HORST HASELSTEINER EMLÉKKÖNYVE
Europa Institut Budapest • Budapest 2012. 89–95. p.
FERENC HENRIK GLATZ
Die Entwicklung der Wohnungssituation und die Förderungsmaßnahmen
nach dem Systemwandel in Ungarn
Prof. Horst Haselsteiner ist ständiger Gast im Europa Institut Budapest, seit der Gründung des Institutes bis zum heutigen Tag. Über unsere persönliche Bekanntschaft hinaus, die noch aus meiner Kindheit herrührt, war er mir ebenfalls bei der Knüpfung und Aufrechterhaltung meiner Fachkontakte behilflich. Als Forscher des Fachbereichs internationales Recht, insbesondere des internationalen Finanzrechts, lenkten die Kollegen an der Universität Wien meine Aufmerksamkeit auf zahlreiche Fragenbereiche, die die Rechtsgeber sowie die Vorbereiter der Entscheidungen, aber auch die Unternehmer beschäftigten. (Die folgende Studie verfasste ich u.a. ebenfalls im Auftrag der Kollegen in Wien.) Diese sollten – sei es die Rede von der Lebensmittelindustrie oder das Immobilienwesen – selbstverständlich auch dazu beitragen, dass gemeinsame österreichisch-ungarische Unternehmen gegründet und die bereits bestehenden verstärkt werden. Ich habe daran fest geglaubt, dass das wirtschaftliche-kulturelle Beziehungssystem zwischen den beiden Ländern sich nicht nur positiv auf die zwischenstaatlichen Beziehungen, sondern gleichwohl auf das Beziehungssystem innerhalb der Privatsphäre auswirken wird.
In dem hier vorliegenden Band widme ich Herrn Professor Haselsteiner den „historischen Teil” aus einen meiner längeren Studien, in der ich bestrebt war die Entwicklung vor dem Systemwandel sowie in den ersten zehn Jahren nach dem Systemwandel darzustellen.
Wohnungssituation und Bauförderung vor 1989
Das bezeichnende Merkmal der Wohnungssituation in Ungarn war zum Zeitpunkt des Systemwandels die im staatlichen Eigentum stehende Wohnung. Sie war speziell in den Großstädten und in Budapest typisch. Im staatlichen Wohnbau bestimmten die entsprechenden „wohnrechtlichen” Rechtsvorschriften, wer zur Miete einer staatlichen Wohnung berechtigt war. Die Entscheidung und Zuweisung erfolgte im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens durch die so genannten Wohnungsabteilungen.
Als Maßstab diente die „Größe des Bedarfs”. Jungverheiratete und Kinder erziehende Eltern wurden bevorzugt, die Anzahl der Kinder wurde besonders berücksichtigt. Wer die in der Rechtsnorm bestimmte Einkommenslage erreicht beziehungsweise überschritten hatte, hatte keinen Anspruch mehr auf eine staatliche Mietwohnung. Die Betroffenen mussten ihren Wohnbedarf selbst, „aus eigener Kraft”, decken.
Die „eigene Kraft” bedeutete in erster Linie den Kauf von durch die OTP (Landessparkasse) als investierende Bank gebauten Gemeinschaftshäusern und Genossenschaftswohnungen.
Die OTP war in einer Doppelrolle tätig: Als staatliche Bank und Investor legte sie einerseits die Baukosten und den Preis der zu verwertenden Wohnungen fest, andererseits konnte sie als Bank auf Antrag auch die notwendigen Kredite mit günstiger Laufzeit und niedrigen Zinsen (durchschnittlich 2 bis 3 Prozent) gewähren. Die Laufzeit betrug zwischen 10 und 25 Jahren. Gemäß ihrer Geschäftspolitik bevorzugte die OTP Käufer, die bar oder in Valuten zahlen konnten.
Auch zu der auf dem Land üblichen Wohnbauform, dem Bau von Einfamilienhäusern, gewährte die OTP Kredite zu den gleichen Konditionen wie zum Wohnungskauf. Wie die Käufer „aus eigener Kraft”, erhielten auch die Hausbauer, die nach der Anzahl der Kinder festgelegte „familienpolitische Förderung”. Diese wurden von der OTP bei bereits geborenen Kindern bzw. für höchstens zwei Kinder im Falle von Jungverheirateten sogar bevorschusst, die Bank verpflichtete aber die Antragssteller zur Rückzahlung des Betrages, wenn die im Vertrag (und im Gesetz) festgeschriebene Anzahl von Kindern nicht geboren wurde.
Die gesamte Kreditkonstruktion wurde von der OTP abgewickelt (sie war Verkäufer und Kreditgeber gleichzeitig); sie rief sogar die nach der Anzahl der Kinder gebührende Förderung aus dem Staatsbudget ab.
In kleineren Siedlungen war die Situation umgekehrt. Anstatt der als staatlich oder OTP-Investition gebauten Wohnungskonstruktionen war eher der Bau von Einfamilienhäusern aus eigener Kraft bezeichnend. Dazu steuerten die lokalen Selbstverwaltungen meist die Grundstücke zu günstigen Preisen sowie die Infrastruktur kostenlos oder – später – zum Selbstkostenpreis bei. (Sie boten Grundstücke mit voller Infrastruktur an.)
Der Staat unterstützte vor allem jene Bürger bei ihrem Wohnungserwerb, die ihre Wohnungsnot aus eigener Kraft lösten, indem sie zu Liegenschaftseigentümern wurden. Ein Teil der Unterstützung bestand aus der für einen bestimmten Zeitraum – meist für 25 Jahre – gewährten Befreiung der erworbenen Liegenschaft von der Steuerpflicht. Diese Steuerbefreiung fiel meistens mit der 25-jährigen Laufzeit der OTP-Kredite zusammen. Während der Laufzeit des OTP-Kredits musste also als „staatliche Förderungsform” keine Gebäudesteuer bezahlt werden.
Zusammenfassend kann man feststellen, dass bis zum Systemwandel jeder ungarischer Staatsbürger ein subjektives Recht auf eine Wohnung hatte. Löste er seine Wohnungsnot aber aus eigener Kraft, gewährte der Staat eine nicht rückzahlungspflichtige Förderung (Bevorschussung bei zwei Kindern), einen günstig verzinsten Kredit mit langer Laufzeit (wenn die Beurteilung des Kreditansuchens günstig ausfiel) und für die Dauer der Laufzeit eine Steuerbefreiung bezüglich des Wohnungseigentums.
Über die Formen der staatlichen Förderung hinaus konnte jeder Staatsbürger, der einen ständigen Arbeitsplatz hatte, ein sog. zinsfreies Darlehen aufnehmen (Arbeitgeberdarlehen). Dieses wurde ebenfalls von der OTP ausbezahlt und konnte – nur von einer Bearbeitungsgebühr der OTP (3 bis 5 Prozent) belastet – mit einer Laufzeit von 5 bis 10 Jahren in Raten abbezahlt werden. Dieses Darlehen wurde bei Baubeginn im Zuge der Überprüfung des Kreditansuchens bei der OTP als Eigenmittel berücksichtigt.
Nach 1989
Mit dem Inkrafttreten des Umsatzsteuergesetzes nach dem Systemwandel, der eine sofortige 25-prozentige Preiserhöhung mit sich brachte, erfuhr das System des Wohnbaus eine grundlegende Änderung. Mit der „Marktkonditionierung” der Kredite wurden die Zinsen schlagartig von 2 auf 16 bis 26 Prozent erhöht. Die OTP eröffnete ihren Kreditnehmern vor dem einseitigen Umstieg die Möglichkeit, ihre Schulden mit der Zahlung von 70 Prozent der mit Zinseszinsen gerechneten Forderung in einem Betrag zu begleichen.
Jene Kreditnehmer, die dazu nicht in der Lage waren, gerieten in eine Schuldenfalle: Sie konnten die aus der Zeit vor dem Systemwandel „mitgebrachte” Kapitalschuld und die marktgerechten Zinsen nicht bezahlen. Zur Erleichterung der Zahlung bot auf Antrag das Sozial- und Familienministerium innerhalb des Rahmens einer im Jahresbudget bestimmten Summe eine soziale Förderung zur Zinsdifferenz. Die OTP verwaltet auch heute noch 25 000 bis 40 000 solcher Verträge.
Zu diesen Kreditkonstruktionen gehören auch jene Kredite, welche im Zuge des Verkaufs einer hohen Anzahl an staatlichen Wohnungen an den Mieter aufgenommen wurden.
Die Wohnungen wurden in erster Linie deren Bewohnern zum 40- bis 60-prozentigen Marktwert verkauft. Auch der Marktwert wurde nach sozialen Gesichtspunkten festgestellt (Vergünstigungen z. B. für Pensionäre).
An der Veräußerung wirkte in den meisten Fällen die OTP mit, da auch der so festgestellte Kaufpreis mit einem Kredit beglichen oder in Raten abbezahlt werden konnte. Für die Dauer der Abzahlung ließ die OTP bis zur Höhe der Gesamtsumme ein Veräußerungs- und Belastungsverbot eintragen, dessen Löschung nur anhand der der Bezahlung der gesamten Forderung folgenden Erklärung ihrerseits erfolgen konnte. Die mit solchen Forderungen belasteten Liegenschaften konnten nur ausnahmsweise und nur in äußerst berücksichtigungswürdigen Fällen veräußert werden, in denen die OTP mit dem neuen Eigentümer die Übernahme der Forderung vertraglich vereinbarte oder die im Zuge der über sie laufenden Kaufpreiszahlung die Forderung vom Kaufpreis einbehielt.
Eine weitere Förderung genossen pensionierte Mieter beim Kauf ihrer gemieteten Wohnung. Machten sie ihr Vorkaufsrecht geltend, erhielten sie eine weitere Vergünstigung bei der Feststellung des Kaufpreises. Konnten oder wollten sie hingegen die Wohnung nicht kaufen, bekamen sie eine gesetzliche Garantie, dass sie der neue Eigentümer fünf Jahre lang nicht delogieren und die Miete nicht über jenes Maß (auf marktgerechtes Niveau) erhöhen dürfe, das für staatliche Wohnungen kundgemacht worden war.
Hand in Hand mit dem massiven Wohnungsverkauf wurde die Liegenschaftssteuer aufgehoben. Zurzeit sind zwar die lokalen Selbstverwaltungen (Gemeinden) zur Einhebung von Gebäudesteuern berechtigt, jedoch stellen hierbei die zu Wohnzwecken benutzten Gebäude(teile) Ausnahmen dar. Die Liegenschaftssteuer kann demnach nach Werkstätten, Garagen und sonstigen Wirtschaftsgebäuden sowie nach den zumeist zu Urlaubszwecken benutzten Liegenschaften ausländischer Eigentümer eingehoben werden. (Der Rechtsgrund für Letzteres ist aus verfassungsrechtlicher Sicht umstritten.)
Nach 1989 wurde zur Entwicklung der Infrastruktur neben staatlichen Förderungen auch privates Kapital in Anspruch genommen und der Bedarf der Bevölkerung an Infrastruktur (Gas, Wasser, Kanalisation etc.) in Form von „Infrastrukturgesellschaften” gelöst. Für neu errichtete Infrastruktur haben die Liegenschaftseigentümer eine einmalige Eintrittsgebühr und später, schon als Mitglieder, die Gebühren der Dienstleistungen (Wasser- und Kanalisationsgebühr etc.) zu bezahlen.
Das Wohnbauinteresse ließ nach 1994 deutlich nach; die Renovierung von Wohnungen, die Erhöhung der Komfortstufe und die Sicherung von höherwertigen Wohnumständen trat in den Vordergrund.
Die Anzahl der neu gebauten Wohnungen entspricht in etwa dem Bestand der allmählich verschwindenden (Abriss, Auflassung) Wohnungen. Zwischen der Wohnmobilität der Städte und jener der ländlichen Gemeinden ist eine signifikante Abweichung festzustellen.
Die derzeit geltende Förderungskonstruktion der zwischen 1998 und 2002 tätigen Orbán-Regierung – sie dehnte den Zinszuschuss auf gebrauchte Wohnungen aus – könnte auf dem Markt der gebrauchten Wohnungen mit einer erheblichen Preiserhöhung, auf dem der neuen Wohnungen mit einer Preisminderung einhergehen. Nach Analystenmeinung ist diese Annahme zwar logisch, aber nicht zwingend.
Nach der Ansicht der Leiter des Informations- und Wirtschaftsforschungsbüros bewirkt die Maßnahme zwar die Steigerung der Nachfrage, was an sich einen preissteigernden Effekt darstellt, doch zeigt die Erfahrung, dass von dem 4 Millionen Wohnungen zählenden ungarischen Wohnungsbestand nur 10 Prozent, ca. 300 000 bis 400 000 Wohnungen, auf dem Markt präsent sind. In Folge einer derartigen Erhöhung des Angebots kann nur von einer Preissteigerung von unter 10 Prozent ausgegangen werden.
Nach Meinung einiger Immobilienmakler hat die jährliche Nachfrage nach 35 000 bis 40 000 neuen Wohnungen nicht abgenommen und wird sogar – in der Zukunft – noch steigen. (Für den Bau oder Kauf einer neuen Wohnung muss meist die alte verkauft werden.) Es ist absehbar, dass sich das Verhältnis der Kredite, die zum Kauf der neuen und der gebrauchten Wohnungen in Anspruch genommen werden, nicht signifikant ändern wird.
Trotz der Änderung der Zinsen (durch die diversen Förderungsformen haben sie stark abgenommen) ist der Zugang zu den Krediten nicht leichter geworden. So müssen zum Beispiel beim Kauf einer gebrauchten Wohnung 30 Prozent des Kaufpreises als Eigenmittel nachgewiesen werden. Gleichzeitig hat die Bodenkredit- und Hypothekenbank (Földhitel- és Jelzálogbank) jenen Teil des Kaufpreises, der als Kredit aufgenommen werden kann, mit höchstens 60 Prozent festgesetzt. Bei einem Zins von 6 Prozent muss der Käufer 50 Prozent des Kaufpreises einer neuen Wohnung selbst aufbringen. Verfügt er nicht über diese Summe, kann er aber eine entsprechende Liegenschaft als Sicherheit anbieten, kann das Kreditinstitut – bei grundbücherlicher Einverleibung von Hypotheken – die erforderlichen Eigenmittel bis auf 20 Prozent senken. Bei zwei oder mehreren zur Sicherheit angebotenen Liegenschaften kann die Bank sogar ganz von der Erfordernis einer Mindestsumme von Eigenmitteln absehen.
Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass sich die ungarischen
Kreditnehmer in ihren Entscheidungen von der Höhe der Zinsen nicht übermäßig beeinflussen lassen, viel mehr macht das Verhältnis der Schuldenlast und des Einkommens aus.
Menschen mit niedrigem Einkommen suchen also nach wie vor nicht um Zinszuschuss an. Auf dem Wohnungsmarkt sind die langfristigen Entscheidungen der Haushalte maßgeblich, die nicht oder nur im geringen Maße von den Entscheidungen über Zinszuschüsse beeinflusst werden. Ein junges Ehepaar unter 35 Jahren (mit Durchschnittseinkommen) mit zwei Kindern ist zum Beispiel für die Banken derzeit nicht kreditwürdig. Als solche werden die Mitglieder der oberen Schicht, des sog. bürgerlichen Mittelstandes, bewertet.