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Begegnungen
Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Band 26:171–184.

ANGELOS GIANNAKOPOULOS

Die Föderalisierung der EU als Institutionalisierungsform europäischer Vielfalt

 

I. Einleitung

Die institutionelle Verfasstheit der Europäischen Union im Hinblick auf ihre wie auch immer gearteten föderalen Strukturen wurde in der Periode nach Maastricht sowohl innerhalb der einschlägigen Wissenschaft (Schneider/Wessels 1994; Laufer/Fischer 1996; Ammon/Fischer/Hickmann/Stemmermann 1996; Evers 1994) als auch in der Öffentlichkeit1 besonders intensiv und kontrovers diskutiert. Neueste Entwicklungen innerhalb der Europäischen Union insbesondere im Hinblick auf ihre Erweiterung um zehn neue Mitglieder werden zurecht als eine nie dagewesene institutionelle Herausforderung für den europäischen Integrationsprozess aufgefasst (Schneider 2001: 410). Gerade angesichts der Erweiterung der EU stellt sich tatsächlich die Frage nach allgemeinen Vorstellungen über den Identitätskern von Europa dringender denn je, erfasst man doch grundsätzlich den Föderalismus als eine politische und gesellschaftliche Lebensform (Görner 1996). Es ist diesbezüglich davon auszugehen, dass mit der Aufnahme der meisten ehemaligen Ostblockländer in die EU der Erweiterungsprozess zwar kräftig vorangetrieben wird, die Integration jedoch sowohl von osteuropäischen, als auch von Ländern des Mittelmeerraumes im vereinigten Europa die Konsequenz nach sich zieht, dass unübersehbare Heterogenitätserscheinungen auf den Plan treten. In Bezug auf die gesellschaftspolitische bzw. gesellschaftskulturelle Vielfalt, welche das sich daraus ergebende vereinigte europäische Staatengebilde unweigerlich charakterisieren wird, stellt sich die Frage nach einer adäquaten Auffassung des Europäischen als institutionell verankerte Wertegemeinschaft.

Als sicher soll zunächst gelten, dass das Kohärenzgebot auf der Ebene des gemeinschaftlichen Wertbezugsystems sich in symbolischen Ausdrucksformen niederschlagen muss. Obwohl dies einerseits eine unverzichtbare Selbstverständlichkeit darstellt, besteht andererseits über das Verständnis des Charakters solcher Formen weiterhin Unklarheit, und zwar in Bezug auf die Frage, wie eine kollektiv bindende Symbolkraft entstehen kann. Lassen sich symbolische Gemeinschaftsmerkmale konzipieren, die den Ambivalenzerfahrungen des modernen inter- und postnationalen Europaverständnisses Rechnung tragen können? Eine weitere Frage, die sich hier unmittelbar anschließt, betrifft die Kohäsionstragweite der symbolischen Gemeinschaftsformen des Europäischen: Lässt sich eine gemeinschaftsstiftende und -tragende Kulturbedeutung der europäischen symbolischen Formen konzipieren, die nicht einem unterschiedslosen Zusammenschluss aller irgendwie relevanten Aspekte gleich käme?

Solche Fragestellungen legitimieren sich durch die Erkenntnis, dass die mittlerweile vertraglich hochgesteckten Integrationsziele der EU ohne gewisse föderalen Strukturen nicht zu erzielen sind. Dass diese Notwendigkeit durch die vollzogene Erweiterung eher gestärkt als abgeschwächt wird, liegt auf der Hand. Die Erweiterungsperspektive muss also unweigerlich zu einer erneuten Thematisierung der Föderalismusfrage führen und nicht umgekehrt. Die Erörterung dieser Frage nimmt innerhalb dieses Beitrags folgende Gestalt an: Es wird eine Zusammenfassung föderalistischer Prinzipien vorausgeschickt, wobei der Mittelpunkt sowohl von staats- und politikwissenschaftlichen als auch von kulturellen Problemkonstellationen gestellt wird (Abschnitt II). Es wird sodann auf die derzeitige institutionelle Verfasstheit und den Charakter des ordnungspolitischen Status quo der EU im Hinblick auf ihre Föderalisierung eingegangen. Dabei werden bisherige Erfahrungen des Föderalismus mit dem Institutionsgefüge der EU verglichen und mögliche Entwicklungen in Aussicht gestellt (Abschnitt III und IV). Zum Mittelpunkt der Analyse gehört letztendlich die Erörterung föderalistischer Strukturen vor dem Hintergrund eines Föderalismusverständnisses als vorrangig gesellschaftliche und politische Lebensform. Aufgrund dieses Verständnisses wird die wichtige Unterscheidung zwischen Föderalismus als finales Gestaltungsprinzip europäischer Verfasstheit und Föderalisierung als ein prozessualer Modus europäischer Integration übernommen (Abschnitt V). Es wird in Bezug hierauf die These vertreten, dass sich aus der genuin europäischen Erfahrung der Vielfalt sich die Forderung nach einem grundsätzlich prozessual orientierten Vollzugsmodus des Föderalen ableiten lässt, der auf der Struktur von permanenten, wechselseitigen „Übersetzungen” basieren soll. Föderalistische Übersetzungsverhältnisse bedeuten in diesem Kontext, dass sich sowohl die Merkmale des Einheitseuropäischen im Rahmen staatlicher bzw. regionaler Gesetzgebung, als auch die gesellschaftlichen Lebenswelten sich implementieren lassen müssen.

 

II. Grundlagen des Föderalismus: eine Zusammenfassung

Die Grundlagen des Föderalismus sind vor allem ein 1. Politisches Organisationsprinzip, d. h. eine vertikale Gewaltenteilung und Machtaufgliederung. 2. Ein gesellschaftliches Organisationsprinzip, wobei die Integration heterogener Gesellschaften durch Erhaltung der Vielfalt und der soziokulturellen Eigenständigkeit auf der Basis von Vermittlungsstrukturen gegensätzlicher Zielvorstellungen und durch 3. Eine ökonomische und politische Integration und die Gleichheit der Lebensbedingungen bei regionaler Eigenständigkeit erfolgen soll (Walkenhorst 1997). Daraus sind im Einzelnen folgende Prinzipien abzuleiten: a. Balanceprinzip: „Die weitaus wichtigste Grundidee im Föderalismus ist die einer immer wieder neu zu bestimmenden Balance zwischen Einheit und Vielfalt politischer Ordnung”, b. Gemeinschaftsprinzip: „Sozialphilosophisch bedeutet Föderalismus vor allem die Ablehnung individualistischer Vereinzelung als alleiniger Grundlage menschlichen Strebens”, c. Bundesstaatsprinzip: es handelt sich hierbei um die konkrete Form dieser beiden Prinzipien ohne jedoch die begrifflichen Singularitäten, denen dieser Begriff oft unterworfen wird, d. Aushandlungsprinzip: d. h. die Entscheidungsfindung basiert nicht auf dem Mehrheitsprinzip, sondern auf der Basis von Kompromiss und Konsens, e. Subsidiaritätsprinzip: negative Subsidiarität (es darf keine übergeordnete Kompetenzverlagerung stattfinden, wenn die nachgeordneten Abteilungen eine Selbstregulierung durchführen können), positive Subsidiarität (eine übergeordnete Regulierung findet erst dann statt, wenn die nachgeordnete Abteilung nicht in der Lage ist, eine Problemlösung durchzuführen) und f. Teilhabeprinzip: eine föderalistische Struktur führt eher zu solchen Partizipationsformen, so dass den Bürgern eine aktive Teilhabe am Politischen verwirklicht werden kann (Hueglin 1997: 108 ff.).

Der Föderalismus ist dennoch an keine normative Form zu binden. Es gibt demgemäß keine föderalistische Idealform und dadurch keine definitorische Singularität. Die jeweilige föderale Gestaltung entspricht den jeweiligen historischen und gesellschaftlichen Vorbedingungen und den individuellen staatsstrukturellen Bedürfnissen. Weitgehender Konsens besteht in der Definition des Föderalismus, der zusammengefasst, als ein Staatsaufbau aufgefasst wird, in dem sich mehrere Gliedstaaten mit einem Gesamtstaat die Erfüllung staatlicher Aufgaben teilen und dabei gegenseitig durch bestimmte Mit- und Einwirkungsmöglichkeiten beeinflussen (Deuerlein 1972; Huber/Pernthaler 1988).

Das Föderalismus-Gestaltungsprinzip wird zwischen dem unitaristischen Zentralstaat und dem Staatenbund gestellt, wobei der gebräuchlichste Begriff um dies zu verdeutlichen, der des Bundesstaates ist (wobei festgehalten werden muss, dass dies vor allem dem Föderalismus-Verständnis deutscher Autoren entspricht). Diesbezüglich muss ferner konstatiert werden, dass diese Einteilung, auf der Basis neuester Entwicklungen betrachtet, ziemlich starr ist. Den rein unitaristischen Staat, zumal innerhalb der Europäischen Union, gibt es in diesem Sinne nicht mehr. Selbst Frankreich, das das revolutionäre Prinzip „republique une et indivisible” hoch hielt, führte längst dezentrale Strukturen ein. Bezeichnend sind in diesem Sinne vor allem die Entwicklungen in Belgien und Spanien. Dort ging es vor allem darum separatistische Tendenzen durch Kompetenzverteilung aufzufangen (Walkenhorst 1997: 63 ff.; Kremer 1989; Puhle 1993). Gemäß diesem Schema werden die Staaten der derzeitigen Europäischen Union dennoch in einem klassischen Unterteilungssinne in zentralistische (Griechenland, Dänemark, Schweden, Großbritannien usw.), unitarisch-dezentralisierte (Frankreich, Niederlande usw.), regionalisierte (Spanien, Italien) und Föderalstaaten (Bundesrepublik, Österreich) unterschieden (Walkenhorst 1997: 20).

 

III. Die politische Ordnung der EU im Hinblick auf ihre Föderalisierung: eine Bestandsaufnahme

Ob die Europäische Union föderalistische Organisationsprinzipien anwenden soll, scheint in der einschlägigen Diskussion nicht die Frage zu sein. Es wird eher danach gefragt, in welcher Ausprägung und in welchem Masse sie denn umgesetzt bzw. weitergeführt werden sollen. Es wird festgestellt, dass die mittlerweile vertraglich (Maastricht) hochgesteckten Integrationsziele der EU (vor allem die politische Union und die bisherige sukzessive Umsetzung der drei Integrationsäulen), ohne föderale Strukturen nicht zu erzielen sind (Schneider/Wessels 1994; Hartmann 2001). Die vollzogene Erweiterung verstärkt diese Notwendigkeit. Bezüglich von Integrationsprozessen im Sinne einer föderalistischen Politikgestaltung innerhalb der EU führte der frühere Präsident der Europäischen Kommission Jaques Delors eine bedeutende Unterscheidung ein: er unterschied zwischen Föderalismus und Föderalisierung. Während Föderalismus, seiner Meinung nach, nach endgültigen Gestaltungsprinzipien der politischen Ordnung bzw. nach finalen politischen Strukturen fragt, stellt Föderalisierung einen immerwährenden, unabgeschlossenen Prozess dar. Dass letzterer Begriff am ehesten Gegebenheiten europäischer Integration entspricht, steht somit außer Zweifel (Walkenhorst 1997: 29).

Das bisherige Vertragswerk der EU hat durch die Einführung und Berücksichtigung föderaler Grundprinzipien der immer stärker hervortretenden Regionalisierung innerhalb der EU Rechnung getragen. Das international zu beobachtende Phänomen einer Globalisierung mit gleichzeitiger Verstärkung regionaler Tendenzen macht sich auch innerhalb der EU bemerkbar. Es vollzieht sich ein Prozess der europäischen Unifikation auf der einen Seite bei regionaler Plurifikation auf der anderen. Die Region wird als unmittelbarer identifikatorischer Bezugspunkt für die Bürger nichts an ihrer Gültigkeit einbüssen. Regionalbewegungen werden vermutlich weiterhin als Gegenpol zur zunehmenden Unübersichtlichkeit und Vernetztheit agieren. Auch haben die verschiedenen Regionen Europas neben ihrer „sozialpsychologischen” Funktion an politischer und ökonomischer Relevanz zugenommen. In einer historischen Perspektive ist ferner festzuhalten, dass die regionale Gliederung in Europa älter ist als die nationale. Die gesamte Problematik hat in der einschlägigen sowohl öffentlichen als auch wissenschaftlichen Diskussion ihren Niederschlag im Begriff eines „Europas der Regionen” gefunden, der allerdings eine längere Geschichte hinter sich hat (Ruge 2003).

Der Eingang der Regionen als zusätzliche politische Gestaltungsebene innerhalb des institutionellen EU-Gefüges wurde bekanntermaßen erst mit dem Maastrichtvertrag vollzogen. Dies geschah vor allem anhand 1. des eingeführten Subsidiaritätsprinzips und 2. der Einrichtung politischer Partizipation der Regional- und Länderebene am europäischen Einigungswerk durch den neu gegründeten „Ausschuss der Regionen” (Sturm 2001). Was insbesondere den „Ausschuss der Regionen” angeht, soll nebenbei bemerkt werden, dass hierin vor allem die jahrelange Forderung insbesondere der deutschen Länder und der spanischen Regionen zur Mitgestaltung der europäischen Integration zu sehen ist, so wie sie in den „Zehn Münchner Thesen” (1987) der deutschen Ministerpräsidenten, in der „Münchener Erklärung zum Föderalismus in Europa” (1990) zum Ausdruck kamen (Scharpf 1994; Walkenhorst 1997; Sturm 2001: 117 ff.). Als Drittes sollte noch das damit eng verbundene ebenfalls vertraglich verankerte Leitmotiv der Bürgernähe erwähnt werden.

Dennoch: 1. die politische Gewichtigkeit der Regionen in den einzelnen Staaten ist sehr unterschiedlich. Die Bedeutung der Regionalstrukturen ist, unabhängig von ihrer eventuell „sozialpsychologischer” Funktion, eher in ihrer zunehmenden ökonomischen Ausprägung zu suchen. Die EU Zentralgewalt versteht denn auch die Regionen nur als ökonomische und nicht als politische Einheiten. Dies findet in den vorrangig wirtschaftlichen Hilfeleistungen der Gemeinschaft durch eine Fülle von Unterstützungsprogrammen an die Regionen ihren Niederschlag. Dies bedeutet auch, dass die Regionen nicht als eine föderalisierende Kraft verstanden werden (können). In diesem Sinne soll die Aufwertung der Regionen im Rahmen des „Ausschusses der Regionen” als zusätzliche institutionelle Ebene der EU vom Status des passiven Mittelempfängers zum direkten Ansprechpartner und zum institutionellen Pendent des Subsidiaritätsprinzips nicht überbewertet werden. Der Ausschuss der Regionen besitzt über keine entscheidenden Mitsprache-, geschweige denn Mitentscheidungsrechte, während seine stark heterogene Zusammensetzung seinen bereits bescheidenen Handlungsspielraum noch weiter begrenzt. Auch besteht ein nicht unwichtiger und durchaus verständlicher Interessenkonflikt mit dem Europäischen Parlament, sollte der Ausschuss tatsächlich nicht nur formell als zusätzliche institutionelle Ebene anerkannt werden (Ruge 2003: 312 ff.).

2. Die Wirkung des Subsidiaritätsprinzips wird auf rein institutioneller Ebene ebenfalls überschätzt. Die Gestaltungmöglichkeiten wurden in den Verträgen uneinheitlich ausgedrückt. Es besteht vor allem ein Missverhältnis zwischen der Subsidiarität und der ebenfalls vertraglich verankerten Pflicht der Mitgliedstaaten zur Rechtsangleichung, wobei letztere natürlich auf der Basis einer zentral verabschiedeten Rechtsgesetzgebung erfolgt. Der vertraglich „geregelte” Geltungsbereich des Prinzips ist im Bereich der sogenannten konkurrierenden Zuständigkeiten zwischen Mitgliedstaaten und Europäischer Union zu sehen. Keine Anwendung findet es freilich im gesamten Bereich des Binnenmarktes. Das Prinzip bleibt dennoch auf der Ebene der Andeutung. Es wird nicht direkt mit dem „Ausschuss der Regionen” in Verbindung gebracht, woraus denn auch konkrete politische und rechtliche Praxisperspektiven entstehen könnten. Die Unbestimmtheit des Prinzips in den Verträgen kann somit nicht nur eine Zurückhaltung der EU-Zentralgewalt, sondern auch ihr Eingreifen begründen (Magiera 1994; Frey 1997: 40). Es wird somit bezüglich des Subsidiaritätsprinzips innerhalb des institutionellen Gefüges der EU über ein kontextabhängiges Chamäleon gesprochen (Walkenhorst 1997).

 

IV. Der Charakter des derzeitigen ordnungspolitischen Status quo der EU im Vergleich zu föderalen Organisationsprinzipien

Unter rein politikwissenschaftlichen bzw. staatstheoretischen Auspizien ist es keine leichte Aufgabe den derzeitigen organisationspolitischen Status quo der EU zu ermitteln. Die bisherigen Erfahrungen, die Begriffe wie Einheitsstaat, Bundesstaat oder Staatenbund hervorgebracht haben, sind in Bezug auf die politische Struktur der EU problematisch. Bei der EU handelt es sich eindeutig um eine sui generis interstaatliche Organisationsform.

Dies wird deutlich, wenn man folgende Aspekte berücksichtigt: die EU besitzt kein im gängigen Sinne staatliches Gewaltmonopol. Es gibt keine einheitliche Territorialherrschaft, denn die nationalen Hoheitsgebiete existieren nach wie vor. Eine europäische Staatsbürgerschaft ist unzureichend definiert, und wenn überhaupt dann nur in Verbindung zur nationalen Bürgerschaft. Existiert des weiteren eine immer stärker auftretende Integration ökonomischer, innenpolitischer (und bis dato zumindest auf dem Papier) außenpolitischer Interessen, besitzt die EU dennoch nicht die Eigenschaft eines souveränen, völkerrechtlich selbständigen Staates. Auf der anderen Seite ist die derzeitige Verflechtung von Aufgaben und Politiken zwischen der zentralen und nationalen Ebene in der EU so weit fortgeschritten, dass sie nicht als (loser) Staatenbund bezeichnet werden kann (Hrbek 2003).

Man sollte in dieser Hinsicht die Kontingenz bisheriger europäischer Integration nicht außer Acht lassen. Die EU ist das Produkt von heterogenen Interessenlagen und der unmittelbaren Reaktion auf aktuelle Verhältnisse. Außerdem sind die Integrationsmethoden und -mechanismen je nach Sachgebiet unterschiedlich. Das Offenhalten der Finalitätsfrage in den Verträgen erschwert außerdem eine konkrete Aussage.

Es soll an dieser Stelle auch auf das disparate Verständnis von institutionellen Grundbegriffen innerhalb europäischer Gesellschaften aufmerksam gemacht werden, die eine Begriffsdefinition bezüglich des europäischen interstaatlichen Gefüges deutlich erschweren. Stellungnehmend zur Verfassungsmäßigkeit der Maastrichter Verträge führte das deutsche Bundesverfassungsgericht die Bezeichnung „Staatenverbund” ein, die in der einschlägigen Wissenschaft mit einem „terminologischen Geniestreich” gleichgesetzt wird (Schneider 2001). Der Begriff ist dennoch im französisch- und englischsprachigen Raum wenn überhaupt schwer zu vermitteln. Bereits die Unterscheidung zwischen Bundesstaat und Staatenbund, die ja genuin deutschen historischen Erfahrungen entspricht, ist eine demgemäß spezifisch deutsche Unterscheidung, die in den anderen Sprachen keine Entsprechung bzw. Anwendung findet. Rein wörtlich ist „federal” im Englischen bezeichnenderweise nicht mit Dezentralisierung, sondern mit zentraler Leitung gleichzusetzen. Außerdem unterscheiden die Briten zwischen „union” und „unity”. „Union” wäre als lockere Vereinigung gerade noch akzeptabel, keineswegs aber „unity”. Deswegen wird Föderalismus mit einem unitaristischen Bundesstaatsmodell verknüpft, in dem die einzelnen Staaten auf lokaler Ebene und in bestimmten Politikfeldern zwar unabhängig entscheiden können, ihre staatliche Souveränität aber eingebüßt haben. Dies ist für englische Verständnisweisen eine wenig zu begrüßende Perspektive. Bezeichnend ist des Weiteren, dass die Franzosen beispielsweise den Begriff „Integration” vermeiden, weil er ja Elemente einer Supranationalität beinhaltet, und deswegen über eine „europäische Zusammenarbeit” reden. Supranationalität wird bei den Franzosen mit der Entmachtung der politisch verfassten Nation gleichgesetzt (Ruge 2003: 309 ff., Hrbek 2003).

Eine Alternative bietet in diesem Sinne der Begriff Staatengemeinschaft. Dies impliziert die Teilsouveränität der supranationalen Ebene auf Gebieten wie Wirtschaft, Handel, Soziales usw. Auch dies ist nach einer näheren Betrachtung problematisch. Die Kompetenzausweitung der EU-Zentralgewalt in diesen Gebieten ist so weit fortgeschritten, dass sie deutliche Züge eines Einheitsstaates aufweist. Denn es ist unübersehbar, dass die vertragliche Stärkung der ersten und dritten Ebene der EU die Souveränitätsansprüche der Mitgliedstaaten in bestimmten Gebieten bedeutend eingeschränkt hat. Andererseits ist die politische Dimension der Maastrichter und der nachfolgenden Verträge (Amsterdam, Nizza), zumal was die gemeinsame Gestaltung der Innen- und Außenpolitik betrifft, zu relativieren. Die völkerrechtliche Ausrichtung dieser Politikbereiche ist unverbindlichen Charakters und durch keine Sanktionsmechanismen gesichert. Es entsteht zwar der Eindruck einer voranschreitenden Union, von staatsähnlichen Strukturen ist die EU dennoch weit entfernt. Eine wichtige Entwicklung stellt in dieser Perspektive der Entwurf eines Vertrags über eine Verfassung für Europa des Europäischen Konvents dar. Sollte der Entwurf, wenn auch mit geringfügigen Änderungen, nach der Regierungskonferenz angenommen werden, ist diesbezüglich trotzdem zu erwarten, dass die Finalitätsfrage weiterhin offen bleiben wird.

Zieht man ein Fazit, so sind in Bezug auf die Institutionalisierung föderaler Strukturen innerhalb der EU folgende Punkte aufzuzählen:

1. Die EU-Föderalisierung stößt an Grenzen. Sie werden gestellt vom Sachverhalt einer zu heterogenen regionalen Ebene in den Nationalstaaten und einer deutlichen Meinungsverschiedenheit je nach Nationalstaat und politisches System, was die Zielrichtung der Integration sein sollte, so dass die bereits vorhandenen föderalen Elemente in der alltäglichen politischen Praxis wenig Wirkung gezeigt haben. Die Frage ist, inwieweit die weitere Föderalisierung der EU doch nicht die Schaffung föderaler Strukturen auch in den Nationalstaaten selbst voraussetzt. All diese Fragen ergeben sich jedoch aus der Tatsache, dass man weitgehend auf der begrifflichen Grundlage eines Bundesstaatsmodells argumentiert. Das sind also rein deutsche Fragen und Dilemmas (Münch 1996). Diese Fragen können, zumal in der vorliegenden Ausprägung, keine „französischen” oder „englischen” Fragen sein (Schneider 2001: 414). Das hat sich auch bei den Reaktionen auf die Rede von J. Fischer über „Gedanken zur Finalität der europäischen Integration” (Mai 2000) gezeigt, die völlig unterschiedlich ausgefallen sind (Schneider, ebd.).

2. Viele Beobachter haben sich deswegen von finalen Modellen verabschiedet. Integration bedeutet nicht mehr ein voraussagbares, zwangsläufiges oder zumindest anzustrebendes Endstadium, sondern die einfache Beschreibung der Voraussetzungen für einen je nach Bereich erfolgreichen Integrationsprozess.

3. Es wird demnach die Singularität des europäischen Integrationsprozesses hervorgehoben. Integration wird dialektisch, sowohl als ein pragmatischer als auch als ein politisch forcierter Prozess aufgefasst. Als eine Komposition aus zusammenhängenden Maßnahmen, Übereinkünften, Reaktionen auf aktuellen Lagen, historischen Entwicklungen und politischen Verschiebungen, ein Aushandeln von Interessenlagen und Kompromissen, als ein differenziertes Bild einer multidimensionalen Entwicklung. Die künftige Gestaltung der politischen Ordnung der EU wird wahrscheinlich ein Balanceakt in der Kompetenzverteilung zwischen Supranationalität und nationalstaatlicher Ebene bleiben (Theato 1993).

4. Eine relevante Frage, die diesbezüglich gestellt wird, ist, inwieweit ein unvollendeter, fortwährend offen gehaltener Integrationsprozess die Gefahr birgt, dass altbekannte Widersprüche des Nationalstaatensystems in einer neuen Form wieder auftauchen. Diese Frage ist nicht unwichtig, zieht man die kürzlich anlässlich des Irak-Krieges angetretenen Lage bezüglich der Unterstützung seitens bestimmter EU-Staaten („Achse” England – Spanien–Italien plus eine Anzahl osteuropäischer Beitrittskandidaten) des amerikanischen Vorgehens heran, die negative Auswirkungen auf die Gestaltung einer gemeinsamen Außenpolitik – als dritte vertraglich verankerten Integrationssäule – zeitigt.

5. Es ist somit anzunehmen, dass der weitere Verlauf der europäischen Integration in Bezug auf die künftige politische Verfasstheit der Union ein evolutionärer und kein revolutionärer Prozess sein wird, innerhalb dessen die Bearbeitung eines auf lange Sicht trag- und akzeptanzfähigen Konzepts zur Regelung des Verhältnisses zwischen Einheit und Vielfalt den Charakter eines Mischsystems haben wird. Dieses System wird sowohl föderale und konföderale als auch schlichte kooperative Elemente beinhalten. So wie der Gesamtcharakter der EU ihren künftigen politischen Struktur nach, auch im Sinne einer Föderation, nur eine sui generis sein kann (Hrbek 2003: 187).

6. Angesichts dieser Problematik läuft die Debatte und die darin vorgetragenen Argumente, zumal was politische Kreise angeht, auf den Vorschlag einer „Föderation von Nationalstaaten” hinaus. Hierin ist eine bedeutende konzeptionelle Annäherung von Politikern aus unterschiedlichen Staaten, vor allem Deutschland und Frankreich, zu vernehmen. Das Modell eines zentralistischen Bundes- und Superstaates wird abgelehnt. Manche wichtigen Schritte, die darin als Voraussetzung genannt werden, sind bereits getan oder stehen unmittelbar bevor. Was allemal festgehalten werden muss, ist, dass die Forderung nach einer institutionell abgesicherten, der gesellschaftskulturellen Heterogenität gerecht werdenden Einheitsbildung sich nicht auf den Erfahrungsfundus praktizierter Föderalismusmodelle stützen kann, denn diese haben sich als einseitig zentralistisch orientiert erwiesen. „Eben dazu gibt das Repertoire föderaler Vorstellungen, Problemlösungsmuster und Architekturkonzepte vielfältige Anregungen” (Schneider 2001: 426).

 

V. Föderalismus als politische und gesellschaftliche Lebensform

Föderalismus ist allgemein-theoretisch nicht nur als eine funktionale Größe bzw. als Instrument der Gewaltenteilung, sondern darüber hinaus als Ausdruck eines bestimmten Bewusstseins zu verstehen: das Gelten-Lassen des Anderen, des Verschiedenen unter besonderer Berücksichtigung von Mechanismen des Ausgleichs und der Konsensfindung anhand von gemeinsam akzeptierten Regeln. Föderalismus ist in gewisser Hinsicht eine andersartige „ästhetische” Form des Zusammenlebens (Görner 1996; Oesterreich 1994). Der Begriff Einheit in der Vielfalt, der dies zum Ausdruck bringt, impliziert zwar zum einen die normativen und institutionellen Vorbedingungen einer politisch voranschreitenden europäischen Integration, stellt aber zum anderen – als einen zur institutionellen Vereinheitlichung entgegengesetzten Begriff – Kultur bzw. Wertvorstellungen in den Vordergrund der Betrachtungsweise. Denn man kann insgesamt davon ausgehen, „dass Kultur gerade die dezentrale, regionalistische, sperrige, mitunter chaotische Gegenwelt zum sich vereinheitlichenden Binnenmarkt darstellt” (Kleinsteuber 1991: 340). Der Wahlspruch „in Vielfalt geeint” in der Präambel des europäischen Verfassungsentwurfs erweitert diese Sicht, indem er nationale Identitäten und regionale Besonderheiten zur Geltung bringt. Es liegt auf der Hand, dass in einem Europa der 25 die Bedeutung von Flexibilität, Differenzierung und Parallelität im Rahmen der Herausbildung einer künftigen politischen Gemeinschaft um so größer wird (Emmanouilidis/Giering 2003). Angesichts dieses Sachverhalts gewinnt die Problematik des Föderalismus als Institutionalisierungsform europäischer Vielfalt deutlich an Relevanz. Insbesondere dann, wenn man davon ausgeht, dass kulturelle Vielfalt nicht als Zwang zur Hervorbringung föderaler Strukturen aufgefasst, sondern als föderale Vorbedingung verstanden wird: Föderalismus ist Einheit durch Vielfalt (Görner, ebd).

Nichtsdestoweniger wichtig ist in Bezug auf eine differenzierte Ausbildung einer künftigen europäischen politischen Gemeinschaft der Aspekt, dass der Föderalismus eine andere Wahrnehmung der Politik überhaupt ermöglicht. Er macht den politischen Lebensraum für den Einzelnen erfahrbar und ermöglicht, trotz zentraler institutioneller Vereinheitlichung, die Einbettung der persönlichen Lebensbezüge in überschaubare, kleinräumliche Strukturen (Gauger/ Weigelt 1993). Daher der Vorschlag des früheren finnischen Ministerpräsidenten Paavo Lipponen den bisherigen top-down approach in der EU durch eine bottom-up philosophy zu ersetzen (Schneider 2001: 427).

In einem normativen Sinne ist ferner der Charakter des Föderalismus sowohl als ein evolutionärer als auch als ein offener Lernprozess zu betonen. Diese Dimension zeigt sich im Hinblick auf die vollzogene Erweiterung der EU als besonders relevant. Die bisherige föderale Erfahrung hat deutlich gezeigt, dass Altbewährtes und Neues, gewachsene Identitäten und lokale Bewusstseinsstrukturen in das aktuelle politische Geschehen eingreifen und sich in pluralistische politische Identitäten verwandeln (Nettesheim 2003). Dies geschieht jedoch nicht vor dem Hintergrund eines zusammenhanglosen Multikulturalismus, sondern durch eine spezifische Deutung der Andersheit und des Vielen, aus der sich zunächst eine bestimmte politische Kultur und Struktur ergibt. Der Föderalismus setzt nicht nur voraus, sondern fördert gleichzeitig die Interaktion und Kommunikation zwischen den föderierten Teilen. Nicht zu Unrecht wird Föderalismus als „konsensorientiertes Konkurrenzprinzip” beschrieben (Görner 1996: 30). Somit basiert das politische Handeln auf der permanenten Kommunikation zwischen den verschiedenen Entscheidungsebenen, wobei Einheit durch das hergestellt wird, was die kommunizierende Mehrheit selbst hervorbringt oder als gemeinsame Regel mitträgt.

Föderalismus kann des Weiteren als Vermittlungsstruktur komplementärer Identitäten auf europäischer, nationaler und regionaler Ebene verstanden werden. Eine europäische Identität kann in diesem Sinne nur als eine vergleichende Identität aufgefasst werden (Lilli 1998). Föderalismus kann somit eine Antwort auf die entscheidende Frage der europäischen Zukunft sein, wie viel und welche Verschiedenheit durch die symbolische Markierung einer Identität innerhalb des Identischen zugelassen wird (Eder 1999). T. S. Eliot seinerseits fasste dies in essayistischer Form folgendermaßen zusammen: „the culture of each country should be unique, and the different cultures should recognize their relationship to each other, so that each should be susceptible of influence from the others” (zitiert in Görner 1996: 219).

In einem nun pragmatischen Sinne muss festgehalten werden, dass innerhalb des bereits existierenden institutionellen Gefüges der EU bestimmte sowohl föderale als auch konföderale Elemente zu lokalisieren sind, die mit dem Versuch in Verbindung gebracht werden müssen, eine gewisse formale als auch inhaltliche europäische Symbolik hervorzubringen: die Palette dieser Formen reicht von der europäische Fahne und Hymne über den Europapass, den EU-Führerschein und die Autokennzeichen bis zum Europatag und zur gemeinsamen Währung. Die grundlegende Frage bezüglich dieser Formen dürfte zunächst lauten, ob diese symbolischen Formen zur Herstellung eines langfristigen gemeinsamen Handlungs- und Orientierungszusammenhangs ausreichten. Setzt die Schaffung einer solchen Symbolik einen gemeinsamen Erfahrungs-, Handlungs- und Orientierungszusammenhang, kulturspezifisch ausgeformte Weltbilder, die die Subjekte dazu befähigen, sich gemeinsame Normen, Regeln, Rollen, zu bewältigende Aufgaben und Bewältigungsroutinen anzueignen, voraus (Schröer 1997), oder ist dies alles als ihr Produkt zu sehen? Bringen Identitäten Einstellungen oder Einstellungen Identitäten hervor? Sollte es tatsächlich so sein, dass Symbole erst durch ihre Interpretation und Bewertung in kognitiv-normativ-emotionalen Bezugssystemen ihre Wirkung entfalten (Schmidt 1999), dann kann diese europäische Symbolik ihr Ziel auf dem ersten Blick schwer erreichen. Obwohl als Vorlage dieser „identitätsstiftenden” europäischen Politik eindeutig die bisherige nationalstaatliche Erfahrung dient, so muss konstatiert werden, dass die Union dadurch einen „overlapping consensus” und eine politische Vergemeinschaftung vorantreibt, die die nationale Erfahrung der „substantiellen Sittlichkeit” der politischen Gemeinschaft als „Schicksalsgemeinschaft” deutlich übersteigt. Sollten sich in diesem Sinne tatsächlich symbolische Gemeinschaftsformen herstellen lassen können, die dem Wertekernbestand der EU konkret-anschauliche Gestalt verleihen, dann nur unter der Voraussetzung einer institutionellen Staatenverflechtung, die sich durch einen strukturellen Pluralismus auszeichnet. Dies bedeutet, dass zwischen den symbolischen Gemeinschaftsdarstellungsformen und dem strukturell pluralistischen, europäischen Staatenzusammenschluss ein Korrespondenzverhältnis bestehen muss. Es muss diesbezüglich hinzugefügt werden, dass institutionelle Ordnung ohne Bewusstseinsbildung nicht gedacht werden kann. Erst durch die symbolischen Sinnwelten gelangt jede institutionelle Ordnung zu ihrer endgültigen Legitimation. Symbolische Sinnwelten sind „synoptische Traditionsgesamtheiten, die verschiedene Sinnprovinzen integrieren” (Berger/Luckmann 1977: 98). Sie bilden die letzte und abstrakte, der Alltagserfahrung fremde Ebene der Legitimation von Institutionen: „Symbolische Sinnwelten sind wie schützende Dächer über der institutionellen Ordnung und über dem Einzelnen” (Berger/Luckmann, ebd: 109).

Föderale europäische Strukturen und zwar unabhängig von ihrer konkreten institutionellen Umsetzung würden in diesem Sinne eine Verschiebung des Verständnisses einer europäischen Gemeinschaft als „Schicksalsgemeinschaft” zu Gunsten einer rein politischen Gemeinschaft bedeuten. Nicht gemeinsame historisch-kulturelle Herkunft würden darin eine maßgebende Rolle zur Konstitution einer europäischen politischen Gemeinschaft spielen, sondern der demokratische Prozess der Konsensfindung und das komplementäre Konkurrenzprinzip auf der Grundlage der Interaktion und Kommunikation von Differenzen. So genügt innerhalb dieses Rahmens eine Vermittlung der Wertbeziehungen einzelner nationaler Kulturen. Eine europäische praxisbezogene Kulturpolitik kann daher nur als „Übersetzungspolitik” verstanden werden (Lepsius 1999). Es ist zu betonen, dass eine solche Praxis eine nicht zu unterschätzende Auswirkung auf den europäischen Identitätsbildungsprozess zeitigen kann, der den Übergang von einer politischen Gemeinschaft als „ethische Kulturgemeinschaft” (Nationalstaat) zu einer „universellen Bürgergemeinschaft” (EU) bedeuten würde (Nettesheim 2003).

Dies bliebe wiederum bezüglich der Entstehung einer gemeinsamen politischen Kultur nicht ohne Folgen. Das Vorhandensein föderaler politischer Strukturen würde sich nicht in der bloßen Koexistenz national-kultureller Differenzen erschöpfen, sondern würde sich darüber hinaus und vor allem in der Verfestigung von institutionellen Formen einer „Solidarität unter Fremden” innerhalb des abstrakten Gebildes einer demokratischen (hier interstaatlichen) Rechtsgemeinschaft demonstrieren (so etwa Jürgen Habermas, Habermas 2001; Brunkhorst 1997)). Problemorientiertes Kommunizieren und Handeln, das ja innerhalb föderaler Strukturen zur Bedingung sine qua non der politischen Verfasstheit des Gemeinwesens gehört, würde somit gemeinsame Horizonte und Erfahrungen und damit Gemeinschaft hervorbringen. „Die gemeinsam übernommene Verantwortung für angestrebte Problemlösungen generiert Solidarität. Die Geschichte gemeinsam bewältigter sozialer Problemlagen konstituiert im Laufe der Zeit eine demokratische politische Tradition und ein Kollektivbewusstsein” (Eder/Kenntner 2000: 310). Somit wäre „Dialogizität” die Grundlage von Differenz und einer praxisbezogenen politischen Moral, berücksichtigt man, dass „civility” nicht ohne die integrierende Wirkung des Streites, „der vorläufigen Lösungen und der immer mitlaufenden Kritik” zu denken ist (Giesen 1999: 144).

Trotz vielfältiger Problemlagen und offener Fragen in Bezug auf den Föderalismus als Leitbild einer europäischen politischen Kultur, sollte als Fazit die zwar antiquiert anmutende aber immer noch gültige These festgehalten werden, dass „Föderalismus aus der Notwendigkeit des Menschen (entsteht), seine Freiheit in größtmöglicher Form zu bewahren. Föderalismus erwächst aus dem Wunsch, die Wechselbeziehungen zwischen Individuum und Gesellschaft auszubalancieren, wobei das Recht des Individuums gewahrt und der Anspruch der Gesellschaft nicht geschmälert werden soll” (Deuerlein 1972: 318).

 

Literatur

Ammon, Günther/Fischer, Matthias/Hickmann, Thorsten/Stemmermann, Klaus (Hrsg.) (1996): Föderalismus und Zentralismus: Europas Zukunft zwischen dem deutschen und dem französischen Modell, Baden-Baden

Berger, Peter/Luckmann, Thomas (1989): Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie, Frankfurt/Main

Brunkhorst, Hauke (1997): Solidarität unter Fremden, Frankfurt/Main

Deuerlein, Ernst (1972): Föderalismus. Die historischen und philosophischen Grundlagen des föderativen Prinzips, München

Eder, Klaus (1999): Integration durch Kultur? Das Paradox der Suche nach einer europäischen Identität, in: Viehoff Reinhold/Segers Rien T. (Hrsg.): Kultur, Identität, Europa, S. 147-180, Frankfurt/Main

Eder Klaus/Cathleen Kanter (2000): Transnationale Resonanzstrukturen in Europa. Eine Kritik der Rede vom Öffentlichkeitsdefizit, in: Maurizio Bach (Hrsg.): Die Europäisierung nationaler Gesellschaften, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderheft 40, S. 306-332, Wiesbaden

Emmanouilidis, Janis A./Giering Claus (2003): In Vielfalt geeint – Elemente der Differenzierung im Verfassungsentwurf, in: Integration, 4/2003, S. 454-467

Evers, Tilman (Hrsg.) (1994): Chancen des Föderalismus in Deutschland und Europa, Baden-Baden

Fischer, Joschka (2000): Gedanken über die Finalität der europäischen Integration”, in: Integration, 3/2000, S. 149-156

Frey, Bruno S. (1997): Ein neuer Föderalismus für Europa: Die Idee der FOCJ, Tübingen

Gauger, Jörg-Dieter/Weigelt, Klaus (1993): Föderalismus in Deutschland und Europa: Überlegungen zur Einführung, in: dies., Föderalismus in Deutschland und Europa, S. 8-17, Köln

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Anmerkungen

1

Einen bedeutenden Anstoß zu einer öffentlichen Föderalismus-Debatte gab beispielsweise die Rede des deutschen Außenministers Joschka Fischer an der Berliner Humboldt-Universität am 12. Mai 2000 mit dem Titel: „Gedanken über die Finalität der europäischen Integration”, siehe Integration, 3/2000, S. 149-156. Vgl. ferner Hrbek 2003: 189 ff.