Wissenschaftsprogramm
des Europa Institutes Budapest
für die Jahre 2002–2006
Die Zielsetzungen des Europa Institutes Budapest und das jenen entsprechende wissenschaftliche Programm wurden vom Kuratorium bzw. dem Wissenschaftlichen Beirat im Jahre 1990 festgelegt. Die Ziele haben sich im Wesentlichen kaum geändert – Unterstützung des europäischen Integrationsprozesses sowie die Festigung der Beziehungen Ungarns zu Europa (mit besonderer Rücksicht auf das Verhältnis Ungarns zu seinen mitteleuropäischen Nachbarn). Diese Zielsetzungen determinieren den Tätigkeitsbereich des Institutes: das Institut veranstaltet Konferenzen, gibt Publikationen heraus und empfängt Stipendiaten aus der ganzen Welt (in erster Linie aber aus Europa und Mitteleuropa). Die Themen entstammen den Bereichen von Politik, Wirtschaft, Geschichte, Rechtswissenschaft bzw. Soziologie.
Die Schwerpunkte des Wirkungsbereiches haben sich nach der Sitzung des Stiftungsrates im Jahre 1998 geändert, und zwar in Richtung Publikationstätigkeit bzw. Organisation von Konferenzen, wie es auch aus dem Bericht über die Jahre 1998–2002 hervorgeht. Ebenfalls 1998 sind jene drei Themenbereiche festgelegt worden, um welche sich Veranstaltungen und Publikationen des Institutes gruppieren:
1. Die Osterweiterung der Europäischen Union
2. Mitteleuropa und Ungarn
3. Die Geschichte Europas
Nachfolgend möchte ich auf die Zielsetzungen des Institutes, den Tätigkeitsbereich und die drei hervorgehobenen Themen eingehen.
1. Die Zielsetzungen des Institutes
Laut unserer Vorstellungen werden die Zielsetzungen des Europa Institutes in den Jahren 2002–2006 unverändert bleiben.
Dies werden die Jahre der Osterweiterung der Europäischen Union sein. Wahrscheinlich wird man 2004 zehn ostmitteleuropäische Staaten (darunter Ungarn) als Mitglied aufnehmen. Bei unserem Institut handelt es sich gegenwärtig um das stärkste Zivilorgan, welches zu jenem Zweck gegründet wurde, in Ungarn den Europagedanken zu propagieren sowie darüber hinaus die Folgen der Erweiterung der EU auf die Region Ostmitteleuropas zu erforschen.
Die Jahre 2002–2006 werden für die Gesellschaften Ostmitteleuropas große Erschütterungen mit sich bringen. Die staatliche Administration entspricht wohl im Großen und Ganzen den Normen der Europäischen Union, welche auf den Gebieten von Rechtswesen, Wirtschaft oder Umweltschutz usw., wie gesagt im staatlichen Sektor eingeführt werden. Fraglich ist aber, wie denn nun die ostmitteleuropäischen Gesellschaften auf den Beitritt in die Union reagieren werden. Finden diese kleinen Nationen ihren Platz, die Vertretung ihrer Interessen im Rahmen der Union? Welche Alternativen bieten sich diesen Kleinstaaten im kommenden Jahrzehnt? Sind diese Völker in der Lage, ihre Interessen in europäische Perspektiven eingebettet zu formulieren? Oder wird die Gemeinschaft der Staatsbürger dieser 10 Kleinstaaten vor den Interessen der großen Nationalstaaten der Union zurückschrecken, was wiederum zu einer Europaskepsis führt, wie wir sie im Falle mehrerer westeuropäischer Kleinstaaten oder z. B. Großbritanniens konstatieren?
Es ist klar, dass ab 2004 – so im kommenden Jahrzehnt – „Europakenntnisse” in der Region Ostmitteleuropa von größter Bedeutung sind. Die Mittelschichten der Region müssen Europa als Gemeinschaft von Völkern, als wirtschaftspolitischen Faktor kennenlernen. (Daran mangelt es zur Zeit auch noch in den Mitgliedsstaaten der Union.) Wir müssen die Geschichte der Völker des Kontinents neu überdenken, damit sich eine normale europäische Identität herausbilden kann. Seit Jahren wiederholen wir: ohne eine europäische Identität gibt es keine Europäische Union! Bei der EU kann es sich nicht simpel um eine Einheit von Verwaltung, Sicherheitspolitik, Wirtschaft und Umweltschutz handeln – sie muss auch eine Union einer Art „menschlichen Gemeinschaft” sein!
Ein solches „neues Europäertum” vermögen Regierungen und staatliche Administration allein nicht zu gestalten. Im Geiste dieses „neuen Europäertums” ist in erster Linie die europäische Intelligenz zu gestalten. Schon deshalb muss sich im kommenden Jahrzehnt die akademische und Hochschulintelligenz verstärkt mit der Analyse der gemeinsamen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Prozesse Europas befassen.
Es folgt die Erweiterung der Union: das Europa der 27 kann nach 2004 nicht mehr dasselbe sein, wie jenes der 12, die den Kern der Europäischen Union bilden. Ändern werden sich die Themen der europainternen Konflikte: nach den französisch-deutschen (1950–60er Jahre) und den englisch-kontinentalen (1970er und 80er Jahre) Widersprüchen werden nun verstärkt Spannungen zwischen Zentrum (Großbritannien, Frankreich, Deutschland) und Peripherie (Spanien, Griechenland, osteuropäische neue Mitgliedsstaaten) in Erscheinung treten. Egal, wie es kommt – neben der Regierungsadministration wird den Zivilorganen, den Institutionen der Intelligenz im kommenden Jahrzehnt eine immer größere Rolle zukommen.
Wir, europäische Intelligenzler müssen zur Kenntnis nehmen, dass für die jetzt in der Blüte des Lebens befindliche Generation eines der bedeutendsten geopolitischen Ereignisse der europäische Integrationsprozess ist. Das Ergebnis dieses Prozesses ist noch nicht abzusehen, doch ist es gerade deshalb interessant, daran teilzuhaben.
Das Europa Institut Budapest – wenn in der Region auch kleine so doch zweifelsohne die bedeutendste Institution der Europaforschung – wird gebraucht und die vom Institut 1990 deklarierten Zielsetzungen sind gegenwärtig, selbst 2002 noch aktuell.
2. Der Tätigkeitsbereich des Institutes
In der Zeit von 1990 bis 2000 hat das Institut mehr als 1200 Monatsstipendien den aus den verschiedensten Gegenden der Welt kommenden Studenten verliehen. Im Laufe des akademischen Jahres werden monatlich (oft vierzehntägig) Konferenzen organisiert und wöchentlich für Institutsmitglieder Seminare veranstaltet. Zwischen 1995 und 2002 haben wir 17 Bände in deutscher und englischer (3 Bände in ungarischer) Sprache publiziert. Darüber hinaus sorgt das Institut in ungarischen Zeitschriften für die Stärkung des Europa-Gedanken. Außerdem wird seit 1997 der von Dr. Dr. Herbert Batliner gestiftete Corvinus-Preis verliehen, welcher Lebenswerk und Wirken im Interesse der Verbindung von ungarischer und europäischer Kultur und Politik würdigt. In diesem Zusammenhang genießen wir ein bedeutendes wissenschaftliches und Medienecho.
Die Fortsetzung dieser Tätigkeitsbereiche scheint auch für 2002–2006 erforderlich zu sein. Weiterhin empfangen wir Stipendiaten und organisieren für jene Seminare; wir veranstalten Konferenzen; die Publikationsreihe wird fortgesetzt (Begegnungen – Crossroads). Der Schwerpunkt verlagert sich gemäß Beschluss des Stiftungsrates von 1998 auf die Publikationen.
A) Stipendiaten
Das neue Stipendiensystem seit 1998 hat sich bewährt. Wir gewähren zwei verschiedene Stipendien:
– 1) 4–6 Stipendiaten empfangen wir für einen längeren Zeitraum (von mehr als einem Jahr, die sich an der alltäglichen Publikations- und veranstaltungsorganisatorischen Tätigkeit des Institutes beteiligen.) Ansonsten könnten wir die umfassende Veranstaltungs- und Redaktionsarbeit allein mit dem ständigen Personal gar nicht ausüben./
– 2) Wir empfangen Stipendiaten für einen kürzeren Zeitraum (von 1–3 Monaten), die zumeist an ihrer Dissertation arbeiten. (Das waren 1990– 1998 oftmals 10–15 Personen gleichzeitig, was wir nach 1998 auf 5–10 Personen reduzierten.)
Die Unterbringung der Stipendiaten konnte 1999 hinsichtlich Qualität der Zimmer und Infrastruktur bedeutend verbessert werden, da sie seither im Gebäude in der Abonyi Straße wohnen.
B) Publikationstätigkeit
Wir wünschen, unsere Publikationstätigkeit auf dem im Jahre 2002 erreichten Niveau zu stabilisieren. Von 1995–2001 veröffentlichten wir jährlich je 2 Bände, in diesem Jahr sind es 4. Für 2002 bis 2006 planen wir die Publikation von jährlich 4 Bänden, und zwar wie folgt:
– a) 1 Band mit verschiedenen Studien (darunter die im Institut gehaltenen Vorträge, Studien von Professoren und Stipendiaten sowie der Jahresbericht des Institutes), (in englischer und deutscher Sprache)
– b) 2 thematische Bände jährlich zu den Hauptthemenbereichen des Institutes. Für 2003/04 z. B. sind schon in Vorbereitung: „Chronologie der Geschichte der Europäischen Union 1945–2001”; „Politische Systemtransformation in der ostmitteleuropäischen Region”; „Privatisierung in Ostmitteleuropa”, „Umweltschutz und europäische Integration in Ungarn”; „Insolvenzrecht in Europa und Ungarn” (in englischer und deutscher Sprache)
– c) Jährlich würde ein Band in ungarischer Sprache herausgegeben, der das ungarische Publikum mit der Europäischen Union vertraut macht. (Demselben Zweck diente 2001 „Die europäische Integration. Fakten und Daten” und 2002 „Nach Nizza”. Für 2003 planen wir den Band „Regierungsinterne Konferenzbeschlüsse der Europäischen Union: von Maastricht bis Nizza”)
Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass die Publikationstätigkeit schon deshalb wichtig ist, weil wir die Erweiterung der EU als einen zweiseitigen Prozess ansehen: es müssen nicht nur in Osteuropa die westlichen Normen bekannt gegeben und anerkannt werden, nein, gleichzeitig sind auch in Westeuropa die ostmitteleuropäischen Interessen bekanntzugeben. Bedauerlicherweise brach nach 1990 in Ostmitteleuropa das fremdsprachige Publikationssystem zusammen, weshalb es hinsichtlich der Gesellschaftswissenschaften – und selbst in Kreisen der politischen Elite – am Informationsfluss mangelt, es gibt kein Strömen der Kultur „Osten versus Westen”.
Das Europa Institut Budapest kann – wenn die Publikation der jeweils 4 Bände eingehalten wird – die bedeutendste Publikationszentrale der Region zum Thema Europa werden.
Besonders große Anstrengungen haben wir 2002–2006 auf dem Gebiet des elektronischen Publikationssystems zu unternehmen.
C) Konferenzen, Seminare
Es scheint nicht erforderlich zu sein, am System der Organisierung von Konferenzen etwas zu ändern. Jährlich gibt es je eine zum Thema Wirtschaftspolitik und Umweltschutz sowie 2–3 bezüglich Europäischer Union sowie Mitteleuropa oder es werden große Vorträge gehalten. Mit großem Interesse werden all diese von den Medien verfolgt, was in erster Linie für die einstigen Memorial Lecture Veranstaltungen galt sowie die Festvorträge anlässlich der Überreichung der Corvinus-Preise seit 1997. (Regelmäßig erscheinen zu diesen Veranstaltungen die Mitglieder der politischen und akademischen Elite – unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit.)
3. Thematische Präferenzen
Das Institut erachtet auch für 2002–2006 die Präferenzen der vergangenen vier Jahre als aktuell.
– a) Die Europäische Union und die Osterweiterung
– b) Gegenwartskonflikte Ostmitteleuropas und Ungarns (Die Zukunft der kleinen Nationen, Systemtransformation)
– c) Die Geschichte Europas
Detailliert geht auf jene der beigefügte Bericht 1998–2002 ein.
Hier soll nur eine einzige Ergänzung hinzugefügt werden: von 1990–1998 waren bei Veranstaltungen und Publikationen historische Themen im Übergewicht. Die Erklärung dafür ist nicht der Historikerstatus der Leitung des Institutes, sondern es scheint, dass – leider – die Geschichte Ungarns für die Europäer interessanter ist als „Gegenwart” oder „Zukunft” Ungarns. In den vergangenen Jahren haben wir nach der berechtigten Kritik seitens des Kuratoriums etwas an den Proportionen geändert. In den Vordergrund gelangten Umweltschutz, Rechtswesen und Wirtschaft. Regelmäßig befassen wir uns mit den sich für Ungarn bietenden europäischen Alternativen in den Bereichen von Ökonomie, Energetik, Agrarwesen, Gesundheitswesen, Sprachen und Ethnika. (Dies wiederspiegeln bereits die Bände der „Begegnungen” 2002.) In diesem Sinne bereiten wir nun die Konferenzen sowie Publikationen 2003 und 2004 vor.
Unser Prinzip lautet: fortsetzen, was sich bewährt hat; vergessen, was nicht mehr aktuell ist; kontinuierlich erneuern, was uns „munter” hält, uns, die gesamte wissenschaftliche Gemeinschaft des Institutes.
Budapest, 4. Juli 2002
Ferenc Glatz
Direktor