1088 Budapest, Rákóczi út 5.; Tel: (36 1) 381 23 47; E-mail: Ez az e-mail-cím a szpemrobotok elleni védelem alatt áll. Megtekintéséhez engedélyeznie kell a JavaScript használatát.

I.
Die Europäische Union und Ungarn,
2006–2007

Bericht
über die Tätigkeit des Europa Institutes Budapest
2006–2007

 

A) Die drei großen Unternehmungen der Europäischen Union

 

Blicken wir auf die jüngste Geschichte der Europäischen Union, dann sehen wir es als wichtig an, drei Ereignisse hervorzuheben, die im Lauf des vergangenen akademischen Jahres stattfanden. Das eine ist die Erweiterung der Union in Richtung Südosteuropa: Zum 1. Januar 2007 nahm die Europäische Union Rumänien und Bulgarien in die Reihen ihrer Mitglieder auf. Das zweite Ereignis ist der Beginn der neuen mittelfristigen Planperiode der Europäischen Union: Am 1. Januar 2007 begann die siebenjährige, von 2007 bis 2013 andauernde perspektivische (Entwicklungs-) Wirtschaftsplanungsphase der EU. In ihrem Verlauf wird sich entscheiden, inwieweit die Union in der Lage sein wird, die mittelosteuropäische Region wirtschaftlich-institutionell in das Gesamtgefüge der Europäischen Union zu integrieren. Die zehn im Jahre 2004 aufgenommenen Staaten, darunter auch Ungarn, konnten bzw. mussten ja bereits nationale Sieben-Jahres-Entwicklungspläne ausarbeiten und Rumänien und Bulgarien, die 2007 aufgenommen wurden, können diese Planungen innerhalb von zwei Jahren „einholen”. Das dritte Ereignis, das hervorzuheben ist, stellt das neue Umweltwirtschaftsprogramm dar: Die am 8./9. März 2007 von den Ministerpräsidenten der EU-Mitgliedsstaaten unterschriebene Erklärung bekennt sich dazu, bis zum Jahre 2020 die Emission der Treibhausgase um 30 % zu verringern.

Wie sehen wir – als Leiter des Europa Institutes und als Gestalter seines Programms – die zu erwartenden Auswirkungen dieser drei Geschehnisse auf die Entwicklung der Europäischen Union und welche Schlussfolgerungen sind daraus für die Arbeit und die Aufgaben unseres kleinen, in bescheidenem Rahmen tätigen Institutes zu ziehen?

 

1.) Die Südosterweiterung der Union

Die Notwendigkeit der gewaltigen Erweiterung der Union im Jahr 2004 wurde von niemandem vor der politischen Öffentlichkeit in Frage gestellt. Wir können uns vielmehr an die drei – politischen, wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen – Hauptargumente erinnern. Das politische Argument lautete: Die westlichen Politiker hatten noch vor der Gründung der Union (1992) den Ländern der einstigen sowjetischen Zone versprochen, dass sie in die westeuropäische politisch-wirtschaftliche Organisation (in die damalige EG) aufgenommen werden würden. Es war also kaum möglich, dieses politische Versprechen im Laufe der 1990er Jahre zurückzunehmen – und damit auch ein Jahrzehnte lang propagiertes Ziel aufzugeben. Das wirtschaftliche Argument war Folgendes: Die Union wird im Zuge der Osterweiterung an Kraft gewinnen, denn zum einen verfügen die neuen Staaten über eine auf europäischem Niveau arbeitende Mittelschicht und Expertengarde, zum anderen wird der erweiterte Markt auch zu einer Belebung der westeuropäischen Unternehmen führen. (All diese Aspekte stehen im Einklang mit der im Jahre 2000 in Lissabon formulierten Vorstellung, wonach die Union sowohl die USA, als auch die fernöstliche Region überflügeln und sich bis zum Jahre 2010 zur mächtigsten Wirtschaftsmacht der Welt entwickeln werde.) Das sicherheitspolitische Argument stellte sich folgendermaßen dar: Seit 1990 bedroht die Gefahr kriegerischer Auseinandersetzungen die südöstliche Region des europäischen Kontinents. Die lokalen ethnisch-religiösen Gegensätze können nicht nur dort zum Krieg führen, sondern Nationalismus und Terrorismus auch auf Westeuropa transponieren. (Die in der ersten Hälfte der 1990er Jahre wieder auflebenden Minderheitenkonflikte und nationalen Minderheitenbewegungen in Westeuropa – sowohl in Südtirol und im Baskenland als auch in Frankreich und Großbritannien – sind auch nach der Meinung damaliger Analysten auf die „Renaissance” der ethnischen Minderheiten in Osteuropa zurückzuführen. Und diese Furcht wurde durch den immer wieder aufflammenden ethnisch motivierten Bürgerkrieg in der südslawischen Region sowie durch den „großen Krieg” des Jahres 1999 verstärkt.) Es ist also besser, die Region innerhalb der Union zu wissen und die westeuropäischen Institutionen auch auf diese auszuweiten – so lautete die Schlussfolgerung bzw. Argumentation. Und dieselben Gründe sprachen auch – wenn vielleicht auch ein wenig modifiziert – für die erneute Erweiterung. Für die Aufnahme Rumäniens und Bulgariens wurde insbesondere ein ökonomisches Argument angeführt, nämlich dass dadurch einer der wichtigsten Korridore der EU, das Donautal, vollständig ins Innere der Union gelange. Überdies wurde – vor allem im Falle Rumäniens – ein sicherheitspolitischer Gesichtspunkt angeführt: Die NATO könne hier gegenüber dem russischen Atomwaffenarsenal ihr eigenes Arsenal an Atomraketen in Stellung bringen. Damit würden die NATO-Staaten bzw. die Vereinigten Staaten auch ihre Abhängigkeit von der immer stärker durch den Islam beeinflussten Türkei verringern und so die Türkei als langjährigen Kandidaten aus den Reihen der aufzunehmenden Länder herausfallen lassen. (Dieses Argument wurde natürlich nur stillheimlich und in Expertendiskussionen zur Sprache gebracht.) Es verstummten auch die Stimmen derjenigen, die für eine Aufnahme der südslawischen Region argumentierten. Jetzt wollte man den ethnischen Konflikten in der südslawischen Region nicht mehr durch eine Integration in die Union vorbeugen, sondern den Nationalismus gerade außerhalb der Grenzen der Union halten.

Es gab nur wenige, die bereits zur Zeit der Erweiterung von 2004 auch Gegenargumente anführten. (Und auch jetzt sind es wenige, sind wir wenige.) Insbesondere stellten sie die ökonomischen Gründe der Erweiterung in Frage. Die ersten – realistischen – kritischen Einwände betrafen bereits Lissabon. Diesbezüglich wurde erklärt, dass die Zahlen der Jahre von 2000 bis 2004 zeigen würden, dass das, was dort formuliert wurde, eher eine Wunschliste war als ein realistischer Plan. Die USA – und sogar auch die fernöstliche Region – entwickle sich nämlich viel dynamischer, als die Europäische Union. Es gab wenige, d.h. wir waren wenige, die wiederholt betonten: Die Einschätzung des ökonomischen Potentials der osteuropäischen Region ist nicht realistisch. Es sei zwar Tatsache, dass diese Region dem internationalen Kapital einen guten Markt zum Vertrieb ihres Produktionsüberschusses eröffne, ihre Produktionskapazitäten und das Niveau ihrer Arbeitskräfte sei aber wesentlich niedriger, als das Niveau, von dem die Ökonomen in den Jahren von 1990 bis 2004 ausgingen. Die neuen Mitgliedstaaten würden so die Wirtschaftskraft der Union als Ganzes nicht etwa stärken, sondern vielmehr schwächen. Die neuen Staaten würden sich als schwache Einzahler erweisen und viel Unionsgeld verbrauchen. Sie würden gerade das Geld verschlingen (und dann zur Linderung sozialer Spannungen verwenden), das die Union sonst zur wissenschaftlich-innovativen Erneuerung der westeuropäischen Region verwenden könnte, also zur Entwicklung jener Sphären, in deren die USA und die Staaten des Fernen Ostens Europa bereits weit hinter sich gelassen hätten. Es wurde auch diskutiert, ob die Vorbereitung der Erweiterung angemessen fundiert worden sei. Diese Frage wurde von uns bereits 2004 erörtert und wird auch heute noch diskutiert. Die Vorbereitung auf die EU-Erweiterung war nicht angemessen, weder von Seiten der Union bzw. der westeuropäischen Gesellschaften (der dortigen Intellektuellen), noch von Seiten der Verwaltung der Kandidatenstaaten bzw. der östlichen Gesellschaften (der dortigen Intellektuellen). Auch die Planung der Erweiterung geschah nicht in angemessener Weise: Es wurde viel zu viel von der spontanen Kraft der Integration erwartet. (Vor allem wurde zu sehr daran geglaubt, dass die Unternehmenssphäre und die Investitionen automatisch eine gewisse Ausrichtung bzw. Entwicklung der Institutionen mit sich bringen würden.) Das Problem der Harmonisierung der Rechtsordnungen wurde unterschätzt, sie wurde nicht konsequent genug gefordert und auch nicht angemessen vorbereitet. Hier wäre eine staatlich-politische, bewusste Intervention in besonderem Maße erforderlich gewesen. Oder anders ausgedrückt: Die Verwaltung der Union und die Staatsverwaltungen der Kandidatenländer haben sich in diesen Jahren als schwach erwiesen und erweisen sich auch heute noch als schwach.

Die Leitung des Europa Institutes hat sich auch daher in den vergangenen Jahren – und auch im letzten Jahr – eingehend mit der Osterweiterung der EU, mit ihren Lehren und mit der jetzigen südosteuropäischen Erweiterung von 2007 befasst und tut dies auch gegenwärtig. (Hierüber hat der Wissenschaftliche Beirat auf seinen Sitzungen in den Jahren 2004 und 2006 entsprechende Stellungnahmen verabschiedet.) Diese Schwerpunktsetzung ist vor allem deshalb begründet, weil die Aufnahme Rumäniens und Bulgariens für Ungarn neue – wirtschaftliche, politische, kulturelle und umweltwirtschaftliche – Chancen bietet. Hierauf haben wir bei den Konferenzen des vergangenen Jahres eindringlich hingewiesen und wir werden auf dieses Thema in unserem Bericht noch zurückkehren.

 

2.) Der mittelfristige Entwicklungsplan der Europäischen Union

Die jetzt beginnende siebenjährige Planungsperiode wird für die gesamte Union, insbesondere aber für die zwölf neuen Staaten, also für die mittel- und südosteuropäische Region, von entscheidender Bedeutung sein.

a) Die Bedeutung der Planungsperiode für die Union als Ganzes: Gegenwärtig ist (wäre) es notwendig, eine institutionelle Harmonisierung in den west- und den osteuropäischen Staaten herbeizuführen. Es handelt sich um die wechselseitige Anpassung von Entwicklungen, die Jahrhunderte lang unterschiedlich verliefen, und um die wechselseitige Anpassung von zwei politischen Kulturen sowie von zwei Traditionslinien. (Diese Frage wurde unserer Meinung nach von den Politikern nicht ernst genug genommen.) Zum einen hatte Osteuropa – und darin Mittelost- und Südosteuropa – mehrere Jahrhunderte lang immer staatliche Ordnungen, die von der Dominanz der Exekutivmacht geprägt waren. In diesen Systemen war die zivile Sphäre außerordentlich schwach entwickelt und die Gesellschaft hing in viel größerem Maße als in Westeuropa von der jeweiligen Staatsmacht ab. (Die Politiker (und Politologen) neigen heute dazu zu glauben, dass die Etablierung des politischen Mehrparteiensystems automatisch die politischen und gesellschaftlichen Verhaltensweisen verändern werde.) Zum anderen verstärkten die 45 Jahre der sowjetischen Herrschaft in der osteuropäischen Region die politische Praxis der – traditionellen – Dominanz der Exekutivmacht noch weiter und schwächte bei den Bürgern diejenigen Verhaltensweisen, die einer zivilgesellschaftlichen Demokratie angemessen sind.

In den folgenden sieben Jahren wird sich erweisen, ob die freie Mobilität der Arbeitskräfte auf dem Binnenmarkt der Union, insbesondere das Hereinströmen „billiger” osteuropäischer Arbeitskraft in den westeuropäischen Raum, zu regionalen Spannungen in Westeuropa führen wird. Und jetzt, in dieser siebenjährigen Periode, muss ein neuer Zusammenschluss der Intellektuellen zustande kommen, denn gegenwärtig (2007) beginnt in den zehn neuen Mitgliedsstaaten die „Inbetriebnahme” des so genannten Systems von Bologna. Und nun, im Zuge dieses Sieben-Jahres-Plans, wird sich entscheiden, ob die Union in der Lage ist, mit administrativen Mitteln diejenigen Veränderungen in der technisch-wissenschaftlichen Sphäre durchzuführen, die den auf dem Kontinent lebenden Gesellschaften vielleicht die Chance eröffnen, ihr Zurückbleiben hinter den an der Spitze der Welt stehenden Gesellschaften, vor allem hinter derjenigen der USA, zu bremsen und im Wettbewerb den wissenschaftlich-technischen Großmächten in Fernost nicht zu unterliegen. Ist es in Europa überhaupt möglich, mit administrativen Mitteln auf Staats- bzw. Unionsebene – also mit Budgetausgaben – eine wissenschaftlich-technische Modernisierung zu erreichen? In den fernöstlichen Gesellschaften wird diese erfolgreich auf diese Weise betrieben, in den USA wird die Modernisierung aber beispielsweise von Privatinvestoren herbeigeführt. Vereinfacht ausgedrückt: Kann der für Wissenschaft und Innovation verwendete Anteil des GDP überhaupt mit der Steigerung der Budgetausgaben erhöht werden? Es ist nämlich so, dass das Privatkapital nur sehr langsam in die europäischen Entwicklungen einfließt, und es ist gewiss, dass das Kapital „auf Befehl” seine Aufwendungen für Entwicklung und Forschung nicht erhöhen wird. Aus dieser Perspektive erscheint nicht nur die Stellungnahme von Lissabon aus dem Jahre 2000 wie eine – so die Beurteilung von Václav Klaus – „an das Christkind geschickte Wunschliste”, sondern auch die Stellungnahme von Barcelona des Jahres 2002 – als man sich zum Ziel setzte in den EU-Mitgliedsstaaten im Bereich von Research and Development (R+D) bis 2010 ebenso viel zu investieren wie in den USA und in Japan – eher wie eine, so die Bewertung von Franz Fischler, „Kongressparole der KPdSU”. (Die Aussichten geben heute – im Jahre 2007 – keinen Grund zu Optimismus.) Und diese siebenjährige Planungsperiode kann darüber entscheiden, ob es notwendig ist, die seit den 1880er Jahren – mehr oder weniger gut, aber dennoch – funktionierende soziale Marktwirtschaft und den so genannten sozialen Wohlfahrtsstaat vollständig aufzulösen. Dieser war schließlich die bislang höchste Manifestation des jüdisch-christlichen Lebensprinzips – also der Solidarität – in der Gemeinschaftsorganisation und bei der Staatenbildung.

In dieser siebenjährigen Planungsphase entscheidet sich also, ob die Gesellschaften des europäischen Kontinents ihre Spitzenrolle in der Weltwirtschaft und Kultur neben den USA bewahren können oder ob sie zurückfallen. Es kann sich aber auch ein Entwicklungsmodell herausbilden, das vom Maßstab der heutigen Werteordnung abweicht und das vielleicht nicht nur in der Anhäufung technischer Mittel und in der Akkumulation riesiger Privatvermögen die großen Ziele der Menschheit erblickt, sondern auch in der Neubewertung des Verhältnisses von Mensch zu Mensch, oder vielleicht sogar der Beziehung des Menschen zur Natur? Ist es beabsichtigt, die Steuergelder, die größte und sicherste Geldquelle der Welt, hierzu zu verwenden? Diese öffentlichen Gelder werden auf heute bereits infrage zu stellende – gleichsam unkontrollierbare – Weise verwendet, und zwar für die geschäftlichen Ziele der existierenden, Politiker „erschaffenden” Kapitalistengruppen, die technische Mittel (Waffen) produzieren, sowie für die Zwecke der mit ihnen verbundenen „finanztechnischen” Kapitalistengruppen. Der Gemeinnutz dieser Absichten ist – milde ausgedrückt – zu hinterfragen.

Was auch immer passiert, so kann doch festgestellt werden, dass sich das europäische Wertesystem noch im Stadium der Geburtswehen befindet. Wir wissen nicht, was geboren wird. Können die amerikanischen neokonservativen (in Ungarn „neoliberal” genannten) politischen „Wahrsager” gerade in Europa jene Träume in die Wirklichkeit umsetzen, die sie zuhause in den USA nicht vollständig verwirklichen können? Kommt in Europa eine neue, gänzlich auf dem Privatkapital basierende Ordnung zustande? Oder wird das Neugeborene eher den klassischen europäischen Traditionen ähnlich sein? Wird es etwas geben, was dazu fähig ist, die technischen Neuerungen mit der traditionellen Sozialität und vielleicht sogar mit dem neuen Ökologismus zu vereinigen? In sieben Jahren werden wir diese Fragen besser beantworten können.

b) Aus der Perspektive der Gesellschaften der osteuropäischen – mittel- und südosteuropäischen – Region wird diese siebenjährige Planungsphase unter anderem deshalb entscheidend sein, weil sie in der gegenwärtigen Planungsperiode im Haushalt der EU bevorzugt behandelt wird. Ob sie ihre besondere Stellung hinsichtlich des Budgets zu nutzen verstehen oder nicht, das hängt von den neuen Mitgliedsstaaten selbst ab. Sie müssen jetzt ihren spezifischen Platz auf dem neuen Markt des Kontinents – sowohl in wirtschaftlicher, als auch in kultureller Hinsicht – finden und sie müssen ihr System der wirtschaftlichen und politischen Institutionen jetzt so umgestalten, dass sie möglichst viel Geld aus den angebotenen bzw. ausgeschriebenen EU-Mitteln für sich in Anspruch nehmen können. Die Geschichte der Union bietet Beispiele für geschicktes Verhalten und für Findigkeit, sie bietet aber auch Beispiele für das Versäumen von Möglichkeiten und für die Verschwendung finanzieller Mittel. (Portugal und Irland sind die positiven Beispiele, Griechenland das negative.) Nach 1945 hing niemals so viel von der Vorbereitung und vom Talent der jeweiligen politischen Führer ab, wie jetzt in diesen sieben Jahren. Es ist allerdings fraglich, ob tatsächlich talentierte Personen an der Spitze der staatlichen Verwaltung stehen. Es bleibt offen, inwieweit sie auf Europa vorbereitet sind und über welche, die Welt betreffende Kenntnisse verfügen. Inwieweit sind sie in der Lage, die Möglichkeiten ihrer eigenen Volkswirtschaften zu überblicken und die Gesellschaft, nicht zuletzt die Intellektuellen, zu mobilisieren? Inwieweit sind sie fähig, für denjenigen politischen Konsens, der für die „großen Entwicklungen” unbedingt notwendig ist, zu sorgen? Können sie die ländlich-kleinstädtische Gesellschaft, vor allem die ländlich-kleinstädtischen Mittelschichten, dazu bewegen, sich nach Ausschreibungen zu erkundigen und sich zu bewerben? Die Ausschreibungen der Union sind nämlich nicht an die Regierungen gerichtet, sondern an bestimmte Gruppen bzw. an lokale (oder transnationale) Selbstverwaltungen. Der Weg zu den Geldern der Union führt über die intellektuelle Mittelklasse der ländlich-kleinstädtischen Gebiete – so wird es jedenfalls gesagt. Diese gesellschaftliche Gruppe ist – wegen der Hauptstadt-Zentriertheit und auch wegen der Übermacht der Exekutive – in der mittel- und südosteuropäischen Region ziemlich schwach. Inwiefern ist sie dazu fähig, die Budgetgelder für große Entwicklungen als „lokale Teilhaber” der Ausschreibungen zu mobilisieren? Ohne diese Fähigkeiten sind die Quellen der EU nicht zugänglich. Jetzt wird sich entscheiden, ob man in der Lage ist, die nationalstaatlichen Anfeindungen, die seit zwei Jahrhunderten den ökonomisch-umweltwirtschaftlichen Raum in Mittel- und Südosteuropa zerstören, zu überwinden. Inwieweit wird man fähig sein, anstelle der Kleinmärkte, die aus der nationalstaatlichen Zersplitterung der vergangenen 90 Jahre hervorgegangen sind, regionale Märkte aufzubauen? Erstmals seit 1920 eröffnen sich jetzt Möglichkeiten, um große, grenzüberschreitende Projekte in Gang zu setzen. (Ein solches könnte das „Donau- Programm”, das regionale Verkehrsprogramm oder das Wasserwirtschaftsprogramm usw. sein.) Derartige Programme wurden durch die nationalstaatliche Zersplitterung zwischen 1920 und 2004 von vorneherein verhindert. Wird man zur Zusammenarbeit fähig sein? Werden die Intellektuellen der Nationalstaaten bereit und fähig sein, ihre eigennützigen Interessen, nämlich die Tatsache, dass sie aufgrund der nationalstaatlichen Zerrissenheit immer ziemlich gut lebten, aufzugeben? Oder aber werden sie das Mehrparteiensystem dazu nutzen, sich mittels der politischen Instrumentalisierung nationaler „Wunden” Positionen im Staat zu verschaffen und diese in den Dienst nationaler Feindseligkeiten zu stellen, wie dies in der Slowakei, in Ungarn und in Rumänien noch immer geschieht. In diesem Fall ist keine Kooperation möglich und die Vorteile des von der EU angebotenen Großraummarktes können dann nicht genutzt werden.

Für die östlichen Räume Europas entscheidet sich also jetzt Folgendes: Wird der schnelle Anschluss oder einfach die „Behandlung” der durch den Systemwechsel bewirkten inneren Erschütterungen der Gesellschaft das Ergebnis der besonderen Position der Region im Budget der Union in den Jahren von 2007 bis 2013 sein? Die Schlussfolgerungen, die auf den Konferenzen des Institutes gezogen wurden, stimmen nicht optimistisch. Gemäß unseren Analysen war nicht nur die Vorbereitung in den Jahren vor 2004 unzureichend – oder genauer gesagt die von den Regierungen zu initiierende Vorbereitung der Harmonisierungsverfahren zwischen Ungarn und die EU im Bereich des Verwaltungswesens –, sondern auch die Maßnahmen im Bereich Entwicklung und Planung in der Periode von 2004 bis 2007. Überdies wurden überhaupt keine zwischenstaatlichen Planungen durchgeführt, um große Entwicklungsprojekte in Gang zu setzen. Das Institut hat mehrere grenzüberschreitende Projektvorschläge unterbreitet, um mit diesen Aufmerksamkeit zu erwecken, so zum Beispiel auf das – später bekannt gegebene – Donauprojekt, auf das Projekt für Landesentwicklung, auf das Wasserwirtschaftsprojekt im Karpatenbecken sowie vor allem auf das Balkanprojekt. (Siehe hierzu deren Vorstellung im zweiten Teil unseres Berichts, unter „Konferenzen” und „Projekte”.)

 

3.) Initiierung eines neuen Projekts für Umweltwirtschaft

Seit ihrer Gründung (1992) stand die Europäische Union an der Spitze der weltweiten Umweltschutzbewegungen. Die europäischen Staaten initiierten bereits in den 1970er Jahren große internationale Vogel- (Tier-) und Meeresschutzaktionen. Sie haben internationale Sanktionen verabschiedet, die für die Staaten der EWG bzw. später für die der EG verpflichtend waren. In Europa fand die erste große internationale „Ökologiediskussion” (1984–1987) statt, die sich auch auf die Sowjetunion ausbreitete. Dort wurde erstmals auf der Welt von der Regierung unter Michail Gorbatschow der Umweltschutz zum Regierungsprogramm erhoben. In Europa (Großbritannien, (West-) Deutschland) bildeten sich von 1988 bis 1990 die ersten internationalen Umweltschutzorganisationen (sowie spezielle Verlage, wissenschaftliche Gesellschaften, Zeitschriften) und es wurden bzw. werden Programme für den kontinentalen Umweltschutz verabschiedet. (Gegenwärtig läuft das 6. derartige Programm.) Auf den großen internationalen Weltkonferenzen der Vereinten Nationen zum Umweltschutz (Stockholm 1972; Rio 1992; Kioto 1997; Johannesburg 2002) waren die europäischen Staaten Vorkämpfer für die Verabschiedung von internationalen Bestimmungen zum Umweltschutz, während die anderen beiden, große Verschmutzung verursachenden Staaten (USA, China) Verpflichtungen zum Umweltschutz immer boykottierten. Hinter den großen politischen Aktionen verbargen sich natürlich auch wissenschaftliche Diskussionen. (Deren Teilnehmer stellten aber nicht selten wissenschaftliche Gesichtspunkte hinter nationalstaatliche und finanzielle Interessen.)

Auf die Grundpositionen der großen Diskussion können wir hier nur verweisen. Gemäß dem Standpunkt der Umweltschützer (ökologischer Standpunkt) wuchs der (seit 1850) messbare Anteil an Kohlendioxyd und Methangas in der Erdatmosphäre kontinuierlich. Diese Entwicklung beschleunigte sich im 20. Jahrhundert plötzlich und führte zum Anstieg des Treibhauseffekts, der in erster Line für die Erderwärmung verantwortlich ist. Diese wiederum verursacht extreme Wetterlagen, die Verödung einzelner Gebiete (Wüstenbildung) sowie die Veränderung der großen Strömungen in den Weltmeeren (Golf). Und die Treibhausgase gelangen in erster Line durch die Verbrennung fossiler Energieträger (vor allem Kohle und Erdölprodukte) in die Atmosphäre. Die Menschheit, die im Laufe des 20. Jahrhundert von einer auf sechs Milliarden Menschen anwuchs, wird im 21. Jahrhundert vermutlich eine Gesamtzahl von zwölf Milliarden Menschen – nach optimistischen Angaben von nur neun Milliarden – erreichen. Diese Entwicklung bringt weiteren Energiebedarf mit sich. Als Folge werden die Menschen auch weitere natürliche Gebiete zur Lebensmittelproduktion und für den Wohnungsbau erschließen und in künstliche Umgebungen umwandeln. Gemäß den Vorstellungen der Anhänger des ökologischen Standpunktes müssen internationale Aktionen initiiert werden, die vor allem den Ausstoß der Treibhausgase verringern und die Förderung von Kohle und Erdöl einschränken. (Dies bedeutet, dass in erster Line Europa, die USA und China ihre Rohstoff- und Energieproduktion einschränken müssen.) Gemäß den Anhängern dieser Position müssen große Geldsummen dazu verwendet werden, erneuerbare Energiequellen zu erschließen (Sonnen-, Wind- und Wasserenergie sowie „grüne” Energien).

Zentrales Argument des anderen Standpunkts – wir können ihn auch „technokratischen Standpunkt” nennen – ist Folgendes: Die Bedeutung der von Menschen produzierten Treibhausgase im gesamten Ökosystem der Erde ist zu vernachlässigen – in der Tat machen diese insgesamt nur 3 % aus. Wenn ein Vulkan beginnt, in größerer Menge Rauch in die Atmosphäre zu schleudern, dann – so sagen sie – stößt er sogar mehr Kohlendioxyd, Methan und sonstige giftige Gase aus, als die gesamte Menschheit. Es gibt also keinen Grund zur Hysterie. Die andere Seite hat aber auch noch ein weiteres Argument: In der Geschichte der Erde wechselten sich Erwärmung und Abkühlung mehrmals ab. (Dies können wir für die vergangenen 700.000 Jahre mit ziemlicher Gewissheit rekonstruieren.) Die gleichmäßige Temperatur der vergangenen 12.000 bis 14.000 Jahre charakterisiert eine für frühere Zeiten nicht übliche, ausgeglichene Periode, die die Vermehrung des „Mensch” genannten Säugetiers möglich machte. Nun nähern wir uns – vermutlich – dem Ende dieser ausgeglichenen Periode bzw. die Situation verändert sich von selbst. Der „Faktor Mensch” (anthropogene Faktor) verursachte also nicht den Klimawechsel, sondern hier ist lediglich die Eigengesetzlichkeit der Erde am Werk. Als drittes Argument führen sie ins Feld, dass wir den Mechanismus der Erde zur Selbstkorrektur nicht genügend kennen würden (Feedback-Mechanismus), d.h. also, dass beispielsweise die Fähigkeit der Meere und Grünflächen, Kohlendioxyd aufzunehmen und umzuwandeln, nicht unterschätzt werden sollte. Es ist letztlich also – so die Vertreter des technokratischen Standpunktes – überflüssig, um die Erde zu fürchten.

Es scheint, dass die große ökologische Diskussion jetzt, im Februar 2007, einen Wendepunkt erreicht hat. Das Internationale Gremium für Klimawandel (IPCC – International Panel of Climate Change), das seit 1992 unter der Obhut der Vereinten Nationen tätig ist, vertritt in seinem regulären, alle vier Jahre publizierten Bericht den Standpunkt, dass für den Klimawandel anthropogene Faktoren eine Rolle spielen. Darauf hin wurde auf dem Treffen der Regierungschefs der Europäischen Union am 8./9. März 2007 das – oben bereits angesprochene Programm – verabschiedet: Die EU will den Ausstoß von Treibhausgasen bis 2020 um 30 % verringern und zugleich 20 % der in der Union verwendeten Energie aus erneuerbaren Energiequellen gewinnen. (Fügen wir hinzu, dass auch die G8 am 1. Juni 2007 – auf ihrer zu diesem Zweck einberufenen Konferenz – eine Absichtserklärung über die Verringerung des Ausstoßes von Treibhausgasen und über die verstärkte Nutzung erneuerbarer Energiequellen verabschiedete.)

Die Bedeutung des neuen Programms für Umweltwirtschaft ist noch nicht abzuschätzen und nicht absehbar. Es stellt sich die Frage, ob es gelingt, dieses Programm in der östlichen Hälfte Europas durchzuführen, wo der Anteil an erneuerbaren Energiequellen nur ein bis drei Prozent der verwendeten Energie ausmacht. Auch ist zu fragen, wie man die Gesetzgebung der Union im Interesse entsprechender Veränderungen umgestaltet werden kann. (In unserem Zeitalter bildet ja gerade die Tatsache einen der größten Widersprüche, dass wir wissen, dass die Umweltverschmutzung ein „globales” Phänomen ist: Wenn also auf dem Gebiet des einen Staates eine Umweltverschmutzung verursacht wird oder die Urwälder abgeholzt werden, dann werden sich die Folgen davon auch auf der anderen Hälfte der Erde bemerkbar machen. Es gibt – und das ist der Widerspruch – auch noch keine internationalen Bestimmungen und Gesetze, die in allen Teilen der Erde eingehalten würden, und es gibt keine solchen Weltorganisationen, die für die weltweite Einhaltung dieser Gesetze sorgen könnten. Wenn dies innerhalb der EU gelingt, dann wäre es eine einmalige Leistung in der internationalen Geschichte der Institutionsbildung.) Es stellt sich nun aber auch die Frage: Kann die europäische Landwirtschaft die Möglichkeiten nutzen, die die Produktion der Grundstoffe für die „grüne Energie” bietet? Die ländlichen Räume könnten mittels einer klugen und schnellen Veränderung der Produktionsstruktur zu einem Produktionsstandort für die neuen Energiegrundstoffe werden. Dies würde den ländlichen Gebieten große Entwicklungsmöglichkeiten eröffnen. Zu fragen ist auch, ob sich die verschiedenen grünen Bewegungen, die nicht immer frei von anarchistischen Tendenzen sind, darauf einigen können, gegen welche Formen der Energieerzeugung sie demonstrieren wollen und welche Energiequellen sie für umweltfreundlich halten. Es kann nicht sein, dass sie ständig sowohl gegen die Atomenergie und die fossilen Energieträger, als auch gegen die Produktion von Energie aus Wasserkraft und – jetzt auch – gegen die Windenergie und gegen die „grüne Energie”, die den Boden ohne Zweifel schonen, poltern – und gleichzeitig im privaten Leben selbstverständlich ebenso Energie (Strom, Verkehrsmittel, Warmwasser usw.) verbrauchen, wie alle anderen. Eine weitere Frage ist, ob es der technischen Wissenschaft gelingen wird, sich zu entwickeln, und sie einen entsprechenden Maschinenpark zur Erzeugung der neuartigen Energien bereitstellen kann. Offen ist auch, ob es die Gesellschaftswissenschaften, die Medien und die Politiker schaffen, die einzelnen Menschen zu umweltfreundlichen und -pflegenden Bürgern zu erziehen, sie gerade mit Instrumenten der Wirtschaft zum Umdenken anzuregen oder auch – wenn nötig – die kapitalistischen Interessen gesetzlich in Schranken zu weisen.

Das neue Programm für Umweltwirtschaft kann die europäischen Gesellschaften – auch mit den Maßstäben der Weltwirtschaft – verändern und neue Möglichkeiten bieten.

 

B) Programme des Europa Institutes Budapest

 

Die Programme des Europa Institutes Budapest begannen vor 17 Jahren. Seit Anfang an zielen sie darauf ab, die gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Prozesse in Europa zu verfolgen und die aktive Beteiligung an den Entwicklungen zu fördern. Zudem bezwecken sie, in Ungarn dabei behilflich zu sein, die Vorteile und Nachteile der Integration aufzuzeigen und der hiesigen Gesellschaft und Wirtschaft bei ihrer Chancenverwirklichung in Europa zu helfen. Auch hiervon ausgehend befürwortete der Wissenschaftliche Beirat bereits 2004 und 2006, das Balkanprojekt in Angriff zu nehmen, und beschloss, dass das Institut den Versuch unternehmen sollte, seine Position im Unterricht auszubauen, an die Universität umzuziehen und eine Ausbildungsrichtung mit dem Thema „Europa” zu entwickeln. Seit dem vergangenen akademischen Jahr (2006/2007) ist das Institut auf der Grundlage dieser Zielsetzungen tätig und versucht, die – oben angesprochenen – neuen Entwicklungsprozesse in Europa im Rahmen von Veranstaltungen und Publikationen aufzuarbeiten.

 

1.) Veranstaltungskalender

Der Veranstaltungskalender des Institutes gestaltete sich im vergangenen akademischen Jahr in folgender Weise:

7. September 2006: „Die ungarische Revolution von 1956 in der Weltgeschichte” (Internationale Konferenz; zur Zusammenfassung siehe das Kapitel „Veranstaltungen”).

7. November 2006: „Deutsche Ansiedlung” (Vorlesung).

16. November 2006: „Richtungssuche beim Balkanprojekt. Wie weiter im Jahre 2006/2007?” (Konferenz mit den Instituten in Ungarn, die sich mit der Balkan-Forschung beschäftigen; zur Zusammenfassung siehe das Kapitel „Veranstaltungen”).

25. November 2006: Bewertung des Projektentwurfs „Wasserwirtschaft im Karpatenbecken”; Einreichung des Projekts beim Ministerpräsidenten (zum Text siehe den Anhang).

19. Dezember 2006: Start des Projekts „Die Donau, Tor zum Balkan” (zur Zusammenfassung siehe das Kapitel „Veranstaltungen”, das sog. Bitó-Projekt).

31. März 2007: Werkstattgespräch über die universitäre Fachrichtung „Einführung in die Geschichte der europäischen Integration und in ihr gegenwärtiges institutionelles System” mit MA-Abschluss; Einreichung des Projekts an der Eötvös-Loránd-Universität (ELTE) und beim Ungarischen Akkreditierungsausschuss (zum Text siehe den Anhang).

13. April 2007: Konferenz: „Zwischen Unabhängigkeit und Autonomie. Kosovo: europäische und ungarische Perspektiven (zur Zusammenfassung siehe das Kapitel „Veranstaltungen”).

11. Mai 2007: „Das 50. Jubiläum der Ungarischen Revolution von 1956 – aus US-amerikanischer Perspektive (Vortrag).

15. Mai 2007: „Das Donautal als Objekt der Balkan-Forschung, der Wasserbewirtschaftung, des Verkehrs und der ethno-kulturellen Forschungen” (Werkstattgespräch mit Experten).

5. Juni 2007: „Der ‚vergessene’ Hintergrund von Trianon: Die Frage des Militärs” (Vorlesung).

26. Juni 2007: „Historische Umwälzungen in Osteuropa 1990–2007” (Vorlesung von Iván T. Berend).

28. Juni 2007: „Die Balkanpolitik Russlands” (Internationale Konferenz; zur Zusammenfassung siehe das Kapitel „Veranstaltungen”).

Die Leistungen des Institutes im vergangenen Jahr lassen sich anhand der folgenden Themen bewerten:

– Fortsetzung des Balkanprojekts (Konferenzen, Studien, Vorträge) und Erweiterung um das Donauprojekt.

– Wasserbewirtschaftung im Karpatenbecken (mit Hilfe der Unterstützung von Prof. Bitó)

– Geschichte Osteuropas

– Initiierung des Europa-Studiums an der Eötvös- Loránd-Universität (ELTE)

– Neugestaltung der Instituts-Homepage und Betreibung der Balkan-Homepage.

Über die Veranstaltungen und Projekte legt der Bericht in den einzelnen, unten zu lesenden Kapiteln („Veranstaltungen” und „Anhang”) detailliert Rechenschaft ab. Im Folgenden lenken wir die Aufmerksamkeit auf einige Lehren, die der Vorstand des Institutes auf seinen wöchentlichen (Donnerstags-) Sitzungen formulierte. Auf den Zusammenkünften wurden die Konferenzen und Vorträge kontinuierlich ausgewertet.

 

2.) Schlussfolgerungen

a) Balkanprojekt

a/1.) Die politischen Verwaltungen waren auf die südosteuropäische Erweiterung der Europäischen Union nicht vorbereitet. Diese Feststellung schließt die Verwaltung der Europäischen Union ebenso wie auch die Verwaltungen der Kandidatenländer ein. (Und inbegriffen sind hier auch die Verwaltungen der von der Erweiterung in erster Linie betroffenen Nachbarstaaten, darunter auch diejenige Ungarns.) Diejenigen Institutionen, die die Möglichkeiten, die sich im Zuge der Erweiterung sowohl für die Balkanländer, als auch für die Nachbarstaaten und die westlichen Länder eröffneten, hätten nutzen können, wurden nicht ins Leben gerufen. Gründe hierfür sind, dass die Verwaltungen der einstigen sozialistischen Staaten mit inneren, parteipolitischen Scharmützeln beschäftigt waren, bzw. sind sowie mit jenen Auseinandersetzungen, die auf die innergesellschaftliche Umgestaltung zurückzuführen sind, und die der politisch-wirtschaftliche Systemwechsel hervorrief; währenddessen vertraute und vertraut die Verwaltung der westlichen Staaten zu sehr auf spontane Mechanismen, steht übermäßig unter dem Einfluss des amerikanischen neoliberalen (neokonservativen) Verständnisses von Gesellschaft, welches zu viel von der Fähigkeit des Kapitals, die Gesellschaft spontan zu organisieren, erwartet.

a/2.) Weder die westeuropäischen, noch die osteuropäischen Intellektuellen haben jene Institutionen geschaffen – genauer gesagt: der Staat schuf sie nicht und das Kapital wird sie niemals schaffen –, die Kenntnisse über die Balkan-Region vermitteln. Das Fehlen von Kenntnissen über den Balkan ist Teil des Mangels an Kenntnissen über Europa, der für den gesamten Kontinent charakteristisch ist. Unserer Meinung nach befindet sich nämlich der Wissensstand über Europa und – innerhalb des Kontinents – über die osteuropäische Region, also über Mittel- und Südosteuropa, sowohl in Westeuropa als auch in den sozialistischen Ländern im Allgemeinen auf einem sehr niedrigen, traurig stimmenden Niveau. Wir sprechen jetzt allerdings nur über den Mangel an Kenntnissen über den Balkan. Diese Kenntnisse (Informiertheit) hätten allgemeinen Nutzen, für Investitionsvorhaben ebenso, wie für die Entwicklung des Arbeitsmarktes und die Planung der individuellen Lebenswege der Bürger. Man hat sich aber noch nicht bewusst gemacht, dass die kommende Generation ihren Lebensradius nicht mehr unbedingt im Rahmen der hundertfünfzigjährigen Nationalstaaten finden wird, sondern im kontinentalen oder zumindest regionalen Radius entdecken muss. Und wir dürfen auch nicht vergessen, dass die Gründung und Betreibung von Institutionen, die dem Gemeinnutz dienen, eigentlich Aufgaben der staatlichen Verwaltung darstellen. (Es ist charakteristisch, dass im Internet kaum Homepages zu finden sind, die sich in Fremdsprachen mit dem Thema „Balkan” befassen. Auf der Homepage des Europa Institutes Budapest – also einer privaten Einrichtung – wird bereits eine – wenn auch vorläufig nur in ungarischer Sprache publizierte – „Zeitschrift” mit monatlichen Updates veröffentlicht. (Näheres siehe unten.)

a/3.) Auf den Konferenzen des Institutes wurden die Positionierung der Balkan-Region in der Weltwirtschaft und im Welthandel, die für den Balkanraum möglichen sowie von der Union bereits ausgearbeiteten regionalen Entwicklungspläne, die Verkehrsverhältnisse auf dem Balkan, seine Positionierung in der europäischen Lebensmittelproduktion sowie die Minderheitenkonflikte in der Region bereits behandelt. (Hierüber hat die Programmleiterin des Balkanprojekts, Andrea Antal, eine Zusammenfassung erstellt, die im Anhang zu lesen ist. Die Materialien zu diesen Konferenzen wurden in einem gesonderten Band der Institutsreihe „Begegnungen” auf Ungarisch – und jetzt auch auf Englisch – publiziert.)

Besondere Beachtung verdient die Rolle des Balkanraumes im Handel zwischen Westeuropa und dem Fernen Osten. Während die westeuropäischen Häfen – von Amsterdam bis Marseille – voll ausgelastet sind, bietet der Ausbau der Häfen in der Balkanregion große Möglichkeiten für den Import von Waren aus dem Fernen Osten und für ihren Weitertransport auf dem Land-, insbesondere aber auf dem Wasserweg (Donau). (Auf den Konferenzen erfolgte ein konkreter Vergleich der Importkosten für die verschiedenen Transportsysteme und der Möglichkeiten des Lastentransports zu Wasser und zu Lande (Eisenbahn und Landstraße).

Mit gesteigerter Aufmerksamkeit ist auch die zukünftige Kapazität der neuen Länder bei der Lebensmittelproduktion zu verfolgen. Die Lebensmittelüberproduktion in der Europäischen Union erfordert einen Abbau der Kapazitäten bei der Lebensmittelproduktion in Südosteuropa. (Dieses Ziel wird zumindest mit dem Subventionssystem der EU angestrebt.) Die hiesigen Regierungen werden wegen der – aktiv betriebenen oder von außen herbeigeführten – Senkung der Lebensmittelproduktion aufgrund des hohen Anteils an Personen, die von der Landwirtschaft leben, mit einer gewaltigen Arbeitslosigkeit konfrontiert werden.

Herausragende Aufmerksamkeit verdient überdies der Minderheitenkonflikt als politisch-gesellschaftlicher Konflikt, der die allgemeine politische und ökonomische Entwicklung sowie die Integration beeinträchtigt. Unserer Meinung nach gibt es weder in der Region noch in der gesamten EU eine eindeutige Linie zur Handhabung der Konflikte zwischen den Minderheiten (Kosovo). Zwar betonen die Leiter der EU, dass sich das Autonomieprinzip, das in Kosovo zur Anwendung gebracht werden soll, natürlich nur auf Serbien bezieht, jedermann ist sich aber bewusst, dass es, wenn die EU einmal im albanisch-serbischen Konflikt irgendeine Form der Autonomie fordert, dann unmöglich sein wird, die Frage der verschiedenen Formen von Autonomie – auch hinsichtlich des ungarisch-rumänischen und ungarisch-slowakischen Konflikts – nicht auf die politische Tagesordnung zu setzen.

a/4.) Für Ungarn ergeben sich bei der Ausarbeitung des Donauprojekts besondere Verpflichtungen und Möglichkeiten. In der Region existieren zahlreiche Donau-Komitees (von Deutschland bis Bulgarien) und riesige Geldsummen werden von Ad-hoc-Ausschüssen für lokale Kleinprojekte verbraucht. Niemand hat allerdings einen Überblick darüber, wer was macht. (Die Teilnahme des Institutes bei der Initiierung des Donauprojekts begann damit, dass es die Tätigkeit der Donau-Ausschüsse beleuchten und die bisherigen Vorstellungen zu den einzelnen Flussabschnitten der Donau zusammenstellen wollte.) Als größtes Hindernis erwiesen, bzw. erweisen sich das Fehlen einer internationalen Koordination sowie die Tatsache, dass die lokalen Umweltschutzbewegungen eine Aufstauung der nicht-schiffbaren Abschnitte der Donau (Untere Donau, Strecke Wien-Budapest) verhindern. In Ungarn gelangte der Umweltschutz zudem vom Expertentisch auf die Bühne der Straßendemonstrationen und sachunkundiger Erwägungen, die nur dem parteipolitischen Nutzen dienen. Ein Hindernis stellt auch dar, dass ein Programm für den Donau-Komplex synthetisierende Elemente im wissenschaftlich-technischen Denken erfordert, denn das Donau-Programm ist sui generis zugleich ein Wasserbewirtschaftung-, Umweltwirtschafts-, Verkehrs- und auch Kulturprogramm. Hierzu wäre die Kooperation verschiedener Experten notwendig. Das Netz der wissenschaftlichen Institutionen (Lehrstühle, Forschungsinstitute) ist aber zersplittert, die Institutionen sind mit Experten besetzt, die den Impaktfaktoren nachlaufen, die angrenzenden Bereiche der Forschung aber nicht kennen und unfähig sind, sich in Richtung einer Synthese zu bewegen. Es gibt zugleich keinen Zweifel daran, dass das Europa Institut – zusammen mit dem Strategischen Programmausschuss der Ungarischen Akademie der Wissenschaften (MTA) – eine Initiativrolle auf diesem Gebiet spielen kann. (Das Institut hat eine größere Summe an privater Unterstützung – von Herrn Prof. László Bitó – zu diesem Zwecke bekommen.)

 

b) Wasserbewirtschaftung

b/1.) Eine unserer traurigen Schlussfolgerungen ist, dass die Ausarbeitung großer, grenzüberschreitender Projekte in der Regel zu spät erfolgt. Die Intellektuellen und Politiker der Nationalstaaten der Region sind – wie wir bereits gezeigt haben – noch immer Gefangene eigennütziger nationalstaatlicher (Klassen-) Interessen. (Sie leben sehr gut davon, dass die nationalstaatliche Bürokratie – einschließlich der Bürokratie im Bereich der Kultur – in den kleinen Nationalstaaten aufgebläht wurde. Daher mögen sie die europäische Integration nicht wirklich…)

b/2.) Einer der wichtigsten Rohstoffe des 21. Jahrhunderts wird das Wasser

sein. Nicht nur die Haushalte, die Industrie sowie die Lebensmittelerzeugung und die Umweltwirtschaft benötigen immer mehr Wasser, sondern auch die Gewinnung von „grüner Energie” ist ohne einen wesentlich höheren Wasserverbrauch, also ohne zusätzliches Wasser unvorstellbar. Verschärft wird die Situation durch die voraussichtlichen Auswirkungen des Klimawandels: trockene Sommer ohne Regen, Winter mit hohen Niederschlägen. Das bedeutet, dass in Mittelosteuropa in den Wassergewinnungsgebieten eine plötzliche Schneeschmelze einsetzt bzw. die Schmelze im Frühjahr große Mengen an Wasser aus den Bergen liefert. Dies führt im Frühjahr zu Wasserreichtum und permanenter Hochwassergefahr, während im Sommer Wassermangel besteht. Das Wasser muss also bewirtschaftet, gespeichert werden. Das Grundprinzip des 19. Jahrhunderts, als zur Gewinnung neuer Gebiete für die Getreide- und Kartoffelproduktion möglichst viel Boden entwässert und das Wasser über die Flüsse möglichst schnell ins Meer geleitet wurde, kann nicht weiter verfolgt werden. Es ist notwendig, eine auf neuen Grundprinzipien basierende Wasserbewirtschaftung zu entwickeln.

b/3.) Ungarn liegt am Fuße des Karpatenbeckens. Prinzipiell herrscht hier Reichtum an Wasser. Aufgrund des Klimawechsels entsteht in diesem Raum gegenwärtig allerdings eine bislang nicht bekannte, extreme Lage, die vom erwünschten Überfluss an Wasser im Frühjahr bis zum Wassermangel im Sommer reicht. Im Frühjahr kommt es mittlerweile regelmäßig – zu früher unüblichen – großen Hochwasserfluten. Früher erreichte der Wasserstand der Theiß einen Monat früher als der der Donau seinen Gipfel. Die Donau nahm im April das Hochwasser der Theiß auf und dann folgte – anschließend – im Mai/Juni das „große Wasser” in der Donau. Dieses floss, da das Flussbecken der Donau mittlerweile nicht mehr durch das Hochwasser der Theiß „überlastet” war, zumeist ohne größere Hochwasserprobleme ab. Gegenwärtig erreicht auch die Donau früher, nämlich gleichzeitig mit der Theiß, ihren Höchststand und kann so das Wasser der Theiß nicht mehr aufnehmen. Folge hiervon ist, dass es entlang der Theiß regelmäßig zu Hochwasserproblemen kommt. Hierzu kommt noch, dass in den ukrainischen Karpaten – die eines der Quellgebiete der Theiß bilden – während des Systemwechsels unkontrolliert riesige Abholzungen erfolgten und daher das Wasser der Schneeschmelze im Frühjahr von den kahlen Berghängen herabströmt. Zu alledem bewirken die großen industriellen Umweltverschmutzungen in den Nachbarstaaten (Österreich, Slowakei, Ukraine und Rumänien), dass die beiden „Abflüsse” im Karpatenbecken, die Donau und die Theiß, das gesamte Schmutzwasser der Region zusammenführen. Dieser Verschmutzung kann nur mittels internationaler Zusammenarbeit und internationalen Abkommen Einhalt geboten werden. Es ist ein existentielles Interesse Ungarns, dass in den Staaten des Karpatenbeckens mittels internationaler Kooperation ein einheitliches Konzept für die Wasserbewirtschaftung ausgearbeitet wird.

b/4.) Die „Grundprinzipien einer Konzeption für die Wasserbewirtschaftung im Karpatenbecken” wurden bereits ausgearbeitet (und können im Anhang gelesen werden). Für die weiteren Planungsarbeiten hat die Regierung dem Europa Institut und dem Sozialforschungszentrum der Ungarischen Akademie der Wissenschaften (MTA) eine sehr bescheidene Summe von 25.000 Euro zur Verfügung gestellt. (Daraus – sowie aus privaten Unterstützungsgeldern, die sog. Bitó-Unterstützungen – konnten wir die Ausformulierung und Diskussion der Grundkonzeption finanzieren.) Es herrscht allerdings keine Übereinstimmung darüber, ob zur Ausarbeitung eines detaillierten Planes auch Mittel aus dem Staatshaushalt (es handelt sich hier um Euro-Millionen) Verwendung finden sollen. Der Plan kann vorläufig deshalb nicht in der Prioritätenliste des Haushalts Aufnahme finden, weil der Regierungshaushalt – und auch die Prioritäten – auf die einzelnen Ministerien aufgeteilt sind. Das Wasserwirtschaftsprogramm ist allerdings ein komplexes Programm und so gibt es hierfür keinen „Hausherrn”. Den Zuständigkeiten nach gehört der Plan zum Ministerium für Umwelt und Wasserbewirtschaftung, zum „Gipfelministerium” für Wirtschaft (zu dessen Aufgaben auch das Verkehrswesen zählt), zum Ministerium für Landwirtschaft und Landesentwicklung sowie zum Innenministerium (das sich mit der Verwaltung befasst). Das Projekt hat somit – wie bereits erwähnt – vorläufig keinen wirklichen „Hausherren” in der Regierung. Folge hiervon ist, dass jedermann das Projekt für wichtig hält und prinzipiell unterstützt. Ohne – tatsächliche – finanzielle Förderung durch die Regierung, alleine aus privaten Quellen und – möglichen – Ausschreibungsgeldern der EU, ist der Detailplan aber nicht zu finanzieren. Überdies sind (wären) später die Staatsmacht bzw. die Garantie der Regierung notwendig, um einen internationalen Ausschuss ins Leben zu rufen und zu unterhalten. Fachlich betrachtet sind die Perspektiven überaus positiv – es steht nämlich eine sehr gute Fachverwaltung für Wissenschaft und Wasserbewirtschaftung zur Verfügung, die wir auch integrieren können. Die gegenwärtigen politischen Krisen in Ungarn erweisen sich für derartige Großprojekte allerdings keineswegs als günstig. Es ist also möglich, dass das Projekt wegen Mangels an politischer Unterstützung nicht verwirklicht wird. Wir selbst können die Pläne aber nicht aufgeben…

 

c) Die Geschichte Osteuropas

c/1.) Die Entscheidung des Stiftungsrates und des Wissenschaftlichen Beirates, das Institut – auch weiterhin – als Werkstatt der vergleichenden osteuropäischen Geschichtswissenschaft tätig sein zu lassen, hat sich als richtig erwiesen. Im ersten Jahrzehnt (1990–2000) wurde die historische Thematik zu stark betont. Der Stiftungsrat hatte den Wissenschaftlichen Beirat mehrmals darum ersucht, den nicht-historischen Themen Vorrang einzuräumen. Dementsprechend rückten in den letzten Jahren die Themen „Umweltschutz”, „Wirtschaft”, „Verkehr” und „Umweltwirtschaft” in den Mittelpunkt der Programme. Aber auch weiterhin ist die Geschichte eines der Themen der Großveranstaltungen und unter den im engeren Kreise gehaltenen Vorlesungen sind ebenfalls eine bedeutende Zahl an historischen Themen zu finden. Als Schlussfolgerung kann festgehalten werden, dass die Systemtransformationen in Osteuropa die Präsenz historischer Themen im öffentlichen Denken der Region nicht geschwächt haben. Sowohl die Diskussionen um die Staatsgründung und Nationsbildung, als auch die nationalen Konflikte des 20. Jahrhunderts leben – mit ernstzunehmenden politischen Implikationen – im Denken der Menschen der Region fort. Die Erweiterung der Union, die Integration hat in Osteuropa – wie auch im westeuropäischen Raum – letztlich zu einer Stärkung der lokalen Identitäten geführt (!). Diese Entwicklung stellt eine beachtenswerte Gegenreaktion auf die Globalisierung und auf die europäische Integration dar.

c/2.) Auf einer internationalen Konferenz am 7. September 2006 wurde der weltpolitische Hintergrund des Aufstandes und der Revolution von 1956 behandelt. An dieser Veranstaltung nahmen auch österreichische, russische und italienische Forscher teil. Die Konferenz bettete die Geschichte der Revolution in die zwischen den Großmächten herrschenden Kräfteverhältnisse nach dem Zweiten Weltkrieg ein. Sie lenkte die Aufmerksamkeit auf die Entfaltung der internationalen kommunistischen Bewegung, auf ihre erste Krise, auf ihre Expansion außerhalb Europas, in der so genannten Dritten Welt, sowie auf die Wichtigkeit der Veränderungen in der Sowjetunion nach dem Tode Stalins. (Im vorangegangenen Jahr beleuchtete eine unserer Historikerkonferenzen den weltpolitischen Hintergrund des österreichischen Staatsvertrages aus dem Jahre 1955.) Das Datum der Konferenz setzten wir deshalb auf Anfang September fest, weil wir beabsichtigten, die Reihe der Gedenkveranstaltungen in Ungarn mit der Erörterung des weltgeschichtlichen Hintergrundes beginnen zu lassen. Damit wollten wir auch – insbesondere die Presse – darauf aufmerksam machen, dass eine Ungarn-zentrische (hungaro-zentrische) Geschichtsauffassung heute nicht mehr zu vertreten ist. (Der Hungaro-Zentrismus hatte sich interessanter Weise nach dem Systemwechsel verstärkt.) Diese Vorstellung hat sich letztlich als richtig erwiesen: Die Presse war voll von Artikeln, die – ganz im Sinne der Konferenz vom September – den internationalen Hintergrund der Ereignisse in Ungarn beleuchteten. Journalisten und Politiker gewöhnten sich daran, dass auch die Erörterung großer nationaler Bewegungen bzw. die Geschichte von 1956 mit der Beleuchtung der weltgeschichtlichen Situation begonnen werden muss.

c/3.) Der Vorschlag für eine große internationale Konferenz, die im folgenden Jahr abgehalten werden soll, ist folgender: „Die Renaissance in Osteuropa”.

 

d) Das Europa-Studium im Universitätsunterricht

d/1.) Der Stiftungsrat beschloss im Jahre 2004, Veränderung im Profil des Institutes einzuleiten. Es entschied, die Zahl der postgraduierten Stipendiaten zu verringern und den Unterrichtsaktivitäten, die in der Gründungsurkunde (Statut) des Institutes ebenfalls hervorgehoben wurden, größeres Gewicht zu verleihen. Neben (bzw. an die Stelle) der postgraduellen Ausbildung trat nun die universitäre Ausbildung. Damals begannen die Besprechungen über den Umzug des Institutes an die Budapester Universität (Eötvös-Loránd-Universität; ELTE) und es wurde mit der Universität über die Ausarbeitung eines Europa-Studienganges verhandelt. Im Jahre 2005 bot Dr. Herbert Batliner, einer unserer Gründungsväter, der sich gerade aus der Arbeit des Stiftungsrates zurückzog, an, dass er, wenn es uns gelingen würde an der Universität unterzukommen, in den folgenden fünf Jahren das Geld für die Einrichtung des Institutes bzw. für die Sachkosten (Betriebskosten) beschaffen werde. Aufgrund der Umbauarbeiten an der Universität konnte der Umzug erst im Frühjahr 2007 durchgeführt werden. Währenddessen erarbeitete der Direktor des Institutes die Thematik des Europa-Studienganges („Einführung in die Geschichte der europäischen Integration und in ihr gegenwärtiges institutionelles System”; zu lesen im Anhang). Bereits im Bericht des vergangenen Jahres hat er hervorgehoben, dass der Profilwechsel des Institutes die Arbeit der folgenden Generation bestimmen wird. Als Ergebnis des Bologna-Prozesses trat 2007 auch in Ungarn die zweiphasige Universitätsausbildung (BA bzw. MA) ins Leben. Die von uns eingereichte und für gut befundene Fachrichtung strebt den MA als Ziel an, d.h. dass die Studenten die Europa-Studien im dritten Studienjahr beginnen können. Die Ausbildung beginnt im Studienjahr 2009. (Auch bis dahin nimmt das Institut übrigens an der universitären Ausbildung mit historischen Seminaren teil.) Wenn der erste Jahrgang sein Studium abschließen wird (2011), wird sich die heutige Institutsleitung in den Ruhestand begeben. (Es bleibt zu hoffen, dass wir diese Jahre erleben werden.) Wir werden den Jungen ein Europa Institut hinterlassen, das sich organisch in das System der europäischen Universitäten einordnet.

d/2.) Im Folgenden fasse ich die Grundprinzipien der Ausbildung an der Universität kurz zusammen und füge die Titel der wichtigsten Vorlesungen und Seminare hinzu:

„Die Fachrichtung geht davon aus, dass die Kenntnisse über Europa in den kommenden Jahrzehnten in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union allmählich ein ‘obligatorisches Ensemble an Kenntnissen’ bilden werden. Ihre Grundfächer entwickeln sich jetzt auf dem Kontinent. (Der gegenwärtig beginnende Unterrichts- und Ausbildungsprozess kann mit den Entwicklungen Mitte des 19. Jahrhunderts verglichen werden, als sich im Unterrichtswesen der europäischen Nationalstaaten die – heute noch lebendigen – Lehrfächer zum Studium des Nationalstaates herausbildeten. Im Unterricht erfolgte dies in erster Linie im Rahmen der Lehrfächer Geographie, Geschichte, Sprache und Literatur.) Die Fachrichtung beabsichtigt, Diplomstudenten auszubilden, die später fähig sein sollen, ihre Kenntnisse über Europa – im öffentlichen Sektor – im Bereich der Allgemeinbildung, der staatlichen Verwaltung und der Verwaltung der Union weiterzugeben und anzuwenden, sowie Diplomstudenten, die in der Privatwirtschaft arbeiten und dort auf Kenntnisse über Europa angewiesen sind. In erster Linie handelt es sich um Kenntnisse über die Wirtschafts-, Verwaltungs- und Kulturinstitutionen der Europäischen Union (sowie – falls notwendig – über deren Umgestaltung). Dieses Wissen wird nicht nur der öffentliche Sektor verlangen, sondern auch die „Globalisierung” und „Europäisierung” des Privatsektors erforderlich machen. Die Fachrichtung beabsichtigt, den Prozess der europäischen Integration, der schließlich zur Gründung der Europäischen Union führte, sowie die gegenwärtigen Institutionen der Europäischen Union vorzustellen. Diese Institutionen werden als Produkte einer sozioökonomischen Entwicklung betrachtet, die sich seitdem 18. Jahrhundert im Zuge und als Folge der sich wiederholenden industriell-technischen Revolutionen entfaltete. Die Fachrichtung setzt während des Studiums den Schwerpunkt auf die Entwicklungen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bzw. auf die Vorstellung der heutigen Europäischen Union. Sie stellt die früheren und die gegenwärtigen Diskussionen über die Weiterentwicklung der Integration vor und behandelt zugleich Geschichte und Gegenwart der europäischen Union im globalen Raum, also die Institutionen der kontinentalen Integration im Zusammenhang mit den in der Welt parallel hierzu stattfindenden sonstigen Integrationsbestrebungen. Der globale Vergleich eröffnet auch die Möglichkeit, auf die – heftig diskutierten – Widersprüche der Europäischen Union im weltweiten Wettbewerb hinzuweisen.

 

C) Institutsleben

 

1.)Vorstandssitzung und Kaffeerunde

Das Institut ist gemäß dem Organisationsstatut, die vor 17 Jahren festgelegt wurde, tätig. Wöchentlich einmal (donnerstags) findet ein gemeinsames Mittagessen statt, an dem die ständigen Stipendiaten (die „30-Jährigen”), die Assistenten sowie die Professoren teilnehmen (zehn bis zwölf Personen). In diesem Rahmen werden Vorhaben besprochen und stattgefundene Veranstaltungen bewertet. In der Regel findet zu diesem Zeitpunkt auch die Vorstandssitzung statt. Auf dieser wird über Stipendien, Veranstaltungen, Institutsprojekte und Ausschreibungen entschieden. Ihr folgt die Kaffeerunde, deren Funktion sich in diesem Jahr geändert hat: Bislang handelte es sich um eine „obligatorische” Kaffeerunde der zahlreichen postgraduierten Stipendiaten unter Teilnahme der Institutsprofessoren und -assistenten. Wir sind nun – unter Nutzung der universitären Umgebung – bestrebt, die Veranstaltung zu einer „Kaffeerunde” unserer Gäste und Professoren sowie unserer Kollegen an der Universität umzugestalten, wobei jedes Mal „äußere” (möglichst ausländische) Wissenschaftler eingeladen und die Zusammenkünfte in einer Fremdsprache (Deutsch oder Englisch) abgehalten werden sollen.

 

2.) Konferenzen

Unsere Konferenzen, deren Themenkreis vom Wissenschaftlichen Beirat bestimmt wird und an denen in der Regel 80 bis 120 Personen teilnehmen, haben eine Stammhörerschaft gewonnen, die sich aus Mitarbeitern der Budapester Universitäten, der Universitäten außerhalb der Hauptstadt und der Forschungsinstitute, aus Parlamentsabgeordneten, aus Mitarbeitern der Botschaften, aus Politikern und Staatsbeamten sowie aus Journalisten zusammensetzt. Wissenschaftler und Politiker in führenden Positionen halten bei diesen Veranstaltungen Vorlesungen, wobei wir jedes Mal längere Zeit für eine freie Diskussion zur Verfügung stellen. In den meisten Fällen ist auch eine Synchronübersetzung gewährleistet. (Es steht den Teilnehmern die Möglichkeit zu freier Sprachwahl zu.) Im Jahresdurchschnitt planen wir sechs bis acht Konferenzen. (Eine dieser Veranstaltungen verbinden wir mit der Jahressitzung des Wissenschaftlichen Beirates und des Stiftungsrates.)

 

3.) Publikationen: Begegnungen und Homepage

Die Buchreihe „Begegnungen” wird fortgesetzt. Gegenwärtig befinden sich die Bände Nr. 27 bis Nr. 28 im Druck. Wir haben außerdem unserer Homepage eine neue Gestalt verliehen und sind einer der Betreiber der Homepage „Balkanforschung” (www.balkancenter.hu), die wir zu einer „Internet-Zeitschrift” (mit monatlichen Update) weiterentwickeln. Die Seite wird vorläufig in ungarischer Sprache veröffentlicht, ab 2008 wird allerdings sowohl die Homepage „Balkanforschung” als auch die Homepage des Institutes schrittweise in deutscher und englischer Sprache ins Netz gestellt.

 

4.) Institutspersonal

Das Institutspersonal (Buchhalter, Institutssekretär, Programmmanager, Redakteur, Assistenten und Professoren) stellen gegenwärtig ein hoch gebildetes und verjüngtes Team dar und machen somit die zahlreichen Aktivitäten und Publikationen möglich.

Budapest, 15. August 2007

Ferenc Glatz