Begegnungen
Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Band 3:105–111.
SUSAN ZIMMERMANN
Geschlechtsverhältnisse und Arbeitsteilung im Prozess der Industrialisierung
Der Alltag von Frauen in den entwickelten Industriegesellschaften des 20. Jahrhunderts war und ist grundlegend geprägt von der sogenannten Doppelbelastung durch Haushalt und Familie einerseits und Erwerbsarbeit andererseits. Forscht man nach den geschichtlichen Wurzeln der sich dahinter verbergenden Aufspaltung der gesellschaftlichen Arbeit in einen bezahlten und einen unbezahlten Teil und der damit verbundenen Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern, so findet man den historischen Bruch irgendwo im Übergang zur Hochindustrialisierung, von der zum Beispiel die österreichische Reichshaupt- und Residenzstadt Wien seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts erfasst wurde. Das historisch Neue der proletarisch-industriellen Lebensweise tritt besonders deutlich hervor, wenn man die Erwerbs- und Lebensverhältnisse der Arbeiter- und Arbeiterinnenbevölkerung im Wien der Jahrhundertwende mit denen der Menschen in den ländlichen Hauswirtschaften vergleicht, die in der ersten Phase der Industrialisierung in die sogenannte Protoindustrie eingebunden waren. Für die Geschichte der Frauen wie der Gesellschaft im 20. Jahrhundert ist es von zentraler Bedeutung, dass mit dem Übergang zur Hochindustrialisierung nicht nur eine veränderte Praxis, sondern ein zuvor unbekanntes Prinzip der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung entstand, auf dem spezifische Muster der Ausbeutung von weiblicher im Gegensatz zu männlicher Erwerbsarbeit aufbauten.
Der Haushalt als Subjekt der Geschichte
Die Epoche der Protoindustrialisierung war ökonomisch durch die Aufeinanderbezogenheit und den Widerspruch von überregional agierenden Händlern und Unternehmern einerseits, agrarisch gebundenen und in heimgewerblicher Produktion, insbesondere Spinnen, Weben und Sticken für diese Unternehmer tätigen Hauswirtschaften andererseits geprägt. Das Handeln der Menschen, die in solchen ländlichen Familienwirtschaften lebten, war von dem Ziel der gemeinsamen Sicherung der Existenz aller Haushaltsmitglieder geprägt. Von diesem Bestreben der Haushalte her betrachtet spielte es keine Rolle, ob der Beitrag der einzelnen Mitglieder durch sei es gewerbliche sei es agrarische Eigenproduktion, durch Weiterverarbeitung oder durch Verkauf von Arbeitsergebnissen zustande kam. Eine allgemeingültige Hierarchisierung dieser Tätigkeiten gab es nicht. Wer sich womit beschäftigte, entschied sich nach einem Prinzip der Ergänzung der Kräfte, gemäß dem die Arbeitskraft eines jeden Haushaltsmitgliedes so eingesetzt wurde, dass sie in Kombination mit der Arbeit der übrigen Familienmitglieder einen möglichst optimalen Beitrag zur Sicherung der gemeinsamen Subsistenz leistete.
Solange diese Hauswirtschaften keinen außergewöhnlichen Einwirkungen von außen ausgesetzt waren, existierte in ihrem Inneren, aufbauend auf dieser Logik, eine Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern, die in Anpassung an die unterschiedlichen ökonomischen Bedingungen in der Region und in der einzelnen Hauswirtschaft unterschiedliche kulturell tradierte, in manchen Gegenden rigide, in anderen weniger rigide Formen herausbildete.
Der Mechanismus der frühindustriellen Organisation der Produktion beruhte zu einem nicht unwesentlichen Teil auf diesen Verhältnissen in den ländlichen Hauswirtschaften. Die Händler und Unternehmer der Epoche konnten aus der Vergabe heimgewerblicher Auftragsarbeiten an die ländlichen Hauswirtschaften deswegen besonders hohe Profite ziehen, weil sie die darin eingebundenen Arbeitskräfte zu Löhnen „in Gang setzen” konnten, die unter dem individuellen Subsistenzniveau einer proletarisierten Arbeitskraft lagen. Dies war nur deshalb möglich, weil die Existenz der einzelnen Haushaltsmitglieder zumindest zum Teil durch die übrigen Tätigkeiten der Familienwirtschaft, durch Produktion für den Eigenverbrauch oder Tausch auf lokalen und regionalen Märkten gesichert war. Wenn eine solche Familienwirtschaft durch außergewöhnliche Ereignisse wie zum Beispiel einen Ernteausfall oder aber durch strukturelle Veränderungen wie Verschuldung oder Verlust des Bodens in eine stärkere einseitige Abhängigkeit vom Einkommen aus der heimgewerblichen Tätigkeit geriet, konnte die Ausbeutungsrate im Heimgewerbe noch gesteigert werden. Unter dem Primat der Aufrechterhaltung der gemeinsamen familienwirtschaftlichen Existenz führte in einem solchen Fall die Senkung der Löhne zu einer praktisch unbegrenzten Steigerung des Arbeitsaufwandes, insbesondere solange sich noch kaum Möglichkeiten zur Abwanderung und anderweitigen Beschäftigung zumindest von einzelnen Familienmitgliedern boten.
Die haushaltliche Subsistenzorientierung der ländlichen Familienwirtschaften und das Vorhandensein einer wie auch immer schon geschmälerten agrarischen Existenzbasis war in jedem Fall die Grundlage der Profitabilität der protoindustriellen Produktionsorganisation.
Im Inneren der Hauswirtschaften ließ die Einbindung in die heimgewerbliche Produktion das hinter deren kulturell tradierter Arbeitsorganisation verborgene Prinzip der Aufgabenteilung offenbar werden. Gleichgültig ob vermittels der Produktion für überregionale Märkte aus freien Stücken ein Zubrot verdient werden sollte, oder ob man bereits in einseitige Abhängigkeit geraten war, konnte die heimgewerbliche Tätigkeit unter bestimmten Umständen einen radikalen Wandel in der inneren Aufgabenteilung der Hauswirtschaften hervorbringen. So klagte etwa ein zeitgenössischer Beobachter im Stickereigebiet von Vorarlberg darüber, dass, wer eine heimgewerbliche Stickerin heirate, der armseligste Mann sei, denn diese würde die für die Haushaltung notwendigsten Tätigkeiten nicht mehr verrichten. Ein anderer Zeitgenosse zeichnete eine Stube, in der der Mann das Kind umsorgt, während die Frau fleißig spinnt. Eine derartige Flexibilität der Anpassung an sei es auch extreme äußere Umstände war nur möglich, weil nicht etwa das Geschlecht der Beteiligten „als solches”, als sogenannte „Biologie” und auch nicht eine Teilung der Arbeit in Produktion und Reproduktion hinter der geschlechtsspezifischen Zuweisung der Aufgaben innerhalb der Familienwirtschaft stand, sondern das Prinzip der möglichst sinnvollen Ergänzung der vorhandenen Kräfte zur möglichst optimalen Sicherung der gemeinsamen Existenz.
Eine neue Asymmetrie
Auch im hochindustriellen Wien der Jahrhundertwende standen den Unternehmern keineswegs atomisierte Individuen gegenüber die allein vom Verkauf ihrer Arbeitskraft lebten. Die Menschen waren erneut in Haushalte eingebunden, in denen ein mehr oder weniger großes Ausmaß an unbezahlter Arbeit verrichtet wurde. Erst dadurch wurde der Lohn, also das, was von bürgerlicher Seite als Marktwert der Arbeitskraft, von marxistischer Seite als der für die Reproduktion der Arbeitskraft notwendige Anteil am durch deren Arbeit wirklich geschaffenen Wert bezeichnet wird, erst in die Grundlage für die Sicherung des Überlebens verwandelt. Doch hatten sich die Verhältnisse zwischen den Mitgliedern der Haushalte und zwischen den unterschiedlichen Arten von Arbeit der einzelnen Haushaltmitglieder, insbesondere zwischen bezahlter und unbezahlter Arbeit und damit im Zusammenhang die Formen der Ausbeutung der Arbeit von Frauen wie von Männern radikal verändert.
Als eine in all ihren Tätigkeiten auf den Erhalt ihrer selbst gerichtete Einheit hatte der Haushalt unter städtisch-proletarischen Bedingungen zu existieren aufgehört. Eine Wiener Arbeiterin konnte auf der Suche nach Wegen zur Sicherung ihrer Existenz im Laufe ihres Lebens viele verschiedene Stationen der Einbindung in unterschiedlichste Haushaltsstrukturen durchlaufen. Vielleicht war sie als junges Mädchen zunächst nur „für die Saison” aus Böhmen nach Wien gekommen und wurde in der sogenannten „Lehrmädchenwirtschaft” gegen Kost und Quartier in den Haushalt des Arbeitgebers aufgenommen. Vielleicht hatte sie sich dann eine Schlafstelle als „Bettgeherin” in einem fremden Haushalt besorgt und ging als Dienstmädchen. Vielleicht arbeitete sie auch als Ledige in der Fabrik, oder sie nahm bei einer „Zwischenmeisterin” Arbeit an, die sich in ihren eigenen Wohnräumen „Mädchen hielt”, die sie im Subunternehmersystem der Bekleidungsindustrie für sich nähen ließ. Bekam sie, gleich ob ledig, verheiratet oder „im Konkubinate” lebend, ein Kind, so bedeutete dies entweder den Übergang zur Heimarbeit. Wenn die Frau weiterhin außerhäuslicher Erwerbsarbeit nachging, so wurde das Kind häufig, „in die Kost” gegeben – zu einer anderen Frau, manchmal auch an eine Verwandte, die über entsprechende haushaltliche Möglichkeiten verfügte und der für die Versorgung des Kindes ein gewisser Betrag bezahlt wurde. Doch ging das Bestreben, waren einmal Mann und Kind vorhanden, nach der Gründung eines eigenen Haushalts, mochte er auch – zunächst – nur aus einem Kabinett in einer fremden Wohnung bestehen.
All diese Haushalts- und Lebensformen waren eindeutig vom Primat des Gelderwerbs geprägt, sie bildeten sich heraus als abhängige Anhängsel der Lohnarbeit. In dem Maße, wie dem Haushalt im Zuge von Verstädterung und Proletarisierung seine eigene, agrarische Subsistenzbasis abhandengekommen war, konnte er zur Existenzsicherung nicht mehr unmittelbar beitragen, war er in einseitige Abhängigkeit vom Gelderwerb geraten und musste sich darauf beschränken, den von außen hereingetragenen Lohn in Leben umzusetzen. Die nicht entlohnte Arbeit im Haushalt war damit zwar nicht verschwunden, aber sie hatte ihren Eigenwert verloren, stellte keinen prinzipiell gleichwertigen Beitrag zur Existenzsicherung mehr dar. Zugleich jedoch war sie der unverzichtbare Bodensatz der industriellen Lohnarbeit, denn ohne sie war jede menschliche Existenz unvorstellbar. Eine Vermehrung der Arbeit im Haushalt, so zum Beispiel Selberkochen, Selberwaschen etc. konnte sogar weiterhin zur Verringerung der für die Sicherung des Lebens nötigen Geldmenge und umgekehrt, aus Unternehmersicht, wiederum zur Verringerung des für die Reproduktion des Arbeiters notwendig zu zahlenden Lohns beitragen. Doch konnte durch eine Vermehrung der unbezahlten Arbeit im Haushalt der einseitigen Abhängigkeit der Haushaltsmitglieder vom Gelderwerb nicht mehr gegengesteuert werden. Die menschlichen Tätigkeiten waren damit im Gegensatz zur vor- und protoindustriellen Epoche in einkommensschaffende, „produktive” Arbeit und in nach außen hin wertlose, gleichzeitig abhängige wie unverzichtbare, „Reproduktion” aufgespalten. „An Sonntagen”, so hieß es in einer Enquete über die Arbeits- und Lebensverhältnisse der Wiener Lohnarbeiterinnen, „arbeitet sie nie, sondern hält an diesem Täge die Wohnung in Ordnung. Vor Beginn der Arbeit besorgt sie die häuslichen Angelegenheiten”. – Und: „Während der toten Saison hungert sie halt etwas mehr”.
Die Frauen und die „Reproduktion”
Diese historisch neue Spaltung der gesellschaftlichen Arbeit bildete die Grundlage eines neuen Verhältnisses der Geschlechter und einer neuartigen Unterscheidung in der Ausbeutung von weiblicher und männlicher Arbeit.
Betrachten wir zunächst einmal die Sphäre der unbezahlten Arbeit, so war hier Schritt für Schritt, egal um welchen Typus von Haushalt es sich handelte, vor allem den Frauen die Zuständigkeit für die entwerteten „reproduktiven” Tätigkeiten zugewiesen worden. Mochte dies auch in vielen Fällen oberflächlich betrachtet an hergebrachten und ehemals aus dem Prinzip der Ergänzung der Kräfte entstandenen Aufgabenteilungen zwischen den Geschlechtern anknüpfen, so war dieser Rückgriff auf sogenannte Tradition ein rein formaler, der bestenfalls die ideologische Begleitmusik für die häufig mit rabiaten Methoden erzwungene Zuweisung von unbezahlter Arbeit an Frauen lieferte. Zum Beispiel waren den jugendlichen Zuwanderinnen in der „Lehrmädchenwirtschaft” die häuslichen Tätigkeiten, die sie zusätzlich zu verrichten hatten, häufig völlig unbekannt, und sie mussten sie erst erlernen. Von hier aus betrachtet erhellt sich auch die Frage nach der Bedeutung von weiblicher Gebärfähigkeit und Mutterschaft im Prozess der Zuweisung der Frauen in die neu entstandene, „reproduktive” Sphäre. Zwar verwies die Sorge um ihre (kleinen) Kinder als eine unbezahlte, „reproduktive” Tätigkeit Mütter tatsächlich sozusagen automatisch in die Sphäre der, „Reproduktion”, doch bietet eben dies keinerlei Erklärung etwa für die Verhältnisse in der „Lehrmädchenwirtschaft”. Ganz offensichtlich war vielmehr an die Stelle des alten Prinzips der Ergänzung der Kräfte der Versuch getreten, den Geschlechtsunterschied an sich, als abstraktes Merkmal zur Zuweisung von Menschen in verschiedene Lebenssphären zu benützen – was auch mit dem Begriff des „Sexismus” umschrieben werden könnte.
Die Frauen und die „Produktion”
In der Erwerbsarbeit waren ähnliche Muster Grenzziehungen entlang des von den Eigenschaften und Fähigkeiten der konkreten Person völlig abgelösten abstrakten Merkmals, „Geschlechtszugehörigkeit” unverkennbar. Nur zum Teil konnte es der faktischen Bindung von Frauen an die „Reproduktion” zugeschrieben werden, dass sich im Erwerbsarbeitssektor klare Unterscheidungen zwischen weiblicher und männlicher Arbeit, eine „zunehmende Divergenz” weiblicher und männlicher Berufsrollen herausbildeten. Besonders augenfällig wurde dies dort, wo Frauen die Erfordernisse der Sorge für Kinder mit der Notwendigkeit des Broterwerbs nur durch die Übernahme von Heimarbeit vereinbaren konnten und auf dieser Grundlage, „typisch” weibliche Erwerbsarbeitssektoren entstanden. Die eingeschränkten Möglichkeiten dieser Frauen zu freier Bewegung auf dem freien Arbeitsmarkt mögen auch eine Erklärung für die besonders schlechte Bezahlung dieser Arbeit abgeben.
Dennoch zeigt ein genauerer Blick auf die Erwerbsverhältnisse in Wien der Jahrhundertwende, dass es letztendlich in keiner Weise die konkrete Bindung der einzelnen Frau an die „Reproduktion” oder gar eine sogenannte weibliche Biologie war, die für die Herausbildung „typisch weiblicher” und im Durchschnitt deutlich schlechter entlohnter Erwerbsarbeitssektoren verantwortlich zeichnete. Die geschlechtsspezifische Zuweisung von Arbeitsplätzen war vielmehr ein wichtiger Faktor in der in stetem Fluss begriffenen Umgestaltung der Produktionsorganisation. Zum Beispiel fand sich Frauenarbeit gehäuft nicht nur in sogenannten Restproduktionen, deren Wegrationalisierung unmittelbar bevorstand, sondern spielte auch in den fortgeschrittensten und in rascher Entwicklung befindlichen industriellen Leitsektoren eine zunehmend bedeutende Rolle. In der ohnedies expandierenden Wiener Elektroindustrie etwa nahm ihr Anteil zwischen 1902 und 1913 von 12,6 auf 25,2 Prozent zu. Der Einsatz der Frauen diente hier dazu, die Entwertung von Arbeitskraft im Zuge der Umstrukturierung der Produktion mit Hilfe des Einsatzes eines anderen, anhand des abstrakten Merkmales „Geschlecht” unterschiedenen Typus von Arbeitskraft, möglichst reibungslos erst durchzusetzen.
Frauenarbeit war nicht deswegen billig, weil für den entsprechenden Arbeitsplatz weniger Qualifikationen oder weniger Körperkraft nötig war, was schon allein durch die simple Tatsache bewiesen wurde, dass in der zitierten Enquete die Rede immer wieder darauf kam, dass eine weibliche Hilfsarbeiterin auch „auf demselben Platze” weniger Lohn als ein Mann erhielt. Die Geschlechtszugehörigkeit war vielmehr einfach eines der Merkmale, die dazu benutzt werden konnten, Abstufungen des Wertes von unterschiedlichen Arbeitskräften erst zu konstruieren: „Sie sagen, der Werkführer schreibt Einer mehr ein, den anderen weniger. Warum macht er einen Unterschied? Das tut er nur bei den Frauen. Den Männern schreibt er ganz gleich ein, aber bei den Frauen probiert er’s halt. Das sind ja lauter Männerarbeiten, welche die Frauen machen. Nun fällt es ihm auf einmal ein, die Arbeiten, die bisher ein Mann gemacht hat, einer Frau zu geben. Da kann man nicht sagen, ich kann das nicht machen; er gibt uns die Arbeit, damit er weniger zu zahlen braucht.” Die Männer gerieten angesichts dieses Vorgehens zwischen die Stühle der Verteidigung des eigenen Arbeitsplatzes und des Lohnniveaus. Überließen sie auf der einen Seite, so hieß es, sobald „Abzüge gemacht” und weniger gezahlt wurde, ihre „Arbeit gutwillig den Frauen”, so sagten sie auf der anderen Seite den Frauen oft: „Lassen Sie sich das nicht gefallen!”. Insgesamt also erleichterten es die Abstufungen entlang der Geschlechtszugehörigkeit, im Zuge der voranschreitenden Arbeitsteilung, die eine immer größere Polarisierung zwischen einer Mehrheit unqualifizierter und einer Minderheit verantwortungsvoller Arbeit hervorbrachte, die geringere Entlohnung der unqualifizierten Bereiche und damit die Profitabilität dieser voranschreitenden Arbeitsteilung erst auf die Spitze zu treiben.
Zwei Welten
Innerhalb des Haushaltes verstärkte die Minderentlohnung der weiblichen Erwerbsarbeit dann den ohnedies vorhandenen Trend zur Zuständigkeit der Frauen für die unbezahlte Reproduktionsarbeit. Es war nicht nur vernünftiger, dass der Mann, der „nuneinmal” mehr verdiente, sich stärker im Lohnarbeitssektor engagierte, sondern dieser Mehrverdienst verlieh ihm angesichts der strukturellen Abhängigkeit des Haushalts und seiner Mitglieder vom Geldeinkommen auch eine zuvor unbekannte Macht. An die Stelle der komplexen und übrigens keineswegs idyllischen oder gewaltfreien Balance von Machtverhältnissen zwischen gegenseitig Abhängigen im vorindustriellen Haushalt war im proletarischen Haushalt die Möglichkeit getreten, dass, wer mehr Geld verdiente, unbezahlte Arbeit der Abhängigen als Dienstleistung erzwingen und in diesem Sinne gewaltförmig agieren konnte.
In dem Maße, wie im Laufe des 19. Jahrhunderts bezahlte und unbezahlte Arbeit auseinanderfielen und sich das neue asymmetrische Verhältnis zwischen beiden etablierte, wurden insgesamt tendenziell zwar Männer von der unbezahlten, Frauen jedoch nicht von der bezahlten Arbeit frei. Diesseits und jenseits des in dieser Form neukonstruierten abstrakten Geschlechtsunterschieds entstanden die zwei Welten der erniedrigten weiblichen „Reproduktion” und der schlecht bezahlten verweiblichten Erwerbsarbeit einerseits und der männlichen „freien Lohnarbeit” andererseits. Der Haushalt geriet zum Verbindungsscharnier zwischen je individualisiert für die Sicherung ihrer Existenz Arbeitenden. Die weibliche Reproduktionsarbeit subventionierte dabei nicht nur die eigene, sondern auch die männliche Erwerbsarbeit zugunsten der Unternehmer.
Der Kampf von Frauen wie Männern, ihre Menschenwürde gegenüber dieser sexistischen Aufspaltung von bezahlter und unbezahlter Arbeit in den industriell-proletaristischen Verhältnissen in Wien der Jahrhundertwende als Einzelne wie gemeinsam zu verteidigen, ist weder in den Akten der bürgerlichen Sozialreform noch in denen der Arbeiterbewegung dokumentiert.
Die Autorin war 1990–1991 Stipendiatin des Europa Institutes Budapest.