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I.
Wissenschaft, Politik, Intellektuellen

 

Bericht
über die Tätigkeit des Europa Institutes Budapest
1990–1994

 

1. Zielstellungen und der Beginn

 

„Es ist in den kommenden Jahren Aufgabe der Intelligenz, die zurückgebliebenen Regionen Europa zu gestalten.” „Ziel des Europa Institutes Budapest ist eine wissenschaftliche Erforschung von Problemen der europäischen Einheit”. „Das Institut sei ein Verbindungsglied zwischen den Völkern Europas bzw. eines zwischen Ungarn und Europa.” „Das Institut unterstützt Forschungsprojekte, erteilt Stipendien an sich aus den verschiedensten Teilen der Welt bewerbende postgraduierte Studenten, junge Forscher und Lehrkräfte.” „Eine besondere Bedeutung messen wir jenen Themen bei, die sich mit den überstaatlichen gesellschaftlich-ethnischen Bewegungen, der Migration, der Herausbildung internationaler politischer Organe und ihrem Wirken befassen...” „Das Institut organisiert zurzeit der Universitätssemester monatlich wissenschaftliche Vorträge und Konferenzen. Und diese Veranstaltungen des Institutes sollten für das heimische sowie später dann nach Möglichkeit auch für das internationale Fachleben Foren bedeutender Debatten bzw. eines wichtigen Gedankenaustausches sein.” „Das Institut stellt für die jungen Intellektuellen der ungarischen Gesellschaftswissenschaft einen Treffpunkt mit der Weltkultur dar.”

Diese Feststellungen sind in dem die Zielsetzungen des Institutes niederlegenden Dokument zu lesen, welches anlässlich der konstituierenden Sitzung des Kuratoriums am 7. Mai 1990 angenommen und im Geiste der Gründungsurkunde der Stiftung formuliert worden war. Jetzt, da wir auf das vierjährige Wirken der Stiftung zurückblicken, erinnern wir uns ebenso an jene Monate vom Oktober 1989 bis Mai 1990, da der Plan der Stiftung und des Institutes geboren wurde; als der Autor dieser Zeilen im Geiste der Öffnung hin nach Europa die Notwendigkeit der Gründung eines Budapester Europa Institutes skizzierte und eine die Unterstützung der Kultur zu ihrem Lebensziel erklärende Persönlichkeit nicht nur tatkräftige Hilfe für die Verwirklichung dieses Gedankens anbot, sondern auch selbst die Vorbereitungsarbeiten urgierte. Und es wird an das Wohlwollen der den friedlichen Wandel in Ungarn ausführenden Regierung gedacht, die alle solche Pläne und Aktionen unterstützte, die zur Öffnung Ungarns der Welt gegenüber beitragen konnten. Und heraufbeschworen wird das persönliche Mitwirken jenes Politikers des benachbarten westlichen Staates, der aus seinem Lande mehr als alle anderen dafür tat, dass die europäische Integration der Staaten der einstigen Sowjetzone auf dem Gebiet der Kultur voranschreiten konnte. Dies war jene Zeit, da die Länder des Sowjetlagers die günstige Gestaltung der internationalen Umstände nutzend sich auf den Weg der Unabhängigkeit begaben. Und dieser Prozess ging einher mit der Umgestaltung der wirtschaftlich-politischen Struktur, dem schnellen Übergang zur Marktwirtschaft und dem politischen Mehrparteiensystem. Die Menschen waren erfüllt von einem uneingeschränkten Optimismus: Generationen wünschten daran zu glauben, dass noch zu ihren Lebzeiten, d.h. innerhalb weniger Jahre, im Osten Europas dasselbe Lebensniveau (in ebensolchen Wohnungen, mit demselben Standard) erreicht werden könnte wie an der Küste des Atlantik oder am Ufer des Rhein. Denn das haben ja sowohl die westlichen als auch die „östlichen Reformpolitiker” versprochen, dass wenn das Sowjetsystem zerfallen sollte, alles sich von einem Tag auf den anderen zum Guten wenden würde. Wir waren nur wenige – damit unsere Popularität nicht eben steigernd – die darauf aufmerksam machten: ein Rückstand von Jahrhunderten dem westeuropäischen Kontinent gegenüber kann allein im Ergebnis beharrlicher Arbeit von Jahrzehnten aufgeholt werden. Nicht nur politische Systeme sind zu ändern, sondern auch „in den Köpfen muss ein Wandel vor sich gehen”. Eine grundlegende Änderung der Arbeitsmoral, die Herausbildung eines Systems von Gepflogenheiten gesellschaftlicher Beziehungen, einer toleranten bürgerlichen Mentalität, die Entwicklung des Unternehmergeistes, der Wandel vom Verhalten des Untertan zu jenem des Staatsbürgers – all dies sind solche Forderungen, ohne die es keine osteuropäische Verbürgerlichung gibt. Auch im Laufe der vergangenen Jahrhunderte ist ja die Entwicklung des Bürgertums immer wieder an diesen Hindernissen gescheitert. Eine solche erwünschte Gesellschaft kommt nicht infolge lautstarker Parteiprogramme zustande. Es sind Institutionen zu schaffen, deren Wirken beim Bürger die gewünschten Automatismen und Reflexe der Denkweise erzielt. „In letzter Zeit sprechen viele oftmals von Europa. Manchmal glaubt man, wenn darüber gesprochen wird, damit auch alles für die Erreichung des Ziels getan zu haben.” Bei dem Europa Institut handelt es sich um eine bescheidene institutionelle Anregung für die Verbindung Ungarns zu Europa. Heute – da es so viele lautstarke Redner und noch lautere Kritiker gibt, aber so wenige bescheidene Taten – erklärte der Stiftungsrat im Mai 1990. Die Gründer des Institutes waren sich also im Klaren darüber, dass im Interesse des „Anschlusses” eine zähe Kleinarbeit hinsichtlich der Formung des menschlichen Denkens und auf dem Gebiet der Kultur erforderlich sein würde.

Wir denken an die ersten Monate der Gründung des Institutes, an den rührigen Professor aus St. Gallen, der im Auftrage des einen Stifters antreibender Motor bei der Ausarbeitung von Statut und Regelung des zu gründenden Institutes war und auch später mit seinen Ratschlägen und Anregungen unabkömmlich blieb. Wir erinnern uns an planende Beratungen mit dem Professor des Mainzer Institutes für Europäische Geschichte, welches für unser Institut in vielerlei Hinsicht auch ein Vorbild war. Es folgten von August bis Oktober 1990 Probleme hinsichtlich der Unterbringung, die noch dadurch vertieft wurden, dass für die Spitze der kulturellen Administration Unverständnis und ablehnende Bürokratie den europäischen Projekten gegenüber kennzeichnend waren, ebenso wie interne Fehden, Debatten, Rechtsstreitigkeiten.

Heraufbeschworen werden jene zahlreichen Vorstellungen und Aktionen auf kulturellem Gebiet in Ungarn und den umliegenden Ländern, die sich als kurzlebig erwiesen und nach schon wenigen Monaten im Reich des Vergessens versanken. Das Europa Institut Budapest hat den Absichten seiner Gründer gemäß und mittels der von den Stiftern gebotenen materiellen Sicherheit in den ersten Jahren unverzüglich seine Organisation ausgebaut, sein wissenschaftliches und kulturpolitisches Profil gestaltet. Und heute, nach vier Jahren, können wir dem Stiftungsrat die Daten hinsichtlich unseres Wirkens vorlegen bzw. den Leitgedanken unserer Tätigkeit kurz zusammenfassen.

 

2. Ausbau der Organisationsstruktur

 

Aus der internationalen Literatur der Wissenschaftsorganisation ist allgemein bekannt, dass für die Herausbildung des Profils einer neuen wissenschaftlichen Institution 2–4 Jahre nötig sind. Und zumindest ebenso viel Zeit ist erforderlich, wenn eine Institution in der gegenwärtigen weitverzweigten, präzisen wissenschaftlich-institutionellen Arbeitsteilung zum Ende des Jahrhunderts seine Position zu finden wünscht. Sowohl die fachliche Branche als auch die Presse sehen das Europa Institut Budapest heute als das bekannteste gesellschaftswissenschaftliche Institut in Ungarn an. Das gilt für In- und Ausland gleichermaßen.

 

Stipendiaten

Das Institut bot 155 Stipendiaten eine Heimstatt. (Dem Statut entsprechend für 3–6 Monate, in einzelnen Fällen für einen kürzeren, in Ausnahmefällen für einen längeren Zeitraum.) Die Zusammensetzung war folgende: 38 aus einstigen sozialistischen Ländern (GUS–13, Tschechoslowakei–5, Slowakei–9, Rumänien–6, Bulgarien–4, Polen–4, Albanien–1). Aus Europa reisten 54 Stipendiaten an, aus Übersee 3 (USA, Indien). (Die Aufteilung bei den Europäern sah wie folgt aus: Deutschland–8, Großbritannien–5, aus anderen Staaten 1–3 Personen.) Stipendiaten aus Ungarn waren 37 Personen, wobei zu jenen auch die hinzuzuzählen sind – 24 an der Zahl – die vom Museumsverband Siebenbürgens an das Europa Institut entsandt wurden, und zwar im Sinne der zwischen den beiden Institutionen getroffenen Übereinkunft. Insgesamt hatten wir somit 61 ungarische Stipendiaten.

Hinsichtlich der Verteilung der Stipendien wurde also den Absichten der Stifter Genüge geleistet, mit dem Europa Institut Budapest der aus den Ländern des Ostens sowie Westens kommenden jungen gesellschaftswissenschaftlichen Intelligenz einen Treffpunkt zu bieten, in dem seit 40 Jahren getrennten Europa den Vereinigungsprozess voranzutreiben.

Die Anzahl der ungarischen Stipendiaten erreicht nicht die in der Gründungsurkunde als optimal angegebenen 50 % (61 von 155), was unter anderem damit zu erklären ist, dass der Vorstand – wie bereits anlässlich der Stiftungsratssitzung 1991 mündlich erwähnt – es als nicht zu vorteilhaft erachtete, „externe” Stipendiaten zu empfangen (wie es in zahlreichen postgradualen Institutionen üblich ist). Wir nehmen nur Stipendiaten an, die auch im Gebäude wohnen und arbeiten. Lebens- und Arbeitsgewohnheiten der Stipendiaten haben sich konsolidiert. Wöchentlich nehmen sie dienstags nachmittags an der „Kaffeerunde” teil, anlässlich welcher sich die neuen Stipendiaten vorstellen, einige Kurzreferate halten bzw. die vor der Abreise stehenden zur geleisteten Arbeit Rechenschaft ablegen. An den Kaffeerunden beteiligen sich häufig heimische oder ausländische Professoren. Oftmals werden Debatten zu aktuellen Themen vorbereitet, die im Mittelpunkt des politischen bzw. wissenschaftlichen Lebens stehen. Arbeitssprache der Kaffeerunden ist Englisch oder Deutsch. Die Stipendiaten beteiligen sich an den Veranstaltungen des Institutes, an Seminaren, Vorträgen und Konferenzen. Da Veranstaltungen verhältnismäßig oft stattfinden (worauf später noch eingegangen wird), ist das Institutsleben der Stipendiaten äußerst intensiv, der Beschäftigungsgrad liegt höher als jener in anderen postgraduellen Forschungsinstituten, die unserem ähnlich sind. Der Vorstand wünscht jedoch nichts an dieser gut bewährten Arbeitsordnung zu ändern, da das oftmalige Zusammentreffen gerade dem dient, was auf der Gründungssitzung des Kuratoriums wie folgt formuliert wurde: persönliche Beziehungen und Verbindungssysteme sollten die Basis für spätere wissenschaftliche individuelle und institutionelle Beziehungen sein.

Der Vorstand wertet regelmäßig die Tätigkeit der Stipendiaten.

Unserer Meinung nach gibt es bei uns im Institut kaum oder zumindest in verschwindend geringem Maße die in Westeuropa wohlbekannten Typen der „Stipendienritter”, die das Stipendium sozusagen als eine Ersatzstellung ansehen und die sich mit sehr großer Findigkeit bei mehreren Instituten gleichzeitig bewerben, um dann das finanziell vorteilhafteste zu wählen. Diese Kollegen meiden uns schon deshalb, weil der Betrag des Stipendiums im internationalen Vergleich sehr bescheiden ist. Der Großteil der Stipendiaten befasst sich mit Themen, die in Budapest erforscht werden können, wie dies auch anlässlich der ersten Sitzung des Stiftungsrates wunschgemäß dokumentiert wurde. Vom Gesichtspunkt der Erforschung vergleichender Gesellschaftswissenschaften her ist Budapest ein „strategischer Punkt”: eine solche Großstadt auf dem Territorium eines ehemals sozialistischen Landes, in der Lebens- und Forschungsbedingungen noch am ehesten den westeuropäischen gleichen; eine solche Metropole, in der die Elite-Intelligenz den Vergleich mit der akademischen Elite vieler westeuropäischer Großstädte nicht zu scheuen braucht; eine solche Großstadt, in der die (jungen) westeuropäischen Forscher in wissenschaftlichen Institutionen der ostmitteleuropäischen Region Partner finden können, ebenso wie an den Lehrstühlen der Universitäten, an denen die aus dem Osten Kommenden auch westeuropäische Experten antreffen. All dies ist gleichzeitig eine Erklärung dafür, dass sich die Thematik unserer Stipendiaten (wie das auch aus den Angaben hervorgeht) in erster Linie auf Ost–West-Beziehungen erstreckt, sich mit vergleichenden Forschungen von Vergangenheit und Zukunft der ostmitteleuropäischen Region befasst oder auch auf die Voraussetzungen des politischen Wandels eingeht. (Auf der vorangehenden Kuratoriumssitzung wurde bereits berichtet: das Institut hat mit dem Wiener ÖOSI ein solches Stipendiensystem bzw. eine solche kulturelle Austauschbeziehung gestaltet, die unseren Stipendiaten und Professoren jährlich einen „Privataufenthalt” von insgesamt 18 Monaten in Wien ermöglicht. Viele, aus dem „Osten” zu uns kommende junge Forscher konnten mit dem von uns gewährten Stipendium erstmals im „Westen” weilen und forschen, d.h. in Wien. Und das wiederum ist in erster Linie der Unterstützung des Österreichischen Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung zu verdanken, um nicht gar den Minister selbst an dieser Stelle zu nennen.

Für die kommende Periode hat die Leitung selbstverständlich zu überdenken, ob es tatsächlich empfehlenswert ist, die ursprünglich geplante Anzahl von 12–15 Stipendiaten beizubehalten. Oder sollten wir den vielen Anträgen Genüge leisten? Wäre nicht die Vergabe eines längeren Studienaufenthaltes die Lösung? (D.h. länger als 3–6 Monate). Sind nicht eventuell zusätzliche Finanzquellen auszumachen, um den Monatsbetrag erhöhen zu können? (Das Niveau der Stipendien liegt zurzeit auf dem von 1990 bzw. kann in Ausnahmefällen um 25 % Reisekosten erhöht werden – die Beträge sind 16.000 bzw. 20.000 HUF.) Eines aber ist gewiss: der Vorstand darf nicht das Niveau aus den Augen verlieren. Unserer Einschätzung nach liegt das wissenschaftliche Niveau bei den Stipendiaten unseres Institutes gegenwärtig fachlich höher, als jenes in Auslandsinstitutionen ähnlichen Typs (die Ergebnisse der hier tätigen Stipendiaten sind eher leistungsorientierte).

 

Konferenzen, Vorträge, Seminare

a) Im Laufe der 8 Semester in der Zeit von September 1990 bis April 1994, d.h. während der 32 aktiven Monate hat das Institut 38 internationale Konferenzen, 21 Vorträge sowie 21 Seminare veranstaltet. Mit anderen Worten: auf jede Woche entfiel eine internationale wissenschaftliche Veranstaltung. (Rund 60 der Veranstaltungen fanden zudem im Institut selbst statt.) Darüber hinaus handelte es sich bei diesen Veranstaltungen zumeist um mehrtägige, und auch Seminare bildeten Serien. (In der Statistik ist nur 1 Titel angegeben. Die Statistik birgt auch für uns Überraschungen, was die Angaben zu Teilnehmern an den Veranstaltungen angeht: anlässlich der Konferenzen wurden 5162 Personen gezählt, an Vorträgen nahmen 1911 Personen teil, an Seminaren 709. Fanden die Veranstaltungen in Budapest statt, waren auf alle Fälle Stipendiaten und Professoren des Institutes dabei.) Selbst wenn wir eine herausragend große Veranstaltung wie z.B. die Holocaust-Konferenz mit ihren mehreren hundert Teilnehmern außer Acht lassen, so bleiben doch folgende durchschnittliche Angaben: in Abhängigkeit vom Charakter der Konferenz – 20–50 Teilnehmer; bei Vorträgen 30–50, in Ausnahmefällen 100–300 Personen. An Seminaren beteiligen sich durchschnittlich 15–40 Personen. (Ausländische Beteiligte machen unseren Schätzungen nach etwa 20 % aus, bei den Referenten etwa 40 %. Anlässlich der Konferenzen in engem Kreise machen die ausländischen Teilnehmer 50 % aus.) All dies ist ein Beweis dafür, dass das Europa Institut Budapest als wissenschaftliches Institut seinen Platz sowohl im ungarischen als auch europäischen wissenschaftlichen Institutionssystem gefunden hat. (Nicht selten konstatierten unsere ausländischen Gastprofessoren: in etwa innerhalb dieser wenigen 8 Semester hat sich das Europa Institut Budapest zu einem der aktivsten und offensten postgraduellen Institutionen des Kontinents entwickelt.)

b) Alle drei Typen der Veranstaltungen (Konferenz, Vorträge, Seminare) sind den von Stiftungsrat und Wissenschaftlichem Beirat im Jahre 1990 betonten Themen gewidmet. Zur Ausweitung der Thematik unterbreitete Herr Batliner während der Kuratoriumssitzung 1992 einen Vorschlag, die Marktwirtschaft betreffend, den auch der Wissenschaftliche Beirat unterstützte. Mit großem Erfolg setzte dann 1993 unsere Kolloquium-Serie ein. Ergänzt wurden die Veranstaltungen außerdem im Vergleich zu 1990 mit dem nun alljährlich stattfindenden Memorial Lecture. Den Vorschlag unterbreitete Herr Busek anlässlich der Sitzung 1991 und seither waren die Vorträge 1992–93–94 die jeweils erfolgreichsten Veranstaltungen des betreffenden Jahres. Wir könnten auch formulieren: der alljährliche Memorial Lecture im Europa Institut Budapest zählt zu den herausragendsten Ereignissen des Budapester geistigen und politischen öffentlichen Lebens. Es ist kein Zufall, dass unser Staatspräsident sowohl 1992 als auch 1994 die Begrüßungsworte sprach und den Vorträgen beiwohnte. Gehalten wurden die Vorträge von Domokos Kosáry, dem Präsidenten der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, dem Mitglied unseres Wissenschaftlichen Beirates, Außenminister Géza Jeszenszky, ebenfalls Mitglied des Wissenschaftlichen Beirates, sowie von Herrn Vizekanzler Busek, Mitglied unseres Stiftungsrates.

c) Wir veranstalten – entsprechend den 1990 betonten Themen – unsere verschiedenen Serien. Das heißt, dass sich im Europa Institut Budapest jährlich 1–2 Mal die Spezialisten von Politologie, Geschichtswissenschaft bzw. Ökonomie treffen, ja sogar die Vertreter der Künste. Diese Serien bringen ein gewisses System in unsere Veranstaltungen: so warten z.B. die Historiker schon auf die alljährlichen Habsburg-Konferenzen im November, wie Politologen und Demographen auf die allgemein 2 Konferenzen zur Minderheitenfrage, der Migration und dem Mitteleuropaproblem. Ökonomen zählen auf das Kolloquium zu Fragen der Marktwirtschaft, Politologen auf die Serie „Nachbarn in Europa”. Das Institut war auch zu Zeiten Treffpunkt der rumänischen, serbischen, slowakischen, usw. Intellektuellen oder gar Diplomaten, da in der politischen Administration dieser Länder voneinander Abstand gehalten wurde, man sogar nicht miteinander sprach. Und es werden Fragen diskutiert – wie z.B. das Minderheitenproblem, der slowakisch-ungarische Sprachgebrauch, rumänisch-ungarische historische Debatten – die auf staatlicher Ebene zu Tabuthemen zählen. Ausgeweitet werden diese Veranstaltungen bilateral mit der Mürzzuschlager Buchebner Gesellschaft.

Minderheiten in Ost-Mitteleuropa. Den Wortlaut des ausgearbeiteten Projektes haben wir auf gemeinsamen Sitzungen mit Vertretern der ungarischen Minderheiten in den Nachbarstaaten bzw. anderen Minderheiten in Ungarn diskutiert. Darüber hinaus haben sich Experten des diplomatischen Korps der Nachbarländer und Politiker sowohl an der Analyse als auch an der Debatte zum politischen Verhaltenskodex beteiligt. Wir achteten außerdem darauf, dass diese Hefte – die gerade beim Schreiben dieser Zeilen die Druckerei verlassen – nicht nur in westlichen Sprachen sondern auch rumänisch und slowakisch herausgegeben werden. Zurzeit werden finanzielle Voraussetzungen für die Veröffentlichung in französischer, serbo-kroatischer sowie ukrainischer Sprache geschaffen.

An der Grenze von Politologie und Geschichtswissenschaft bewegen sich die Veranstaltungen der Serie Liquidierung des Erbes des Sowjetsystems. (Hier zählen das Wiener ÖOSI, neuerdings Donauraum, das Goethe-Institut und im Rahmen des Weltverbandes der Historiker die Kommissionen Historiographie und Methodologie zu unseren Partnern.)

Politologie, Demographie und Ökonomie gleichermaßen berührt die Thematik der Veranstaltungsreihe Migration in Mitteleuropa. (Partner sind in diesem Falle österreichische wissenschaftliche Institutionen und die ungarische Regierungsadministration.) Geschichtswissenschaft: Die Geschichte der Habsburgermonarchie. (Jährlich im November treffen sich in Budapest die anerkanntesten österreichischen, tschechischen und ungarischen Forscherkollegen.) Ökonomie: Marktwirtschaft und politischer Wandel.)

Der Vorstand hat in kommender Zeit zu überlegen, in welcher Richtung auf dem Gebiet von Veranstaltungen noch Schritte unternommen werden können. Die interne – nicht unberechtigte – Kritik dem Direktor gegenüber: die Veranstaltungen sind zu zahlreich, im Vergleich dazu haben wir zu wenige Angestellte, die Kosten sind vom Direktor auch so schon aus externen Quellen zu decken. Gleichzeitig aber haben wir mittels dieser Veranstaltungen erreicht, dass das Europa Institut Budapest den Politikern Ungarns und der Nachbarländer einen regelmäßigen Treffpunkt bietet (Staatspräsident, Minister, Staatssekretäre und führende Politiker aller Parteien treffen sich mehrmals jährlich bei uns, sich im Institut der „Diktatur des Lächelns” unterwerfend, denn hier ist jeder gleichberechtigter Partner, „nur” ein Intellektueller). Unsere Veranstaltungen sind in den Terminkalendern der diplomatischen Korps eingetragen (die Mitarbeiter der Budapester Botschaften wissen, dass anlässlich der Veranstaltungen des Institutes, auf den Empfängen Beziehungen geknüpft werden können). Das Institut ist ebenso ein Treffpunkt für Gesellschaftswissenschaftler (nicht zuletzt der ungestörten Atmosphäre für Debatten wegen) wie auch der Theater- und Vortragskünstler im Rahmen der jährlich im Januar stattfindenden Kunstabende im Europa Institut. Und selbstverständlich sind wir ein Treffpunkt junger Intellektueller der Gesellschaftswissenschaften – wie das bereits im Zusammenhang mit den Stipendiaten erwähnt wurde.

Der Vorstand schätzt die Konferenzen, Vorträge und Seminare wie folgt ein: diese werden den Vorstellungen des Stiftungsrates bzw. Wissenschaftlichen Beirates entsprechend durchgeführt, berücksichtigen inzwischen verlautende Kritik oder Hinweise auf Veränderungen. Gleichzeitig muss der Vorstand selbstkritisch eingestehen, dass weder entsprechende finanzielle noch personelle Voraussetzungen dafür gewährleistet sind, die äußerst niveauvollen Vorträge und Diskussionsbeiträge der Veranstaltungen zu publizieren. Wir könnten höchstens den einfachsten Weg verfolgen: zuerst begann ein Mann den Knopf für seine Hose zu schnitzen, dann schneiderte er sich eine Hose für diesen schönen Knopf – und schließlich wurde aus ihm ein Textilfabrikant. Aber nicht in Ungarn...

 

3. Betriebsordnung
Die Betriebsordnung von Institut und Stiftung galt bereits 1990–1991

 

Stiftungsrat

Der Stiftungsrat hält jährlich regelmäßig seine Sitzung, anlässlich welcher die Bilanz der Stiftung auf der Tagesordnung steht. Die Wirtschaftsführung der Stiftung wird vom Kuratorium ständig mit Aufmerksamkeit verfolgt, kritische Anmerkungen werden der finanziellen Leitung der Stiftung gegenüber gemacht, die sich in einer spezifischen Situation befindet: man muss sich im wirtschaftlichen Umfeld des sich jetzt der Marktwirtschaft anpassenden Ungarn hier in Budapest den Normen, Vorschriften und Gepflogenheiten gemäß verhalten, und gleichzeitig fordert man von uns auf der Sitzung des Kuratoriums die Betriebsführung nach westeuropäischen Normen. (Der Stiftungsrat erachtet die Wirtschaftsdisziplin als gut, in einem Falle gab es eine strukturelle Beanstandung, und zwar im Zusammenhang mit der Erteilung einer Bankgarantie, die uns aber einen Reingewinn von 1,5 Millionen Forint einbrachte. Mehrmals wurde die Form der Vorlage der Bilanz kritisiert. Der Stiftungsrat bat deshalb Károly Manherz, den Verantwortlichen betreffs Wirtschaftsthemen um die präzise und eindeutige Formulierung des Berichtes. (Mit den Finanzproblemen befasst sich ein gesonderter Punkt der Tagesordnung.) Die Mitglieder des Stiftungsrates erscheinen regelmäßig zu unseren Sitzungen, wofür ich hiermit im Namen des Vorstandes meinen Dank aussprechen möchte, denn ansonsten wären eine kontinuierliche Arbeit und Selbstkontrolle nicht möglich. Anlässlich der Kuratoriumssitzung 1992 kooptierten wir Prof. Horst Haselsteiner und den Generaldirektor István Töröcskei in den Stiftungsrat.

Der Vorsitzende des Kuratoriums legt jährlich den gedruckten Bericht vor, in dem die ganzjährige Tätigkeit der Stiftung zusammengefasst wird.

 

Wissenschaftlicher Beirat

Auch der Wissenschaftliche Beirat tagt jährlich, er debattiert den über die wissenschaftliche Tätigkeit vorgelegten Bericht, der einen Überblick zu den Veranstaltungen des Jahres gibt, ebenso wie zu wissenschaftlichen Projekten. Der Bericht enthält außerdem eine Liste der Stipendiaten im betreffenden Jahr mit der Angabe ihrer Forschungsthemen und einer kurzen Charakteristik. Enthalten sind weiterhin Veranstaltungskalender sowie Publikationsverzeichnisse der Professoren. Der Präsident des Stiftungsrates war darum bemüht, sowohl den Mitgliedern des Kuratoriums als auch jenen des Wissenschaftlichen Beirates über die jährlichen Sitzungen hinaus einen Einblick in das Alltagsleben des Institutes zu verschaffen. Herr Vizekanzler Busek hielt Vorträge im Institut, Dr.Dr. Batliner war für einige Tage unser Gast und traf sich mit den Stipendiaten, Prof. Haselsteiner ist oftmals Gast des Europa Institutes. Unter den Mitgliedern des Wissenschaftlichen Beirates war es Prof. Riklin, der praktisch bei der Geburt des Institutes „Hebammendienste” leistete, einen Vortrag hielt, bzw. Vorträge von ihm wurden veröffentlicht. Prof. Pleşu, Minister a.D. war 1993 Gast unseres Rundtischgespräches. Der Akademiker, Minister Ferenc Mádl und ebenso Minister Géza Jeszenszky beteiligen sich regelmäßig an unseren Veranstaltungen und nahmen ebenfalls an dem 1993 so erfolgreichen Rundtischgespräch teil. Herr Minister Jeszenszky hielt 1993 den Memorial Lecture. Besondere Aufmerksamkeit widmet Prof. Domokos Kosáry, der Präsident der UAW, unserem Institut. Er hielt nicht nur einen Vortrag, repräsentiert nicht allein auf wissenschaftlichem Gebiet, sondern ist auch Gastgeber der Sitzungen des Wissenschaftlichen Beirates.

 

Vorstand

Der Vorstand des Institutes verlegte seine wöchentlichen Sitzungen von Montag auf Dienstag, die nach englischem Vorbild um 12.30 Uhr mit einem gemeinsamen Mittagessen beginnen, an dem der Direktor, seine beiden Stellvertreter, 3 Professoren, die Leiterin der Administration, ein Assistent bzw. der jeweilige Betreuer der Stipendiaten teilnehmen. Es folgt dann die Vorstandssitzung. Auf dieser wird über den Veranstaltungsplan debattiert, Anträge von Bewerbern auf ein Stipendium werden aufgrund der Vorträge je eines Professors diskutiert. Anschließend findet die „Kaffeerunde” mit den Stipendiaten statt. Über die Sitzungen werden Protokolle, auf den Veranstaltungen Fotos oder Videoaufnahmen gefertigt. (Die Videoaufnahmen von Vorträgen und Konferenzen des Institutes zwischen 1991–1994 bilden eine komplette Serie.)

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Auf die vergangenen 4 Jahre zurückblickend, an die Pläne von 1989–1990 zurückdenkend, kann konstatiert werden: das Institut ist den Vorstellungen seiner Stifter und den Absichten des Kuratoriums gemäß tätig.

Noch gibt es einiges an der Struktur zu feilen, es kann noch einiges am System kritisiert und korrigiert werden. Und wenn etwas Anerkennung verdient, dann ist das nichts anderes als jener Fakt – um die Worte meines einstigen Ministerkollegen und österreichischen Freundes zu zitieren, die er sprach, als wir 1990 einander zuzwinkernd auf unsere Gesundheit anstießen – ist es jene Tatsache, dass „wir einfach unsere Arbeit verrichten”.

Budapest, 8 Mai 1994

Ferenc Glatz
Präsident, Direktor