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Begegnungen
Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Band 9:89–97.

HORST HASELSTEINER

Christianisierung Europas zwischen Rom und Byzanz

 

„Römisches Staatswesen, griechische Kultur und christlicher Glaube
sind die Hauptquellen der byzantinischen Entwicklung”.

 

Das ist der Einleitungssatz im grundlegenden Werk des großen europäischen Gelehrten und Kulturwissenschaftlers Georg Ostrogorsky in seiner 1940 erschienenen „Geschichte des byzantinischen Staates”.

Man kann durchaus weiter formulieren und diese Dreiheit für Europa und damit zu einem guten Teil für die moderne Welt reklamieren. Griechische Kultur, griechische Geistigkeit, römisches Recht, römischer Staat, Glaube und Spiritualität des Christentums sind zweifellos Grundlagen Europas und damit unserer Existenz. Dem Christentum in seiner umfassenden Integrationsfunktion der beiden genannten übernommenen und erhöhten Elemente kommt dabei die entscheidende Rolle zu.

Ablauf der Verbreitung des Christentums in Europa und seine historische Folgewirkungen sind Gegenstand dieser kurzen Überlegungen. Das im Titel angesprochene Spannungsverhältnis der Christianisierung Europas zwischen Rom und Byzanz meint das in der Folge des Großen Schismas 1054 aufgetreten Phänomen der scheinbar oder anscheinenden Spaltung zwischen West- und Ostkirche und damit des Kontinents in West- und Osteuropa.

Chronologische Mehrstufigkeit der Christianisierung Europas

Die Verbreitung des Christentums in den verschiedenen Regionen Europas war ein komplexer, keineswegs kontinuierlicher, in mehreren Wellen ablaufender, langandauernder Prozess. Der Ausgangspunkt war das Römische Reich, das „Imperium Romanum”. Zurzeit dieses Imperium Romanum verlief die Christianisierung in einer ersten Phase bis zum Mailänder Edikt Kaiser Konstantins 313 bzw. bis zur Erhebung des Christentums zur Staatsreligion unter Theodosius dem Großen 380 bzw. 395 als „private Einzelmissionierung” und gleichläufig mit der schrittweisen Romanisierung der Bevölkerung. Ab dem 4. Jahrhundert nahm sie durch die Unterstützung der Staatsspitze größeren Umfang an und erstreckte sich auf alle Bereiche, auf alle Provinzen des Imperiums. Mit der diokletianischen Reichsreform und vor allem mit der Etablierung eines zweiten imperialen Zentrums in Byzantion/Konstantinopel im Jahre 330 durch Konstantin war – zwar nach außen hin noch nicht so deutlich erkennbar – ein Dualismus eingeleitet worden, der zunächst noch durch den Universalitätsanspruch des Reiches und durch die Stellung des Bischofs von Rom, des Papstes, überlagert wurde.

Vom 4. bis zum 6. Jahrhundert hatte die Christianisierung die germanischen Völker Galliens (hier sind vor allem die Franken mit der Taufe Chlodwigs 498 zu erwähnen) und des Mittelmeerraumes erfasst. Im 4. und 5. Jahrhundert erfolgte die Verbreitung des Christentums bei den Iren, Pikten und Schotten, im 6. und 7. Jahrhundert bei den Angelsachsen. Im Anschluss daran begann die iro-schottische, später dann die angelsächsische Mission auf dem europäischen Festland. Gegen Ende des 8. und am Beginn des 9. Jahrhunderts kam es zur Durchsetzung des Christentums bei den Sachsen durch Karl den Großen. Vom 7. bis zum 10. Jahrhundert erfolgte in mehreren Wellen die Missionierung der Slaven, jener im Alpenbereich und im Dinarischen Gebirge, in Pannonien, in Mähren, in den Böhmischen Ländern, in Südosteuropa, die „karolingisch-ottonische Slavenmission” im Weichselgebiet und schließlich die Christianisierung der Kiewer Rus’. Im 10. Jahrhundert hatten die Magyaren und schließlich im 9. und 10. Jahrhundert die skandinavischen Völker das Christentum angenommen. Soweit ein chronologischer und geographischer Überblick über die Ausbreitung des Christentums in Europa.

Konkurrenz zwischen Rom und Byzanz im 9. Jahrhundert

Differenzen und Spannungen zwischen Rom und Byzanz in der Frage der Missionierung und der neuen und erneuerten Bistumsorganisation hatten eine lange Tradition bis ins 4./5. Jahrhundert. Die Zone der Rivalität umfasste vornehmlich Ostmittel-, Südost- und Osteuropa. Gerade in dieser Großregion sollte der angesprochene Dualismus nach dem Untergang des Weströmischen Reiches, nach dem Kontinuitätsbruch der Völkerwanderung, nach der Einwanderung bzw. nach dem Einsickern der Slaven und nach der Landnahme der Magyaren zur Wirkung kommen. Zwischen Rom und Konstantinopel/Byzanz, zwischen dem Papst und dem Patriarchen kam es in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts zu einem Konkurrenzverhältnis im beiderseitigen Bemühen um die Missionierung und Christianisierung in Mähren und Pannonien, bei den Slaven in Südosteuropa, bei den Bulgaren und im Bereich der Kiewer Rus’. Mitte der sechziger Jahre standen einander zwei markante und starke Persönlichkeiten gegenüber: Papst Nikolaus I. als prononcierter Vertreter des römischen Primates und Patriarch Photios von Konstantinopel, der nicht zuletzt auch aus Rivalität um den Missionsanspruch heraus Front gegen Rom bezog und – untermauert mit theologischen, rechtlich-kanonistischen und historischen Argumenten im Sinne der „translatio imperii” – sogar den geistlichen Vorrang von Byzanz ganz vehement anmeldete. Das „Photianische Schisma” eröffnete düstere Aussichten auf das künftige Schicksal der Ökumene der Christenheit. Aber zunächst konnte der endgültige Bruch noch vermieden werden, durch Teilkonzessionen von beiden Seiten. Das wechselseitige Anathema wurde aufgehoben, Photios von Rom anlässlich seiner zweiten Erhebung zum Patriarchen von Konstantinopel anerkannt, in der Missionsfrage fand man einen vorläufigen noch haltbaren Ausgleich. Die Christianisierung erfolgte zwar unter Konkurrenz der beiden Zentren, zeigte zweifellos auch byzantinische Erfolge, aber Rom blieb im Spiel und war als Alternative durchaus präsent.

Zusammenfassend kann man sagen, dass sich Rom, dass sich das „Erste Rom” in Böhmen und Mähren, in Ungarn und in Kroatien/Dalmatien sowie in Bosnien und der Herzegowina durchgesetzt hatte, dass sich Konstantinopel, dass sich das „Zweite Rom” aber in Bulgarien, in Serbien, in den restlichen Balkanbereichen sowie in Russland zu etablieren wusste. Allerdings bleibt festzuhalten, dass durch den Erfolg der beiden Slawenapostel Konstantin/Kyril und Method in Mähren und vor allem durch die erfolgreiche Tätigkeit ihrer Schüler in Bulgarien ab Ende des 9. Jahrhunderts, durch die Übernahme der altkirchenslawischen Schriftlichkeit und Kultur in ihrer glagolitischen, später in ihrer kyrillischen Variante, deren Annahme durch einen Großteil der orthodox orientierten Slaven, vor allem durch Russland, die Anwartschaft des slawischen „Dritten Roms”, die Anwartschaft Moskaus auf Führungsanspruch und Universalität im Rahmen der Christenheit grundgelegt wurde.

So linear und so eindeutig der Gesamtbefund der Christianisierung für den angesprochenen Raum auch aussehen mag, so dürfen doch im Hinblick auf den verzahnten historischen Ablauf der Übernahme des Christentums einige weiterführende und einschränkende Bemerkungen gemacht werden.

Ein Blick zunächst auf den bulgarischen Herrschaftsbereich soll dies verdeutlichen. Zwar hatte der bulgarische Khan Boris auf massiven kirchenpolitischen und militärischen Druck von Konstantinopel sich im Jahre 864/65 für die Taufe unter der Patronanz von Konstantinopel entschlossen. Bei der Taufe nahm er dann den Namen seines kaiserlichen Taufpaten Michael an. Seinem Ersuchen an Kaiser Michael III. und an Patriarch Photios um Entsendung von Priestern und Missionaren aus Konstantinopel wurde zwar Folge geleitstet, sein Wunsch nach Einräumung einer kirchenorganisatorischen Eigenständigkeit, nach einem Metropolitansitz wurde aber strikt abgelehnt. Daraufhin setzte sich der Bulgarenfürst mit Papst Nikolaus I. und mit dem Kaiser im Westen, mit Otto I., in Verbindung und ersuchte um Missionshilfe. Nikolaus I. entsandte zwei Bischöfe und einige Geistliche nach Bulgarien, zeigte sich aber in den kirchenorganisatorischen Fragen keineswegs geneigt, weitere Zugeständnisse zu machen. Daher fiel im Jahre 870 die endgültige Entscheidung. Boris/Michael entschloss sich für die byzantinische Orientierung. Bulgarien nahm allerdings rund 25 Jahre später die Schüler der Slawenapostel auf, die hier die Grundlage für die altkirchenslawische Kultur und Geistigkeit legten.

Auch die Entscheidung in Ungarn, beim Großfürsten Géza und dessen Sohn Vajk/Stephan, dem späteren König Stephan I., dem Heiligen, fiel nicht ganz selbstverständlich für die westliche Spielart des Christentums aus. Hatten doch die Magyaren bereits vor der Landnahme 895/96 in ihren damaligen Siedlungsgebieten nördlich des Schwarzen Meeres Kontakt zum Christentum in seiner östlichen Form. Gegen Mitte des 9. Jahrhunderts hatten einige führende Exponenten des magyarischen Stammesverbandes bereits das Christentum nach byzantinischem Muster angenommen. Rund 100 Jahre später, nach der Landnahme, war der mächtige Lokalpotentat im ostpannonischen Raum, war der sogenannte „Gyula” mit seiner Gefolgschaft auf byzantinische und donaubulgarische Vermittlung hin Christ geworden. Er war immerhin der Schwiegervater der Großfürsten Géza und gleichzeitig sein Rivale. Géza und sein Sohn entschlossen sich aber dann doch für die Übernahme des Christentums aus dem Westen, aus dem Bereich des Heiligen Römischen Reiches, und schickten ihre Abgesandten 872 zu Otto I., auf den Reichstag zu Quedlinburg. Dennoch blieb der Einfluss der „Ostkirche” im ostungarischen Bereich spürbar, wie die Präsenz von Basilianermönchen bis ins 12. Jahrhundert hinein zeigt.

Mitte des 9. Jahrhunderts ergab sich die erste Möglichkeit für Konstantinopel, das Christentum im benachbarten Bereich des Kiewer Rus‘ zu etablieren. 860 wurde die Kaiserstadt am Goldenen Horn erstmals ganz massiv von einem russisch-warägischen Militärunternehmen bedroht. Nach Abwehr der Belagerung versuchte Patriarch Photios zum ersten Mal, die Christianisierung im Bereich der Rus’ voranzutreiben. Aber außer bescheidenen Anfangserfolgen war dies zunächst ein Fehlschlag. Nicht ganz 100 Jahre später nahm die Witwe des Großfürsten Igor, nahm Ol’ga, die für ihren minderjährigen Sohn Svjatoslav die Regierung führte, wahrscheinlich in Konstantinopel mit ihrem Gefolge das Christentum an und ließ sich taufen. Da die politischen Gespräche mit Kaiser Konstantin VII. Porphyrogennetos nicht zu ihrer vollen Zufriedenheit verlaufen waren, erbat sich Großfürstin Ol’ga im Jahre 959 durch eine eigene Gesandtschaft bei Kaiser Otto I. Sukkurs. Sie ersuchte um Entsendung eines Bischofs und von Geistlichen. Im Jahre 961 kam Bischof Adalbert, der spätere Erzbischof von Magdeburg, mit geistlicher Begleitung nach Kiew. Aber der günstige Augenblick, der „kairos” war bereits vorüber. Denn der noch heidnische Sohn Ol’gas und Igors, der Großfürst Svjatoslav hatte bereits die Macht übernommen. Die Taufe von Ol’gas Enkel Vladimir 988/89 rund dreißig Jahre später erfolgte dann unter der Schirmherrschaft von Konstantinopel. Allerdings scherte auch Russland in die altkirchenslawische Orthodoxie ein und erhob rund 450 Jahre später den universellen Führungsanspruch der Christenheit als „Drittes Rom”.

Vielschichtig und interessant ist auch die ambivalente Entwicklung im serbischen Bereich. Die Teilterritorien des mittelalterlichen serbischen Staates lagen nördlich der spätantiken lateinisch-griechischen Sprach-, Kultur-, Reichsteilungs- und Diözesangrenze, nördlich der Linie Lissos/alban. Lezhe, Scupi/Skopje, Serdica/Sofia und des Balkangebirges/des Haemus. Daher ist für die Frühzeit des serbischen Mittelalters das Wirken der Romanitas, insbesondere in den küstennahen Gebieten der Zeta, des späteren Montenegro, nicht zu übersehen. Wesentliche Impulse zur Christianisierung gingen daher auch und vor allem von den romanisierten Küstenstädten aus. Rom selbst hat noch in den späteren Jahrhunderten das neuetablierte Erzbistum Antivari/Bar als Kristallisations- und Ausgangspunkt für die vom Stuhl Petri beanspruchten Gebiete am mittleren Balkan betrachtet: alle jene Regionen, in denen nach römischen Ritus in lateinischer, griechischer oder slawischer Sprache Gottesdienst gefeiert wurde. Für sämtliche in der Folgezeit wirksame Annäherungs-, ja Unionsversuche zwischen Serbien und Rom war Zeta/Montenegro der Ausgangspunkt und das Erzbistum Antivari/Bar die Drehscheibe. Anläufe in diese Richtung hatte es im 11., 12., 13., ja sogar noch im 14. Jahrhundert gegeben. In diesem Zusammenhang ist als Kuriosum zu erwähnen, dass der erste serbische König der Nemanjiden-Dynastie, dass Stefan Uroš der Erstgekrönte, prvovenčani, durch einen Legaten Papst Honorius III. die Königskrone überreicht bekam. Erst mit dem Bruder Stefan Uroš des Erstgekrönten, erst mit dem Mönch Sava, dem späteren Erzbischof verstärkte sich dann ab Mitte des 13. Jahrhunderts die eigenständige, die orthodox-kirchenslawische Prägung des mittelalterlichen serbischen Staates und der serbischen Kirche.

Beweggründe der Christianisierung

Spirituell-religiöse und pastorale Überlegungen haben bei den Motiven zur eingeleiteten Missionierung benachbarter Völker und frühmittelalterlicher Machtbereiche bei den Glaubensvermittlern zweifellos eine große Rolle gespielt, sowohl im Westen wie auch im Osten. Weniger stark ausgeprägt werden derartige Überlegungen weltanschaulich-religiöser Art wohl bei den Rezipienten des neuen Glaubens ausgeprägt gewesen sein, wiewohl die eigenen Chronikberichte und die einschlägigen Viten ein derartiges Bild vermitteln wollen.

Mit Recht wird bei den Vermittlern wie Rezipienten ein Motivbündel als Antrieb für Weitergabe und Übernahme anzusetzen sein. In Rom wie in Byzanz wird man neben der pastoralen Aufgabe der Verbreitung der Heilslehre Jesu Christi gemäß Matthäus 28,19 und Markus 16,15 macht-, außen- und sicherheitspolitische sowie auch wirtschaftliche Motivationselemente nicht übersehen dürfen. Die Beweggründe wurden in erster Linie vom „weltlichen Arm”, von den beiden Souveränen sehr wesentlich mitgetragen. Mit der Missionierung benachbarter, mächtiger, bisher heidnischer Machtgebilde verband man die Erwartung, neben religiös-geistig-kultureller Beeinflussung auch politischen Einfluss und machtpolitische Kontrolle zu übernehmen, bis hin zur Vorstellung der direkten Eroberung und Eingliederung der neuevangelisierten Territorien und Machtbereiche in das eigene Imperium. Mit der Christianisierung war aber auch die Vorstellung von der Pazifizierung und Ruhigstellung verbunden: der durchaus berechtigte sicherheitspolitische Aspekt, aus einem mächtigen, unruhigen und expansiven heidnischen Nachbarn einen berechenbaren Partner zu machen, mit dem man auch Bündnisse eingehen könne. Als Beleg und Beispiel für diese Grundüberlegung genügt der Hinweis auf die diesbezüglichen Vorstellungen von Photios nach der bedrohlichen Belagerung Konstantinopels im Jahre 860 durch das warägisch-russische Heer und die Überlegungen Otto I. in Quendlinburg 872 im Hinblick auf die Missionierung der Magyaren. Mit diesen macht-, außen- und sicherheitspolitischen Vorstellungen waren aber auch – und das sei keineswegs verschwiegen – finanzielle und wirtschaftliche Erwartungen verknüpft, rein profaner, weltlicher Art, aber durchaus auch im innerkirchlichen Bereich.

Motivvielfalt ist aber auch bei der militärischen und politischen Führungsspitze der Christianisierten festzustellen. Bei einem Teil war es die Erkenntnis von der deutlich spürbaren Verschiebung des militärischen Kräfteverhältnisses, die militärische Niederlage, wie bei den Magyaren die Schlacht auf dem Lechfeld 955, oder bei Khan Boris der massive Aufmarsch des byzantinischen Heeres in den Jahren 864/65 an der Grenze des bulgarischen Machtbereiches. Bei den Magyaren spielte ebenso die Überzeugung eine Rolle, dass die katastrophale Niederlage bei Augsburg auch transzendentale Ursachen haben müsse. Der Himmelsgott der Christen habe sich dem eigenen gegenüber als deutlich überlegen erwiesen. Sodann gelangt man zum nüchternen Kalkül, dass in der frühmittelalterlichen christlichen Staatengemeinschaft kein Platz für ein heidnisches politisches Gemeinwesen mehr wäre. Daher ist der Entschluss zur Übernahme des Christentums zum Teil auch ein Akt der existentiellen politischen Selbstbehauptung geworden. Géza und Stephan werden wohl das awarische Beispiel der Niederlage, des Niederganges und des Verschwindens aus der Geschichte vor Augen gehabt haben. – Die Führungsschichten der Rezipienten wollten aber auch in die internationale christliche Gemeinschaft der frühmittelalterlichen Staatenwelt als anerkanntes und akzeptiertes Mitglied aufgenommen werden. Sie wollten in diesem Rahmen ebenfalls eine Rolle spielen. Denn ohne Übernahme des Christentums hatte man keine „frühmittelalterliche Völkerrechtssubjektivität” aufzuweisen. Wohl gab es Absprachen und Tribut- und Unterwerfungsverträge mit den christlichen Nachbarn, aber keine durch Eid und Pakt abgesicherte volle Bündnisfähigkeit. Auch die zur Festigung der eigenen Stellung und zum Prestigegewinn nötigen dynastischen Heiratsverbindungen mit christlichen Prinzessinnen ließen einen Übertritt zur Konfession des Heiratspartners ratsam und notwendig erscheinen. Bei Vladimir von Kiew im Hinblick auf Anna Porphyrogennetos und bei Vajk/Stephan von Ungarn in Hinblick auf Gisella von Bayern zweifellos mit ein bedeutsamen Motiv für die Taufe. Mit der Übernahme der im europäischen Umfeld schon lange etablierten Religion war aber auch die Erwartungshaltung verbunden, die geistig-kulturellen Früchte dieser Tradition übernehmen zu können, daran Teil zu haben. Römisches Recht, politische Administration, griechische Kultur und Geistigkeit in der Synthese des Christentums, in der Schriftlichkeit des Kanzleiwesens, in Verbindung mit der magischen Anziehungskraft der höheren, der höherstehenden Kultur sollten mit der Christianisierung auch zur Konsolidierung des eigenen Machtgefüges, des eigenen Staates nach innen und nach außen beitragen. Die Festigung der Fürstengewalt, die angestrebte und versuchte Etablierung der politischen Eigenständigkeit, legitimiert durch den Akt der Krönung sollte eine eigene Staatsidee auf christlicher Basis schaffen. In der Folgezeit wurde in einigen Fällen einen eigene „Reichsidee” entwickelt, entweder nach selbstständiger Konzeption und Legitimation, oder subsidiär und konkurrierend als Sukzessor, Erbe und Nachfolger des Basileus oder des Kaisers.

Mehrschichtigkeit bei der Übernahme des Christentums

Mit der Taufe des jeweiligen Souveräns und seiner unmittelbaren Gefolgschaft war zwar ein spektakulärer und historisch meist fassbarer Beginn der Christianisierung bei den einzelnen Machtbereichen Ostmittel-, Südost- und Osteuropas gesetzt worden. Dieser Akt der „äußeren Christianisierung” begann an der Machtspitze und wurde durch die oft mit Zwangsmitteln durchgesetzten „Massentaufen” der untertänigen bäuerlichen Bevölkerung nach unten zu tragen versucht. Einschlägige Berichte zeitgenössischer und später verfasster Chroniken vermitteln davon ein recht eindrucksvolles Bild, wie zum Beispiel die Schilderung der Massentaufe der Einwohner Kiews im Dnjepr und in dessen Nebenfluss Počaja im Spätherbst des Jahres 989 in der Schilderung der altrussischen „Nestorchronik”.

In fast allen Bereichen aber blieb neben der neu angenommenen Religion durchaus noch die alte heidnische Tradition lebendig. Es kam zu heidnischen Reaktionen, zu Aufstandsbewegungen, zu blutigen Auseinandersetzungen, die oft um die Nachfolgefrage und die Absicherung der politischen Macht gingen. Dies geschah in mehreren Wellen und wurde durchwegs im Sinne der vollen Etablierung des Christentums und der christlichen Orientierung abgeschlossen.

Dem Prozess der „äußeren Christianisierung” folgte dann ein langer und vielschichtiger Prozess der „inneren Christianisierung” breiterer Bevölkerungskreise, eine echte „innere Mission” mit stärkerer religiöser, aber auch kultureller und wirtschaftlicher Einbindung der Bevölkerung. Daneben blieben aber in beträchtlicher Kontinuität alte, traditionelle, aus der heidnischen Zeit herrührende Anschauungen und Vorstellungen wirksam. Sie wurden zum Teil auch in das neue christliche Weltbild übernommen und integriert. Gerade für die erste Phase dieser „inneren Christianisierung”, mit dem Weiterleben alter Vorstellungen aus heidnischer Zeit, wurde – um ein Beispiel zu nennen – in der Kiewer Rus’ noch lange der Vorwurf der „dvoeverie”, der „Doppelgläubigkeit” erhoben und die innere Missionierung der Bevölkerung verstärkt. Alte Strukturelemente blieben aber dennoch mit einer beachtlichen Langzeitwirkung bei den einzelnen Völkern wirksam. Um an einem Beispiel die Mehr- und Vielschichtigkeit der religiös-weltanschaulichen Komponenten zu zeigen, sei auf die Albaner verwiesen. In chronologischer Reihenfolge sind folgende weltanschaulich-kulturelle sowie religiöse Elemente bei ihnen wirksam geworden und haben bis in die heutige moderne Zeit ihre Kontinuität und Wirksamkeit zum Teil behalten:

– der illyrisch-thrakische Volksglaube,

– die Vorstellungen von der griechischen Götterwelt,

– die verschiedenen Varianten der römischen Reichsreligion,

– die erste, frühe Phase der Christianisierung in den ersten drei nachchristlichen Jahrhunderten,

– der slawisch-heidnische Volksglaube,

– die zweite Phase der Christianisierung ab dem 5./6. Jahrhundert, zunächst vom Westen, dann vom Osten her,

– mit dem Vorstoß der Osmanen die Verbreitung und Etablierung des Islam und des „Seriat-Rechtes,

– das Weiterleben der christlichen Konfession in den traditionellen albanischen Stammes- und Sippenverbänden unter Osmanischer Herrschaft,

– das langsame Vordringen des Gedankengutes der neugriechischen und der italienischen Aufklärung und anderer westeuropäischer Einflüsse vom 18. bis zum 20. Jahrhundert,

– und schließlich zur Zeit des Zweiten Weltkrieges und danach die Übernahme des marxistisch-leninistischen Gesellschaftssystem des Kommunismus mit dem Atheismus als Verfassungsgrundsatz. Durch die jüngsten Änderungen in Albanien wurde dieses repressive, antidemokratische und areligiöse System aufgebrochen.

So ergibt sich für die Albaner, neben der zum Teil fortwirkenden Vielschichtigkeit, heute das bekannte Bild der konfessionellen Zusammensetzung: 2/3 Muslime, 1/4 Orthodoxe und rund 10 % Katholiken.

Die Christianisierung zwischen Rom und Byzanz ergibt ein heute noch bestehendes Bild der Bipolarität und der Vielfalt.

Von einer Einheit des Christentums, von einer Einheit der europäischen Christenheit kann bei weitem noch nicht die Rede sein. Und dies trotz der zahlreichen Anläufe zum ökumenischen Dialog.

Uns bleibt die Hoffnung und der Glaube, dass wir es in Hinkunft zuwege bringen, von der christlichen Solidarität, vom nebeneinander der christlichen Kirchen zu einer echten Gemeinschaft in der Einheit der Heilslehre und der Liebe Christi zu gelangen.

 

Literatur

 

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Thomas von Bogyay–János Bak–Gabriel Silagyi (ed.): Die Heiligen Könige (=Ungarns Geschichtsschreiber 1, Graz/Wien/Köln 1976).

Thomas von Bogyay: Stephanus rex (Wien/München 1975).

Karl Bosl: Probleme der Missionierung des böhmisch-mährischen Herrschaftsraumes. In: Cyrillo-Methodiana. Festschrift der Görres-Gesellschaft (Köln 1965).

J. Bujnoch: Zwischen Rom und Byzanz (=Slawische Geschichtsschreiber 1, Graz/Wien/ Köln 1972).

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Franz Grivec: Konstantin und Method. Lehrer der Slaven (Wiesbaden 1960).

Stanislaus Hafner: Serbisches Mittelalter. Geschichtsbewusstsein und Nationalität (unveröffentlichtes Vortragsmanuskript, Graz/Urania 1992).

Oskar Halecki: Grenzraum des Abendlandes. Eine Geschichte Ostmitteleuropas (Salzburg 1956).

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Gyula Moravcsik: Byzantium and the Magyars (Amsterdam 1970).

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Georg Ostrogorksy: Byzanz und die Welt der Slawen (Darmstadt 1974).

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Werner Seibt: Der historische Hintergrund und die Chronologie der Taufe der Rus’ (989) (unveröffentlichtes Manuskript, Wien 1988).

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Günther Stöckl: Russische Geschichte. Von den Anfängen bis zur Gegenwart (=Kröners Taschenausgabe 244, Stuttgart 1965).

Manfred Trummer: Die Christianisierung und Einbeziehung Russlands in die kyrillo-methodianische Tradition. Eine historisch-kulturhistorische Skizze anlässlich des 1000-jährigen Jubiläums der Russischen Kirche (unveröffentlichtes Manuskript, Graz 1988).

P. von Váczy: Die Anfänge der päpstlichen Politik bei den Slawen (Budapest 1942).

Franz Zagiba: Zur Geschichte Kyrill und Methods und der bairischen Ostmission. In: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 9 (1961) 247–276.