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Begegnungen
Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Band 26:159–170.

HERBERT LAUENROTH

Flucht-t-räume Europas – Ansichten eines Kontinents1

für Eva

 

„Last and lost” lautet der – bezeichnenderweise – englische Titel einer jüngsten Veröffentlichung: „Ein Atlas des verschwindenden Europas”2. Dieser aufwendig gestaltete Bildband beschwört in seinen Photos und Texten die – immer auch melancholisch eingefärbten – Ansichten eines Kontinents, eines terrain vague, das in seiner eigentümlich faszinierenden Anmutung von Nostalgie und Nachgeschichte nunmehr von einer erhabenen und in dieser Erhabenheit langsam verlöschenden Gegenwart kündet.

Nicht zufällig wird also in der Sprache der Globalisierung die Signatur „letzter” Dinge zur Ahnung ihrer unwiderruflichen Verlorenheit. Dieser Zusammenklang von „last” und „lost” legt eine ähnlich lautmalerische Frage nahe: Why is the measure of love loss? So beginnt eine Erzählung der schottischen Autorin Jeanette Winterson3, die in ihrer vollendeten Paradoxie – von „love” und „loss”, also: „Lust” und „Verlust” – das Maß, die Maßlosigkeit einer Liebe beschreibt, eine vielleicht in dieser Paradoxie gerade auch „europäisch” anmutende Liebe, eine Liebe zu und in Europa, eine Liebe, die aus der Bereitschaft lebt, „in den Abstand einzuwilligen, den Abstand anzubeten – zwischen einem selbst und dem, was man liebt”4, um aus dieser intimate distance, dieser unüberwindlichen Nähe heraus dieses Letzte (last) auch zu bewahren (to last):

Die Bilder des deutschen Photographen Manfred Hamm verdeutlichen in etwa, was mit dieser eigentümlichen Vorgabe gemeint ist: Sie zeigen „antike Stätten von morgen”: Fabrikruinen, halbverfallene Industrieanlagen, nunmehr brachliegende Areale eines buchstäblich er-schöpften Fortschrittsdenkens und seiner ideologischen Narrative. Hamm zeigt, so einer seiner Kritiker5, „anteilnehmend den Niedergang der Architektur und die Rückeroberung durch die Natur. Viele dieser antiken Stätten von morgen werden bald nicht mehr existieren. Ihre Erhabenheit ist dann wohl nur noch auf den Fotografien zu erleben.”

Diese Liebe (die immer auch eine Infragestellung ihrer selbst bedeutet) eröffnet andere Perspektiven und trägt in dieser Selbstreflexion vielleicht auch zu dem bei, was man in den Kultur-, Sozial- und Geschichtswissenschaften die „Rückkehr des spatial turn6 nennt: „Das System, das zerfällt, wird zum Raum”, formuliert der Historiker Karl Schlögel7 und macht damit deutlich, worum es bei einer Lektüre dieser Liebe, ihrer eigentümlich abseitigen, in gewisser Weise auch verlorenen Schauplätze gehen kann: um die Entschlossenheit, sich in jenen Zwischenzonen zu verirren und verwitterte, überwucherte Trassierungen anderer, bislang unerzählter Geschichten, neue Kartographien zu (er-)finden, die sie und ihre immer bedrohten Welten zur Sprache bringen oder ins Bild setzen.

Flucht-t-räume: In diesem heillos überdeterminierten Titel nimmt das Thema der nachfolgenden Überlegungen Gestalt an: Europa, namentlich „Mitteleuropa”, ist ein Kontinent, der auf vielfältige Weise, aus den unterschiedlichsten Beweggründen durchquert worden ist. Dabei klingen die drei Begriffe zusammen: Flucht, Traum, Raum. Der europäische Erfahrungshorizont zeigt sich in den Prozessen der Vertreibung, Migration, des Exils, vielfältigen Fluchtlinien also: Dabei verwinden sich „Traum” und „Raum” und geben sich als Phantasma einer Ankunft zu erkennen, einer Beheimatung im Zukünftigen, der oft genug der traumatische Verlust einer ursprünglichen Geborgenheit entspricht: Heim-Suchungen Europas.

Das verweist auf die exemplarische Bedeutung der beiden großen, kulturgeschichtlich paradigmatischen Erfahrungen, die – zwischen dem Motiv einer Rückkehr bei Odysseus und dem unbedingten Aufbruch Abrahams – zu einer unhintergehbaren, doppelprofilierten Reflexionsfigur verschmelzen. Diese in sich geteilte, stillgestellte oder verhaltene8 Bewegung, ihr unentscheidbares Ethos zwischen Bewahrung und Verausgabung, bezieht die jüdische Parabel auf die zyklische Bahn des griechischen Denkens, die James Joyce in seinem „Ulysses” unnachahmlich lakonisch beschrieb als inwendigen, also die Gegensätze ineinander spiegelnden Flucht-t-raum eines europäischen Denkens, der sich in der rhetorischen Figur eines Chiasmus zu lesen gibt und die Begegnung der Verschiedenen ermöglicht: Jewgreek is greekjew. Extremes meet.9

Dieser Dynamik sind auch die nachfolgenden Lektüren filmischer und literarischer Beispiele verpflichtet.

 

„...als flöge er in die Unvergänglichkeit einer alten Postkarte
(Arthur Phillips, „Prag”)

„Prag”, der Roman des US-amerikanischen Autors Arthur Phillips10, zeigt die Lebensentwürfe von fünf „young Americans” im Budapest des Jahres 1990. Von bitterer, zuweilen melancholischer Prägung ist hier das Thema der Flucht (in ihrer Spielart aus Eskapismus, Abenteuerlust, und Neugier) dieser sogenannten „Expats” in einen neuen verheißungsvollen Kulturraum Ostmitteleuropas.

„Aber die Fahrten bergauf wurden immer großartiger. Und als die Sonne am frühen Abend allmählich hinter der Seilbahn verschwand und das Panorama von einem blasser werdenden, vom Westen kommenden, indirekten Licht beleuchtet wurde, das den Gebäuden deutlicher eine dritte Dimension verlieh und sie sich wie ein schimmerndes Basisrelief von dem silbern-blau-grünen Himmel abhoben, wurden sie fast unerträglich schön, und Mark spürte mehrfach, wie sich seine Augen voll Dankbarkeit mit Tränen füllten.” (p. 185)

Die Szene zeigt eine der Figuren, Mark Payton, als ebenso erhaben wie komisch posierenden, in den Anblick des postkartenklischierten Leitmotivs der untergehenden Sonne versunkenen Beobachter; Schauplatz ist die Seilbahn auf dem Budaer Berg, einem touristisch stark frequentierten Aussichtspunkt. Aus dieser pathetischen Brechung einer banalen Wirklichkeit bezieht die Passage ihre besondere Ironie:

„Mark empfand gleichzeitig vollkommenen Trost und Verlust, als flöge er in die Unvergänglichkeit einer alten Postkarte. ... Vergänglichkeit und Unvergänglichkeit verschmolzen, wurden für einen Moment miteinander identisch. ... Während der nächsten Wochen würden die hundert Photos, auf denen er zu sehen war, in Fotoläden auf dem ganzen Erdenrund zur Welt kommen. ... Wer würde das Bild entwickeln, das Bild vom vollkommenen Frieden und Glück, auf dem er, völlig eins mit sich, am richtigen Ort auf Erden ist, in dem Moment der Vollkommenheit.... In Schweden in Stockholm – auf dem Schnappschuss eines jungen Paares? In Dubuque, Iowa? In Tyson´s Corner, Virginia?” (p. 186f.)

Mark also wird an jenem Tag beständig mitphotographiert (als Hintergrund verschiedener Paare und touristisch Posierender) und gelangt auf diese Weise – als Abziehbild – in alle Welt; die „Aura”, die Entgrenzungssehnsucht dieses „Historikers der Nostalgie”, wird zur Erfahrung einer photographisch-grenzüberschreitenden „Reproduktion”. „Aura” und „Reproduktion”, die Erfahrung des Unsichtbaren, eines metaphysischen Zeitbezugs, und das Medium einer nahezu vollständigen Sichtbarkeit, Marks späteres Verschwinden und die photographischen Spuren seiner Gegenwart, überschreiten sich auf das Motiv einer„Bilder-Flucht” hin, das den gesamten Roman durchzieht in den unentwegten Verdoppelungen von Wahrheit und Verstellung, Abbild und Wirklichkeit, Ungarn und Amerika.

Deutlich wird das am Charakter von Charles (Károly) Gabor, dem Emigrantensohn auf seiner gleich zweifach konnotierten Reise zurück in die Zukunft: Sie bezeichnet die Rückkehr in eine längst fremd gewordene Heimat, konnotiert zugleich aber auch – in Gabors Outfit – die „Flucht” der amerikanischen Künstler und Intellektuellen in das Paris der 20er Jahre dieses ausgehenden 20. Jahrhunderts. Eine vergleichbare Ambivalenz ist der amerikanischen Performance-Künstlerin Nicky eigen, deren enigmatisches „M.” im Namen gleichfalls auf polnische Ursprünge und eine maskuline Ausstrahlung verweist, mit der sie sowohl John als auch Emily, die zum Scheitern verurteilten Protagonisten eines romantischen Liebesideals, sexuell an sich bindet und die sich auf geradezu obszöne Weise in ihren Installationen in Szene setzt. Schließlich erscheint das titelgebende „Prag”, das als – ebenso „schwebende” wie von ihrer „Unerreichbarkeit” bedrohte – „Vision” am Ende den vermeintlichen Abschluss als Ausblick oder „eigentlichen”, vom Titel des Romans versprochenen Anfang bedeutet, als unendlich sich weiterschreibende Bewegung oder Genese des Textes, als Pseudonym eines leidenschaftlich betriebenen „Wahrheitsspiels”, mit dem Phillips´ grandiose Fiktion anhebt; eine Fiktion, die ihren Anfang im Ende liest und deren Anfänge immer schon vom Wissen um dieses – vielleicht böse – Ende, sein „Anderswo” überschattet sind.

Dem streng ritualisierten Zusammentreffen der „young Americans” am Abend des 30. Mai 1990 an den Tischen des Café Gerbeaud, der komfortablen Enklave der Fremden und sich Fremdbleibenden, mit dem „Prag” – in „Budapest” – beginnt, dem Blickfeld eines Sehens und Gesehen-Werdens, dem Gesichtskreis der einzelnen Protagonisten, von der aus der Roman die beeindruckende Fülle und Technik seiner Perspektiven – im Wechselspiel von Stimmungen, Sprach- und Stilebenenen, filmischen „close-ups” und Totalen, Parallelmontagen – als Bewussteinsfülle des Großstädtischen freisetzt, erscheint „Prag” gewissermaßen als das – letztlich identitätsstiftende – „Alibi”, der „andere Schauplatz” einer Fiktion, die aus der sogenannten „Wirklichkeit” und ihren Großen Rahmenerzählungen flieht, deren kausallogischen und auf ein Telos hin orientierten Zeit- und Verlaufsmodellen sie eine unentwegte ekstatische Hervorbringung der Zeit („Gegenwart-Zukunft, Gegenwart-Vergangenheit, Vergangenheit-Zukunft”) gegenüberstellt. Daraus folgt eine Geschichte, die nunmehr ihrer – ebenso hedonistischen wie panischen – Flucht-Line folgt. Nicht zufällig führt diese nach „Prag”, auf das Bild einer Stadt zu, die ebenso real wie unwirklich ist. Eine Stadt, der das Attribut des „Kafkaesken” anhaftet. Eine Stadt, die sich – etwa im Oeuvre des Prager Dichters – als Schauplatz vielfacher Fluchten und Zu-Fluchten zeigt; eine Stadt der Heimatlosen und Entwurzelten, eine Stadt dunkel verschatteter Heim-Suchungen.

 

Text-Fluchten eines Autors
(„Kafka” von Steven Soderbergh, USA 1991)

„...als flöge er in die Unvergänglichkeit einer alten Postkarte”, hieß es bei Mark Paytons nostalgisch verklärter Vision in Phillips´ Roman. So beginnt „Kafka” – der 1990 entstandene Film des Amerikaners Steven Soderbergh – zunächst mit einer „Flucht”, die auf ein postkartenklischiertes Stadtbild (als Panoramaschwenk auf Karlsbrücke und Hradzin) zuführt.

Die filmspezifischen Konnotationen dieser Eröffnungssequenz sind unübersehbar: Die Wahl des s/w-Materials erinnert an die expressionistischen Vor-Bilder des Kinos; der überdimensionale bedrohliche Schatten des geheimnisvollen Fremden an die Epiphanie des Dritten Mannes, dessen reale Existenz buchstäblich im Schatten seines Bildes bleibt. Dazu passt, dass der Name des Flüchtigen, der ja in einer eigentümlichen Verkehrung der Flucht- oder Verlaufsrichtung genau und von seiner eigenen panischen Rückschau voran getrieben in sein Verderben rennt, „Eduard Raban” lautet; ein Name, der aus einer der Erzählungen Kafkas (seinen „Hochzeitsvorbereitungen auf dem Land”) bekannt ist; auch hier wird das Pseudonym, die erborgte Identität, die literarische als „undercover”-Existenz im Bereich der sogenannten „Wirklichkeit” oder doch wenigstens einer anderen (nämlich filmischen) story, zur Bezeichnung eines flüchtigen Subjekts, das jeder Festlegung, jeder Einschränkung zu entgehen sucht. Doch wird schließlich an dieser Sequenz eine Tendenz (eine dramaturgische „Fluchtlinie”) erkennbar, die vom sogenannten „Bewegungsbild”, einer sensomotorisch voran getriebenen Handlungslogik zum sogenannten „Zeit-Bild”11 läuft: der abschließenden Einstellung, dem an die erste Aufblende erinnernden „establishing shot”, da die Schreie des verendenden Opfers (aus dem filmischen „Off”) in der erstarrten, eigentümlich richtungslosen Geste der steinernen Brückenfigur verhallen; ein Bild, das von beträchtlicher Paradoxie ist: als Bezeichnung des Verlöschenden, Einschreibung des Unsichtbaren in die stumme, ohnmächtige Zeugenschaft des Sichtbaren, das von nichts anderem kündet, auf nichts anderes verweist als auf das Schauspiel einer eigentümlich gebrochenen Gegenwart: im Zwischenraum von Laut und Bild, als veritable „image acoustique” (wie Saussure die Zeichen nennt).

Soderberghs filmische Parabel kulminiert in der Sequenz, die dem Titelhelden, Kafka, Zugang zum geheimnisumwitterten „Schloss” verschafft. Der Aufstieg zum Zentrum der Macht wird zur veritablen Dekonstruktion: Der Weg nach oben – auch das eine en passant inszenierte, spannungssteigernde Initiation des Protagonisten – führt zunächst durch die Unterwelt, den „Abstieg” in die verborgenen Zugänge, die hier dreifach verschlüsselt sind als Einschreibungen auf dem jüdischen Friedhof in Prag, der im Herzen einer (mittel-) europäischen Kultur verdrängte Wirklichkeiten evoziert: das Jude- als Anders-Sein, die jüdischen Schriftzeichen, die immer noch zu entziffern sind und das Grab als U-topie, als Nicht-Ort, nicht als christlicher Topos der Auferstehung, sondern als ironisch-subversiver Durchstoß nach Innen, eben auf das unterirdische Labyrinth der Gänge und Katakomben hin, das jeden Aufstieg zu einer wie auch immer gearteten Höhe oder Idealität unmöglich erscheinen lässt.

Soderbergh zeigt den Innenraum des Schlosses als Kontrasterfahrung des Farbmaterials zu den s/w-Bildern. Die Röte des Rots von Technicolor knüpft an die christliche Bildsprache an; die Farbgebung erinnert an die Passion – als in der Menschwerdung Gottes geoffenbarte Wahrheit des Sichtbaren, die hier allerdings zur letzten – ebenso dogmatisch gesetzten – Wahrheit einer „Biopolitik”12 wird.

Als durchaus kongeniale Umsetzung der Macht-Metapher bei Kafka setzt Soderbergh das allgegenwärtige panoptische Dispositiv in Szene, die selbstbezügliche Instanz eines maßlosen, anonymen Blickes. Die Glaskuppel, die den Innenraum des Schlosses überwölbt, wird so zum Ausdruck einer Überwachungsarchitektur, für die eine unheilige Dreifaltigkeit aus Medizin, Polizei und Bürokratie in ihrem totalitären Herrschaftsanspruch über eine zunehmend entmachtete, „gesichtslose Masse” steht.

Der Akt der Rebellion, der ultimativen Fluchtbewegung aus dem Umkreis der Überwachung besteht im Sturz des menschlichen Körpers durch diese gläserne Oberfläche, ihrem „éclatement”, der Fragmentierung oder Zersplitterung ihrer perspektivischen Ordnung. Dem symbolischen Widerstand gegen eine alles verschlingende und erfassende Totalität des Sichtbaren, das hier im gottgleichen Blick bzw. seinem technischen Äquivalent des „Großen Anderen” als „Big Br/Other” (Mikroskop, Kamera) die Begründungen einer metaphysischen Ordnung als wesensgleich mit jenen einer säkularisierten Moderne erweist.

Als „frozen image” oder „gefrorenes” Filmbild ließe sich zudem eine Besonderheit deutlich machen, die sich erst dem „zweiten”, dem analytischen Blick erschließt: Im Sprung durch den Spiegel, dem Durchbrechen der Oberfläche wird wiederum eine „Fall-Höhe” sichtbar, die bei eingehenderer Betrachtung, einer Betrachtung also, die sich zunächst einmal der Sogwirkung des hier zu seiner höchsten Form getriebenen „Bewegungsbildes” entzieht, eine eigentümliche – erst im Standbild erkennbare – Poetizität der Verwandlung erkennbar werden lässt: eine Metamorphose hin zu einer anderen Form. Eine nicht zuletzt an Gregor Samsas Mutation zum Insekt gemahnende, die hier allerdings unvergleichlich poetischer, nämlich als Flügelwesen, ausfällt – unentscheidbar schön im Zwischen eines, seines Steigens und Fallens, zwischen Traum und Trauma, Gnade und Schwerkraft. Dieses „Zeit-Bild” weiß um die eigentümliche, ambivalente Schönheit einer „Fluchtbewegung”, die sich nunmehr – als gewissermaßen reiner, absoluter Augen-Blick – in ihrem Entzug zur Erscheinung bringt.

Es endet – schlecht. Die letzte Einstellung zeigt Kafka in gewohntem Schwarz-Weiss bei einer gleichfalls gewohnten Tätigkeit: dem Schreiben. Im off, der unsichtbaren Erzähl- und inneren Stimme, hören wir Auszüge aus einem resignativen „Brief an den Vater”, der mit der wütenden Abrechnung des realen Kafkas nichts mehr zu tun hat.

Der Kunstwissenschaftler O. K. Werckmeister hat in seinem 1997 erschienenen „Linke Ikonen”13 gegen Soderberghs vermeintliche Lesart eines unpolitischen Kafkas polemisiert und sich dabei auf die „Macht der Ohnmächtigen”, das politische „engagement” von Intellektuellen wie Vaclav Havel berufen, das 1990, also zeit-gleich mit der Entstehung des Films ein neues, zukunftsweisendes Paradigma für die mitteleuropäischen Kultur bereit gestellt hätte. Werckmeisters Einwände können allerdings keine besondere Pertinenz beanspruchen: Soderberghs Bildsprache, das nuancierte Wechselspiel von Farbe und Schwarz-Weiß, ihre materialästhetische Reduktion auf den inneren Fluchtpunkt des Films, findet in dieser einseitigen Lesart kaum Beachtung, bleibt ihr auf geradezu symptomatische Weise fremd.

Kafka hustet – Blut. Er ist von einer inneren Erfahrung buchstäblich übermannt. Das „Blut” bezeichnet in der immer zweifach codierten – inneren wie äußeren – Wirklichkeit, die der Film zu lesen, zu sehen gibt, zum einen das Blutrot einer metaphysischen Moderne, die den Menschen nach ihrem Bild zu formen sucht und zum Opfer ihres allgegenwärtigen Blickes werden lässt, zum anderen aber auch das Tintenschwarze jenes Klecks, mit dem Kafka bei seinem Eindringen in das Schloss einen Orientierungspunkt, eine Markierung der Schrift gesetzt hat. In dieser letzten Einstellung nun, da der Blick des Schreibenden ins Leere geht, da sich eine schemenhafte Außenwelt, die Konturen und Dächer der Stadt auf den Fensterscheiben des Zimmers spiegeln und mit dem Intérieur zusammen fließen, kündet der tintenschwarze Auswurf von der verletzten, blutenden Innenwirklichkeit, zirkuliert das Blut/die Tinte im Körper des Schreibenden/den Verkörperungen seiner Schrift, wird der Autor zum Blut-Zeugen einer verborgenen, unerzählbaren Geschichte, die ihn gleichwohl – von innen her – übersteigt. In dieser Äußerlichkeit einer filmischen und literarischen, schrift-spezifischen Repräsentation teilt der Schreibende seine inneren Albträume und Erfahrungen mit, bleibt er vor allem sich selbst verpflichtet und damit wahrhaftig: ein wohl auf immer Unbehauster, ein Flüchtiger, Zu-Flucht-Suchender (in) der Sprache und ihrer Bilder, deren immer auch un-heimlichen Nähe er sich überlässt.

 

Jenseits von Eden, diesseits von Martin
(„Záhrada” von Martin Sulik, SK 1995)

Der slowakische Film „Záhrada”, „Der Garten” ist in vielerlei Hinsicht ein ländlich-naturhafter Gegenentwurf zu Soderberghs labyrinthisch-albtraumhaften Flucht-Bildern der tschechischen Metropole. Der slowakische Regisseur Martin Sulik knüpft in seiner Erzählhaltung (eine Off-Stimme rezitiert Kapitelüberschriften, die das Leben seines Helden, des Taugenichts und Naturburschen Jakub gewissermaßen episieren) an die Konventionen des Entwicklungs- und Bildungsromans an. Ebenso konventionell und lapidar ist die Wahl des Themas: der Topos des Paradies-Gartens. Die heiter-ironische Gangart des Films paraphrasierend könnte man sagen: Dieser Garten liegt jenseits von Eden und diesseits von Martin, dem Ort in der Mittelslowakei, an dem „Záhrada” 1995 entstanden ist.

Es geht um die Lesbarkeit der Welt. Das unmittelbar Sich-Darbietende, die vermeintliche Evidenz und Offensichtlichkeit (die im Schlussbild zur Epiphanie einer naturmystischen Wahrheit wird) bedarf einer klugen, immer mittelbaren, sich und ihren Gegenstand reflektierenden Betrachtung. Damit die Welt zu sich kommt, sich zeigen, entziffert, gerettet werden kann, muss sie im Spiegel, als Abbild ihrer selbst wahrgenommen, betrachtet und in der Betrachtung gewissermaßen berührt, gelesen werden. Die Inschrift der Welt, eines vergangenen Lebens und der ihm buchstäblich eingeschriebenen Erfahrung muss zur „Allegorie des Lesens” geraten, damit das erkenntnisstiftende Wunder des Lesens zu dem des Lebens werden kann. Helena verkörpert diese Paradoxie der Spiegelschrift. Sie schreibt gegen den Strich. Kunstvoll verrätselt, ausschweifend, arabesk und hieroglyph. Sie kann nicht lesen, aber sie kann schreiben. Helena ist ein unschuldiges Kind, eine begehrenswerte Frau, deren Körper-Sprache es zu entschlüsseln gilt. Jakub begehrt Helena, weil er nach der Wahrheit der Schrift, ihrer Schrift und der des alten handschriftlichen Buches sucht, seiner Welt-Deutung als Verschränkung von Makro- und Mikrokosmos.

Im Schlussbild ereignet sich das Wunder ganz beiläufig. Das Offensichtliche wird – endlich – zur Offenbarung. Das Unsichtbare spiegelt sich im Sichtbaren. Keine pädagogische Provinz ist anmutiger, unbefangener. Die Dinge finden in der Ordnung des Paradies-Gartens zueinander. Und Helena – schwebt.

 

Vom Über-Leben der Bilder
(„Die zwei Leben der Veronika”, von Krzysztof Kieslowski, PL/F, 1990)

Das Thema des Spiegels, der Spiegelung, das Motiv des Doppelgängers spielt auch in der nachfolgenden, letzten Geschichte eine entscheidende Rolle. Auf dem Marktplatz in Krakau, dem Rynek Glówny, öffnet sich das chaotische, von Frontstellungen und Fluchtbewegungen durchquerte Szenarium einer politischen Auseinandersetzung (zwischen Anhängern der „Solidarnosc” und den Sicherheitskräften) im Wirbel einer Kamerafahrt auf das Drama einer Reflexion: einer Wiedererkennung jener anderen, die dem eigenen Erscheinungsbild vollkommen gleicht. Es kommt nicht zur Begegnung zwischen der polnischen Sängerin Weronika und ihrer Doppelgängerin, der französischen Musiklehrerin Véronique aus Clermont-Ferrand; aber in dieser virtuos entfalteten Kamerabewegung wird der gleichermaßen verwunderte wie verwundete Blick der jungen Polin bereits erwidert; aus dieser Ver-Gegnung, dieser nicht scheiternden, aber zeitversetzten, buchstäblich reflexiven, also immer erst nachträglichen Erkenntnis, die eine bloße, in alltägliche Kontingenz verstrickte Episode zur lebensgeschichtlich nachhaltigen Erfahrung werden lässt, bezieht Kieslowskis mitteleuropäisches Melodram seine eindringliche Bildsprache: Später erst nämlich entdeckt Véronique, in einem Hotelzimmer in der Nähe des Pariser Gare Saint-Lazare, auf den entwickelten Photos jener touristischen Reise nach Krakau ihre Doppelgängerin, wird sie – in großer Trauer und Leidenschaftlichkeit – diesen ihren Blick erkennen, den uns der Film immer schon gezeigt hat und den sie nunmehr als ihre eigene Wahrnehmung identifiziert.

In dreifacher Weise wird das Auge der Kamera bei Kieslowski zum Träger eines Blickes, der sich – vollkommen frei von jeder eindeutigen Zuschreibung einer Perspektive – zwischen den Protagonisten, ihren Blickrichtungen, den verschiedenen Schauplätzen und Situationen bewegt. Im Schlüsselmoment der filmischen Narration, dem Tod der polnischen Sängerin und der Fokussierung auf die in Frankreich lebende junge Frau, in dem Übergang von eros und thanatos, Sexualität und Tod, bezeichnet die Kamera eine dreifache Flucht-Bewegung: als klassische Illustration einer metaphysischen Vorstellung der Seele, die den Körper verlässt; als extreme Untersicht aus dem Grab, aus der Perspektive der Toten, und schließlich – in der Ab- und Überblendung – als anamorphotische, verfremdete Sicht auf Véroniques nackten Körper. Während des Aktes blickt sie ins Leere, und dieser Anblick gibt der Szene einer körperlichen Entblößung eine verborgene Wahrheit der Intuition, eines sich – durchaus auch im biblischen Sinn dieses Wortes – „Erkannt-Wissens”, ein Berührt-Werden, das diesem Blick, dem Blick der anderen innewohnt und die Intensität der sexuellen Empfindung übersteigt.

Im Rahmen einer grandiosen „mise-en-abyme”, der Vorstellung des Puppenspielers an jener Schule, an der Véronique unterrichtet, geht es schließlich um die zweifache Inszenierung eines filmischen Fluchtraumes:

Zum einen findet sich auf der Ebene des Puppenspiels jene Metamorphose, die Erfahrung von Tod und Wiedergeburt, als Spiegelung eines Doppelgänger-Motivs, das hier seine über-lebens-geschichtliche Bedeutung gewinnt: die Parabel einer sich fortschreibenden Geschichte, die einen Zuwachs an lebenspraktischem Wissen verzeichnet, eine Lernerfahrung, eine Gegenwart, die von intuitiven Empfindungen einer, ihrer Geschichte geprägt ist. In dieser Bezugnahme auf das Modell einer Metamorphose lässt sich durchaus auch auf die realen kulturellen und gesellschaftlichen Leitbilder, die politisch-philosophischen Profile einer „europäischen Identität”, gerade im Zusammenspiel gegenläufiger, ostwestlicher Erfahrungen abheben14.

Diese Illusion der frontalen Darstellung – die auf der Grundeinheit des dramatischen Raumes, seiner von Bühne und Saal vorgegebenen Blickrichtung basiert – wird im „regard oblique” aufgebrochen, mit dem Véronique unvermittelt den Puppenspieler in einem seitlich von der Bühne angebrachten Spiegel erblickt, der für das Publikum nicht sichtbar ist. Kieslowski schreibt hier den zuvor von uns beschriebenen filmischen – ebenso ort- wie körperlosen – Blick in diese Szene des Schauspiels ein: Der Spiegel treibt hier eine „Illusion in der Illusion”, bewirkt eine „Ent-Täuschung”, nicht im Sinne einer Ernüchterung, sondern als unentscheidbare Wirklichkeit des anderen, in dessen Abbild oder abwesende Anwesenheit – der Spiegel zeigt Alexandre da, wo er nicht ist – man sich verliebt: als Kunstfigur der Reflexion.

Wie Véronique, die damit an die verborgene Bedeutung ihres christlichen Eigennamens und das Genus einer christlichen Bildsprache erinnert: VERONICA als VERA ICONA; also als „wahre Ikone”, und die „Wahrheit der Ikone” gründet in ihrer unaufhebbaren „Antinomie” oder „Entgegensetzung” von „Sichtbarem” und „Unsichtbarem”, die sie vergegenwärtigt.15 In der christlichen Überlieferung ist Veronika die Heilige des Schweißtuches, jenes Abdrucks, der das Antlitz Christi zeigt. Die Szene im Film endet mit dem eher zufälligen Blick, den Alexandre seinerseits in den Spiegel wirft und damit des Blickes (und der Liebe) der indiskreten Zuschauerin innewird.

Diese Geschichte kennt – ähnlich wie bei Soderberghs „Kafka”-Adaption – keinen Autor, darin gründet ihre Wahrheit. Der Autor oder Puppenspieler hat keine Macht über die Marionetten, die Geschöpfe, die er nach seinem Bild zu prägen sucht. Wenn Véronique in einer der letzten Einstellungen des Films die Wohnung des Puppenspielers verlässt, wird sie vermutlich nie mehr dorthin zurückkehren. Denn das Subversive dieser vermeintlich so harmlosen Allegorie liegt eben darin, dass auch der gottgleiche Autor immer schon als Abbild erkannt und im Anblick eines Spiegels geliebt wurde, als Reflex einer Sichtbarkeit, die ihn übersteigt bzw. im Sinne dieser hier ästhetischen Lesart des Films als Doppelgänger seiner selbst ausweist.

Im Rekurs auf die Marionetten, die unbelebten, gleichwohl schwerelosen Kunstfiguren, greift Kieslowski auf eine ästhetische Formalisierung zurück, wie sie etwa im Kontext einer mitteleuropäischen Tradition, in Heinrich von Kleists klassischem Text „Über das Marionettentheater” entwickelt wurde: Die Marionette erscheint als letztes Glied in einem absteigenden Prozess einer fortschreitenden Säkularisierung, die nach der Entmachtung des Schöpfer-Gottes, der Parabel einer fortschreitenden Verdunkelung der ursprünglichen Gottesebenbildlichkeit der Geschöpfe, nunmehr in der von Trauer und Schönheit umflorten Sehnsucht der Kunstfiguren, Maschinenmenschen oder Marionetten nach eben diesem unvordenklichen inneren „Flucht-Raum” ist. Somit ist die Wahl dieses Motivs keine rein ästhetizistische. Sie sucht angesichts einer von dramatischen Umwälzungen heimgesuchten (europäischen) Geschichte nach einer „Kontinuität der Form”, einer sich in ihrem unhintergehbaren Abbild widerspiegelnden „Anmut”, der formalen bzw. dem Gedanken der Form, ihrer mitunter als natürlich empfundenen Künstlichkeit innewohnenden „Anmut”, eine „Anmut”, die sich dem Riss zwischen Leben und Tod, Pathos und Leichtigkeit, Aufstieg und Fall, nicht aussetzt.

So über-lebt gewissermaßen die polnische Weronika im/als Bild ihrer selbst, das Véronique buchstäblich ver-körpert. In einer klugen Lektüre des kleistischen Texts, der seinerseits als „Doppelgänger” des Films gelten kann, resümiert der belgische Literaturwissenschaftler Paul de Man: „Mehr als Rilkes Engel bewohnt die Marionette gleichzeitig beide Seiten der Grenze, die jene voneinander trennt.”16

In einem brillanten Text hat der slowenische Philosoph Slavoj Zizek – gerade im Hinblick auf die Filme Kieslowskis, namentlich „Die zwei Leben der Veronika” – von dieser Grenze, diesem Riss gesprochen und ihn – im Licht einer filmtheoretischen Notion – als „Naht” (suture) interpretiert17. Dieser Begriff meint die im Laufe unserer Ausführungen schon mehrfach ins Spiel gebrachte Erfahrung des „Erblickt-Werdens”, Grundfigur einer filmischen Dramaturgie von „Schuss” und „Gegenschuss”. Im sogenannten „Nähen” dieses Risses soll der Blick des Anderen identifizierbar werden, der andernfalls – als gleichermaßen ort- wie körperloser, despotischer wie metaphysischer Blick – in seiner perspektivischen Absolutheit traumatisch bleibt und vor dem es zu flüchten gilt.

Im Anblick des Anderen nun wird dieser „fehlende”, keiner Identifikation zugängliche Blick – die Metapher des Auges in „Kafka” oder die Metaphysik der Kamerabewegung in „Die zwei Leben der Veronika” – „vernäht” und als „Abbild des Unsichtbaren”, dieser bei Kieslowski elementaren Konnotation einer – titelgebenden – christlichen Ikonographie, zum Bestand- oder Bruch-Teil der eigenen Lebensgeschichte. So konstituiert diese Naht, dieser die verschiedenen Ebenen der filmischen Textur durchziehende Riss eine fragile, flüchtige Identität, die dem – etwa auf Italienisch merkwürdig unübersetzbaren – Begriff „Mitteleuropa”, seinen inneren wie äußeren Grenzen, ihren Verschiebungen und vielfach gebrochenen Gegenwarten nach 1989, die Silhouette einer, ihrer Sehnsucht aufprägt: als Verheißung, schließlich doch noch heimisch zu werden, bei sich anzukommen – in der Fremdheit des Eigenen, den gleichermaßen abgründigen wie bergenden Flucht-t-Räumen Europas.

 

Anmerkungen

1 Es handelt sich bei dem nachfolgenden Text um die leicht überarbeitete Fassung meines Vortrages vom 13.12.05 am Europa Institut Budapest. Dem Vorstand des Hauses (Prof. Ferenc Glatz, Prof. Zoltán Szász) und in besonderer Weise Dr. Tibor Dömötörfi, meinem langjährigen Freund, bin ich für die Einladung und die Erfahrung großzügiger Gastfreundschaft in jenen Tagen zu Dank verpflichtet.

2

K. Raabe, M. Sznajderman, Last and lost, Ffm 2006

3

J. Winterson, Written on the body, London 1993, p. 9

4

S. Weil, Schwerkraft und Gnade, München 1952, p. 143

5

N. Aschenbeck, „Die Schönheit des Niedergangs: Industriearchitekturen in den Fotografien von Manfred Hamm”, in: FAZ, 04.04.06

6

Vgl. dazu: K. Schlögel, Im Raume lesen wir die Zeit, Ffm 2006; M. Schroer, Räume, Orte, Grenzen, Ffm 2006

7

K. Schlögel, op.cit., p. 481

8

Zum Begriff der Verhaltenheit (i.Or.dt.) vgl. den „Epilogo” bei Massimo Cacciari, Geofilosofia dell´Europa, Milano 1994, pp. 161-170. Der Autor bezeichnet mit diesem Terminus die Haltung und das ihr eingelassene Zögern bzw. Ausgerichtet-Sein auf die Gegenwart des Anderen, die in die eigene hineinreicht, in ihr gewissermaßen – als Gestus einer eschatologischen Antizipation – immer schon anbricht. An diesem Ethos, so Cacciari, erkenne man die „Zukünftigen” oder „advenientes” im Unterschied zu den inauthentisch „Späteren”.

9

Vgl. dazu die komplexe Anmerkung, mit der J. Derridas Aufsatz „Gewalt und Metaphysik” schließt, in: idem, Die Schrift und die Differenz, Ffm 1985, 121-235, p. 235

10

Alle Zitate nach der dt. Taschenbuchausgabe: A. Phillips, Prag, München 2005

11

Vgl. zu diesen für seine film-philosophischen Einlassungen grundlegenden Konzepten G. Deleuze, Das Bewegungsbild. Kino 1, Ffm 1997 bzw. Das Zeit-Bild. Kino 2, Ffm 1997

12

Im Oeuvre Kafkas wäre an die Topographie des Terrors zu denken, wie er „In der Strafkolonie” geschildert wird. Der italienische Rechtsphilosoph Giorgio Agamben hat denn auch – in seiner „Homo Sacer”-Trilogie (Torino 1995) – das „Vernichtungslager” bzw. die Schaffung rechtsfreier Räume als wirkmächtiges Paradigma einer technologischen, wesentlich „europäisch” geprägten Moderne identifiziert und damit die Bedeutung und beängstigende Luzidität dieses literarischen Motivs entfaltet.

13

O. K.Werckmeister, „Kafka 007”, in: Linke Ikonen. Benjamin, Eisenstein, Picasso – Nach dem Fall des Kommunismus, München/Wien 1997, 185-226

14

Vgl. die philosophisch-politischen Profile, die eine „Identität” des „Europäischen” über die hier eher narrativ entfalteten Beispiele literarischer und filmischer Texte hinaus beschreiben: Zu denken wäre etwa an Cacciaris „dia-logischen” Ansatz – „Europa” empfängt sich und seine Zukünftigkeit aus der Begegnung mit dem anderen (dem „Nicht-Europäischen”) – oder Derridas Insistenz auf einer konstitutiven „Nicht-Identität”, die jeder kulturellen oder politischen Ordnung immer schon innewohnt. Die Auseinandersetzung mit diesen Autoren bildet das Kernstück einer weiteren Ausarbeitung, die sich mit dem Projekt einer „Geophilosophie” Europas beschäftigt und die ich in der nächsten Zeit abzuschließen hoffe.

15

Ich habe an anderer Stelle den Versuch einer Lektüre unternommen, die dieser postmodernen Ikonographie – etwa im Hinblick auf die mediale Inszenierung des Sterbens von Johannes Paul II. – nachspürt: Vgl. dazu: H. Lauenroth, „Drama des Sichtbaren, Drama des Unsichtbaren”, in: Sinnstifter. Magazin für Kirche und Kommunikation 01/06: www.sinnstiftermag.de

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P. de Man, „Ästhetische Formalisierung: Kleists Über das Marionettentheater”, in: Allegorien des Lesens, Ffm 1988, 205-233, p. 229

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S. Zizek, Die Furcht vor echten Tränen. Krzysztof Kieslowski und die „Nahtstelle”, Berlin 2001. Polemisch dazu: J. Orr, „Right direction, wrong turning. On Zizek´s The fright of real tears”, in: Film-Philosophy, Vol. 7 No 30/September 2003: www.film-philosophy.com/vol7-2003/n30orr