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Begegnungen
Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Band 25:191–237.

Die Rolle des Staates in der Bewahrung des minderheitlichen Daseins

Stellungnahmen von Kultus- und Bildungsministern, und Leitern der Ungarischen Akademie der Wissenschaften

 

Inwieweit kann die Bewahrung der Identität der Minderheiten die kulturpolitische Rolle des Staates sein, und welche Mittel stehen ihm zur Verwirklichung dieser Zielsetzung zur Verfügung? Sollen die Kleinnationen eine eigene Strategie erarbeiten? Sollen sie eine eigene Strategie zur Bewahrung ihrer Minderheiten außerhalb der Grenzen, und zur Aufrechterhaltung von nationalen Minderheiten innerhalb der Grenzen haben? Wie kam diese Rolle der Kulturpolitik, wenn überhaupt, zwischen 1990-2002 zur Geltung? Wir stellten diese Fragen in 2004 den Ministern und Leitern der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, die mit dem Europa Institut Budapest in Verbindung stehen. Das Europa Institut arbeitete nämlich ein umfassendes Projekt mit dem Titel „Die Zukunft der kleinen Nationen in Mittelosteuropa” aus, in dessen Rahmen das Institut auch die Meinungen der ehemaligen Kultur- und Wissenschaftspolitiker hören wollte. Auf unsere Fragen antworteten die folgenden Minister und Leiter der UAW. (Die Namen und Texte erfolgen in der chronologischen Reihenfolge der Amtszeiten.)

 

ERHARD BUSEK, österreichischer Bildungsminister (1990-94), danach Vizekanzler, Begründungsmitglied des Wissenschaftlichen Beirates des Europa Instituts Budapest

BERTALAN ANDRÁSFALVY, Bildungs- und Kultusminister (1990-92)

MIHAI SORA, rumänischer Bildungsminister (1990-92)

ANDOR HORVÁTH, Stellvertreter des rumänischen Kultusministers, A. Pleşu (1990-92) A. Pleşu ist Begründungsprofessor des Europa Instituts Budapest

FERENC MÁDL, Bildungs- und Kultusminister (1992-94), Mitglied der UAW, Begründungsprofessor des Europa Instituts Budapest, Präsident der Republik seit 2000

DUŠAN KOVÁČ, Generalsekretär der Slowakischen Akademie der Wissenschaften (ab 1999), Mitglied des Wissenschaftlichen Beirates des Europa Instituts

ZOLTÁN ROCKENBAUER, Kultusminister (2000-2002)

JÓZSEF PÁLINKÁS, Mitglied der UAW, Universitätsprofessor, ungarischer Bildungsminister (2001-2002)

GÁBOR GÖRGEY, Kultusminister (2002-2003)

ISTVÁN HILLER, Kultusminister (2003-2004) schilderte seine Meinung über das Thema in einer selbständigen Studie

 

DR. ERHARD BUSEK

österreichischer Bildungsminister (1990-94),
danach Vizekanzler, Begründungsmitglied des Wissenschaftlichen Beirates des Europa Instituts Budapest

 

In wie weit betrachteten, bzw. betrachten Sie die Bewahrung der Minderheiten als Aufgabe der staatlichen Kulturpolitik, und welche Mittel standen, bzw. stehen Ihnen zu diesem Zweck zur Verfügung?

Dass die Minderheiten in Ostmitteleuropa ganz entscheidend zur Identität der Region beitragen, steht außer Frage. Der österreichische Autor Heimito von Doderer sprach einmal davon, dass die Erhaltung von Minderheiten in Österreich eine Auskunft über die europäische Mission des Landes gibt. Es stehen natürlich nie genügend finanzielle Mittel zur Verfügung, aber sie waren im Großen und Ganzen ausreichend um einen Standard zu pflegen. Dies wurde auch dadurch erleichtert, dass einzelne Bundesländer von sich aus sehr viel dazu taten.

 

Welche Verfügungen haben Sie während Ihrer kulturpolitischen Tätigkeit zur Aufrechterhaltung der nationalen Minderheiten gefördert? Welche kulturpolitischen Aktionen wurden während Ihrer Amtszeit durchgeführt mit dem Ziel die Kultur der kleinen Nationen oder das Identitätsbewusstsein der nationalen Minderheiten innerhalb der Staatsgrenzen zu stärken?

In der Zeit meiner kulturpolitischen Tätigkeit waren wir vor allem auf die Sprachenfrage konzentriert, weil der Fall des eisernen Vorhangs neue Möglichkeiten ergeben hatte. Wir boten zusätzliche Mittel an um die Sprachen der Nachbarländer zu fördern, die in den meisten Fällen durchaus auch Sprachen der Minderheiten sind. Ebenso ist es gelungen, eine Vielzahl an Ausstellungen, Publikationen, aber auch Sendungen im Rundfunk und Fernsehen durchzusetzen. Einen besonderen Platz hat das Museum Moderne Kunst – Stiftung Ludwig eingenommen, da durch einen aus Ungarn stammenden Direktor (Lorand Hegyi) auch die Ankäufe aus dieser Region vorgenommen wurden, so dass die Sammlung in dieser Richtung beachtlich ist.

 

Gibt es Ihrer Meinung nach einen bedeutenden Unterschied zwischen der Anwendung von kulturpolitischen Strategien bei großen, bzw. kleinen Nationen?

Es gibt einen bedeutenden Unterschied in der Bewältigung des Problems, so haben aus der Geschichte heraus große Nationen manchmal die Tendenz kulturpolitische Strategien eher zu einer Vereinheitlichung des Landes einzusetzen. In der derzeitigen europäischen Situation ist diese Strategie noch von Aktualität (Frankreich, Spanien).

 

Hat die politische Wende aus strategischer Sicht positiv auf die Aufrechterhaltung der kleinen Nationen eingewirkt?

Die politische Wende von 1989 und die folgenden Jahre haben sich sehr positiv ausgewirkt. Der Beitritt zur Europäischen Union ist ein weiterer Beitrag in diese Richtung und von heute noch nicht abschätzbarer Bedeutung.

 

In der Zeit der Integration der Verwaltungsgebiete kamen nach 1990 sehr oft Interessensgemeinschaften zwischen den ostmitteleuropäischen kleinen Nationen zustande. Worauf ist es Ihrer Meinung nach zurückzuführen, dass die kleinen Nationen der Regionen die zwischenstaatlichen Kontakte nicht verstärkt zur Bewahrung der kleinen Nationen nutzen, und daran anknüpfend nicht enger im Interesse der auf dem Gebiet der Nachbarstaaten lebenden Minderheiten zusammenarbeiten?

Persönlich bin ich überhaupt nicht pessimistisch, dass es zwischen den kleinen Nationen eine Vielzahl an zwischenstaatlichen Kontakten und Kooperationen geben wird. Österreich hat versucht mit der regionalen Partnerschaft hier einen Vorschlag zu machen, der immer mehr genutzt wird und in Folge dessen das Interesse an den in den Nachbarstaaten lebenden Minderheiten steigen wird. Das Engagement in Südosteuropa hat auch dazu beigetragen, dass sich ein erhöhtes Bewusstsein mit Bezug auf diese Frage entwickelt hat.

 

Was halten Sie über die oben angesprochenen Themenbereiche hinaus wichtig für die Förderung der kleinen Nationen?

Wichtig ist für die Förderung der kleinen Nationen, dass sie sich selbst auf geeignete Weise zur Sprache bringen. Der kulturelle Beitrag wie auch die friedensstiftende Rolle muss mehr herausgearbeitet werden. Es wird die Zukunft der europäischen Regionen bestimmen, ob sie in der Lage sind, gerade bei der gegebenen Unterschiedlichkeit die Gemeinsamkeit ihrer Aufgabenstellung und ihrer Bewusstseinslage stärker herauszuarbeiten. Die eigentliche Fragestellung besteht nicht zwischen großen und kleinen Nationen, sondern in der Weiterentwicklung einer Identität angesichts einer globalen Zivilisation.

 

BERTALAN ANDRÁSFALVY

Bildungs- und Kultusminister (1990-92)

 

In wie weit betrachteten, bzw. betrachten Sie die Bewahrung der Minderheiten als Aufgabe der staatlichen Kulturpolitik, und welche Mittel standen, bzw. stehen Ihnen zu diesem Zweck zur Verfügung?

Die Bewahrung der nationalen Kultur ist kein Selbstzweck, sondern ein Mittel zur Entfaltung und Perfektion des Individuums. Die Aufgabe des Staates ist, allen zu ermöglichen, den Weg zur Selbstentfaltung und Perfektion zu finden, und dadurch ein volles, reiches Leben zu führen. Um ein volles Leben führen zu können, braucht man auch zu wissen und zu erleben, dass man zu einer Nation gehört.

Alle Menschen sind großartig. Wie Endre Ady an einer Stelle formulierte, ist der Mensch „ein individuelles, unersetzliches und einmaliges Wunder”. Es genügt aber nicht, das von sich selbst zu wissen, man muss es auch zeigen können, damit es den Anderen klar wird, wer man ist, welche Werte, eigenartige Eigenschaften und Gedanken man in sich trägt. Das ist der einzige Weg, sich in der Gesellschaft allgemeine Achtung zu erwerben, und sich von Anderen geliebt zu machen. Dadurch gehört man zu Personen, die einen lieben: zu einem gewählten Partner oder zu den Eltern, die einem die Sprache beibrachten, mit deren Hilfe man seine Menschlichkeit, Persönlichkeit und Großartigkeit ausdrücken kann. Es gibt ja nicht nur die gesprochene Sprache und das verbale Zeichensystem. Die Melodie, die Musik, die Bewegungen und Verhaltensweisen haben auch eine Sprache, die sich in Jahrhunderten ausbildete, und die wir noch in unserer Kindheit zum Ausdruck und Erleben unserer Gedanken und Gefühlen lernten. Die Liebe hat bestimmte „Kreise”. Die gegenseitige Liebe der Eltern und Kinder ist auch in der Tierwelt zu beobachten. Später erwächst eine noch größere Liebe, man wählt jemanden, für den man seine Eltern verlässt, und so werden sie „ein Körper und eine Seele”. Man sucht immer seine andere Hälfte, jemand, der sein Leben vollständig machen kann. Meine Gattin ist eine dieser vollständig machenden Hälften, aber es gibt noch zahlreiche Andere, von denen ich meine Sprache, die Lieder und Tänze, die Verhaltensweisen und Wertordnungen, bzw. die Benutzung von Formen und Farben, d.h. die Kultur lernte. Für diese würde ich sogar meine Frau und Kinder verlassen. (Viele historische Persönlichkeiten hatten das für die Freiheit ihrer Nation getan).

Der Staat und die Bildungspolitik soll die Übergabe dieses Kulturerbes an späteren Generationen versichern und unterstützen, um dadurch das Identitätsbewusstsein zu verstärken, und das Gefühl der nationalen Zusammengehörigkeit zu steigern. Darüber hinaus soll er dafür sorgen, dass alle die Möglichkeit zum Erwerb des nötigen Wissens, und die Mitteln zum Erlernen des geistlichen Erbes der Menschheit haben. Es ist auch die Aufgabe des Staates, die ungestörte Übergabe der moralischen Werte, und die Integrität und Ganzheit der Nation zu versichern. Der Freiheits- und Nationsschutz, das Militär-, und Gesundheitswesen und die Bildung sind also Aufgaben des Staates, die nicht an Unternehmern, Söldnern, nicht einmal an lokalen Selbstverwaltungen übergeben werden können. Die Bildung darf nicht von den unterschiedlichen finanziellen Umständen der Selbstverwaltungen, bzw. der Laune der politischen Elite und verschiedenen Parteiinteressen abhängen. Die Bildung ist eine Angelegenheit von öffentlichem Interesse, und soll genauso unabhängig sein, wie das Rechtswesen, die Judikatur, das Gesundheitswesen und das Militärwesen.

Das öffentliche Ausbildungswesen hat mehrfache Aufgaben. Es soll nicht bloß das Wissen vermitteln, das zum materiellen Wohlsein, zur wirtschaftlichen und technischen Effektivität erforderlich ist, es soll auch zum Glück der einzelnen Menschen, und ihrer geistigen und seelischen Bildung beitragen. Daneben soll es auch das die grundlegende Prinzip der Solidarität und Liebe verkünden, und der Idee des Guten und Wahren dienen. Die Frage ist nun, wie soll das erreicht werden?

Im Kindergarten soll die schöne, gewählte, dichterische Sprache beliebt gemacht werden, womit alle Gedanken und Gefühle ausgedrückt werden können. Das soll vor allem durch Singen, Tanzen und Rollenspielen erreicht werden. Wie Zoltán Kodály schrieb: „Das Aufrechterhalten von alten Spielen ist ein primäres kulturelles und nationales Interesse. Sie sind einerseits echte Fundgruben des unbewussten Ungarnseins. Diese unbewussten Elemente haben eine bisher kaum erkannte Rolle in der Herausbildung des nationalen Charakters. Wer diese Spiele als Kind nicht gespielt hatte, ist weniger ungarisch. Das komplexe Gefühl des Gehörens zu einer Nation ist geringer und mangelhafter bei einer solchen Person. Eine Reihe von typisch ungarischen Formen, Melodien, Sprüchen und Bewegungen fehlen aus ihrem seelischen Leben. Die Erziehung soll dafür sorgen, dass der Ausdruck „ich bin ungarisch” für jeder eine möglichst reiche und bunte Bedeutung hat, sonst wird es zu einer leeren Phrase. Andererseits ist das menschliche Wert dieser Spiele auch groß: sie steigern das Sozialgefühl und die Lebensfreude. Es gibt kein besseres Medikament gegen die Altklugheit der heutigen Kinder. Jedes Volk, jede Nation kann dasselbe von ihren traditionellen Kinderspielen sagen: sie vermitteln Patriotismus, ohne dass sie zum Hass, der Verachtung oder Besiegung von Anderen erziehen würden. Warum ist es so?

Es ist so, weil es in den traditionellen Volksspielen keinen Sieger oder Besiegter gibt, keinen erster, zweiter oder letzter Platz. Die Freude des Spieles ist nicht daran, einen Anderen zu besiegen – wie es heute in fast allen Spielen der Fall ist: in olympischen Spielen, Wettkämpfen, Quiz-Spielen, Sing-, Tanz-, Studienwettbewerben, und Schönheitskonkurrenzen, auch in Gesellschafts- und Kartenspielen. Die traditionellen Volksspielen vermitteln das Gefühl und die Freude der Zusammengehörigkeit, die Ringeltänze z.B. geben das Erlebnis des gemeinsamen Singens und der harmonischen Bewegung. Die Kinder haben sehr viel Spaß an solchen Aktivitäten, sie bekommen eine Rolle, können sich als Mitglieder einer Gemeinde wichtig fühlen, und freuen sich über die Liebe und „Solidarität” der Anderen. Zur gleichen Zeit werden die Kinder ganz entmutigt und verbittert, wenn sie in einem wettbewerbartigen Spiel nicht gewinnen – das sehe ich an meinen eigenen Enkelkindern. Man sagt, dass die Kinder auf die Herausforderungen des Lebens vorbereitet werden sollen, und auch Niederlagen erleiden sollen. Aber wann? Erst danach, dass sie das Gefühl der Solidarität und Gemeinde kennen gelernt haben. Fünf- oder zehn-jährige Kinder sollen auch nicht über die Sexualität aufgeklärt werden!

Die Freude an Schöpfung soll auch schon im Kindergarten beigebracht werden. Dies kann aufgrund der Volkstraditionen mit einfachen, billigen Grundmaterialen (Kolben, Liesch, Stroh oder Ton) verwirklicht werden. Laut Adler, dem österreichischen Psychologe, werden die Leute, die im Kinderalter die Schönheit der Schöpfung nicht erlebten, gewalttätige, machtsuchende Erwachsenen. Sehr einfache Sachen können als Schöpfung betrachtet werden, z.B. eine Zeichnung, eine Stoffpuppe, ein schönes Lied, Gedicht, Tanz oder Spiel. Wenn man die Freude an Bauen und Schöpfung nicht erlebt, sucht man seinen Spaß in sinnloser Zerstörung. Denken wir nur an zerkritzelte Mauern, zerschlagene Bushaltestellen oder den weggeworfenen Müll. Diese Leute zerstören nicht, weil sie keine andere Wahl zum Überleben haben. Für so ein Benehmen ist die Armut keine Entschuldigung, diese Frechheit kann nur mit Adlers These erklärt werden. Leider kann man sich dagegen nicht einmal mit drastischen Strafen währen. In den meisten Fallen sind es nicht ungebildete, ungeschulte Jugendliche, die diese Weise der Zerstörung wählen, was zeigt, dass die technische Bildung und die Vermittlung von praktischen Informationen nicht genügt. Etwas sehr Wichtiges fehlt aus dem heutigen Schulsystem – die Erziehung auf Schönheit, Gemeinde und Schöpfung. Neulich wurde aber die Stundenzahl gerade bei den Fächern niedriger, die für diese Erziehung die Möglichkeit gegeben hatten (Musik, Sport etc.) Das Mathe-, Physik-, Chemie-, Fremdsprachen- und Computerunterricht ist wichtiger heute als die Literatur, Geschichte, Kunstgeschichte und Religion. Die Förderung der Kunst- und Musikschulen nahm zurück, es gibt immer weniger Schulen, die in Musik spezialisiert sind (ihre Zahl sank in ein paar Jahren von 240 auf 100), es gibt immer weniger Chor-Proben, literarische Selbstbildungsvereine und Theatervereine in den Schulen. Demzufolge steigert sich das Interesse an Kunststunden, die außerhalb des Unterrichts zur Verfügung stehen. Zwischen 1990 und 2002 nahm die Zahl solcher Schulen stark zu (von 175 auf 648), und die Zahl der Lernenden steigerte sich von 71725 auf 230667. In Sportstunden werden die Kinder eher auf die Wettbewerbsmentalität vorbereitet, die Schule muss ja in möglichst vielen Bereichen Erfolge erreichen, sowohl in Fußball, Basketball und Schwimmen, als auch in Mathe- und Physikwettbewerben, sogar in Musik. Demzufolge widmen die Lehrer den talentierten Kindern mehr Zeit und Energie, und die weniger talentierten oder sportlichen Kinder bekommen oft wenige Aufmerksamkeit.

Es sind aber gerade diese weniger sportliche, ungeschicktere Kinder, die die Sport-Stunden bräuchten. Die Schüler, die in naturwissenschaftlichen und praktischen Fächern besser sind, bräuchten bestimmte Übungen, mit deren Hilfe sie ihre Emotionen, Leidenschaften, Einsamkeit und menschliche Beziehungen behandeln und verbessern könnten. Neulich wurden die Kinder, die in einer spezifizierten Schule an Musikunterricht teilnahmen, mit Kindern verglichen, die keinen solchen Unterricht hatten, und das Ergebnis wurde an einem Symposium dargestellt. Hier erfuhr ich, dass die Kinder die an Musik-Unterricht teilnehmen können, wesentlich kreativer und ausgeglichener sind, als die, die so etwas nicht mitmachten. Die Kreativität von Kindern, die Musik spielen und singen können war auch in den Fällen größer, wenn der IQ des jeweiligen Kindes niedriger war. Der Psychologe, der die Studie ausführte, wies darauf hin, dass es gefährlich werden kann, wenn jemand klug, intelligent und talentiert, aber nicht kreativ genug ist, weil man sein Talent und Intelligenz nicht ausnützen kann. An diesem Symposium wurde es auch erörtert, dass die Kinder mit musikalischer Ausbildung die Welt als ein zusammengehörendes Ganzes sehen, und weniger von der zu Hause spürbaren, oft negativen Stimmung abhängen, als die Kinder, die keine „Sprache” zum Ausdruck und Behandlung ihrer Emotionen und Erregungen haben.

Die Voraussetzung für die Bewahrung der kleinen Nationen und das Aufrechterhalten der nationalen Minderheiten ist, dass ihre Mitglieder glückliche, ausgeglichene Menschen seien. Dazu sollen die Erscheinungsformen der nationalen Kultur und Bildung, die leicht verfügbaren künstlerischen Übungen und die Freude an Schöpfung unterrichtet werden. All das kann mit Hilfe der traditionellen Volkskunstarten, Volksdichtung, Volksmusik und Volkstanz beigebracht werden, die zum Ausdruck der Emotionen und zur Kontrolle der Erregungen dienen können. Leute, die ausgeglichen sind und Freude an Schöpfung und Schönheit haben, suchen nicht die Wege der Zerstörung, und wollen keine Feinde haben. Sie wissen auch die Identität und Nationalität des Anderen zu schätzen. Nur eine Mutter versteht die Sorgen und Freuden einer anderen Mutter, nur ein Wissenschaftler versteht die Ergebnisse eines anderen Wissenschaftlers, und nur ein Sportler weiß einen Sieger richtig zu schätzen. Nur diejenigen Leute schätzen die Werte einer anderen Kultur und Sprache, die ihre eigene Nationalität schätzen und erleben können. Die Globalisierung behindert das Verständnis und die Zusammenarbeit zwischen den kleinen Nationen dieser Region, und das beeinflusst auch die Durchsetzung der Minderheitenrechte negativ. Es wurde wissenschaftlich nachgewiesen, dass die amerikanischen Immigranten, die auf ihrer nationalen Minderheitskultur beharren, viel ausgeglichener und glücklicher sind, als die, die ihre Traditionen ablehnen, und der Mehrheit ähnlich werden wollen.

 

Welche Verfügungen haben Sie während Ihrer kulturpolitischen Tätigkeit zur Aufrechterhaltung der nationalen Minderheiten gefördert? Welche kulturpolitischen Aktionen wurden während Ihrer Amtszeit durchgeführt mit dem Ziel die Kultur der kleinen Nationen oder das Identitätsbewusstsein der nationalen Minderheiten innerhalb der Staatsgrenzen zu stärken?

Es folgt aus meiner Antwort auf die erste Frage, dass ich auch in meiner Amtszeit für die Durchsetzung der nationalen Werte in dem Unterricht war. Als Ethnograph untersuchte ich verschiedene Bereiche der Volkskunst. Ich veröffentlichte meine Ergebnisse in Fachartikeln, beschäftigte mich mit der Bedeutung und Rolle der Volkskunst in unserer jetzigen und zukünftigen Bildung. Daneben hielt ich Vorlesungen und schrieb Lehrbücher. Ich unterstützte das Zustandebringen und die Arbeit der Kunstschulen, und die Ergänzung des Unterrichts in Musikschulen mit Volkstanz und Volksspiele. Die Fachschule für Volkskunst in Fót wurde, zum Beispiel, auch so gegründet.

Es folgt aus den oben geschilderten Prinzipien, dass in meiner Amtszeit die Unterstützung der Minderheitskulturen und die Entwicklung ihrer muttersprachlichen Bildung wichtige Prioritäten waren. Die Zahl der Minderheitsschüler, die an muttersprachlichem Sprachunterricht teilnehmen konnten nahm zwischen 1989 und 1995 zu. In Kindergärten steigerte sich ihre Zahl von 1197 auf 20551, in Grundschulen von 39225 auf 51034, in Gymnasien von 882 auf 1409.

Was die Lage der ungarischen Minderheiten jenseits der Grenze betrifft, verhandelte ich mit rumänischen, slowakischen, ukrainischen, kroatischen und österreichischen Ministern. Meines Erachtens waren die Verhandlungen mit den Rumänen die Bedeutendsten. In 1991 konnten wir erreichen, dass die Studenten, die aus Rumänien nach Ungarn kamen, um ihre Studien an ungarischen Universitäten und Hochschulen zu führen, nicht als Militärflüchtlinge betrachtet wurden. Um diese Studenten unterstützen zu können, wurde das Márton Áron Kollegium zustande gebracht. Die Verhandlungen über den gegenseitigen Austausch von Studenten und Professoren waren vielversprechend, ähnlich zu den Plänen über die Abstimmung von Lehrbüchern, die gegenseitige Akzeptanz von Diplomen und Zeugnissen, die Neueröffnung von ungarischen Bildungsinstitutionen, die Ausgabe von zweisprachigen Büchern und der Gastauftritt von Theatergruppen usw. Es war nicht unsere Schuld, dass in den kommenden Jahren diese Verhandlungen erfolglos abgebrochen wurden und unsere Zielsetzungen nur teilweise verwirklicht wurden. Die Verhandlungen mit der ukrainischen Ministerin über das ungarische Gymnasium in Beregszász (Berehovo), die Zusammenarbeit der Universität in Ungvár (Uzhhorod) und die Hochschule in Nyíregyháza, bzw. das Ungarische Theater in Subkarpatien (Karpato-Ukraine), dessen Schauspieler in Budapest ausgebildet wurden, halte ich auch für erfolgreich. Wir verhandelten über ähnliche Themen mit der kroatischen Bildungsministerin.

Zur Zeit meines Ministeramtes wurde auch mit den Russen eine gute Zusammenarbeit herausgebildet. Es wurde einer ungarischen Ethnologe, Éva Schmidt ermöglicht, unsere kleinsten Sprachverwandten, die Obi-Ugrier, Mansen und Chanten zu besuchen, und ihre Sprache und Kultur zu untersuchen. Es ist ihr gelungen, die Sammlung und Einordnung ihrer Traditionen zu organisieren, und dadurch kam eine moderne volksdichterische Sammlung zustande. Ihre Arbeit ist nicht nur für unsere Sprachverwandten von besonderer Bedeutung, sondern auch für die menschliche Kultur. Ich stellte die nötigen finanziellen Mittel zu dieser neuen, eigenartigen Aufgabe aus den zur Verfügung stehenden Ressourcen bereit. Eine Konferenz wurde in Moskau über die Revolution in 1956 veranstaltet, wo auch die Kommandanten der damals in Budapest kämpfenden russischen Truppen auch zum Wort kamen.

Mit meinem österreichischen Kollegen konnten wir eine besonders gute Beziehung ausbauen, die sowohl in offiziellen Angelegenheiten, als auch in grundlegenden, prinzipiellen Fragen aussichtsvoll war. Der österreichische Minister veranstaltete auch eine Konferenz über die kulturelle Zusammenarbeit und den Schutz der Minderheitskulturen.

 

Gibt es Ihrer Meinung nach einen bedeutenden Unterschied zwischen der Anwendung von kulturpolitischen Strategien bei großen, bzw. kleinen Nationen?

Ich sehe keinen bedeutenden Unterschied zwischen den kulturpolitischen Strategien der großen und kleinen Nationen. Wenn eine Nation die Pflege der nationalen Kultur als Priorität behandelt, kann das auch die Anerkennung der Kulturen der kleineren Nationen und Minderheiten positiv beeinflussen.

 

Hat die politische Wende aus strategischer Sicht positiv auf die Aufrechterhaltung der kleinen Nationen eingewirkt?

Der wichtigste Ertrag des Systemwechsels war die Betonung der Gewissensfreiheit, und der politische Wille, diese Freiheit zu versichern.

Die Auffassung, nach der es eine private Angelegenheit des Individuums ist, zu welcher Nation, Religion, politische Überzeugung und Ursprung man sich bekennt, steht im Gegensatz zu der geschilderten Absicht. Die bei der Zusammenstellung des nationalen Zensus gestellten Fragen wurden aufgrund dieser Strebung formuliert. Die Tatsache, dass etwas zu verbergen ist, weist darauf hin, dass das Bekenntnis bestimmter Sachen gefährlich ist. Ich bin überzeugt, dass die Demokratie und Freiheit und ein menschenwürdiges Gesellschaftsleben nur dort existieren kann, wo man nichts zum Verbergen hat. Das ist unmöglich ohne Werten- und Interessenschutz.

 

In der Zeit der Integration der Verwaltungsgebiete kamen nach 1990 sehr oft Interessensgemeinschaften zwischen den ostmitteleuropäischen kleinen Nationen zustande. Worauf ist es Ihrer Meinung nach zurückzuführen, dass die kleinen Nationen der Regionen die zwischenstaatlichen Kontakte nicht verstärkt zur Bewahrung der kleinen Nationen nutzen, und daran anknüpfend nicht enger im Interesse der auf dem Gebiet der Nachbarstaaten lebenden Minderheiten zusammenarbeiten?

Das größte Hindernis der Zusammenarbeit der Nationen ist, dass die nationale und emotionale Kultur der Leute mangelhaft ist, und die gegenseitige Anerkennung der Kulturen in dem Schulunterricht nicht genug betont wird. In der Volkstradition gibt es merkwürdige Beispiele darauf, wie andere Kulturen bekannt gemacht werden können (durch Familienkontakte zwischen Volksgruppen und Sprachgemeinden, und durch Kinderaustausche).

 

Was halten Sie über die oben angesprochenen Themenbereiche hinaus wichtig für die Förderung der kleinen Nationen?

Unser Schulsystem und die Richtlinien des ungarischen Bildungswesens müssen durchgedacht und umstrukturiert werden.

a) Die öffentliche Bildung und Erziehung ist eine der wichtigsten Aufgaben des Staates. Diese Aufgabe kann nicht den Selbstverwaltungen überlassen werden, weil dadurch das Schulwesen der unterschiedlichen finanziellen Lage der einzelnen Siedlungen, und der Laune der jeweiligen politischen Elite ausgeliefert wäre. Die Schule ist eine öffentliche Angelegenheit. Die Schulen dürfen nicht aufgrund finanzieller Überlegungen geschlossen oder verschmolzen werden. Die Siedlungen, die ihre Schulen aufgeben, können nicht lange am Leben bleiben. Besonders die ländlichen Schulen sollen den Jugendlichen dabei helfen, ihren Beruf, Unterhalt, ihre Zukunft und Gemeinde zu Hause finden zu können. Das Aufrechterhalten der nationalen Minderheiten hat eher in kleineren, homogeneren Siedlungen und in Großstädten wahre Perspektiven. Die talentierten Jugendlichen, die aus kleineren Dörfern kommen, sollen besonders unterstützt werden, weil sie sich in Universitäten und Hochschulen im Nachteil befinden können, was ihre technische Kenntnisse und Fremdsprachen betrifft. Das bezieht sich auch auf die Jugendlichen, die als Vertreter einer Minderheit aus kleineren Dörfern kommen. Diese Jugendliche haben jedoch Eigenschaften, die an Aufnahmeprüfungen nicht getestet werden.

Während des Ministeramts von Zoltán Pokorni kam das „Arany János Programm” zustande, die zur Unterstützung der aus Dörfern kommenden Jugendlichen gemeint war. Gleichzeitig sollte den Jugendlichen beigebracht werden, wie sie ein erfolgreiches Leben an Ort und Stelle, mit Hilfe der natürlichen Umgebung führen können. Mehr Wert sollte auf die landwirtschaftlichen Kenntnisse, und auf die Erkennung der lokalen Gegebenheiten und kulturellen Traditionen gelegt werden. Vieles wird heute in Schulen unterrichtet, nur das nicht, was man mit dem Land anfangen kann, wie man Obst, Traube, und Getreide bauen, und Tiere züchten soll, wie man Wein und andere Agrarprodukte, bzw. „Hungarica” herstellen kann. Früher war dieser praktische Agrarunterricht Teil des öffentlichen Schulsystems. Am Ende des 19. Jahrhundert trug es dazu bei, dass der durch den Mehltau zerstörte Weinbau in Zusammenarbeit des Innen- und Bildungsministeriums wiederhergestellt werden konnte. Der Schutz der kleinen Dörfer und die Unterstützung der bäuerlichen Lebensweise bedeuten gleichzeitig den Schutz der Minderheiten. Ortsgeschichte, die kulturelle Traditionen der Dörfer, bzw. die Vergangenheit und Zukunft des bäuerlichen Lebens sollte im Unterricht mehr betont werden. Leider ist heute eher die Abschätzung der bäuerlichen Lebensweise zu beobachten. In vielen Dörfern gibt es keine Urproduzenten mehr, es gibt viele Brachacker und unbebaute Felder, nicht einmal die Gärten werden kultiviert. Über die ungünstigen wirtschaftlichen Umstände hinaus, fehlt es bei Agrarunternehmen an nötigen Kenntnissen, Lust und Motivation. Das beeinflusst die Minderheiten noch negativer.

b) In Kunó Klebelsbergs Zeit (Ungarischer Minister für Kultur 1922-1931) wurden ungeteilte Gehöftschulen zustande gebracht. Es wurde durch wissenschaftliche Studien nachgewiesen, dass der Unterricht in ungeteilten Schulen auch Vorteile hat. Die Schüler sind, zum Beispiel, selbständiger und kreativer. In Kindergärten wirkte die Zusammenziehung von verschiedenen Altersgruppen, und die drei Altergruppen konnten gemeinsam spielen. Die Verschmelzung von Schulen hindert nicht nur die Herausbildung der kleinen, lokalen Gemeinden, sie bringt auch eine bestimmte physische und moralische Gefahr mit sich für die Kinder, die dadurch mehr reisen müssen. Solange sie reisen, können sie sich nicht erholen, sie können nicht lernen oder spielen – sie werden nur müde. Sie werden nie gleichrangig mit den Kindern des anderen Dorfes sein. Es kann unabsehbare Folgen haben, wenn die Herausbildung der kleinen Gemeinden gehindert wird, weil sie das Gefühl des Zusammengehörens vermitteln. In Klebelsbergs Zeit wurde der Schuldirektor auch in den kleinsten Dörfern von dem Minister ernannt, und ihr Gehalt war unabhängig von der finanziellen und gesellschaftlichen Lage ihrer Schüler. Die Arbeit der Schuldirektoren wurde von unabhängigen Schulinspektoren aufgrund fachlicher Aspekten geleitet. Heute gehen viele Lehrer aus der Nachbarstadt in die kleinen Dorfschulen, sie leben also nicht zusammen mit der Dorfgemeinde. Das betrifft auch die Minderheitskulturen negativ.

c) Der Kunstunterricht und die Zahl der Stunden, die zur Herausbildung des Charakters und der Identität beitragen, d.h. die Musik-, Sport-, Literatur- und Geschichtsstunden darf nicht vermindert werden. Die Problematik des Religionsunterrichts ist bis heute bestritten. Die beste Lösung wäre gewesen, allen Schülern bestimmte Informationen über Religionen, Moral, Kulturgeschichte und Weltanschauungsweisen zu vermitteln. Diese Informationen könnten von zu diesem Zweck gebildeten Fachleuten vermittelt werden, die Theologie und Philosophie studierten, bzw. von Geistlichen und Priestern verschiedener Religionen. Die Schüler wären nicht in dem Glauben abgefragt worden, sondern in ihrer Kenntnis über Religionen. Das wäre die echte Ökumene gewesen. Der Religionslehrer wäre ein Mitglied der Lehrkörperschaft gewesen (heute ist es meist nicht der Fall). Die Religionsstunden wären nicht erst am Nachmittag gewesen, wenn es sowieso zahlreiche andere Extrastunden und Kurse gibt. Diese Lehrer hätten ihr Gehalt nicht nur nach der Stundenzahl, sondern auch in den Sommerferien bekommen, wie alle anderen Lehrer. So hätte ein gebildeter Religionslehrer aus seinem Gehalt auskommen können. Das betrifft die nationalen Minderheiten auch negativ.

Dieses System hätte stufenweise eingeführt werden sollen, aber nicht einmal die Vertreter der größeren Kirchen waren mit dieser Lösung einverstanden. Sie äußerten sich dafür, dass die Religionsstunden den Kindern einer bestimmten Religion von den Geistlichen jener Religion unterrichtet werden sollen. Dadurch wurde ein Teil (oft die Mehrheit) der Kinder aus dem Religionsunterricht ausgeschlossen. Wie sollte ein Kind unter unbekannten Begriffen, Weltanschauungsweisen und Religionen wählen? Ich weiß, dass es Versuche zur moralischen Erziehung gibt. Das hat aber schon eine Tradition, die sich in Jahrhunderten ausbildete – warum muss das jetzt neugeplant werden?

d) Der Kunstunterricht in Grundschulen und Fachschulen soll gefördert werden, und die ungarische Folklore, bzw. die Volkskunst der Minderheiten soll hier auch bekannt gemacht werden. Alle Initiativen im Bereich der Kunst, Chöre, Tanzgruppen, Handwerks- und Tanzlager, und die Vereine zur Bewahrung der Traditionen sollen unterstützt werden. Diese Bewegungen verstärken die Kultur der kleineren Nationen und nationalen Minderheiten, und dadurch das Aufrechterhalten der universellen Werte der Menschheit.

 

MIHAI SORA

rumänischer Bildungsminister (1990-92)

 

In wie weit betrachteten, bzw. betrachten Sie die Bewahrung der Minderheiten als Aufgabe der staatlichen Kulturpolitik, und welche Mittel standen, bzw. stehen Ihnen zu diesem Zweck zur Verfügung?

Ich bin der Meinung, dass es die Pflicht aller Staaten ist, die eigenen nationalen Minderheiten (sie könnten auch kulturelle Minderheiten genannt werden) zu schützen. Die Methode, die zum Schutz der Minderheiten am meisten geeignet ist, ist die Ausbildung eines Bildungssystems (von Grundschulen und Mittelschulen), das den Minderheiten ermöglicht, ihre Muttersprachen und nationale Kulturen zu bewahren und zu entwickeln. In einem solchen System müssen selbstverständlich alle Fächer in der Muttersprache unterrichtet werden. Daneben ist es auch erforderlich, dass die Sprache des jeweiligen Landes in ein paar Stunden pro Woche unterrichtet wird, da die Schüler diese Sprachkenntnis später bei ihrer Arbeit brauchen werden.

 

Welche Verfügungen haben Sie während Ihrer kulturpolitischen Tätigkeit zur Aufrechterhaltung der nationalen Minderheiten gefördert? Welche kulturpolitischen Aktionen wurden während Ihrer Amtszeit durchgeführt mit dem Ziel die Kultur der kleinen Nationen oder das Identitätsbewusstsein der nationalen Minderheiten innerhalb der Staatsgrenzen zu stärken?

In meiner Amtszeit als Bildungsminister meines Heimatlandes war, hatte ich gerade diese Zielsetzung. Ich sorgte dafür, dass die ungarische Minderheit, die in Rumänien zahlgemäß am bedeutendsten ist, am Grundstufen- und Mittelstufenunterricht teilnehmen kann. Den anderen sprachlichen Minderheiten war nur der Grundstufenunterricht gesichert.

 

Gibt es Ihrer Meinung nach einen bedeutenden Unterschied zwischen der Anwendung von kulturpolitischen Strategien bei großen, bzw. kleinen Nationen?

In 1939-48, d.h. zur Zeit der deutschen Besetzung und nach der „Befreiung” lebte ich in Frankreich. In Frankreich gab es zu dieser Zeit gar kein System zur Bewahrung der kulturellen Identität der Minderheiten, aber in Rumänien schon. In Temeswar, zum Beispiel, wo ich die Grundschule und Mittelsschule besucht hatte, gab es zweisprachige Gymnasien, wo man sowohl in Deutsch, als auch in Ungarisch Stunden haben konnte. (Der deutschsprachige Unterricht fand in dem Banatia Gymnasium statt, der Ungarische in dem Piaristengymnasium.)

 

Hat die politische Wende aus strategischer Sicht positiv auf die Aufrechterhaltung der kleinen Nationen eingewirkt?

Alle Länder, die sich in die Europäische Union integrieren wollen, streben danach, ihre Allgemeinpolitik, einschließlich der Bildungspolitik, mit den Erwartungen der EU in Einstimmung zu bringen. Ob diese Harmonisierungstendenz wirklich grundlegende Veränderungen mit sich bringt, oder ob es bloß eine „oberflächliche Anstrich” ist, kann ich nicht beurteilen, da ich wegen meines Alters nicht mehr so aktiv an dem politischen Leben meines Landes teilnehmen kann.

 

Was halten Sie über die oben angesprochenen Themenbereiche hinaus wichtig für die Förderung der kleinen Nationen?

Offenheit. Die Bereitschaft dazu, das Anderssein wirklich akzeptieren zu können. Die Ehrlichkeit der Beziehung zwischen „ich und den Anderen”. Der Dialog. Und natürlich der darausfolgende Vertrag (und die gegenseitige Einhaltung der festgelegten Verpflichtungen).

 

ANDOR HORVÁTH

Stellvertreter des rumänischen Kultusministers, A. Pleşu (1990-92)

 

In wie weit betrachteten, bzw. betrachten Sie die Bewahrung der Minderheiten als Aufgabe der staatlichen Kulturpolitik, und welche Mittel standen, bzw. stehen Ihnen zu diesem Zweck zur Verfügung?

In den letzten fünfzehn Jahren des Ceausescu-Regimes war die Kulturpolitik in Rumänien bewusst und konsequent minderheitenfeindlich. Der offizielle Diskurs änderte sich kaum, aber die kulturpolitische Praxis war oft eindeutig diskriminierend, und setzte sich zum Ziel, die kulturelle Identität der Minderheiten zu schwächen und zurückzudrängen. Das soll aber auch hinzugefügt werden, dass die staatliche Politik im Allgemeinen kulturfeindlich war, wodurch die staatlichen Förderungen der Bildungsinstitutionen drastisch verringert wurden. Die kulturelle Öffentlichkeit wurde streng geprüft, und der schöpferischen Freiheit wurden enge Schranken gesetzt.

Demzufolge war das erste und wichtigste Ergebnis des Systemwechsels die Abschaffung der Verbote und Beschränkungen, die die Freiheit der Kultur behinderten. Andrei Pleşu, der erste Kultusminister nach der Wende in 1989 konnte mit gutem Gewissen sagen, dass sein Ministerium die Kultur nicht leiten will, sondern ihr Rückkehr zur freien Wirkung und Autonomie fördert. Die Botschaft dieser Aussage war natürlich nicht, dass das Ministerium untätig bleibt, sondern dass es nicht anweist und verlangt, wie früher, und die Macht nicht zentralisiert, sondern verteilt. Das Ministerium darf ihre Befugnisse nicht zum Schaden der Kultur missbrauchen. (Nach einer Weile wurde es natürlich auch den Leitern des Ministeriums klar, dass die Administration ohne Planung, Richtlinien und durchdachte Konzeption nicht funktionieren kann.) Das erste Gesetz zur Regelung der Arbeit des Ministeriums kam in diesem Geist zustande, und genehmigte solche kulturpolitische Prinzipien, die in Rumänien fast schon vergessen waren. Das Ministeriumsbudget wurde von der Regierung in 1990 wesentlich erhöht, was einen größeren Spielraum bedeutete. Die finanziellen Ressourcen des Ministeriums nahmen auch in den folgenden Jahren zu.

Das Ministerium setzte sich zum Ziel, die gleiche Behandlung der Mehrheits- und Minderheitskulturen im Prinzip festzulegen, und in der Praxis zu verwirklichen. Das widerspiegelte sich sowohl in dem strukturellen Aufbau des Ministeriums, als auch in der Arbeit der Komitatskanzleien. Die Delegierten der Minderheiten machten das Personal der neuen Minderheitsabteilungen aus. Es war ihre Aufgabe, die Initiativen (Aktionen, Institutionen und Programme) zu fördern, die den kleineren Minderheiten (Slowaken, Ukrainern, Türken, Tataren und Lipowanen) den ersten Schritt zur Durchsetzung ihrer kulturellen Identität bedeuteten.

Ich möchte durch ein Beispiel zeigen, was der Übergang aus einem System in ein Anderes damals bedeutete. Die Einlieferung der in Ungarn veröffentlichten Bücher wurde früher in einem Abkommen geregelt, wodurch die Auflage weit unter dem Anspruch der in Rumänien lebenden Ungaren lag. Etwas übertrieben könnte ich auch sagen, dass der ungarische Buchimport in den Jahren vor 1989 völlig zum Stillstand kam. Mit dem Verschwinden der Hindernisse wurde die Einlieferung von ungarischen Büchern frei, aber dieses Prinzip war einfacher zu verkündigen, als zu verwirklichen. Das Verhältnis der zwei Länder wurde nämlich so schlecht, und von so vielen Vorurteilen negativ beeinflusst, – denken wir nur an das sogenannte Trianon-Syndrom und die angebliche Revisionsvorhaben der Ungaren – dass ich als Beamte des Ministeriums monatelang dafür kämpfen musste, dass die ungarischen Buchlieferungen ohne Hindernisse ans Ziel gelangen. Im Prinzip ist es schon entschieden, dass es keine Zensur mehr gibt, und die Staatsgrenzen den Buchlieferungen keine Schränke setzen können. Um das in der Praxis verwirklichen zu können, muss jedoch die Mentalität der Menschen und Institutionen grundsätzlich geändert werden. Heute ist es schon selbstverständlich, aber nach dem Systemwechsel war es gar nicht der Fall.

 

Welche Verfügungen haben Sie während Ihrer kulturpolitischen Tätigkeit zur Aufrechterhaltung der nationalen Minderheiten gefördert? Welche kulturpolitischen Aktionen wurden während Ihrer Amtszeit durchgeführt mit dem Ziel die Kultur der kleinen Nationen oder das Identitätsbewusstsein der nationalen Minderheiten innerhalb der Staatsgrenzen zu stärken?

Während meiner Amtszeit in dem Ministerium (zwischen Januar 1990 und September 1992) waren zwei parallele Tendenzen zu beobachten: einerseits der Abbau und Umformulierung der geerbten Zentralisierungsmentalität der Vergangenheit, andererseits das Erwachen und Aktivierung der Zivilgesellschaft. Die Befreiung der Kunstinstitutionen von den Fesseln der staatlichen Zentralisierung erfolgte also – paradoxerweise – durch staatliche Mittel. Diese Mittel trugen dazu bei, dass die Kultur ihre neuerworbenen Möglichkeiten ausnutzen konnte.

Die Leitung der Kunstinstitutionen wurde zum Beispiel völlig verändert, was leicht zu verstehen ist, wenn wir in Betracht ziehen, dass wir meist inkompetente, moralisch kompromittierte Leiter geerbt hatten, die in dem früheren Regime contraselektiv ausgewählt wurden. Die Überprüfung und Reform der Normen, die in der Kultur festgelegt worden waren, war ein wichtiger Prozess. Neue Gesetze mussten gegeben werden und das früher versteinerte und schon überholte System wurde auf neuen Grundlagen gesetzt. Das Ministerium förderte das Zustandebringen von neuen Kunstinstitutionen, und unterstützte die zivile Gesellschaft in ihrer Strebung, selbst Institutionen zu schaffen – auch solche die zwischen den zwei Weltkriegen eine wichtige Rolle gespielt hatten, aber in dem kommunistischen Regime verboten wurden. Das Ministerium beipflichtete und unterstütze z.B. die Initiative der ungarischen Historiker in Siebenbürgen, das Museumsverein – eine wissenschaftliche Gesellschaft der ungarischen Gemeinde in Rumänien – wieder ins Leben zu rufen. Hunderte von Vereinen und Stiftungen kamen zu dieser Zeit zustande, und ein Teil davon nahm auch an der Dynamisierung der Minderheitenkulturen teil.

In diesen Jahren hatten die Kulturen der Mehrheitsnation und der Minderheitsnation dieselben Probleme, und fanden oft ähnliche Lösungen. Die neue Kulturpolitik behandelte die Erneuerung der internationalen Kontakte als eine wichtige Priorität, wollte eine Offenheit für Europa und die Nachbarländer zeigen, und neue zwischenstaatliche Abkommen ausarbeiten. In diesem Prozess kam der Gedanke auch zur Geltung, dass die Minderheiten ihre kulturellen Beziehungen mit dem Vaterland ausbauen sollen. Damit sind Verbote und Hindernisse verschwunden, die die Minderheitskulturen jahrzehntelang behindert hatten. Dadurch verbesserten sich auch die zwischenstaatlichen Beziehungen Rumäniens mit ihren Partnern – neben Ungarn und Jugoslawien auch mit der Tschechoslowakei, Polen und der Türkei – die die positiven Veränderungen in Rumäniens Einstellung zu den Minderheiten erkannten.

Um die kulturpolitischen Prinzipien dieser Jahren kurz zu beschreiben, möchte ich besonders zwei Tendenzen hervorheben. Die eine ist die Strebung, sich wieder an den Strömungen, Bewegungen und Stilrichtungen der europäischen Kultur anzuschließen. Diese Verbindung verschwand in den vergangenen Jahrzehnten nicht ganz im Bereich der Literatur, Filmkunst, Musik oder der bildenden Künste, aber sie wurde begrenzt und verzerrt infolge der früheren dogmatischen Kulturpolitik. Die Kontakte mussten durch die Formulierung und Durchsetzung der Qualitätskriterien der Kunstwerke, bzw. durch die ausländische Verbreitung der rumänischen Kultur wiederhergestellt werden. Die alten und neuen Rumänischen Institute im Ausland dienten auch diesem Zweck.

Die zweite Tendenz – und das ist für die Kultur der Minderheiten von besonderer Bedeutung – setzt die Unterstützung und Bewahrung der authentischen Traditionen und Sitten zum Ziel. Die Pflege der traditionellen Kultur ist besonders wichtig für nationale Minderheiten, weil sie einer der bedeutendsten Garanten zur Bewahrung ihrer Identität ist. Es ist also gar nicht überraschend, dass die Volkstanzfestivale in den ersten Jahren nach dem Systemwechsel in Rumänien eine Renaissance erlebten, und die besten Tanzgruppen der Minderheiten oft in solchen Veranstaltungen auftraten.

 

Gibt es Ihrer Meinung nach einen bedeutenden Unterschied zwischen der Anwendung von kulturpolitischen Strategien bei großen, bzw. kleinen Nationen?

Große und kleine Nation – diese Begriffe sind überall benutzt, obwohl ihre Bedeutung bestreitbar und relativ ist. Wenn es große und kleine Nationen gibt, kann man auch über Nationen mittlerer Größe sprechen – die Rumänen halten sich, zum Beispiel, aufgrund der Bevölkerungszahl für so eine Nation. Was die Frage betrifft, sehe ich keinen bedeutenden Unterschied zwischen die Kulturpolitik von großen und kleinen Nationen. Beide haben die Zielsetzung, die Werte der nationalen Kultur zu bewahren, sie in der Welt bekannt zu machen, und dadurch der jeweiligen Nation Anerkennung zu gewinnen.

In der Praxis gibt es jedoch einen Unterschied zwischen diesen zwei Kategorien. Ein wichtiger Aspekt dieses Unterschieds ist die Tatsache, dass die größeren Nationen mehr Geld für die Verbreitung ihrer Kultur und die Bekanntmachung und Popularisierung ihrer kulturellen Werte verwenden können. Die Ausstrahlung und Anerkennung der englischen, französischen, italienischen, deutschen und spanischen Kultur ist dadurch viel größer, als die der schwedischen, portugiesischen oder ungarischen Kultur. Es ist aber auch wahr, dass sie nicht wegen ihrer Bevölkerungsgröße zu großen Kulturen zählen, sondern auch weil sie reicher an bedeutenden Künstlern und Werken sind – noch dazu benutzen sie eine Sprache, deren Anziehungskraft und Bekanntheit größer ist.

Zwei Ergänzungen möchte ich jedoch an dieser Stelle machen. Als Fundgrube geistiger Werte ist die Kultur gleichzeitig sehr selektiv und sehr demokratisch. Wenn Ungarn in dem 20. Jahrhundert nur Béla Bartók „aufzeigen” könnten, und Rumänien nur Brancusi hätte, wären sie als auch gleichwertige Partner für die anderen europäischen Kulturen – als Heimatländer zwei großartiger Künstler. Die nationalen Kulturen sind auf ein eigenartiges Ethos zurückzuführen, das seine eigene Werte schafft, und dadurch alle Nationen Europas zu gleichwertigen Partnern macht. Die zweite Ergänzung wäre, dass das Phänomen der Globalisierung die Unterschiede zwischen den Nationen Europas viel geringer und relativer macht. Ich bin überzeugt, dass die europäischen Länder in der Zukunft mehr Wert darauf legen werden, die kulturellen Werte anderer Nationen gegenseitig kennen zu lernen. Der gemeinsame Kulturmarkt wird genauso wichtig sein, wie die wirtschaftliche und finanzielle Vereinigung Europas. Der Schutz der nationalen Identitäten und die Bewahrung der gemeinsamen europäischen Werte sind eigentlich zwei Dimensionen der gleichen Strebung, und der europäische Geist, der diese Kulturen ins Leben gerufen hatte, soll hier wirklich zur Geltung kommen.

 

Hat die politische Wende aus strategischer Sicht positiv auf die Aufrechterhaltung der kleinen Nationen eingewirkt?

Die parlamentarische Demokratie ist günstiger für die menschliche Freiheit, den schöpferischen Geist, und die Kunst, als ein totalitäres System. In diesem Sinne hat der Systemwechsel eine positive Wirkung auf die Bewahrung der kulturellen Identität der kleineren Minderheiten. Als freie politische Gemeinden haben sie natürlich ein stärkeres Selbstbewusstsein und Identitätsgefühl, und können ihre eigene Geschichte erfolgreicher gestalten.

Andererseits sind in den Gesellschaften, die einen Systemwechsel durchgemacht haben, zwei Erscheinungen zu beobachten, die die Bewahrung der kulturellen Identität nicht begünstigen. Die eine ist die Marktwirtschaft, die andere das Phänomen der Massenkultur (die sich vor allem durch das Fernsehen verbreitet). Unabhängig von ihren wirtschaftlichen Vorteilen bedeutet die Marktwirtschaft eine Gefahr für die Kultur, sie unterstützt nämlich nicht die (künstlerische) Qualität, und strebt hauptsächlich nur finanziellen Profit an. Ihre negative Wirkung kann natürlich ausgeglichen werden, unseren Gesellschaften stehen aber dazu die nötigen Mittel nicht zur Verfügung. Was die zweite Erscheinung betrifft, veränderte die heutige Massenkultur die traditionelle Struktur der europäischen Gesellschaft grundsätzlich.

Die Kultur der europäischen Nationen hatte tausend Jahre lang zwei Grundpfeiler: die Volkskultur und die hohe Kultur (Literatur, Wissenschaft und Philosophie etc.), die beide in der Muttersprache gepflegt waren. In der westlichen Welt wurde die Zweite immer dominanter, im Osten ist jedoch diese Diskrepanz immer noch zu beobachten. Die Invasion der Massenkultur erschüttert jetzt alle beide, und bietet den Konsumenten eine „populär” genannte Kultur an, die mit ihrer eigenartigen Internationalität die Grenzen zwischen nationalen Kulturen abschafft. Die nationalen Kulturen werden natürlich auch unter diesen Umständen erhalten, aber es wäre schwer zu sagen, was die jetzige und die folgende Generationen daraus übernehmen, und als Erbe fortsetzen werden.

 

In der Zeit der Integration der Verwaltungsgebiete kamen nach 1990 sehr oft Interessensgemeinschaften zwischen den ostmitteleuropäischen kleinen Nationen zustande. Worauf ist es Ihrer Meinung nach zurückzuführen, dass die kleinen Nationen der Regionen die zwischenstaatlichen Kontakte nicht verstärkt zur Bewahrung der kleinen Nationen nutzen, und daran anknüpfend nicht enger im Interesse der auf dem Gebiet der Nachbarstaaten lebenden Minderheiten zusammenarbeiten?

Was die Beziehung zwischen Rumänien und Ungarn nach 1990 betrifft, muss es festgestellt werden, dass sowohl die Leitung der Ungarischen Demokratischen Verbund in Rumänien, als auch die Vertreter der ungarischen Zivilgesellschaft in Siebenbürgen, die politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit positiv beeinflussten. Eine der wahren Triebkräften der Zusammenarbeit der Nationen in dieser Region ist gerade die Existenz der nationalen Minderheiten (außer den Konflikten, die auf innere Spannungen zurückzuführen sind, wie z.B. in Jugoslawien). Ich bin der Meinung, dass die euro-atlantische Integration dieser Staaten auch zur Ausbildung dieser Tendenz beitrug, da ihre nationale Souveränität unter neuen Umständen versichert wurde, wodurch viele Sorgen und Vorurteile verschwunden sind. Diese Staaten führen in ihr politisches System und Rechtswesen ein gemeinsames europäisches Wertensystem ein, das auch in diese Richtung zeigt. Trotzdem bin ich der Meinung, dass die Staaten Ostmitteleuropas die Institutionen der politischen Zusammenarbeit noch nicht ausbauten, die zur Durchsetzung ihrer Interessen erforderlich wären. Die Voraussetzungen dieser Zusammenarbeit sind tief in den historischen Traditionen verankert.

 

Was halten Sie über die oben angesprochenen Themenbereiche hinaus wichtig für die Förderung der kleinen Nationen?

Was die kommenden Jahrzehnte anbelangt, die größte Herausforderung, die vor den Nationen Europas steht, ist die Idee der Solidarität in einem gemeinsamen Europa zu verwirklichen. Nach den Kriegen und politischen Spaltungen des 20. Jahrhunderts, können sich die Nationen nur durch die Vereinheitlichung Europas auf die großen, globalen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts vorbereiten. Dazu ist viel Weisheit und ein starker politische Wille erforderlich – und der Dialog der Kulturen kann wesentlich zu diesem Prozess beitragen.

 

FERENC MÁDL

Bildungs- und Kultusminister (1992-94), Mitglied der UAW,
Begründungsprofessor des Europa Instituts Budapest,
Präsident der Republik seit 2000

 

Für unsere unmittelbare kulturelle Umgebung, den Karpatenbecken ist eine kulturelle Vielfalt charakteristisch. Wie Jenő Szűcs darauf hinwies, ist Ungarn am Grenzgebiet der drei großen Kulturregionen Europas zu finden, und ist am engsten mit dem Westen, dem Okzident verbunden. Die Eigenartigkeit unseres Erbes kann erst dann eingeschätzt werden, wenn wir auch die östlichen Kulturelemente in Betracht ziehen, die von den ungarischen Staatsgründern mitgebracht wurden.

In unserer Region ist eigentlich jede Kultur eine Minderheitskultur, nicht nur wegen der ethnischen Vielfalt und der Relativität der Nationen zueinander, sondern auch im Vergleich zu den europäischen Kulturen. Diese Vielfalt ist zweifellos ein Wert, der nicht nur wegen uns selbst, sondern auch zur Bereicherung der Welt bewahrt werden soll.

Gegen die Vereinheitlichungstendenz der heutigen Gesellschaft kann die Vielfalt der Kulturen erst dann aufrechterhalten werden, wenn diese Gesellschaften dieses Ziel sehr bewusst anstreben, und der Schutz der kulturellen Vielfalt in die staatlichen Programme integriert wird. Die Traditionspflege und die Bewahrung der kulturellen Eigenartigkeiten eines Volkes sind nur teilweise die Aufgaben des Staates. Heutzutage sind die Möglichkeiten des Wissenserwerbs viel breiter, was in erster Linie den elektronischen Informationssystemen zu verdanken ist. Das Internet ist supranational. Ähnlicherweise vermittelt die globalisierte Konsumtion übernationale Informationen. All das bedeutet eine riesige Herausforderung, der man nicht auf individueller Ebene gerecht werden kann. Das Bildungswesen darf diesen Aspekt nicht außer Acht lassen. Es ist die Pflicht und das Recht der staatlichen Schulen, die lokalen und Minderheitskulturen zu schützen und die Bewahrung ihres kulturellen Erbes als Priorität zu behandeln, diese Aufgabe kann ja von keiner anderen Institution übernommen werden.

In der Regierungsperiode 1990-1994 konnte ich als Gestalter und Leiter der Kulturpolitik an der Rechtsetzung teilnehmen, die zum Erreichen dieser oben genannten Ziele dient. In der Präambel des Bildungsgesetzes von 1993 steht, dass es als Zielsetzung „die Vertiefung der Erziehung zum Patriotismus in der öffentlichen Ausbildung, und die Durchsetzung des Rechts der nationalen und ethnischen Minderheiten zum muttersprachlichen Unterricht” hat. (Das Ziel des Gesetzes ist natürlich im Allgemeinen die Versicherung des Rechts zur modernen Bildung.)

Als Minister nahm ich an mehreren großen internationalen Veranstaltungen teil, die das Aufrechterhalten und die Bewahrung der Kultur der kleinen Nationen zum Thema hatten. (An dieser Stelle möchte ich erwähnen, dass im Licht der Amerikanisierungstendenz sich sogar die Franzosen als eine Minderheit fühlen.) Wir waren uns einig, dass das nationale Kulturerbe jeder Nation Teil des Weltkulturerbes ist. Demzufolge drücken die nationalen Strebungen nach der Bewahrung der eigenen Traditionen universelle Werte aus. Aus dieser Hinsicht gibt es keine „großen” oder „kleinen” Nationen. Natürlich müssen die Großen andere Mittel verwenden, als die Kleinen – und die Letzteren haben viel größere Aufgaben vor sich. Das ist besonders wahr in unserer Region.

Es kann auch nicht außer Acht gelassen werden, dass die übermäßige Teilnahme des Staates und der Politik mehr schadet, als nutzt. Es ist aber die Aufgabe des Staates, zu erreichen, dass die Gesellschaft die zivilen und sonstigen Initiativen mit dem nötigen Taktgefühl behandelt, und an der Kulturfinanzierung teilnimmt. In der Zeit der Globalisierung sind die Traditionen von den Marktmechanismen der immer einheitlicheren Weltkultur gefährdet. In diesem Bereich ist der Nationale Kulturfonds beispielhaft innerhalb und außerhalb unserer Region. In diesem Fall funktioniert die staatliche Finanzierung und die beruflich-gesellschaftliche Kontrolle seit einem Jahrzehnt erfolgreich. Der Fonds wurde allein darum kritisiert, dass nicht immer genügende Förderungen zur Verfügung standen – aber es gibt wohl keine Summe, die groß genug ist, um alle zu befriedigen, die daraus nicht bekamen.

Während der Jahrzehnte, in denen wir die Fortschritte der Welt hinter dem eisernen Vorhang kaum gespürt hatten, erhielten sich hier in der Isolation, viele Werte, die im Westen zum Opfer der Entwicklung fielen. Das Phänomen erschien eigentlich schon vor Jahrhunderten, aber damals war die Umwandlung weniger auffällig. Letztendlich bedeutet die Region der neuen EU-Mitgliedsstaaten eine eigenartige kulturelle Genbank. Wir müssen darauf achten, dass dieses Erbe nicht den Veränderungen zum Opfer fällt, und der Beitritt nicht zur Selbstaufgabe wird. Wie ich sehe, bemerkten viele diese Gefahr, was Grund zur Hoffnung ist. Wir dürfen aber nie vergessen, dass wir, Ungaren für die ungarische Kultur verantwortlich sind, und keine EU-Förderung oder UNESCO-Unterstützung diese Kultur für uns bewahren kann.

Es macht einen oft traurig zu sehen, wie viele es gibt, die aufgrund der beeindruckenden wirtschaftlichen Beispiele der Meinung sind, dass die Welt auch im geistlichen Sinne vereint werden soll. Sie glauben, dass eine kleine Nation mit einer kleinen Kultur gleichzustellen ist, und es altmodisch oder beleidigend sei, der Bürger einer kleinen Nation zu sein. Das ist natürlich nicht wahr – nicht einmal in der Wirtschaft. Es kann mit mehreren Forschungen bewiesen werden, dass die Bewahrung der Traditionen und die Kohäsion der nationalen Gemeinde zu dem Erfolg solcher Unternehmen beitrug, wie IKEA und Nokia – um nur zwei bekannten Beispielen zu nennen. Eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg eines Unternehmens ist, mit selbstbewussten Leuten zu arbeiten, die ihre Identität bewahren, und ihre Kultur als Grundlage nehmen können.

Seit 1990 ließ Ungarn einen langen Weg hinter sich, was die Umstrukturierung des politischen und wirtschaftlichen Lebens betrifft. Die Kultur und Traditionen Ungarns veränderten sich nur insoweit, dass die Möglichkeiten und die Ausgeliefertheit, die die Freiheit der Kultur mit sich brachte, verschiedene Reaktionen hervorriefen. Inzwischen konnten wir beobachten, dass auch die ungarische Literatur auf dem „Weltmarkt” erschien und mehr ungarische Bücher übersetzt wurden, als je zuvor. Die ungarischen Künstler bekamen noch nie so viele Aufmerksamkeit und Anerkennung (u.a. den Nobel Preis und andere bedeutende Preise) wie in diesem Jahrzehnt.

Die ungarische bildende Kunst wird immer anerkannter und der Kulturaustausch wird immer dominanter in den Verbindungen. (Die Musik war traditionell eine unserer wichtigsten Exportwaren.) Die Verbindungen der ungarischen und ausländischen Wissenschaftler und Institutionen entwickelten sich auch in den letzten Jahren, und jetzt müssen wir die Gefahr des „Braindrains” überwältigen. Es ist jedoch ermutigend, dass das ungarische Wissenschaftswesen sich an dem wissenschaftlichen Leben der Welt anschließen konnte, und große Anerkennung erwarb.

All das ist von besonderer Bedeutung für das Ungarnbild, das von der Welt wahrgenommen wird. Die internationale Anerkennung der ungarischen Kultur trägt dazu bei, dass unsere Werte auch im Inland mehr Aufmerksamkeit bekommen, und regt die Investoren dazu an, neue Möglichkeiten zu entdecken.

Das Letztere ist äußerst wichtig, da die geistige Welt von Natur aus konservativ ist, und sich langsam ändert. Die fünfzehn Jahre, die zwischen der Abbau des eisernen Vorhangs und dem EU-Beitritt vergingen, sind aus diesem Aspekt eine sehr kurze Zeit. All das, was wir für das Aufrechterhalten unserer scheinbar kleinen und sensiblen Kultur getan haben ist nur der Anfang, die Zeit der wahren Herausforderungen und Aufgaben fängt erst jetzt an.

 

DUŠAN KOVÁČ

Generalsekretär der Slowakischen Akademie der Wissenschaften
(ab 1999), Mitglied des Wissenschaftlichen Beirates des Europa Instituts

 

In wie weit betrachteten, bzw. betrachten Sie die Bewahrung der Minderheiten als Aufgabe der staatlichen Kulturpolitik, und welche Mittel standen, bzw. stehen Ihnen zu diesem Zweck zur Verfügung?

Viele Nationen, einschließlich die nationale Minderheiten – das ist der Reichtum Europas. Die ethnische, sprachliche und nationale Vielfalt bedeutet nicht nur kulturelle Bereicherung, es ist auch im politischen Sinne eine wichtige Schule der Toleranz, des Dialogs und der Kommunikation. Was für Europa gilt, das gilt ebenso auch für die einzelnen Staaten Europas. Die ethnischen und nationalen Minderheiten sollten nicht mehr als eine Last oder als etwas Unangenehmes betrachtet werden, sondern umgekehrt, als eine Chance das Reichtum und die Vielfalt der Gesellschaft beizubehalten. Diese Haltung, bereits von Fachleuten und Intellektuellen anerkannt, bedeutet eine grundsätzliche Änderung der Philosophie den nationalen Minderheiten und den kleinen Nationen gegenüber. Die Bewahrung dieser Vielfalt im Staate – das ist eine der Hauptaufgaben der staatlichen Kulturpolitik (und der Politik überhaupt!). Die Politik hat viele Mittel (organisatorische, finanzielle) in der Hand. Ihre Anwendung hängt von der konkreten Situation im konkreten Lande ab. Sollte die nationale Minderheit nicht mehr imstande sein sich selbst als eine autonome Kultureinheit aufrechtzuerhalten, muss der Staat seine Bereitwilligkeit zur Hilfeleistung zum Ausdruck bringen, wenn es sich als nötig erweist, auch in der Form einer „positiven Diskriminierung”.

 

Welche Verfügungen haben Sie während Ihrer kulturpolitischen Tätigkeit zur Aufrechterhaltung der nationalen Minderheiten gefördert? Welche kulturpolitischen Aktionen wurden während Ihrer Amtszeit durchgeführt mit dem Ziel die Kultur der kleinen Nationen oder das Identitätsbewusstsein der nationalen Minderheiten innerhalb der Staatsgrenzen zu stärken?

Ich selber hatte nur die Möglichkeit als Berater des Staatspräsidenten an (Rundtisch-) Gesprächen teilzunehmen. Meine Erfahrung ist, dass die wichtigste Aufgabe der Minderheiten darin besteht selber die Forderungen und Wünsche zu formulieren und selber aktiv präsent zu sein. Die Wissenschaft (die Ethnographie, die Geschichtsschreibung, die Soziologie, die Psychologie, usw.) kann auch vieles zu diesem Thema beitragen. Es darf aber auf keinen Fall außer Acht gelassen werden, dass jede Minderheit als lebendige Einheit erhalten werden muss, sonst besteht die Bedrohung, dass aus der Minderheit eine Folkloregruppe wird.

 

Gibt es Ihrer Meinung nach einen bedeutenden Unterschied zwischen der Anwendung von kulturpolitischen Strategien bei großen, bzw. kleinen Nationen?

Ich bin der Meinung, dass die Empfindlichkeit und die Empathie gegenüber den nationalen Minderheiten bei kleinen Nationen viel größer sind als bei den Großen. Das Verhalten der großen Nationen gegenüber den nationalen Minderheiten ist sehr oft zu egozentristisch, und das Interesse an der kulturellen Erhaltung der Minderheiten wird somit an den Rand ihrer Kulturpolitik gedrängt.

 

Hat die politische Wende aus strategischer Sicht positiv auf die Aufrechterhaltung der kleinen Nationen eingewirkt?

Ganz entschieden ja. Es ist zwar richtig, dass auch die kommunistischen Regime hier und da den nationalen Minderheiten Aufmerksamkeit widmeten und öfters auch reichliche finanzielle Mittel zur Unterstützung bereitstellten. Für die Minderheiten (und das gilt nicht nur für die ethnische und nationale Minderheiten) ist es aber auf langer Sicht unerlässlich einen demokratischen Dialog und das, was wir eine demokratische Lebensweise nennen zu entwickeln. Jede Diktatur bedeutet eine Gefahr für die Minderheiten. In der Demokratie (und darunter verstehe ich nicht nur die demokratischen Institutionen, sondern auch eine Bereitschaft der Gesellschaft einen permanenten Dialog zu führen) aber bekommen auch die Minderheiten eine Chance sich an der Regelung der öffentlichen Angelegenheiten zu beteiligen.

 

In der Zeit der Integration der Verwaltungsgebiete kamen nach 1990 sehr oft Interessensgemeinschaften zwischen den ostmitteleuropäischen kleinen Nationen zustande. Worauf ist es Ihrer Meinung nach zurückzuführen, dass die kleinen Nationen der Regionen die zwischenstaatlichen Kontakte nicht verstärkt zur Bewahrung der kleinen Nationen nutzen, und daran anknüpfend nicht enger im Interesse der auf dem Gebiet der Nachbarstaaten lebenden Minderheiten zusammenarbeiten?

Das alles ist ja ein langer Prozess. Ich bin der Meinung, dass mit Bezug auf die regionale Zusammenarbeit es bereits Zeichen der Änderung gibt, und sogar Erfolge verbucht werden können. Um etwas mehr in diese Richtung tun zu können, muss man sich von langjährigen festgeschanzten Stereotypen und der nationalistischen Denk- und Betrachtungsweise (Dichotomie des „wir” und „die anderen”) lösen. Und das braucht Zeit.

 

Was halten Sie über die oben angesprochenen Themenbereiche hinaus wichtig für die Förderung der kleinen Nationen?

Um die Prozesse zu beschleunigen und positive Ergebnisse zu erzielen ist es meiner Meinung nach notwendig die vererbten, nationalistischen Denk- und Betrachtungsweisen zu bekämpfen unter dem Motto: „Nicht die nationale Homogenisierung, sonder die nationale Vielfalt ist unser Reichtum und unsere Zukunft” – in den einzelnen Staaten und auch in Europa. Das ist die Aufgabe des Staates (der Kulturpolitik), der Medien und der Intellektuellen in allen Ländern.

 

ZOLTÁN ROCKENBAUER

Kultusminister (2000-2002)

 

In wie weit betrachteten, bzw. betrachten Sie die Bewahrung der Minderheiten als Aufgabe der staatlichen Kulturpolitik, und welche Mittel standen, bzw. stehen Ihnen zu diesem Zweck zur Verfügung? Gibt es Ihrer Meinung nach einen bedeutenden Unterschied zwischen der Anwendung von kulturpolitischen Strategien bei großen, bzw. kleinen Nationen?

Kultur ist ein unerlässlicher Teil des nationalen Identitätsbewusstseins (sowohl bei Mehrheiten als auch bei Minderheiten). Nationale Kultur beruht primär auf der nationalen Sprache – mit wenigen Ausnahmen. Im Falle der nationalen Minderheiten gehören Sprache und Kultur zu den grundlegendsten Elementen der Identität, ihr Verlust bedeutet meist eine totale Assimilation.

In unserer Zeit sehe ich einen bedeutenden Unterschied in den kulturpolitischen Strategien der großen und kleinen Nationen, vor allem was den Radius und damit verbunden die Finanzierbarkeit der Kultur betrifft. Die Erweiterung des kulturellen Marktes steht im Interesse aller Nationen, aber die großen Nationen haben einen wichtigen Vorteil: ihr Sprachraum ist größer. Es ist leicht einzusehen, dass die englischen, russischen, deutschen oder französischen Bücher und Filme viel einfacher zu finanzieren sind als ungarische, finnische, slowenische, tschechische oder kroatische Werke, nicht zu sprechen von den Minderheitensprachen. Merkwürdigerweise gilt dies auch für Kunstarten, die nur indirekt an die Sprache gebunden sind, wie z.B. die bildende Kunst oder die Tanzkunst, weil oft die Sprache als Vermittlungsmedium eine weit stärkere Wirkung hat als das Kunstwerk selbst. Unter den aus kleineren Nationen stammenden Künstlern wurden nur diejenigen wirklich erfolgreich, die eine längere Zeit in kulturellen Zentren, wie Paris, Berlin, München oder New York, verbrachten. Und auch umgekehrt, viele talentierte und vielversprechende Künstler – darunter mehrere Ungarn – fielen aus dem internationalen Kanon nachdem sie aus dem Wirbel der Metropolen heimgekehrt sind. Andrerseits können die reichen Länder, im Allgemeinen, mehr Geld für die Kultur ausgeben – sowohl auf staatlicher, als auch auf privater Ebene. Durch die Werbeeinnahmen steigern die neuen Medien der Jahrtausendwende (Satellitenübertragung und Internet) den Unterschied zugunsten der kapitalreichen Kulturen und gleichzeitig erhöhen diese Medien die Effektivität der kulturellen Expansion. Gleichwohl können wir beobachten, welche Anstrengungen die Franzosen dafür tun um ihre Jahrhunderte lang erkämpfte kulturelle Position zu bewahren. Sie schrecken nicht davor zurück ihre kulturellen Märkte gegen die aggressive amerikanische „Kulturexpansion” mit verschiedenen rechtlichen Maßnahmen und wirtschaftlichen Regulierungen zu schützen.

Es gibt weltweit viele Modelle, die zur Bewahrung und Unterstützung der Entwicklung der nationalen Kulturen dienen, und viele dieser Modelle können erfolgreich sein. Es ist gar nicht sicher, dass das kulturelle Institutionssystem und die Kulturpolitik des einen Landes, auch in einem anderen erfolgreich verwendet werden kann. Ungarn muss seine jeweilige Kulturpolitik mit Hinsicht auf seine eigenen historischen, kulturellen und wirtschaftlichen Gegebenheiten ausarbeiten. Die gesamtungarische Kultur ist selbst eine besondere Art der „Minderheitenkultur” innerhalb dem europäischen Kulturgebiet, ähnlich der estnischen, tschechischen, slowenischen, kroatischen und bulgarischen Kultur. Diese Kulturen sind der negativen Wirkung der Globalisierung mehr ausgesetzt, und sind viel weniger vermarktbar als die Kulturen, die durch Weltsprachen vermittelt werden. Ich bin der Meinung, dass je kleiner der kulturelle Markt einer Nation ist, desto mehr bedarf er der staatlichen Förderung, und desto weniger darf er den rein wirtschaftlichen Faktoren ausgeliefert werden.

Unter Berücksichtigung der Größe und der Tradition der Kulturfinanzierung bin ich überzeugt, dass Ungarn eine durchdachte nationale Kulturpolitik und ein zentrales Finanzierungssystem braucht, dessen primäre – aber nicht einzige – Aufgabe die Bewahrung, Bereicherung und Vererbung der ungarischen Kultur ist. Der ungarische Staat trägt heute die Verantwortung für die differenzierte Unterstützung

a) der ungarischen Mehrheitskultur in Ungarn,

b) der Kultur der ungarischen Minderheit im Karpatenbecken,

c) der ungarischen Kultur der Emigration und

d) der Kultur der Minderheiten in Ungarn.

Der Staat kann zwar auf dem Gebiet der Kultur eine wichtige unterstützende und anspornende Rolle spielen, letztendlich wird aber die Kultur nicht von dem Staat, sondern von den Mitgliedern der Gesellschaft – von Individuen und Gemeinschaften – am Leben erhalten. Das Gleichgewicht der kulturellen Nachfrage und des Angebotes kann nicht mit staatlichen Mitteln gesichert werden, der Staat kann aber eine regulierende Funktion haben. Die Aufrechterhaltung der kulturellen Vielfalt ist eine grundlegende Pflicht des Staates, und es ist ihre Aufgabe mittels der Kraft der Kultur auch nationalpolitische Ziele zu fördern. (So ein Ziel ist die Bewahrung der nationalen Kultur vor den Herausforderungen der Globalisierung, aber auch der Schutz des Gemeinwohls, der Moral, der humanen Werte, und die Verstärkung der nationalen Identität.) Der Staat erfüllt seine Pflichten angemessen, wenn er möglichst viele private Gelder in die Finanzierung der Kultur einbeziehen kann, und dadurch die vervielfachte Summe der Unterstützung der Kultur zur Verfügung stellt. Die Forderungen der Marktwirtschaft unterstützen in keiner Weise die kulturelle Vielfalt, ganz im Gegenteil, sie uniformisieren und bevorzugen die kommerziellen, leicht vermarktbaren Produkte. Es ist äußerst riskant, die Finanzierung der nationalen Kultur großteils den marktwirtschaftlichen Faktoren zu unterwerfen. Die öffentliche Finanzierung soll in erster Linie dazu beitragen die größtmögliche Auswahl an Möglichkeiten zu bewahren. Dabei werden solche Bereiche gefördert, die nicht oder kaum vermarktbar sind. Dies trifft meist auf die Kultur der Minderheiten zu. Die Kultur dieser Volksgruppen bedarf des besonderen Schutzes. Es ist die Verantwortung des ungarischen Staates, die Sprache und Kultur der außerhalb der Grenzen Ungarns lebenden ungarischen Gemeinden, und der innerhalb der Grenzen des Landes lebenden nationalen Minderheiten zu bewahren. Genauso wie die Nachbarländer die Verantwortung dafür tragen, dass die Kultur der auf ihrem Gebiet lebenden ungarischen Minderheiten und die Kultur ihrer eigenen Minderheiten in Ungarn aufrechterhalten wird.

Demzufolge sind die wichtigsten Bereiche der staatlichen Förderung der nationalen Kultur:

– die Förderung des Schul- und Unterrichtswesens auf nationaler (und Minderheits-) Ebene

– die Förderung der kulturellen Institutionen auf nationaler (und Minderheits-) Ebene

– das System der normativen kulturellen Förderungen der Selbstverwaltungen

– differenzierte Projektförderungen (meist durch Ausschreibungen)

– kulturelle Steuer- und Beitragsbegünstigungen.

Im Weiteren soll sich die staatliche Förderung auf solche Grenzbereiche ausdehnen, wie die kulturelle Aktivität der Kirchen, oder die kulturellen Bezüge des Tourismus, der Jugendpolitik und des Umweltschutzes. Es ist also eine äußerst komplexe Frage, und die Harmonisierung dieser Bereiche ist die Aufgabe der Regierung, da es die Zuständigkeit mehrerer Ministerien betrifft. (Während der Regierungsperiode von FIDESZ zwischen 1998 und 2002 war das Ministerium für das Nationale Kulturerbe zuständig für die Kirchen und den Denkmalschutz, nicht aber für die Aufgaben im Zusammenhang mit dem Schul- und Unterrichtswesen, dem Tourismus, dem Umweltschutz und der Jugendpolitik. Bei Fragen, die in die Zuständigkeit von mehreren Ministerien fielen, versuchte das Ministerium für das Nationale Kulturerbe mittels interministerialer Vereinbarungen zusammenzuarbeiten.)

 

Welche Verfügungen haben Sie während Ihrer kulturpolitischen Tätigkeit zur Aufrechterhaltung der nationalen Minderheiten gefördert? Welche kulturpolitischen Aktionen wurden während Ihrer Amtszeit durchgeführt mit dem Ziel die Kultur der kleinen Nationen oder das Identitätsbewusstsein der nationalen Minderheiten innerhalb der Staatsgrenzen zu stärken?

Die Frage bezieht sich vor allem auf konkrete Ereignisse, aber statt all die kleinen Details aufzureihen, versuche ich die grundlegende Konzeption an Hand von Beispielen zu erläutern.

Die im Rahmen der Millennium der Staatsgründung veranstalteten Festivitäten fanden in der Zeit meines Ministeramtes statt, was für die Regierung eine hervorragende Möglichkeit bereitete, eine ihrer wichtigsten nationalpolitischen Zielsetzungen, nämlich die Wiedervereinigung der ungarischen Kultur, in die Praxis umzusetzen. Nach unserer Auffassung umfasst die ungarische Kultur die Kultur des gesamten ungarischen Volkes, unabhängig von der Einteilung historischer Zeitalter und von geographischen Grenzen. Es gibt also keine ungarische Literatur, Musik oder Tanzkunst „außerhalb der Grenzen Ungarns” – nur die in ihrer Gesamtheit geltende ungarische Literatur, Musik und Tanzkunst. So haben wir die zum Anlass des Millenniums – an sich ein Fest des gesamten ungarischen Volkes – organisierten Projekte und die für die Projekte abgesonderten öffentlichen Ressourcen auch den Gemeinden außerhalb der Grenzen Ungarns zugänglich gemacht. Im Gegensatz zu der Praxis der früheren Jahrzehnte konnten alle ungarischen Künstler, Wissenschaftler, Gruppen und Institutionen sowohl diesseits, wie auch jenseits der Grenze an den Ausschreibungen des Ministeriums für das Nationale Kulturerbe teilnehmen. Zugleich gab es – wie oben beschrieben, gerade weil die Kulturfinanzierung bei Minderheiten eine besonders wichtige Rolle spielt – lokal verwendbare Projektpakete, die ausgesprochen für die Ungarn ausgearbeitet wurden, die ihren Wohnsitz außerhalb des Vaterlandes hatten. Obwohl keine Quote festgesetzt wurde, erhielten die Bewerber, die außerhalb der Grenzen Ungarns lebten, einen Zehntel der jeweiligen Projektgelder. Ein ähnlicher Prozentsatz war gültig bei der Verteilung der Gelder, die zur Förderung von Projekten aus dem sog. „Ministerfond” (eine Summe, über die der Minister frei verfügt) abgesondert waren.

Um der Einheit der gesamtungarischen Kultur zu betonen, strukturierten wir ab 2000 das System der staatlichen Preise für künstlerische Tätigkeit um, damit die geographische Abstammung – im Gegensatz zu der früheren Regelung – bei der Anerkennung der künstlerischen Leistungen kein Hindernis sei. Demzufolge wurde etwa 15% der kulturellen Ehrenpreise an außerhalb der Grenzen Ungarns lebende Künstler verliehen. (Die Anzahl der zu verleihenden Preise wurde jedoch erhöht, damit sich die heimischen Künstler durch diese Änderung nicht benachteiligt fühlen.)

Die Pflege der Sprache ist grundlegend für die Erhaltung der zur Minderheit gehörenden Gemeinden. Der Erhaltung der Sprache kann – neben dem Schul- und Unterrichtswesen, der Tätigkeit der Kirchen und den elektronischen Medien – am meisten durch die Ausgabe von Büchern und Zeitungen, bzw. durch Theateraufführungen geholfen werden. Im Vergleich zu früheren Jahren standen sowohl den ungarischen Gemeinden jenseits der Grenze als auch den Minderheiten in Ungarn größere Ressourcen zur Veröffentlichung von Büchern und Zeitschriften zur Verfügung. Die Unterstützung der ungarischen Bibliotheken außerhalb der Grenzen Ungarns ist ebenfalls eine vorrangige Aufgabe. Das Ministerium versuchte die Bibliotheken durch Nachlassankäufe, mittels der Zuwendung von Büchern, sowie das Abonnieren von Fachzeitschriften zu unterstützen und zum Anschluss der Hauptbibliotheken an das Internet beizutragen. Es soll hier bemerkt werden, dass mittels der Herausgabe von Büchern der Versuch unternommen wurde die Herausbildung der Literatursprache der Zigeuner zu fördern.

Die außerhalb der Grenzen des Landes wirkenden ungarischsprachigen Theatergruppen tragen bedeutend zur Erhaltung der ungarischen Gemeinde bei. Die zur Förderung dieser Theatergruppen abgesonderten Summen wurden mehr als verdreifacht, nicht allein um ihre Inbetriebhaltungskosten und die Erweiterung ihres Repertoires zu unterstützen, aber auch um ihren Reisen und Gastvorträgen eine Richtung zu geben, ihnen bei der Orientierung zu helfen. Außer den gegenseitigen Besuchen und Gastvorträgen der inländischen Theater und der Theatergruppen der ungarischen Minderheiten, sowie dem jährlich veranstalteten ’Fest der außerhalb der Grenzen Ungarns wirkenden Theatergruppen’ in Kisvárda, wo sich im Rahmen von verschiedenen Programmen die Möglichkeit bietet Erfahrungen zu sammeln, wollten wir in erster Linie erreichen, dass die ungarischsprachigen Theatergruppen in dem Karpatenbecken ihren Radius erweitern und ein möglichst breites Publikum ansprechen können. Wir waren besonders bestrebt zum Ausbauen der Wechselbeziehungen beizutragen, die nicht allein auf das eine oder andere von einer ungarischen Minderheit bewohnte Gebiet der Nachbarländer konzentrieren, sondern die nach Möglichkeit auch zwischen Siebenbürgen, Oberungarn und der Woiwodina die gegenseitigen Beziehungen ausbauen, also eine Orientierung erfahren.

In dem staatlichen Budget sonderten wir selbständige Fonds für die Unterstützung der Roma-Kultur und die Rettung der Kultur der Csangos in der Moldau ab. Unser Ministerium übernahm somit bedeutende Aufgaben im Zusammenhang mit der Bewahrung der kulturellen Identität der heimischen nationalen und ethnischen Minderheiten. Das Ministerium unterstützte die kommunalen und regionalen Institutionen, sowie die landesweiten Selbstverwaltungen der Minderheiten durch Ausschreibungen und einmalige Zuwendungen, wenn sie in ihren Räumlichkeiten kulturellen Werkstättenprogrammen ein zu Hause boten. Bei der Beurteilung der Bewerbungen von Minderheiten und den einmaligen Zuwendungen hielten wir vor Augen, dass die eher benachteiligten Kleinsiedlungen und Kleingemeinden bevorzugt werden sollen. Bei der Auswertung der Bewerbungen wurden die landesweiten Selbstverwaltungen der Minderheiten und die kulturellen Vereine der Minderheiten miteinbezogen.

Als neue Institution wurde in 1999 das Nationale Informations- und Bildungszentrum der Zigeuner ins Leben gerufen.

In 2001 gründeten wir das „Haus der Traditionen”, eine nationale Kultureinrichtung, das als Bildungs- und Sammlungszentrum der (fort)lebenden Folklore funktioniert. Die Aufgabe dieser selbständigen staatlichen Institution ist die Sammlung, Erhaltung und Bekanntmachung im In- und Ausland der ungarischen Folklore und der folkloristischen Traditionen der Minderheiten, die in dem Karpatenbecken und besonders auf dem ungarischen Sprachgebiet als nationale Werte gelten. Nach unseren Vorstellungen wäre das „Haus der Traditionen” in dem kulturellen Komplex des in 2002 gegründeten „Millennium Stadtzentrums” (heute: „Palast der Künste”) eingegliedert worden. Mit dem neuen Konzertsaal der Ungarischen Philharmoniker, dem Museum der Modernen Ungarischen Kunst und dem in nächster Nähe befindlichen Nationaltheater hätten wir die Grundlagen des größten kulturellen Unternehmens in Mitteleuropa geschaffen. Dabei hatten wir das Ziel vor Augen, die ungarische Kultur in diesem neuen, auch den Tourismus anziehenden Stadtviertel konzentriert und in ihrer gesamten Vielfalt darzustellen. Mit dem Regierungswechsel mussten unsere Vorstellungen einige Änderungen erfahren, aber hoffentlich wird das „Haus der Traditionen” mehr oder weniger aufgrund der früheren Konzeption in 2005 eröffnet.

Über die Unterstützung der ungarischen und minderheitlichen Volkstanzkunst hinaus, ist die Aufnahme und Ausgabe des Hörmaterials der Folklore besonders wichtig. Demzufolge wurde die aus zehn CDs bestehende Zigeunerliedsammlung von Károly Bari veröffentlicht, und die Plattenreihe „Új Pátria” abgefertigt. Diese Reihe ist die Frucht der Volksmusiksammlung „Utolsó óra” („Letzte Stunde”). Die jungen Ethnographen und Volksmusiker, die an diesem Projekt teilnahmen, hatten die Zielsetzung, den ungarischen Musikdialekt des Karpatenbeckens systematisch und umfassend zu sammeln. Nach den ursprünglichen Plänen würde das so entstandene digitale Tonarchiv, das über 1000 Stunden ausmacht, auch im „Haus der Traditionen” untergebracht.

Ähnlicherweise hat der Schutz des Bauerbes eine identitätswahrende Funktion auf den von Minderheiten bewohnten Gebieten. Die regelmäßige staatliche Unterstützung des ungarischen Denkmalschutzes außerhalb der Grenzen Ungarns begann in 1999. Die Bewahrung des ungarischen Bauerbes jenseits der Grenzen sollte eigentlich die Aufgabe der Nachbarstaaten sein, aber in diesem Bereich waren große Mangelhaftigkeiten zu beseitigen. So brachte die Regierung sowohl mit der rumänischen, als auch mit der slowakischen Regierung gemeinsame Fonds zum Schutz und Restaurierung wichtiger ungarischer Denkmäler zustande. Darüber hinaus wandten wir jährlich Summen in hundert Millionen Forint (1 Euro = 250 Forint) Höhe der Rettung ungarischer Denkmäler jenseits der Grenze zu.

 

Hat die politische Wende aus strategischer Sicht positiv auf die Aufrechterhaltung der kleinen Nationen eingewirkt?

Sowohl in Ungarn, als auch in der Mehrheit der ehemaligen kommunistischen Länder, wo es zu keinem ethnischen Kriegskonflikt kam, brachte der Systemwandel in jedem Fall die Entfaltung der Freiheitsrechte des Individuums mit sich, auch wenn die jetzige Situation immer noch nicht zufriedenstellend ist. Es ist auf jedem Fall unbestreitbar, dass die Minderheiten ihre kulturellen und politischen Gemeinden ins Leben rufen konnten, in mehreren Parlamenten der Region Abgeordnete haben, an lokalen Wahlen teilnehmen können, und ihre Kultur und Sprache freier benutzen können.

In Ungarn sind die Selbstverwaltungen der Minderheiten ausgebaut worden und, obwohl sie automatisch (ohne gewählt zu werden oder in Folge eines beschleunigten Verfahrens) keine Parlamentssitze bekommen können, nehmen ihre Vertreter in den verschiedenen Parteien an der Rechtsetzung teil, und ihre Grundrechte sind gesichert. In der Kulturfinanzierung stehen den nationalen Minderheiten auch besondere Ressourcen zur Verfügung zur Bewahrung und Bereicherung der Kultur.

 

In der Zeit der Integration der Verwaltungsgebiete kamen nach 1990 sehr oft Interessensgemeinschaften zwischen den ostmitteleuropäischen kleinen Nationen zustande. Worauf ist es Ihrer Meinung nach zurückzuführen, dass die kleinen Nationen der Regionen die zwischenstaatlichen Kontakte nicht verstärkt zur Bewahrung der kleinen Nationen nutzen, und daran anknüpfend nicht enger im Interesse der auf dem Gebiet der Nachbarstaaten lebenden Minderheiten zusammenarbeiten?

Während sich der Integrationsprozess in Westeuropa beschleunigte, war in den 1990er Jahren in den ehemaligen kommunistischen Ländern der ostmitteleuropäischen Region eine gegensätzliche Tendenz zu beobachten, die zum Zerfall mehrerer Staaten (der Sowjetunion, der Tschechoslowakei oder Jugoslawien), in einigen Fällen zum Krieg führte. Die Loslösung von der Sowjetunion trug einerseits in den ehemaligen sozialistischen Ländern zur Verstärkung des nationalen Identitätsbewusstseins bei, und führte andrerseits infolge der Beitrittsbestrebungen der Staaten der Region in die westlichen Integrationsgemeinden (Europarat, NATO und der Europäische Union) zu einem Wettbewerb zwischen den Nationen. Auch gegensätzliche Initiativen waren zu beobachten, wie z.B. die „Pentagonale” für regionale Zusammenarbeit am Ende der 80er Jahre, die aber leider nach unüberlegten Erweiterungen bereits anderthalb Dutzend Mitgliedstaaten umfassend unter den Namen „Mitteleuropäische Initiative” (CEI) seinen Sinn verlor. Die Central European Free Trade Association (CEFTA), die aufgrund der EFTA ins Leben gerufen wurde, musste oft erkennen, dass die Mitgliedsstaaten sich nicht an den Regelungen der Gemeinde hielten, was die Arbeit oft unmöglich machte.

Als meistversprechende Initiative galt der heute mit schwankender Intensität arbeitende Bund der „Visegrad Staaten” (V4), eine hauptsachlich politisch-kulturelle Zusammenarbeit, die nach einer beinah zur Auflösung führenden Passivität Mitte der 90er Jahre dank der Orbán-Regierung in 1998 einen neuen Schwung bekam. Das Ziel war vor allem, die Interessen und Strategien der vier Länder bei den EU-Beitrittsverhandlungen zu harmonisieren. Die V4 pflegte ab 1999 starke kulturelle Beziehungen unter den Mitgliedstaaten dadurch, dass neben den Treffen der Ministerpräsidenten und Außenminister die Mitgliedsstaaten das halbjährliche Treffen der Kultusminister verkündeten, sowie einen gemeinsamen kulturellen Fonds aufstellten. Die gemeinsame Arbeit begann in 2000, einem Jahr nach der Vorbereitungssitzung, und umfasste über den kulturellen Erfahrungsaustausch hinaus die Ausarbeitung gemeinsamer Programme. Bis 2002 wurden mehrere Vorstellungen ausgearbeitet: V4 Filmfestivals, gemeinsam finanzierte Filme, die Erfassung der Holzkirchen diesseits und jenseits der Grenze, Buchübersetzungsprojekte, Veranstaltung von Folklorefestivals. Das erste solche Folklorefestival wurde in März 2002 in Budapest veranstaltet. Infolge des Regierungswechsels in 2002, scheint heute die kulturelle Zusammenarbeit, die von den „Visegrad Staaten” initiiert wurde, weniger intensiv zu sein. Die geplante Erweiterung der V4 droht mit dem negativen Beispiel der Pentagonale.

Die kulturelle Zusammenarbeit in Mitteleuropa wäre aber sowohl auf interstaatlicher, als auch auf regionaler Ebene äußerst wichtig. Viele – ich selbst auch – sind der Meinung, dass es, über die nationale Identität hinaus, eine mitteleuropäische kulturelle Identität gibt, die nicht nur zur Zeit der Monarchie, eine auf merkwürdige Art verwandte Weltanschauung für Polen, Ungarn, Österreicher, Tschechen, Slowaken und Juden bedeutete, und als Grundlage bedeutender literarischen und musikalischen Meisterwerke diente. Das war eigentlich auch zur Zeit der kommunistischen-sozialistischen Periode der Fall – zum Teil daraus folgend, dass die Staaten politisch auf einander angewiesen waren. Nach dem Zweiten Weltkrieg ist – neben der Literatur und der Musik – auch in der Filmkunst und den bildenden Künsten eine eigenartige mitteleuropäische Sichtweise zu bemerken, die viele Künstler in dieser Region und weltweit sehr bekannt machte. Ich bin überzeugt, dass eine intensive kulturelle Zusammenarbeit den kulturellen Markt der hier lebenden Völker gegenseitig erweitern könnte, was die Aufmerksamkeit der westlichen Welt auf die Kultur der neuen EU-Länder lenken würde. Um die Erfüllung dieser Aufgabe zu unterstützen, brachten wir in 2000 das Mitteleuropäische Kulturinstitut zustande, die die Zielsetzung hat, diese eigenartige Identität durch Veranstaltungen und Publikationen zu unterstützen, und die bunte und interessante Kultur dieser Region darzustellen.

 

JÓZSEF PÁLINKÁS

Mitglied der UAW, Universitätsprofessor, ungarischer Bildungsminister (2001-2002)

 

In wie weit betrachteten, bzw. betrachten Sie die Bewahrung der Minderheiten als Aufgabe der staatlichen Kulturpolitik, und welche Mittel standen, bzw. stehen Ihnen zu diesem Zweck zur Verfügung?

Um diese Frage beantworten zu können, ist es notwendig, zu definieren, was wir unter Kultur und Kulturpolitik verstehen. Die Kultur – im breitesten Sinne des Wortes – bildet den Rahmen des menschlichen Lebens: sie umfasst das Erkennen der Welt, moralische Prinzipien, Religion, Weltanschauungsweisen, Sitten und die Erziehung der folgenden Generationen. Die Kultur gibt uns Hinweise darüber, was wir für schön, gut und wahr halten sollten. Die Kultur kann mit verschiedenen Gruppen, Völkern und Nationen verbunden werden. Ohne Kultur wären die Menschen nur eine unsystematische Masse. Eine Masse ohne Gedanken, die leicht leitbar ist, und sich immer in Richtung des kleineren Widerstands orientiert, ein Haufen von Individuen, die seelisch und geistig unbeholfen sind.

Die Kultur kann also im Grunde genommen mit Ordnung verbunden werden, während ihr Mangel mit Ungeordnetheit zusammenhängt. Das Schicksal der Menschheit kann sich grundsätzlich in zwei Richtungen ändern: entweder in Richtung der Ordnung oder in Richtung der Ungeordnetheit. Die Erste ist ein Prozess, der viel Energie benötigt, im Falle der Zweiten ist es nicht so. Diejenigen, die die Menschen in Richtung der Unordnung, der Ungeordnetheit lenken, sind also im Vorteil. Die Verbreitung der Liederlichkeit, und Maßnahmen zur Auflösung der traditionellen Strukturen und Werte gehören hierzu. Die Weitervererbung der geerbten Kultur steht nicht nur im Interesse einer Nation, sondern im Interesse der ganzen Menschheit, und ist gleichzeitig eine der edelsten menschlichen Strebungen.

Die staatliche – nationale – Kulturpolitik ist eigentlich die Unterstützung all dieser Strebungen mit staatlichen Mitteln.

Fast ein Drittel der Leute, die sich als Ungarisch bekennen, lebt seit Trianon jenseits der ungarischen Grenze. Deshalb bedeutet die Minderheitspolitik für die ungarische Kulturpolitik drei unterschiedliche Aufgaben. Die Erste ist die Unterstützung der ungarischen Nationsteile jenseits der Grenze. Die Zweite ist die Unterstützung der ungarischen Gemeinden, die jenseits der Grenze leben. In die dritte Gruppe gehören die kulturpolitischen Aufgaben im Zusammenhang mit den nationalen Minderheiten in Ungarn. Meiner Auffassung nach, sind alle drei wichtigen kulturpolitischen Aufgaben des Staates.

Die Bewahrung der kulturellen Identität der Minderheiten in Ungarn ist ein äußerst wichtiges Interesse des Staates, weil dadurch sich unsere Landleute in Ungarn zu Hause fühlen können. Ihre Kultur macht auch die ungarische Kultur reicher und bunter, und bildet eine Verbindung zwischen Ungarn und den Vaterländern dieser Minderheiten. Der ungarische Staat soll den Vaterländern dieser Minderheiten vor allem durch Rechtsregelungen die Möglichkeit geben, ihre im Ausland lebenden Landsleute zu unterstützen. Gleichzeitig sollen die kulturellen und Bildungsinstitutionen dieser Minderheiten mit staatlichen Mitteln gefördert werden, damit sie – unabhängig von der Unterstützung des Vaterlandes – ihre Tätigkeit entfalten können. Ein einfaches Beispiel dafür ist die normative Sonderförderung des Minderheitenunterrichts und der kulturellen Vereine der Minderheiten.

Aus kulturpolitischem Aspekt ist die Lage der Zigeunerminderheit äußerst speziell. Einerseits hat diese Minderheit kein Vaterland, und kann nicht mit ausländischer Unterstützung rechnen. Andererseits soll ihre Kultur und Lebensweise gleichzeitig bewahrt und entwickelt, bzw. integriert werden. Der begrenzte Rahmen dieser kurzen Schrift erlauben es nicht, tiefer in die Problematik dieser kulturpolitischen Frage einzugehen, es kann jedoch festgestellt werden, dass die ungarischen Zigeuner eine zweifache kulturpolitische Aufgabe vor sich haben. Einerseits sollen sie die Entdeckung und Bewahrung ihrer Kultur versichern, andererseits soll ihre Lebensweise und Bildungsniveau mit Hilfe der Erziehung in Kindergärten und Schulen verbessert werden. Das ist allein durch die ungarische Sprache und die ungarische Kultur möglich.

Im Falle der im Ausland lebenden ungarischen Gemeinden ist die kulturpolitische Verantwortung eher seelischer und geistiger Natur und weniger finanziell, da diese Gemeinden oft unter besseren finanziellen Umständen leben. In ihren neuen Heimatländern müssen sie im Allgemeinen keine Hindernisse überwinden, was die Bewahrung ihrer Kultur betrifft, aber sie bekommen keine staatliche Unterstützung. Es steht im Interesse Ungarns, diese Gemeinden im Leben zu halten, deshalb sollen ihre ungarischen Beziehungen auch mit staatlichen und kulturdiplomatischen Mitteln gefördert werden. Das kann in zwei verschiedenen Formen verwirklicht werden: einerseits durch die Darstellung der ungarischen Kultur im Ausland (mit Gastprofessoren, Theateraufführungen, Literaturabenden und Folkloreprogrammen), andererseits sollen Besuche von ausländischen Jugendlichen in Ungarn gefördert werden (in Sommeruniversitäten und Ferienlagern). Ich halte es für äußerst wichtig, dass die zur Verfügung stehenden Ressourcen nach einer kulturdiplomatischen Strategie zentralisiert, und von einer Sonderabteilung des Kultusministeriums verteilt werden

Die wichtigste und schwierigste Frage für Ungarn ist die Problematik der Nationsteile jenseits der Grenze. Kulturpolitik ist nur eines der Mittel für die Lösung dieser Frage, aber vielleicht das Wichtigste. Diese Nationsteile brauchen nämlich nicht nur eine kulturelle, sondern auch eine nationale Autonomie, die aber in den meisten Staaten nicht gefördert, oft nicht einmal toleriert wird. Das dürfen wir nie außer Acht lassen. Gleichzeitig ist das kulturelle Erbe dieser Nationsteile ein unerlässlicher Teil der ungarischen Kultur. Die Vertreter der ungarischen Kultur wussten das schon, und der Anspruch auf so eine Einstellung war in der ungarischen Kulturpolitik immer zu spüren.

Der berühmte Satz von József Antall, laut dessen er „der Ministerpräsident von Fünfzehnmillionen Ungarn” sein wollte, war damals die eindeutige politische Formulierung dieser Strebung, und das „Statusgesetz” über den Status der Mitglieder der ungarischen Minderheiten der Nachbarnländer in Ungarn (2001) war die logische Fortsetzung dieses Ansatzes. Dieses Gesetz versuchte, die Aufrechterhaltung und Verstärkung dieser Gemeinden mit kulturpolitischen Mitteln, mit der Förderung von ungarischen Universitäten, kulturellen Institutionen und Vereine zu erreichen. Leider haben viele Staaten nicht erkannt, welche Bedeutung diese Initiativen für die Zukunft haben.

Im Bezug auf den Status der nationalen Minderheiten, diese grundlegende Frage der neuzeitlichen Geschichte Ostmitteleuropas untersuchten schon viele (z.B. Oszkár Jászi und István Bibó), ob es einen Zusammenhang zwischen die Kulturpolitik und die Nationalitätsbekennung der einzelnen Individuen besteht.

Die Lage der Minderheiten verändert sich immer dynamisch nach bestimmten Faktoren, die ihr Bewusstsein beeinflussen, wie z.B. die Bevölkerungszunahme, oder die wirtschaftliche und soziale Lage der jeweiligen Minderheit. Es ist die Aufgabe aller staatlichen Kulturpolitiken, die einer modernen, europäischen kulturpolitischen Strategie folgen, das Selbstbewusstsein der Minderheiten zu verstärken. Dadurch wird auch die Bewahrung der kulturellen Identität möglich.

In den Ländern, wo die Minderheiten im Gebiet des jeweiligen Staates tatsächlich nationale Gemeinden bilden, versichern die Grundverträge nur den rechtlichen Rahmen eines ausgeglichenen Beziehungssystems für das Land. Eine richtige Versöhnung kann nur auf komplexe gesellschaftliche, kulturelle und wirtschaftliche Prozesse erfolgen, was für die Kulturpolitik sämtliche strategische und konkrete Aufgaben mit sich bringt.

 

Welche Verfügungen haben Sie während Ihrer kulturpolitischen Tätigkeit zur Aufrechterhaltung der nationalen Minderheiten gefördert? Welche kulturpolitischen Aktionen wurden während Ihrer Amtszeit durchgeführt mit dem Ziel die Kultur der kleinen Nationen oder das Identitätsbewusstsein der nationalen Minderheiten innerhalb der Staatsgrenzen zu stärken?

Das Statusgesetz, das eines der deutlichsten Mittel der Kulturpolitik war, wurde von dem Parlament in der Zeit der Orbán-Regierung verabschiedet.

Die Regierung von Viktor Orbán brachte die öffentliche Apáczai-Stiftung, die Ungarische Universität in Siebenbürgen, und die Selye János Universität in Komorn zustande, und erarbeitete den Entwicklungsplan des Hochschulwesens in dem Karpatenbecken. Das Hauptdirektorat der Ausländischen Ungarischen Institute und das Balassi Bálint Institut wurden auch zu dieser Zeit ins Leben gerufen.

In der Zeit der Orbán-Regierung ist es zum ersten mal vorgekommen, dass die Vertreter der ungarischen Gemeinden jenseits der Grenze in einem ungarischen Regierungsausschuss teilnehmen konnten (z.B. in dem Kulturellen Expertenkomitee der Ungarischen Ständigen Versammlung, in der öffentlichen Illyés-Stiftung, und in der öffentlichen Apáczai-Stiftung).

 

Gibt es Ihrer Meinung nach einen bedeutenden Unterschied zwischen der Anwendung von kulturpolitischen Strategien bei großen, bzw. kleinen Nationen?

Die Kultur und die wirtschaftliche Souveränität der größeren Nationen sind wie ein Ozean, sie muss einfach zur Kenntnis genommen werden. Im Falle der kleineren Nationen ist eine Art kulturelle Eroberungstendenz zu beobachten, deren Zielsetzung es ist, die geringe wirtschaftliche, militärische Rolle dieser Länder auszugleichen. Diese Tendenz ist auch in der kulturpolitischen Strategie und der Kulturdiplomatie dieser kleineren Länder zu beobachten.

Diejenigen Nationen, die ihrer Bevölkerungszahl nach kleiner sind, müssen kulturell mehr leisten, damit ihre Leistung in der Gemeinde der Nationen anerkannt wird. Sándor Márai schreibt an einer Stelle: „...wir müssen uns bewusst sein, mit welchen Fähigkeiten wir vor dem großen und unempfindsamen Prüfungskomitee der Nationen stehen.”

Die Kultur war immer ein besonders wichtiges Element in der tausendjährigen Geschichte der staatsbildenden ungarischen Nation. Im Zusammenhang mit der Nationsbildung schrieb Márai das Folgende: „Der ungarische Nationalgedanke bestand immer bei dem Qualitätskampf... Die ungarische Geistesgeschichte beantwortete die großen Fragen Europas individuell und mit voller Verantwortung... Das ungarische Volk untersuchte die europäischen Schicksalsfragen immer auf seiner eigenartigen Weise, und entschied mit Hilfe seines nationalen Selbstbewusstseins, welche Fragen für ihre Entwicklung erforderlich und angemessen sind. In den vergangenen Jahrhunderten brachte das ungarische Volk eine Kultur hoher Qualität zustande, und all das erreichte es meist unter ungünstigen Zuständen.” Wenn wir über Márais Sätze nachdenken, wird es klar, dass wir heute dasselbe erreichen wollen. Wir wollen die großen Fragen Europas individuell und mit voller Verantwortung beantworten.

 

Hat die politische Wende aus strategischer Sicht positiv auf die Aufrechterhaltung der kleinen Nationen eingewirkt?

„Es gibt keine kleine Nationen, nur kleingläubige Nationen.” – schrieb Pál Teleki an einer Stelle. Mit dem Zerfall der Sowjetunion wurde der Ausdruck „nationale Identität” wieder selbstverständlich. In den vergangenen Jahren kamen in Europa viele Staaten zustande, und mehrere davon traten der Europäischen Union mit uns gemeinsam bei. Sie freuen sich alle über ihre neuerworbene Selbständigkeit, so werden sie es wohl nicht zulassen, dass die Globalisierung sie mit sich reißt. Ich bin der Meinung, dass der Beitritt zur Verstärkung des nationalen Bewusstseins beitragen wird. Nicht nur weil wir uns dadurch mit einem Teil unserer patriotischen Landsleuten einigen könnten, sondern auch weil dadurch die Bürger aller Nationen den Rückstand der neuen Mitgliedsstaaten deutlicher spüren werden, was zur Wettbewerbsstimmung beitragen wird. Die Europäische Union ist vor allem eine wirtschaftliche Interessengemeinde, und steigert die wirtschaftliche und administrative Effektivität, aber die Pflichten der Nationen kann sie nicht übernehmen. Der Mangel an nationalem Selbstbewusstsein, die Gleichgültigkeit und das Schuldgefühl, das dem ersten und zweiten Weltkrieg und der kommunistischen Ideologie zufolge in bestimmten Kreisen immer noch zu spüren ist, stellt den Nationen eine große Aufgabe.

Der Konflikt zwischen nationalen Minderheiten und dem Staat in Ostmitteleuropa erscheint in Europa manchmal tatsächlich als eine regionale Spannung. Seit dem politischen Systemwechsel wurde die Behandlung der Minderheitenproblematik immer mehr ein diplomatisches Mittel. Gleichzeitig ist das Vorhandensein, bzw. die Zahl der im Gebiet eines Landes lebenden Minderheiten ein wichtiges Faktor in der diplomatischen Strebungen und Motivation der einzelnen Staaten. Die Behandlung der Minderheitenfrage ist viel problematischer, wenn es nicht auf Gegenseitigkeit beruht.

 

In der Zeit der Integration der Verwaltungsgebiete kamen nach 1990 sehr oft Interessensgemeinschaften zwischen den ostmitteleuropäischen kleinen Nationen zustande. Worauf ist es Ihrer Meinung nach zurückzuführen, dass die kleinen Nationen der Regionen die zwischenstaatlichen Kontakte nicht verstärkt zur Bewahrung der kleinen Nationen nutzen, und daran anknüpfend nicht enger im Interesse der auf dem Gebiet der Nachbarstaaten lebenden Minderheiten zusammenarbeiten?

Die Minderheitenfrage steht in Ostmitteleuropa zwischen den Stabilisierungsstrebungen der Nationalstaaten und der steigernden Integration der Staaten. Die Meinung, nach der das Prinzip der Regionalität das System der Staatsgrenzen umgestalten wird, scheint die bisherigen geschichtlichen Tendenzen außer Acht zu lassen. Die Nationalitätsfrage hängt nicht von administrativen Maßnahmen ab, sie wird letztendlich in der Seele der Leute entschieden. Die Beurteilung und Behandlung der Minderheiten ist tief in der Geschichte des jeweiligen Landes verankert. Im Bewusstsein der Individuen drückt die Kulturpolitik eigentlich das Verhältnis von „wir” und „ihr” aus.

In der bisherigen Geschichte der Menschheit war die allgemein akzeptierte Gemeinschaftsform die Nation. Auch wenn die Bedeutung der „Nation” sich mit der Zeit ändert, und einige Leute der Meinung sind, das die Nation eine verschwindende Entität ist. Die Rolle der Nation als Rahmen des Zusammenlebens der Zusammengehörenden war noch nie so bedeutend, wie heute, in der Zeit des EU-Beitritts. Ein Beweis dafür ist die Tatsache, dass in Europa noch nie so viele Nationen als selbständige Staaten lebten. Die ungarische Nation fällt nicht mit den Staatsgrenzen zusammen, aber der EU-Beitritt ermöglicht uns, mit einem bedeutenden Teil der Nationsteile jenseits der Grenze zusammenzuleben.

Das wichtigste Zeichen der Zusammengehörigkeit einer Nationalgemeinde ist das nationale Selbstbewusstsein, da die Nation eine kollektive Identität, ein gemeinsames Selbstbewusstsein ist. Unser nationales Selbstbewusstsein und nationale Selbsterkennung ändern sich ständig, deshalb ist es eine große Verantwortung, zu einer Nation zu gehören. Es hängt von uns ab, worin es sich wandelt. Kann es geistige, moralische und finanzielle Ressourcen bereitstellen, die uns helfen, den neuen Herausforderungen unserer Geschichte gewachsen zu sein? Wir sollen ein klares nationales Gemeingefühl und Gemeinwille haben, weil es ohne die Kohäsion des Gemeingefühls keine Nation gibt. Unsere Verantwortung ist riesig, weil nur starke Nationen gleichwertige Partner der europäischen Nationen werden können. Ohne klares nationales Selbstbewusstsein können wir in der Europäischen Union nur zweitrangige Bürger werden.

Für die Individuen bedeutet die Nation Schutz und Sicherheit. Eine Nation kann erst dann am Leben bleiben, und stark werden, wenn die Leute diesen Schutz und diese Sicherheit eindeutig spüren können. Die Nation soll den Individuen ein Sicherheitsgefühl geben, das sich auch in der Beziehung der einzelnen Personen zu der Gesellschaft widerspiegeln soll. Diese Sicherheit existiert nicht nur theoretisch, sondern auch in der Praxis, sie bedeutet ja eine wirtschaftliche, kulturelle, soziale und rechtliche Sicherheit.

Die vor uns stehenden Jahre werden vielleicht nicht besonders günstig sein, was die traditionelle Institutionsentwicklung der (nationalen) politischen Gemeinde betrifft. Bestimmte Institutionen (z.B. finanzielle und wirtschaftliche Institutionen) werden wohl umstrukturiert, und ihre Rolle wird sich wahrscheinlich ändern. Ich bin der Meinung, dass die Herausforderungen des EU-Beitrittes die Nationen aktivisieren werden. Die Union soll die neuen Mitgliedsstaaten als selbständige Nationen akzeptieren. Es ist eine historische Möglichkeit, unsere gemeinsamen Angelegenheiten in Ordnung zu bringen, und diese Aufgabe fällt vor allem den Arbeitern der Kultur zu.

 

Was halten Sie über die oben angesprochenen Themenbereiche hinaus wichtig für die Förderung der kleinen Nationen?

Meiner Meinung nach gibt es keine „Kleinnationsidentität”. Es gibt nur nationale Identität. Die Muttersprache ist Grundlage der Zusammengehörigkeit und Kultur der Nation, und ist gleichzeitig das bedeutendste kollektive Geisteswerk. Die Bewahrung, Entwicklung der Muttersprache und der Schutz ihrer Eigenartigkeit ist eine besonders wichtige nationspolitische und kulturelle Aufgabe. Die Steigerung des allgemeinen Kulturniveaus der Nation ist nur in der Muttersprache möglich. Es ist eindeutig, dass die Wissenschaftler, Künstler und ein bedeutender Teil der Beamten fähig sein wird, auch in einer fremden Sprache zu kommunizieren, aber die Menschen sollen die Möglichkeit haben, in ihrer Muttersprache schöpfen zu können. Um das zu ermöglichen sollen Programme veranlasst werden, in deren Mittelpunkt die Bewahrung und Entwicklung der nationalen Sprache steht, und in diesem Bereich ist eine konsequente rechtliche Regelung erforderlich. Darunter ist das Lehren der Muttersprache in den Schulen das Wichtigste.

 

GÁBOR GÖRGEY

Kultusminister (2002-2003)

 

In wie weit betrachteten, bzw. betrachten Sie die Bewahrung der Minderheiten als Aufgabe der staatlichen Kulturpolitik, und welche Mittel standen Ihnen zu diesem Zweck zur Verfügung?

Die Aufrechterhaltung der kleinen Nationen liegt sowohl im Interesse der Mehrheit wie im Interesse der Minderheit. Auf dieser Weise kann die Mehrheit die potentiellen Spannungen, die sich in Folge der Niederdrückung und der auf der Oberfläche unschuldig erscheinender Gleichmut gegenüber den Minderheiten aufsammeln, am ehesten reibungslos und Kosten sparend auflösen.

Es liegt auch deshalb im Interesse der Mehrheit – besonders im Karpatenbecken -, weil das von Sankt Stephan deklarierte, und noch heute als unglaublich modern geltende Prinzip über die Kraftlosigkeit der einsprachigen Nation, und die Stärke der mehrsprachigen Nation mit verschiedenen Traditionen bis heute nichts von seiner Gültigkeit verloren hat.

Auch deshalb, weil sich der Alltag und die Kultur der gesellschaftlichen Mehrheit durch diese Vielfältigkeit weit interessanter gestaltet.

Die Rolle der Kulturpolitik des Staates liegt hierbei darin, keine Kulturpolitik zu haben! Er soll mit Hilfe seines von verschiedenen Interessen unantastbaren Schutzschirmes, und seiner finanziellen Mitteln die Selbstverwaltung gewährleisten. Die Minderheit soll eine kulturelle Autonomie genießen und sich, umgeben von der Mehrheit, wohlfühlen.

Ein wichtiges Element ist hierbei, dass die Kultur der Minderheiten auf eine natürliche Weise präsent ist, und als Teil des kulturellen Spektrums des Landes erkannt und anerkannt wird. Ein kulturelles Ghetto, gleich wie frei und von Außen unbeeinflusst es auch erscheinen mag, bleibt ein Fremdkörper für die Mehrheit.

 

Welche Verfügungen haben Sie während Ihrer kulturpolitischen Tätigkeit zur Aufrechterhaltung der nationalen Minderheiten gefördert? Welche kulturpolitischen Aktionen wurden während Ihrer Amtszeit durchgeführt mit dem Ziel die Kultur der kleinen Nationen oder das Identitätsbewusstsein der nationalen Minderheiten innerhalb der Staatsgrenzen zu stärken?

Ich habe während meiner Amtszeit als Minister versucht, diese Prinzipien in die Praxis umzusetzen. Meine Amtszeit dauerte nicht lang genug, und so kann ich keine besonderen Erfolge verbuchen. Doch versuchte ich alles, was in meiner Kraft stand, dieser wegweisenden Richtung, dieser Tendenz Geltung zu verschaffen. Vor allem mit uneingeschränkter Toleranz gegenüber den kulturellen Bestrebungen der Minderheiten. (Wobei ich seit 1990 ratlos mit ansehe, dass die angemessene Repräsentation der Minderheiten im Parlament nicht gelöst ist.)

 

Gibt es Ihrer Meinung nach einen bedeutenden Unterschied zwischen der Anwendung von kulturpolitischen Strategien bei großen, bzw. kleinen Nationen?

Die Kulturpolitik der großen Nationen ist im Allgemeinen geduldiger und großzügiger, als die der kleinen Nationen. Dies ist aber eine Regel mit zahlreichen Ausnahmen. Und daraus ist klar ersichtlich, dass eigentlich keine allgemeine Regel aufgestellt werden kann.

 

Hat die politische Wende aus strategischer Sicht positiv auf die Aufrechterhaltung der kleinen Nationen eingewirkt?

Diese Frage richtet sich natürlich auf unsere Region, und so muss ich sagen, dass der Systemwechsel eher zum Chaos führte. Auf den internationalen Druck zur Anerkennung der Grenzen von Trianon, und den „brüderlichen” Zwangsfrieden innerhalb des sowjetischen Lagers folgend setzt nun bei den Nachfolgestaaten der Vorgang an, den wir mit dem Trauma von Trianon bereits erlebten und auf unserer Weise aufarbeiteten. Die Tschechoslowakei hat jetzt ihr Trianon erlebt, Jugoslawien geht es ebenso. Rumänien stöhnt unfähig unter seinem Übergewicht. Und wir – die neu errichteten Demokratien – kämpfen mit den Missständen der politischen Pubertät. Im Lichte von all dem, wie kann man ernsthaft und mit Weitsicht über die Strategien des kleinstaatlichen Daseins diskutieren?

 

In der Zeit der Integration der Verwaltungsgebiete kamen nach 1990 sehr oft Interessensgemeinschaften zwischen den ostmitteleuropäischen kleinen Nationen zustande. Worauf ist es Ihrer Meinung nach zurückzuführen, dass die kleinen Nationen der Regionen die zwischenstaatlichen Kontakte nicht verstärkt zur Bewahrung der kleinen Nationen nutzen, und daran anknüpfend nicht enger im Interesse der auf dem Gebiet der Nachbarstaaten lebenden Minderheiten zusammenarbeiten?

Die mitteleuropäischen Nationen haben fast ausschließlich gemeinsame Interessen! Nur haben sie nicht die Zeit dies zu erkennen, weil sie weiterhin mit ihren diluvialen nationalstaatlichen Komplexen beschäftigt sind. Diese Erkenntnis, und davon ausgehend das Ausbauen von vernünftigen, krampflosen zwischenstaatlichen Beziehungen, und die Anerkennung der Vielfalt des kleinstaatlichen Daseins werden allein von den anachronistisch-nationalistischen Überbleibseln des 19. Jahrhunderts gestört und getrübt. Die Teilnehmer der Wirtschaft sind hierüber bereits hinweg.

 

Was halten Sie über die oben angesprochenen Themenbereiche hinaus wichtig für die Förderung der kleinen Nationen?

Die Stärke des kleinstaatlichen Daseins liegt in der kulturellen Selbstverwaltung, und in der Möglichkeit sich ungestört, frei von jeglichem politischen Einfluss kennen zu lernen.

 

ISTVÁN HILLER

Kultusminister (2003-2004)
schilderte seine Meinung über das Thema in einer selbständigen Studie

 

Kulturelle Politik – Kulturpolitik

Kulturpolitik ist für mich die Art der Politik, die sich Bahn bricht, und Politik in die Kultur hineinbringt. Die Kulturpolitik fällt Urteile, entscheidet aus Machtposition, ob ein Buch oder ein Verfasser gut ist, und in wieweit ein Werk ästhetisch wertvoll ist. Wenn wir über kulturelle Politik reden, fällt mir die Partnerschaft, Koordination und die Erschaffung der finanziellen Möglichkeiten ein. Diese kulturelle Politik fällt keine Urteile, sie gibt Chancen, und versucht, die Möglichkeiten zu erweitern. Sie bricht die bisherige Praxis, nach der die Politik – mal intensiver mal weniger intensiv – die Kultur beeinflusst, und bestimmte Werke bevorzugt, bzw. diskriminiert. Die kulturelle Politik sieht in allen Fachbereichen ein Partner. Dafür ist es natürlich auch nötig, dass die einzelnen Bereiche ihre Interessen und Standpunkte formulieren, und sie auf allen Foren vertreten.

Aus diesem Aspekt ist es musterhaft, dass das Filmgesetz im Parlament ohne Gegenstimme und Enthaltung verabschiedet wurde. Die strategische Zielsetzung dieses Gesetzes ist die komplexe Entwicklung der Filmkultur, womit Ungarn wiederum in die Elite der Filmindustrie kommen, und einer der attraktivsten Drehorte werden kann.

 

Kulturelle Politik und die Prioritäten

15 Jahren nach dem politischen Systemwechsel fängt heute auch in der ungarischen Kultur ein geplanter, friedlicher Systemwechsel an. Die große gesellschaftliche Umwandlung der 1990er Jahre ließ die Kultur alleine. Die grundlegenden Erwartungen, auf den sich die staatliche Kulturpolitik gründete, wurden nicht erfüllt. Die Rolle des Staates in der Kultur wurde zwar verringert, aber die Zivilorganisationen wurden nicht stärker. In der öffentlichen Kulturfinanzierung herrscht nach wie vor das Restprinzip, und das Privatkapital fand seinen Platz, bzw. die Vorteile der Kulturfinanzierung noch nicht. Über die Unterstützung und Verstärkung der vielversprechenden Initiativen hinaus soll auch die Kulturpolitik einem Wandel unterliegen. Der Kern der Veränderung ist, statt den vielen Prioritäten der Kulturpolitik nur einige wichtige, leicht verfolgbare Gebiete zu nehmen, wo wesentliche Ergebnisse und Erfolge erzielt sind. So ein Gebiet ist die Bekanntmachung der ungarischen Kultur im Ausland, bzw. die heimische Aufnahme der Kultur, bzw. die Verbesserung der traurigen Zustände, unter den sich das ungarische Bildungswesen befindet.

Für unser kulturelles Leben ist eine eigenartige Diskrepanz charakteristisch. In den größeren Städten und besonders der Hauptstadt ist ein buntes, spannendes und auch international anerkanntes Kulturleben zu beobachten, aber Ungarn besteht nicht nur aus Großstädten. In den kleineren Siedlungen kann man in den lokalen Volksbildungsvereinen und sonstigen Kulturinstitutionen viel Talent, viele originelle Ideen und Initiativen finden. In diesem Bereich muss die kulturelle Politik revitalisiert werden. Genauer gesagt, muss die Diskrepanz zwischen der Kultur der kleineren Siedlungen und der Großstädten vermindert werden. Dieses Programm kann aber nicht so schnell verwirklicht werden, nur mit einer übergreifenden, weit blickenden kulturellen Politik. Beide Prioritäten beziehen sich auch auf die Kultur jenseits der Grenze.

 

Kultur und Gemeinkultur

Das Regierungsprogramm behandelt Kultur in dem breitesten Sinne, und ich selbst bin auch der Meinung, dass die Kultur als die Gesamtheit aller gesellschaftlichen Verhaltens- und Aktivitätsnormen betrachtet werden soll, die in den Künsten, Sitten und Institutionen, bzw. in allen menschlichen Ideen und künstlerischen Werken zu finden sind. Die durch die Kultur vermittelten Eindrücke helfen uns, unseren Platz in Raum und Zeit zu definieren. Die Kultur determiniert und beeinflusst also das Leben der Gesellschaft und der Individuen, und ist dadurch ein gemeinschaftsbildender Faktor. Der Mensch erbt und vererbt die kulturellen Traditionen durch sich selbst, und durch das gesellschaftliche Institutionssystem. Die Art und Weise, wie die Menschen ihr Leben in der Gesellschaft erleben, ist auch von der Kultur bestimmt. Es ist auch leicht einzusehen, dass die Kultur die Umgebung für wirtschaftliches Wachstum schafft. Zu allen wirtschaftlichen Aktivitäten ist ein bedeutender kultureller Inhalt notwendig, aber es ist besonders wahr für die sogenannten kreativen Branchen (Fernseher, Radio, Film etc.). Ohne Kultur gibt es kein Wissen, keine Werte, keine Ergebnisse und keine Kreativität. Ohne eine blühende Kultur gibt es kein reiches Land, und ohne lebendiges Kulturleben kann keine Gesellschaft erbaut werden.

Ohne Gemeinkultur gibt es keine gesellschaftliche Entwicklung. Es ist aber nicht gleichgültig, wie diese Gemeinkultur aussieht. Ein demokratischer Staat kann die Qualität der Kultur nur durch die oben erwähnten Unterstützungsformen beeinflussen. Er soll aber bei der Erneuerung der Umgebung helfen, damit die Gesellschaft den neuen Herausforderungen gewachsen sein kann, und neue Werte hervorbringen kann. Der Staat soll auch dabei helfen, dass die Umgebung die erforderlichen neuen Elemente akzeptiert, gleichzeitig aber für die Bewahrung und Vererbung der traditionellen Werte sorgt, und haltbare Erfolge erzielt.

Was für Gemeinwerte hat die Kultur? Wie schon gesagt, die echten kulturellen Werte sind im Zusammenhang mit den Verfassungsrechten. Demzufolge könnte die allgemeine Definition des kulturellen Gemeininteresses folgenderweise lauten: Interesse an der Verwirklichung von Initiativen, die durch die Erschaffung, Bewahrung und Verbreitung von kulturellen Werten zur Verbesserung der Lebensqualität und Wettbewerbfähigkeit führen. Die Vertretung des kulturellen Gemeininteresses wird durch unsere Rechtsvorschriften versichert, aber eine übergreifende kulturelle Strategie sollte ausgearbeitet werden, um für die Richtlinien der Entwicklung, die Förderungsprinzipien und die Möglichkeiten der Zusammenarbeit sorgen zu können.

Wie soll eine kulturelle Politik aussehen, die unabhängig von Wahlperioden auf die Dauer planen kann? Sie soll aufgrund von in der Verfassung festgelegten Werten klare Prioritäten setzen. Sie soll die neuen Herausforderungen und beruflichen Erwartungen mit den wirtschaftlichen Möglichkeiten in Übereinstimmung bringen. Sie soll sich den Herausforderungen gemessen dynamisch ändern können, die negativen Eindrücken ausfiltern, die positiven Werte einbilden und die Entwicklungsressourcen erweitern können.

 

Unsere Namenskarte in Europa

Der erste große Erfolg, der mit der ausländischen Erscheinung der ungarischen Kultur zusammenhängt, kam mit den „ungarischen Saisons”. Diese Initiative fing mit der Programmreihe „Magyar Magic” in Groß-Britannien an, darauf erfolgte Holland und die russischen Saisons. Ein gutes Beispiel für die Aufnahme der ausländischen Kultur in Ungarn ist die Ausstellung „Monet und seine Freunde”, die in dem Museum der Schönen Künste in Budapest mit großem Erfolg veranstaltet wurde. Mehrere solche Ausstellungen sind noch zu erwarten.

Kultur, als eine Art Gemeindienst, hat eine wichtige Vermittlungsrolle in dem modernen Europa des 21. Jahrhunderts. Die Kultur verbindet uns, und bildet eine Brücke zwischen Menschen mit unterschiedlichen Ansichten, und zwischen Gemeinden unterschiedlicher Mentalität. Für Ungarn ist es äußerst wichtig, besonders zur Zeit des EU-Beitritts, sich selbst in der Welt bekannt zu machen. In der Europäischen Union kann ein Land erst dann erfolgreich werden, wenn es seine eigene Vergangenheit und Gegenwart mit Stolz betrachtet. Wenn wir unsere Werte, ungarisch-osteuropäische Eigenartigkeit und Kreativität durch die ungarischen Kulturinstitute erfolgreich darstellen können, wird die Zusammenarbeit und Zusammendenken in vielen Bereichen (Wirtschaft, Gastronomie, Tourismus etc.) viel leichter.

In der Welt und besonders in Europa sind überall stolze Nationen zu finden, die stolz auf ihre Kultur und Traditionen sind. Heutzutage gewinnt die Kulturdiplomatie immer mehr an Bedeutung, und die kulturelle Repräsentation der größeren Nationen wird parallel mit ihrer politischen und wirtschaftlichen Rolle immer dominanter. Zurzeit gibt es Ungarische Kulturinstitute in achtzehn Ländern, das neueste wurde in Brüssel eröffnet.

Es ist ein großes Prestige, dass die Mehrheit der ungarische Kulturinstitute im Ausland auf ihre respektable Vergangenheit und guten Ruf bauen kann. Die Institute machen eine große Verwandlung durch. Früher waren sie eher wissenschaftliche Werkstätte und „Unterkunftsmöglichkeiten” für ungarischen Stipendiaten im Ausland, aber sie werden immer mehr zu kulturellen Zentren, die offene, weitverzweigende Programme veranstalten, literarische, kunstgewerbliche und wissenschaftliche Veranstaltungen organisieren. Sie nehmen Kontakte mit wissenschaftlichen Werkstätten, Universitäten und Zivilorganisationen auf und bauen neue Wege der Zusammenarbeit aus. Die Programme der Kulturinstitute machen die ungarische Kultur und Denkweise bekannt in der Welt.

Eine äußerst wichtige Aufgabe der kulturellen Politik ist die Koordination und Unterstützung von Partnerschaften. Die kulturelle Politik soll den Kulturinstitutionen die nötigen finanziellen Mitteln bereitstellen, und ermöglichen, dass wir unsere „Visitenkarten” in möglichst vielen Ländern hinterlassen können. Dadurch können wir jeder Zeit erreicht werden und ein buntes und vollständiges Bild vermitteln, was zum Ansatz eines wertschaffenden kulturellen Dialogs dienen kann.

 

Kulturelle Vielfalt in Europa

Das Aufrechterhalten der sprachlichen und kulturellen Vielfalt ist äußerst wichtig in der Europäischen Union. Es war auch für die früheren Mitgliedsstaaten eine bedeutende Frage, da es in der Union nur zwei Länder gab (Portugal und Irland), die nur eine offizielle Sprache hatten. Die Erfahrungen der früher beigetretenen Länder zeigten, dass die Minderheitssprachen und die Minderheitskulturen nicht gefährdet sind, die baskische, katalanische oder irische Sprache nahm sogar einen Aufschwung nach dem Beitritt.

Diejenige Leute, die um die ungarische Sprache und Kultur besorgt sind, und den Beitritt mit dem Verloren der nationalen Identität gleichstellen, irren sich. Sie irren sich, weil die Union nicht bloß ein Schmelztiegel ist, der mit Zwangsmaßnahmen funktioniert. Wir sind uns alle bewusst, und es wurde auch wissenschaftlich bewiesen, dass die Umstellung auf eine Mehrheitssprache oder Mehrheitskultur mit gewaltigen Maßnahmen nicht erreicht werden kann. Es ist eindeutig, dass die Nationen und ihre kulturelle Bedeutung parallel mit der Globalisierungstendenz an Bedeutung und Stärke gewinnen. Die Union hält die Bewahrung der sprachlichen Vielfalt für eine besonders wichtige Aufgabe, weil das die Grundlage des Aufrechterhaltens der kulturellen Vielfalt ist. Demzufolge, planen die Mitgliedsstaaten, möglichst bald ein umfassendes Konzept auszuarbeiten, das sich auf die Bewahrung der sprachlichen Vielfalt richtet. Deswegen ist das ungarische Programm für Pflege der Muttersprache, die Förderung der Kultur jenseits der Grenze durch Ausschreibungen und Stipendien von besonderer Bedeutung. In dem 21. Jahrhundert ist Kultur also einer der wichtigsten Garanten der Kontinuität, Zukunft und Identität dieser grenzübergreifenden Nation.

 

Prioritäten in der Praxis

Prioritäten zu nennen ist erst dann sinnvoll, wenn wir sie in der Praxis umsetzen können.

Der „Europa Plan” stellte fest, dass die staatlichen Museen ab dem 1.Mai 2004 kostenlos zu besichtigen sind. Die Ausarbeitung der einzelnen Details löste eine heftige Diskussion aus. Die Regierung traf letztendlich die Entscheidung, dass die Besichtigung der Museen für alle (nicht nur für die Bürger der EU-Mitgliedsstaaten) kostenlos sei.

Es genügt aber nicht, den Eintritt in Museen kostenlos zu machen. Neue und modernisierte Ausstellungen wären erforderlich, die die Besucher wirklich anziehen können. Im Rahmen des „Alfa-Programms” förderte die Regierung die ungarischen Museen mit 1,25 Milliarden Forint. Neben den 300 Millionen, die als Kompensation des kostenlosen Eintritts gemeint sind, fängt ein Projekt von 550 Millionen an, der zur infrastrukturellen Entwicklung der Museen dient. Weitere 400 Millionen bekommen die international anerkannten Sonderausstellungen, und die ständigen Ausstellungen sollen auch erneuet werden. Das Alfa-Programm ist das bisher bedeutendste Entwicklungsprogramm für ungarische Museen, Ausstellungen und Museumsinfrastruktur.

Das wichtigste Programm zur Pflege der ungarischen Sprache ist seit Jahrzehnten die Ausschreibung „Édes Anyanyelvünk” („Süße Muttersprache”). Ich halte es für selbstverständlich, dass der „Wirkungskreis” der Ausschreibung nicht an Staatsgrenzen gebunden ist. Es bringt eine Art Mentalitätswechsel mit sich, dass 11 der 26 Ausschreibungen des Ministeriums ausgesprochen die Unterstützung der Kultur jenseits der Grenze erzielen.

Das Kulturelle Expertenkomitee der Ungarischen Ständigen Versammlung trat zusammen, und auf dieser Sitzung nahmen die Vertreter der ungarischen politischen Organisationen und Interessenvertretungen jenseits der Grenze teil, bzw. die Leiter des politischen und kulturellen Lebens in Ungarn. Um die Bildungspolitische Strategie begründen zu können, brachten wir die Datenbasis der kulturellen Organisationen und Institutionen in dem Karpatenbecken zustande (Sie wurde im Institut für Ethnische und Nationale Minderheitenforschung der Ungarischen Akademie der Wissenschaften zusammengestellt).

Die Gesetzverordnung 18/2003 (XII.10.) des Kultusministeriums, die als Abänderung der Gesetzverordnung 14/2002 (IV. 26.) getroffen wurde, gewährt den Personen, auf die sich der LXII./2001 Gesetz bezieht, bestimmte kulturelle Begünstigungen. In Moldau fing der ungarische Unterricht in sieben Siedlungen an. Der „Preis der Csángó Kultur” und das „Csángó Beratungskomitee” wurde gegründet. In Zabola kam die erste Sammlung zustande, die csángó und ungarische Traditionen darstellt. Die Tätigkeit von 27 ungarischen Theatern jenseits der Grenze wurde durch Ausschreibungen unterstützt, und 79 neue Produktionen konnten mit staatlicher Förderung zustande gebracht werden. Die Produktionen der ungarischen Theater jenseits der Grenze waren auf allen heimischen Theaterfestivals repräsentiert. Seit 2003 ist das Ministerium für Nationale Kulturerbe der Gastgeber der „Zum Gast in Budapest” Initiative – in deren Rahmen den Theatern jenseits der Grenze regelmäßig Theaterabende veranstaltet werden. Die Veröffentlichung von ungarischen Büchern wurde mit 60 Millionen Forint gefördert, und die Schriften von Schriftsteller jenseits der Grenze mit 10 Millionen unterstützt.

Im Rahmen von Ausschreibungen im Thema Bildung, Sprachdenkmalpflege und Sammlungsentwicklung wurden fast alle Siedlungen des Karpatenbeckens gefördert, wo Ungaren leben. Wir unterstützten auch die Ausbildung von kulturellen Experten, und Programme (Filme, literarische Werke etc.), die zur Verbreitung eines realen Zigeunerbildes dienten. Im Rahmen von Ausschreibungen und individuelle Förderungen wurde auch die Verwirklichung der kulturellen Zielsetzungen der 12 ungarischen Minderheiten unterstützt.

 

Das Programm der „Nationalen Erinnerung”

Um unsere gemeinsame Vergangenheit, Traditionen und Kultur verehren zu können, brauchen wir Feiertage und Gedenkfeste, und vor allem Vorbilde.

Das Jahr 2003 war ein nationales Gedenkjahr in Ungarn anlässlich des 200. Jubiläums der Geburt von Ferenc Deák. Bei der Verkündung des Gedenkjahres hielt die Regierung die Verehrung der nationalen Vergangenheit vor Augen, und eine Reihe von staatlichen, gesellschaftlichen und zivile Veranstaltungen wurden organisiert. Das Programm der „Nationalen Erinnerung” wurde aufgrund dieser Initiativen ins Leben gerufen, und setzte zum Ziel, jedes Jahr eine andere historische Persönlichkeit zu verehren.

Mit der Beschwörung des Lebens und Werks von Bálint Balassi, einem Dichter aus dem 16. Jahrhundert zeigten wir den jungen Generationen ein würdiges Beispiel vor. Im Jahr des EU-Beitritts Ungarns könnten wir kein besseres Vorbild nehmen, in der Dichtung dieses Renaissance-Dichters über Glauben, Tapferkeit und Liebe vereinigen sich nämlich die ungarischen Traditionen und das Europäersein im Allgemeinen.

Dank der ungarischen Geschichte, die reich an Vorbildern und historischen Ereignissen ist, erfolgen neben den oben genannten Gedenkjahren auch zahlreiche Jubiläumsveranstaltungen im Bereich der Kultur, der Wissenschaft und des Sports.

 

Die Europäische Union und die Geschichtsschreibung

Die Europäische Union bringt aus mehreren Aspekten einen Fortschritt und eine Lösung mit sich. Wir lebten und leben in einem Europa, die im Laufe der Geschichte mehrmals umformuliert und neugestaltet wurde.

In Ungarn lebten Ungaren, Slowaken, Deutschen, Rumänen, Kroaten, Serben und sämtliche andere Nationen jahrhundertenlang zusammen und nebeneinander. Im Rahmen des einmal gemeinsamen Staates ist auch die Geschichte dieser Völker und ihrer lokalen Gemeinden zu finden. Die Geschichte von Buda, Pressburg, Tyrnau, Bartfeld, Preschau, Karlsburg oder Grosswardein ist nur in demselben historischen Raum zu verstehen.

Das wissenschaftliche Leben und die Denkweise der Menschen soll grundsätzlich verändert werden, und die historischen Ereignisse dürfen nicht mehr im Licht der jetzigen Staatsgrenzen beurteilt werden. Die Wissenschaft soll bei der Veröffentlichung von mittelalterlichen Urkundensammlungen und Quellenausgaben beachten, dass die Betroffenen nicht im Rahmen der Nationalstaaten des 20. Jahrhunderts lebten. Die staatliche Administration soll damit aufhören, die alten historischen Namen und die „Rechtsschreibungsregelungen” immer wider umzuschreiben.

Wir lebten und leben gemeinsam in Europa. Schon sind wir im 21. Jahrhundert. Die Europäische Union bildet nicht nur ein einheitliches Rechts- und Wirtschaftsrahmen für die Nationen Europas, sie ermöglicht uns auch, mit uns selbst und unserer Geschichte konfrontiert zu werden. Dadurch können wir eine gemeinsame Sprache und die Grundlagen der Zusammenarbeit ausarbeiten. Wir alle sollten dieser Herausforderung gerecht werden, und die Verantwortung dafür tragen.