Begegnungen
Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Band 6:119–121.
HORST HASELSTEINER
Richard Georg Plaschka als Professor und Akademischer Lehrer
Verehrte Herren Präsidenten, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen!
Tätigkeit in der Lehre
Die ehrenvolle Aufgabe, den heute von Ihrer Hohen Akademie der Wissenschaften Geehrten als Professor und akademischer Lehrer zu würdigen, wurde mir anvertraut.
Herr Univ. Prof. Dr. Richard Georg Plaschka, unser hochgeschätzter und verehrter Lehrer, hat an der Universität Wien seit 1963 mehrere Generationen von Historikern ausgebildet und entscheidend mitgeprägt. Er hat rund drei Dutzend Doktoranden bis zur Promotion geführt. Die erste von ihm approbierte Dissertation von Peter Urbach behandelt – und dies verdient hier hervorgehoben zu werden – ein ungarisches Thema: „Der Umsturz 1918 in Budapest”. Direkten Ungarnbezug oder auch Ungarn berührende Fragestellungen weisen weit über ein Drittel, ja beinahe die Hälfte der bei Richard Georg Plaschka abgeschlossenen Doktorarbeiten auf. Darüber hinaus haben fast 100 Studierende der Geschichte ihre Haus- bzw. Diplomarbeiten bei Prof. Plaschka geschrieben.
Grundlage der Ausbildung waren zunächst die von Prof. Plaschka angebotenen Vorlesungen zur Geschichte Ostmittel-, Ost- und Südosteuropas. Bestechend klar gegliedert und rhetorisch mitreißend präsentiert, vermittelten sie den Hörern profunde Kenntnisse und tiefschürfende Einblicke einer über tausendjährigen komplexen historischen Entwicklung dieses Raumes.
Inhaltlich und Aspekt bezogen boten sie einen weitgespannten Bogen. Nur beispielhaft sind zu nennen: Nationale Frage und Minderheiten, Widerstand, Revolutionäre Umbrüche, Imperialismus, Expansion und Defension gegen die Osmanen, Verhältnis von Kleinstaaten zu den Großmächten, Kriege und Grenzziehungen, Sozialismus und Nationalsozialismus, Totalitarismus und Militarismus, Kultur-, Geistes- und Sozialgeschichte.
Ausgangspunkt war jeweils die komplexe und verzahnte Entwicklung in Ostmittel-, Ost- und Südosteuropa, es wurde aber jeweils der gesamteuropäische, der globale Zusammenhang mitberücksichtigt. Grundsätzliche methodologische und theoretische Fragestellungen wurden immer angerissen. Neben den Ablaufstrukturen wurde auch den vergleichenden Aufbaustrukturen erhöhte Aufmerksamkeit geschenkt.
In einer zweiten Stufe der Ausbildung setzten dann die Seminarlehrveranstaltungen ein. In intensiver und vertiefender Art sind die Seminarteilnehmer an die erste Erstellung von kleineren wissenschaftlichen Arbeiten, an das Formulieren und Behandeln von wesentlichen Fragestellungen und an die mündliche Darlegung und Diskussion der eigenen Ergebnisse herangeführt worden. Prof. Plaschka verstand es in unnachahmlicher Art, den Studierenden den Weg zur Bewältigung der vorgegebenen Aufgabenstellungen zu erleichtern, vor allem in den abschließenden Diskussionen die wesentlichen Zusammenhänge zu erläutern und einprägsam zu erhellen. Dies geschah in erster Linie in drei Sonderformen der Seminare: Bei den zwei- bis dreitätigen Blocklehrveranstaltungen im Stift Heiligenkreuz bzw. im Bildungshaus St. Bernhard in Wiener Neustadt, in der dichten Atmosphäre einer Art wissenschaftlicher Klausur mit einem Convivium der Lehrenden und Lernenden. Zweitens in der Form des Forschungsseminares, wo zu ausgewählten Fragestellungen die Seminarteilnehmer bewusst und behutsam an die Primärquellen herangeführt wurden.
Und schließlich in komprimierter Weise bei den Studienexkursionen, die bei den Studierenden als Klassiker galten.
Diese Exkursionen führte Prof. Plaschka nach Böhmen, nach Mähren, nach Galizien, nach Oberungarn (in die heutige Slowakei) mehrfach nach Ungarn, in die Vojvodina, nach Syrmien, Kroatien-Slawonien, Serbien, Makedonien, Albanien, Montenegro, Dalmatien, Istrien, ins Küstenland, nach Krain (ins heutige Slowenien), und nach Görz-Gradiska.
Der erreichte Sinn und Zweck dieser „rollenden Seminare” war es, den Teilnehmern neben der theoretischen-wissenschaftlichen Beschäftigung mit historischen Fragestellungen auch das anschauliche Begreifen des Landes, der Region, des Raumes, seiner Menschen, seiner Kultur und Geistigkeit und seines jeweils gegenwärtigen Zustandes zu vermitteln. Dies wurde verstärkt und vertieft durch die Treffen, die gemeinsamen Seminare, Diskussionen und Gesprächsrunden mit Professoren und Studenten in den Zielländern. Unvergessen bleiben in diesem Zusammenhang die Begegnungen im Frühjahr 1968 in Preßburg und in Brünn.
Im Schlussstadium ihrer Studien versammelte Prof. Plaschka seine Schüler im wöchentlich abgehaltenen Diplomanden- und Dissertantenkolloquium um sich. Hier hatten sie Gelegenheit, ihre Arbeiten zu präsentieren, die dann einer eingehenden Diskussion und Kritik unterzogen wurden. In diesem Rahmen begrüßte Prof. Plaschka auch zahlreiche Gäste aus dem Ausland: Professorenkollegen (aus Ungarn sind in diesem Zusammenhang György Ránki, Péter Hanák, Éva H. Balázs, Éva Somogyi, Emil Palotás, István Diószegi, Tibor Hajdu, Gyula Vargyai zu nennen), Nachwuchswissenschaftler, Postdiplomanden und Studierende vor allem aus dem östlichen, teils auch aus den westlichen Nachbarländern Österreichs. Dies trug zweifellos zur Horizonterweiterung der eigenen Doktoranden und Diplomanden bei. Zusätzlich blieben die hier geknüpften engeren wissenschaftlichen und persönlichen Verbindungen zu den ausländischen Gästen bis heute erhalten.
Durch diese intensive Art der Lehre hat Prof. Plaschka eine eigene Schule entwickelt. Fast die Hälfte der unmittelbaren Schüler (der Doktoranden) ist im wissenschaftlichen Bereich tätig, rund ein Fünftel als Lehrende an den Universitäten in Wien, Graz und Klagenfurt. Diese Lehrtätigkeit Plaschkas war immer auf den eigenen umfassenden Forschungen abgestützt. Grundlage dafür boten seine intensiven Archivarbeiten in Wien, Prag und Budapest, in Agram und in Belgrad, in Freiburg und in Moskau.
Das Ergebnis sind an die 150 Publikationen, darunter 5 grundlegende Bücher und mehr als ein Dutzend Herausgeberschaften von Sammelbänden.
Wirken von Prof. Plaschka in der Akademischen Selbstverwaltung der Universität bzw. der Universitäten
1976/77 war er Dekan der Geisteswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien und 1981–1983 Rektor der Universität Wien und Vorsitzender der Österreichischen Rektorenkonferenz.
In seine Amtszeit als Rektor fällt eine länderübergreifende, internationale Initiative: die Gründung der Donaurektorenkoferenz. – Und hier war Budapest von Anfang an mit dabei!
Um den Betrachtungsbogen zeitlich und – dem genius loci entsprechend – auch räumlich zu schließen, sei sein
Wirken in der Österreichischen Akademie der Wissenschaften
erwähnt. Er ist seit 1977 korrespondierendes, seit 1982 wirkliches Mitglied, und neben anderen Funktionen Obmann der Historischen Kommission.
Prof. Plaschka war lange Jahre der österreichische Vorsitzende des Komitees Österreich-Ungarn und damit gemeinsam mit unseren ungarischen Partnern und Freunden, zuletzt mit dem verewigten und unvergessenen Péter Hanák, für die beispielhaft fruchtbare Tätigkeit unserer bilateralen Zusammenarbeit verantwortlich. Er hat gerade in der bi- und multilateralen Zusammenarbeit den entscheidenden Beitrag für unsere mitteleuropäische Region geleistet:
Diese umfassende Kooperationsbereitschaft wurde auch international mehrfach gewürdigt:
mit dem Ehrendoktorat der Universität Kliment Ohridski in Sofia,
mit den Mitgliedschaften der Polnischen, der Serbischen und vor allem der Ungarischen Akademie der Wissenschaften.
Und hier schließt sich in der Tat der Kreis endgültig bis zu diesem solennen Ort und bis zum heutigen festlichen Tag.