III.
Forschungsprojekte
2. Die südöstliche Erweiterung der EU, Ungarn und der Balkan
In dem vergangenen akademischen Jahr lautete das Ziel des in November 2005 auf die Initiative von Prof. Ferenc Glatz gestarteten Balkanprojekts wie folgt: Die südosteuropäische Erweiterung der Europäischen Union erzwingt die fundierte Untersuchung der regionalen Präsens und Rolle des ungarischen Staates und der hiesigen Gesellschaft. Aus diesem Grund kann das auf lange Frist geplante Monitoring der Balkanregion mit Bezug auf die aktuellen Trends in Wirtschaft, Politik und im kulturellen Bereich aus ungarischer Sicht nicht umgangen werden. Im vergangenen Projektjahr wurden die folgenden Schwerpunktthemen behandelt: Untersuchung der aus europäischer Perspektive aktuellen Fragenbereiche, die Auswirkungen der Wirtschaftskrise auf die EU-Integrationsbestrebungen der Region, die potentielle Rolle und Aufgaben Ungarns bei der EU-Erweiterung, die Integrationsinteressen der Westbalkanländer und die Analyse der aus ungarischer Sicht wichtigen internen Entwicklungstendenzen in der Region.
Das Projekt verläuft weiterhin mit Einbeziehung des Sozialforschungszentrums der UAW, dem Institut für Geschichtswissenschaft der UAW und dem Europa Institut Budapest.
a.) Veranstaltungen
Präsentation der Ergebnisse zum Projekt „Der Balkan als strategische Region für Ungarn”
(1. Oktober 2009)
(Gemeinsame Veranstaltung des Amtes des Ministerpräsidenten, der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, bei der das Sozialforschungs-zentrum der UAW, das Zentrum für Balkanforschung und das Europa Institut Budapest vertreten waren)
Die jährlich zwei Mal organisierte Konferenz zur Präsentation der Forschungsergebnisse erfüllt eine Doppelfunktion: Erstens werden hier die Ergebnisse der laufenden Projekte präsentiert; und zweitens sollen hier die Projektteilnehmer und die Vertreter der Fachverwaltungen zusammengeführt, um über die pragmatischen Aspekte der Forschungen zu beraten und Anknüpfungspunkte für eine Zusammenarbeit zu finden. Das in Oktober 2009 organisierte Konferenz vom Generalsekretär der UAW, Tamás Németh, und vom Staatssekretär des Amtes des Ministerpräsidenten, István Ujhelyi, eröffnet.
Das Programm „Der Balkan als strategische Region für Ungarn”, welches vom Direktor des Europa Instituts Budapest initiiert wurde, tritt nunmehr in sein drittes Projektjahr und Dr. Attila Pók, als Leiter dieses Programmes, präsentierte den Verlauf der Forschungen und die Pläne für das Jahr 2009-2010. Als prioritäre Zielsetzung führte er die Erstellung von Strategiepapieren (Policy Papers) an, die zu konkreten und aktuellen Themen auf dem Balkan Stellung nehmen und umfassende Kenntnisse sowie Lösungsansätze für die politischen Entscheidungsträger vermitteln. Die folgenden Themenbereiche wurden hier aufgezählt: 1.) Der politische Wandel in Serbien; 2.) Bosnien-Herzegowina: Der Weg zur Stabilität; 3.) Die Beziehungen zwischen Russland und den Balkanländern mit besonderer Hinsicht auf die energetische Dimension; 4.) Die Unabhängigkeit von Kosovo mit besonderer Hinsicht auf die politischen und wirtschaftlichen Aspekte.
Im Rahmen der Präsentation wurden die zahlreichen Publikationen zu den Forschungsergebnissen des Programms hervorgehoben, insbesondere die englischsprachige Veröffentlichung der Konferenzmaterialien der nunmehr zwölfteiligen Veranstaltungsreihe „Vorträge über den Balkan“ in der Buchreihe Begegnungen des Europa Institutes Budapest. Ebenso publizierten die Mitarbeiter des Projekts Studien in der Zeitschrift „Ezredforduló“ (Jahrtausendwende) und in História. Die Informationen zum Balkan-Projekt werden auf Ungarisch und Englisch ebenfalls auf der Internetseite des vom Europa Institut Budapest initiierten Zentrums für Balkanforschung veröffentlicht. Ebenfalls auf dieser Internetseite wird monatlich ein Kalender zu den wichtigsten Ereignissen in Verbindung mit den Balkanstaaten publiziert.
(70 Teilnehmer)
Buchpräsentation: „The European Union, the Balkan Region and Hungary“ Vol. 1-3.
(5. November 2009)
Im Rahmen der Buchpräsentation wurden die unter dem Titel The European Union, the Balkan Region and Hungary in der Schriftenreihe des Europa Instituts Budapest Begegnungen publizierten drei Bände zusammen vorgestellt. Die mit dem Vorwort von Prof. Ferenc Glatz versehenen Bände enthalten die redigierten Fassungen der Vorträge, die bei der erfolgreichen Konferenzserie „Vorträge über den Balkan” gehalten wurden. Die folgenden Themenbereiche werden in den Bänden erfasst: Geschichte der Balkanforschung, südwestliche Erweiterung der EU, die Beziehungen Russland zu den Staaten auf dem Balkan, die Perspektiven der ungarischen Außenpolitik, Kosovo, Regionalstruktur des Balkans, Kooperation und Wettbewerb in der Agrarwirtschaft, Transport- und Verkehrswesen, Klimawandel, usw. Das auf die Initiative von Prof. Glatz in 2005 gestartete Balkanprojekt organisiert seit 2006 die Konferenzreihe „Vorträge über den Balkan“, die ein breites Publikum (100-120 Personen) aus Regierungs- und Verwaltungskreisen, aus Wirtschaft und Forschung anzieht.
Zur Buchpräsentation wurden die Autoren der in den Bänden veröffentlichten Studien und das Stammpublikum der Konferenzreihe eingeladen, um ihnen einen Dank für ihre Mitarbeit, das rege Interesse und ihrer Verbundenheit zum Balkanprojekt auszusprechen. Prof. Glatz verwies auf die Notwendigkeit solcher Initiativen, die zur Diskussion von aktuellen Fragen ein Forum bieten und so die Akteure aus Verwaltung, Wirtschaft und Forschung zusammenführen. Ungarn muss ihre Chance und ihr Potential nutzen und als eine Verbindung zwischen der Europäischen Union und dem Balkan fungieren. Die tiefgreifenden Kenntnisse und die bestehenden Kontakte dürfen nicht ungenutzt bleiben. Er verwies ebenfalls auf die Potentiale der Sprachwahl der Bände, die die auf Englisch erschienen Publikationen einer breiten und internationalen Leserschaft zugänglich machen – und somit als lückenfüllend zu betrachten sind. Die Buchpräsentation wurde mit einer Diskussion über die möglichen Themenschwerpunkte zur Zusammenstellung von neuen Bänden zum Thema die Europäische Union, der Balkan und Ungarn abgeschlossen.
(90 Teilnehmer)
Die vergessene Region – Der Westbalkan
(20. November 2009)
(Gemeinsame Veranstaltung der Manfred Wörner Stiftung, des Sozialforschungszentrums der UAW und des Europa Instituts Budapest)
An das Balkan-Projekt des Europa Instituts Budapest anlehnend wurde gemeinsam mit der Manfred Wörner Stiftung und dem Sozialforschungszentrums der UAW eine Konferenz über den Westbalkan organisiert. Die Vertreter der Manfred Wörner Stiftung waren seit Beginn der Veranstaltungen des Balkan-Projekts bei den Konferenzen „Vorträge über den Balkan“ anwesend. Sie zeigten stets reges Interesse für die Themen, die im Rahmen dieser Konferenzen angesprochen wurden und beteiligten sich aktiv an den Diskussionsrunden.
Im Rahmen der englischsprachigen Konferenz wurden die Botschafter, Vertreter der Staatsverwaltung der Staaten der westlichen Balkanregion und des Rates der Europäischen Union sowie führende Persönlichkeiten der in der Region präsenten ungarischen und internationalen Unternehmen und ebenfalls Fachwissenschaftler der Balkanländer eingeladen. Ziel der Konferenz war es einen Einblick in die aktuelle Lage der Westbalkanstaaten zu verschaffen und die Möglichkeiten der Integration zu erforschen mit besonderer Hinsicht auf die wirtschaftlichen Potentiale der Region. Die folgenden übergreifenden Themenbereiche wurden in drei Panels behandelt: 1.) Die Möglichkeiten der internen und externen Integration; 2.) Aktuelle Fragen zur Sicherheitspolitik; 3.) Der Westbalkan in der ungarischen Außen- und Wirtschaftspolitik. Besondere Aufmerksamkeit galt den Möglichkeiten der politischen und wirtschaftlichen Integration der Westbalkanregion, zu einem in die Europäische Union und zum anderen in die transatlantischen und europäischen Organisationen, wobei die einzelnen spezifischen Aspekte und die Geschichte der Staaten der Region näherer Betrachtung unterzogen wurden. Mit Bezug auf die Sicherheitsfragen wurden die Risiken und die Herausforderungen in Verbindung mit der Integration diskutiert, mitunter die Entwicklung der demokratischen Prozesse in der Zivilgesellschaft.
Die Problembereiche in Verbindung mit der Frage der Beziehungen zwischen der serbischen und der albanischen Bevölkerung waren ein wichtiger Aspekt bei der Diskussion der Sicherheitspolitik. Nicht zuletzt wandte man sich den möglichen Lösungsansätzen zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens zu. Abschließend sprachen Vertreter ungarischer Unternehmen, die auf dem Westbalkan präsent sind, über die Tendenzen und den Standpunkt der ungarischen Außenpolitik und die wirtschaftlichen Interessen Ungarns in der Region. Hierbei wurden die Erfahrungen zu den bereits erfolgten Investitionsvorhaben und zu den wirtschaftlichen Potentialen erläutert mit besonderer Hinsicht auf die Übertragbarkeit dieser Erfahrungen für weitere Akteure, die Interesse an der Region haben.
(50 Teilnehmer)
Ländliche Entwicklung und das Zusammenleben der Nationen – Ländliches Forum in Szabadka
(30. November 2009)
(Gemeinsame Veranstaltung des Ungarischen Netzwerks Ländlicher Raum, des Netzwerks des Vojvodiner Entwicklungsfonds und des Europa Instituts Budapest)
Die Zeit ist reif für einen Mentalitätswechsel in der Minderheitenpolitik in Ostmitteleuropa. Die Osterweiterung der Europäischen Union bringt neue Chancen und Möglichkeiten mit sich, so soll unsere bisherige Auffassung über Minderheiten unter die Lupe gestellt, und der Akzent in Richtung fachpolitischer Diskussionen geschoben werden. Ländliche Entwicklung ist ohne Zweifel unter den Bereichen, die wesentlich zum Zusammenhalten von lokalen Gemeinschaften und gleichzeitig zum Erkenntnis der gemeinsamen Interessen beitragen können. In Szabadka (Subotica) fand zu diesem Themenkreis am 30. November eine Konferenz statt, wo Experten, Politiker, Bürgermeister und Unternehmer aus der Vojvodina und aus Ungarn die diesbezüglichen Fragen behandelten. Einverständnis herrschte darüber, dass die Entwicklungsprogramme im ländlichen Raum vor allem durch die Schaffung von Arbeitsplätzen sowie die Erhaltung der Mittelklasse eine wichtige Rolle darin spielen, dass die jenseits der Grenzen lebenden ungarischen Gemeinschaften in ihrer Heimat verbleiben können.
In seiner Eröffnungsrede sprach Ferenc Glatz darüber, dass gegenwärtig die Serben und Ungarn mehr gemeinsame Interessen haben als jemals zuvor. Um aber diese geltend machen zu können, müssen die Minderheitenkonflikte aufgelöst und die Wunden, die im Laufe der Jahrhunderte einander zugefügt wurden, überwunden werden. Die mit der globalen Entwicklung verbundenen lokalen Aufgaben, die Möglichkeiten, die sich in Folge der europäischen Integration bieten, und die Minderheitenprobleme müssen auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden. Der neue Weg zur Bewahrung des Ungarntums bedeutet, dass die Aktionen zur Institutionalisierung unseres nationalen Selbstbewusstseins mit Einbeziehung der Fachpolitiken ergänzt werden müssen, z.B. in Bereichen der Naturbewirtschaftung, Wasserbewirtschaftung und ländlicher Entwicklung. Grenzüberschreitende Zusammenarbeit wird auch von der Europäischen Union gefördert (die diesbezüglichen Quellen können unter anderem für die Entwicklung der Infrastruktur sowie für die Gründung von gemeinsamen Unternehmen verwendet werden).
Die ungarisch-serbischen Beziehungen werden also immer mehr von den langfristigen gemeinsamen Interessen dominiert, und die Zusammenarbeit im Bereich der ländlichen Entwicklung kann die Grundlagen eines neugestalteten, offenen Dialogs schaffen – vor allem in der Vojvodina, wo ein bedeutender Teil der Ungarn auf dem Lande lebt.
(150 Teilnehmer)
Werkstattkonferenz des Projektes „Der Balkan als strategische Region in Ungarn“
(25. Februar 2010)
Die in Form einer Werkstattkonferenz gehaltene Expertensitzung zum Projektprogramm „Der Balkan als strategische Region in Ungarn“ setzte sich zusammen, um die prioritären Aufgaben für das Projekt in 2010 zu bestimmen. Hierzu gehörten die Fortsetzung des Monitorings der Balkanregion mit besonderer Hinsicht auf die Interessen Russlands in der Region bzw. den Vorteilen, die Serbien durch das Engschnüren der Beziehungen mit Russland erkämpfen kann. Es gilt zu verfolgen welche Tendenzen letztendlich im Energiesektor Oberhand gewinnen werden.
Mit Bezug auf die Rolle Ungarns als Vermittler in Richtung der Balkanländer sollen die Möglichkeiten der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit erforscht und präsentiert werden. Hierbei sollen die von der EU gebotenen Möglichkeiten für Kooperationsvorhaben in den Grenzgebieten nicht ungenutzt bleiben. Im Bereich der ländlichen Entwicklung – einem von der EU prioritär geförderten Bereiche – bieten sich hierzu ernstzunehmende Potentiale. Im Rahmen der Sitzung wurde bei der Diskussion zu den einzelnen Staaten der Region hervorgehoben, dass Serbien, das objektiv betrachtet bedeutenden Wandel mit Hinsicht auf seinen Status, seine Integrität und seine Position im internationalen Umfeld zu verkraften hat, mehr Aufmerksamkeit zukommen sollte.
(25 Teilnehmer)
Präsentation der Ergebnisse zum Projekt „Der Balkan als strategische Region für Ungarn”
(4. März 2010)
(Gemeinsame Veranstaltung des Amtes des Ministerpräsidenten, der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, bei der das Sozialforschungs-zentrums der UAW, das Zentrum für Balkanforschung und das Europa Institut Budapest vertreten waren)
Die zweite Konferenz zur Präsentation der laufenden Forschungsprojekte ermöglichte den Vertretern der Fachverwaltungen, den Fachexperten und den Akteuren des wirtschaftlichen Lebens erneut einen Einblick in die im Rahmen der Projekte behandelten Themenkreise. Das Forum wurde diesmal von Stellv. Generalsekretär Valéria Csépe der UAW und von Staatssekretär István Ujhelyi eröffnet. Dr. Attila Pók als Leiter des vom Direktor des Europa Institut Budapest initiierten Projektprogramms „Der Balkan als strategische Region für Ungarn”, präsentierte eine Zusammenfassung der Aspekte, die den Inhalt der bis zum Ende des Projektjahres erstellten Strategiepapiere (Policy Papers) bilden werden.
Die wirtschaftliche Entwicklung und die Förderung von Investitionen können bedeutend zur Gewährleistung der Stabilität in der Balkanregion beitragen. Diesbezüglich soll die Stellung der Europäischen Union erarbeitet werden. Ein weiteres Thema bildet das Interesse Russlands an der Region. Hierzu wird von Russland-Experten eine Studie erstellt, in der die energetische Dimension (Pläne zur der Legung der Gasrohrleitung South Stream) in Detail gehend erörtert werden soll. Das Projekt widmet den grenzüberschreitenden Kooperationen zwischen Ungarn und seinen Nachbarstaaten auf dem Balkan besondere Beachtung.
Der Akzent soll auf die sektorale Zusammenarbeit entlang den Grenzgebieten gelegt werden. Die Erfahrungen in der Vojvodina im Bereich der ländlichen Entwicklung bieten hierzu gut übertragbare Kenntnisse und Know-how. Mit Hinsicht auf das Monitoring der Balkanstaaten wendet sich das Projekt den aktuellen Tendenzen in Serbien zu, und zu diesem Thema soll ebenfalls ein Policy Paper erstellt werden. Die bis zum Ende des Projektjahres fertig gestellten Strategiepapiere werden ebenfalls auf Englisch übersetzt und auf der Homepage des Zentrums für Balkanforschung zugänglich gemacht.
(70 Teilnehmer)
b.) Bericht des Balkan-Projekts
Entwicklung der Wirtschaft und der Energiepolitik in der Balkanregion
In diesem Jahr waren die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise auf die Balkanregion, sowie die damit zusammenhängenden wirtschaftlichen Umstrukturierungen mit besonderer Hinsicht auf die Energiepolitik die aktuellen Themen unserer Arbeit. Die Länder auf dem Balkan spielen – im Gegensatz zu zahlreichen Staaten in Ostmitteleuropa – gegenwärtig keine relevante Rolle im Transit der russischen Energielieferungen nach Westeuropa. Diese Situation kann sich ändern, wenn die in Kooperation von Gazprom und dem italienischen Energieversorger ENI geplante Gasleitung, die South Stream, gebaut wird.
Die Verwirklichung des groß angelegten Vorhabens, das laut der Erklärung im Frühling 2009 bereits auf eine Kapazität von 63 Milliarden Kubikmeter/Jahr erweitert werden soll, ist jedoch wegen mehreren Ursachen zweifelhaft. Nicht weil Russland kein Gas, keine finanziellen Quellen, oder keine Technologie hätte, die die komplizierte Leitungslegung unter dem Meer ermöglicht – das alles steht Moskau zur Verfügung. Es gibt sogar zahlreiche Zeichen – vor allem das ab Juli 2009 von Monat zu Monat registrierte Wachstum des GDP – die darauf hinweisen, dass Russland die Krise bereits hinter sich hat. Eines kann aber Moskau weiterhin nicht voraussagen, und zwar in welchem Tempo das Volumen des europäischen Gasmarktes wachsen wird. (Im Jahre 2009 reduzierte sich der Gasverbrauch von den 27 EU-Mitgliedstaaten – in Folge der Rezession bzw. der Verbreitung des energiebewussten und energiesparenden Verhaltens – um 44 Milliarden Kubikmeter!) Zudem hat Moskau bislang auch die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass die ukrainische Transitroute infolge der Präsidentenwahl in der Ukraine am Anfang des Jahres doch konsolidiert werden kann. Das wäre für Moskau eine weitgehend günstigere Lösung als die kostenaufwendigen Konstruktionsarbeiten der Leitungslegung durch das Schwarze Meer. Da aber für die Klärung dieser zwei Fragen noch einige Zeit benötigt wird, wird auch Moskau die endgültige Entscheidung über den Bau der South Stream noch lange hinauszögern, und inzwischen mit Entschlossenheit die Glaubwürdigkeit der Tatsache aufrecht erhalten, dass sie – wenn sie will – weitgehend imstande ist die Leitung fertig zu bauen. Falls dann schließlich doch beide europäischen Zweige der Gasleitung fertig gestellt werden sollten, entsteht letztendlich eine neue Situation, in der die Balkanregion für Russland aufgewertet wird. Vorerst gibt es jedoch noch keine endgültige Entscheidung und diese ist vor Ende des Jahres 2010 auch nicht zu erwarten. Auch dann ist mit einer weiteren Verzögerung der endgültigen Entscheidung zu rechnen.
Unter solchen Umständen stellt der Balkan für Russland keine wichtigere Zielregion der Kapitalauslegungen dar als unsere Region. Die Bauarbeiten in Verbindung mit South Stream, falls diese überhaupt begonnen werden, wird – unter anderem dank den diesbezüglichen sonstigen russischen Akquisitionen – auch in dieser Hinsicht eine neue Situation schaffen.
Kooperation in den Grenzregionen
Einen weiteren Forschungsschwerpunkt stellte die Auswirkung der südöstlichen Erweiterung der EU auf die ungarischen Grenzregionen sowie auf die Perspektiven der Kooperation entlang den Grenzen dar. Auf die Vojvodina konzentrierend wurden die Zusammenhänge zwischen der Regionalentwicklung und der Minderheitenpolitik, sowie die sozialen Kontexte der Wirtschaft und der Entwicklungsprogramme der multiethnischen Regionen entlang der Grenze, bzw. deren Wirkung auf die Existenzbedingungen der einzelnen nationalen Minderheiten untersucht.
In Szabadka (Subotica) fand zu diesem Themenkreis eine Beratung statt, wo etwa 150 Experten, Politiker, Bürgermeister und Unternehmer aus der Vojvodina und aus Ungarn die diesbezüglichen Fragenbereiche behandelten. Einverständnis herrschte darüber, dass die Regionalentwicklungsprogrammpläne in Verbindung mit der Schaffung von Arbeitsplätzen sowie mit der Erhaltung der Mittelklasse eine wichtige Rolle darin spielen, dass die jenseits der Grenzen lebenden ungarischen Gemeinschaften in ihrer Heimat verbleiben können. Aus den Quellen der Union steht in den folgenden drei Jahren eine Summe von beinahe 5 Milliarden HUF für die grenzüberschreitende ländliche Entwicklung zur Verfügung, und diese Summe sollte unter anderem für die Entwicklung der Infrastruktur sowie für die Gründung von gemeinsamen Unternehmen verwendet werden. Die ungarisch-serbischen Beziehungen werden immer mehr von den langfristigen gemeinsamen Interessen dominiert (wie z.B. die durch den globalen Klimawandel herbeigeführte Verdürrung, die eine gemeinsame Wasserbewirtschaftung immer dringender werden lässt).
Im Interesse der Geltendmachung müssen die Haupthindernisse der Kooperation überwunden werden, nämlich die gegenwärtigen Konflikte, die infolge der in den vergangenen 300 Jahren zugefügten Wunden sowie im Zusammenhang mit den Minderheitenfragen entstanden sind. Zwischen den Experten herrscht auch darin Einverständnis, dass die Fachpolitiken der Minderheitenpolitik eine neue Richtung und neue Chancen geben können. Wir müssen uns bewusst werden, dass aus der Sicht der Erhaltung der jenseits der Grenzen lebenden ungarischen Gemeinschaften die wirtschaftlichen Faktoren, neben den Menschen- und Minderheitenrechten, eine gleichwohl wichtige Rolle spielen, somit die Erhaltung der Lebensfähigkeit der ungarischen Siedlungen, die Entwicklung der Unternehmen in den ungarischen Gemeinden sowie die Schaffung von Arbeitsplätzen. Eine der besten Methoden hierfür bietet die ländliche Entwicklung, besonders in den Regionen, wie in der Vojvodina, wo ein bedeutender Teil der Ungarn auf dem Lande lebt.
Serbien – Aktuelle Tendenzen
Ausführlich wurden im vergangenen Halbjahr die juristischen und die innenpolitischen Bezüge der beiden neuen serbischen Autonomiegesetze untersucht. In der zweiten Hälfte des Jahres 2009 erfolgten nämlich relevante, hoffnungsvolle Veränderungen in Serbien in der Angelegenheit der territorialen Autonomie der Vojvodina sowie der Autonomie der Minderheiten. Am 31. August 2009 verabschiedete das serbische Abgeordnetenhaus das Gesetz über die Aufstellung der Nationalräte und genehmigte am 30. November das Statut der Vojvodina sowie das diesbezügliche Kompetenzgesetz, die somit verkündet werden konnten. Beide Dokumente entstanden als Ergebnis von schwerwiegenden Diskussionen. Was die serbische politische Elite mit diesen Gesetzen zu tun bereit ist, ist auch in Relation der Europäischen Union bedeutend.
Mit dem Statut und mit dem damit verbundenen Kompetenzgesetz konnte die Vojvodina 152 Kompetenzbereiche übernehmen. Aus der Sicht der Entwicklungen sind die Gründung der Entwicklungsbank, sowie die Aufstellung der Vertretung in Brüssel besonders wichtig. Weiterhin wurde das Problem nicht überwunden, dass die Vojvodina nur höchstens über die in der serbischen Verfassung festgelegten 7% der Budgetgelder der Republik verfügt, verglichen mit den 43% ihrer Einzahlungen in das staatliche Budget. Somit sind die zur Verfügung stehenden Mittel zur Durchführung der vermehrten Aufgaben nicht ausreichend. Die Zurückerlangung des Vermögens der Provinz stellt somit eine Grundvoraussetzungen der Gewährleistung der tatsächlichen Autonomie dar.
Das Statut kann dennoch bedeutend zur Förderung der politischen Interessenvertretung der Ungarn in der Vojvodina beitragen. Und dies nicht nur, weil verglichen mit dem serbischen politischen Arena die Ungarn in der Provinz mit Hinsicht auf ihr Zahlenverhältnis stärker repräsentiert sind, sondern auch, weil viele der neuen Kompetenzbereiche aus der Sicht der individuellen und kollektiven Rechte der Minderheiten relevant sind (z.B. die Provinz ist der Begründer von Grundschulen).
Aus der Sicht der nationalen Minderheiten hatte unter den in der jüngsten Vergangenheit verabschiedeten Verordnungen – falls deren Durchführung entsprechend gesichert wird – das Gesetz vom 30. August 2009 über die Nationalräte die größte Bedeutung. Das Wesen der Regelung ist, dass die einzelnen Nationen die Angelegenheiten ihrer kulturellen Einrichtungen durch ihre eigenen Vertreter regeln können. Hierbei sei erwähnt, dass die Mehrheit der Kompetenzbereiche mit einem Recht für Antragstellung, Einverständnis, bzw. Begutachtung verbunden ist, während weniger Berechtigungen zur selbständigen Befugnis auf Beschlussfassung, oder Regelung eingeräumt werden.
Dennoch kann das Gesetz – wenn es tatsächlich durchgeführt wird – ein wichtiges Element bei der Verwirklichung der persönlichen Autonomie sein, die wiederum ein wesentlicher Bestandteil des von den Ungarn bereits Anfang der 1990er Jahre ausgearbeiteten Autonomiekonzepts bildet. Hoffentlich bleiben die juristischen Möglichkeiten nicht nur auf dem Papier (wie das Gesetz vom 2002), und die in der Verfassung formulierten Rechte werden diesmal konkretisiert. Dazu ist unentbehrlich, dass auch die benötigten finanziellen Mittel bereitgestellt werden.
Die 2009 verabschiedeten zwei Gesetze können auch im Leben der Vojvodina bzw. der dort lebenden nationalen Minderheiten, so auch im Leben der Ungarn, Veränderungen bringen. Die Alltagspraxis – die sich in den Diskussionen in Verbindung mit den Budgetmitteln und der Verteilung der Kompetenzen sowie der Übertragung der Gründungsrechte (Aufsicht und Betriebhaltung) konkretisieren – wird zeigen, in wieweit die neuen Verordnungen erfolgreich werden, und ob diese die schnellere Entwicklung der Vojvodina unterstützen. Die Gesetze haben hoffentlich einen wirklichen Inhaltsgehalt, und die neue Regierung, die den Beitritt zur Europäischen Union unterstützt, wünscht nicht nur scheinbar den Erwartungen der Union zu entsprechen.
Einer der wichtigsten Zeitpunkte in der modernen serbischen Geschichte war der 5. Oktober 2000 als Staatsoberhaupt Slobodan Milosevic nach Ausbrechen der Massendemonstrationen, mit denen gegen den Wahlbetrug bei den Präsidentschaftswahlen protestiert wurde, zurücktrat. Damit wurde eine tragische Periode von 14 Jahren abgeschlossen; eine Periode, die aus der Sicht der serbischen Nation berechtigt als eine verschwendete Zeit bezeichnet werden kann. Das autoritäre Regime brachte das Land im nationalistischen Fieber an den Rand des sich vereinigenden und demokratisierenden Europas.
Es muss deutlich gemacht werden, dass die Serben in den 1990er Jahren zu dem bitteren Ende einer Erfolgsserie angelangt waren, die ab dem Aufstand gegen die Türken im Jahre 1804 gerechnet beinah zwei Jahrhunderte dauerte (diese Erfolgsserie war natürlich nicht ungebrochen, dennoch war es prägend, dass die für die Serben schlecht beginnenden Weltkriege schließlich doch einen guten Ausgang hatten). Einen solch bedeutenden Wandel in so kurzer Zeit hätte man nicht einmal unter ruhigeren Umständen verkraften können. Und die Umstände waren keineswegs ruhig, da im Hintergrund der serbischen Nationalisierung reale nationale Wunden und objektiv bestehende Konflikte (natürlich mitunter weiterer Gründe) zu finden waren: Die Desintegration von Jugoslawien drohte etwa einem Drittel der serbischen Nation mit dem Minderheitenschicksal. Die nationale Verlustserie dauerte sogar bis zur jüngsten Vergangenheit an, als durch die Sezession von Montenegro am 3. Juni 2006, bzw. von Kosovo am 17. Februar 2008 der bereits durch den Zerfall vom 1991-1992 verkleinerte jugoslawische Staatskörper weiter in Stücke riss.
Grundsätzlich ist die lang anhaltende, durchgreifende Dominanz des Nationalismus in der serbischen Politik gerade mit diesem „bitteren Ende“ zu erklären. Diese Tendenz wird durch die mit dem Systemwandel verbundenen wirtschaftlichen und sozialen Spannungen noch weiter verstärkt. Warum sollte man von Serbien eine konsequente Reformpolitik erwarten, wenn die Euroskepsis überall in Europa verbreitet ist, und wenn die populistischen Parteien bei den Wahlen in vielen Mitgliedstaaten den Großteil der Stimmen an sich reißen?!
Unter diesen Umständen und Voraussetzungen konnte kaum erwartet werden, dass die Veränderungen nach 2000 unbedingt schnell und kontinuierlich eintreten, oder dass sie bald irreversibel werden. Die revolutionären Momente unterstehen selbstverständlich anderen Regeln und haben eine ihnen eigene, andere Dynamik als der politische Alltag. Dennoch hätte den Veränderungen im Herbst 2000 vielleicht ein größerer Schwung gegeben und den erschütterten Strukturen des vorigen Regimes einen größeren Schlag versetzt werden können, um die rasche Regenerierung der Radikalen Partei von Vojislav Seselj zu verhindern oder zumindest zu erschweren. Und doch gelang es die oben erwähnten negativen Entwicklungen umzukehren und Serbien konnte sich den europäischen Modernisierungsprozessen der Periode anschließen.
Dem ist auch dann so, wenn gelegentlich das Gefühl aufkommt als würde sich die serbische politische Schicht „bitten lassen“, als wollte sie nicht verstehen, dass die Integration zu der Union vor allem in ihrem eigenen Interesse liegt; dass Serbien aus diesem Grund die vorgegebenen Bedingungen erfüllen muss, und nicht weil von Zeit zu Zeit jede Nation den äußeren Zwängen „nachgeben“ muss. Offensichtlich vertritt Serbien den Standpunkt, dass in den Augen des Westens das Land als der größte Staat auf dem Westbalkan gilt und deshalb nicht als potentielles Krisenherd bestehen bleiben soll; zugleich soll ebenfalls verhindert werden, dass Serbien sich langsam Russland annähert. Dies bedeutet somit für die Serben, dass ihre Handelsposition und ihr Erpressungspotential auf relativ festem Boden steht – vor allem wenn die Reaktionen im internationalen Umfeld spürbar schwach und wenig definitiv sind – und dass sie somit größere Zugeständnisse bekommen können als die anderen, kleineren Staaten der Region.
Aufgrund der vorherrschenden Tendenzen und des politischen Kraftfelds der vergangenen anderthalb Jahre kann angenommen werden, dass Serbien fähig ist den demokratischen Wiederaufbau fortzusetzen und die Bedingungen der weiteren Annäherung an die Union zu erfüllen. Und es kann ebenfalls nicht mit Sicherheit vorausgesagt werden wie dauerhaft die gegenwärtigen Prozesse sein werden. Dennoch muss festgehalten werden, dass das Land nicht ohne eigene Verdienste die Visumfreiheit in die Union genießt, und dass das heutige Serbien das weitere, bedingte, jedoch eindeutige und auf die Praxis bezogenen konkreten Ansätze beruhende Vertrauen der demokratischen euro-atlantischen Gemeinschaft verdient.