I.
Der unumkehrbare Systemwechsel
Bericht
über die Tätigkeit des Europa Institutes Budapest
1994–1995
Die erste Etappe der Umgestaltungsperiode in den einstigen sozialistischen Ländern ist abgeschlossen. Egal, was man von jedweder Regierung behauptet – in einem Teil der Länder der Region stellt der Systemwandel einen irreversiblen, nicht mehr rückgängig zu machenden Prozess dar. Das Mehrparteiensystem und demokratische Institutionen wurden geschaffen, die formelle Eingliederung dieser Staaten in das westliche politische System ist erfolgt, Basisinstitutionen der Marktwirtschaft sind zustande gekommen, und beseitigt wurden die persönliche Freiheit einschränkenden Überreste der Diktatur des Proletariats. Die Frage stellt sich nun bereits folgendermaßen: sind wohl die Völker dieser Region in der Lage, jene ihrer spezifischen Lage entsprechenden Produktionszweige zu entdecken, welche ihnen ein organisches Einfügen in den Weltmarkt ermöglichen? Ebenso geht es weiterhin darum, dass die politische Elite jener Länder in der Lage sein muss, solche Institutionssysteme der Bildung und Kultur zu finden, die das Niveau der Arbeitskräfte heben und damit die Arbeitskraft (d. h. den Menschen an sich) auf dem Gebiet von Produktion, politischer Kultur, Verhalten und Allgemeinbildung kompatibel zu Europa gestalten.
Während die Aufgabe der ersten Epoche des Systemwandels in der Schaffung irreversibler demokratischer Institutionen bestand, lautet jetzt, in der zweiten Periode das hauptsächliche Problem wie folgt: im Rahmen der Institutionen Hebung des Niveaus hinsichtlich des Humanfaktors. Der größte Widerspruch in diesen Jahren besteht darin, dass im Prozess des Abbaus staatssozialistischer Überreste notwendigerweise kontinuierlich die Etatausgaben sinken, was die in vollem Umfange staatlich finanzierte Kultur ebenso betrifft, wie andere Zweige des Staatshaushaltes. Die ehemaligen sozialistischen Länder politisieren in der gegenwärtigen Periode noch genauso, wie zu Zeiten des Staatssozialismus: man ist nicht fähig, exakte Präferenzen in Hinsicht auf die Zukunft aufzustellen; sowohl Wachstum als auch Einschränkungen – wie im vorliegenden Falle – werden auf sämtlichen Gebieten des staatlichen Lebens gleichberechtigt ausgeführt. D. h. auch im Bereich der Kultur. Mit anderen Worten: es wird jenes Fundament zerbröckelt, welches in den kommenden Jahrzehnten die Basis einer eventuellen wirtschaftlichen und gleichzeitig damit politischen Konsolidation bilden könnte...
Frühere und neue Zielsetzungen
Das Europa Institut Budapest hat im Jahre 1990 vom Kuratorium und dem Wissenschaftlichen Beirat als Zielstellung die Unterstützung der sich zu jener Zeit beschleunigenden europäischen Vereinigungsprozesse erhalten. Wir waren darum bemüht, mit der Gewährung von Stipendien, der Veranstaltung von Konferenzen und Seminaren einen Beitrag zur Entwicklung des wissenschaftlich-kulturellen Beziehungssystems der Region zu Westeuropa und damit zwischen Ungarn und seiner Umwelt zu leisten. Den derzeitigen Zielsetzungen gemäß haben wir die wissenschaftlichen Themenpräferenzen und organisatorischen Rahmen der Veranstaltungen des Institutes angenommen. Auf den Sitzungen des Wissenschaftlichen Beirates bzw. des Kuratoriums im Jahre 1994 haben wir einen zusammenfassenden Bericht zu dieser Tätigkeit vorgelegt, der von beiden Leitungsgremien angenommen wurde. Gleichzeitig jedoch gab es in jedem Jahr sowohl seitens der leitenden Körperschaften als auch auf Vorstandssitzungen immer wieder neue Vorschläge zu Themen, zur Schaffung anderer organisatorischer Formen. (Memorial Lecture, wirtschaftspolitische Seminare, Minderheitenproblem, Mitteleuropa-Projekt usw.).
Die Betonung lag bei unserem Wirken jedenfalls immer auf der Erschaffung ‘wissenschaftlicher und kultureller Bindeglieder’. Das Institut mit seinem Organisationsteam wirklich weniger Mitarbeiter hat sich zur ersten Kraft internationaler kultureller Beziehungsorganisatoren betreffs ungarischer Gesellschaftswissenschaften entwickelt. Dem Institut ist es gelungen, innerhalb weniger Jahre die auf diesem Gebiet über eine jahrzehntelange Vergangenheit verfügenden und mit unvergleichlich bedeutenderer Infrastruktur tätigen gesellschaftswissenschaftlichen Institute und Lehrstühle an Effektivität zu überbieten. Die internationale und heimische Anerkennung in den Bereichen von Kultur- und Wissenschaftspolitik ist eine herausragende: Staatspräsidenten mehrerer europäischer Länder, Ministerpräsidenten, zahlreiche Minister, herausragende Persönlichkeiten des geistigen und politischen Lebens suchten und suchen das Institut regelmäßig auf. In den Reihen des ‘Stammpublikums’ des Institutes sitzen die Mitglieder des heimischen ökonomischen und politischen Lebens ebenso wie die Vertreter der Presse oder jene des diplomatischen Korps. Wir erachten es als eine Selbstverständlichkeit, dass in den kommenden Jahren die sich bereits gut bewährenden Veranstaltungsserien fortzusetzen sind. Doch ist es ebenso selbstverständlich für uns, in Anbetracht der neuen politischen und kulturpolitischen Herausforderungen der Region für die kommenden Jahre diese in den Zielsetzungen zu berücksichtigen.
Der diesjährige Jahresbericht ist somit – so meine ich – auch mit den Plänen für die Zukunft zu ergänzen, der Unterbreitung von Plänen, welche sich den humanpolitischen Herausforderungen einer neuen Etappe des Systemwechsels stellen.
Unbegründete Erwartungen: Enttäuschungen
Die vergangenen 5 Jahre haben für die Länder der einstigen Sowjetzone zahllose Enttäuschungen und viele Lehren mit sich gebracht.
Ein Teil der Enttäuschungen war den irrealen Erwartungen zu verdanken: die Länder der Region träumten von umfassender westlicher Unterstützung bzw. von bedeutenden Investitionen. Man beachtete nicht, dass auch in Westeuropa eine wirtschaftliche Rezession herrscht, und man berücksichtigte noch weniger, dass mit dem Fortschritt auf dem Gebiet der Telekommunikation sich der Weltmarkt in den vergangenen 20 Jahren außerordentlich ausweitete. Das westeuropäische Kapital fließt nun bereits ungehindert vom europäischen Zentrum in viele tausend Kilometer Entfernung. Damit hat die mittel-osteuropäische Region sich der Konkurrenz des Arbeitskräftemarktes des Fernen Ostens und anderer Kontinente im Wettbewerb zu stellen. U.a. erklärt dies den geringer als erwarteten Kapitalfluss westeuropäischer und amerikanischer Mittel in die Region. Eine andere Erklärung für das Ausbleiben von Investitionen: das niedrige Niveau der Arbeitskraft der Region, in erster Linie bezüglich Arbeitsmoral und Leistungsvermögen, bei gleichzeitig verhältnismäßig hohem Preis der Arbeitskraft. Man lebt hier im Vergleich zum Weltniveau noch immer auf einer höheren Ebene, als auf welcher man im Vergleich zum Weltniveau arbeitet. Das wird von keinem einzigen führenden Politiker des Westens formuliert, und selbstverständlich auch nicht von den Geschäftsleuten. Sie bleiben einfach fern und wenden sich mit ihren Investitionen dem Fernen Osten, Afrika oder gar Südamerika zu. Der Region verbleibt eine einzige Chance: die ökonomische und außenpolitische Denkweise, die Kompatibilität wirtschaftlicher und politischer Institutionssysteme ist so schnell wie möglich auf das westeuropäische Niveau zu heben. Dies wiederum erfordert eine zur westeuropäischen kompatible Eigentums- und Steuerpolitik, das Umprogrammieren der Präferenzen von Industrie und Agrarsektor sowie eine beschleunigte Umqualifizierung der Arbeitskraft.
Diese Prinzipien kristallisierten sich u. a. anlässlich jener wirtschafts- und außenpolitischen Vorträge bzw. Seminare heraus, die in diesem Jahr von uns organisiert wurden. (Der Vortrag von Tamás Sárközy zu den Chancen der Regierungspolitik in Bezug auf die Beschleunigung der Privatisierung; der Wandel in Osteuropa aus dem Blickwinkel der amerikanischen Administration – im Vortrag von Charles Gati usw.). Darauf richtete aber auch jenes Podiumsgespräch das Augenmerk, das vom Europa Institut im Gebäude des ungarischen Parlamentes am 10. September 1994 veranstaltet wurde und zu dessen Beteiligten Heinz Fischer, Präsident des Österreichischen Nationalrates, Hans-Dietrich Genscher, Außenminister a.D. der Bundesrepublik Deutschland, der Ministerpräsident Gyula Horn und der Intendant des ORF, Paul Lendvai zählten. Den einführenden Vortrag und das Schlusswort hielt Ferenc Glatz. Die ein großes politisches und kulturelles Echo findende Konferenz haben Presse und öffentliche Meinung übereinstimmend wie folgt charakterisiert: auch die neue sozial- liberale Regierung wünscht nicht mit der Politik der Marktwirtschaft und Verbürgerlichung zu brechen, sondern ist um deren radikale Weiterführung bemüht.
Erhöht wird das Ausmaß der Enttäuschung bei den Gesellschaften der Region durch jenen Umstand, dass einer Demokratisierung politischer Institutionssysteme nur langsam jene des gesellschaftlichen Allgemeindenkens und gesellschaftlicher Praxis folgen. Nur langsam erwachen die Zivilorgane zu neuem Leben, nach vierzigjähriger Unterdrückung findet die Kirche noch immer keine führende Kaderschicht, die Toleranz steht sowohl auf ethnischer als auch konfessioneller Ebene im gesellschaftlichen Alltag praktisch auf niedrigerem Niveau als in den 80-er Jahren. Schon aus diesem Grunde belastet das Minderheitenproblem das Beziehungssystem Ungarns zu seinen Nachbarn, ja sogar jenes von Ungarn zu Westeuropa. Bereits auf den Sitzungen des Kuratoriums und des Wissenschaftlichen Beirates von 1991 wurde akzeptiert, dass sich das Institut vorrangig mit den Wurzeln ethnischer Minderheitenkonflikte und der Suche nach Lösungen in Mitteleuropa befassen sollte. Es wurde das unter der Leitung des Direktors stehende, neben dem Institut tätige Arbeitsteam aufgestellt, welches eine historisch-politisch-statistische Dokumentationsbasis zum Minderheitenproblem in Mitteleuropa ausarbeitete. Im Rahmen dieses Projektes schrieb der Direktor im Mai 1992 seine Studie ‘Minderheitenprobleme in Mitteleuropa gestern und heute’. Dieser Band – wie den Mitgliedern des Kuratoriums bzw. des Wissenschaftlichen Beirates bekannt ist – erschien 1992 in 35 000 Exemplaren in ungarischer Sprache und wurde im Laufe des vergangenen Jahres in englischer, deutscher, rumänischer und slowakischer Sprache veröffentlicht. In den Weltsprachen des Westens bzw. in den Sprachen der Nachbarländer deshalb, weil wir zu demonstrieren wünschten, dass es sich bei den Minderheitenkonflikten nicht einfach um ein slowakisches, ungarisches, rumänisches, serbisches, kroatisches bzw. bosnisches oder ähnliches Problem handelt, sondern um eines der gemeinsamen regionalen Probleme des Territoriums Mitteleuropa. Es geht nicht darum, einen Wettlauf zu den Westmächten zu beginnen, Pluspunkte zu sammeln und unsere Nachbarn anzuschwärzen – nein, die Völker der Region haben gemeinsam eine Lösung zu finden. Vom System der Großmächte erwarten wir hierfür, ebenso wie von internationalen Organisationen, internationale Sicherheiten und Garantien. Diese Hefte haben unter anderem dazu beigetragen, dass in der Angelegenheit der Grundsatzverträge zwischen Ungarn und der Slowakei bzw. Rumänien Fortschritte erzielt werden konnten, worauf hier jedoch nicht näher eingegangen werden kann. Die Broschüren kamen planmäßig in den Wochen vor Beginn der Verhandlungen auf den Markt. Einer der Schwachpunkte bei den sog. Sachverständigenberatungen dieser Verhandlungsserie war jene Tatsache, dass man nicht den Standpunkt des anderen kannte. Es existierten einfach nicht die entsprechenden Dokumente, welche den gemeinsamen Begriffs- und Auslegungsrahmen hätten sichern können. Die slowakisch- und rumänischsprachige Ausgabe dieser Veröffentlichung des Europa Institutes stellte den ‘nicht offiziell’ genutzten Lesestoff für diese Verhandlungen dar.
Mit Unterstützung der Arbeitsgruppe Minderheitenpolitik des Europa Institutes wurde der erste ernsthafte, auch auf internationaler Ebene kolportierte Autonomieentwurf der Region, jener der Ungarn in der Woiwodschaft, zusammengestellt. Der Direktor selbst hat diesen Autonomieentwurf in Serbien vorgestellt. Dieser ‘Vorstellungsvortrag’ fand sowohl bei der örtlichen serbischen Mehrheit als auch bei der kroatischen Minderheit Beachtung.
Das Europa Institut ist weiterhin an den von der Bertelsmann Stiftung finanzierten und organisierten mitteleuropäischen Minderheitenforschungen beteiligt. Im Ergebnis dessen, dass das Europa Institut sowohl im Laufe der vergangenen Jahre als auch jetzt noch sich den ‘nationalen Zwistigkeiten’ der Region fernhalten konnte, ebenso wie den verschiedensten, entfesselten nationalistischen Hysterien, wird das Institut von den Vertretern verschiedenster Nationen hinsichtlich der Schlichtung nationaler Streitigkeiten als eine den Konsens ermöglichende Institution angesehen.
Die von dem Europa Institut Budapest veranstalteten Konferenzen, Debatten und Seminare handelten jedoch nicht allein von den Enttäuschungen, die den Völkern der Region nach 1990 bereitet wurden. Sie führten u. a. zu Schlussfolgerungen, formuliert auch in Tageszeitungen und Zeitschriften in den Berichten über unsere Veranstaltungen.
Woher – wohin?
Erste Schlussfolgerung: Hinsichtlich des ökonomischen und politischen Wandels der Region ist das ‘woher – wohin?’ zu klären. Mit anderen Worten: gründlicher und quellenmäßig ist die Geschichte der vergangenen 40 Jahre zu studieren, vor allem von jenem Gesichtspunkt her, welche Basis wohl die Institutionen dieser Jahre für die neue, demokratische Gesellschaft bilden. Auch das ‘wohin?’ ist zu klären. Das Europa Institut und die Ungarische Akademie der Wissenschaften stellen gemeinsam eine Datensammlung zur Geschichte der vergangenen 40 Jahre, über die Kádár-Ära (1956–1989) bzw. das Sowjetsystem (1949–1989) zusammen. Dieses Projekt wird in vollem Umfange von der Kommission Zeitgeschichte der Akademie finanziert. (Neben der äußerst detaillierten Chronologie bis 1994 wird dieser Band 11 umfassende Studien zum Staatsaufbau, zur politischen Partei, über die Organe der Interessenvertretung, die Entwicklung von Landwirtschaft und Industrie usw. enthalten.) Deklariertes Ziel des Bandes ist die faktenmäßige Erleuchtung der Vorgeschichte gegenwärtiger Probleme. (Oder mit anderen Worten: eine historisch-politische Studie.) Die vergleichende Sammlung zur Geschichte des Sowjetsystems erfordert zumindest noch 2 Jahre an Faktenermittlung. Beide Bände wünschen wir später auch in englischer und deutscher Sprache zu publizieren.
Auf das ‘wohin?’ erteilen die im Institut veranstalteten Konferenzen und Vorträge differenzierte Antworten. Mehrfach wurde betont: westeuropäische oder gar amerikanische Institutionen können nicht einfach kopiert werden. Ihre Transformation in die Gesellschaften unserer Region in unveränderter Form führt nicht zu den gleichen Gesellschaften wie in Westeuropa und Amerika. Es muss zur Kenntnis genommen werden, dass wir uns eingehender mit den Spezifika dieser Region zu befassen haben. Den regionalen Eigenheiten ist eine viel größere Aufmerksamkeit zu widmen – und überhaupt dem Regionalismus – wenn es um die Entwicklung im kommenden Jahrzehnt geht. Mit Bedauern konstatierten viele der Referenten, dass im Prozess der Vereinigung Europas dem Regionalismus nicht die ihm gebührende Aufmerksamkeit gewidmet wird. Weiterhin ist noch immer nicht geklärt, welchen Typs die sogenannten Euroregionen sein sollten, welche Vollmachten ihnen von den Verwaltungen der gegenwärtigen staatlichen Verwaltung übertragen werden könnten. Oder wären sie nur einfach dem Staatsverwaltungssystem untergeordnete wirtschaftliche, kulturelle Einheiten? Überhaupt – wer und welche Institutionen würden diese regionalen Einheiten aus welchem finanziellen Fonds gestalten? Es wurde festgestellt, dass es eine der bedeutendsten Schlussfolgerungen der ersten Periode des Wandels zwischen 1990 und 1995 ist: der Planung spezifisch-typischer regionaler Institutionssysteme sind umfassendere geistige Energien zu widmen.
Die „Aktualität” Mitteleuropas
Die zweite Schlussfolgerung für die Länder der Region lautet gemäß unserer Konferenz: Mitteleuropa stellt noch immer ein aktuelles Programm dar. Im Rahmen des vereinten Europas bleiben sicherlich jene permanenten Kräfte bestehen (ethnische und konfessionelle Spezifika, Gepflogenheiten, sich aus der geographischen Gegebenheit der Region ergebende Produktionsstrukturen), welche ausschließlich mit lokalen politischen Mitteln gehandhabt werden können. Im Verlaufe der letzten fünf Jahre hat sich herausgestellt: westeuropäische politische Institutionen sind nicht dazu in der Lage, nationale oder örtliche soziale Spannungen zu lösen oder lokale Produktionsstrukturen zu modernisieren. Diese sind von der heimischen Intelligenzelite zu diskutieren und zu klären. Aus diesem Grunde stehen auch weiterhin die spezifisch mitteleuropäischen Probleme auf der Tagesordnung des Europa Institutes. (Siehe unsere Konferenz im Collegium Hungaricum, das gemeinsam mit dem Kulturinstitut Mürzzuschlag veranstaltete Mitteleuropa-Seminar, den Vortrag von Charles Gati und die Buchpräsentation mit dem Wiener ÖOSI.) Die Beseitigung von Minderheitenkonflikten kann nicht mittels Lobbyismus mit Westeuropa erreicht werden, eine Lösung ist von der Intelligenzelite und Regierungsadministration der heimischen Nationen anzustreben. Die Strategie von Wirtschaft und Privatisierung der Region kann nur gemäß örtlicher Produktstruktur und wirtschaftlicher Traditionen gestaltet werden (vgl. hierzu den Vortrag von Tamás Sárközy). Zu demselben Schluss gelangte darüber hinaus die repräsentative Konferenz „Politische und wirtschaftliche Konsolidierung in Mitteleuropa”.
Kompatibilität
Die dritte Schlussfolgerung: unsere Institutionen sind sowohl auf dem Gebiet von Politik als auch Ökonomie und Kultur kompatibel zu denen Westeuropas zu gestalten. Mit solchen Aufgaben für die kommenden Jahre befassten sich die Vorträge, Konferenzen und Seminare über die europäische Integration. (Vgl. hierzu den Vortrag des flämischen Ministerpräsidenten sowie die Konferenz „Europa im Wandel”.) Dasselbe gilt darüber hinaus für die gemeinsam mit der Bertelsmann-Stiftung organisierte zweitägige Konferenz, welche auf die Integrationsfähigkeit Ungarns einging. (Einbezogen wurden verschiedene führende Politiker, Staatssekretäre und Experten.)
Gegenwärtig erwartet man in Budapest seitens des Europa Institutes bereits, dass es sich der Darlegung von Problemen der europäischen Integration des Landes widmet und ein Forum für künftige Lösungen erarbeitende Debatten bietet.
Pläne für die Zukunft
1. Sowohl der Wissenschaftliche Beirat als auch das Kuratorium des Europa Institutes Budapest haben sich 1994 dafür ausgesprochen, dass an der bisherigen Programmstruktur keine wesentlichen Änderungen vorzunehmen sind. Die Veranstaltungen (Konferenzen, Vorträge, Seminare), das Stipendiensystem und die interne Organisationsstruktur (jährliche Kuratoriumssitzung bzw. die des Wissenschaftlichen Beirates, wöchentliche Vorstandssitzung und eine Kaffeerunde pro Woche) entsprechen den im Jahre 1990 gesteckten Zielsetzungen. Wir sind jedoch der Ansicht, neben der Beibehaltung jener, uns künftig auch eingehender mit Publikationen zu befassen, denn dies ist der Punkt, an dem wir uns in den kommenden Jahren der mitteleuropäischen Integration stilgemäß anpassen bzw. unseren Kräften gemäß zu jener beitragen können.
In den letzten vier Jahren sind fremdsprachige Zeitschriften- und Buchverlage Ungarns Bankrott gegangen. Die bedeutenden staatlichen Verlage vermochten zwar bis 1990 (bzw. dank der Reserven bis in die Gegenwart) fremdsprachige Zeitschriften oder Bücher je eines Faches beizubehalten, doch änderte sich das mit der Auflösung staatlicher Firmen. Allein die Periodika traditioneller Fachzweige werden publiziert. Und ausgerechnet die neuesten Anforderungen, die die Integration abhandelnden Wissenschaftsgebiete blieben ohne Verantwortliche und Sponsoren. Der Vorschlag des Vorstandes des Europa Institutes Budapest lautet: wir sollten dem im Jahre 1990 erarbeiteten wissenschaftlichen Programm sowie den Themenpräferenzen entsprechend ein ständiges Publikationsforum sichern. Bereits 1994 haben der Wissenschaftliche Beirat und das Kuratorium hinsichtlich der Veröffentlichung eines Jahrbuches in einem Band Stellung genommen. Mittels Bereitstellung eines ständigen Stipendiums könnte unseren Plänen gemäß die Redaktionsarbeit ermöglicht und mit Hilfe der von Stiftungen bereitgestellten Finanzen die Herausgabe von 2–3 Bänden jährlich gewährt werden. Wir möchten weiterhin mit der Europäischen Rundschau ein Abkommen schließen – bzw. mit der Redaktion der Európai Szemle – oder auch mit der Redaktion der jetzt verlegten Zeitschrift Külpolitika (Außenpolitik).
Diese Zeitschriften sind bereit, regelmäßig den Wortlaut von im Europa Institut gehaltenen Vorträgen (Konferenzen) zu veröffentlichen. Weiterhin sind jene geneigt, fremdsprachige Texte von europäischer Thematik gemeinsam zu publizieren. Nach vorläufigen Berechnungen würden sich die diesbezüglichen Kosten neben dem erwähnten Stipendium für 12 Monate auf jährlich 2,2–3,0 Millionen Ft belaufen.
In der Jahrbuchserie des Institutes beginnen wir mit der Veröffentlichung von Arbeiten einstiger Stipendiaten. Mehrere ausländische und ungarische Stipendiaten haben Aufmerksamkeit Verdienendes geleistet, doch finden ihre Arbeiten wegen der heimischen eingeengten fremdsprachigen Verlagstätigkeit keinen Herausgeber. Die Informationsserie des Europa Institutes würde diesen Mangel beseitigen helfen.
Darüber hinaus darf nicht vergessen werden, dass die Publikationen des Institutes eine in positivem Sinne zu verstehende Propagandafunktion versehen. Die Rezension der Bände möchte die Direktion unter Mitwirkung der Mitglieder des Wissenschaftlichen Beirates vornehmen. Weiterhin soll der Rückumschlag der einzelnen Sonderdrucke in jeweils 50 Exemplaren eine kurze Beschreibung des Europa Institutes enthalten, ebenso wie Informationen zum Erwerb des Stipendiums.
2. Der Großteil unserer Veranstaltungen in den vergangenen Jahren wurde von uns selbst finanziert bzw. wir waren die Alleinveranstalter. Unsere Partner waren in erster Linie das ÖOSI sowie die Ungarische Akademie der Wissenschaften. Das ÖOSI war einerseits unser ausgezeichneter Partner bei gemeinsamen Veranstaltungen, zum anderen hat es mit dem Wiener Stipendiatensystem ein äußerst nützliches ‘Kulturkombinat’ geschaffen, welches Wien, die Ungarische Akademie der Wissenschaften und das Europa Institut Budapest betrifft.
Da das Europa Institut immer bekannter ist, melden sich in immer größerer Anzahl andere Institutionen, die gemeinsam Konferenzen und Vorträge zu veranstalten wünschen. Wie auch aus dem Anhang unseres Berichtes hervorgeht, zählen neben dem ÖOSI im vergangenen Jahr u.a. das Donauraum Institut (Wien), das Wiener Collegium Hungaricum, das Kulturinstitut Mürzzuschlag, das Goethe Institut Budapest, das Österreichische Kulturinstitut Budapest, der Ungarische Rat der Europabewegung und das Collegium Budapest zu unseren Partnern.
Das bedeutet nicht einfach finanzielle Erleichterungen, sondern gleichzeitig damit eine Ausweitung des Aktionsradius unseres Institutes.
Wir sind darum bemüht, für unsere Veranstaltungen im kommenden Jahr möglichst in jedem Falle einen entsprechenden Partner zu finden.
Budapest, 6. Juni 1995.
Ferenc Glatz