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Begegnungen
Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Band 14:39–46.

HANS-JÜRGEN KRUMM

Die Zukunft von Deutsch im vereinten Europa1

Ein Beitrag zur Feier des 60. Geburtstages von Prof. Dr. K. Manherz

 

Ich möchte, lieber Kollege Manherz, die Gelegenheit zunächst einmal nutzen, Dank zu sagen – als Besitzer beider Pässe erlaube ich mir zu sagen, den Dank vieler österreichischer wie deutscher Germanisten für viele Jahre fruchtbarer Zusammenarbeit. Und ich möchte betonen, dass diese Zusammenarbeit nicht zuletzt dank Ihrer Arbeit wahrhaftig keine Einbahnstraße war und ist. Die ungarische Germanistik hat der deutschsprachigen immer schon wichtige Impulse vermittelt und ist keinesfalls ein verkleinertes Abbild der deutschen bzw. österreichischen: die kontrastive und im Weiteren die angewandte Linguistik – um bei meinem Fachgebiet zu bleiben – sind ein Paradebeispiel dafür. Unter Ihrer Schirmherrschaft hat die Budapester Germanistik durch ihre Offenheit und Reformorientierung Modelle etwa im Bereich der Deutschlehrerausbildung realisiert, die auch dann, wenn Sie inzwischen auch hier im Lande wieder eingeschränkt werden, ihre Spuren in der europäischen Fachszene hinterlassen werden.

Sie haben früher als viele andere erkannt und realisiert, dass Wissenschaft sich nicht im Elfenbeinturm verstecken darf, dass Sprachenpolitik ein zentraler Bestandteil unseres Faches ist. Sie haben in den letzten Jahren an verschiedenen Stellen, z.B. im November 2001 in Wien, energische Plädoyers für die Entfaltung einer europäischen Mehrsprachigkeit gehalten und damit zugleich in einer besonderen Weise zum Lehren und Lernen der deutschen Sprache beigetragen.

Damit bin ich bereits mitten in meinem Thema: wie sieht die Zukunft der deutschen Sprache (und in dem Kontext natürlich auch der Germanistik) in einem vereinten Europa aus? Werden Germanisten überhaupt noch gebraucht oder wird das English Only unsere Bemühungen um die deutsche Sprache bald überflüssig machen?

 

1. Eine Währung – eine Sprache?

Mit dem Euro hat sich die EU eine einheitliche Währung gegeben, so dass man versucht ist zu folgern, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis auch eine einzige Europasprache durchgesetzt wird.

Allerdings zeigt schon die einheitliche Währung, wie viel Wert die EU-Europäer darauf legen, nicht nur die Gemeinsamkeiten, sondern auch die Unterschiede hervorzuheben. So wie die Rückseiten der Euro-Münzen sich national unterscheiden, so gilt auch für die Euro-Briefmarken, dass ihre Motive, ja sogar ihre Gültigkeit nach wie vor national bestimmt sind.

Mobilität und Globalisierung führen nicht, wie manche fürchten, zur Nivellierung sprachlicher und kultureller Unterschiede – ganz im Gegenteil: der Musiksender MTV z.B., der ursprünglich davon ausging, seine PoP-Musik auf einem englischsprachigen Kanal weltweit erfolgreich vertreiben zu können, hat inzwischen 28 regionale Studios eingerichtet, in Europa u.a. in Paris, Barcelona, Warschau, Rom und München: „Ein regionales Programm mit Kultur und Informationen aus ihrer eigenen Lebenswirklichkeit," so die deutsche Programmchefin, „spendet da ein bisschen Nestwärme. ... Die eigene (im Text: deutsche) Sprache ist in dieser komplizierten Welt für manchen eine Art emotionaler Ankerplatz”2

Gleiches lässt sich für das Internet sagen: zu Beginn war das Internet tatsächlich monolingual englischsprachig, doch das hat sich geändert:

Der Anteil von Leitseiten in anderen Sprachen als Englisch ist derart angestiegen, dass der Anteil englischsprachiger Homepages 1999 nur noch 62 % gegenüber 84 % im Jahr 1995 betrug. Der Anteil der Leitseiten auf Deutsch hat sich von 4,5 % auf 13 % (= 24.251.665) nahezu verdreifacht. Der japanischsprachige Anteil hat sich von 3,1 % auf 5 % der französischsprachige von 1,8 % auf 4 % 1999 verdoppelt. Selbst auf Niederländisch gibt es inzwischen knapp 3 Mio Leitseiten.3

Meine einfache Suche unter dem Stichwort Kommunikation erbrachte kürzlich bereits 133 Leitseiten in ungarischer Sprache.

Gerade das Internet hilft, viele Sprachen in die ganze Welt zu transportieren und umgekehrt: mit dem Internet, mit dem Satellitenfernsehen, mit der beruflichen und Freizeit-Mobilität unserer Gesellschaft, begegnen uns allen, auch jüngeren Kindern schon zuhause früh andere Sprachen und Kulturen.

Werfen wir einen genaueren Blick auf die deutsche Sprache, so ergibt sich in den letzten 10 Jahren ein zwiespältiges Bild:

– innerhalb der EU gibt es zwar auch teilweise einen Anstieg der Nachfrage nach Deutsch, vor allem in Sonderfällen wie Griechenland, wo erstmals überhaupt Deutschangebote im Schulbereich einführt wurden, doch ist dieser Anstieg nicht stabil – Frankreich z.B. verzeichnet bis 1995 eine Steigerung, seit 1996 einen deutlichen Rückgang;

– in einigen Fällen innerhalb und außerhalb der EU steht dem Rückgang von Deutsch im Schulbereich eine Zunahme im Bereich der Hochschulen und Erwachsenenbildung gegenüber; eine Tendenz, die sich ja auch im deutschen und österreichischen Bildungswesen findet, wo Sprachen in der Schule vom Englischunterricht verdrängt und in Volkshochschulen und Hochschulen abgedrängt werden;

– besonders aufschlussreich ist der Vergleich zwischen West- und Mittel-/ Osteuropa, z.B. zwischen Portugal und Ungarn, Ländern mit einer etwa gleich großen Einwohnerzahl von ca. 10.2 Millionen: in beiden Ländern hat die Nachfrage nach Deutsch von 1985 bis zum Jahr 2000 zugenommen, in Portugal hat sich die Zahl von ca. 6000 Schülern im Jahr 1985 verfünffacht auf ca. 30.000 Schüler; in Ungarn hat sich die Zahl dagegen verfünfzehnfacht, wobei schon die Ausgangszahl 1985 erheblich höher lag, bei ca. 40.000, aus denen im Jahr 2000 etwa 600.000 Deutschlernende geworden sind.

Regionale Aspekte, die sprachliche Nachbarschaft z.B., die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Ländern spielen eine deutliche Rolle: von denjenigen Unternehmen, die Bedarf an Fremdsprachenkenntnissen haben, gaben bei einer Befragung 1998 79 % der befragten ungarischen, aber nur 30 % der befragten portugiesischen Unternehmen an, Kenntnisse in der deutschen Sprache zu benötigen.

Menschen, die eine Sprache lernen, wollen wissen, ob sich der damit verbundene Zeitaufwand, die damit einhergehende Anstrengung lohnt. Dabei muss es nicht nur um wirtschaftliche und berufsbezogene Argumente gehen – aber gerade weil wir wissen, dass Menschen mit Sprachen positive wie auch negative Erfahrungen und Einstellungen verbinden, entwickelt sich Mehrsprachigkeit nur, wenn sie eine bildungspolitische Unterstützung findet, für die sich auch Germanisten einsetzen und Argumente liefern müssen. Die Zertifizierung von Sprachkenntnissen, wie sie hier in Ungarn üblich ist, ist ein in diesem Kontext durchaus zentraler Punkt.

 

2. Deutsch ist keine weltweite Lingua Franca, wohl aber eine europäische Sprache von internationaler Bedeutung.

Auch wenn wir gerne von der Gleichwertigkeit aller Sprachen reden, so wissen wir doch zu genau, dass Sprachen keineswegs gleichwertig sind. Im Unterschied zum Erwerb der englischen Sprache, die sicherlich inzwischen durchweg als ‘lingua franca’ gelöst von einem konkreten kulturellen Kontext gelehrt und gelernt wird, gilt für alle anderen europäischen Sprachen, dass sie nicht zu lösen sind von der jeweiligen politischen und kulturellen Geschichte und Gegenwart ihrer Sprecher. Für die deutsche Sprache zum Beispiel ist bis heute prägend, dass sie – je nach Fokus und Interesse – auch die Sprache der nationalsozialistischen Unterdrückung, die Sprache des Kommunistischen Manifestes, die Sprache Hegels und Einsteins, die Sprache der D-Mark usf., die Sprache der wirtschaftspolitisch in Europa dominierenden Bundesrepublik, die Sprache des historisch eng mit Ungarn verbundenen Nachbarlandes Österreich war und ist.

Es geht also nicht darum, vergeblich zu versuchen, der englischen Sprache den Rang abzulaufen. Im Grunde sollte man Englisch gar nicht mehr zu den zu lernenden Fremdsprachen zählen, sondern zu jenen Kulturtechniken, über die Menschen heute verfügen müssen, so wie den Führerschein oder die Fähigkeit, einen PC zu benutzen. In gewisser Weise befreit das im Hinblick auf die deutsche und andere Sprachen dazu, über die spezifischen Aspekte nachzudenken, die mit gerade dieser Sprache verknüpft sind und unter denen diese Sprache wieder attraktiv wird. Nur dann hat die deutsche Sprache eine tragfähige Zukunft auf dem Sprachenmarkt, wenn diese Spezifika beachtet werden. Ich kann aus Zeitgründen nur drei dieser Spezifika hervorheben, die für die zukünftige Entwicklung der deutschen Sprache konstitutiv sind:

Spezifikum 1: Deutsch hat eine Zukunft als europäische Sprache

Das klingt scheinbar selbstverständlich, ist es aber, wenn wir auf den Deutschunterricht in Schule und Studium, auf die Lehrpläne und Lehrbücher blicken, keineswegs.

Im vorigen Jahr erschien in der Tschechischen Republik eine Broschüre mit Informationen zum Deutschlernen. Auf dem Titelblatt gab es 5 Stichwörter:

Europa – Tschechien – Deutschland – Österreich – Schweiz.

Damit wurde für Interessenten zu Recht deutlich gemacht: Wer Deutsch lernt, lernt eine europäische Sprache, die nicht nur in einem, sondern in vielen Ländern gesprochen wird: in Deutschland ebenso wie in Österreich und der Schweiz, in Liechtenstein, Luxemburg und Belgien, aber auch in Ungarn, Polen und Tschechien.

Zu Deutsch als eine europäische Sprache gehört, dass diese Sprache überall ein wenig anders klingt, dass sich die regionalen und nationalen Varietäten unterscheiden. Was diesen „Geruch und Geschmack der Sprache", wie Harald Weinrich das einmal genannt hat, betrifft, kann man die Lernenden auf Entdeckungsreise schicken: den Klang der Sprache in verschiedenen Regionen zu entdecken, die Lebenswelten der Sprache herauszufinden, zu prüfen, wie europäisch, wie international die neue Sprache ist. Das geht im Internet ebenso wie in literarischen Texten, auf den verschiedenen Fernsehkanälen ebenso wie auf Hörkassetten und im Wörterbuch lässt sich etwas herausfinden über Deutsch als eine plurizentrische und europäische Sprache.

Eine europäische Sprache als europäische Sprache lernen heißt aber auch, dass man dabei Europa neu kennenlernen kann: Deutsch als Nachbarsprache Ungarns ist ein Thema, mit dem die deutsch- bzw. österreichisch-ungarische Vergangenheit und Gegenwart ins Spiel kommen, einschließlich der Veränderungen, die z. B. die deutsche Vereinigung und die Öffnung des Eisernen Vorhangs mit sich gebracht haben und die ein EU-Beitritt Ungarns mit sich bringen wird. Von hier aus lässt sich weiterfragen nach den Grenznachbarschaften des deutschsprachigen Raumes zu Italien, Slowenien, der Slowakei, Tschechien und Polen. Was bedeuten diese (Sprach-)Nachbarschaften politisch, kulturell, wirtschaftlich – und schließlich, was bedeuten sie sprachlich, welche Spuren haben sie in der deutschen, aber auch in der ungarischen Sprache hinterlassen?

Spezifikum 2: Deutsch hat eine Zukunft im Kontext von Mehrsprachigkeit

Das Reinheitsgebot für das deutsche Bier ist bekannt – für Sprachen gibt es kein solches Reinheitsgebot. Diese Erkenntnis gilt in ganz verschiedener Hinsicht: für die Sprache selbst – im Deutschen müssten wir auf den Kaffee ebenso wie auf den Tee, auf den Palatschinken und den Friseur ebenso wie auf das Amüsieren verzichten, würden wir auf einem solchen Reinheitsgebot bestehen. Das gilt aber auch für den individuellen Sprachgebrauch. Wenn Sie heute einen Film oder eine Packung Windeln kaufen, so sind diese in 4–12 Sprachen beschriftet – man kann sich aussuchen, in welcher dieser Sprachen man die Gebrauchsanweisung liest, so wie man im Internet bei vielen Homepages einen Sprachschalter betätigen kann, um die jeweiligen Informationen in einer ganz bestimmten Sprache zu bekommen.

Immer mehr junge Menschen bringen diese sprachliche Vielfalt bereits mit in den Unterricht und das Studium. In einer Sammlung von Sprachbiographien, die ich in den letzten Jahren durchgeführt habe, indem die 10–15jährigen jede Sprache mit einer anderen Farbe in eine Silhouette hineinmalen sollten, weisen viele Schülerinnen und Schüler bereits mit 10 Jahren mehr als 5 Sprachen nach.

„mein Herz ist ungarisch” – so kommentiert ein ungarischer Bub sein Porträt – „die wichtigsten Teile meines Körpers sind ungarisch. Mein Bauch ist italienisch, weil ich gern italienisch esse. Meine Beine sind deutsch, weil ich im deutschen Sprachgebiet lebe. Meine Arme sind englisch, weil ich zum Arbeiten im späteren Leben Englisch brauchen werde.”

Tschechisch, Slowakisch und Französisch kommen bei ihm noch hinzu.

Dieses Miteinander von vielen Sprachen wird glücklicherweise zunehmend auch für das Sprachenlernen in der Schule zum Vorbild. Ungarn orientiert sich wie die meisten europäischen Länder an dem von der Europäischen Kommission in ihrem Weißbuch ‚Lehren und Lernen – auf dem Wege zur kognitiven Gesellschaft’ 1995 formulierten Grundsatz, dass jeder Bürger seine Muttersprache und zwei weitere Fremdsprachen lernen solle. Auf den weiterführenden Schulen und im Studium werden es hoffentlich mehr sein. Das bedeutet aber zugleich, dass der Unterricht auf dieses Miteinanderlernen von Sprachen eingerichtet werden muss: Unterricht in der ersten Fremdsprache muss das Lernen weiterer Sprachen mit vorbereiten, zum Beispiel, indem Lernstrategien für das Lernen von Wörtern, das Verstehen von Texten entwickelt werden und generell die Wahrnehmung von Sprachen trainiert wird: Der Sprachunterricht in der ersten Sprache, so drücken wir das metaphorisch aus, öffnet Fenster auf weitere Sprachen, schafft Sprachaufmerksamkeit, language awareness. Der Unterricht in den weiteren Fremdsprachen muss dann allerdings systematisch aufgreifen, was schon gelernt wurde, kann Synergien nutzen, lernökonomisch vorgehen. Wird Deutsch nach Englisch oder Englisch nach Deutsch gelernt, so sollte der Unterricht nicht so tun, als säßen blutige Anfänger in der Klasse. Die Lernenden, die eine zweite Fremdsprache lernen, wissen schon viel über das Sprachenlernen, z.B. wie man sich Vokabeln einprägt, wie man einen Text versteht, auch wenn einzelne Wörter unbekannt sind. Sie wissen bereits, dass sich Sprachen in Laut und Schrift, in Wortstellung u. ä. von der Muttersprache unterscheiden. Sie wissen meist, was ein Verb ist und was ein Adjektiv. Von all dem kann Unterricht in einer zweiten oder dritten Sprache Gebrauch machen. Niemand muss mit jeder Fremdsprache neu lernen, zur Post zu gehen oder zu frühstücken. Jede weitere Sprache muss helfen, ein Stück mehr Welt zu entdecken; gerade die Nähe zu Englisch, die Tatsache, dass z.B. das Englischlernen schneller geht, wenn man schon Deutsch kann, sollte systematisch für das Sprachenangebot genutzt werden. Das könnte soweit gehen, dass Lernende, die beide Sprachen gleichzeitig lernen, gelegentlich auch gemeinsame Sprachstunden erhalten, in denen die beiden Sprachen auf ihre Gemeinsamkeiten und Unterschiede hin untersucht werden.

Sprachenlernen sollte als eine Entdeckungsreise in eine mehrsprachige Welt angelegt sein: in Portugal wurde ich von einer aus Deutschland zurückgekehrten Remigrantin gefragt, welches denn nun ihre Muttersprache sei, das Deutsche, mit dem sie 20 Jahre lang aufgewachsen ist, oder das Portugiesische, die Sprache ihrer Eltern und des Landes, in dem sie nun wieder lebe. Die monolingualistische Auffassung von Mensch und Nation führt zu solcher Konfliktzweisprachigkeit – in Zukunft jedoch werden die Menschen in zunehmendem Maße eine mehrsprachige Identität entwickeln, in der man sich nicht mehr nur für eine Sprache entscheiden muss. „Einsprachigkeit ist eine Krankheit”, so hat es Peter Nelde formuliert, „aber sie ist heilbar”.

Die Einführung des Sprachenportfolios des Europarats sehe ich in diesem Zusammenhang als eine wichtige Chance für Kinder und Erwachsene, sich ihres Sprachenreichtums bewusst zu werden, aber auch für die Lehrkräfte, die damit vielleicht erkennen, worauf sie aufbauen können, und nicht zuletzt für eine Gesellschaft, die vor dem vorhandenen Sprachenreichtum bislang die Augen verschließt.

Spezifikum 3: Deutsch hat eine Zukunft als Sprache, die zu interkultureller Kommunikation befähigt.

In seinen autobiographischen „Bekenntnissen” schreibt Ionesco (1984):

„Ich wurde in meiner Jugend sehr durcheinandergebracht. In der französischen Volksschule hatte ich gelernt, dass das Französische die schönste Sprache der Welt ist, dass die Franzosen das tapferste Volk der Welt sind ... In Bukarest lehrte man mich, dass die schönste Sprache der Welt das Rumänische ist, dass die Rumänen ihre Feinde immer besiegt haben ... So lernte ich, dass nicht die Franzosen, sondern die Rumänen die besten und allen überlegen sind. Gott sei Dank kam ich ein Jahr später nicht nach Japan!”

Auch Sprachunterricht bewirkt nicht unbedingt Anerkennung von Mehrsprachigkeit und Verschiedenheit: die Überlegenheit der einen Sprache (und Nation) über die andere oder gar „der Fremde als Feind” kann durchaus zentrales Motiv für das Sprachenlernen sein.

Wenn Deutschunterricht und Germanistik einen Beitrag dazu leisten sollen, dass Lernende sich in einer vielsprachigen Welt zurechtzufinden, Verschiedenheit nicht als Kriterium der Ausgrenzung sehen, sondern es lernen, Sprach- und Kulturgrenzen zu überwinden, dann geht das nur, wenn sich der Sprachunterricht der spezifischen eigensprachlichen Prägung der Lernenden bewusst ist und diese zum Thema macht.

Bereits mit dem Erlernen einer ersten Fremdsprache kann man Distanz zur eigensprachlich geprägten Weltsicht gewinnen, erst recht kann eine zweite Fremdsprache dazu führen, sich die Verschiedenheit der sprachlichen Blicke auf die Welt wie auch der individuellen Möglichkeiten sich zu verständigen, bewusst zu machen. Das Miteinander von verschiedenen Sprachen – und damit kommen ja immer auch verschiedene Lebenswelten, Kulturen ins Spiel – dieses Miteinander schafft neue Formen des Wahrnehmens und Denkens, die Voraussetzung dafür sind, dass sich die Fähigkeit zu interkultureller Kommunikation entwickelt.

In Zeiten der Globalisierung, der Mobilität und der Vernetzung gewinnen interkulturelle Fähigkeiten an Bedeutung. Ziel des Deutschunterrichts ist daher, wie der Europarat es im Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen für Sprachen formuliert, der interkulturelle Sprecher. Es geht also nicht nur um die Fähigkeit zu grammatisch korrektem Sprachgebrauch, sondern auch um die Fähigkeit, die mit Sprache verbundenen Wertsysteme einzuschätzen, mit Missverständnissen umgehen zu können. Sprachenlernen für eine mehrsprachige Welt heißt: Sprachenlernen für eine interkulturelle Kommunikation.

Sprachunterricht gewinnt mit einer solchen Zielsetzung eine wichtige pädagogische und gesellschaftspolitische Funktion zurück, indem er seinen Beitrag dazu leistet, mit Vielsprachigkeit, mit Verschiedenheit umzugehen. Hier liegt für mich ein entscheidender Grund, weshalb wir nicht damit zufrieden sein können, dass so viele bei uns Englisch lernen. Sprachen allein dem Markt kommerzieller Sprachanbieter und der Nachfrage überlassen bedeutet, dass gerade diese kulturelle, auf den ersten Blick nicht kommerzielle Seite des Sprachenlernens zu kurz kommt.

Schluss:

Im Hinblick auf das Zusammenwachsen Europas, im Hinblick auf Mobilität und Globalisierung ist die Fähigkeit zu interkultureller Kommunikation, die Bereitschaft zur Verständigung wie auch die Bereitschaft, Vielfalt und Verschiedenheit zu akzeptieren, eine existentielle Grundlage unserer europäischen Gesellschaft. Die Germanistik und der Deutschunterricht können in diesem Zusammenhang einen wichtigen Beitrag zur Zukunftssicherung leisten.

Mit meinen Glückwünschen zu Ihrem Geburtstag, lieber Kollege Manherz, verbinde ich die Hoffnung, dass wir gemeinsam an dieser Aufgabe weiterarbeiten können.

 

Anmerkungen

1

Der Vortrag greift Gedanken auf, die auch in meinem Beitrag für die Festschrift von Prof. Manherz formuliert sind: „Deutschunterricht in einer mehrsprachigen Welt-Konsequenzen für die Deutschlehrerausbildung” in: M. Erb u.a. (Hg.), „...und Thut ein Gnügen Seinem Ambt”, Budapest 2002, 543–553.

2

„Weltweite Nestwärme”; Beitrag zum Musiksender MTV. DER SPIEGEL Nr. 44, 30. 10. 2000, 234–238.

3

Vgl. U. Ammon: Das Internet und die internationale Stellung der deutschen Sprache. In: H. Hoffmann (Hg.), Deutsch global. DuMont, Köln 2000. 241–260. Zur Stelle S. 251.