1088 Budapest, Rákóczi út 5.; Tel: (36 1) 381 23 47; E-mail: Ez az e-mail-cím a szpemrobotok elleni védelem alatt áll. Megtekintéséhez engedélyeznie kell a JavaScript használatát.
Begegnungen
Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Band 16:69–84.

BARBARA HAIDER

„Austria in urbe sancta Jerusalem sit ultima!”

Ein Beitrag zur Geschichte der Europäisierung der Welt

 

Eine Geschichte der europäischen Expansion im 19. Jahrhundert hat sich selbstverständlich auch mit der „Orientalischen Frage” – der wichtigsten diplomatischen Frage in dem Jahrhundert zwischen Wiener Kongress und Erstem Weltkrieg – zu befassen, und damit auch mit dem „Sonderfall” Palästina, der sich mit den Worten eines österreichisch-ungarischen Konsuls in Jerusalem folgendermaßen darstellte: „Dieses Land hat ja nur darum eine Existenz, ja eine Weltstellung, weil es der religiöse Brennpunkt aller Christlichen Bekenntnisse, dann des Mosaischen Glaubens u., nach Hedjaz, auch der des Islams ist.” Palästina wurde im 19. Jahrhundert mehr und mehr gesehen als ein „eine exceptionelle Existenz habendes Land [...], das hauptsächlich die Völker des Occidents beschäftigt, interessiert, das zumeist von denselben geschätzt, besucht u. auch großenteils erhalten wird”.1

Für das „Heilige Land” wurden von den europäischen Großmächten seit den 1840er Jahren zwar keine territorialen Eroberungspläne gewälzt; sehr wohl setzte aber ein Wettlauf um die Schaffung, Sicherung und Ausweitung von Einflusssphären ein, der sich durch eine kaum mehr unterscheidbare Vermischung von staatlichen Ambitionen und kirchlich-missionarischem Engagement auszeichnete. Vor allem mit den Mitteln religiös-kultureller Penetration und des Schutzes nichtmuslimischer religiöser Minderheiten wollte Europa seine Präsenz in Palästina auf- und ausbauen, was nur Hand in Hand mit der Abgabe von Souveränitätsrechten durch das Osmanische Reich vor sich gehen konnte. Erneut trafen Okzident und Orient vor dem Hintergrund der beginnenden Epoche offen ausgetragener Rivalitäten zwischen den Nationen und Konfessionen aufeinander.

 

Wiedererwachtes europäisches Interesse

Der herausragende vierte österreichische Konsul in Jerusalem, Bernhard Graf Caboga-Cerva (von 1867 bis 1882 in Jerusalem tätig), resümierte rückblickend: „England und Frankreich interessiert Syrien und Egypten politisch [...], Russland hat auch Strebungen und Interessen, die dieses Land berühren, nur das damalige Preussen etwa hatte hier noch weniger zu thun als wir. Oesterreich fand hier 1849 einige hundert Unterthanen, von welchen ein Theil in der Mehrzahl arme galizische oder ungarische Juden, dann Israeliten aus Toscana, Modena, Parma, Ferrara u., da wir damals nicht nur in Italien, sondern auch in Deutschland Vormacht waren, einige aus Deutschland, endlich nicht wenige, welche, Gott weiß woher kommend, österreichische, mitunter zweifelhafte Pässe in Händen hatten. Diese und etwa 6–8 Franciscaner-Mönche österreich’schen Ursprungs waren die ganze Kolonie. Besitzungen, Anstalten irgend einer Art, hatte Oesterreich damals nicht. [...] Seither hat dieses Land, namentlich seit dem Krimkriege, allerdings einen für seine Verhältnisse bedeutenden Aufschwung genommen; Jerusalem hat aufgehört, ein Stück reinen Orients zu sein, es ist eine Art europäischer Kleinstadt [...] geworden.”2

Das unter osmanischer Verwaltung stehende Palästina hatte im 17. und 18. Jahrhundert einen Niedergang erlebt und war für Europäer praktisch geschlossen. Dies begann sich im Jahre 1799 mit dem napoleonischen Feldzug nach Ägypten zu ändern – für die Geschichtswissenschaft der Beginn der Moderne im Orient und für die damalige europäische Öffentlichkeit der Beweis, dass Palästina durchaus auch in den Einflussbereich einer christlichen europäischen Macht gelangen könnte. Sogar die protestantischen Staaten, die wenig Sinn für den Kult der Heiligen Stätten hatten, entwickelten zunehmend ein Interesse an dem Land. Frankreich als traditionelle Schutzmacht der Katholiken im Orient und Russland als Schutzpatron der orthodoxen Kirche bekamen so durch die nun einsetzenden Aktivitäten von England und Preußen in Palästina – 90 Prozent der arabischen Christen gehörten den orthodoxen Kirchen an – Konkurrenz. Die endgültige Wende brachten schließlich die dreißiger Jahre des 19. Jahrhunderts mit sich: Der Vormarsch des ägyptischen Aufständischen Mehmet Ali und die gleichzeitige Ausbreitung des französischen Einflusses im Orient verursachten Sorge in Österreich und Preußen, England und Russland. Um ihren Unmut über die Verletzung des Status quo zu mildern, demonstrierte Mehmet Ali eine ausgesprochen liberale Haltung gegenüber der nichtmuslimischen Bevölkerung und den Fremden in Palästina. Dennoch entschlossen sich die genannten Mächte 1840, den bedrängten Osmanen zu Hilfe zu eilen, und gaben dem neuen Sultan die längst als verloren geltenden Gebiete wieder zurück. Viele Zukunftspläne wurden in der Folge für Palästina gewälzt; darunter fand sich jedoch nicht einer, der alle christlichen Mächte zufriedengestellt hätte. Die Osmanen sahen sich in der Folge jedoch gezwungen, die Politik Mehmet Alis fortzusetzen und den Europäern weitere Zugeständnisse zu machen – ein Umstand, der die ständige Ausweitung der europäischen Aktivitäten letztlich erst möglich machte.3

Die Grundlage für diese Entwicklung war durch völkerrechtliche Verträge gegeben, die sogenannten Kapitulationen. Durch sie hatte unter anderem das Kaisertum Österreich – etwa im Frieden von Karlowitz 1699 – Schutzrechte über die katholische Kirche in Teilen des Osmanischen Reiches zugestanden bekommen, die ab der Mitte des 19. Jahrhunderts durch die Außenpolitik instrumentalisiert wurden, was eine enge Verflechtung staatlicher und kirchlicher Interessen nach sich zog. In Konkurrenz stand Österreich hier zunächst vor allem zu Frankreich, das ältere Rechte besaß. Überwacht wurden diese Verträge von den Konsuln, woraus der Großteil ihrer besonderen Stellung im Orient – unter anderem kam ihnen die Konsulargerichtsbarkeit über Untertanen und Schutzgenossen zu – resultierte. Konsul Caboga sah sich in seinen Aktivitäten als Vertreter der katholischen Großmacht Österreich-Ungarn beständig durch Frankreich eingeschränkt bzw. gehindert: „Uns vertritt [...] in diesem Lande jene gewaltige, verdientermaßen eine so hohe Stellung in der Welt einnehmende Macht überall den Weg. Sie allein ist unser Gegner, nicht Rivale, denn uns fällt es ja nicht bei, ihre wirklichen Rechte zu läugnen, uns über sie erheben zu wollen, während sie hingegen fortwährend bestrebt bleibt, uns hier ganz unnöthig und bedeutungslos zu machen, uns überall zu paralisiren und zu verdrängen. In uns sieht Frankreich den gefährlichsten Antagonisten seiner Prätension, weil es sehr wohl weiß, dass diese an sich unstichhaltig, dass wir ebenso viele Katholiken repräsentiren als es selbst, dass wir hier auch viele verbriefte Rechte, kaum weniger als jene, die ihm selbst wirklich gebühren, haben – andere katholische Mächte nicht, weil es endlich sieht, dass wir für dieses Land jederzeit so viel gethan und noch thun und das leisten, was es selbst zu leisten unterlässt.”4 Zu diesem Zeitpunkt befanden sich aber bereits auch andere als modern angesehene Nationalstaaten zunehmend auf der Überholspur – tiefer und tiefer sollte Österreich(-Ungarn), das einen diesbezüglichen Konflikt mit Frankreich in jenen Jahren scheute, auch in eine Konkurrenzsituation mit dem Deutschen Reich und Italien geraten.

Durch das Zusammentreffen des mit nationalen Prestigefragen eng verknüpften europäischen Expansionsdranges mit einer allgemeinen „Palästinabegeisterung”, einer christlichen Kreuzzugsromantik und Morgenlandsehnsüchten aller Art, mit dem traditionellen religiösen wie dem neuen biblisch-archäologischen und wissenschaftlichen Interesse am „Heiligen Land” war Palästina wieder in das Blickfeld Europas gerückt. Das Interesse der Christen an den Heiligen Stätten manifestierte sich erneut, die modernen Kommunikations- und Transportmittel ermöglichten sowohl einen besseren Informationsfluss über die Geschehnisse im Land wie auch vermehrte Pilgerreisen, Reisebeschreibungen in das „Heilige Land” boomten, Vereine wurden gegründet (genannt seien der bayerische Ludwig-Missionsverein, das französische „Oeuvre des écoles d’Orient”, der österreichische Maria-Empfängnis-Verein sowie der Verein vom Hl. Grab in Köln und der Palästina-Verein der Katholiken Deutschlands; letztere wurden 1895 zum Deutschen Verein vom Hl. Lande vereinigt), Spenden zur Unterstützung der Franziskanerkustodie und diverser anderer Wohltätigkeitsanstalten in Palästina wurden gesammelt und abgesandt.

Für die Habsburgermonarchie stand dieses europäische Phänomen vor allem auch durch das Interesse des österreichischen Kaiserhauses bereits in einer langjährigen Tradition (seit dem 17. Jahrhundert): Viele Mitglieder des Kaiserhauses unternahmen selbst eine Pilgerreise und spendeten den Heiligen Stätten Kirchengerät. Die Orientreise von Kaiser Franz Joseph im Jahre 1869 – der „König von Jerusalem” besuchte als erster christlicher Kaiser seit 600 Jahren Jerusalem – hob das österreichische Ansehen im „Heiligen Land” gewaltig. Der Kaiser beschränkte sich im Zuge seines Aufenthaltes nicht nur auf bedeutende Geldzuwendungen – unter anderem für die St. Salvatorkirche in Jerusalem und für die St. Katharinenkirche in Bethlehem –, sondern setzte in den auf seine Reise folgenden Jahren auch seine Diplomatie immer wieder zur Durchsetzung seiner Anliegen im „Heiligen Land” ein. Auf diese Weise konnten vor allem eine Verbesserung der Räumlichkeiten der Franziskaner in der Grabeskirche, der Neubau der beiden genannten Kirchen und das weiter unten dargestellte Projekt des Malteserordens in Tantur durchgesetzt werden. Festzuhalten ist daher: Gerade auch in diesem – vom Umfang her nicht ganz so großen, vom Anspruch her dagegen bedeutenden – Bereich der Außenpolitik hat Franz Joseph seine ganz persönlichen Fingerabdrücke hinterlassen.

Worin bestanden nun die gleichsam wie ein „Schneeballsystem” einsetzenden europäischen Aktivitäten? Geradezu ausschlaggebende Bedeutung kam der Gründung eines anglo-preußischen protestantischen Bistums auf Vorschlag Friedrich Wilhelms IV. von Preußen im Jahre 1841 zu, das zur Hauptstütze der protestantischen Mission wurde und so auch die katholische und die griechisch- orthodoxe Kirche zu Missionsarbeit antrieb.

Bald darauf wurde der Startschuss auch für die „katholische Großmacht” Österreich gegeben: Der Theologe und einflussreiche Domherr zu St. Stephan Joseph Salzbacher, der bereits 1837 eine Reise nach Palästina unternommen hatte, über die er ein Buch veröffentlichte, wies Staatskanzler Metternich auf die Probleme der katholischen Kirche in Palästina hin. 1842 gestattete Kaiser Ferdinand als erste Konsequenz die Wiedereinführung der „Karwochenkollekte” für die Heiligen Stätten in den Diözesen der Monarchie.

Bereits im darauffolgenden Jahr 1843 wurde das Wiener Generalkommissariat des Heiligen Landes, mit Sitz im Wiener Franziskanerkloster, aber unter dem Protektorat des Wiener Erzbischofs, als Verbindung zur Franziskanerkustodie reaktiviert (das Wiener Generalkommissariat war 1633 eingerichtet und 1784 durch Joseph II. aufgehoben worden).5 Sogleich wurden einige – es handelte sich hierbei nie um eine große Zahl, Nachwuchssorgen sollten stets eine Konstante darstellen – Franziskaner aus der Monarchie nach Palästina geschickt, um als Führer und Beichtväter für die Pilger aus der Monarchie zu fungieren. Als Beispiele seien der Tiroler P. Wolfgang Rauchbart und der Ungar P. Ildephons Ölvecky genannt, die unter den in den fünfziger Jahren in Palästina tätigen Franziskanern aufscheinen. Der erste Wiener Generalkommissär, der am 30. Mai 1844 sein Amt antrat, war der gebürtige Ungar P. Joseph Matzek (1844–1869). Ihm folgte 1869/70 der Wiener P. Konrad Mühlhaupt. Von 1870 bis 1881 amtierte der gebürtige Egerländer P. Sebastian Frötschner, der 1846 als Missionär nach Palästina gereist war und dort die Buchdruckerei im Kloster von St. Salvator eingerichtet hatte.6 Seine Nachfolger waren P. Franz Sales Angeli (1881–1902), ebenfalls gebürtiger Ungar, und der Tiroler P. Melchior Lechner. Die jeweiligen Generalkommissäre gaben zur Information und Mobilisierung der Bevölkerung Zeitschriften heraus, zuerst die „Missions-Notizen aus dem hl. Lande”, später „Die Posaune des hl. Kreuzes” und „Der Kreuzfahrer”. Ganz der Idee des „friedlichen Kreuzzugs” verhaftet war die Gründung der „Armee des hl. Kreuzes” durch Generalkommissär Angeli im Jahr 1891, wobei je zwölf Mitglieder eine Gruppe bildeten, der ein Förderer bzw. eine Förderin vorstand.

1847 wurde auch in Rom eine Entscheidung getroffen, die weitreichende Konsequenzen nach sich zog: Jahrhundertelang hatten die Franziskaner als alleinige Wächter der Heiligen Stätten fungiert. Jetzt wurden die kirchlichen Strukturen ausgebaut und das dem französischen Protektorat unterstellte lateinische Patriarchat in Jerusalem wiederhergestellt; gerade der erste Patriarch Giuseppe Valerga galt als ausgesprochener Parteigänger Frankreichs. Die Habsburgermonarchie stand in dem sich sofort abzeichnenden, langwierigen Konflikt zwischen der Franziskanerkustodie und dem Patriarchat – entzündet vor allem an der notwendig gewordenen Aufteilung der Almosengelder aus Europa – von Beginn an auf der Seite der Franziskaner. Auch wenn Patriarchat wie Kustodie eigentlich internationale Einrichtungen waren, kam der Prozess der zunehmenden Nationalisierung auch dort zum Tragen, und die katholischen Mächte versuchten ihre entsprechenden Einflusssphären auszubauen. Die Habsburgermonarchie hielt ihre schützende Hand über die eigenen nationalen Franziskaner und nahm über den Diskreten „pro Germanicis” Einfluss in der Kustodie. In Folge der Wiedererrichtung des Patriarchats kam es – zum Missfallen der Franziskaner – nun auch zum „Eindringen” anderer Orden. In Palästina und vor allem in Jerusalem tummelten sich bald kirchliche Vertreter in einer immer größeren Zahl.

Auf staatlicher Ebene richtete man in der Monarchie sein Hauptaugenmerk auf das Konsularwesen im Orient, wobei seit Beginn der Diskussionen stets die Besonderheit des Postens in Jerusalem betont wurde – im allgemeinen waren die Konsuln ja primär Vertreter des Handels im Ausland – und Österreich der internationalen Entwicklung zeitlich bereits etwas hinterherhinkte. Schon 1839 war als erster europäischer Konsul der britische in Jerusalem eingezogen, 1842 folgte Preußen, 1843 Sardinien und Frankreich, 1844 die Vereinigten Staaten.

Staatskanzler Metternich hatte eine Kursänderung in der österreichischen Politik durchgeführt und wollte den militärischen Erfolg von 1840 auch „politisch-religiös” umsetzen; zuvor hatte Österreich die Schutzfunktion gegenüber den Katholiken im Osmanischen Reich gewohnheitsrechtlich nur in den osmanischen Gebieten am Balkan wahrgenommen. Der Prozess der Entscheidungsfindung über die eventuelle Errichtung eines österreichischen Konsulates in Jerusalem im Rahmen der Neuorganisierung des österreichischen Konsularwesens in Syrien zog sich – aufgrund der damit verbundenen finanziellen Fragen – von den frühen 40er Jahren des 19. Jahrhunderts bis 1849 hin, als man sich zunächst auf die Einrichtung eines Vizekonsulates einigte. Internuntius Bartholomäus Graf Stürmer hatte Anfang März 1845 gegenüber Metternich befremdet angemerkt, dass der k.k. Generalkonsul von Syrien, Eduard von Adelburg, der keinen geeigneten unbesoldeten Konsularagenten für Jerusalem ausfindig machen konnte, die österreichischen (Schutz-) Agenden dem preußischen Konsulat – und in dessen Vertretung dem britischen – anvertraut hatte: „Bei den gänzlich divergirenden, ja oft einander entgegengesetzten Zwecken, welche die katholischen und die akatholischen, namentlich aber in diesem Augenblicke die protestantischen Höfe in Syrien und insbesondere in Jerusalem verfolgen, ist es mir nicht wenig aufgefallen, dass Hr. von Adelburg für gut gefunden habe, die Geschäfte der erwähnten k.k. Consular-Agentie gerade in die Hände der beiden protestantischen Consulate zu legen.”7 Die Informationen von Joseph Salzbacher und Johann Mosetizh, einem Görzer Professor für Altes Testament und orientalische Sprachen, der im Auftrag des Wiener Erzbischofs eine Informationsreise nach Palästina und Ägypten unternahm, über die traurige Lage der katholischen Kirche und vor allem auch das Missverhältnis zwischen Katholiken und Griechisch-Orthodoxen im „Heiligen Land” trugen ebenfalls dazu bei, den Staatsspitzen Handlungsbedarf zu signalisieren.

Im Februar 1846 erstattete Metternich auf Basis dieser Informationen Vortrag an Kaiser Ferdinand, woraus klar hervorgeht, dass der Staatskanzler mit der Errichtung eines Konsulates in Jerusalem zuerst und vor allem die Notwendigkeit vor Augen hatte, die katholischen Interessen – als Gegengewicht zu Russland, der Schutzmacht der Orthodoxen, und zu den protestantischen Staaten Großbritannien und Preußen sowie Nordamerika – zu vertreten.8 Besonderes Gewicht maß der Staatskanzler in seiner Argumentation der Konkurrenz mit einer anderen katholischen Großmacht, Frankreich, bei: „Ganz besonders aber kömmt in die reiflichste Betrachtung zu ziehen, dass Frankreich mehr und mehr eine Suprematie über die katholische Kirche in der Levante [...] sich anzumaßen trachtet und dass es hierdurch unter dem Deckmantel der Religion seine eigenen politischen Absichten zu fördern bemüht ist.” Der Staatskanzler stellte nicht in Abrede, dass die Handelsinteressen der Monarchie in Palästina nur von geringem Belang seien; dies treffe jedoch auch auf die anderen in Jerusalem bereits mit einem besoldeten Agenten vertretenen Mächte zu: „Soll nun das österreichische Kaiserhaus, dessen angestammte Frömmigkeit weltbekannt ist, hierin allein zurückstehen und den nachtheiligen Schein von Theilnahmslosigkeit auf sich laden? Die römisch-katholischen Christen in der Türkei sind von jeher gewohnt, den hiesigen Hof als ihren vorzüglichsten Hort zu betrachten. – Es kann auch mit Hinblick auf die Erfordernisse höherer Politik nicht gleichgiltig sein, uns durch fremdes Streben von dem somit erworbenen Einflusse verdrängen zu lassen. Je thätiger Andere darauf hinzuarbeiten beflissen sind, desto mehr scheinen wir meiner unvorgreiflichen Meinung nach berufen, ihren Bemühungen werkthätig entgegen zu wirken. Die Beachtung finanzieller Rücksichten dürfte in den Hintergrund treten, wo politische und religiöse Interessen so laut, so unbezweifelt das Wort führen.”9 Am 27. September 1847 wurde Josef (Giuseppe) Graf von Pizzamano zum Vizekonsul in Jerusalem ernannt. Der neue Vizekonsul kam allerdings erst am 1. März 1849 in Jerusalem an.

In seiner Dienstinstruktion wurden die Besonderheiten des Postens Jerusalem noch einmal hervorgehoben. Die Monarchie berief sich darin auf die ihr in den Verträgen von Belgrad und Sistowa eingeräumten Schutzrechte über die katholische Kirche, wollte aber die diesbezüglichen, früher festgelegten Rechte der französischen Regierung im „Heiligen Land” nicht antasten. Dem Vizekonsul wurde insbesondere auch der Schutz der österreichischen Reisenden und Pilger sowie die Überwachung der Verteilung und Verwendung der aus der Monarchie stammenden Spenden und Sammelgelder aufgetragen. Er sollte sein Augenmerk auf „die leider nur zu häufig vorkommenden Streitigkeiten zwischen den Geistlichen der verschiedenen christlichen Confessionen, denen die Obhut des heiligen Grabes anvertraut ist”10, richten und die Aktivitäten des seit kurzem in Jerusalem residierenden katholischen Patriarchen wie auch das Verhalten des unter englischem und preußischem Schutz stehenden anglikanischen Bischofs aufmerksam beobachten.11

Pizzamano betrieb von Beginn seiner Amtszeit an die Erhebung seines Postens zu einem Konsulat und fand in dieser Sache Unterstützung bei Felix Fürst Schwarzenberg, der sich – stets das „religiös-politische Interesse” der Monarchie im Auge – bereit erklärte, die Mehrausgaben von jährlich 1.000 fl. aus den Mitteln des Ministeriums des Äußern zu bestreiten. Am 11. Februar 1852 wurde die österreichische Vertretung in Jerusalem zum Konsulat erhoben.12 Unter den 14 aus einer Vielzahl von Kronländern stammenden, von 1849 bis 1917 in Jerusalem amtierenden k.(u.)k. Konsuln finden sich neben Pizzamano zwei weitere, die ihr Amt in besonderem Maß prägten: Bernhard Graf Caboga-Cerva (von 1823 bis 1882) und Friedrich Kraus (von 1914 bis 1917).

 

Österreich(-Ungarn) als katholische Schutzmacht im „Heiligen Land”

Einen enormen Aufschwung nahm nun auch das Pilgerwesen. Reisen in das „Heilige Land” waren weniger gefährlich geworden und dauerten kürzer. Die Pilger kamen zuerst als Einzelreisende und Chronisten – erinnert sei hier an die erfolgreiche Wiener Reiseschriftstellerin Ida Pfeiffer, die 1842 44-jährig ins „Heilige Land” gereist war –, später nach dem Beispiel Frankreichs in kleinen Pilgerkarawanen von zehn bis 20 Personen, oft organisiert vom Severinus-Verein in Wien. An der ersten, zwei Monate dauernden „Deutschen Pilgerfahrt”, organisiert vom Wiener Severinus-Verein (Abfahrt von Triest am 9. März 1855), nahmen 18 Männer im Alter von 19 bis 63 Jahren teil: neun Priester (darunter der Präsident dieser Karawane, P. Urban Loritz, Pfarrer am Schottenfeld), ein Theologe und acht Laien, die bereits vorwiegend aus bürgerlichen Schichten stammten. Zwölf Pilger kamen aus der Habsburgermonarchie, drei aus Baden sowie je einer aus Bayern, Württemberg und Preußen.13 Ihren Höhepunkt erreichte die Pilgerbewegung in den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts: Die ab 1898 durchgeführten, straff organisierten und preislich möglichst günstig gestalteten großen „Volkswallfahrten” mit jeweils rund 500 Pilgern „genossen als nationale Manifestation ein großes Ansehen”14. Der „Pilgeroberst” Heinrich Himmel von Agisburg rief sie mit dem von ihm gegründeten Palästinapilgerverein in Brixen ins Leben. Allen Ständen, vor allem auch bäuerlichen Schichten, wurde damit die Möglichkeit gegeben, an einem Pilgerzug in das „Heilige Land” teilzunehmen. Aber selbst in der Blütezeit des Pilgerwesens waren die Katholiken nicht die am zahlreichsten vertretene Gruppe: Im Jahre 1910 kamen 32.592 Pilger und 8.110 Touristen (unter letzteren vor allem Engländer, Deutsche und Amerikaner) nach Palästina. Unter den Pilgern befanden sich dabei 11.984 Russen, 3.032 Österreicher und Ungarn, 3.496 Griechen, 3.460 Afghanen, 2.465 Armenier, 1.598 Kopten und 426 Franzosen.15

Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung wurden zwei sichtbare Zeichen österreichischer Präsenz im „Heiligen Land” gesetzt: Die beiden katholischen Wohltätigkeitsanstalten in Palästina, hinsichtlich denen Österreich (-Ungarn) als Schutzmacht auftrat, waren das österreichische Hospiz in Jerusalem und das Malteserspital in Tantur.

Der Weg zur Eröffnung des beliebten und allseits Anerkennung findenden Hospizes16 im Jahre 1863 war ein beschwerlicher: Die Idee zur Gründung eines Hauses, das in erster Linie den aus der Monarchie kommenden Pilgern zur Verfügung stehen sollte, entstand aus dem Spannungsverhältnis Patriarchat– Kustodie. 1852 machte Konsul Pizzamano dem Generalkommissariat in Wien einen entsprechenden Vorschlag (damals war noch an ein Spital für österreichische Pilger unter der Leitung der österreichischen Franziskaner gedacht); gemeinsam traten Pizzamano und der Generalkommissär des Heiligen Landes mit einem konkreten Vorschlag an den Wiener Fürsterzbischof Milde heran. Aufgrund Widerstandes von seiten des Patriarchen entschloss sich der Wiener Erzbischof Rauscher, anstelle eines Spitals ein nationales Pilgerhaus zu errichten. Der Plan Pizzamanos für das Pilgerhaus aus dem Jahre 1855 sah vor: Hospiz, Kirche, Konsulatsgebäude und Mietwohnungen in einem. Das Hospiz wurde freilich am angekauften prestige- und erinnerungsträchtigen Baugrund an der Ecke Damaskusstraße – Via dolorosa in einfacherer Form gebaut; allerdings empfingen die Konsuln nach Fertigstellung des Hospizes 1863 ihre offiziellen Besucher in dessen Räumen, wo auch die patriotischen Feste abgehalten wurden – daraus entstand der Eindruck, der k.(u.)k. Konsul residiere im Pilgerhaus, dessen Kapelle ja zugleich Konsulatskapelle war. Auch beim ursprünglichen Plan, die geistliche Leitung des Hauses den aus der Monarchie stammenden, im „Heiligen Land” tätigen Franziskanern anzuvertrauen, stieß man beim Patriarchen auf Schwierigkeiten, woraufhin sich Erzbischof Rauscher mit dem Kardinalpräfekten der Kongregation de Propaganda fide in Rom darauf verständigte, die Führung des Hospizes Weltpriestern aus den Diözesen der Monarchie zu übertragen.

Auch das österreichische Hospiz geriet in eine Auseinandersetzung mit den Franziskanern, und zwar durch die Ernennung des (säkularisierten) Tiroler Franziskanerpaters Franz Joseph Costa-Major zum Rektor im Jahre 1879. Als er nach 13-jährigem Rektorat starb, sahen die Franziskaner die Gelegenheit gekommen, das Hospiz in ihren Einflussbereich zu ziehen, was einen schwerwiegenden Rechtsstreit zwischen Kardinal Gruscha und Generalkommissär Angeli zur Folge hatte. Gruscha erwirkte in den neunziger Jahren drei Dekrete der Propaganda fide hinsichtlich der Trennung des Pilgerhauses vom Generalkommissariat, in deren Folge die Verwaltung einem dreiköpfigen Kuratorium in Wien übertragen wurde, zu dessen erstem Vorsitzenden Prälat Hermann Zschokke ernannt wurde17; von diesem auch publizistisch für das österreichische Engagement im „Heiligen Land” sehr engagierten Mann stammt das Zitat aus dem Titel des vorliegenden Aufsatzes. Zschokke, von 1864 bis 1866 selbst Rektor des Hospizes, Hofrat im Ministerium für Kultus und Unterricht, Professor für Alttestamentliche Bibelwissenschaften an der Universität Wien, Domherr von St. Stephan und später Weihbischof sowie auf Lebenszeit ernanntes Mitglied des Herrenhauses, verfügte über jene Kontakte, mittels derer er dem Hospiz in den folgenden Jahren die benötigten außerordentlichen Mittel beschaffen konnte.

Das Hospiz hatte seit 1863 den Namen „Österreichisches Pilgerhaus zur Heiligen Familie” geführt, ab 1895 den offiziellen Titel „Österreichisch-Ungarisches Pilgerhaus zur Heiligen Familie”. Damit versuchte man seitens des Kuratoriums, auch Ungarn in einem vermehrten Ausmaß für das Hospiz zu interessieren. Es war wohl kein Zufall, dass in der Folge mit Stephan Csárszky erstmals ein Priester einer ungarischen Diözese zum Rektor ernannt wurde. Auch im dreiköpfigen Kuratorium war ein Platz für einen Geistlichen aus einer ungarischen Diözese reserviert. Diese Hinwendung zur ungarischen Reichshälfte war freilich auch ein Versuch, auf diese Art und Weise ungarische Geldquellen für das Hospiz zu erschließen (seit 1908 zahlte die ungarische Regierung jährlich 2.000 Kronen).

Das zweite österreichische Nationalinstitut im „Heiligen Land”, auf dem die Fahne der Monarchie neben der Fahne des Malteserordens wehte, kam durch das Zusammentreffen mehrerer Antriebskräfte zustande: Innerhalb des Malteserordens regten sich seit den fünfziger Jahren Bestrebungen, ins „Heilige Land” „zurückzukehren”; die Doppelmonarchie war vor Ort durch Bernhard Graf Caboga-Cerva, zugleich Konsul und Malteserritter, vertreten; als dritter Faktor ist die persönliche Unterstützung des Projektes durch Kaiser Franz Joseph zu nennen, der sich 1869 ja gerade auf Orientreise befand. Die Hauptmittel für das auf dem Weg von Jerusalem nach Bethlehem gelegene Malteserspital in Tantur, dessen Grundstück Caboga am 4. Juni 1869 kaufte, wurden vom Malteserorden, und hier an erster Stelle vom Böhmischen Großpriorat, aufgebracht; aber auch der Kaiser und das Ministerium des Äußern in Wien beteiligten sich. 1873 kam es zum wohl alles entscheidenden Schritt: Kaiser Franz Joseph genehmigte die Bitte des Ordens um kaiserliche Protektionsübernahme. Vor allem darin ist das stets intensive staatliche Engagement der Doppelmonarchie für das Haus in Tantur, dessen vollständige Aktivierung 1877 erfolgte, zu sehen. Caboga wurde 1882 in seinem Lebenswerk Tantur begraben.18

Auch am Beispiel Tantur zeigen sich die unterschiedlichen bei europäischen Unternehmungen in Palästina immer wieder aufbrechenden Konfliktebenen: Wenn am Beginn des Projektes zunächst Meinungsverschiedenheiten innerhalb des Malteserordens standen, so sah sich das Haus nach seiner Aktivierung vor Personalprobleme gestellt, weshalb es bereits am 14. August 1879 zum Abschluss eines ersten Vertrages zwischen dem Malteserorden und dem Ordensgeneral der Barmherzigen Brüder kam. Dieses Abkommen zog seinerseits ständige Kompetenzstreitigkeiten nach sich. „Gründungsvater” Caboga berichtete zudem immer wieder über seine Beobachtungen nach Wien, wonach Frankreich versuche, das Protektorat über Tantur an sich zu ziehen. Durch die Unterstützung, die Frankreich diesbezüglich in Rom fand, kam man im Wiener Ministerium des Äußern zu der Überlegung, dass für Tantur ausschließlich Barmherzige Brüder österreichischer oder ungarischer Nationalität ausgewählt werden sollten – ein Vorgehen, das sich durch die einschlägigen Bestimmungen des Berliner Vertrages aus dem Jahre 1878 abgesichert wähnte. Eine neue Dimension erhielt die Frage nach Abschluss eines neuen Vertrages am 10. April 1890 im Vatikan, als der Vatikan eine unerwartete Kurswende unternahm und sich abermals auf die Seite Frankreichs und seines Protektionsrechtes stellte (diesmal gingen die französischen Protektionsansprüche noch weiter, da sie sich auf ein allgemeines Protektionsrecht über den Orden gründeten). Nur durch die gemeinsamen Anstrengungen von Außenminister Kálnoky, Botschafter Grafen Revertera in Rom, Großmeister Baron von Ceschi und dem Ordensgeneral Pater Cassian Gasser konnte doch noch ein Kompromiss gefunden werden und die bereits drohende dauerhafte Schließung des Hauses letztlich abgewendet werden.19

Eigentlich stellte die Ortswahl Tantur ja eben auch nur eine Notlösung dar. Immer wieder kam es zu Rück- bzw. Fehlschlägen in den – zu spät kommenden oder im Vergleich mit den anderen Mächten zu zaghaft ausfallenden – österreichisch-ungarischen Bemühungen; als die zwei am meisten ins Gewicht fallenden Misserfolge sind wohl die folgenden zu nennen: Der Malteserorden hatte sich zunächst wieder in Jerusalem, auf den Ruinen des alten Johanniterspitals, ansiedeln wollen. Diese Ruinen nahm der Kronprinz von Preußen am 7. November 1869, einen Tag vor der Ankunft Kaiser Franz Josephs in Palästina, infolge einer Schenkung des Sultans im Namen Kaiser Wilhelms I. in Besitz. Rund dreißig Jahre später wandten sich der Patriarch von Jerusalem, Ludovico Piavi, und der Kustos des Heiligen Landes, Pater Aurelio Briante da Buja, anlässlich des bevorstehenden 50-jährigen Regierungsjubiläums von Kaiser Franz Joseph im Jahre 1898 mit einer Petition an den Kaiser um „Allergnädigste Verwendung zur Erlangung der Rückgabe des Coenaculum auf dem Berge Zion” an die katholische Kirche (das Coenaculum galt auch den Moslems als heilige Stätte). In Verkennung der Gelegenheit des Augenblicks äußerte sich Außenminister Gołuchowski in dieser Sache Franz Joseph gegenüber nach Beratungen mit Botschafter Calice negativ, da sie beide keine Erfolgsaussichten bei Pforte und Sultan zu erkennen meinten. Dem Appell an Kaiser Franz Joseph läge nach einer anderen Mitteilung – schrieb Gołuchowski – „die von dem katholischen Clerus in Palästina gehegte Befürchtung zu Grunde, das Coenaculum könnte bei einem Besuche des deutschen Kaisers in Jerusalem Höchstdemselben von dem Sultan zum Geschenke gemacht werden, wodurch es dann den Katholiken für immer entzogen bliebe”. – Diese Befürchtung war nicht grundlos, denn im November 1898 schenkte Sultan Abdul Hamid Kaiser Wilhelm II. den an das Coenaculum angrenzenden Platz. Dieser übergab ihn – in einem von Heinrich Jehlitschka, dem damaligen österreichisch-ungarischen Konsul, mit großem Missfallen beobachteten Versuch, auch als Schirmherr der Katholiken aufzutreten – den deutschen Katholiken, die dort die Dormitionskirche errichteten.20 Die Ereignisse hatten offensichtlich mittlerweile eine Dynamik erlangt, die der Habsburgermonarchie mit ihren verlagerten vitalen Interessen unzugänglich blieb.

Neben dem österreichischen Hospiz in Jerusalem und dem Spital in Tantur versuchten noch zwei weitere Einrichtungen immer wieder, unter den Schutz Österreich-Ungarns zu kommen, was ihnen jedoch nicht gelang, da das Ministerium des Äußern in Wien diese Bestrebungen nicht aufgriff: das Spital der Barmherzigen Brüder in Nazareth und die Missionsstation des Tiroler Priesters Georg Gatt in Gaza.21

Die Geschichte des Spitals in Nazareth beginnt in Tantur, und zwar mit den ersten drei dort nur für kurze Zeit tätigen Barmherzigen Brüdern – darunter keine Österreicher, hingegen der bayerische Initiator Othmar Mayer, eine – auch in seinem Orden – umstrittene Persönlichkeit. Kronprinz Rudolf, der das „Heilige Land” 1881 besuchte, stiftete eine Summe von 800 fl. für die Errichtung eines Spitals in Nazareth. 1882 wurde ein gemietetes Haus, 1884 das neu gebaute Gebäude eröffnet. Der zu Beginn der neunziger Jahre des 19. Jahrhunderts tätige vierte Prior des Hauses, Eduard Benedièiæ, stammte bereits aus der steirischen Ordensprovinz; 1905 wurde das Krankenhaus definitiv dieser Provinz einverleibt. Die auf Benedièiæ folgenden Prioren Fr. Peter Damian Amschl und P. Athanas Fiorioli bemühten sich wiederholt und ausdauernd um österreichisch-ungarischen Schutz für ihr Haus, scheiterten damit aber am Wiener Ministerium des Äußern, das es zu einer Zeit, als die anderen Mächte ihre Einflussbereiche in Palästina auszudehnen trachteten, mit Blick auf den Balkan bevorzugte, den erreichten „Status quo” zu erhalten.

Auch die Missionsstation Georg Gatts, eines vielfach einschlägig literarisch tätigen Tiroler Weltpriesters aus der Diözese Brixen, in Gaza gelangte trotz beachtlicher Anstrengungen ihres Gründers nie unter den Schutz der Doppelmonarchie. Gatt, der bereits zuvor in Jerusalem tätig gewesen war (unter anderem von 1871 bis 1874 als Vizerektor des österreichischen Hospizes), entschied sich 1879, in Palästina eine „Missionsstation für deutsche Weltpriester” zu gründen. Obwohl Gatt Unterstützung vor allem bei europäischen Missionsvereinen fand, sollten finanzielle Probleme die Geschichte dieser Mission von Anfang an begleiten. Letztlich musste er sein Lebenswerk 1914 dem lateinischen Patriarchen Camassei übergeben.

Die offizielle Habsburgermonarchie war in den Jahren der Hochblüte von Nationalismus und Imperialismus also nicht zu einer Ausweitung ihrer Einflusssphären in Palästina zu bewegen. Und dennoch: Einmal noch zog eine Welle des Willens zum Engagement in dieser Region durch Österreich-Ungarn – zu einem erstaunlichen Zeitpunkt, nämlich am Vorabend des Ersten Weltkrieges und bis in das Jahr 1917 hinein.

 

Höhepunkt und Ende der österreichisch-ungarischen Bestrebungen

Eine Note der Hohen Pforte hatte einseitig die Aufhebung aller Kapitulationsbestimmungen mit 1. Oktober 1914 bestimmt. Als Folge davon wurden die unter französischem Schutz stehenden Schulen und Missionsanstalten im Osmanischen Reich geschlossen, Missionare und Nonnen ausgewiesen. Einflussreiche katholische Kreise in Österreich-Ungarn wollten in dieser Situation – unterstützt von Mitgliedern des Kaiserhauses – den Versuch unternehmen, jene Stellung in der Frage des Kultusschutzes einzunehmen, die Frankreich aufgeben musste. Mit diesem Vorhaben beschäftigten sich im November 1915 in Wien die Bischofskonferenz und eine unter dem Vorsitz von Kardinal Piffl zusammengetretene Missionskonferenz. Die Pläne scheiterten jedoch, da Österreich-Ungarn nicht genügend Missionare für dieses ehrgeizige Projekt aufbringen konnte und auch deutsche Katholiken an diesem Unternehmen teilnehmen wollten. Erst mit der Thronbesteigung Kaiser Karls regten sich jene Kreise wieder, die eine kultuspolitische Aktion im Osmanischen Reich forcieren wollten.22

Im Jahr 1917 fand schließlich die letzte große politische Aktion Österreich-Ungarns in diesen Gebieten statt: die von dem berühmten Orientforscher Prälat Alois Musil geleitete „Orientmission” des k.u.k. Kriegsministeriums, die von den österreichisch-ungarischen Vertretern in Konstantinopel freilich mit skeptischen Augen betrachtet wurde. Offizieller Anlass war der Besuch der k.u.k. Truppen und Wohlfahrtseinrichtungen in der Türkei durch den jungen Erzherzog Hubert Salvator; die Mission sollte der Doppelmonarchie aber auch ein Gesamtbild der Lage bringen. Insbesondere wollte man den Aktivitäten des Deutschen Reiches in der Region entgegenarbeiten (in der Geheiminstruktion hieß es: ein Zweck der Mission bestehe darin, „zu verhindern, dass aus der deutschen Arbeit in der Türkei ein Monopol des Deutschen Reiches werde und eine Plattform für eine Parität zu schaffen”).23

 

Schlussbetrachtung

Der Vorgang der sogenannten „Wiederbelebung” Palästinas im 19. Jahrhundert zeigt sich zunächst als ein stark europäisch-christlich geprägter. Gerade Jerusalem bot im Zeitalter von Nationalismus und Imperialismus ein Bild nationaler, konfessioneller und innerkatholischer Zwietracht, in dem das offizielle Österreich-Ungarn letztlich nicht, wie zu Beginn gewünscht, mit den anderen Mächten „gleichen Schritt halten” konnte. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts mit seinen zivilisatorischen und religiösen Missionsbestrebungen musste Palästina – jener Teil des Orients, der als Ursprungsort der westlichen Kultur angesehen wurde – im Kontext einer sich verstärkenden internationalen Rivalität wie ein Brennglas das Interesse und die Begehrlichkeiten der Europäer auf sich ziehen. Zunehmend wurden dabei die christlichen Institutionen mit den nationalen Interessen der hinter ihnen stehenden Staaten gleichgesetzt; erst der Erste Weltkrieg setzte der europäischen Interessenspolitik in Palästina ein Ende.

Die Habsburgermonarchie forderte in den fünfziger, sechziger und auch noch siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts beharrlich, wenn auch nicht immer mit Erfolg, Einflusssphären im „Heiligen Land”; diese Bestrebungen erlahmten freilich – gegenläufig zur internationalen Entwicklung – in den folgenden Jahrzehnten. Die bereits in der ersten Hälfte des Jahrhunderts aufkommende, Emotionen mobilisierende „Palästinabegeisterung” erfuhr im Fall Österreich- Ungarns eine realpolitische Ernüchterung. Während sich die Staatsspitzen dieses Vielvölkerreiches mit Blick auf den Balkan und vor allem auf die Ausübung des Kultusprotektorates in Albanien im Gegensatz zu den als modern und dynamisch geltenden Nationalstaaten in den letzten Jahrzehnten des Jahrhunderts zurückhaltend verhielten, blieben die im „katholischen Österreich” tief verankerten Aspirationen und Ansprüche auf das „Heilige Land” davon unbe- schadet. Im katholischen Milieu der Habsburgermonarchie war die Idee des „friedlichen Kreuzzugs”, die Fortführung des Werks der Kreuzzüge mit anderen Mitteln, auf fruchtbaren Boden gefallen. Denn schließlich galt abseits der hohen Politik stets: „Keine Stadt der Erde übt eine solche Anziehungskraft aus wie Jerusalem.”24

 

Bibliographie

BÖHLER, Bernhard A. (Hg.): Mit Szepter und Pilgerstab. Österreichische Präsenz im Heiligen Land seit den Tagen Kaiser Franz Josephs. Katalogbuch. Wien, 2000.

BREYCHA-VAUTHIER, Arthur: Österreich in der Levante. Geschichte und Geschichten einer alten Freundschaft. Wien–München, 1972.

300 Jahre General-Kommissariat des Heiligen Landes in Wien. Jubiläumsnummer der Österreichischen Pilgerbriefe April–Juni 1933.

ELIAV, Mordechai unter Mitarbeit von Haider, Barbara (Hg.): Österreich und das Heilige Land. Ausgewählte Konsulatsdokumente aus Jerusalem 1849–1917. Fontes rerum Austriacarum 2. Abt., Bd. 91. Wien, 2000.

LORITZ, Urban: Blätter aus dem Tagebuche meiner Pilgerreise in das heilige Land im Jahre 1855. Wien, [1856].

RAMHARDTER, Günther: Propaganda und Außenpolitik. In: Wandruszka, Adam–Urbanitsch, Peter (Hg.): Die Habsburgermonarchie 1848–1918. Bd. VI/1. Wien, 1989. 496–536.

WEIß, Johann: Reise nach Jerusalem und Wanderungen im heiligen Lande. Dem katholischen Volke erzählt. Zweite Vereinsgabe des Katholischen Pressvereines in der Diöcese Seckau für das Jahr 1902. Erster Theil. Graz, 1902.

WOHNOUT, Helmut: Das österreichische Hospiz in Jerusalem. Geschichte des Pilgerhauses an der Via Dolorosa. Wien–Köln–Weimar, 2000.

WRBA, Marian (Hg.): Austrian Presence in the Holy Land in the 19th and early 20th Century. Proceedings of the Symposium in the Austrian Hospice in Jerusalem on March 1–2, 1995. Tel Aviv, 1996.

 

Anmerkungen

1

Eliav, Mordechai unter Mitarbeit von Haider, Barbara (Hg.): Österreich und das Heilige Land. Ausgewählte Konsulatsdokumente aus Jerusalem 1849–1917. Fontes rerum Austriacarum 2. Abt., Bd. 91. Wien, 2000. Dok.67: Caboga an Ministerium des Äußern, Jerusalem, 1880. 255.

2

Eliav – Haider (Hg.): Österreich und das Heilige Land. Dok.68: Caboga an Ministerium des Äußern, Jerusalem, Ende 1880–Anfang 1881. 260f.

3

Vgl. dazu zum Beispiel die zusammenfassende Darstellung bei Carmel, Alex: Der christliche Beitrag zum Wiederaufbau Palästinas im 19. Jahrhundert. In: Böhler, Bernhard A. (Hg.): Mit Szepter und Pilgerstab. Österreichische Präsenz im Heiligen Land seit den Tagen Kaiser Franz Josephs. Katalogbuch. Wien, 2000. 12–18.

4

Eliav – Haider (Hg.): Österreich und das Heilige Land. Dok.68: Caboga an Ministerium des Äußern, Jerusalem, Ende 1880–Anfang 1881. 265.

5

Siehe zum Generalkommissariat Wasner, Rigobert: Geschichte des General-Kommissariates von Wien. In: 300 Jahre General-Kommissariat des Heiligen Landes in Wien. Jubiläumsnummer der Österreichischen Pilgerbriefe April–Juni 1933. 4–24.

6

Da das Wiener Generalkommissariat bestrebt war, die katholische Mission im Orient zu unterstützen, lag der Gedanke an die Einrichtung einer Buchdruckerei in den Klosterräumen von St. Salvator in Jerusalem nahe, die Bücher – auch in arabischer Sprache – herstellen sollte. Bereits in den Jahren 1846/47 wurde mit österreichischem Geld ein entsprechendes Unternehmen ins Leben gerufen.

7

Eliav – Haider (Hg.): Österreich und das Heilige Land. Dok.2: Stürmer an Metternich, Constantinopel, 1845 März 5. 100.

8

An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass sich die tatsächliche Tätigkeit des österreichischen Konsulats in Jerusalem vor allem in den Schutzangelegenheiten in der Folge jedoch vornehmlich auf die von Metternich nicht einmal erwähnte zahlenstarke jüdische Bevölkerung bezog. Dazu ausführlich Eliav – Haider (Hg.): Österreich und das Heilige Land.

9

Eliav – Haider (Hg.): Österreich und das Heilige Land. Dok.3: Vortrag Metternichs an Kaiser Ferdinand, Wien, 1846 Februar 24. 102f.

10

Katholiken und Orthodoxe gerieten aufgrund der besonderen Besitzverhältnisse an den Heiligen Stätten jahraus, jahrein in – zum Teil tätliche – Auseinandersetzungen, besonders häufig in der Grabeskirche in Jerusalem und in der Geburtsgrotte in Bethlehem. Im Hintergrund dieser oft vordergründig scheinenden Konflikte standen stets ausgeprägte (kirchen-)politische Interessen.

11

Eliav – Haider (Hg.): Österreich und das Heilige Land. Dok.5: Stürmer an Pizzamano, Constantinopel, 1849 Jänner 9. 107–110.

12

Vgl. Eliav – Haider (Hg.): Österreich und das Heilige Land. Dok.16, 18–20. Österreich besaß des Weiteren ein Vizekonsulat in Jaffa (bis 1871 eine Konsularagentie), seit 1858 eine Konsularagentie in Safed und seit dem Ende des 19. Jahrhunderts eine weitere in Haifa.

13

Vgl. Loritz, Urban: Blätter aus dem Tagebuche meiner Pilgerreise in das heilige Land im Jahre 1855. Wien, [1856]. 3.

14

Breycha-Vauthier, Arthur: Österreich in der Levante. Geschichte und Geschichten einer alten Freundschaft. Wien–München, 1972. 59.

15

Vgl. Eliav – Haider (Hg.): Österreich und das Heilige Land. Dok.159: Jahresbericht des Vizekonsulats pro 1910, Jaffa, November 1911. 479f.

16

Siehe zum Hospiz nunmehr Wohnout, Helmut: Das österreichische Hospiz in Jerusalem. Geschichte des Pilgerhauses an der Via Dolorosa. Wien–Köln–Weimar, 2000. Ders.: Das österreichische Hospiz. In: Böhler (Hg.): Mit Szepter und Pilgerstab. 75–88.

17

Für die innere Verwaltung des Hauses wurden ab 1895/96 zusätzlich Schwestern der schlesischen Kongregation des Hl. Karl Borromäus aus dem Provinzialhaus in Alexandrien zugezogen

18

Vgl. zu Tantur Stransky, Thomas F.: Das österreichische Hospital am Tantur. In: Böhler (Hg.): Mit Szepter und Pilgerstab. 267–279. Ders., The Austrian Hospital at Tantur (1869–1918). In: Wrba, Marian (Hg.): Austrian Presence in the Holy Land in the 19th and early 20th Century. Proceedings of the Symposium in the Austrian Hospice in Jerusalem on March 1–2, 1995. Tel Aviv, 1996. 98–121.   

19

Vgl. Haider, Barbara: Zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Kirche und Staat in Österreich(-Ungarn) und das Heilige Land 1843/49–1917. In: Böhler (Hg.): Mit Szepter und Pilgerstab. 66f. Die Übergabe des Hauses an die Brüder erfolgte am 1. Jänner 1894.

20

Eliav – Haider (Hg.): Österreich und das Heilige Land. Dok.116: Vortrag Gołuchowskis an Kaiser Franz Joseph, Wien, 1897 November 13. 358–362, Zitat 361. Konsul Jehlitschka in seinem Bericht nach Wien in richtiger Einschätzung des Ereignisses: „Der Eindruck dieses Ereignisses auf die hiesigen katholischen Kreise ist [...] ein bedeutender [...]. [...] Für Deutschland bedeutet die Erwerbung des ersten unter nationalem Schutze stehenden katholischen Sanctuariums [...] ein kirchenpolitisches Ereignis von nicht geringer Tragweite.” Ebda. Dok.118: Jehlitschka an Gołuchowski, Jerusalem, 1898 November 4. 365–370, Zitat 367.

21

Vgl. dazu Haider: Zwischen Anspruch und Wirklichkeit. 67–70.

22

Vgl. Ramhardter, Günther: Propaganda und Außenpolitik. In: Wandruszka, Adam – Urbanitsch, Peter (Hg.): Die Habsburgermonarchie 1848–1918. Bd. VI/1. Wien, 1989. 519.

23

Zitiert nach Breycha-Vauthier: Österreich in der Levante. 41.

24

Weiß, Johann: Reise nach Jerusalem und Wanderungen im heiligen Lande. Dem katholischen Volke erzählt. Zweite Vereinsgabe des Katholischen Pressvereines in der Diöcese Seckau für das Jahr 1902. Erster Theil. Graz, 1902. 43.