Begegnungen
Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Band 14:177–191.
GYÖRGYI BINDORFFER
Die Rolle der Geschichte im Leben der Ungarndeutschen
Das Beispiel von Dunabogdány
1. Die Geschichte von Dunabogdány
Die archäologischen Ausgrabungen beweisen, dass Dunabogdány bereits in der Kupferzeit bewohnt war. Seine erste urkundliche Erwähnung unter dem Namen Bogud stammt aus dem Jahre 1285. Als im 14. Jahrhundert das Dorf wieder zum königlichen Besitz wurde, wurde es als Bogdanryw erwähnt. 1559 eroberten die Türken die Siedlung, wo 36 steuerpflichtige Häuser zu finden waren. Nach der türkischen Herrschaft gelangte Dunabogdány in den Besitz der Grafenfamilie Zichy. Anfang des 18. Jahrhunderts lebten insgesamt 16 reformierte ungarische und drei slowakische Familien im Dorf.
Den katholischen Kirchenbüchern nach beginnt die schriftliche Geschichte der Dunabogdányer Schwaben im Jahre 1724, als ungefähr 300 katholische Schwaben aus Deutschland ankamen und sich auf dem Grundbesitz von Graf Peter Zichy ansiedelten. Die siebzig-achtzigjährigen Ältesten erinnern sich nur daran, dass ihre Urahnen irgendwo in Bayern oder in der Umgebung von Ulm und Stuttgart lebten. Die genauen Ortschaftsnamen, Staaten oder Herzogtümer blieben im kollektiven Gedächtnis nicht erhalten.
Die Rolle der schwäbischen Bauern bestand darin, die nach der Türkenherrschaft zugrunde gegangene Landwirtschaft und in erster Linie den Ackerbau wiederzubeleben. Im Jahre ihrer Ankunft bewohnten ca. hundert reformierte Familien das Dorf. Die katholische Pfarrei nahm ihre Tätigkeit in Dunabogdány 1721 auf und begann die deutschen Kolonisten sofort nach ihrer Ansiedlung zu registrieren. Die stark katholischen Schwaben zögerten nicht, die kleine katholische Kirche, nach Sankt Johann von Nepomuk benannt, so bald wie möglich zu erweitern. Sie bauten ihre Kirche wegen Naturkatastrophen und eines Brandes dreimal wieder auf. Die zweite Welle der Kolonisten kam 1767 in Dunabogdány an. Ein Jahr früher tauschte Graf Peter Zichy seinen Grundbesitz, so gelangte die Ortschaft zum Kronbesitz von Altofen/Óbuda (Voit 1958; L. Gaál 1988; Borovszky 1990).
Bei der Frondienstregelung 1770 wurden 23 Fronhöfe registriert. Nach den Angaben der Volkszählung auf Verordnung von Joseph II. wohnten in Dunabogdány zwischen 1784–87 311 schwäbische Familien in 268 Häusern, die Zahl der schwäbischen Bevölkerung machte 1567 aus (Dányi/Dávid 1960: 118). Über die ethnische Zusammensetzung des Dorfes gibt aber diese Registrierung keine Information. Erst anlässlich der Volkszählung von 1812 wurde die Einwohnerschaft über ihre ethnische Abstammung befragt. Demzufolge lebten schon 1945 Schwaben und 175 Magyaren in Dunabogdány. Die Erhöhung ist der zweiten großen Ansiedlungswelle und den im Laufe des 18. Jahrhunderts ständig aus Deutschland strömenden Verwandten, Bekannten und Freunden zu verdanken.1 Die meisten Kolonisten kamen mit der ganzen Familie, mit 2–3 Kindern und mit kaum etwas Geld nach Ungarn.
Das große Hochwasser an der Donau im Jahre 1838 vernichtete die am Donauufer stehenden Bauernhäuser. Im Laufe des Jahrhunderts verwüsteten mehrmals Hochwasser und Feuer das Dorf. Als Folge der Naturkatastrophen erhöhte sich die Einwohnerzahl langsamer, 1850 lebten noch immer 2300 Personen in Dunabogdány (Dányi 1993: 145). Die Bevölkerungszahl der Volkszählung vor 150 Jahren verdoppelte sich nur auf 1930. Zu dieser Zeit lebten insgesamt 3095 Personen hier, zwei Drittel waren Schwaben. 1941 bekannten sich 78,3 Prozent der Gesamtbevölkerung zur schwäbischen Muttersprache. 88,5 Prozent sagten, dass sie auch ungarisch sprächen. Das bedeutet, dass unter den Schwaben neben der Muttersprache auch die ungarische Sprachkenntnis allgemein war. Damals schien die Muttersprache das wichtigere Grenzzeichen der ethnischen Identität zu sein; heute dominiert aber infolge der schnellen sprachlichen Assimilation die Abstammung. Die wirklichen und die registrierten ethnischen Verhältnisse decken sich aber nicht. Obwohl sich 1980 nur 31, 1990 nur 155 Personen zu ihrer schwäbischen Abstammung bekannten und nur 30 bzw. 90 Personen Deutsch für ihre Muttersprache hielten, weiß ein jeder im Dorf, dass zwei Drittel Schwaben, und nur ein Drittel Magyaren sind.
2. Die Ausbildung des ungarischen historischen Bewusstseins
Die Ausbildung des historischen Bewusstseins der schwäbischen Minderheit in Ungarn wird „von der Tatsache geprägt, dass sie in einer Zeit nach Ungarn wanderte, als sich die moderne Nationalidentität ihres Volkes noch nicht herausbildete” (Joó 1988: 41).2 Weinhold stellte fest: „das Identitätsbewusstsein der deutschen bäuerlichen Untertanen verknüpfte sich mit ihrem Herrn und Gebiet. So waren sie Franken, Schwaben, Bayern, und als solche machten sie sich auf den Weg nach fremden Ländern” (1981: 726). Was ihre ethnische Identität anbelangt, blieben die Kolonisten bei den Bewusstseinsformen, die „ihr Denken zur Zeit der Auswanderung bestimmte” (Weinhold 1981: 727).
Das Ungarndeutschtum konnte die Nationalisation der Kultur (Löfgren 1989), das Zustandebringen der deutschen literarischen Sprache, die Geburt der deutschen Nation im Rahmen eines einheitlichen Staates nicht miterleben.3 Dementsprechend verfügten die Schwaben über keine einheitliche deutsche Umgangs- und Hochsprache und Nationalkultur oder über deutsches Nationalbewusstsein. Ihre Lage war umso schlimmer, da die Beziehungen zu dem Vaterland nach der Kolonisation abgebrochen wurden. So war die sprachliche Entwicklung und die Zusicherung der Kontinuität eines deutschen kulturellen Hinterlandes unmöglich (Hutterer 1961). Ihr historisches Bewusstsein wurde weiterhin auch dadurch beeinflusst, dass die Kolonisten in verschiedener Zeit, von verschiedenen Gebieten Deutschlands und eventuell Österreichs mit verschiedener Kultur, Religion, verschiedenem Dialekt und verschiedenen Sitten und Bräuchen kamen. Seewann (1991) stellt fest, dass infolgedessen die Schwaben keine homogene Einheit bilden und kein kollektives ethnisches Bewusstsein haben. Die vielfältige Heterogenität behinderte weiterhin auch ihre politische, kulturelle und sprachliche Vereinigung. Unter den verschiedene Dialekte sprechenden Schwaben wurde die ungarische die Vermittlersprache. Dementsprechend konnte sich das Bewusstsein einer gemeinsamen historischen Schicksalsgemeinschaft bis nach dem zweiten Weltkrieg nicht herausbilden. Wie ich in Dunabogdány gehört habe, standen die Magyaren ihnen immer näher als andere Schwabengruppen in Ungarn.
Zu einem gemeinsamen historischen Bewusstsein, zur Herausbildung der Gruppenidentität und zum Kontinuitätserlebnis ist es nötig, gemeinsame „Mythen”, „Legenden”, Erinnerungen über die Migration, den Abstammungsort und das Vaterland zu haben. Das gemeinsame Bedeutungsuniversum und die Erzählungen über die Helden und lobenswerten historischen Ereignisse sind bei der Konstruktion der Geschichte einer Gruppe unentbehrlich. Ohne Vergangenheit ist es nicht möglich, eine Nation oder Nationalidentität zu schaffen. Die Schwaben verfügten über keine gemeinsame Vergangenheit aus dem alten Vaterland, hatten keine historischen „Mythen”, die im Interesse der Zusicherung der Kontinuität hätten wiederbelebt werden können, um sich damit zu identifizieren. Der Rückblick auf die Vergangenheit bietet einen sicheren Ausgangspunkt in der Ausbildung sowohl der persönlichen als auch der Gruppenidentität. Die Leute und Gruppen, die keine gemeinsame Geschichte haben, können sich in der Zeit nicht einordnen, um sich für andere Leute und Gruppen zu bestimmen.
Die Schwaben erlebten die Gestaltung der Nation in Ungarn mit, in dem Lande, das sie als Vaterland wählten. Dieser Prozess bot für die Schwaben andere Selbstbestimmungsrahmen, andere Näherungs- und Anschauungsmethoden an. Sie meinen in Dunabogdány, dass sie (mit Ausnahme der Aussiedlung) keine von den Magyaren abweichende Geschichte haben. Alles, was mit ihrer Geschichte verbunden ist, alles, woran sie zurückdenken können, verbindet diese Minderheit mit Ungarn. Da sie aus der Urheimat keine eigene Geschichte mitbrachten, entstand eine Lücke im Kontinuitäts- und Identitätsbewusstsein dieser Gruppe. Um dies zu überbrücken, eigneten sie sich die ungarische Geschichte, die geschichtlichen Erzählungen an. Der Mangel an der geschichtlichen Vergangenheit wurde mit der symbolischen Ausdehnung der ungarischen Geschichte sogar bis zum ersten ungarischen König, Sankt Stephan I. ersetzt. In dieser Konstruktion der mit den Magyaren gemeinsamen Geschichte hatten Gisella, die Frau von Sankt Stephan I. und die katholische Religion eine wichtige Rolle. Mit der Ehrung des ersten Königs von Ungarn und der den ungarischen Staat symbolisierenden Krone wurden sie Mitbeteiligte der ungarischen Staatlichkeit. Diese Ehrung und die Beteiligungsabsicht am Leben der ungarischen Nation und Geschichte beweist das Heldendenkmal neben der katholischen Kirche. Am Postament und an den Seiten des Denkmals sind die Namen der Opfer sowohl der Revolution und des Freiheitskampfes von 1848/49 bzw. von 1956 als auch der zwei Weltkriege zu lesen. Oben auf dem Denkmal sitzt seit den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts eine Steinkopie der ungarischen Königskrone. 1944, als sich die russischen Truppen Dunabogdány näherten, versteckten die Schwaben die Krone, die in diesen dunklen Zeiten verlorengegangen ist. Sie wurde erst in den fünfziger Jahren beim Abriss eines alten Hauses wieder gefunden und wieder an ihre originale Stelle gesetzt.
3. Was die Schwaben über ihre Geschichte in Ungarn denken
Im Rahmen einer speziellen Befragung habe ich die Dorfbewohner gebeten, verschiedene mit der Geschichte zusammenhängende Wörter wie Sieg, Held, König, Krone, Niederlage, mit dem Attribut schwäbisch oder ungarisch oder deutsch zu versehen. Aus den Antworten und den beigefügten Erklärungen geht hervor, wie sehr sich die Schwaben in Dunabogdány mit der ungarischen Geschichte identifizieren. 65 Prozent aller Attribute waren ungarisch, 12 Prozent deutsch und 23 Prozent schwäbisch-ungarisch. Die hohe Prozentzahl der ungarischen Erwähnungen und der Gebrauch dieses doppelten Attributes, das von den Gefragten selbst gebildet wurde, sind Beweise dafür, dass die Schwaben in Ungarn wirklich keine abgesonderte eigene Geschichte hatten. Sie meinen, mit Ausnahme der Aussiedlung sei ihr Schicksal mit dem der Magyaren identisch.
Es gibt aber interessante Unterschiede unter den drei Generationen. Das Attribut „schwäbisch-ungarisch” wurde am meisten von der ältesten Generation gebraucht (29 %). Das Attribut „deutsch” wurde am meisten von der mittleren Generation (14 %) und das Attribut „ungarisch” von der jüngeren Generation (79 %) gebraucht. Diese dritte Generation erwähnte das Attribut „schwäbisch-ungarisch” am wenigsten (11 %). Die Krone und der König wurden am meisten als „ungarisch” bezeichnet; die Befragten der dritten Generation gebrauchten bei diesen zwei Wörtern ausschließlich das Attribut „ungarisch”. Da das kollektive historische Gedächtnis den Namen der deutschen Könige und Herzöge vor der Kolonisation nicht bewahrte, konnten die Schwaben ein Königs- und Kronenerlebnis nur in Ungarn haben.
Es ist wahr: die Schwaben „nahmen an den Wanderungen und an der Suche der Magyaren nach einer Heimat nicht teil” (Csepeli 1992: 62). So ist es nicht erstaunlich, dass die Frage der historischen Abstammung der Magyaren in ihrer Identitätskonstruktion keine Rolle spielt. Sie waren gemeinsam mit den Magyaren unterdrückt, nahmen am Freiheitskampf von 1848/49 teil, arbeiteten fleißig, um „das Goldene Zeitalter” (ebd.) am Ende des 19. Jahrhundert zu erreichen, litten wegen des Zerfalls der Donaumonarchie (Friedensvertrag von Trianon) und der Niederlage im Ersten und Zweiten Weltkrieg. Diese Tatsachen trugen zu einem gemeinsamen Gedankengut mit den Magyaren und zur Herausbildung einer ungarischen Nationalidentität bei.
Alle drei Generationen lernten über die deutsche Geschichte vor und nach der Kolonisation und über die Geschichte der Magyaren in der ungarischen Schule. Und sie lernten mehr über Ungarn als über Deutschland. Dementsprechend wissen die Schwaben bereits in der ersten, ältesten Generation viel mehr über die Ereignisse, Persönlichkeiten der ungarischen Geschichte als über die der deutschen Geschichte. Die Kenntnisse über Deutschland stammen aus der Schule und überschreiten das dort Gelernte nicht. Diejenigen, die mehrmals das Attribut „deutsch” erwähnten, sind bestrebt, sich als Deutsche und nicht als Schwaben oder Magyaren zu determinieren. Diese Selbstbestimmung beruht aber auf einer affektiven Basis und hat keinen kognitiven Hintergrund.
Es ist erwähnenswert, dass die Helden sowohl ungarisch als auch schwäbisch sind. Das bedeutet, dass die Schwaben ebenso wie die Magyaren ihr Leben für das ungarische Vaterland opferten. Den Sieg teilen sich auch die Schwaben (56 %), die Niederlage ist aber in erster Linie deutsch (43 %) und ungarisch (41 %). Aus den hinzugefügten mündlichen Bemerkungen stellte es sich heraus, dass der Meinung der Dunabogdányer Schwaben nach sowohl Deutschland als auch sein Verbündeter, Ungarn, im Zweiten Weltkrieg dieselbe negative Rolle spielten. „Wir haben nichts gemacht, was die Magyaren nicht auch getan haben”, sagte ein alter Mann aus der ersten Generation. „Die Magyaren sind auch verantwortlich dafür, was dann geschehen ist. Die Magyaren hätten auch ausgesiedelt werden sollen!” Aufgrund der eigenen Erfahrungen stellte diese Generation die ungarische Verantwortlichkeit an die erste Stelle (45 %). Ganz unerwartet gaben aber die mittlere Generation und die Jüngsten die Verantwortung in erster Linie den Deutschen (52 %). Die Prozentzahlen des Sieges bzw. der Niederlage und die Erklärungen beweisen im Großen und Ganzen, dass die Niederlage die Schwaben ebenso tief berührte wie die Magyaren. Ihr Verhältnis zu den großen Tragödien der ungarischen Nation (Niederlage des Freiheitskampfes 1849, Friedensvertrag von Trianon usw.) differenziert sich von dem der Magyaren nicht; die nationale geschichtliche Typisierung ist ihnen nicht unbekannt.
„Die Akzeptierung der Traditionen erfolgt in einem kritisch-rationalen Prozess”, sagt Csepeli (1987: 250). Die Schwaben kritisierten die Magyaren wegen ihrer ständigen Auseinandersetzungen, übernahmen und akzeptierten aber aufgrund einer rationalen Argumentation die ungarischen historischen Traditionen, die durch die Bekräftigung des historischen Bewusstseins die wichtigste Basis für die Herausbildung der ungarischen Nationalidentität bildeten. Neben dem gemeinsam erlebten Schicksal spielten aber in diesem Prozess auch die sprachliche und nationale Sozialisation in der Schule und auch das Lernmaterial eine wichtige Rolle. Dementsprechend kennen die Befragten sehr viele deutsche Persönlichkeiten aus der Geschichte. Manchmal erwähnten sie sowohl Österreicher als auch Schweizer. Am meisten wurde die Frau unseres ersten Königs erwähnt. Franz Joseph, Maria Theresia, Hitler, Haynau, Friedrich von Preußen, Ludwig von Bayern, Karl der Große, Bismarck und Wilhelm Tell folgten ihr. Leider wussten wenige Befragte etwas über die germanische Abstammung der Deutschen, kannten ihr Herkunftsland oder konnten germanische Sagas und Heldenlieder erwähnen. Diejenigen, die für die deutsche Geschichte kein besonderes Interesse hegten oder nicht in einer deutschsprachigen Mittelschule lernten, wussten nicht mehr, manchmal sogar weniger als der Durchschnitt.
Demgegenüber kannte jeder Befragte ungarische Herkunftsmythen, wusste, woher die Magyaren stammen. Wie in der Schule gelernt, hatten sie ausführliche geschichtliche Kenntnisse über die Landnahme, die ‚Sieben Stämme’ oder die Staatsgründung. Die Ungarndeutschen kennen also die ungarische Urgeschichte besser und ausführlicher als die germanische Mythologie. Sogar die Mitglieder der ersten Generation wissen mehr über Sankt Stephan als über Kaiser Wilhelm, mehr über Kossuth als über Bismarck, mehr über die Revolution von 1848 als über das Zustandebringen des einheitlichen deutschen Staates.
4. Das eigene historische Schicksal
In der kontinuierlichen gemeinsamen Geschichte von Schwaben und Magyaren bedeutete 1945 einen traurigen Wendepunkt, als die Ungarndeutschen aus dem Lande vertrieben, aus der Nation ausgeschlossen wurden. Im Sinne der im Februar 1945 erschienenen Regierungsverordnung sollten sämtliche sich in Ungarn aufhaltenden Deutschen interniert werden. Die provisorische Regierung erließ bereits 1945 eine Verordnung, die die Enteignung des Gutes der Ungarndeutschen ermöglichte. Die ungarische Staatsbürgerschaft wurde ihnen bis 1950 aberkannt. Alle in die SS eingetretenen „Freiwilligen” verloren automatisch ihre ungarische Staatsangehörigkeit. Diese Repressionen, die Internierung und Vertreibung veränderten die bisherigen positiven nationalen Bewertungen der Schwaben. Sie konnten und können auch heute noch nicht verstehen, warum sie ihre Heimat verlassen mussten. Das negative Gefühl des Verstoßenseins veränderte die nationale Stabilität der Schwaben. Sie fühlten sich in ihrer Identität höchst instabil, und es wurde schwer, die Frage „Wer bin ich?” zu beantworten. Damals schien es so, als ob es für sie keinen Rückweg nach Ungarn mehr gäbe. Die ethnische Dimension der Geschichte bekam erst in dieser nachteiligen Situation Relevanz. Die volksdeutsche Ideologie, die Volksgruppentheorie, der Pangermanismus, die Volksbundbewegung und deren Konsequenzen nach dem Zweiten Weltkrieg verdarben die interethnischen Beziehungen zwischen Magyaren und Deutschen für eine lange Zeit.
Die Organisierung des Volksbundes begann im Sinne der in Wien im Jahre 1940 abgeschlossenen Volksgruppen-Vereinigung über den Schutz der deutschen Minderheit.4 Diese Vereinigung wollte eindeutig „den Ausgangspunkt für eine Dissimilationsbewegung schaffen” (Tilkovszky 1989: 110). Ihre Wirkung dehnte sich aber nicht auf das ganze Ungarndeutschtum aus. Diejenigen aber, die von der Ideologie des Volksbundes angesteckt wurden, zählten sich nicht mehr zu den Magyaren. Diese Schwaben stellten ihren Patriotismus in den Dienst der deutschen nationalistischen Ideologie; im Zentrum ihrer Interessen stand nicht mehr die Wiederherstellung der Integrität Großungarns, sondern Deutschlands Erfolg bei der Eroberung von immer mehr Gebieten. Hitler versprach nämlich den Ungarndeutschen, dass sie nach der Eroberung der Ukraine dort ausgedehnte Böden bekämen.5
Die älteste Generation war bei dieser Frage tief betroffen und wollte darüber entweder nicht sprechen oder hob die Vorteile des Volksbundes hervor. Die Aussiedlung wurde fast tagtäglich erwähnt, an den Volksbund aber wollte man sich nicht gern erinnern. Mit der Absicht einer Kompensation wurde mir gesagt, dass die Deutschen von Anfang an der Seite der Magyaren standen und immer treue Bürger des ungarischen Staates waren. Mehrere Dorfbewohner opferten ihr Leben für die Heimat. Sie sind sehr stolz darauf, dass sie als Soldaten der ungarischen Armee in den zwei Weltkriegen ihr Land verteidigten. Sie waren aber nicht geneigt, „die drückende Last der Verantwortung für den Krieg” (Tilkovszky 1989: 165) allein zu übernehmen. „Wir wollten nicht in die SS. Wer konnte, desertierte. Die Jungen wussten nicht, was sie unterschreiben”, erzählte ein alter Mann.6 Eine Frau aus der ersten Generation sagte: „Miklós Horthy einigte sich mit den Deutschen in der Frage der Musterung der Schwaben in die SS.” Weiteren Meinungen nach hielt man es für eine Schande, dass die Magyaren die Deutschen vertrieben, da
die Magyaren neben Hitler standen. Sie waren Verbündete. Waren es nicht die Magyaren, die am Don kämpften? Waren es nicht die Magyaren, die die Juden abtransportierten? Wegen dieser Sünden hätte das ganze Ungarn nach Asien übersiedelt werden müssen. Mit einem Paket von 50 kg. Was hätten sie dazu gesagt?
Es waren mehrere, die die Frage der Zusammenarbeit Ungarns und Deutschlands im Zweiten Weltkrieg aufwarfen:
Horthy verkaufte die Schwaben an die Deutschen, obwohl wir immer treue Mitbürger in diesem Staat waren. Aus unserer Familie war niemand im Bund, doch wurden meine Eltern und meine Schwester vertrieben. Die Magyaren waren mit den Deutschen verbündet, so warum müssen wir für alles die Verantwortung übernehmen?
Eine andere Meinung:
Die Wahrheit ist, dass es viele in unserem Dorf waren, so ungefähr hundert Jungen, die sich freiwillig in die deutsche Armee einmustern ließen. Gutes Geld wurde ihnen versprochen. Glauben Sie mir, das war nur ums Geld. Es war egal, in welcher Armee sie kämpften. In diese oder jene Armee musste man sowieso gehen. Es war Dienstpflicht. Aber die Deutschen zahlten. Warum wären sie dann nicht gegangen?
Obwohl die Nazipropaganda viele von den schwäbischen Dorfbewohnern anzog und viele aus dem Dorf Volksbundmitglieder waren, wollte es außer einem Ehepaar niemand offen bekennen. Die Befragten sagten immer den Namen eines anderen. Die Ehefrau erzählte:
Zwei Drittel der Schwaben waren drin. Jetzt will es aber ein jeder vergessen. Warum? Wir Frauen sangen deutsche und schwäbische Lieder, tratschten ein wenig. Es war gut, wir fühlten uns dort wohl. Und der Bund hatte Vorteile. Man organisierte einen kulturellen Verein und gemeinsame Sommerferien für die Kinder. Deswegen hätten die Schwaben nicht bestraft werden dürfen.
Der Mann fügte hinzu: „Wir Leute gingen deshalb in den Bund, da es uns versprochen wurde, dass wir nach dem Krieg in der Ukraine so viel Boden bekämen, als wir nur wollten. Wir Schwaben leben nur für den Boden, für die Arbeit. Natürlich meldeten wir uns.”
Was war ihre Schuld? Bis heute können sie die Vertreibung und die langjährige Zwangsarbeit in der damaligen Sowjetunion nicht aufarbeiten. Der Meinung aller Befragten nach taten die Volksbundmitglieder niemandem etwas zuleide. Sie waren Sündenböcke, die statt der wahren Kriegsverbrecher leiden mussten. Sie sagen, wenn sie Verbrecher sind, dann sind auch die Magyaren schuldig. Aber büßen mussten nur die Schwaben, mit Internierung, mit „malenkij robot”, mit Beschlagnahme, mit Vertreibung, und mit Verlust der ungarischen Staatsbürgerschaft. Ein Mann erinnert sich:
Zuerst schrieb man die Schwaben zusammen. Wir mussten sagen, ob wir uns für Schwaben hielten oder nicht. Ich verstehe nicht, warum hätte ich nicht sagen dürfen, dass ich Schwabe bin? Die Magyaren hielten uns auch für Schwaben. Wir hielten uns für Schwaben. Warum dann? Und deswegen wurde meine ganze Familie vertrieben.
In Dunabogdány gibt es keine Familie, von der nicht jemand interniert oder ausgesiedelt worden wäre. Die Vergeltung begann bereits im Frühling 1945. Eine alte Frau erinnert sich so:
Kaum waren die Russen da, als eines Tages, wenn ich mich richtig erinnere, nach der Hochmesse am Sonntag, die ungarische Polizei das Dorf umringte. Die Leute strömten aus der Kirche und wollten nach Hause gehen. Die Polizisten erlaubten es aber niemandem. Aber sie konnten nicht mehr. Die ganze Gruppe, Mütter, Väter, Alte oder Junge, egal, die eben an diesem Tag an der katholischen Messe teilnahmen, wurden zu Fuß in dem einzigen Kleid, das sie eben an hatten, nach Szentendre wie Vieh weggetrieben. Es war eine Schande!
In Szentendre teilte man die Frauen und Männer in kleinere Gruppen, und sie wurden dann nach Nagykáta, Albertfalva, Gödöllõ weitertransportiert. Die Internierten konnten ihre Familien nicht benachrichtigen. Lange Zeit wusste niemand im Dorf, wo ihre Verwandten sind, ob sie noch leben oder schon gestorben sind. Eine andere Frau aus der ersten Generation, die ebenfalls in dieser Gruppe war, erinnert sich an diese Ereignisse so:
Am Morgen nach der Messe konnten wir mit meinem Mann nicht mehr nach Hause gehen. Ich hatte einen 10jährigen Sohn und eine 7jährige Tochter zu Hause. Aber das interessierte niemanden. Stell dir vor, ich habe sie anderthalb Jahre lang, meinen Mann 3 Jahre lang nicht gesehn. Gott sei Dank war meine Mutter noch da und konnte sich mit den Kindern vor der Aussiedlung verstecken. Es war eine Frau im Dorf, die, als sie von der Zwangsarbeit nach Hause kam, niemanden mehr aus der Familie fand. Ja. Und an der Spitze der Gruppe mussten wir eine Tafel tragen. Wir sind die Zerstörer des Landes, wir werden es neu bauen, stand an der Tafel. Wir waren Kriegsverbrecher nur deshalb, weil wir Schwaben waren. Wir waren nicht im Bund, aber niemand fragte danach. Sie brauchten unsere Arbeit ohne Entgelt. Wir arbeiteten und arbeiteten, dieses Volk klagte nie, wollte nichts, bat um nichts, es arbeitete nur für dieses Land.
Diejenigen, die Glück hatten und zu Hause bleiben durften, wurden aus ihren Häusern vertrieben. Sie durften aber nichts mit sich nehmen. Mehrere Familien wurden in einem Haus untergebracht. Die Dokumente beweisen, dass der damalige Direktor der Schule im Juni 1945 an das Schulinspektoramt vom Komitat Pest den folgenden Brief schrieb:
Im Zusammenhang mit der Lehrer- und Schülerzahl halte ich es für nötig zu melden, dass meines Wissens die Vorarbeiten des Zusammenzuges der deutschsprachigen Familien, die im Volksbund tätig waren, hier im Dorf im Gange sind, um den hierher umsiedelnden ungarischen Familien Wohnungsmöglichkeiten zu sichern. Am Anfang des neuen Schuljahres müssen wir meiner Kalkulation nach mit 120–140 Kindern mehr rechnen. Die Schülerzahl wird erst wieder nach dem Beginn der Aussiedlung abnehmen.7
Nach dem Krieg hängte man sehr schnell eine Liste mit den Namen der auszusiedelnden Dorfbewohner an der Pforte des Gemeindehauses aus. Auf dieser Liste standen nicht nur die Namen der Volksbundmitglieder, sondern auch wahllos jeder, der etwas Vermögen hatte. Man benötigte ihre Häuser und Felder
– sagt ein alter Mann. Aufgrund des Sprachbekenntnisses im Jahre 1938 modifizierte man 1945 das Schulregister, aber auf die Liste „der Feinde” nahmen die Behörden auch die Kinder der ungarnsprachigen Schwaben auf.
Wir wurden gebrandmarkt und Vaterlandsverräter, Faschisten, verrottete Volksbundisten genannt. Wir mussten unsere Häuser verlassen, alles wurde uns weggenommen. Wir hatten nicht einmal was zum Essen. Eine Weile konnten wir im Stall übernachten, dann mussten wir auch von dort weg
– erzählte mir ein altes Ehepaar. Während die schwäbischen Familien zusammenziehen mussten, kamen im Rahmen des Umsiedlungsabkommens die Magyaren, „die Siedler” aus der Slowakei, an.
Nach dem Krieg herrschte ein großes Durcheinander im Dorf. Alles, was wir hatten, ging verloren. Unser Haus, Vermögen, Boden wurden uns weggenommen. Wir standen dort ohne etwas zu haben. Und ‚die Siedler’ nahmen alles in Besitz. Wenn ein jeglicher aus der Slowakei sagte: ‚Ich will dieses Haus’, musste der Schwabe heraus
– weint eine alte Frau und setzt fort:
Wir mussten sehen, wie diese fremden Leute in unsere Häuser einziehen, wir mussten durchleben, dass das Tor unseres eigenen Hauses vor uns zugeschlossen wird. Wir waren Tagelöhner auf unserem eigenen Boden. Die Kartoffeln, die wir im Frühling anbauten, mussten wir im Herbst für die slowakischen Magyaren einsammeln. Und wir durften nicht einmal ein Stück wegnehmen. Wer doch ein Paar für die Kinder von seinem Eigenen wegnahm, wurde bestraft. Es wäre besser gewesen zu sterben.
Das war aber nicht genug. Im April 1947 forderte der Gemeindevorstand von Dunabogdány die Direktion der Staatlichen Schule auf, für die Verfolgten aus der Slowakei eine Sammlung zu organisieren und abzuwickeln. „Sosehr es auch schwer ist, die Sammlung heute abzuwickeln, müssen wir doch die Wichtigkeit dieser sehr notwendigen Sammlung ausdrücklich betonen”, steht im Aufforderungsbrief. Unbedingt muss hier erwähnt werden, dass die Magyaren aus der Slowakei alles mitbringen durften und mit gut gepackten Wagen ankamen.
Die Vertreibung begann in Dunabogdány erst am 23. August 1947. Die Schwaben aus Dunabogdány wurden nach Hoyerswerda, Großenhain, Walda, Treuen, Großenschütz und Auerbach abtransportiert.8 Genaue Zahlen stehen bis heute nicht zur Verfügung, aber die Dorfbewohner schätzen sie auf 800–900.
Ich war damals 16 Jahre alt. Ich sah, wie unmenschlich meine Familie behandelt wurde. Die Familien wurden zerrissen. Es interessierte niemanden, wie alt diese oder jene Frau war, wie viel Kinder sie hatte und ob alle da waren. Und draußen, in Deutschland, waren sie die ungarischen Zigeuner. Dieses Volk wurde total gedemütigt
– erinnert sich eine Frau aus der mittleren Generation.
Natürlich wollten wir dableiben. Ein jeder versuchte, sich einen Befreiungsschein zu beschaffen: holte Bestätigungen ein, dass er nicht SS-Soldat war, dass er kein Volksbundmitglied war, dass er immer ungarisch fühlte und auch in der Zukunft Ungar bleiben wolle. Es waren manche, die versucht haben, die ungarische Staatsbürgerschaft einzulösen. Ohne Erfolg.
– sagte ein Mann aus der ersten Generation.
Die Heimatvertriebenen kamen in Deutschland arm, hungrig, schmutzig und hoffnungslos an. Die Deutschen empfingen ihre Geschwister aus Ungarn eigentlich nicht gern. „Sie wollten ihre Küche mit den barbarischen Ungarndeutschen nicht teilen. Wir konnten einander nicht verstehen, da wir so komisch sprachen. Wir wurden nicht anders als ‚die ungarischen Zigeuner’ genannt”, erzählt ein Heimatvertriebener. Andere Mundart, andere Herkunft, andere Sitten und Gewohnheiten, andere Konfessionen, andere Kleidung machten für die Heimatvertriebenen manches zusätzlich schwierig. Zwangsläufig gab es Härten, es gab aber auch großartige Zeichen der Hilfsbereitschaft und des Verständnisses, erinnert sich der Bürgermeister der Geschwisterstadt Leutenbach (Bonifert 1979: 81).
In diesen Zeiten, „als die Schwaben nicht einmal schwäbisch atmen durften”, machten die ethnischen Vorurteile normale interethnische Beziehungen für lange Jahre unmöglich und diese Situation hatte ernsthafte gesellschaftliche Konsequenzen. Die Schwaben hassten die magyarischen „Siedler”, die in ihre Häuser einzogen. Es war verboten, mit den Siedlern irgendeinen Kontakt zu halten. Die Kinder durften mit den „Siedlerkindern” kein einziges Wort sprechen.
Bei den Schwaben riefen diese Maßnahmen eine ausdrückliche Identitätskrise hervor. Sie konnten in diesen Jahren die Frage „Wer bin ich?” oder „Was bin ich?” nicht beantworten. In Ungarn durften sie weder Schwaben sein noch Magyaren werden. Sie wurden als Vaterlandsverräter, Faschisten, Söldner von Hitler, Fremde kategorisiert. Die Heimatvertriebenen durften weder Schwaben noch Deutsche sein, sie wurden als Zigeuner gebrandmarkt. Für die in Ungarn Gebliebenen gab es keinen Platz mehr, wo sie ihre ethnische Identität repräsentieren durften, und sie konnten auch ihre Staatsbürgerrechte nicht wahrnehmen. Die Doppelkonstruktion ihrer Identität, in der sowohl die schwäbische als auch die ungarische Identität Platz hatte, begann auseinander zu fallen. Die deutsche Nationalidentität konnte, trotz Volksbund, Eindeutschung, Volksgruppentheorie, bei keiner Gruppe diesen Identitätsverlust überwinden. Dieses schreckliche gemeinsame Schicksal, der unversöhnliche Hass gegen den gemeinsamen Feind schmiedete die Schwaben noch mehr zusammen und verstärkte ihre ethnische Identität. Neben dem Hass diente der Glaube als Überlebensstrategie im Interesse der Selbsterhaltung, Solidarität und Kohäsion der Gruppe. Bis Mitte der fünfziger Jahre fielen die affektiven Elemente der ungarischen Nationalidentität aus ihrer Identitätskonstruktion völlig aus. Obwohl sich dieser Hass gegen die Mehrheit der Magyaren später konsolidierte, konnten die Mitglieder der ersten und die älteren Frauen und Männer der zweiten Generation den „Siedlern” nicht verzeihen. Dieses Gefühl wurde ein entscheidender Faktor ihrer ethnischen Identität. Sie haben die durchlebten Demütigungen, ihr Leiden nicht unterdrückt. Im Gegenteil, statt der Strategie des Schweigens sprachen und sprechen sie darüber ganz offen zu ihren Kindern oder Enkelkindern. Ein jeder muss wissen, was geschehen ist. Der Hass muss am Leben gehalten und als ein Teil des ethnischen Wissens an die jungen Generationen weitergegeben werden. Diese Ungerechtigkeiten kann man nicht vergessen. Ihr Leben, hauptsächlich in der ältesten Generation, ist noch heute von diesem Gefühl stark durchdrungen.
Meine Sachen standen im Hof, und ich durfte sie nicht wegnehmen. Der Siedler sagte, dass wir nicht einmal auf unseren Acker gehen dürfen, er werde die Kartoffeln einsammeln. Ich stand mit zwei Kindern da und konnte ihnen nichts zu essen geben. Ich bat ihn, auf meinem eigenen Acker bei ihm zu arbeiten. Als Bezahlung bat ich ihn um Kartoffeln für den Winter. Er ließ mich arbeiten, und als ich fertig war, gab er mir nicht einmal eine Kartoffel. Ich flehte um etwas Essen, aber er sagte, wenn ich nicht sofort weggehe oder noch einmal seinen Hof betrete, wird er mich mit einer Stange verjagen. Er hat nie um Verzeihung gebeten. Wie könnte ich mit diesem Mann sprechen?
– fragte eine alte Frau.
Die Weitergabe dieser und ähnlicher schmerzlicher Erinnerungen wurde zur Norm in jeder schwäbischen Familie. Wo auch die Kinder Teilnehmer der Geschehnisse waren, wo sie dasselbe sahen und durchlebten, dort blieb die Weitergabe ungebrochen.
Für diese Demütigungen müsste uns die Regierung einen Schadenersatz zahlen. Uns wurde nie rückerstattet, was von uns weggenommen wurde. Mein Vater bekam keinen Schadenersatz für die Internierung. Die Schwaben bekamen nichts. Wir mussten für alles zweimal arbeiten, zweimal zahlen. Unsere Häuser wollte uns niemand zurückgeben, wir kauften sie zu hohem Preis zurück! Ist das Recht? Und als ich Kind war, konnte der Polizist uns auf der Straße jederzeit schlagen, bloß weil wir Schwaben waren!
– erinnert sich ein Mann aus der zweiten Generation. Neben den Erwachsenen wurden auch die Kinder diskriminiert. Am 20. März 1948 lenkte der Nationale Ausschuss des Dorfes die Aufmerksamkeit der Direktion der Volksschule darauf, dass die Kinder auf der Straße Deutsch sprechen. Mit Bezug auf die Regierungsverordnung Nr. 14/1945 verbot der Ausschuss den Gebrauch der deutschen Sprache auf der Straße (Knáb 1996).
Nach dem Krieg war es verboten, eine Siedlertochter oder einen Siedlersohn zu heiraten.
Unsere Hochzeit hielten wir nicht im Dorf. Meine Frau stammt aus der Slowakei. Meine Mutter jammerte: ‘Wehe dir, wenn du dieses Mädchen heiratest. Was wird das Dorf sagen? Eine Siedlerstochter!’ Aber es interessierte mich nicht. Alle beide arbeiteten außerhalb des Dorfes, waren tagsüber nicht zu Hause. Trotzdem litt die Arme sehr viel. Sie hatte keine Freundin im Dorf. Nur solche schwäbischen Frauen machten mit ihr Freundschaft, die einen ungarischen Mann hatten. Aber das waren nicht viele.
– erinnert sich ein Mann aus der mittleren Generation.
Für die Enkelkinder sind die Legenden der Familie nicht sehr wichtig. Persönlich sind sie nicht berührt, die Geschehnisse sind für diese Generation nur eine historische Lehre, die sie in der Schule lernten. Wegen der Differenz zwischen erlebter und gelernter Geschichte werten sie die Aussiedlung anders. „Die Ausgesiedelten lebten bald viel viel besser als wir. Sie konnten alles haben, Auto, Geld, Freiheit. Alles, was wir nie oder sehr spät haben konnten”, sagte eine junge Frau aus der dritten Generation. Die Jungen können diese Probleme ihrer Eltern und Großeltern in ihr eigenes Leben nicht einbauen. Die in Deutschland lebenden Verwandten bedeuten für sie eine Basis für die eventuelle Aussiedlung. Natürlich weiß ein jeder, da die Gemeinschaft fordert, es in Evidenz zu halten, „wer sich in wessen Haus hineingesetzt hat”, aber die dritte Generation ist nicht mehr bereit, den Hass der Großeltern zu übernehmen und weist eindeutig zurück, ihn an ihre Kinder weiterzugeben. Im Gegensatz zu ihren Großeltern gehört der Hass nicht zur ihrer Identitätskonstruktion.
Immer nur der Konflikt zwischen Siedlern und Schwaben! Ich streite sehr viel mit meiner Mutter darüber. Sie versteht nicht, wie ich mit dem Enkelkind des Mannes sprechen kann, der in das Haus meines Großvaters einzog! Wir wohnen in benachbarten Häusern, unsere Kinder gehen in die Schule und spielen gemeinsam. Wie soll ich meinem Sohn sagen, dass er mit dem Peter nicht spielen darf? Und warum? Was kann er mit dem Schicksal seines Urgroßvaters anfangen? Und die Aussiedlung. Sie können über etwas anderes nicht reden!
– sagt eine junge Frau.
Ein Schwabe sagte:
Ich hoffe, dass es einmal ein Ende hat. Diese Aussiedlung und Einsiedlung, Einwohnertausch ... die Politik ist daran schuld. Die Deutschen leben in Ungarn seit mehr als 300 Jahren, und Ungarn ist ihre Heimat. Sie hätten nicht vertrieben werden dürfen! Der Volksbund war nur ein Vorwand. Die Magyaren wollten unser Vermögen haben, da sie nichts hatten. Da bereits ein jeder vergaß, dass wir nie und um nichts baten, nur diesem Land gaben.
Im Interesse der gegenseitigen geschichtlichen Versöhnung und der gegenseitigen Annahme sagte Joseph Schuszter, der Bürgermeister des Dorfes, anlässlich des 50. Jahrestages der Aussiedlung:
Wenn wir die Aussiedlung der Deutschen verurteilen, protestieren wir natürlich auch gegen die Gewalteinsiedlung. Die Ein- und Ausgesiedelten haben die Ereignisse wahrscheinlich unterschiedlich erlebt, aber in einer Frage waren sie auf jeden Fall von derselben Einwirkung betroffen: Sie mussten gegen ihren Willen ihr Zuhause und ihre Nächsten verlassen.
Die Deutschen bekamen ihre Staatsbürgerrechte im Sinne der Verordnung des Ministerrates Nr. 4.364/1949 M.T. zurück, und ein Jahr später bekam die verbliebene deutsche Bevölkerung die volle Staatsbürgerschaft zurück. So wurden sie wieder zu gleichberechtigten ungarischen Staatsbürgern. Als leidende Objekte der Organisierung der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften wurden sie mit ihren ungarischen Mitbürgern wieder Beteiligte an dem gemeinsamen Schicksal. Die Kontinuität stellte sich wieder her. Die Wunden mussten noch heilen, aber die Mobilitätsmöglichkeiten, die Aussichten des Vorwärtskommens, wenn sie auch die Geschehnisse nicht vergessen ließen, drängten sie doch in den Hintergrund. Diese Epoche ist durch die Assimilation, durch die den Sprach- und Kulturwechsel unterstützenden Mischehen gekennzeichnet. Infolge des ausschließlichen ungarischen Schulunterrichts wurde auch die strukturelle Anpassung erreichbar.
1954 erschien wieder eine deutschsprachige Zeitung, das Presseorgan „Freies Leben”. Der Unterricht der deutschen Sprache nahm 1951 seinen Anfang, verbreitete sich aber erst nach 1955. In Dunabogdány wurden die Schwaben gefragt, ob ihre Kinder in der Schule Deutsch als Fremdsprache lernen sollten. Wegen ihrer dauernden Angst wagten es nur wenige Familien, das zu befürworten. Aber die Auswirkungen der Aussiedlung konnte man auch noch 1959 bemerken. Viele wollten die neue Zeitung nicht bestellen, um nicht wegen deutschem Nationalismus angeklagt zu werden.
Anmerkungen
1
Die zweite Welle der Kolonisation erfolgte aufgrund des kaiserlichen Patents von Maria Theresia aus dem Jahre 1763.
2
Über die Kolonisation und weitere Geschichte der Ungarndeutschen siehe: Hutterer 1961 und 1973; Bellér 1981; Tilkovszky 1989 und 1997; Seewann 1991; Manherz 1998.
3
Die Standardisierung der deutschen Nationalkultur nahm ihren Anfang bereits im 16. Jahrhundert, hörte aber wegen der Kirchenspaltung etwa 1806 auf. Die Schwaben lebten zu dieser Zeit schon seit ungefähr 80–90 Jahren in Ungarn (siehe Dann 1991).
4
Über den Volksbund siehe Tilkovszky 1978.
5
Über die deutsche Nationalbewegung, über die völkische Ideologie siehe: Bellér 1981; Tilkovszky 1989.
6
Über diese Frage siehe Tilkovszky 1997.
7
Quelle: Knáb 1996.
8
Über die Aussiedlung siehe: Fehér 1988; Tilkovszky 1989; Zielbauer 1990a und 1990b; Bonifert 1997.
Literaturverzeichnis
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