Begegnungen
Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Band 1:123–141.
ERIKA TÓTH
Ungarn und die europäische Integration1
Das EG-Assoziierungsabkommen: zur Reintegration Ungarns
Mit dem 16. Dezember 1991, dem Tag der Unterzeichnung der Assoziierungsverträge zwischen der CSFR, Polen und Ungarn einerseits und der Europäischen Gemeinschaft andererseits, hat für den Europäischen Wirtschaftsraum eine neue Etappe begonnen. Es geht dabei nicht nur um die offensichtliche wirtschaftliche Bedeutung für die Reformstaaten, sondern ebenfalls für die Europäische Gemeinschaft stellt sie den Beginn eines neuen Abschnittes der Zusammenarbeit dar. Die wirtschaftliche Zielsetzung eines stufenweisen Ausbaus von Freihandel hat ihren Platz zwar in den Verträgen genommen, es soll aber im Folgenden untersucht werden, inwieweit die Bestrebungen der Vertragspartner im Rahmen der Abkommen den Kriterien einer Freihandelszone entsprechen. Zeigen die Elemente der Abkommen in die Richtung eines stufenweisen Ausbaus des Freihandels?
Ungarn wie die anderen ehemaligen RGW-Länder rangierte jahrzehntelang am unteren Ende der Präferenzskala der EG-Handelspolitik. Der erste Durchbruch in den Beziehungen erfolgte 1988 als Reaktion der EG-Seite auf die Reformprozesse in Osteuropa. Bereits 1988 und 1989 hatte die EG mit Ungarn und Polen bilaterale Handelsabkommen geschlossen. Sie bezogen sich aber ausschließlich auf den Handel mit Industrieprodukten. Vor allem sollte ein politisches Zeichen gesetzt werden.
Im Jahr 1990 wurden die Beziehungen durch die Aufnahme in das Allgemeine Präferenzsystem (APS)2 der EG und durch die Aussetzung von allgemeinen und speziellen nichttarifären Handelshemmnissen ausgedehnt. Nach der raschen Entwicklung der Einführung marktwirtschaftlicher Reformen hat der Europäische Rat mit dem Beschluss vom April 1990 über die Perspektive europäischer Assoziationsverträge positiv reagiert.
Eine Assoziierung mit der EG stellt die engste Form der Kooperation außerhalb der eigentlichen Mitgliedschaft dar. Artikel 2383 war in erster Linie in den EWG-Vertrag aufgenommen worden, um eine besondere Form der Verbindung zu denjenigen europäischen Staaten zu ermöglichen, die der Gemeinschaft aus vorwiegend politischen Gründen ferngeblieben waren und von denen sich einige dann zur EFTA zusammengeschlossen hatten. In diesem Fall wird von Assoziierung als Beitrittsersatz gesprochen. Daneben war die Assoziierung auch als eine mögliche Vorstufe zum Beitritt herausgebildet. Diese Idee ist bereits 1962 bzw. 1964 mit den Assoziierungsabkommen für Griechenland und die Türkei später mit Malta und Zypern verwirklicht worden. Damit entstand der Typ der „Beitrittsassoziation”. Eine weitere Entwicklungslinie hat sich mit den sogenannten „Entwicklungsassoziationen” herausgebildet, die zu einem dritten Typ von Abkommen geführt hat, die besonders mit den AKP-Staaten abgeschlossen werden.
Mit den drei ehemaligen sozialistischen Ländern Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn hat die Gemeinschaft den zweitgenannten Typ von Assoziierungsverträgen ausgehandelt. Er geht aber weit über bisherige Verträge mit Nichtmitgliedstaaten hinaus. Selbst die bisherigen Assoziierungsabkommen mit der Türkei, Malta und Zypern oder die vier Lomé-Konventionen decken nicht annähernd das Spektrum der Abkommen mit den Ostblockstaaten. Sie umfassen ausgehend von Artikel 238 des EWG-Vertrages die Liberalisierung des Handels, die enge wirtschaftliche und technische Zusammenarbeit einschließlich finanzieller Unterstützungen, den wissenschaftlichen und kulturellen Austausch sowie regelmäßige politische Konsultationen. Durch den Namen „Europa-Abkommen” wird diese neue Charakteristik verstärkt. Die neue angestrebte Qualität der Vertragsinhalte deutet darauf hin, dass sowohl die Ostländer, als auch die EG diese Form der Zusammenarbeit als erste Stufe zu der Vollmitgliedschaft betrachten.
Die Verträge haben erst nach der Ratifizierung, die erst seit 1. 2. 1994 in Kraft getreten ist, volle Gültigkeit. Bis dahin waren vorläufig sogenannte Interimsabkommen vom 1. 3. 1992 in Kraft. In ihnen sind ausschließlich die handelsrelevanten Maßnahmen mit der Zielsetzung des Ausbaus einer Freihandelszone geregelt.
Die Freihandelszone als Integrationsstufe beinhaltet, dass tarifäre und nichttarifäre Handelshemmnisse zwischen den an der Integration beteiligten Staaten beseitigt werden. Eine gezielte wirtschaftspolitische Zusammenarbeit der Integrationspartner und die Beeinflussung ihrer autonomen nationalen Wirtschaftspolitik entfallen. Weiterhin bestehen auch noch keine eigenständigen supranationalen Instanzen. Die Mobilität der Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital kann innerhalb eines solchen Gebietes teilweise gewährleistet werden.4
Die Öffnung der Märkte ist also zweiseitig zu betrachten. Es wird heutzutage oft falsch interpretiert, dass die EG sich gegenüber den Ostländern „großzügig” verhält. Es soll versucht werden, auch die andere Seite der Medaille darzustellen. Auf eine ausführliche Erläuterung und Vorstellung detaillierter Vertragsinhalte wird im Folgenden verzichtet. Eher wird die Aufmerksamkeit den auf ein Freihandelsabkommen bezogenen Problemfeldern, wie marktschützender Haltung in sensiblen Handelsbereichen und der Möglichkeit der Nutzung protektionistischer Maßnahmen durch die Verträge gewidmet.
Die CSFR, Polen und Ungarn haben unter vielen Aspekten ähnliche Abkommen mit der EG unterzeichnet. Die politische Lage in den Ländern machte es notwendig, einen gemeinsamen politischen Inhalt zu gestalten. Die Verträge weisen jedoch auf dem Gebiet der wirtschaftlichen Regelungen sowie bei der Beseitigung der Handelsbeschränkungen Unterschiede auf. Wegen der ungleichen wirtschaftlichen Grundlagen haben die Länder versucht, bei der Gestaltung des Abkommens ihren eigenen Interessen größtmögliche Bedeutung beizumessen.
Im Folgenden wird der Assoziierungsvertrag zwischen der EG und Ungarn in den Vordergrund gestellt und vor allem aus der Sicht der ungarischen Volkswirtschaft betrachtet.
Auswirkungen des Assoziierungsabkommens
In der Einleitung des Europa-Abkommens zwischen Ungarn und der EG wird hervorgehoben, dass der Vertrag eine neue Etappe in den Beziehungen zwischen der EG und Ungarn schafft, vor allem auf dem Gebiet des Handels und der Entwicklung der Investitionen, die zu der Umstrukturierung der Wirtschaft und der technischen Modernisierung unentbehrlich notwendig sind.
Unter neuer Etappe der wirtschaftlichen Beziehungen wird vor allem die Zielsetzung zum Ausbau eines vollständigen Freihandels verstanden.
Bei der Ausarbeitung der Verträge haben auch die eigenen Interessen der EG eine große Rolle gespielt. Die Ziele der EG waren unter anderem, der Ausbau eines besseren Marktzugangs in den Ostblockländern, die Geltendmachung der gemeinsamen Handelspolitik und die Erhaltung des Schutzes eigener „sensiblen” Sektoren, z.B. des Agrarsektors, des Textilbereichs sowie der Kohle und Stahlindustrie.
Es geht also nicht nur darum, dass die EG ihre Märkte für ungarische Produkte im Interesse der Förderung der ungarischen Wirtschaftsentwicklung öffnet. Die Marktöffnung ist gegenseitig, das heißt, dass Ungarn genauso seine Märkte öffnen soll. Dies geschieht in einer Zeit, in der es für Ungarn von existenzieller Bedeutung ist, die Exporte auf die entwickelten westlichen Märkte auszudehnen. Wegen den bereits geschilderten Anpassungsproblemen der ungarischen Wirtschaft bleibt fast ausschließlich dieser Weg übrig, die Wirtschaftssphäre am Leben zu halten und die Auslandsschulden zu tilgen. Die rein ungarischen Interessen hätten also diktiert, dass die EG ohne den Anspruch der vollständigen Gegenseitigkeit den freien Zugang für ungarische Produkte zu den EG-Märkten ermöglichte. In diesem Zusammenhang hat die Gemeinschaft „nur” einen asymmetrischen Abbau der Handelshemmnisse gewährt. Das heißt, dass die EG ihre Märkte in einem schnelleren Tempo öffnet. Das betrifft mit dem Inkrafttreten der Verträge den stufenweisen (innerhalb von fünf Jahren) zollfreien Export ungarischer Industrieprodukte, während Ungarn gegenüber EG-Waren diese Öffnung beginnend ab 1995 bis spätesten zum Jahre 2001 gewährt. Es muss hervorgehoben werden, dass der freie Zugang zu den Märkten nicht nur seitens der EG erleichtert wird, sondern sich auch die ungarischen Märkte öffnen. Es existiert also nur eine Zeitverschiebung zwischen der Realisierung der beiden Ziele.
Die Asymmetrie bringt unter den heutigen Umständen wenig Vorteile, wenn man bedenkt, dass ein niedriges Zollniveau bereits in den letzten drei Jahren bei 90 % der ungarischen Industrieprodukte durch die Importliberalisierung erreicht wurde. Das stellt die praktische Bedeutung des asymmetrischen Abbaus in Frage.
Die Warenstruktur des Handels Ungarns
Der Anteil der ungarischen Exporte in die EG, gemessen am Außenhandelsumsatz, zeigt eine seit 1988 steigende Tendenz.
Im Jahr 1992 haben sie einen Wert von 50,1 % erreicht. Aus der Perspektive der außenwirtschaftlichen und geographischen Neuorientierung bedeutet diese Umstrukturierung einen großen Erfolg. Weiterhin hat sie die früheren Vermutungen über die Unfähigkeit der osteuropäischen Länder hinsichtlich der Herausforderung eines flexiblen Angebots auf dem Westmarkt widerlegt. Aufgrund der ungarischen Außenhandelsstrategie, der Wirtschaftsdiplomatie und der Gesprächsbereitschaft der EG haben sich die Exporte Ungarns in die EG 1990 um 21 %, 1991 um 27 % und 1992 um weitere 14,4 % erhöht. Aus der Tabelle 1 kann man die Zusammensetzung der Export- und Importwarenstruktur Ungarns in die EG erkennen.
Tabelle 1 – Die Export- und Importwarenstruktur Ungarns mit der EG nach wichtigen Warengruppen 1991 (in Mio. USD)
Warengruppe |
Export |
Import |
Nahrungsmittel, lebende Tiere |
1924,9 |
555,4 |
Getränke und Tabak |
130,7 |
70,3 |
Rohstoffe |
460,8 |
460,5 |
Mineralische Brennstoffe |
299,9 |
1245,5 |
Tierische und pflanzliche Öle |
114,4 |
9,1 |
Chemische Erzeugnisse |
1206,0 |
1308,6 |
Bearbeitete Waren |
1791,8 |
1358,9 |
Maschinenbau-, elektronische Erzeugnisse |
2489,5 |
3032,4 |
Sonstige bearbeitete Waren |
1038,7 |
682,9 |
Quelle: Statistisches Bundesamt, Länderbericht Ungarn 1992, S. 95. |
Etwa 25 % der Exporte sind Agrarprodukte, 15 % Textil- und Bekleidungsartikel. Weitere 5 % stammen aus der Stahlindustrie. Damit bleiben also etwa 55 % der Exporte, die in die Gruppe der allgemeinen Industrieprodukte eingeordnet sind. Man muss von diesen genannten Hauptgruppen der ungarischen Exporte ausgehen, um die Bedeutung des Vertrags auswerten zu können.
Die oben beschriebene Zielsetzung zum Ausbau einer Freihandelszone bezieht sich aber nur auf die allgemeinen Industrieprodukte. Von ihnen fallen 75 % der Waren unter sofortige Zollfreiheit. In diesem Produktsegment, das sich in erster Linie aus technologieintensiven Kapital- und Zwischengütern zusammensetzt, verfügt Ungarn über keine Wettbewerbsfähigkeit. Dementsprechend kann kein Angebotsdruck auf den EG-Märkten entstehen. Auch zukünftig kann man mit keiner bedeutenden Konkurrenz ungarischerseits auf diesem Gebiet rechnen. Der große Kapitalmangel sowie die überholte Technologie sprechen dafür, dass man hier zudem keine Exporterweiterungen erwarten kann. So gesehen scheint der Liberalisierungsfahrplan der EG großzügig, bleibt jedoch ohne entsprechende Modernisierung und Technologietransfer nutzlos.
Bei den anderen 25 % der Industrieprodukte bleiben Zölle bestehen, die innerhalb von 5 Jahren abgeschafft werden. Darunter fallen solche Produkte, die als „sensibel” betrachtet werden, und wo die EG befürchtet, dass die ungarischen Einfuhren sprunghaft erhöht werden können. Zu der Gruppe gehören vor allem Pkw-Einzelteile, Autobusse, Aluminiumwaren sowie Porzellan, Keramik, Möbel und Lederartikel. Bedingt durch komparative Vorteile Ungarns sind besonders Wettbewerbsvorteile bei diesen Produktgruppen zu verzeichnen. Nach den Erwartungen werden diese Waren, bei denen der Faktor Arbeit intensiver genutzt wird, in der zukünftigen Exportwarenstruktur Ungarns eine immer größere Rolle spielen. Sie können umso schneller in die Exportpalette aufgenommen werden, je rascher Direktinvestitionen in grenzüberschreitende Veredelungs- und Verarbeitungsprozesse integriert werden. Solche positive Zeichen sind bereits im medizinischen Instrumentenbau, im Kraftfahrzeugsektor, in der Möbelfertigung und im Landmaschinenbau zu registrieren. Nach den EG-Regelungen wurden auf diese Produkte Zollkontingente und Plafonds festgesetzt. Durch die Verhandlungen wurde erreicht, dass der Großteil dieser Waren zu der mit Plafonds belegten Gruppe gehört. Die Plafonds haben gegenüber den Kontingenten den Vorteil, dass es bei ihrer Überschreitung nicht notwendig ist, wiederum neue Zölle zu erheben. Unter diesem Aspekt bieten das Europa-Abkommen neue Vorteile im Vergleich zu den früheren Begünstigungen des Allgemeinen Präferenzsystems. Eine größere Sicherheit wurde auch dadurch geschaffen, dass die Plafonds und Kontingente nicht mehr jedes Jahr neu festgesetzt werden müssen.
Es ist zu begrüßen, dass die EG vor kurzem auf dem Gipfel von Kopenhagen5 zusätzliche Handelserleichterungen bei dieser Produktgruppe für die mittel- und osteuropäischen Länder gewährt hat. In diesem Rahmen werden die Kontingente und Plafonds erhöht. Damit ist zu erwarten, dass die Marktzugangsbedingungen in diesem Bereich schneller verbessert werden.
Die besondere Rolle des Agrarhandels
Die Regelungen bezüglich des Handels mit Agrarprodukten haben einen sehr wichtigen Platz während der Verhandlungen eingenommen. In einem besonderen Kapitel, wurden für jedes Produkt die einander gewährten Begünstigungen festgelegt.
Der Agrarhandel hat eine besondere Rolle in den Beziehungen zwischen der EG und Ungarn. Bedingt durch die reiche Ausstattung Ungarns mit fruchtbaren Böden ist die Landwirtschaft einer seiner wichtigsten Wirtschaftszweige. Die Agrarexporte haben in den letzten Jahrzehnten immer eine große Rolle bei den ungarischen Ausfuhren gespielt. Darauf weist auch heutzutage sein 25–30 %-iger Anteil an den Gesamtexporten in die EG. Etwa die Hälfte der ungarischen Agrarprodukte ist für Deutschland bestimmt. Zusammen mit Italien nehmen beide Länder etwa 70–75 % der Agrarprodukte Ungarns auf. Zu den größten Agrarlieferanten Ungarns gehören ebenfalls die Bundesrepublik (41 %) sowie Italien und Frankreich (je 11 %). Bei der Analyse der ungarischen Agrarexporte kann man eine lediglich auf wenige Produktgruppen konzentrierte Warenstruktur feststellen:
– traditionelle Fleischwaren (lebendes Vieh, Schweinefleisch): 55 %
– frisches Obst und Gemüse: 12–15 %
– verarbeitetes Obst und Gemüse: 9 %
Im Gegensatz dazu bildet der EG-Agrarexport nach Ungarn lediglich ein 3 %-iger Anteil an Gesamtexporten. Bei den diesbezüglichen Einfuhren Ungarns sind vor allem Obst, Gemüse, Konserven, Getränke und Alkohol sowie Fertigprodukte und Genussmittel von großer Bedeutung. Es fällt auf, dass einige Produkte, wie Getreide, Genussmittel, Schokolade und Milchprodukte mit immer größerem Gewicht in den Importen Ungarns auftreten.
Insgesamt lässt sich feststellen, dass der Agrarhandel zwischen der EG und Ungarn ein komplementäres Merkmal besitzt. Beide Partner haben versucht, die unerwünschten Konkurrenzprodukte des Partners (Milchprodukte, Getreide, Zucker) von eigenen Märkten fernzuhalten. Das Ziel nach Freihandel im Agrarbereich wäre eine Illusion gewesen, wenn man die unterschiedlichen Agrarpolitiken der beiden Vertragspartner in Rechnung nimmt. Auf der EG-Seite haben die sogenannten Abschöpfungen6 zwischen den handelspolitischen Schutzinstrumentarien im Agrarhandel mit Drittländern das größte Gewicht. Ihr Niveau kann sogar zwischen 50–100 % des Importwertes erreichen. Außer den Abschöpfungen spielen noch die Zölle vor allem bei verarbeitetem Obst und Gemüse, Wein und Fischprodukten eine bedeutende Rolle. Daraus folgt, dass eine bessere Marktposition nur durch die Verringerung des Ausmaßes dieser beiden Instrumentarien erreichbar ist. Auf ungarischer Seite stellt man eine geringe Bedeutung der Zölle im Vergleich mit der EG fest. Bei einer Gegenüberstellung von Zöllen bei Lebensmitteln, wie z.B. Weizen-, Fleisch- und Milchprodukten,) konstatiert man dagegen einen großen Unterschied.7 Im Importsystem Ungarns spielen eher die mengenmäßigen Beschränkungen eine wichtige Rolle. Nach dieser Darstellung ist leichter zu erkennen, auf welchen Gebieten die beiden Länder voneinander Zugeständnisse erwarten konnten.
Zusammenfassend stellt die Tabelle 2 den Anteil der von der EG angebotenen Begünstigungen an dem Gesamtagrarexport Ungarns dar:
Tabelle 2 – Ungarische Agrarexporte in die EG – Die durch Begünstigungen dominierenden Agrarexportwaren
Produkte |
Ungarischer Export 1991 (in Mio. USD) |
Wert der Begünstigung (In Mio. USD) 1992–1996 |
Geflügel |
117 |
13–18 |
Leber, Hasenfleisch, Obst, Gemüse |
261 |
10–13 |
Rind- und Schweinefleisch, Hühner, Hammelfleisch |
201 |
37–106 |
Verarbeitete Obst und Gemüse |
126 |
3–1 |
Süßwaren, Maiskolben, Teigwaren |
49 |
3–4 |
Insgesamt |
754 |
66–122 |
Quelle: vgl. Meisel, V., S. (Mohácsi, K., A magyar agrárágazat, 1993, S. 125.) |
Anhand der Tabelle 1-2 lässt sich ablesen, dass die begünstigten Produkte im ungarischen Agrarexport 1992 einen Wert von 754 Mio. USD ausmachten. Dies bedeutet etwa zwei Drittel der Ausfuhren Ungarns. Im Agrarexport der EG belief sich diese Zahl auf 142 Mio. USD, was seinerseits 75–80 % der Gesamtausfuhren der EG nach Ungarn ausmacht. Relativ zeigt sich also eine größere Begünstigung zugunsten der EG-Importe, wobei aber hinzugefügt werden muss, dass die Agrarexporte Ungarns neunmal größer sind.8
Im Zusammenhang mit der dargestellten Export- und Importwarenstruktur und den gegebenen Vergünstigungen sieht man, dass diejenigen Produkte in den Genuss von Konzessionen gekommen sind, die im früheren Agrarexport Ungarns auch dominierend waren. Demzufolge trägt die Struktur der Konzessionen zu deren Wettbewerbsfähigkeit bei, das heißt, dass sie allein keine Impulse für eine Agrarstrukturänderung gibt. Bei Produkten wie Zucker, Molkereiwaren und Getreide, bei denen das Niveau der EG-Selbsterzeugung sehr hoch liegt, wurden keine Vergünstigungen erteilt. Ungarn kann jedoch gerade bei diesen Erzeugnissen infolge seiner komparativen Vorteile eine gute Wettbewerbsfähigkeit aufzeigen. Es ist aber weiterhin absehbar, dass die komparativen Vorteile, über die der ungarische Agrarsektor noch heute verfügt, in der Zukunft schrumpfen werden. Die heutigen Produktionskosten liegen noch weit unter den durchschnittlichen Kosten in der EG, jedoch sind die Preise der landwirtschaftlichen Produktionsmittel höher als die westlichen.
So stellt sich die Frage, ob der ungarische Agrarsektor auch bei schrumpfenden komparativen Vorteilen fähig sein wird, seine Wettbewerbsfähigkeit aufrechtzuerhalten und welche entsprechenden Maßnahmen ungarischerseits vorgenommen werden müssen.
Hinzu kommt, dass aber die von der EG gegebenen Konzessionen auch nicht in der Lage sind, für die aus dem Ostmarkt herausgedrängten Agrarprodukte wie z.B. Paprika, Konserven oder Wein neue Absatzmöglichkeiten zu sichern. Die Frage, ob die Vergünstigungen die ungarische Agrarwarenstruktur konservierten, kann man unter dieser Betrachtung positiv beantworten. Anders ausgedrückt: Tragen die Konzessionen zur Erweiterung der Agrarexporte bei? Das Abkommen umfasst lediglich einen engen Kreis der Agrarerzeugnisse, was auf eine eher bescheidene Exporterweiterung schlussfolgern lässt. Zu einer wesentlichen Veränderung tragen die in Kopenhagen vorgelegten Erleichterungen bezüglich der Agrarprodukte aber auch nicht bei.9
Man muss hinzufügen, dass es 1992 in der Entwicklung der Gemeinsamen Agrarpolitik der EG (GAP) einen entscheidenden Wandel mit dem Beschluss über eine grundlegende Reform der Marktordnung bei den meisten Erzeugnissen gab. Diese Reform bedeutet vor allem ein Umdenken in der EG-Agrarmarktpolitik: anstelle der bisherigen Preisstützung soll künftig mehr auf direkte Beihilfen an die Erzeuger zurückgegriffen werden. Die Reform erfolgt ab 1993 schrittweise über drei Jahre.10 Unter den Zielsetzungen sind bezüglich des ungarischen Agrarhandels in die EG vor allem die folgenden von besonderer Bedeutung: Erhebliche Preissenkungen sind bei Getreide zu erwarten. Damit wird die Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt gestärkt. Bei den tierischen Erzeugnissen wurde beschlossen, deren gesamten Stellenwert zu überprüfen und eine Senkung der Quoten vorzunehmen. Eine Senkung des Interventionspreises für Rindfleisch um 15 % wird über drei Jahre ab dem 1. Juli 1993 vorgenommen. Diese Maßnahmen könnten durch den Abbau der Subventionen in den erwähnten Bereichen einen besseren Marktzugang für die ungarischen Produkte (Fleisch, Getreide, Milchprodukte) bewirken, um die Exportpalette weiter ausdehnen zu können.
Untersucht man die Wirkungen der in diesem Bereich festgelegten Begünstigungen aus der Sicht der handelsschaffenden und handelsumlenkenden Effekte, so lässt sich folgendes feststellen: Ungarn bleibt nach wie vor, gemessen an den Gesamtexporten und -importen der Gemeinschaft mit 1,6 % ein nur unbedeutender Beschaffungs- und Absatzmarkt. Dieses Bild relativiert sich jedoch, wenn man die einzelnen Mitgliedsländer aufgefächert betrachtet. Man kann bei der Anbindung an die Märkte einzelner EG-Mitgliedsländer eine starke Differenzierung konstatieren. Eine steigende Tendenz zeigte sich nach 1988 auf den Märkten Deutschlands (3,1 %) und Italiens (4,1 %), gemessen an ihren gesamten Drittlandimporten bei Agrarprodukten. Im Gegenteil dazu konnte Ungarn mit seinen Agrarexporten z.B. in Frankreich kaum Fuß fassen, was auf die unterschiedlichen handelspolitischen Barrieren innerhalb der EG zurückzuführen ist.
Aus der Sicht der handelsumlenkenden Effekte, die durch den Ersatz von Importen aus nicht begünstigten Staaten entstehen, zeigt sich, dass Ungarn mit den in der Regel zwischen 40–80 % liegenden Anteilen bei einigen Agrarprodukten wie lebenden Schafen (41,6 %), Hausschweinen (52,9 %), Hühnern (50,1 %) zu den größten Drittlandanbietern gehört. Den wichtigsten potentiellen Lieferern aus Drittländern wie Australien, Neuseeland, Argentinien, Kanada, den USA und Uruguay wurde bislang von EG-Seite der Marktzugang erschwert. Deswegen können die hohen ungarischen Anteile an Drittländereinfuhren auch nur das Interventionsniveau der EG reflektieren. Wenn dieses Niveau als Ergebnis der Uruguay-Runde gesenkt werden sollte, so ist zukünftig eine Verringerung der relativen hohen Anteile Ungarns zu erwarten. Seitens der anderen ehemaligen RGW-Staaten ist dagegen kurz- und mittelfristig keine negative Wirkung für die Exporte Ungarns zu vermuten, weil man bei ihnen mit keiner großen Verbesserung der Angebotsbedingungen rechnen kann. Langfristig können aber diese Länder als Konkurrenz auftreten, wenn man bedenkt, dass sie auch vor allem bei Agrarprodukten komparative Vorteile aufzeigen können.
Nach diesen Darstellungen ist festzuhalten, dass das Interimsabkommen trotz seiner Beschränkungen für ungarische Exporteure doch bessere Marktzugangsmöglichkeiten im Vergleich mit den früheren Regelungen bat. Zu einer effizienteren Ausnutzung der Konzessionen braucht Ungarn aber bedeutende strukturelle Veränderungen im Agrarsektor. Daraus folgt, dass Ungarn in der Zukunft nach der Gestaltung einer vielfältigeren Exportstruktur im Agrarbereich streben soll. Dabei ist eine Tendenz der Umstrukturierung von Massenprodukten wie Fleisch mit geringeren Verarbeitungsgrad oder Konserven, deren Qualität ein niedriges oder mittleres Niveau aufweist, zu höherwertigen Produkten, die für einen engeren Konsumentenkreis erzeugt werden, vor Augen zu halten. So werden weiterhin die verarbeiteten Fleischprodukte, darunter besonders Schweinefleisch, Rindfleisch und Geflügel dominieren. Trotz des verschärften Konkurrenzkampfes können zudem die verarbeiteten Obst- und Gemüseprodukte bzw. die traditionellen ungarischen Produkte wie Paprika, Wein, Heilkräuter und Bioprodukte die Exportpalette noch erweitern. Jedoch bleiben diese Bestrebungen ohne Erfolg, wenn man der Modernisierung der Produktion, der Erhöhung des Qualitätsniveaus der Produkte und der Verpackung keine größere Aufmerksamkeit schenkt. Zu den Aufgaben gehören weiterhin die Verstärkung der Zuverlässigkeit der Normenvorschriften und Transporte sowie die Verbesserung der Marketingtätigkeit. Grundlegende Veränderungen sind auch im Agrarhandel erforderlich. Die Beschaffung der aktuellsten Marktinformationen (Preise, Abschöpfungen) ist zur Vermeidung der automatischen Schutzmaßnahmen der EG unentbehrlich. Besonders auf dem Rechtsgebiet sind noch Verzögerungen zu beobachten. Es ist unbedingt notwendig, die Eigentumsverhältnisse und die Entschädigungsbedingungen zu klären.
Aus langfristiger Sicht braucht Ungarn ein modernes Agrarsystem zur Lösung der Strukturänderung und Orientierungsprozesse, das jedoch die dominierende Rolle des Sektors sowie den Ausbau der rechtlichen Rahmenbedingungen beibehält. Ohne die Lösung dieser Aufgaben können die potentiellen Vorteile des Abkommens nicht ausgenutzt werden, was die Chancen der Bewältigung der gegenwärtigen Situation im Agrarsektor verringern kann.
Weitere Bereiche für den Außenhandel Ungarns
Eine weitere besondere Rolle für die Exporte Ungarns nehmen sowohl in Hinblick auf ihren Umfang, als auch auf Grund weiterer Besonderheiten die Textil- und Bekleidungsartikel. Im Jahre 1992 waren 68,12 % der Textilexporte Ungarns für die EG bestimmt.
Bei Textil- und Bekleidungsartikeln bleiben weiterhin die mengenmäßigen Beschränkungen bestehen. Die Zölle werden in sieben Stufen innerhalb von sechs Jahren aufgehoben. Diese Zollsenkung hinterlässt aber keine Wirkung auf die Menge der Textilexporte Ungarns, weil die Importquoten der EG weiterhin aufrechterhalten bleiben. Mit dem Fortbestehen des Quotensystems kann man vermuten, dass seine Ausnutzung Hauptthema der Textilverhandlungen zwischen der EG und Ungarn war. Bei allen einzelnen Produktklassen wird also überprüft, ob die Exportvolumina die vorgegebene Quote voll ausfüllen können. Wenn diese sog. „Ausnutzungsrate” zu niedrig ist, gibt es einen guten Anlass für keine weitere Erhöhung der Exportquote. In Ungarn liegt sie für alle Klassen durchschnittlich bei etwa 73,9 %.11 Dies widerspiegelt aber nicht die tatsächliche Lager der ungarischen Textilexporte, bedenkt man, dass der größte Exportanteil bei Produkten mit niedrig vorgegebenen Quoten liegt. Diese nichttarifären Handelshemmnisse zeigen erneut die Bestrebung der EG, verstärkt ihr Interesse gegenüber Ungarn durchzusetzen.
Im Fall, dass die GATT-Verhandlungen im Rahmen der Uruguay-Runde erfolgreich abgeschlossen werden, wird den mengenmäßigen Beschränkungen ein Ende gesetzt, was für die Europaabkommen auch richtungsgebend wäre. In dem Europavertrag wurde nämlich die Hälfte des in der Uruguay-Runde festgelegten Zeitraums, aber nicht weniger als fünf Jahre, für die Abschaffung aller mengenmäßiger Beschränkungen festgelegt.
Nach dem heutigen Stand der Verhandlungen können aber die in der Uruguay-Runde eingereichten Vorschläge den Handel von gewissen „sensiblen Produkten” – darunter Textilwaren – in der Übergangsperiode zunehmend einschränken und zwar auf „freiwilliger” Basis, das heißt, unter absichtlicher Umgehung der Regeln des GATT-Abkommens.12 Die schon vorhandenen Vorschläge der Uruguay-Runde beziehen sich auf den gesamten Textilexport – unabhängig davon, ob der Import unter Beschränkungen fällt oder frei ist. Theoretisch wird anhand der gegenwärtigen Regelungen dadurch für die Verschiebung der Liberalisierung bis zum Jahr 2000 grünes Licht gegeben. Somit ist die Frage weiterhin offen, welche Maßnahmen die EG bis zur Entscheidung der Uruguay-Runde im Textilsektor ergreifen wird. Nimmt sie die Vorschläge der Uruguay-Runde auf oder greift sie zu eigenen Maßnahmen?
Ein weiterer wichtiger Charakter des Textilhandels zwischen der EG und Ungarn ist die Lohnveredlung. Sie macht etwa ein Drittel der ungarischen Textilexporte aus. Bisher waren sie mit Zöllen belegt. Seit dem Inkrafttreten des Abkommens ist aber eine zollfreie Lohnveredelung gültig, wenn die Rohstoffe ausschließlich aus der EG stammen. Diese Bestrebung der EG drückt eindeutig ihr Interesse an billigen Lohnarbeiten aus. Im Jahre 1991 ist ihr Anteil gegenüber dem Vorjahr von 32 % auf 38 % gestiegen und 1992 konnten von allen ungarischen Textilexporten hauptsächlich die aus dem Lohnveredlung-Bereich stammenden erhöht werden. Im Zusammenhang damit muss auf zwei Probleme hingewiesen werden.
a) Die Lohnveredelung schafft zwar Arbeitsplätze, jedoch ist sie mit der Übertragung bestimmten ausländischen Technologien und Know-how nicht unbedingt verbunden. Damit trägt sie auch nicht zu der Modernisierung der Textilbranche bei, die aber für Ungarn unentbehrlich ist. Andererseits haben die durch Lohnveredlung erzeugten Produkte den niedrigsten Wert, was aus Sicht der Erhöhung des wertmäßigen Exportvolumens nicht als günstig bezeichnet werden kann.
b) Weiterhin muss die Aufmerksamkeit auf die Tatsache gelenkt werden, dass die Lohnveredelung vor der in Dollar gemessenen Erhöhung der Lohnkosten flieht. Damit besteht die Gefahr, dass sie infolge der realen Aufwertungspolitik in Ungarn in andere Länder der Region verlegt wird. In der Zukunft kann Ungarn mit einem verschärften Wettbewerb bezüglich der Lohnkosten gegenüber Tschechien, der Slowakei sowie Polen rechnen. Es ist also durchaus nicht ausgeschlossen, dass die anderen Länder zukünftig bessere Standortvorteile auf diesem Gebiet vorweisen können.
Zu der Reihe der sensiblen Produktgruppen gehören noch die Kohl- und Stahlprodukte, bei denen die EG ihrerseits wiederum vorsichtig mit der Öffnung umgegangen ist. Bedingt durch die strukturellen Schwierigkeiten Ungarns in diesem Sektor kann man mit einem Rückgang der Exporte rechnen. Die mit großen Verlusten verbundene Kohlenproduktion und die Verringerung der staatlichen Subventionen haben die Zukunft dieses Sektors bestimmt. In diesem Bereich wurden in den letzten Jahren die meisten Konkursverfahren durchgeführt. Die gleichen Schwierigkeiten lassen sich auch in der Stahlindustrie erkennen. So kann mit großer Sicherheit gesagt werden, dass diese Industriezweige – auch aufgrund der geringen Ausstattung Ungarns mit Bodenschätzen – in der Zukunft allmählich an Bedeutung verlieren werden.
Protektionistische Tendenzen
Außer Zöllen und mengenmäßigen Beschränkungen existieren weitere nichttarifäre Handelshemmnisse: Schutzklauseln, Ursprungsregelungen, Qualitäts- und Normenvorschriften sowie die Produkthaftung, die auch unter dem Gesichtspunkt von Marktschutzfunktionen zu betrachten sind. Ihre Nutzung kann, ebenso wie die Zölle, den Ausbau des Freihandels beträchtigen. Deswegen ist es notwendig, ihre Rolle in dem Interimsabkommen ausführlicher zu untersuchen:
Die Aufstellung einer sogenannten Ausnahmeliste dieser Instrumentarien nutzt die EG seit langem, da sie auch mit diesen Mitteln die betroffenen Branchen vor der Konkurrenz von außen schützen will. Trotz der in den letzten Jahren durchgeführten strukturellen Veränderungen, befinden sich vor allem die Stahlindustrie, die Textil- und Bekleidungsindustrie aber auch der schon erwähnte Agrarsektor in strukturellen Schwierigkeiten. Obwohl die EG für die Einhaltung und den Ausbau des GATT-Abkommens und damit im Zusammenhang für weltweit vergleichbare Wettbewerbsvoraussetzungen eines fairen Welthandels plädiert, zeigt die Praxis eher eine Tendenz zur Ausdehnung und Nutzung protektionistischer Maßnahmen. Dieser Trend kommt, ebenfalls in dem hier betrachteten Abkommen zu Ausdruck.
Mit dem Argument, dass „der europäische Markt zu dem durch die Niedrigpreisimporte aus den osteuropäischen Staaten darunter auch Ungarn gedrückt wird”, versucht die EG über die sogenannten Schutzklauseln ihre Importe bei sensiblen Warengruppen zu beschränken.13 Nach Artikel 30 des Interimsabkommens14 können die Vertragspartner gegenseitig Schutzmaßnahmen anwenden. Bezogen auf diese Argumente hat die EG in der jüngsten Vergangenheit mehrmals zu protektionistischen Maßnahmen gegriffen. Vor kurzem hat sie z.B. ein Einfuhrverbot von Paarhufern sowie rohen Fleischprodukten aus ganz Osteuropa verhängt. Die Maßnahme wurde mit der aufgetretenen Maul- und Klauenseuche bei den Produkten erklärt, in Wirklichkeit war das Einfuhrverbot nach polnischer Überzeugung vom Wunsch der Europäischen Zwölfergemeinschaft bestimmt, eigene Rindfleischberge abzubauen.15 Obwohl das Einfuhrverbot nach einem Monat aufgehoben wurde, wird der insgesamt durch das Embargo verursachte Schaden für Ungarn auf 30–50 Mio. USD geschätzt.16
Es wird keine Sicherheit dafür gewährt, dass solche und ähnliche Schutzmaßnahmen auch nicht in Zukunft aus den Schubladen genommen werden. Umso mehr kann man mit solchen Schritten rechnen, da keine konkreten Kriterien hinsichtlich der in welchen Sektoren auftretenden Störungen in den Verträgen festgelegt wurden. Theoretisch kann also jede Industriebranche oder jeder Produzent eine solche Klage erheben. Dabei müssen nicht einmal die Schäden oder Störungen dokumentiert werden. Nach dem genannten Artikel schreiten die EG-Behörden bereits im Fall der Andeutung von Störungen ein. Trotz der Festlegung des Artikels 25 des Assoziierungsvertrages17 bietet die Schutzklausel also Möglichkeiten, protektionistische Abschottungen einzelner Branchen wiederaufzubauen.
Aber auch Ungarn kann entsprechend Artikel 2818 zu Sondermaßnahmen greifen. Dem Erziehungsargument für Zölle liegt die Überlegung zugrunde, dass junge Industrien eine ungestörte Periode wirtschaftlichen Aufbaus brauchen. Es wird ihnen somit ermöglicht, einen Zustand wirtschaftlicher Reife zu erreichen, der sie an das höhere Niveau des Auslandes heranführt. Diese Möglichkeit begünstigt auch die EG: Wenn nämlich Ungarn im Rahmen dieses Artikels Zölle erhöhen würde, müsste es den EG-Importen Präferenz leisten. Außerdem erstreckt sich die Erziehungszollklausel nur auf Güter, deren Zölle nicht höher als 25 % sind und auch nicht mehr als 15% der gesamten Industriegüterimporte aus der Gemeinschaft umfassen. Damit hat die EG gesichert, dass ihre Exporteure nicht beträchtlich betroffen sind, wenn Ungarn zu dieser Notmaßnahme greift. Vor kurzem hat Ungarn beispielsweise versucht, von diesem Mittel Gebrauch zu machen. Bei 18 Produkten – darunter vor allem chemische Erzeugnisse – wurde eine Importzollerhöhung beantragt. Obwohl die EG Berechtigung des Antrags anerkannt hat, tauchten sofort Probleme mit der Definition hinsichtlich der neuen Industriezweige auf. Nach EG-Auffassung zählt ein Industriezweig nicht als „neu”, wenn er seine Produktion vor der Unterzeichnung des Vertrages aufgenommen hat. Die Diskussion über diese Frage ist aber noch nicht abgeschlossen.19 Wegen der mangelhaften Definitionen im Abkommen ist zu befürchten, dass weitere willkürliche Entscheidungen bezüglich der Nutzung der Schutzklausel den Abbau der Barrieren negativ beeinflussen können. Daraus folgt, dass Ungarn dem Schutz seines Marktes und seiner Branchen auch zukünftig größere Aufmerksamkeit schenken muss. Jedoch muss mit dem Erziehungszoll vorsichtig umgegangen werden, da, wie die Erfahrung zeigt, aus temporärem Zollschutz sehr leicht ein permanenter werden kann.20
Ursprungsregelungen wurden in dem Interimsabkommen in einer Sonderklausel verankert. Demnach wird ein ungarisches Produkt als generell solches anerkannt, wenn es vollständig in Ungarn hergestellt wurde. Das betrifft ebenso die Herkunft der Zulieferteile. Außerdem entspricht ein ungarisches Produkt den EG-Ursprungsregelungen, wenn sein Importanteil bei der Bearbeitung 40 % nicht übersteigt. Der Import aus EG-Ländern bildet insofern eine Ausnahme, dass er zum heimischen Wert gerechnet wird.
Unter Betrachtung der auf Importe stark angewiesenen und in die internationale Arbeitsteilung intensiver eingegliederten ungarischen Wirtschaft können diese Vorschriften nicht als vorteilhaft bezeichnet werden. Sie sind ungünstig von dem Gesichtspunkt aus, dass sie das für weitere Investitionen unentbehrliche Auslandskapital aus den USA und Japan fernhalten. Im Hinblick auf die Größe des ungarischen Marktes werden die ausländischen Kapitalinvestitionen nicht ausschließlich auf der Inlandsnachfrage basieren. Die Unternehmen aus OECD-Ländern werden Kapital eher in die exportorientierten Industriezweige investieren. Die schon zustande gekommenen Investitionen im Automobilsektor und im Elektromaschinenbau sind die besten Beispiele dafür. Produktionen in diesen Bereichen kommen unter der Hoffnung zustande, über den Wirtschaftsstandort Ungarn Waren auch in die EG exportieren zu können. Von diesem Standpunkt aus werden die EG-Exporteure auf Kosten der Konkurrenz aus Drittländern begünstigt. Daher kann man hier eher handelsumlenkende Effekte beobachten als handelsschaffende. Dies stellt insofern ein Risiko dar, als dass die USA, aber auch Japan entsprechend der Zusammensetzung des eingeströmten Auslandskapitals, zu den größten Investoren Ungarns zählen. Anders formuliert scheint Ungarn als „Jagdgebiet” der EG betrachtet zu werden, in welchen das Betreten von Fremden im Vergleich zu den früheren Regelungen erschwert wurde.
Auf der anderen Seite stellen die Ursprungsregelungen wiederum Hindernisse dar, wenn man das Problem von einer anderen Warte aus betrachtet. Ungarn verfügt über ein relativ umfangreiches Arbeitskräfteangebot. Somit kann es günstiger Standort für arbeitsintensive Einzelteilherstellung bzw. Montageprozesse sein. Dazu ist aber Material- und Know-how-Transfer notwendig, um das entsprechende technische und technologische Niveau der Produktion zu erreichen. Die Produkte der Montagebetriebe sind aber anhand der Ursprungsregelungen des Abkommens de facto von ihrem Geltungsbereich ausgeschlossen. Diese Regelung beinhaltet aber nicht nur für die Ostländer sondern auch für die EG-Länder Nachteile: Die EG-Unternehmen können nämlich auf dieser Art Investitionen nicht wirtschaftlich optimal zwischen den verschiedenen Betrieben aufteilen. Sie können gezwungen sein, mit weniger effizienten Einzelteilherstellern Kooperationen zu schließen.
Die einzige Wahlmöglichkeit wird durch die Begünstigung der Ostblockstaaten gegeben, wodurch sie Exportwerte untereinander kumulieren können. Nach dem heutigen Stand der grenzüberschreitenden Kooperationen zwischen den vier Ländern kann man sagen, dass sie sich auf diesem Gebiet der Zusammenarbeit erst am Anfang befinden.
Die Frage der Standard- und Normenvorschriften wirft ähnliche Probleme wie sie bei den Ursprungsregelungen zu beobachten waren, auf. Die technischen Vorschriften und Normen sind vor allem in den Branchen wichtig, in denen sich der Konsumentenschutz auf einem hohen Niveau befindet z.B. in der Lebensmittelindustrie, bei elektrischer Geräten und Dienstleistungen, aber auch in Branchen mit schneller technischer Entwicklung, wie z.B. der Elektronik. Sie können sich sowohl auf einzelne Produkte, als auch auf Produktionstechnologien beziehen. Diese Vorschriften dürften langfristig kein wesentliches Hindernis für die ungarischen Produzenten bedeuten, betrachtet man die Tatsache, dass Ungarn seit zwei Jahren Schritt für Schritt das europäische Normensystem übernimmt. Obwohl Ungarn noch kein Mitglied der CEN oder CENELEC21 ist, wurde jedoch bei vielen Produkten bereits das entsprechende technische Niveau überprüft. Probleme können in den Branchen auftreten, in denen RGW-Vorschriften gefolgt wurde, wie bei einigen Lebensmittelprodukten. Die stufenweise Einführung und Übernahme der europäischen Normen können außerdem die Chancen der Exporterweiterung besonders bei Lebensmitteln, Medikamenten, chemischen Produkten und medizinischen Geräten in der Zukunft verbessern.
Aus den bisherigen Darstellungen zeigt sich, dass das Assoziierungsabkommen Ungarn nur teilweise die Lösung seiner Wirtschaftsprobleme näherbringt. Die EG hat bei den Verhandlungen ebenso nach der Geltendmachung ihrer Interessen gestrebt wie Ungarn. So kann man bei der Wichtung der erhaltenen und gewährten Begünstigungen diese für ausgeglichen halten. Betrachtet man die der EG ungarischerseits zugestandenen Vergünstigungen, ist festzustellen, dass für Ungarn auch keine wesentlich weiteren Spielräume vorhanden waren. Wie schon erwähnt, hat Ungarn bereits vor den Verhandlungen der Europa-Abkommen eine transparente und liberale Handelspolitik entwickelt. Zwischen 1990 und 1992 war die ungarische Handelspolitik unter vielen Aspekten liberaler als die Handelspolitik der EG. Bei Aufnahme der Verhandlungen waren nur 10 % der Gesamtimporte Ungarns von mengenmäßigen Beschränkungen betroffen.22 Die Liste der unter Beschränkungen fallenden Produkte war außerdem übersichtlicher und eindeutiger. So wurden „Kalkulationen” der Importeure nach Ungarn durch unsichtbare und importerschwerende Faktoren im Gegensatz zur EG nicht beeinträchtigt. Parallel wurden die den Außenhandel mittelbar beeinträchtigenden staatlichen Subventionen, Preisunterstützungen und direkten Beihilfen verringert. Wahrscheinlich wird diese „Überliberalisierung” der Importe unter den heutigen Wirtschaftsbedingungen als Fehler erscheinen.
Unter dieser Betrachtung sollen die Wirkungen einer Freihandelszone, die als perspektivische Zielsetzung des Europa-Abkommens formuliert wurde, mit den folgenden Gedanken konfrontiert werden:
Nach bisher vorherrschenden wirtschaftswissenschaftlichen Auffassungen bringe die Bildung von Freihandelszonen für alle Beteiligten Vorteile. Die Stimmen hingegen, die besagen, dass der Freihandel zwischen entwickelten und unterentwickelten Regionen und Ländern deren Produktivitäts- und Preisniveaus ausgleiche, sind in den letzten Jahren lauter geworden. Sie vertreten unter anderem die Meinung, dass der Freihandel nur „zwischen Ländern voll angewandt werden kann, die sich ähnlich sind und welche die Spielregeln akzeptieren”.23 Nimmt man diese These voll zur Kenntnis, soll das Europa-Abkommen zwischen der EG und Ungarn mit seiner Zielsetzung unter diesem Gesichtspunkt betrachtet werden.
Geht man erstens von den unterschiedlichen Protektionsniveaus der Vertragsländer aus, kann die Behauptung zutreffen, nach der ein Zusammenschluss von Ländern mit solchen Unterschieden zu einer Freihandelszone handelsumlenkend wirkt und Drittländer schädigt. In diesem Zusammenhang wird die Frage aufgeworfen, ob das Abkommen die aus den GATT-Regeln abgeleiteten Rechte von Drittländern verletzt und ob es die Bestimmungen des Art. 24 GATT (Ausnahmen für Freihandelszonen und Zollunionen) erfüllt. Die geschilderten handelsumlenkenden Wirkungen in den Bereichen des Agrarsektors und der Automobilindustrie wecken Zweifel an der GATT-Konformität. Ihre kritische Prüfung hängt vor allem von dem Ausmaß der zu erwartenden Handelsumlenkung im Zusammenhang mit dem künftigen Protektionsniveau Ungarns gegenüber Drittländern ab. So ist auch zukünftig nicht ausgeschlossen, dass sich Klagen von Drittländern, die einen verschlechterten Marktzugang für ihre Güter auf dem ungarischen Markt sehen, häufen.
Andererseits stellen die unterschiedlichen Niveaus, wie z.B. die ausgeprägten Unterschiede im Entwicklungsstand und in der Faktorausstattung der beteiligten Länder, das Problem dar, dass eine Freihandelszone auch Schäden für die weniger entwickelten Partner verursachen kann. Eine Öffnung der Märkte kann z.B. die neuen sich im Aufbau befindlichen Industriezweigen durch die Einströmung wettbewerbsfähiger und billiger Importe gefährden. Die zukünftigen möglichen Richtungen der Marktöffnung bedenkend stellt sich die Frage, ob Ungarn früher oder später, bezogen auf die Schutzklauseln und auf die steigenden inneren Wirtschaftsprobleme nicht auch zu protektionistischen Instrumenten gezwungen sein wird. So könnte das Abkommen, das als Mittel zur vollständigen Öffnung in Richtung EG definiert wurde, das Land vielmehr zu neuem Protektionismus führen.
Auch die jetzige Konjunkturlage nährt das Protektionsbegehren. Die Zunahme des Protektionismus im Welthandel ist in den letzten Jahren offensichtlich. In Form von Anti-Dumping-Maßnahmen, Selbstbeschränkungsabkommen sowie Preisüberwachung gibt es genügend Zeichen für Wettbewerbsverzerrungen. In der Handelspolitik der EG können diese Tendenzen ebenfalls beobachtet werden. Die erwähnten Bestimmungen der Artikel 29 und 30 des Interimsabkommens schaffen einen großen Spielraum für die Durchführung eigenständiger Protektionsmaßnahmen. Im Interesse der EG-Produktion, besonders in sensiblen Bereichen, sind in der Zukunft weitere gemeinsame Schutzregelungen innerhalb der EG zu erwarten. Damit bleibt der Ausbau des vollständigen Freihandels vielmehr als Utopie. In diesem Zusammenhang kann der Vorschlag der französischen Ökonomen Gérard Lafay und Deniz Unal-Kesenci ernst genommen werden: Nach ihren Meinungen sollte der Freihandel je nach kultureller und geographischer Nähe der Wirtschaften variiert werden.24 Somit wird eine volle „Dosis” Freihandel innerhalb der EG, etwas weniger im Handel mit den Nachbarländern im Osten, an denen wirtschaftlichen Entwicklungen die EG Interesse hat , und noch weniger mit dem Rest der Welt, vorgeschlagen. Es ist zu befürchten, dass diese Stimmen vor dem Hintergrund der aktuellen Konjunktur verständlicherweise sogar verstärkt werden.
Neue Erscheinungen in der ungarischen Wirtschaft
Aus den bisherigen Betrachtungen geht hervor, dass sich die EG-Märkte nur teilweise öffneten. Handelsbarrieren gegenüber traditionellen Exportprodukten Ungarns, wie Agrarprodukten oder Textilwaren bestehen nach wie vor sehr fest. Daraus folgt, dass man auf diesem Gebiet keine wesentlichen Exporterweiterungen erwarten kann. Kurzfristig kann der Assoziierungsvertrag einem ständigen künftigen Zuwachs der traditionellen Exporte keine Impulse mehr geben. Die Vorteile des Vertrages für die ungarischen Exporteure werden sich in erster Linie langfristig zeigen.
Andererseits kann Ungarn seine bisherige Exportplatte, bedingt durch die Umstrukturierungsprobleme, kurzfristig nicht mit neuen wettbewerbsfähigen Produkten ersetzen. Damit ist zu erwarten, dass in den nächsten Jahren weiterhin traditionelle Exportwaren, bei denen Ungarn relative Wettbewerbsvorteile hat, eine überwiegende Rolle spielen werden. Die Abschottung der EG-Märkte bezüglich dieser Produktgruppen kann Ungarn infolge seiner geringeren Exporterweiterungsmöglichkeiten allerdings in eine noch tiefere Wirtschaftskrise führen.
Anhand der jüngsten Außenhandelsstatistiken zeigt sich bereits eine rückläufige Tendenz der Exporte. Das Tempo der Exporterweiterung ist einem Jahr stark gebremst bzw. geht zurück. In den ersten drei Monaten diesen Jahres beliefen sich die Exporte Ungarns in die EG auf 1,8 Mrd. USD. Das sind 28 % weniger als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Die Importe nahmen um 5 % ab, das heißt, sie lagen bei 2,5 Mrd. USD. Der Handelsbilanzsaldo erreichte also einen Wert von ca. 700 Mio. USD.25 Der größte Rückgang ist im Agrarsektor und bei Artikeln der Leichtindustrie zu verzeichnen. Natürlich darf man nicht aus den ersten Monatsstatistiken auf das ganze Jahr schlussfolgern, aber die ersten Zeichen eines Rückgangs zeichneten sich bereits am Ende des letzten Jahres ab. Zum Teil sind diese Tendenzen der gegenwärtigen allgemeinen wirtschaftlichen Rezession sowohl in Ost- als auch in Westeuropa geschuldet, ihre eigentlichen Wurzeln liegen aber tiefer.
Die bemerkenswerte Steigerung des ungarischen Exportvolumens seit 1988 wurde parallel vom Rückgang der inländischen Produktion begleitet. Die handelspolitischen Bestrebungen der letzten Jahre, die auf der Basis der zwangsläufigen beruhten und die die Produktion für den ungarischen Binnenmarkt vernachlässigt hatten, erleiden derzeit ein Fiasko. Dieser Kontrast weist vielmehr auf die letzten Versuche der Unternehmen hin, Produktionsverringerungen zu mildern. Nach dem Systemwandel lag die einzige Überlebenschance für die meisten Unternehmen darin, unter allen Umständen die Exporte nach Westen beizubehalten oder sogar zu erhöhen. Die Beziehung „unter allen Umständen” bedeutet, dass einige ungarische Unternehmen sogar mit Verlusten oder mit Hilfe von Krediten auf den EG-Markt geliefert haben. Diese Bestrebungen waren so stark, dass die Unternehmen ihren Exportumfang trotz seiner Unrentabilität erhöhen konnten(!). Daneben verfügten sie aber über keinen heimischen Absatzmarkt in Ungarn. Die Inlandsnachfrage sank wesentlich schneller als das BIP. Diese Entwicklung beginnt sich jetzt zu wandeln. Während der ersten Monate dieses Jahres sind die Exporte in den Industriezweigen, in denen die Produktion zurückging, drastischer gesunken als der nationale Absatz. Wenn also der Hauptgrund der Exporte aus dem Zwang der Nachfragesenkung in Ungarn stammt, dann ist ihre weitere Erhöhung nicht mehr möglich. Dieses Zeichen zeigte sich bereits Ende des Jahres 1992, als die Exportdaten des letzten Quartals eine eindeutige Senkung aufgewiesen hatten.
Derzeit besteht die Situation, dass die meisten Unternehmen alle ihre Reserven und Gewinnen aufgebraucht haben. Andererseits waren sie infolge der großen Verluste in der Produktion gezwungen, ihre Exportpreise zu erhöhen. Die Erhöhung der Angebotspreise führte ihrerseits zu erheblichen Marktverlusten.
Im Vertrauen auf die Exporte wurde die Geldpolitik in die Dienste der von Exporten unabhängigen Ziele, wie antiinflationäre Politik sowie die Erreichung der Konvertibilität des ungarischen Forints gestellt, was eine reale Aufwertungspolitik bedeutet. Die Bremsung der Inflation stand im Vordergrund. So hat die Aufwertungspolitik zum „Ende” der Exporte und der Importsubstitutionstätigkeiten geführt. Betrachtet man internationale Beispiele der Aufwertungspolitik in den siebziger Jahren, z.B. in Argentinien oder Chile, kann man behaupten, dass eine solche Geldpolitik die weniger wettbewerbsfähigen und weniger entwickelten Exportbranchen mit einer parallelen Liberalisierung der Importe ruinieren kann. Diese Entwicklung zeichnet sich in Ungarn zurzeit ebenfalls ab. So muss kritisch bemerkt werden, dass die seit drei Jahren geführte Geldpolitik Ungarns nicht umsichtig genug war. Die Verschlechterung der Handelsbilanz und der kompetitiven Sektoren, zu denen diese Politik beigetragen hat, dürfen unter den heutigen wirtschaftlichen Umständen Ungarns nicht mehr zugelassen werden. Auf der anderen Seite stellt sich die Frage, ob eine drastischere Abwertung des Forints positive Wirkungen auf die jetzige Lage ausüben würde. Auf weitere Ausführungen dieses Problems soll im Rahmen dieser Arbeit allerdings verzichtet werden.26
Ebenfalls nicht zur Unterstützung seiner Exporteure hat die Kreditpolitik Ungarns beigetragen. Die Finanzierung der begünstigten Exporte in ungarischer Währung ist seit dem 1. Januar diesen Jahres aufgehoben und die realen Forint-Zinsen wurden nicht weiter gesenkt.27 Heutzutage kommt es immer öfter vor, dass die Unternehmen aufgrund der fehlenden Finanzierung Exportbestellungen ablehnen müssen. Ein international praktiziertes Mittel zur „Exportanregung” funktioniert in Ungarn nicht: Von dem Ungarischen Fond für Handelsentwicklung bekommt der Exporteur lediglich 0,5–0,5 Forint pro Dollar (!), was ungefähr einem Zehntel der in den EG-Ländern registrierten Unterstützungen entspricht. In der Reihe der Exporteure gibt es neuerdings aber auch viele kleine und neue Anbieter, die eine Hilfe in größerem Ausmaß als bisher eher benötigen würden.
Bei dem Rückgang der heimischen Produktion haben auch die von Jahresanfang bis Ende August 1992 beantragten Konkurs- oder Liquidationsverfahren gegen etwa 3500 Unternehmen eine große Rolle gespielt. In Konkurs gerieten große Staatsbetriebe sowie vor allem aber mittelständische und neu gegründete Unternehmen, die zu einem Drittel der Industrieprodukt- und der Hälfte der Agrarexporte beigetragen hatten. Die Konkursverfahren haben meistens die Kooperation zwischen den großen Unternehmen zerrissen, weshalb erhebliche Schäden in den einzelnen Produktionszweigen, wie Hüttenindustrie, Maschinenbau sowie Lebensmittel- und Textilindustrie, verursacht wurden. Obwohl eine Reihe von neuen Unternehmen gegründet worden ist, wurde dieser Prozess nicht vom Ausbau neuer Marktinformations- und Vertriebsnetze begleitet. Infolge ihres Kapitalmangels sind diese Unternehmen nicht in der Lage, effiziente neue Marketingsysteme aufzubauen. Die Vertreiber der Importprodukte können durch ihre Erfahrungen leichter als die heimischen Produzenten auf den Markt gelangen. Damit erreichen sie bei durch den Wechselkurs ermöglichten billigen Importen eine größere Gewinnspanne.
Die Vernachlässigung der technologischen Entwicklung hat die Lage der Unternehmen zugespitzt und den Rückgang der Investitionen nach sich gezogen. Auch dies trug zum gegenwärtigen Rückgang der Exporte bei.
Weiterhin wirken die infrastrukturellen Rahmenbedingungen hemmend bei der Erweiterung der Exporte. Hinzu kommen die fehlenden Erfahrungen in der wirtschaftlichen Unternehmensführung und der Anwendung von Marketingstrategien.
Zu diesen internen Effekten kommen extreme Wirkungen hinzu. Die ungünstige Konjunkturlage in Westeuropa zwingt die EG zur politischen und wirtschaftlichen Unterstützung der Reformstaaten einerseits und zur Rücksichtnahme auf die eigenen Produzenten sensibler, sprich konkurrenzfähiger Produkte andererseits.
Hinzu kommen die schwerwiegenden ökonomischen Konsequenzen, die sich aus der Entwicklung in Serbien ergeben. Allein durch das internationale Wirtschaftsembargo sind Ungarn Verluste von einer halben Milliarde USD entstanden.28
Die genannten Prozesse zeigen, dass der Rückgang der Exporte nicht nur wegen der Zurückhaltung der EG gegenüber ungarischen Produkten erfolgte. Eine verständnisvolle Handelspolitik der EG ist zwar für das Gelingen der Transformationsprozesse in Ungarn – wie auch in anderen osteuropäischen Ländern – sehr wichtig, jedoch bleibt sie kein generelles Heilmittel für die wirtschaftlichen Probleme.
Der Rückgang des Handels ist vor allem auf die die Exporte benachteiligende Wirtschaftspolitik, wie z.B. die Geldpolitik, einerseits und auf die Vernachlässigung der Entwicklung des Inlandmarktes andererseits, zurückzuführen.
Während sich also die Wirtschaftspolitik auf einige Gebiete der makroökonomischen Stabilisierung wie Inflationsbekämpfung und außenwirtschaftliche Öffnung konzentrierte, blieb die Stabilisierung im Unternehmensbereich im Wesentlichen vernachlässigt. Setzt sich diese Entwicklung fort, gefährdet sie die gesamtwirtschaftliche Stabilisierung Ungarns, und bereits errungene Erfolge auf diesem Gebiet werden nur temporärer Natur sein können.29
Anmerkungen
1
Eine Zusammenfassung von Erika Tóth: „Schritte und Instrumente zur Einbindung der Wirtschaften Ost und Mitteleuropas in die EG-Binnenmarktintegration”, Berlin 1993 (Wissenschaftliche Diplomarbeit)
2
Das Allgemeine Präferenzsystem (APS) ermöglicht Entwicklungsländern einen bevorzugten Zugang bei der Einfuhr von Waren in die EG. Seit Januar 1990 haben Polen und Ungarn Zugang zum APS der Gemeinschaft.
3
Artikel 238 des EWG-Vertrages: „Die Gemeinschaft kann mit einem dritten Staat, einer Staatsverbindung oder einer internationalen Organisation Abkommen schließen, die eine Assoziierung mit gegenseitigen Rechten und Pflichten, gemeinsamen Vorgehen und besonderen Verfahren herstellen.”
4
vgl. Glastetter W. Außenwirtschaftspolitik 1979.
5
Auf dem EG-Gipfel in Kopenhagen am 21./22. Juni 1993 wurde ein neues EG-Konzept für den Ausbau der Beziehungen zu den sechs osteuropäischen Ländern verabschiedet.
6
Abschöpfungen sind eine Art Importabgabe auf landwirtschaftliche Produkte aus Drittstaaten. Durch das Erheben von Abschöpfungen an den EG-Außengrenzen werden die Importe um die Differenz zwischen den niedrigeren Weltmarktpreisen und den innerhalb der Gemeinschaft gültigen Agrarpreisen verteuert.
7
Das durchschnittliche ungarische Zollniveau liegt bei 3 %, 10% bzw. 15 % respektive.
8
vgl. Meisel V. S./Mohácsi K. A magyar agrárágazat 1993 S. 127.
9
Nach dem entsprechenden Konzept werden Abschöpfungen und Zölle im Rahmen der Kontingente für landwirtschaftliche Erzeugnisse um 60 % sechs Monate früher wie geplant gesenkt. vgl. Handelsblatt 23.6 1993, S. 8.
10
vgl. Die Lage der Landwirtschaft in der Gemeinschaft Bericht 1992 Brüssel S. 8.
11
vgl. Messerlin, P., Az EK és Kelet-Közép-Európa, 1992. S. 97.
12
vgl. Handelsblatt 2.3 1993.
13
vgl. Handelsblatt 3.3. 1993, S.8.
14
Artikel 30 des Abkommens: Wird eine Waren in derart erhöhten Mengen und unter solchen Bedingungen eingeführt, dass
– den inländischen Herstellern gleichartiger oder unmittelbar konkurrierender Waren im Gebiet einer Vertragsparteien ein erheblicher Schaden zugefügt wird oder droht oder
– in einem Wirtschaftszweig schwerwiegende Störungen oder Schwierigkeiten verursacht werden oder drohen, die eine schwerwiegende Verschlechterung der Wirtschaftslage einer Region bewirken, können die Vertragspartner Schutzmaßnahmen verwenden.
15
vgl. Tagesspiegel 19.4. 1993, S.5.
16
Zum Vergleich: Ungarn exportierte 1992 Fleisch im Werte von 500–600 Mio. USD in die EG.
17
Der Artikel 25 des Assoziierungsvertrages zwischen der EG und Ungarn schreibt vor, dass die Vertragspartner nach dem Inkrafttreten weder neue Zölle, noch mengenmäßige Beschränkungen in den gegenseitigen Wirtschaftsbeziehungen einsetzen dürfen.
18
Nach Artikel 28 kann Ungarn sogenannte Erziehungszölle im Interesse der jungen Sektoren oder vor strukturellen Veränderungen stehenden Branchen einräumen. Die so angewandten Importzölle dürfen aber nicht 25 % des Produktwertes überschreiten.
19
vgl. Figyelő, 25.3. 1993, S.14.
20
vgl. Siebert H/Rauscher M.: Neuere Entwicklung der Außenhandelstheorie 1991, S.34.
21
CEN (Europäisches Komitee für Normung) CENELEC (Europäisches Komitee für Elektronische Normung)
22
Im Fall der aus der EG kommenden Importe war dieser Anteil noch niedriger.
23
vgl. Die Zeit 25.06. 1993, S.25.
24
vgl. Die Zeit 25.06. 1993, S.25.
25
vgl. Statisztikai Közlemények 4/1993. Budapest
26
Siehe dazu mehr bei Inotai: Schuldenmanagement und Wechselkurspolitik in Ungarn, 1992, Budapest
27
vgl. Figyelő 14.4. 1993, S.15.
28
vgl. Handelsblatt, 28/29.05. 1993, S.8.
29
vgl. Dubrowsky H.-I. Transformation 1992, S.16.
Erika Tóth war Stipendiatin des Institutes im Jahre 1994.