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Begegnungen
Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Band 26:31–40.

WALERI L. MUSATOW

Die Sowjetunion und der österreichische Staatsvertrag

 

Vor einem halben Jahrhundert, am 15. Mai 1955, unterschrieben in Wien Vertreter der Sowjetunion, der USA, Großbritanniens, Frankreichs und Österreichs den österreichischen Staatsvertrag. Damit gewann Österreich seine Unabhängigkeit und Souveränität zurück.

Die Sowjetunion hatte sich immer zugunsten der Bewahrung eines unabhängigen Österreichs ausgesprochen: Am Vorabend des Zweiten Weltkriegs verurteilte sie entschieden die gewaltsame Vereinnahmung Österreichs durch Hitler-Deutschland und rief auch die anderen Staaten dazu auf, gemeinsam zum Schutz der Unabhängigkeit und Souveränität Österreichs aufzutreten. Eine entsprechende Erklärung gab der sowjetische Volksbeauftragte für Außenpolitik Maxim M. Litwinow am 17. März 1938 ab, also vier Tage nach dem Einmarsch deutscher Truppen in Österreich. Der Volksbeauftragte betonte hierin, dass es mit der deutschen Besetzung zur Anwendung von Gewalt in der Mitte Europas gekommen sei. „Dadurch sind nicht nur die elf Staaten, die eine gemeinsame Grenze mit dem Aggressor haben, in Gefahr geraten, sondern alle europäischen Staaten, ja sogar auch die Länder außerhalb Europas”1.

Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs konnte nicht verhindert werden. Hierzu trug in nicht geringem Maße die schmachvolle Politik der „Versöhnung mit dem Aggressor” bei. Die Sowjetunion hingegen hielt auch weiterhin an ihren Prinzipien fest, d.h. sie erkannte den sogenannten „Anschluss” nicht an, sondern verurteilte ihn vielmehr. Im Dezember 1941 – also in der für die Sowjetunion besonders schweren Zeit, als die Deutschen vor den Toren Moskaus standen – sprach sich die sowjetische Führung auch bei ihren Unterredungen mit dem britischen Ministerpräsidenten Anthony Eden zugunsten der Wiederherstellung eines unabhängigen österreichischen Staates aus.

In der „Deklaration über Österreich” verkündeten die Außenminister der Staaten der Anti-Hitler-Koalition (Sowjetunion, USA und Großbritannien) während ihrer Moskauer Konferenz im November 1943 folgendes: „Die Vereinigung, die Österreich am 13. März 1938 von Deutschland aufgezwungen wurde, wird als ungeschehen und nicht existent betrachtet. Außerdem werden die Veränderungen, die seitdem in Österreich geschehen sind, nicht anerkannt”. Anschließend brachten sie ihre Hoffnung zum Ausdruck, dass das freie und unabhängige Österreich wiedererstehe. Tatsache ist aber auch, dass sie die Verantwortung der Österreicher für die Teilnahme am Krieg auf Seiten Hitler-Deutschlands unterstrichen.

Ende März 1945 erreichten die sowjetischen Truppen die Grenzen Österreichs. 1980, 35 Jahre später, schrieb der damalige sowjetische Außenminister Andrej A. Gromyko in diesem Zusammenhang folgendes: „Die sowjetische Armee kam als Befreiungsarmee nach Österreich. Die Geschichte hat mehrere Dutzend Dokumente und Beweise bewahrt, die anschaulich von der gutwilligen Befreiungsmission der sowjetischen bewaffneten Kräfte zeugen. Es geht aus den Dokumenten auch hervor, dass die Sowjetunion nicht die Absicht hatte, sich dafür zu rächen, dass Österreich auf der Seite Deutschlands am Krieg teilnahm. In der Sowjetunion weiß man genau, dass Österreich selbst auch ein Opfer der Aggression war. Es ist wahrscheinlich nicht umsonst, wenn wir uns heute daran erinnern, denn im Westen werden noch immer Verleumdungen über die sowjetische Armee verbreitet.”2 (Wir müssen dieser Analyse von Gromyko zustimmen, die auch noch zur Zeit des 60. Jahrestages des gewaltigen Sieges über den Faschismus aktuell ist.)

In ihrer Erklärung vom 9. April 1945 betonte die sowjetische Regierung, dass sie nicht das Ziel verfolge, österreichische Gebiete zu annektieren oder die Gesellschaftsordnung Österreichs zu verändern. Vielmehr wolle sie die Deklaration der Alliierten aus dem Jahre 1943 durchsetzen.

Die Sowjetunion gewährte dem österreichischen Volk – wie auch den anderen, von der sowjetischen Armee befreiten Völkern – die Freiheit, selbst über die Frage der staatlichen Ordnung zu entscheiden. Am 24. April 1945 unterrichtete die sowjetische Regierung ihre Verbündeten, die Vereinigten Staaten und Großbritannien, dass sich der ehemalige Kanzler der Republik Österreich und Präsident des Österreichischen Nationalrats Karl Renner an das Oberkommando der Roten Armee gewandt habe. Renner erklärte, er sei bereit, den Alliierten jegliche Unterstützung zu geben, die der Befreiung und Wiederherstellung des unabhängigen österreichischen Staates diene.

Am 15. April 1945, als die sowjetischen Truppen in Wien einmarschiert waren, teilte Renner Josef W. Stalin mit, dass er beabsichtige, eine provisorische österreichische Regierung ins Leben zu rufen. Er bedankte sich bei der sowjetischen Führung für die Befreiung und für die humanitäre Hilfe, die die Rote Armee der Bevölkerung des Landes geleistet habe. Dann erklärte er, dass ihm als Präsident des von den Deutschen aufgelösten Österreichischen Nationalrats das gesetzlich verbürgte Recht zur Bildung einer solchen Regierung zustehe. Renner schlug vor, die einstigen Abgeordneten des österreichischen Parlaments, die sich auf dem von der Roten Armee besetzten Territorium Österreichs befanden, einzuberufen und mit ihnen gemeinsam über die Zusammensetzung der künftigen provisorischen Regierung zu entscheiden. An deren Konstituierung müssten die Vertreter aller politischen Parteien sowie auch Persönlichkeiten ohne Parteimitgliedschaft beteiligt werden.

Kurze Zeit später, am 27. April 1945, wurde die provisorische Regierung unter der Führung von Renner gebildet. Kanzler Renner bat nun die Sowjetunion darum, die wiederhergestellte Staatlichkeit seines Landes offiziell anzuerkennen und Wirtschaftshilfe zu leisten. Die sowjetische Regierung zögerte nicht mit der Anerkennung der Renner-Regierung und stellte mehrmals beträchtliche Hilfen, vor allem in Form von landwirtschaftlichen Erzeugnissen und Saatgut, zur Verfügung.

 

Das befreite Land

Auf der Konferenz von Potsdam im Juli/August 1945 beschlossen die Sowjetunion, die USA und Großbritannien ihre gemeinsamen Prinzipien für die Politik gegenüber Österreich. Diese Grundsätze wurden auch von Frankreich, das der Moskauer Deklaration von 1943 und den Potsdamer Beschlüssen zustimmte, akzeptiert.

Auf der Potsdamer Konferenz unterbreiteten die Sowjets den Vorschlag, die Oberhoheit der provisorischen österreichischen Regierung nun auf ganz Österreich auszudehnen. Die drei Großmächte kamen überein, den sowjetischen Vorschlag nach dem Einrücken der amerikanischen und britischen Truppen in Wien (am 17. August 1945) in Erwägung zu ziehen. Die Alliierte Kontrollkommission für Österreich stimmte dem Vorschlag schließlich am 1. Oktober 1945 zu und die Sowjetunion nahm diplomatische Beziehungen zu Österreich auf. (Im Juni 1953 wurden die politischen Vertretungen der Sowjetunion und Österreichs zu regulären Botschaften umgewandelt und beide Staaten ernannten ihre jeweiligen Botschafter.)

Die Alliierten betrachteten Österreich nicht als Feindstaat, sondern als befreites Land. Deshalb schlossen sie mit Österreich keinen Friedensvertrag, sondern einen Staatsvertrag.

Auf der Pariser Außenministerkonferenz der vier Großmächte im Juni 1949, die sich mit der „deutschen Frage” und der Angelegenheit eines Abkommens mit Österreich befasste, wurden mehrere, Österreich betreffende Beschlüsse zu politischen und wirtschaftlichen Fragen verabschiedet. Man kam überein, die Grenzen Österreichs entsprechend dem Stand vom 1. Januar 1938 wiederherzustellen. Außerdem vereinbarte man, dass der österreichische Staatsvertrag den Schutz der Rechte der slowenischen und kroatischen nationalen Minderheiten beinhalten müsse. Zwar sahen die Vereinbarungen keine österreichischen Wiedergutmachungszahlungen vor, Jugoslawien wurde aber berechtigt, österreichisches Eigentum und österreichische Beteiligungen auf jugoslawischem Territorium zu beschlagnahmen, zu behalten bzw. zu löschen. Gemäß den Beschlüssen erhielt die Sowjetunion von Österreich 150 Millionen Dollar in frei konvertibler Valuta, die Moskau innerhalb von sechs Jahren zurückzahlen sollte. Und schließlich beschlossen die Außenminister, Österreich die deutschen Guthaben und das von Deutschland in Österreich erbeutete Eigentum zu übergeben. Ausgenommen davon waren allerdings die Ölvorräte und die Erste Donaudampfschiffgesellschaft AG, die ins Eigentum der Sowjetunion überführt wurden.

Bis Februar 1950 beinhaltete das Dokument allerdings noch immer fünf wichtige Artikel, über die noch diskutiert wurde.

 

Sowjetische Vorbehalte (1950-1954)

Die Differenzen zwischen den Alliierten verschärften sich in Zusammenhang mit der Frage des Freien Territoriums Triest. Dort begannen die Westalliierten nämlich damit, im Widerspruch zu den Bestimmungen des mit Italien abgeschlossenen Friedensabkommens eine britisch-amerikanische Militärbasis einzurichten. Die sowjetische Delegation, die befürchtete, dass sich nach einem Abzug des sowjetischen Militärkontingents aus Österreich auch die dortige Situation nach einem ähnlichen Drehbuch entwickeln könnte, bestand darauf, die Unterzeichnung des österreichischen Staatsvertrages mit dem Abschluss eines Friedensvertrages mit Deutschland sowie mit Garantien, die einen neuen „Anschluss” und den Beitritt Österreichs zu einem Militärbündnis verhindern sollten, zu verknüpfen.

Bis März 1952 fertigten die Regierungen der USA, Großbritanniens und Frankreichs ohne die Sowjetunion den Entwurf eines so genannten „Kleinen Staatsvertrages” an, der mit den Österreichern abgestimmt worden war und von ihnen befürwortet wurde. Dieser Entwurf umging eine Reihe von strittigen Punkten, so z.B. die Frage des ehemaligen deutschen Eigentums in Österreich. Die sowjetische Seite verwarf dieses Konzept als eine Aktion, die ihre im Potsdamer Abkommen niedergeschriebenen Rechte grob verletzte.

Die Verhandlungen über den Staatsvertrag wurden erst 1953, nach dem Tode Stalins, fortgesetzt. 1954 kamen die Großmächte überein, die österreichische Regierung – noch dazu als gleichberechtigte Seite – an den Verhandlungen über den Staatsvertrag teilnehmen zu lassen. Während der Berliner Konferenz im Januar/Februar 1954 bekräftigte die österreichische Delegation (Außenminister Leopold Figl und Staatssekretär Bruno Kreisky) offiziell, dass Österreich nicht beabsichtige, einem Militärblock beizutreten, und es nicht zulassen werde, dass auf seinem Territorium ausländische Mächte Militärbasen errichten. Die sowjetische Seite hatte sich darum bemüht, einen derartigen Artikel in den Staatsvertrag aufzunehmen. Wegen des Widerstandes der Amerikaner scheiterte allerdings eine Übereinkunft.

Die drei westlichen Großmächte schlugen vor, die Unterzeichnung des österreichischen Staatsvertrages nicht mit der Regelung anderer europäischer Angelegenheiten zu verknüpfen, insbesondere nicht mit der Unterzeichnung des mit Deutschland abzuschließenden Friedensvertrages, aber auch nicht mit irgendeinem anderen Problem, dass die österreichische Frage nicht unmittelbar berührte.

Um die Jahreswende 1954/1955 wurden die Verhandlungen unterbrochen. Moskau befürchtete damals, dass Österreich zerfallen und sein westlicher Teil in eine militärische Basis der NATO verwandelt würde, die sich das wiederbewaffnete Westdeutschland dann einverleiben könnte.

Sowjetische Vorschläge 1955

Auf der Sitzung des Obersten Sowjets der UdSSR am 8. Februar 1955 erklärte Außenminister Wjatscheslaw M. Molotow in seinem Redebeitrag „über die internationale Lage und die Außenpolitik der sowjetischen Regierung”, dass die Sowjetunion der Regelung der österreichischen Frage, also der vollständigen Wiederherstellung der Unabhängigkeit eines demokratischen Österreichs, große Bedeutung zuschreibe. All dies stehe in Übereinstimmung mit der Schaffung und Festigung des Friedens in Europa. Molotow zog folgende Schlussfolgerungen hinsichtlich der österreichischen Frage:

„1. Im Falle des Abschlusses des Staatsvertrages, der die Wiederherstellung eines unabhängigen und demokratischen Österreichs festlegt, ist ein Beschluss zu fassen, der die Möglichkeit ausschließt, dass Deutschland erneut den Anschluss Österreichs vollzieht. Dies stimmt mit der Verabschiedung der Maßnahmen überein, über die sich die vier Großmächte in der deutschen Frage geeinigt haben. In diesem Falle würde der Abzug der Truppen der vier Großmächte aus Österreich noch vor dem Abschluss eines Friedensvertrages mit Deutschland zu verwirklichen sein.

2. Österreich muss sich dazu verpflichten, keiner Koalition und keinem Militärbündnis beizutreten, dass sich gegen diejenigen Großmächte richtet, die mit Waffen am Krieg gegen Hitler-Deutschland und an der Befreiung Österreichs teilgenommen haben. Außerdem lässt Österreich nicht zu, dass auf seinem Territorium ausländische Militärbasen eingerichtet werden.

Die Regierungen der Vereinigten Staaten, Großbritanniens, Frankreichs und der Sowjetunion verpflichten sich ihrerseits ebenfalls, die obigen Prinzipien zu achten.

3. Im Interesse der möglichst schnellen Regelung der österreichischen Frage ist unverzüglich eine Vier-Mächte-Konferenz einzuberufen, auf der die deutsche Frage sowie die Frage des Staatsvertrages mit Österreich behandelt wird.”

Die neuen Vorschläge der Sowjetunion sahen also vor, die österreichische Frage auf der Grundlage der erhofften Garantie der Neutralität des unabhängigen Österreichs zu lösen. Außerdem fassten diese Vorschläge – abweichend vom sowjetischen Standpunkt auf der Berliner Konferenz des Jahres 1954 – den Abzug der Truppen der vier Großmächte noch vor dem Abschluss eines Friedensvertrages mit Deutschland ins Auge.

Die sowjetische Erklärung vom Februar 1955 traf in den österreichischen Regierungskreisen auf lebhaftes Interesse.

 

Österreichische Ansprüche

Am 24. Februar 1955 traf das Zentralkomitee der KPdSU einen Beschluss über die zukünftigen Verhandlungen mit der österreichischen Regierung. Außenminister Molotow wurde damit beauftragt, mit Botschafter Norbert Bischoff über den Standpunkt der österreichischen Regierung zu verhandeln. Diese Interessenabstimmung erfolgte am 25. Februar und 2. März 1955.

Am 14. März 1955 teilte Bischoff den Standpunkt der österreichischen Regierung in einem Memorandum mit. Die österreichische Regierung „begrüßt die faktische Gewährleistung und Garantie der österreichischen Unabhängigkeit und Freiheit im Falle eines äußeren Angriffes bzw. der Gefahr des Anschlusses”.

Hinsichtlich des 2. Punktes des sowjetischen Vorschlags bekräftigte das österreichische Memorandum erneut, dass „Österreich nicht beabsichtigt, einem Militärbündnis beizutreten, und es nicht zulässt, dass auf seinem Territorium Militärbasen eingerichtet werden.”

Die Antwort der sowjetischen Regierung auf das Memorandum vom 14. März wurde Bischoff am 24. März 1955 mit einer begleitenden Einladung übergeben: „Die sowjetische Regierung würde es begrüßen, wenn Kanzler [Julius] Raab und andere österreichische Politiker, deren Anwesenheit die österreichische Regierung als wünschenswert erachtet, in nächster Zukunft nach Moskau reisen würden.”

In gewisser Weise wurde die Position der österreichischen Regierung durch den offenen Druck, den die Regierungen der Westmächte auf Österreich ausübten, bestimmt. Die Westmächte reagierten auf die Einladung von Raab nach Moskau „mit unverheimlichter Beunruhigung”. Am 25. März 1955 bestellte der amerikanische Außenminister Dulles den österreichischen Botschafter Gruber zu sich und skizzierte ihm die Grenzen, die „die österreichische Nachgiebigkeit nicht überschreiten” dürfe.

Am 26. März 1955 äußerte der österreichische Außenminister Figl während seiner Unterredung mit dem sowjetischen Botschaftsrat Timoschenko folgendes: „Wenn die vier Großmächte in Moskau eine fünf- bis zehnjährige Frist für den Abzug ihrer Truppen setzen, dann wird die österreichische Delegation dem nicht zustimmen, denn diese Frist würde eine Wiederholung der Besetzung bedeuten.” Figl erklärte, dass der Abzug der Truppen aus Österreich innerhalb „eines Jahres oder eines ein wenig längeren Zeitraumes” durchgeführt werden müsse. Hinsichtlich der möglichen Moskauer Verhandlungen wünschte die österreichische Regierung allerdings nicht, dass bei diesen schon konkrete Vereinbarungen getroffen würden. Vielmehr sprach sie sich dafür aus, die Annahme eines solchen Abkommens auf die Zeit der regulär folgenden Verhandlungen der vier Besatzungsmächte zu verschieben.

Am 9. April 1955 informierte das sowjetische Außenministerium in einer Note die amerikanische, britische und französische Regierung über den vorab erfolgenden Gedankenaustausch mit der österreichischen Seite und über die Reise der österreichischen Delegation in die Sowjetunion.

 

Sowjetisch-österreichische Verhandlungen in Moskau

Am 11. April 1955 kam die von Kanzler Julius Raab geleitete Regierungsdelegation in Moskau an.

Die Verhandlungen zwischen der von Molotow geführten sowjetischen und der österreichischen Regierungsdelegation unter Raab fanden vom 12. bis zum 15. April 1955 statt. Sie endeten mit der Unterzeichnung des „Memorandums über die Ergebnisse der Unterhandlungen zwischen der sowjetischen und der ungarischen Regierungsdelegation” bzw. mit der Unterzeichnung eines gemeinsamen sowjetisch-österreichischen Kommuniques.

Auf sowjetischer Seite nahmen an den Gesprächen – neben Molotow – Anastas I. Mikojan, Iwan G. Kabanow, Wladimir S. Semjonow, Iwan I. Iljitschow, Sergej G. Lapin und Michail G. Gribanow teil, auf österreichischer Seite – neben Raab – Adolf Schärf, Leopold Figl, Bruno Kreisky, Josef Schöner, Norbert Bischoff und S. Yerosta.

Die Verhandlungen begannen mit einer kurzen sowjetischen Erklärung. Darin wurde festgestellt, dass der Wortlaut des Entwurfes für den Staatsvertrag, der im Wesentlichen zwischen den vier Großmächten abgestimmt worden sei, eine gute Grundlage für die Lösung der österreichischen Frage darstelle. „Die sowjetische Regierung hoffe, dass es im Zuge des Gedankenaustausches mit der österreichischen Regierungsdelegation zu einer Einigung hinsichtlich der erfolgreichen Vorbereitung der Lösung der österreichischen Frage kommen wird” – lautete die Erklärung. „Es muss für uns garantiert sein, dass Österreich nicht zum Objekt militärischer Kombinationen (sic!) wird” – stellte die sowjetische Seite abschließend fest.

Raab unterstrich in seiner Antwort, dass der Entwurf des Abkommens bereits auf der Berliner Konferenz erörtert und dort als Verhandlungsgrundlage akzeptiert worden sei. Auf seine Initiative begannen die Delegationen daraufhin, die Fragen, welche die Sicherheit Österreichs betrafen, zu diskutieren. Raab unternahm anfänglich den Versuch, die Notwendigkeit von besonderen Garantien gegen einen erneuten „Anschluss” in Frage zu stellen. Er hob diesbezüglich hervor, dass es selbst im Friedensvertrag von Saint-Germain nicht für notwendig erachtet worden sei, solche Garantien festzuschreiben. Außerdem berief er sich auf Artikel 17 des Vertragsentwurfes, der es Österreich erlauben werde, eine Armee zu unterhalten.

Trotz alledem erklärte Raab, dass es die österreichische Regierung begrüßen werde, wenn die vier Großmächte sich über Garantien gegen einen Anschluss einigen würden. Ebenfalls auf seine Initiative hin wurde auch die Frage des Truppenabzugs diskutiert. Die Verhandlungspartner kamen schließlich überein, dass „die vier Großmächte ihre Besatzungstruppen nach Inkrafttreten des Staatsvertrages, aber noch vor dem 31. Dezember 1955 abziehen.”

Bei den Verhandlungen spielten diejenigen Fragen eine wichtige Rolle, die in Zusammenhang mit dem Beitritt Österreichs zu irgendeiner Koalition oder irgendeinem Militärbündnis bzw. mit dem Verbot der Einrichtung von Militärbasen standen. Die sowjetische Delegation sah keine Notwendigkeit, diesen Punkt in den Staatsvertrag aufzunehmen. Die sowjetische Regierung begnüge sich damit, dass sich Österreich in einer Deklaration dazu verpflichtet, in den Beziehungen zu anderen Staaten Neutralität zu wahren, in keinerlei Koalition oder Militärbündnis einzutreten und die Einrichtung von Militärbasen fremder Mächte auf seinem Territorium zu verbieten. Eine solche Erklärung „könnte” – wie die sowjetische Delegation bemerkte – „die Unterstützung der vier Großmächte genießen.”

Die Verhandlungsseiten erörterten auch die wirtschaftlichen Fragen, die mit dem Abkommen verbunden waren. Die sowjetische Seite bestätigte ihre auf der Berliner Konferenz 1954 gegebene Zustimmung, dass Österreich für die von der Sowjetunion erhaltenen einstigen deutschen Guthaben die Sowjetunion nicht mit Geld (Dollar) entschädigen solle, sondern mit Warenlieferungen. Die Sowjetunion brachte auch ihre Bereitschaft zum Ausdruck, als stille Entschädigung, die sich in ihrem Eigentum befindliche Schifffahrtsgesellschaft zurückzugeben. Die sowjetische Regierung stimmte auch zu, Österreich – als Gegenleistung für die Lieferung von 10 Millionen Tonnen Rohöl an die Sowjetunion innerhalb der nächsten zehn Jahre – die unter sowjetischer Oberhoheit stehenden Raffinerien und Erdölfelder in Ostösterreich zu überlassen. Die österreichische Regierung müsse allerdings garantieren, dass die rückerstatteten deutschen Güter nicht in das Eigentum von ausländischen natürlichen oder juristischen Personen geraten würden. Sie müsse überdies auch dafür sorgen, dass diejenigen Personen, die in den Unternehmen der einstigen Sowjetischen Vermögensverwaltung in Österreich gearbeitet hätten, keinerlei Benachteiligung erfahren würden.

Während der Moskauer Verhandlungen vereinbarte die sowjetische und die österreichische Delegation auch, ein fünf Jahre geltendes Handelsabkommen zwischen beiden Staaten abzuschließen sowie eine – ebenfalls fünfjährige – Warenverkehrs- und Zahlungsvereinbarung zu unterzeichnen.

Bei den Verhandlungen nahmen beide Seiten auch die übrigen Artikel des Vertragsentwurfes in Augenschein. Gemäß dem Vorschlag der sowjetischen Delegation kamen beide Seiten überein, dass mehrere Artikel veraltert oder überflüssig seien. Diese Artikel betrafen die Einbürgerung der Österreich-Deutschen (Artikel 6), die Kriegsverbrecher (Artikel 11), den Rücktransfer der Archive (Artikel 15), die Aussiedelung von Personen mit deutscher Staatsbürgerschaft (Artikel 16, 16 b) sowie die österreichische Restitution (Artikel 36).

Die österreichische Delegation warf auch den Gedanken auf, folgende Artikel aus dem Vertrag herauszulassen: Artikel 7 (über die Rechte der slowenischen und kroatischen nationalen Minderheit in Österreich), Artikel 14 (über bilaterale Abkommen), Artikel 16 (über die Umsiedler), Artikel 18 (über das Verbot der Dienstverrichtung von ehemaligen Mitgliedern der NSDAP und anderer nazistischer Organisationen im österreichischen Bundesheer), Artikel 21 (über das Verbot der Verwendung einzelner Spezialwaffen), Artikel 38, Absatz 3 (über den Verzicht Österreichs auf Forderungen gegenüber Deutschland), Artikel 39 (über den Verzicht Österreichs auf Forderungen gegenüber den Alliierten) und Artikel 45 (über das österreichische Eigentum auf dem Gebiet der Alliierten und Assoziierten Mächte). Die österreichische Delegation schlug darüber hinaus vor, den Hinweis aus der Präambel des Abkommens zu lösen, dass „Österreich nicht aus der Verantwortung für seine Teilnahme am Krieg entlassen werden” könne.

In Zusammenhang mit diesen Vorschlägen befürchtete die sowjetische Delegation, dass diese als Vorwand dazu dienen könnten, „den Vertragsabschluss mit Österreich zu verzögern. Denn auch andere Staaten… [seien] an diesen Punkten interessiert.” Schließlich traf man aber die Übereinkunft, dass die sowjetische Regierung diesen Veränderungen zustimmen und die österreichische Regierung bei ihren Bemühungen unterstützen werde, weitere Änderungen im Entwurf des österreichischen Staatsvertrags zu erreichen.

Im Zuge der Unterredungen warf Raab auch die Frage der Heimkehr der österreichischen Kriegsgefangenen und Internierten in der Sowjetunion auf. Diesbezüglich versprach die sowjetische Seite, dass nach dem Abzug ihrer Truppen kein einziger Kriegsgefangener und keine einzige verhaftete Zivilperson mit österreichischer Staatsbürgerschaft mehr auf dem Territorium der Sowjetunion verbleiben werde.

Am 14. April 1955 traf sich die österreichische Delegation mit Nikita S. Chruschtschow und anderen sowjetischen Führern. Am 15. April fand die Schlusssitzung statt, auf der beide Seiten das Memorandum, das die Verhandlungsergebnisse festhielt, behandelten und unterzeichneten. Im Kommunique über die Ergebnisse der Verhandlungen steht geschrieben, dass beide Seiten „es für notwendig erachten, den Staatsvertrag über die Wiederherstellung eines unabhängigen und demokratischen Österreichs, der den nationalen Interessen des österreichischen Volkes und der Sache des Friedens in Europa dient, baldmöglichst zu unterzeichnen.”

 

Der Staatsvertrag 1955

Am 16. April 1955 informierte der österreichische Außenminister Figl die Botschafter der USA, Großbritanniens und Frankreichs über die Ergebnisse der Moskauer Verhandlungen und verlieh der Hoffnung Ausdruck, dass die Westmächte die baldige Weiterführung der Verhandlungen über den österreichischen Staatsvertrag nicht behindern würden.

Am 27./28. April 1955 diskutierte auch das Wiener Parlament die Ergebnisse der Moskauer Verhandlungen. Die Vertreter aller Parteien stellten sich ohne Ausnahme hinter die in Moskau vereinbarten Beschlüsse.

Am 19. April 1955 sandte die sowjetische Regierung eine Note an die drei Westmächte. In dieser empfahl sie, in kürze in Wien eine Konferenz der vier alliierten Außenminister unter Beteiligung der Vertreter Österreichs einzuberufen und über den Staatsvertrag zu diskutieren.

In ihrer Antwortnote schlugen die Regierungen der Westmächte vor, zuerst eine Konferenz der Botschafter abzuhalten.

 

Am 2. Mai 1955 begannen die Verhandlungen der Botschafter und der Repräsentanten Österreichs. Diese erarbeiteten den endgültigen Text des Staatsvertrages unter Berücksichtung der zwischen der Sowjetunion und Österreich ausgehandelten Artikel. Die Konferenz der Außenminister der USA, Großbritanniens und Frankreichs wurde am 14. Mai 1955 einberufen und der Staatsvertrag am 15. Mai 1955 unterzeichnet.

(Im Mai 2005 wurde das in Russland aufbewahrte Original des Staatsvertrages erstmals auf einer Ausstellung in Österreich der Öffentlichkeit vorgestellt.)

Anmerkungen

1 SSSR – Awstrija. Dokumenti i materiali [UdSSR-Österreich. Dokumente und Materialien], Moskau 1980, S. 14.

2 Ebenda, S. 7.