III.
Forschungsprojekte
4. Die Auflösung der historischen Konflikte im Karpatenbecken
Im Jahre 2007 wurde über das Starten eines Programms zu den historischen Konflikten im Karpatenbecken entschieden, das vom Europa Institut Budapest gemeinsam mit der Zeitschrift „História” und dem Institut für Geschichtswissenschaft der UAW organisiert wurde. Im Herbst 2009 wurde das Programm mit der Konferenz über das Jahr 1919 und dem serbisch-ungarischen historischen Dialog fortgesetzt. Im Folgenden werden die Zusammenfassungen zu den Veranstaltungen und der am 30. November 2010 in Szabadka (Subotica) gehaltene einleitende Vortrag von Prof. Ferenc herangeführt.
a.) Veranstaltungen
Das Jahr 1919 in der Universal- und in der ungarischen Geschichte
(24. September 2009)
(Gemeinsame Veranstaltung des Instituts für Geschichtswissenschaft der UAW, der Zeitschrift História, der Arbeitsgruppe zur Geschichte Europas am Sozialforschungszentrum der UAW und des Europa Instituts Budapest)
Die Konferenz ist der zweite Teil einer internationalen Veranstaltungsserie über die Jahre 1918, 1919, und 1920, an der neben den ungarischen Historikern anerkannte Fachexperten der Periode aus Österreich, und aus der Slowakei in der Person von Prof. Arnold Suppan, Prof. Horst Haselsteiner und Prof. Dušan Kováč vertreten waren. Prof. Ferenc Glatz war der Initiator und Gastgeber der internationalen Konferenz. In seiner Einleitung hob er hervor, dass das Ziel der Veranstaltungsreihe es ist die bestehenden und die früheren nationalen „Phalanx” abzubauen und die Region betreffenden gemeinsamen Fragenkreise – die „heiklen Themen” mit inbegriffen – mit den Historikern aus den Nachbarländern zu diskutieren.
Ebenfalls wünschen diese Wissenschaftstagungen dazu beizutragen, dass im öffentlichen Denken hinsichtlich der Schicksalswenden in der ungarischen Geschichte eine umfassende universalhistorische Perspektive vermittelt wird. Die Jahre 1918-1920 zählen wohl unter den Umwandlungsprozessen in Europa und auf der Welt zu den kritischste Perioden, deren Auswirkungen auf das Schicksal des Ungarntums bis heute präsent sind, und innerhalb dieses Zeitraums zählt wohl 1919 zu einer der markantesten und zugleich sensibelsten Jahren des 20. Jahrhunderts. Die Auswirkungen der damaligen Ereignisse sind bis heute in Europa aber auch auf allen Kontinenten spürbar präsent, sowohl in den politischen Umwandlungen, im Strukturenwandel der Weltwirtschaft als auch im politischen Denken und in den sozialen Verhaltensformen, die auf der Ebene von Gemeinschaften und Individuen präsent sind.
Das Jahr 1919 vereint in sich alle Folgen des Ersten Weltkrieges und schafft – den Vorstellungen der führenden Politiker der siegreichen Ententemächte entsprechend – eine neue Weltordnung. Es erfolgt eine drastische Neuziehung der Grenzen, es wird die Auflösung der kürzlich zusammengebrochenen historischen Reiche (Österreich-Ungarn, das Osmanische Reich, Russland) sanktioniert, und es öffnet sich hiermit am östlichen Ende Europas, aber auch darüber hinaus, der Weg für das Einbrechen einer neuen Epoche der nationalstaatlichen Entwicklung. Dies ist die Zeit als die USA im internationalen Umfeld in den Vordergrund tritt und zu einem gewichtigen Faktor in der neuen Weltordnung wird. Und in 1919 wurde ebenfalls das klassische Zeitalter des Imperialismus abgeschlossen, wobei der Kolonialismus – trotz der Neuaufteilung der Kolonien – in seiner früheren Form seine Stellung und seine Legitimität verlor.
Im Rahmen der Konferenz wurde die Bedeutung von 1919 aus ungarischer und welthistorischer Perspektive auf Grund von drei Schwerpunktbereichen behandelt, die einem zusammenfassenden Vortrag folgend in Form von Korreferaten diskutiert wurden. Im ersten Panel zum Thema Revolution und Gegenrevolution – roter Terror, weißer Terror hielt Prof. Ignác Romsics den zur Diskussion anregenden übergreifenden Vortrag mit internationalem Ausblick auf die Ereignisse. Tibor Hajdu (Institut für Geschichtswissenschaft der UAW) sprach im zweiten Panel über die Lage und Beurteilung der Kriegsgefangenen, der Internationalisten sowie über die Wirkung der russischen Revolution. Der Vortrag von Prof. Arnold Suppan führte die Diskussion des Themenbereichs Ungarn und seine Nachbarn in 1919 ein. Der Diskussion schlossen sich Prof. Prof. Horst Haselsteiner und Prof. Dušan Kováč an.
(90 Teilnehmer)
Das Jahr 1989 (20. Oktober 2009)
(Gemeinsame Veranstaltung des Instituts für Geschichtswissenschaft der UAW, der Zeitschrift História, der Arbeitsgruppe zur Geschichte Europas am Sozialforschungszentrum der UAW und des Europa Instituts Budapest)
Die Konferenz mit dem Titel „Das Jahr 1989” wünschte neben der Präsentation der neuesten Forschungen des vor zwanzig Jahren begonnenen Systemwandels die internationalen Ereignisse des Jahres in den verschiedenen Teilen der Welt (USA, Sowjetunion, Europa, China) zu rekonstruieren. Im Rahmen der ganztägigen Konferenz unterzogen die Fachwissenschaftler der Region das internationale Kraftfeld, den Standpunkt und das Verhalten der USA und der Sowjetunion, die Innen- und Außenpolitik der vom Systemwandel betroffenen Staaten, die als Erste die für den politischen Wandel nötigen Schritte unternahmen, näherer Betrachtung.
Prof. Ferenc Glatz, Direktor des Instituts für Geschichtswissenschaft der UAW und des Europa Institutes Budapest bzw. in 1989 Kultusminister in der Németh-Regierung, verwies darauf, dass die Aufmerksamkeit des Westens vor allem der Weltmachtstellung der Sowjetunion und der deutschen Einheit galt und alle weiteren Fragen in Bezug auf den Wandel in Ostmitteleuropa diesen unterstellt wurden. Prof. Mark Kramer von der Harvard-Universität (USA) sprach über die Schlüsselrolle der Passivität der USA bei der Gewährleistung eines friedlichen Übergangs, denn ein Prestigekampf hätte leicht blutige Folgen haben können. László Borhi (Institut für Geschichtswissenschaft der UAW) sprach in seinem Vortrag darüber, dass für die USA und für den Westen die Stabilität Europas wichtiger war als die radikale Auflösung der sowjetischen Hegemonie in Ostmitteleuropa. Gergely Egedy (Eötvös-Loránd-Universität) führte in seinem Vortrag über Großbritannien den Standpunkt von Premierministerin Margret Thatcher an, dass nämlich die Offensive der Freiheit die Stabilität Europas nicht gefährden dürfe. Zoltán Sz. Bíró in seinem Vortrag über die Stellung der Sowjetunion sprach über die prekäre Lage der langsam in sich fallenden Sowjetunion als Großmacht und die Gratwanderung des Staats- und Parteichefs Michail Gorbatschow. Hierbei lenkte der Vortragende ebenfalls die Aufmerksamkeit auf die seltener erwähnten volkswirtschaftlichen Krisenerscheinungen in der UdSSR, die bereits lange vor 1989 einsetzten. An das Jahr 1989 anlehnend sprach Péter Vámos (Institut für Geschichtswissenschaft der UAW) über die gleichzeitig eingetretenen Ereignisse in der Volksrepublik China, vor allem über die Vor- und Nachgeschichte der blutig niedergeschlagenen demokratischen Bewegung der Pekinger Studenten.
In dem gemeinsamen Vortrag von Andreas Schmidt-Schweizer und Tibor Dömötörfi (Institut für Geschichtswissenschaft der UAW) war in erster Linie über das Schlüsselereignis des Jahres 1989 in Deutschland die Rede – über den Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989 und die sich dadurch ergebene Chance der deutschen Wiedervereinigung. Über die so genannte „samtene Revolution” in der Tschechoslowakei berichtete László Szarka (Forschungsinstitut für Ethnische und Nationale Minderheiten der UAW). Er betonte, dass der Sturz der kommunistischen Machthaber relativ spät und ohne „Vorwarnung” erfolgte und bereits zu dieser Zeit die ersten Anzeichen für die Auflösung der Tschechoslowakei präsent waren. Mit Bezug auf den Wandel in Rumänien vertrat der Historiker Stefano Bottoniden Standpunkt, dass all das, was vor zwei Jahrzehnten in Rumänien geschah, keine Revolution, sondern ein „spontaner”, ohne ausländischen Einfluss erfolgender Zusammenbruch war. István Kovács (Institut für Geschichtswissenschaft der UAW) sprach über die schwere wirtschaftliche Lage Polens, wodurch die zuvor breite Popularität der „Solidarität” zu Mitte der 90-er Jahre radikal zurückfiel. József Juhász (Institut für Geschichtswissenschaft der UAW) verwies darauf, dass es keine ausgereifte Alternative für Titos föderative Balance gab und somit das bestehende Chaos zwangsläufig den Weg für die nationalistischen Bestrebungen, die letztendlich zum Ausbruch des Kriegsgeschehens führten, ebnete.
Die Referenten der im Institut für Geschichtswissenschaft der UAW organisierten Konferenz vertraten konsequent den Standpunkt, dass vorerst die Erforschung der Tatsachen als die wichtigste Aufgabe betrachtet und erst anschließend die Aufstellung von Theorien vorgenommen werden solle. Priorität soll der genaue Ablauf und die zeitliche Folge der Ereignisse rekonstruiert werden.
(100 Teilnehmer)
Serbisch-ungarisches Zusammen innerhalb und jenseits der Grenzen – Historiker-Dialog in Szabadka
(30. November 2009)
(Gemeinsame Veranstaltung des Ungarischen Netzwerks Ländlicher Raum, des Netzwerks des Vojvodiner Entwicklungsfonds, des Instituts für Geschichtswissenschaft der UAW, der Zeitschrift „História” und des Europa Instituts Budapest)
Anschließend an das in Szabadka (Subotica) gehaltenen Ländlichen Forums „Ländliche Entwicklung und das Zusammenleben der Nationen” fand am Abend eine Historiker-Diskussion statt, an dem Prof. Ferenc Glatz István Pásztor, Präsident des Ungarischen Verbandes in der Vojvodina, und die Historiker Enikő Sajti (Universität Pécs) und József Juhász (Institut für Geschichtswissenschaft der UAW) zu einem Rundtischgespräch einlud. Das Thema des Historiker-Treffens war die Rekapitulation des serbisch-ungarischen Zusammenlebens im Laufe der Geschichte mit besonderer Hinsicht auf die schweren und belasteten Zeiten, die eine Aussöhnung an beiden Seiten erforderlich machen und die positiven Formen der Koexistenz der beiden Völker, die als ein prioritäres Beispiel für das Zusammenleben einer multiethnischen Gemeinschaft, auch in der EU, angesehen werden können.
Prof. Ferenc Glatz verwies, darauf wie wichtig es heute ist die gemeinsamen Interessen zu erkennen und ebenfalls die Möglichkeiten die uns die Europäische Union bietet (die in nordöstlich-südöstliche Richtung verlaufende Welthandelsroute, die regionalen Interessen im Karpatenbecken, die Förderung der ländlichen Entwicklung, grenzüberschreitende Projekte, usw.). Er nannte zwei Gründe, die das Erkennen der gemeinsamen Interessen hindern: 1.) die Wunden, die einander im Laufe der Geschichte zugefügt wurden und bis jetzt nicht verheilt sind; und 2.) die unseren nationalen Minderheiten zugefügten Wunden, die auch heute noch in uns präsent sind. Er betonte: Wir sind zusammenkommen, um zukunftsorientiert zu diskutieren, um „positive Programme” zu erarbeiten, um eine Versöhnung auf beiden Seiten zu beginnen.
Weitere Themen der Diskussionsrunde waren die Minderheitenfragen mit besonderer Hinsicht auf die neuesten Entwicklungen zu der Aufstellung der Nationalräte in Serbien, die Beziehungen zwischen Ungarn und Jugoslawien nach dem Zweiten Weltkrieg, die Kämpfe in der Region und, am wichtigsten , über den Alltag des serbisch-ungarischen Zusammenlebens, die uns zahlreiche positiven und zukunftsweisenden Muster für eine Arbeitsteilung und für die erfolgreiche Koexistenz lehrt. Denn die Geschichte des serbischen und ungarischen Volkes ist wohl von Interessenkämpfen zwischen den Staaten und den Volkskruppen durchflochten, aber diese waren stets mit den historischen Ereignissen und Prozessen in der Region verbunden. Die Europäische Union scheint aber diese Interessengegensätze aufzulösen Abschließend verwies Prof. Ferenc Glatz darauf, dass die ungarischen Historiker die Aufmerksamkeit der ungarischen Intelligenz auf die Geschichte der südöstlichen Völker lenken möchten. Es sollen eine größere Zahl an Forschungsunternehmen, Lehrveranstaltungen und Forschungsprojekten der Geschichte der Serben, Kroaten, Bosniaken, Makedonier, Albaner gewidmet werden.
(50 Teilnehmer)
a.) Repertorium zur serbisch-ungarischen Geschichte
(von Ferenc Glatz)
Gemeinsame Interessen – zum ersten Mal seit 300 Jahren
Die Interessengemeinschaft der Serben und Ungarn ist heute stärker, als ihre Interessengegensätze. Wie auch der Rumänen, Slowaken, Kroaten und sogar der Österreicher, also der Völker des Karpatenbeckens. Seit 300 Jahren zum ersten Mal - sagen wir seit 2004 bzw. 2007 unseren slowakischen, rumänischen und österreichischen Kollegen, Politikern, Landwirten, Soziologen. Als die Grenzen der Europäischen Union erweitert wurden, um die Staaten des Karpatenbeckens mit einzubeziehen. Und als 90% der Ungarn wieder innerhalb einer Verwaltungseinheit, in der Europäischen Union, leben und deren Bürger sind.
Und wir zählen – seit Jahren immer wieder von neuem – diese gemeinsamen Interessen auf. Die sich innerhalb der Europäischen Union bietenden neuen Möglichkeiten, die gemeinsamen Entwicklungsansprüche auf die nordöstlich-südöstliche Welthandelsroute, die nur durch Zusammenhalt verwirklicht werden kann. Die Interessen im Karpatenbecken (Agrar- und ländliche Entwicklung, Förderung der spezifischen Siedlungsstruktur der Kleindörfer – wie die Regionen entlang den Meeresküsten, oder der Berglandschaften prioritär gefördert werden). Dann erwähnen wir die besondere Notwendigkeit der Unterstützung der grenzüberschreitenden Projekte, da die Region zu sehr durch die Grenzen der Staatsnationen zergliedert ist; sowie die gemeinsame Entwicklungsmöglichkeiten der Landschaftswirtschaft (Donau, Theiß, Wasserbewirtschaftung) usw.
Warum achten wir nicht auf diese gemeinsamen Interessen? – lautet unsere Frage. Es gibt zwei Gründe hierfür – so unsere Antwort.
Zuerst, weil die historischen Wunden, die einander zugefügt wurden, uns mit starken Emotionen erfüllen. Seit Generationen – bis gestern. Die Erinnerungen von Individuen, Familien, nationalen Gemeinschaften. Zweitens achten wir nicht auf die Interessengemeinschaften von heute und morgen, weil die unseren Minderheiten zugefügten Wunden noch lebendig sind. Die Beschwerden, die die Mitglieder unserer Nation in einem anderen Staat auch gegenwärtig täglich erleiden müssen. Diese sind zwei Hindernisse der Erkenntnis.
(Diesen zwei Hindernissen kann noch hinzugefügt werden: Es fehlen die positiven, realen, gemeinsamen Programmvorschläge. Diese haben auch in den vergangenen 60 Jahren gefehlt. Die Zwangsinteressengemeinschaft und die durchpolitisierten Programme des Sowjetsystems haben uns eher die Lust an jeglicher regionalen Kooperation genommen. Wir haben das mit den Slowaken, Rumänen, sogar mit den Serben in Komorn, Großwardein, Bukarest und in Serbien, in Szabadka (Subotica), auch am ländlichen Forum gesagt, als wir ein gemeinsames „positives Programm” vorschlugen. Wir kamen zukunftsorientiert zu den Verhandlungen: Wir schlagen die grenzüberschreitende ländliche Entwicklung als gemeinsames Programm vor. Die ungarisch-serbisch-rumänischen Grenzen überschreitend in der Region von Syrmien, Batschka und Banat. So verbinden sich die Nationalpolitik und die ländliche Entwicklung in unserer Denkweise, darüber wird jedoch noch die Rede sein.
Über die Minderheiten
Der serbisch-ungarische Dialog über die Minderheiten hat bereits begonnen. Im August 2009 verabschiedete das serbische Parlament ein Gesetz über die Nationalräte. Falls 50% der Minderheit plus 1 Person sich durch ihre Unterschrift zu ihrer nationalen Zugehörigkeit bekennen, erhält die Minderheit eine kulturelle Autonomie. Das bezieht sich auch auf die Sprache des Unterrichts und der Verwaltung. Das gilt auch aus europäischer Sicht als eine „Leistung” in der Kooperation der Nationalpolitiker der Mehrheit und der Minderheit. Das ist auch dann zu würdigen, wenn man heute schon weiß: Das Europa von morgen wird das Zusammenleben von zahlreichen Mehrheiten und Minderheiten mit sich bringen. Nicht nur das Zusammenleben der historischen Minderheiten, sondern auch das der Migranten – ohne Unterschiede. (Die Vorsitzenden der drei größten Gemeinschaften des Ungarntums im Karpatenbecken, Pál Csáky, Béla Markó und István Pásztor, haben auf unsere Einladung am 12. Oktober 2009 über die neu entstandenen Möglichkeiten der Nationalpolitik im Karpatenbecken verhandelt. Zuerst sprach István Pásztor über die Vorstellungen in Serbien. Zurückhaltend, aber optimistisch. Jetzt warten wir ab, wie der Unterzeichnungsprozess vorangeht, und wie viel Kraft die lokalen Vertreter der beiden Völker, der Serben und der Ungarn, haben werden, die Angelegenheiten ihrer Wähler und ihrer Völker kultiviert und den Vorschriften der Mehrparteipolitik entsprechend zu regeln. Im Sinne der gemeinsamen Interessen.)
„Es ist auch unsere Pflicht für die bei uns lebenden Minderheiten Rechte zu sichern, und Serbien hat das mit dem Gesetz über die Nationalräte auch verwirklicht.” – sagte der serbische Staatoberhaupt Boris Tadić am 12. Oktober 2009 an der Eröffnung des Kulturzentrums der serbischen Minderheit in Budapest. Und vor diesem Ereignis im 2009 wurde bereits eine erneute Sitzung der ungarisch-serbischen gemischten Kommission der Minderheiten einberufen – am 21.-22. Mai wurden Empfehlungen in europäischen Dimensionen formuliert. In der Minderheitenpolitik tut sich also etwas.
Über unsere historischen Wunden
Die ungarische Geschichtsschreibung spricht in der gegebenen Situation über „die Mission des Historikerberufes”. Die Historiker können jetzt eine die Zukunft prägende Kraft darstellen. Wenn wir unsere Möglichkeiten erkennen, und stark und erfinderisch genug in deren Ausführung sind. Was haben wir bisher getan?
Seit 2008 veranstalten wir mit den rumänischen, slowakischen und österreichischen Kollegen historische Konferenzreihen und veröffentlichen unsere Folgerungen in mehreren Zehntausend Auflagen. Im Interesse der Auflösung der historisch-emotionalen Konflikte, die sich aus den Interessengegensätzen der vergangenen Jahrhunderte ergaben. (Wie effektiv unsere Aktionen sind, ist – selbstverständlich – fraglich. Und nicht messbar. Wir sind uns auch bewusst, dass eine, oder zwei provokative Äußerungen von Seiten der Politiker, die die Selbstverwirklichung und Effekthascherei anstreben, eine stärkere Reaktion gegen die Versöhnung hervorrufen als unsere Konferenzen, die im Interesse der Versöhnung gehalten werden. Die vergangenen zwei Jahrzehnte nach der Wende haben zahlreiche Politiker solchen Typs „an die Oberfläche gelangen” können. Wir tun jedoch unsere Arbeit. Wir vertrauen übrigens auch auf die „História” mit beinahe zwanzigtausend Auflagen, sowie auf die Zeitschrift „Párbeszéd” mit fünfundvierzigtausend Auflagen.)
Die serbische Thematik fehlte noch. Nun, nicht aus unserem Register. Wir haben dazu bloß keine Partner gefunden. Jetzt aber haben wir sie gefunden. Die Politiker. Die Politiker der Ungarn aus der Vojvodina. Sie haben erreicht, dass die zu der Versöhnung neigenden serbischen Politiker mit ihnen einen Bund schließen. (Folgende Sätze stammen von serbischen Politikern, um – erneut – aus der Presserundschau zu zitieren: Die Europäische Union ist „vermutlich der größte Versöhnungsakt in der Geschichte”. Auf beiden Seiten wurde beschlossen: Eine serbisch-ungarische Historikerkommission wird zur Behandlung der während des Zweiten Weltkriegs erlittenen kollektiven nationalen Wunden gegründet. Zur Aufdeckung der Tatsachen. Wir haben – als wir mit Herrn Vorsitzenden Pásztor über diese Kommission verhandelt haben – hinzugefügt: Das ist ein europäisches Vorbild.
Europa ist das Kontinent der vielen Nationen, ein Kontinent, auf dem verschiedene Nationalinteressen zusammenstoßen, welche zu zwei Weltkriegen geführt hatten – und unserer Meinung nach zum Verfall des europäischen Kontinents, besonders in der ostmitteleuropäischen Region. Also: Die europäische Integration muss zuerst diese Konfliktquelle auflösen, wenn die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Bürger in der Weltwirtschaft und in der Weltkultur gesichert werden soll. Sowohl im Westen, als auch im Osten. Das wurde in Westeuropa bereits verwirklicht. Historikerkonferenzen, gemeinsame Diskussionen über die Lehrbücher, verbitterte publizistische Selbstkritiken und die Kritik von anderen. Es begann mit den französisch-deutschen Diskussionen (1963-1972), dann wurde es fortgesetzt mit den deutsch-polnischen Diskussionen (1970), dann folgten die italienisch-deutsch-österreichischen Debatten (1992). Wir, Intellektuellen aus Ostmitteleuropa, müssen die Vorbereitung der tatsächlichen Integration auch mit der Auflösung der historischen Konflikte beginnen.
Die kalten, und die noch kälteren Tage, 1942, 1944
Die Politik ist sich einig. Die Politik interessiert sich jedoch – natürlich – für die Beschwerden der heute lebenden, der noch lebenden Menschen. So für die kollektive Bestrafung der Ungarn im Jahre 1944. Worüber man einfach nicht sprechen durfte. Mal wegen dem serbischen Nationalismus, mal wegen der Unempfindlichkeit in Ungarn gegenüber dem nationalen Gefühl, manchmal wegen der eben begonnenen „Versöhnungsakte” mit Titos Jugoslawien. Wir wollten das sich gerade bessernde Verhältnis nicht gefährden bzw. die Empfindlichkeit der Serben nicht verletzen… Jetzt endlich darf man darüber sprechen.
Ich frage den neben mir sitzenden ausgezeichneten Experten: Wie hoch schätzt er die Zahl der Opfer in Verbindung mit dem Gemetzel gegen die Ungarn im Jahre 1944? Sie haben es wohl gehört, antwortet er, von den serbischen Forschern werden etwa fünftausend anerkannt, die internationalen Forscher hingegen akzeptieren die sich auf Archivquellen stützende Schätzung nicht, und sprechen über 15-20, sogar über 40 Tausend Menschen. Diese Zahl hält er allerdings für unvorstellbar. – Ich frage aber: Wie hoch schätzt er die Opfer des ungarischen Gemetzels im Neusatz im Jahre 1942? Seine Antwort lautet: Auf 3340 Menschen. (Davon sind etwa 2250 Serben.) Weil doch wir Ungarn mit den kollektiven Morden anfingen, nämlich die Generation, die den Weltkrieg noch erlebt hatte. Dann stelle ich eine Frage bezüglich der Beweggründe der zu gegenseitigen Massenmorden neigenden Menschen: Wie hoch wird die Zahl der Ungarn geschätzt, die im Laufe des Machtwechsels im Jahre 1918 entrechtet wurden (und auch ihr Wahlrecht verloren)? Oder die – Zehntausende an der Zahl – vertrieben wurden und nichts mit sich nehmen durften. Sie haben ihre Existenz verloren… Und so weiter, und so weiter.
Wir gehen zurück in der Geschichte zu den Konflikten, zu der Geschichte der serbisch-ungarischen Massengemetzel. Zu Ereignissen, die ohne Gleichen in der Geschichte der Völker des Karpatenbeckens sind: Zuerst zu 1848-49, dann zu 1703-1711. Vor meiner Reise sah ich wieder den Film von András Kovács über das ungarische Gemetzel 1942 im Neusatz mit dem Titel „Kalte Tage” an, der in meiner Jugend eine Sensation war. Dann schaute ich mir den Film der Fernsehstation Duna-TV über das serbische Gemetzel im Jahre 1944 an. Ich nahm die Notizen zu meinen Forschungen in meinen Jugendjahren hervor. Über den zweiten Handschriftband von Ede Margalits mit dem Titel Serbisches historisches Repertorium, sowie über die Grausamkeiten des Rákóczi-Freiheitskampfes – es war entsetzlich. Auch wenn die zeitgenössischen Berichterstatter übertreiben, wenn sie über die Massenmorde an Hunderten, Tausenden von Müttern und kleinen Kindern schreiben … Und die Geschichtsschreibung schweigt.
Kontakte zwischen unseren Staaten
Wir gehen zurück in der Geschichte. Wir wissen nur wenig über das Zeitalter der Landnahme. Die Archäologen führten bzw. führen Diskussionen darüber, ob die Behauptung der alten serbischen Geschichtsschreibung wahr ist, dass die Serben ursprünglich aus dem Karpatenbecken in südöstlicher Richtung wandernd auf den Westbalkan kamen. Und, dass sie bereits vor den landnehmenden Ungarn hier alteingesessen waren, als „Urserben”. Heute achten nicht mehr auf solche Behauptungen. Diese Behauptungen hatten nämlich nur solange Sinn, als man noch glaubte, dass wenn die Historiker beweisen können, dass ihre Ahnen früher im Karpatenbecken alteingesessen waren als die Ungarn, dann wird das „historische Recht” der Slowaken, Serben und Rumänen auf die 1918 erfolgten „Eroberungen” von den internationalen Mächten – sowie von den einfachen Schülern in den Schulen – als gerecht akzeptiert. Dass die Zerstörung des tausendjährigen ungarischen Staates gerecht war. Und die einfachen slowakischen, rumänischen, serbischen und ungarischen Menschen – wenn es sein muss – zum Krieg angefeuert werden. Heute? Heute denkt niemand mehr an die Kraft des „historischen Rechts”. Unsere gut gelaunten Studenten behaupten an den Prüfungen bereits, dass die Griechen letztendlich die Gebiete Kleinasiens zurückfordern könnten, und so weiter… Und wir sollten mit unseren Forderungen bis Mittelasien zurückgehen. Wo wir „Urlandnehmer” waren. Schöne Aussichten.
Gehen wir zurück in der Geschichte. Zu der Geschichte der serbisch-ungarischen Kontakte im Mittelalter. (Als der serbische Staat auf dem Balkan und die leitende politische Schicht zum ersten Mal zur Mitte des 14. Jahrhunderts den stärksten Staat der Region gründeten, und dann zwischen 1371-1459 mit bewundernswertem politischem Talent versucht wurde zwischen den übermächtigen Türken und dem eher passiven christlichen Europa balancierend das Staatsgebiet und die Lebensbedingungen der Bevölkerung zu erhalten. Und als zu dieser Zeit die – wohl wenig bekannten - Kontakte zwischen den Bevölkerungen vermutlich in Folge des in östlich-westliche Richtung verlaufenden Handels, durch den Geldverkehr und den Silberbergbau aktiv waren. Sowohl im ungarischen Königreich, als auch in der dalmatisch-venezianischen Politik und Wirtschaft. Und die königlichen Familien haben mal geheiratet, mal haben sie voneinander die südlichen Provinzen geraubt. (Hervorzuheben ist aus der Reihe der königlichen Familie der Arpaden die Ehefrau von Béla II (1131-1141), Ilona, die die Tochter des serbischen Fürsten und die Mutter von drei ungarischen Königen war – zugleich war sie eine sehr aktive „Politikerin”. Und alle unserer Arpadkönige können sie als ihre Urmutter betrachten.)
Gehen wir zurück in der Geschichte. Den Türken stand nach der Eroberung von Byzanz (1453) nur noch der ungarische Staat im Wege. Den zu ihrem Vasall gewordenen serbischen Staat rieben die Türken bald ganz auf, und eroberten dann die Tiefebene des Karpatenbeckens und rissen das Ungarische Königreich in zwei Teile (1541). Die führende Schicht der Serben flüchtete bereits zu Anfang des 15. Jahrhunderts nach Ungarn, die Überreste der Fürstenfamilie (Brankovics) waren durch Heirate aktive Teilnehmer der ungarischen Großpolitik. Sie stritten mit der Hunyadi-, Cillei-, Gara- und Frangepán-Familien, und siedelten die nach Norden flüchtenden serbischen Familien auf ihre Grundbesitze (Debrecen, Tokaj usw.) an. Ihre ethnische Identität wurde von der orthodoxen Kirche bewahrt, die sie sowohl vom westlichen Christentum als auch vom muslimischen Glauben trennten, und deren – von dem westlichen Christentum abweichende – weltliche Macht bekannt war. Die serbische Geschichtsschreibung spricht mit Recht darüber, dass das Siedlungsgebiet der Serben im 15.-17. Jahrhundert sich nach Norden ausdehnte, während sie die südlichen – ursprünglich serbischen – Gebiete langsam verloren. Zweifellos: Betrachtet man die Landkarte aus der Zeit der Verjagung der Türken (1699), so war Südungarn bis Baja mehrheitlich das Siedlungsgebiet der serbischen Bevölkerung, wo sie sich an die Stelle des nach Norden ziehenden Ungarn ansiedelten. Die Serben konnten ihre früher erworbenen „kollektiven” Fähigkeiten ausgezeichnet nutzen: Den vermittelnden Handel zwischen der muslimischen und der christlichen Welt. Denn die Historiker berichten im Allgemeinen nur über die türkisch-christlichen Kämpfe und schreiben nur wenig über den ständigen Wirtschaftsverkehr zwischen dem Osten und dem Westen. Selbstverständlich war hier der durch Zölle geregelte konsolidierte westliche Warenaustausch kaum bekannt.
Gehen wir zurück in der Geschichte. Es folgten Konflikte mit den hier angesiedelten Serben, die ihre eigene völkisch-ethnisch-religiöse Selbständigkeit bewahren wollten. Das Problem war: Die ungarische führende Schicht wollte nach der Verjagung der Türken das Staatsgebiet erneut in Besitz nehmen und geriet dadurch sowohl mit dem eigenen Herrscher, als auch mit der hier angesiedelten serbischen Bevölkerung in Konflikt. Der Herrscher wollte die von den Türken zurückeroberten Gebiete nicht unter das ungarische Komitatssystem eingliedern, sondern diese unter eine zentrale Leitung als Grenzgebiete einteilen. Die Begründung lautete: Die Einnahmen der Länder der ungarischen Krone deckten nur einen Bruchteil der Kosten für den Schutz der südöstlichen Grenzen des Staates. Der königliche Hof wollte also ein Grenzgebiet ausbauen, dessen Bevölkerung Steuerfreiheit genoss, dafür jedoch Militärdienst leistete. So wurden die kroatischen, serbischen und rumänischen südlichen Gebiete nicht nur der zentralen Verwaltung unterstellt, sondern auch ihre Steuerkraft und ihre Verwaltung wurden zugleich aus dem Zuständigkeitsbereich der ungarischen Gutsherren, bzw. der Komitate gezogen. Natürlich, als zwischen dem König und den ungarischen Ständen ein Kampf ausbrach, forderte die ungarische Herrscherschicht sofort die Rückgliederung Südungarns - das ein riesiges Gebiet umfasste und das theoretisch über ein bedeutendes Steuerpotential verfügte – unter die Zuständigkeit der ungarischen Landesversammlung sowie der Komitatsorganisation. Es ist selbstverständlich, dass die Völker der Grenzgebiete in Südungarn nicht ungarische Steuerzahler werden wollten. (Das führte dann zu zahlreichen Konflikten bei den Bevölkerungskontakten zwischen 1703-1711 und 1848-49.)
Serbisch-ungarisches Zusammenleben im Alltag
Doch: Gehen wir zurück in der Geschichte, zur Geschichte des Alltags. Die Geschichte des serbisch-ungarischen Zusammenlebens ist seit der Verjagung der Türken im Jahre 1699 die Geschichte des Zusammenlebens der serbisch-ungarischen Bevölkerung. Die Geschichte der täglichen Lebensverhältnisse, und bald die Geschichte der im unbewohnten Südungarn angesiedelten Deutschen, der vom Norden hereinziehenden Slowaken, Ukrainer sowie der vom Osten kommenden Rumänen. „Südungarn” galt ethnisch als ein vielfarbiges Gebiet Europas. (Sowie als eines der besten Agrargebiete Europas!) Dieses Zusammenleben führte dazu, dass eines der buntesten Alltagskulturen in Europa entstand. Die Geschichte des Alltags in Ungarn im 18. Jahrhundert ist bis heute nicht bekannt. Die verschiedenen Traditionssysteme und Lebensbedingungen.
Die Nutzung der Lebensorte in den Wäldern und auf den Wiesen sowie an den Gewässern. Die Wasser nahen Lebensorte bestimmten – bis zu den Trockenlegungen im 19. Jahrhundert – die Traditionen der Selbsterhaltung der hier lebenden Völker. Wahrlich, hat die orthodoxe Kirche die gemischten Ehen verhindert, diese waren unter den katholischen Kroaten, Deutschen, Slowaken und Ungarn häufiger. Doch das Zusammenleben und das friedliche Vertragen des Anderen sind bewiesen: Beinahe alle Siedlungen der Region waren ethnisch gemischt. In der Haushalt- und Kochkultur haben sie sich zusammen an die Verbürgerlichung im 18. und dann im 19. Jahrhundert, sowie an die Bedienung der städtischen Kultur angepasst: Die Zutaten zum Kochen, Kartoffeln, Schweinefleisch und die Gewürzpflanzen des Karpatenbeckens sind bis heute Teile der wunderbaren Kultur Südungarns. Das gewürzte Hackfleisch auf Glut gebraten, mit Kraut gekocht, die Wurstarten, die Suppen von Hülsenfrüchten und vom geräucherten Fleisch mit Zwiebeln, oder Knoblauch, die Paprikaspeisen mit viel Saft, die süßen Früchte in gerolltem Teig gebacken, sowie die verschiedenen Varianten des charakteristischen Fisches der Region, des Karpfens – als Fischsuppe, oder als Raizenkarpfen. Sowie die gebratene Paprikaspeisen, mit Zwiebeln und Tomaten als Letscho. (So wurde die türkische – nach den neueren Forschungen die durch die Türken mitgebrachte persische – Kochkultur vermittelt.)
Und wir gehen zurück in der Geschichte. Würdigend zählen wir die Verdienste der Habsburger Monarchie in Verbindung mit dem nationalen Erwachen der westlichen slawischen Völker auf. Die diese Völker selbstverständlich nach der Auflösung der Monarchie – 1918 – zu vergessen geneigt waren. Wir berichten über die Rolle des Ungarischen Königreiches innerhalb der Monarchie bei der Entfaltung des nationalen Erwachens der slawischen Völker des Karpatenbeckens – sogar der Rumänen. Wir berufen uns auf die wissenschaftliche Kultur der Slawistik in Wien, oder die Rolle der Universitätsdruckerei in Ofen in den 1820-1860er Jahren. Hier entstand die erste bedeutende Werkstatt der serbischen Literatur und Intellektuellen (1826), hier wurde die erste wichtige serbische literarisch-wissenschaftliche Zeitschrift, die Letopist (1824) herausgegeben, und nicht im mittlerweile gegründeten serbischen Vasallenstaat der Türken, in Belgrad. Das nationale Kulturinstitut der serbischen Intellektuellen zog erst in den 1860er Jahren nach Süden – nach Novi Sad/Neusatz, bzw. nach Belgrad. Wir zählen die Fakten der Erneuerung der serbischen kirchlichen Kunst auf: Wie in der toleranten städtischen ungarischen Kultur das westliche Barock und die moderne kirchliche Kultur aufeinander treffen konnten. Die hieraus entstandenen historischen Kunstdenkmäler können in Ráckeve und in Szentendre von Touristen aus allen Ecken der Welt bewundert werden… (Die Aufnahmebereitschaft und die Toleranz der ungarischen Gesellschaft würdigend und anerkennend.)
An dieser Stelle hört die Aufzählung auf. Obwohl wir noch Lust hätten, neben den gegeneinander geführten Kämpfen zahlreiche andere Momente des friedlichen Zusammenlebens in Erinnerung zu rufen. Bis zu unseren Tagen. Die gegenseitigen Sympathien unserer Generation heraufbeschwören. Zwischen Serben und Ungarn. Über – den dritten Weg beschreitenden – Titos Jugoslawien. Wie wir die Veröffentlichungen der anders denkenden Jugoslawen – vor allem von Serben und Kroaten – begeistert lasen. Wir beobachteten aufmerksam, wie eine relative Unabhängigkeit in der sowjetischen Zone erreicht werden konnte. Es besteht kein Zweifel: Wir beobachteten aufmerksam, wie man über Kapitalismus, Marktwirtschaft und Sozialität anders denken kann. Denn nicht alle stellten sich das Schicksal des Menschen zwischen den zwei Polen, Moskau und Washington, vor. Wir lasen alles – ich zumindest –, was das Verhältnis der jugoslawischen Politik zur Dritten Welt beschrieb: in Richtung Asiens und Afrikas …
Diskussionen, Selbstprüfung
Die Geschichte unserer Völker ist also die Geschichte der im Laufe eines menschlichen Lebens erlebbaren Aktivitäten. Die Geschichte unserer Völker beschränkt sich also nicht ausschließlich auf die Interessenkämpfe, die zwischen den Staaten und den Volkskruppen ausgefochten werden. – Sollen wir wieder mit der Aufzählung beginnen? Die Interessengegensätze folgten daraus, dass die in nördliche Richtung gedrängten-wandernden Serben in der neuen Heimat, in Ungarn, ihre bereits früher erworbenen Privilegien behalten wollten. – Sollen wir mit unseren Folgerungen fortsetzen? Wir sollten eher später hierüber diskutieren. Die Interessengegensätze folgten daraus, dass die Serben auf dem ehemaligen ungarischen Staatsgebiet ihre eigene politisch-religiöse Autonomie bzw. Steuerbegünstigungen forderten. Die Leiter des ungarischen Staates hingegen waren lediglich bereit die religiöse Autonomie zu sichern. Diese Sturheit – an sich die Anpassung an die europäischen nationalstaatlichen Prinzipien – führte zur Auflösung des ungarischen Staates. Die Interessengegensätze folgten später daraus, dass die Lösungen zwischen 1918-1999 zur Anpassung der Grenzen der Siedlungsgebiete und des Staates zu keinem wirklichen Ergebnis führten. Eine wirklich vernünftige Lösung konnte diesbezüglich nicht gefunden werden. Sollen weitere Argumente herangeführt werden? – Gegenwärtig scheinen sich diese Interessengegensätze aufzulösen. Die europäische Integration in der Verwaltung wird diese beseitigen. Die globale Welt verlangt sowieso, dass neue Interessen verfolgt werden.
Wir, Historiker wollen nicht nur über die kalten Tage im 20. Jahrhundert sprechen. Mit diesen beginnen wir. Wie wir, ungarische Intellektuellen unsere eigenen kalten Tage verkraften mussten, so muss die serbische Intelligenz ihre ebenfalls verkraften. Aber …
Wir, ungarische Historiker möchten die Aufmerksamkeit der ungarischen Intellektuelle auf die Geschichte der südöstlichen Völker lenken. Mehrere Forschungsprogramme, mehrere Unterrichtseinheiten an den Universitäten und in den Mittelschulen, in den Forschungsinstituten sollten mehrere Themen der Geschichte der Serben, Kroaten, Bosniaken, Makedonier, Bulgaren, Albaner gewidmet werden. Und wir möchten erreichen, dass auch unsere südöstlichen Nachbarn immer mehr bereit sind die ungarische Geschichte und allgemein die Geschichte der im Karpatenbecken lebenden Völker kennenzulernen. Es sollen das zuvor nicht vorhandene kulturelle Interesse sowie das mittlerweile zurückentwickelte wissenschaftliche Interesse erweckt werden. Wir sollen auf einander achten… Alles aussprechen… Wenn es nötig ist, diskutieren, Selbstprüfung halten… Anders geht es nicht…