinierende Privatvorlesung zu hören bekam), immer wieder in Budapest und gelegentlich sogar in Zürich.

Wer Horst Haselsteiner auch nur ein bisschen kennt, ist mit dem Klischee vertraut, wonach er, der in der Vojvodina mit drei Muttersprachen – Deutsch, Ungarisch und Serbisch – aufgewachsen ist, gleichsam von Anfang an prädestiniert war für den Beruf des auf Ost- und Südosteuropa spezialisierten Historikers. Und nun könnte ich mich darüber verbreiten, dass zum Erfolg in diesem Fach doch noch einiges mehr nötig war, mehr an Leistung, die Horst Haselsteiner erbracht hat, doch das versteht sich von selber, und ich will die Klischees nicht vermehren. Als einem Freund sei mir dagegen gestattet, auf einen anderen Zug hinzuweisen: Ich habe Horst Haselsteiner bei aller sprachlichen Buntheit seiner Kindheit und bei allen seinen Streifzügen durch die Balkanländer immer eminent als Österreicher empfunden, und dies im besten Sinn dieser Bezeichnung. Was ich damit meine? Ich meine einen Gelehrten, der in seinem Fach Hervorragendes leistet, aber – so ganz anders als bei Fachbarbaren üblich – Augen und Ohren auch für anderes hat: für die ganze humanistische Palette. Dies nicht aus Bildungsbeflissenheit, sondern aus einem Bedürfnis, das so natürlich erscheint, dass es vielleicht nicht einmal formuliert zu werden braucht. Für dieses Lebensgefühl gehört die Musik „einfach dazu”, ein toller Don Giovanni in der Staatsoper ist ebenso ein Ereignis wie eine Schnitzler-Neuinszenierung im Akademietheater oder eine Kokoschka-Ausstellung in der Albertina. Et j’en passe.

Damit freilich erschöpft sich diese von mir gemeinte Charakterisierung nicht. Diese Selbstverständlichkeit der in kultureller Überlieferung eingebetteten Existenz ist womöglich nicht einmal die Hauptsache. Wichtiger an dieser Seinsweise scheint mir die Toleranz zu sein, die großzügige, heiter harmonische Übereinstimmung mit der Außenwelt, mit der eigenen Umgebung, das „Leben und leben lassen” – nicht als Parole (das wäre zu militärisch gedacht), sondern als Richtschnur im eigenen individuellen und gesellschaftlichen Verhalten. Und damit keine Missverständnisse aufkommen: Ich meine nicht – zumal wenn ich an die Parteipolitik denke –, dass das hier Gesagte für die heutigen Österreicher allgemein oder gar für alle gilt. Wohl aber meine ich, dass sich Menschen der von mir beschriebenen Art doch auffallend oft gerade in Österreich finden.

Und nun möge niemand summarisch von „Gemütlichkeit” sprechen, denn dieses Wort – schon wieder ein Klischee – streift nur die Oberfläche, es hält den flüchtigen Eindruck fest. Wissenschaftliche Strenge verträgt keinen gemütlichen Umgang mit den Fakten, und wer erfahren will, mit welch gewissenhafter Genauigkeit der Historiker Horst Haselsteiner arbeitet, der sehe sich etwa sein in verhältnismäßig frühen Jahren vorgelegtes Werk „Joseph II. und die Komitate Ungarns” an. Er wird in diesem Buch, das dem faszinierenden Gegensatz des in seiner Aufgeklärtheit nach Absolutismus strebenden Herrschers und der auf ihrem ständischen Konstitutionalismus beharrenden ungarischen Bezirke gewidmet ist, nicht nur einer sehr umfassenden Beschreibung der einschlägigen Ereignisse begegnen, sondern auch einer geduldig nach Vollständigkeit strebenden Schilderung aller zentralen und lokalen Behörden und Organe und vorab einer sehr präzisen und ausführlichen Bestimmung der Begriffe. Hier wie in allen späteren Arbeiten des Professors sind Nüchternheit und Klarsicht am Werk, ein Erkenntnis- und Gestaltungswille sowie Selbstdisziplin, die es dem Verfasser niemals gestatten würde, seinem Leser „gemütlich großzügig” ein X für ein U vorzumachen.

Sollte indessen jetzt der Eindruck entstanden sein, Horst Haselsteiner sei ein gleichmütiger, stets nur lächelnder Mann, dann ist er falsch. Es sei hier darum nicht verschwiegen, dass ich das eine oder andere Mal auch erlebt habe, wie er in heillose Wut geraten ist. Bezeichnenderweise geschah dies wegen der Wissenschaft – genauer: wegen der Wissenschaftspolitik und ihrer Handhabe – und nicht wegen persönlicher Probleme. Was letztere angeht: Selten habe ich bei einem Krankenbesuch einen so fröhlichen und zuversichtlichen Patienten getroffen wie Horst Haselsteiner unmittelbar nach einer doch recht schweren Knieoperation in einem Wiener Spital. Gründlich anders indessen ging es damals zu, als er zu erkennen glaubte, dass die Dinge an der Budapester Andrássy Universität in eine falsche Richtung liefen. Professor Haselsteiner gehörte um die Jahrtausendwende auf österreichischer Seite zu den Befürwortern und Förderern der Idee, in der ungarischen Hauptstadt eine deutschsprachige Nachdiplom-Universität ins Leben zu rufen. Interne Unstimmigkeiten, deren Beschreibung hier zu weit führen würde, nahmen ihm aber allmählich die Lust, und er schied, in seinem Aufbruch-Engagement enttäuscht, mit bitteren Gefühlen und nicht ohne Zorn vom Unterfangen. Dank gebührt ihm trotzdem für den Einsatz, mit dem er in den schweren Anfängen zur Gründung der Andrássy Universität beigetragen hat.

Und zuletzt noch, da dies hier doch sehr persönliche Erinnerungen sind, einige Worte in eigener Sache. Es geschah in den späten neunziger Jahren, dass ich mich neben meinem journalistischen Brotberuf ernsthaft daran machte, einen seit langem gehegten Plan zu verwirklichen: eine deutschsprachige Biographie des ungarischen Reformpolitikers Stephan Széchenyi zu schreiben, eines frühliberalen Gründergeistes und Förderers der Wirtschaft und der Wissenschaft in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Horst Haselsteiner, der auch selber über Széchenyi gearbeitet hatte, begleitete mein Tun von Anfang an mit freundschaftlichem und fachlichem Interesse. In manchem Gespräch verglichen wir unsere Ansichten über diese und jene Einzelheit im Leben und Tun des Grafen Széchenyi, Horst beriet mich, stimmte zu und verwarf, empfahl Sekundärliteratur und verschaffte mir die eine oder andere persönliche Bekanntschaft von Sachkennern, und zuletzt – mittlerweile schrieben wir schon 2003 – nahm er die Mühe auf sich, mein Manuskript kritisch zu lesen.

„Warum”, so fragte er mich wiederholt, „habilitierst du nicht mit dieser Arbeit bei mir?” Der Gedanke kam mir seltsam fremd vor. „Weil ich halt zur außenpolitischen Redaktion der Neuen Zürcher Zeitung gehöre und es mir dort gut gefällt”, erwiderte ich. Dann aber verschärfte sich die finanzielle Krise der gedruckten Medien, und mein Arbeitgeber, bei dem ich 35 Jahre verbracht hatte, kam zum Schluss, dass meine Dienste nicht mehr benötigt würden. In dieser jäh hereingebrochenen Lage erschien mir die Idee der Habilitation plötzlich nicht mehr so abwegig. Horst Haselsteiner und manch einer seiner Kollegen halfen mir in der Folge mit Rat und Tat, was schließlich dazu führte, dass ich im Herbst 2004 – meine Széchenyi-Biographie war in Wien ein halbes Jahr zuvor erschienen – im Institut für Osteuropäische Geschichte einer professoralen Kommission Rede und Antwort stand. Am Ende der Befragung hieß ich dann zur eigenen Verwunderung „Herr Dozent”. Horst allerdings hatte das letzte Wort nicht abgewartet, er war zuvor schon gegangen und kehrte gerade noch rechtzeitig mit zwei Flaschen Wein zurück…

Meine Habilitation wurde nach einer kurzen Prozedur auch in Budapest anerkannt. Neben und nach einem Gastspiel an der Universität Wien unterrichtete ich in den folgenden Jahren vor allem an der Andrássy Universität in Budapest. Horst Haselsteiner spielte auf diese Weise eine nicht unerhebliche Rolle in meinem Leben. Sein Wohlwollen und sein Helferwille legten für mich in späten Jahren nochmals den Weg frei zu einer neuen, sinnvollen und schönen Tätigkeit. Herzlichen Dank für alles, lieber Freund.