1088 Budapest, Rákóczi út 5.; Tel: (36 1) 381 23 47; E-mail: Ez az e-mail-cím a szpemrobotok elleni védelem alatt áll. Megtekintéséhez engedélyeznie kell a JavaScript használatát.
Begegnungen
Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Band 25:214–222.

ZOLTÁN ROCKENBAUER

Kultusminister (2000-2002)

 

In wie weit betrachteten, bzw. betrachten Sie die Bewahrung der Minderheiten als Aufgabe der staatlichen Kulturpolitik, und welche Mittel standen, bzw. stehen Ihnen zu diesem Zweck zur Verfügung?
Gibt es Ihrer Meinung nach einen bedeutenden Unterschied zwischen der Anwendung von kulturpolitischen Strategien bei großen, bzw. kleinen Nationen?

Kultur ist ein unerlässlicher Teil des nationalen Identitätsbewusstseins (sowohl bei Mehrheiten als auch bei Minderheiten). Nationale Kultur beruht primär auf der nationalen Sprache – mit wenigen Ausnahmen. Im Falle der nationalen Minderheiten gehören Sprache und Kultur zu den grundlegendsten Elementen der Identität, ihr Verlust bedeutet meist eine totale Assimilation.

In unserer Zeit sehe ich einen bedeutenden Unterschied in den kulturpolitischen Strategien der großen und kleinen Nationen, vor allem was den Radius und damit verbunden die Finanzierbarkeit der Kultur betrifft. Die Erweiterung des kulturellen Marktes steht im Interesse aller Nationen, aber die großen Nationen haben einen wichtigen Vorteil: ihr Sprachraum ist größer. Es ist leicht einzusehen, dass die englischen, russischen, deutschen oder französischen Bücher und Filme viel einfacher zu finanzieren sind als ungarische, finnische, slowenische, tschechische oder kroatische Werke, nicht zu sprechen von den Minderheitensprachen. Merkwürdigerweise gilt dies auch für Kunstarten, die nur indirekt an die Sprache gebunden sind, wie z.B. die bildende Kunst oder die Tanzkunst, weil oft die Sprache als Vermittlungsmedium eine weit stärkere Wirkung hat als das Kunstwerk selbst. Unter den aus kleineren Nationen stammenden Künstlern wurden nur diejenigen wirklich erfolgreich, die eine längere Zeit in kulturellen Zentren, wie Paris, Berlin, München oder New York, verbrachten. Und auch umgekehrt, viele talentierte und vielversprechende Künstler – darunter mehrere Ungarn – fielen aus dem internationalen Kanon nachdem sie aus dem Wirbel der Metropolen heimgekehrt sind. Andrerseits können die reichen Länder, im Allgemeinen, mehr Geld für die Kultur ausgeben – sowohl auf staatlicher, als auch auf privater Ebene. Durch die Werbeeinnahmen steigern die neuen Medien der Jahrtausendwende (Satellitenübertragung und Internet) den Unterschied zugunsten der kapitalreichen Kulturen und gleichzeitig erhöhen diese Medien die Effektivität der kulturellen Expansion. Gleichwohl können wir beobachten, welche Anstrengungen die Franzosen dafür tun um ihre Jahrhunderte lang erkämpfte kulturelle Position zu bewahren. Sie schrecken nicht davor zurück ihre kulturellen Märkte gegen die aggressive amerikanische „Kulturexpansion” mit verschiedenen rechtlichen Maßnahmen und wirtschaftlichen Regulierungen zu schützen.

Es gibt weltweit viele Modelle, die zur Bewahrung und Unterstützung der Entwicklung der nationalen Kulturen dienen, und viele dieser Modelle können erfolgreich sein. Es ist gar nicht sicher, dass das kulturelle Institutionssystem und die Kulturpolitik des einen Landes, auch in einem anderen erfolgreich verwendet werden kann. Ungarn muss seine jeweilige Kulturpolitik mit Hinsicht auf seine eigenen historischen, kulturellen und wirtschaftlichen Gegebenheiten ausarbeiten. Die gesamtungarische Kultur ist selbst eine besondere Art der „Minderheitenkultur” innerhalb dem europäischen Kulturgebiet, ähnlich der estnischen, tschechischen, slowenischen, kroatischen und bulgarischen Kultur. Diese Kulturen sind der negativen Wirkung der Globalisierung mehr ausgesetzt, und sind viel weniger vermarktbar als die Kulturen, die durch Weltsprachen vermittelt werden. Ich bin der Meinung, dass je kleiner der kulturelle Markt einer Nation ist, desto mehr bedarf er der staatlichen Förderung, und desto weniger darf er den rein wirtschaftlichen Faktoren ausgeliefert werden.

Unter Berücksichtigung der Größe und der Tradition der Kulturfinanzierung bin ich überzeugt, dass Ungarn eine durchdachte nationale Kulturpolitik und ein zentrales Finanzierungssystem braucht, dessen primäre – aber nicht einzige – Aufgabe die Bewahrung, Bereicherung und Vererbung der ungarischen Kultur ist. Der ungarische Staat trägt heute die Verantwortung für die differenzierte Unterstützung

a) der ungarischen Mehrheitskultur in Ungarn,

b) der Kultur der ungarischen Minderheit im Karpatenbecken,

c) der ungarischen Kultur der Emigration und

d) der Kultur der Minderheiten in Ungarn.

Der Staat kann zwar auf dem Gebiet der Kultur eine wichtige unterstützende und anspornende Rolle spielen, letztendlich wird aber die Kultur nicht von dem Staat, sondern von den Mitgliedern der Gesellschaft – von Individuen und Gemeinschaften – am Leben erhalten. Das Gleichgewicht der kulturellen Nachfrage und des Angebotes kann nicht mit staatlichen Mitteln gesichert werden, der Staat kann aber eine regulierende Funktion haben. Die Aufrechterhaltung der kulturellen Vielfalt ist eine grundlegende Pflicht des Staates, und es ist ihre Aufgabe mittels der Kraft der Kultur auch nationalpolitische Ziele zu fördern. (So ein Ziel ist die Bewahrung der nationalen Kultur vor den Herausforderungen der Globalisierung, aber auch der Schutz des Gemeinwohls, der Moral, der humanen Werte, und die Verstärkung der nationalen Identität.) Der Staat erfüllt seine Pflichten angemessen, wenn er möglichst viele private Gelder in die Finanzierung der Kultur einbeziehen kann, und dadurch die vervielfachte Summe der Unterstützung der Kultur zur Verfügung stellt. Die Forderungen der Marktwirtschaft unterstützen in keiner Weise die kulturelle Vielfalt, ganz im Gegenteil, sie uniformisieren und bevorzugen die kommerziellen, leicht vermarktbaren Produkte. Es ist äußerst riskant, die Finanzierung der nationalen Kultur großteils den marktwirtschaftlichen Faktoren zu unterwerfen. Die öffentliche Finanzierung soll in erster Linie dazu beitragen die größtmögliche Auswahl an Möglichkeiten zu bewahren. Dabei werden solche Bereiche gefördert, die nicht oder kaum vermarktbar sind. Dies trifft meist auf die Kultur der Minderheiten zu. Die Kultur dieser Volksgruppen bedarf des besonderen Schutzes. Es ist die Verantwortung des ungarischen Staates, die Sprache und Kultur der außerhalb der Grenzen Ungarns lebenden ungarischen Gemeinden, und der innerhalb der Grenzen des Landes lebenden nationalen Minderheiten zu bewahren. Genauso wie die Nachbarländer die Verantwortung dafür tragen, dass die Kultur der auf ihrem Gebiet lebenden ungarischen Minderheiten und die Kultur ihrer eigenen Minderheiten in Ungarn aufrechterhalten wird.

Demzufolge sind die wichtigsten Bereiche der staatlichen Förderung der nationalen Kultur:

– die Förderung des Schul- und Unterrichtswesens auf nationaler (und Minderheits-) Ebene

– die Förderung der kulturellen Institutionen auf nationaler (und Minderheits-) Ebene

– das System der normativen kulturellen Förderungen der Selbstverwaltungen

– differenzierte Projektförderungen (meist durch Ausschreibungen)

– kulturelle Steuer- und Beitragsbegünstigungen.

Im Weiteren soll sich die staatliche Förderung auf solche Grenzbereiche ausdehnen, wie die kulturelle Aktivität der Kirchen, oder die kulturellen Bezüge des Tourismus, der Jugendpolitik und des Umweltschutzes. Es ist also eine äußerst komplexe Frage, und die Harmonisierung dieser Bereiche ist die Aufgabe der Regierung, da es die Zuständigkeit mehrerer Ministerien betrifft. (Während der Regierungsperiode von FIDESZ zwischen 1998 und 2002 war das Ministerium für das Nationale Kulturerbe zuständig für die Kirchen und den Denkmalschutz, nicht aber für die Aufgaben im Zusammenhang mit dem Schul- und Unterrichtswesen, dem Tourismus, dem Umweltschutz und der Jugendpolitik. Bei Fragen, die in die Zuständigkeit von mehreren Ministerien fielen, versuchte das Ministerium für das Nationale Kulturerbe mittels interministerialer Vereinbarungen zusammenzuarbeiten.)

 

Welche Verfügungen haben Sie während Ihrer kulturpolitischen Tätigkeit zur Aufrechterhaltung der nationalen Minderheiten gefördert? Welche kulturpolitischen Aktionen wurden während Ihrer Amtszeit durchgeführt mit dem Ziel die Kultur der kleinen Nationen oder das Identitätsbewusstsein der nationalen Minderheiten innerhalb der Staatsgrenzen zu stärken?

Die Frage bezieht sich vor allem auf konkrete Ereignisse, aber statt all die kleinen Details aufzureihen, versuche ich die grundlegende Konzeption an Hand von Beispielen zu erläutern.

Die im Rahmen der Millennium der Staatsgründung veranstalteten Festivitäten fanden in der Zeit meines Ministeramtes statt, was für die Regierung eine hervorragende Möglichkeit bereitete, eine ihrer wichtigsten nationalpolitischen Zielsetzungen, nämlich die Wiedervereinigung der ungarischen Kultur, in die Praxis umzusetzen. Nach unserer Auffassung umfasst die ungarische Kultur die Kultur des gesamten ungarischen Volkes, unabhängig von der Einteilung historischer Zeitalter und von geographischen Grenzen. Es gibt also keine ungarische Literatur, Musik oder Tanzkunst „außerhalb der Grenzen Ungarns” – nur die in ihrer Gesamtheit geltende ungarische Literatur, Musik und Tanzkunst. So haben wir die zum Anlass des Millenniums – an sich ein Fest des gesamten ungarischen Volkes – organisierten Projekte und die für die Projekte abgesonderten öffentlichen Ressourcen auch den Gemeinden außerhalb der Grenzen Ungarns zugänglich gemacht. Im Gegensatz zu der Praxis der früheren Jahrzehnte konnten alle ungarischen Künstler, Wissenschaftler, Gruppen und Institutionen sowohl diesseits, wie auch jenseits der Grenze an den Ausschreibungen des Ministeriums für das Nationale Kulturerbe teilnehmen. Zugleich gab es – wie oben beschrieben, gerade weil die Kulturfinanzierung bei Minderheiten eine besonders wichtige Rolle spielt – lokal verwendbare Projektpakete, die ausgesprochen für die Ungarn ausgearbeitet wurden, die ihren Wohnsitz außerhalb des Vaterlandes hatten. Obwohl keine Quote festgesetzt wurde, erhielten die Bewerber, die außerhalb der Grenzen Ungarns lebten, einen Zehntel der jeweiligen Projektgelder. Ein ähnlicher Prozentsatz war gültig bei der Verteilung der Gelder, die zur Förderung von Projekten aus dem sog. „Ministerfond” (eine Summe, über die der Minister frei verfügt) abgesondert waren.

Um der Einheit der gesamtungarischen Kultur zu betonen, strukturierten wir ab 2000 das System der staatlichen Preise für künstlerische Tätigkeit um, damit die geographische Abstammung – im Gegensatz zu der früheren Regelung – bei der Anerkennung der künstlerischen Leistungen kein Hindernis sei. Demzufolge wurde etwa 15% der kulturellen Ehrenpreise an außerhalb der Grenzen Ungarns lebende Künstler verliehen. (Die Anzahl der zu verleihenden Preise wurde jedoch erhöht, damit sich die heimischen Künstler durch diese Änderung nicht benachteiligt fühlen.)

Die Pflege der Sprache ist grundlegend für die Erhaltung der zur Minderheit gehörenden Gemeinden. Der Erhaltung der Sprache kann – neben dem Schul- und Unterrichtswesen, der Tätigkeit der Kirchen und den elektronischen Medien – am meisten durch die Ausgabe von Büchern und Zeitungen, bzw. durch Theateraufführungen geholfen werden. Im Vergleich zu früheren Jahren standen sowohl den ungarischen Gemeinden jenseits der Grenze als auch den Minderheiten in Ungarn größere Ressourcen zur Veröffentlichung von Büchern und Zeitschriften zur Verfügung. Die Unterstützung der ungarischen Bibliotheken außerhalb der Grenzen Ungarns ist ebenfalls eine vorrangige Aufgabe. Das Ministerium versuchte die Bibliotheken durch Nachlassankäufe, mittels der Zuwendung von Büchern, sowie das Abonnieren von Fachzeitschriften zu unterstützen und zum Anschluss der Hauptbibliotheken an das Internet beizutragen. Es soll hier bemerkt werden, dass mittels der Herausgabe von Büchern der Versuch unternommen wurde die Herausbildung der Literatursprache der Zigeuner zu fördern.

Die außerhalb der Grenzen des Landes wirkenden ungarischsprachigen Theatergruppen tragen bedeutend zur Erhaltung der ungarischen Gemeinde bei. Die zur Förderung dieser Theatergruppen abgesonderten Summen wurden mehr als verdreifacht, nicht allein um ihre Inbetriebhaltungskosten und die Erweiterung ihres Repertoires zu unterstützen, aber auch um ihren Reisen und Gastvorträgen eine Richtung zu geben, ihnen bei der Orientierung zu helfen. Außer den gegenseitigen Besuchen und Gastvorträgen der inländischen Theater und der Theatergruppen der ungarischen Minderheiten, sowie dem jährlich veranstalteten ’Fest der außerhalb der Grenzen Ungarns wirkenden Theatergruppen’ in Kisvárda, wo sich im Rahmen von verschiedenen Programmen die Möglichkeit bietet Erfahrungen zu sammeln, wollten wir in erster Linie erreichen, dass die ungarischsprachigen Theatergruppen in dem Karpatenbecken ihren Radius erweitern und ein möglichst breites Publikum ansprechen können. Wir waren besonders bestrebt zum Ausbauen der Wechselbeziehungen beizutragen, die nicht allein auf das eine oder andere von einer ungarischen Minderheit bewohnte Gebiet der Nachbarländer konzentrieren, sondern die nach Möglichkeit auch zwischen Siebenbürgen, Oberungarn und der Woiwodina die gegenseitigen Beziehungen ausbauen, also eine Orientierung erfahren.

In dem staatlichen Budget sonderten wir selbständige Fonds für die Unterstützung der Roma-Kultur und die Rettung der Kultur der Csangos in der Moldau ab. Unser Ministerium übernahm somit bedeutende Aufgaben im Zusammenhang mit der Bewahrung der kulturellen Identität der heimischen nationalen und ethnischen Minderheiten. Das Ministerium unterstützte die kommunalen und regionalen Institutionen, sowie die landesweiten Selbstverwaltungen der Minderheiten durch Ausschreibungen und einmalige Zuwendungen, wenn sie in ihren Räumlichkeiten kulturellen Werkstättenprogrammen ein zu Hause boten. Bei der Beurteilung der Bewerbungen von Minderheiten und den einmaligen Zuwendungen hielten wir vor Augen, dass die eher benachteiligten Kleinsiedlungen und Kleingemeinden bevorzugt werden sollen. Bei der Auswertung der Bewerbungen wurden die landesweiten Selbstverwaltungen der Minderheiten und die kulturellen Vereine der Minderheiten miteinbezogen.

Als neue Institution wurde in 1999 das Nationale Informations- und Bildungszentrum der Zigeuner ins Leben gerufen.

In 2001 gründeten wir das „Haus der Traditionen”, eine nationale Kultureinrichtung, das als Bildungs- und Sammlungszentrum der (fort)lebenden Folklore funktioniert. Die Aufgabe dieser selbständigen staatlichen Institution ist die Sammlung, Erhaltung und Bekanntmachung im In- und Ausland der ungarischen Folklore und der folkloristischen Traditionen der Minderheiten, die in dem Karpatenbecken und besonders auf dem ungarischen Sprachgebiet als nationale Werte gelten. Nach unseren Vorstellungen wäre das „Haus der Traditionen” in dem kulturellen Komplex des in 2002 gegründeten „Millennium Stadtzentrums” (heute: „Palast der Künste”) eingegliedert worden. Mit dem neuen Konzertsaal der Ungarischen Philharmoniker, dem Museum der Modernen Ungarischen Kunst und dem in nächster Nähe befindlichen Nationaltheater hätten wir die Grundlagen des größten kulturellen Unternehmens in Mitteleuropa geschaffen. Dabei hatten wir das Ziel vor Augen, die ungarische Kultur in diesem neuen, auch den Tourismus anziehenden Stadtviertel konzentriert und in ihrer gesamten Vielfalt darzustellen. Mit dem Regierungswechsel mussten unsere Vorstellungen einige Änderungen erfahren, aber hoffentlich wird das „Haus der Traditionen” mehr oder weniger aufgrund der
früheren Konzeption in 2005 eröffnet.

Über die Unterstützung der ungarischen und minderheitlichen Volkstanzkunst hinaus, ist die Aufnahme und Ausgabe des Hörmaterials der Folklore besonders wichtig. Demzufolge wurde die aus zehn CDs bestehende Zigeunerliedsammlung von Károly Bari veröffentlicht, und die Plattenreihe „Új Pátria” abgefertigt. Diese Reihe ist die Frucht der Volksmusiksammlung „Utolsó óra” („Letzte Stunde”). Die jungen Ethnographen und Volksmusiker, die an diesem Projekt teilnahmen, hatten die Zielsetzung, den ungarischen Musikdialekt des Karpatenbeckens systematisch und umfassend zu sammeln. Nach den ursprünglichen Plänen würde das so entstandene digitale Tonarchiv, das über 1000 Stunden ausmacht, auch im „Haus der Traditionen” untergebracht.

Ähnlicherweise hat der Schutz des Bauerbes eine identitätswahrende Funktion auf den von Minderheiten bewohnten Gebieten. Die regelmäßige staatliche Unterstützung des ungarischen Denkmalschutzes außerhalb der Grenzen Ungarns begann in 1999. Die Bewahrung des ungarischen Bauerbes jenseits der Grenzen sollte eigentlich die Aufgabe der Nachbarstaaten sein, aber in diesem Bereich waren große Mangelhaftigkeiten zu beseitigen. So brachte die Regierung sowohl mit der rumänischen, als auch mit der slowakischen Regierung gemeinsame Fonds zum Schutz und Restaurierung wichtiger ungarischer Denkmäler zustande. Darüber hinaus wandten wir jährlich Summen in hundert Millionen Forint (1 Euro = 250 Forint) Höhe der Rettung ungarischer Denkmäler jenseits der Grenze zu.

 

Hat die politische Wende aus strategischer Sicht positiv auf die Aufrechterhaltung der kleinen Nationen eingewirkt?

Sowohl in Ungarn, als auch in der Mehrheit der ehemaligen kommunistischen Länder, wo es zu keinem ethnischen Kriegskonflikt kam, brachte der Systemwandel in jedem Fall die Entfaltung der Freiheitsrechte des Individuums mit sich, auch wenn die jetzige Situation immer noch nicht zufriedenstellend ist. Es ist auf jedem Fall unbestreitbar, dass die Minderheiten ihre kulturellen und politischen Gemeinden ins Leben rufen konnten, in mehreren Parlamenten der Region Abgeordnete haben, an lokalen Wahlen teilnehmen können, und ihre Kultur und Sprache freier benutzen können.

In Ungarn sind die Selbstverwaltungen der Minderheiten ausgebaut worden und, obwohl sie automatisch (ohne gewählt zu werden oder in Folge eines beschleunigten Verfahrens) keine Parlamentssitze bekommen können, nehmen ihre Vertreter in den verschiedenen Parteien an der Rechtsetzung teil, und ihre Grundrechte sind gesichert. In der Kulturfinanzierung stehen den nationalen Minderheiten auch besondere Ressourcen zur Verfügung zur Bewahrung und Bereicherung der Kultur.

 

In der Zeit der Integration der Verwaltungsgebiete kamen nach 1990 sehr oft Interessensgemeinschaften zwischen den ostmitteleuropäischen kleinen Nationen zustande. Worauf ist es Ihrer Meinung nach zurückzuführen, dass die kleinen Nationen der Regionen die zwischenstaatlichen Kontakte nicht verstärkt zur Bewahrung der kleinen Nationen nutzen, und daran anknüpfend nicht enger im Interesse der auf dem Gebiet der Nachbarstaaten lebenden Minderheiten zusammenarbeiten?

Während sich der Integrationsprozess in Westeuropa beschleunigte, war in den 1990er Jahren in den ehemaligen kommunistischen Ländern der ostmitteleuropäischen Region eine gegensätzliche Tendenz zu beobachten, die zum Zerfall mehrerer Staaten (der Sowjetunion, der Tschechoslowakei oder Jugoslawien), in einigen Fällen zum Krieg führte. Die Loslösung von der Sowjetunion trug einerseits in den ehemaligen sozialistischen Ländern zur Verstärkung des nationalen Identitätsbewusstseins bei, und führte andrerseits infolge der Beitrittsbestrebungen der Staaten der Region in die westlichen Integrationsgemeinden (Europarat, NATO und der Europäische Union) zu einem Wettbewerb zwischen den Nationen. Auch gegensätzliche Initiativen waren zu beobachten, wie z.B. die „Pentagonale” für regionale Zusammenarbeit am Ende der 80er Jahre, die aber leider nach unüberlegten Erweiterungen bereits anderthalb Dutzend Mitgliedstaaten umfassend unter den Namen „Mitteleuropäische Initiative” (CEI) seinen Sinn verlor. Die Central European Free Trade Association (CEFTA), die aufgrund der EFTA ins Leben gerufen wurde, musste oft erkennen, dass die Mitgliedsstaaten sich nicht an den Regelungen der Gemeinde hielten, was die Arbeit oft unmöglich machte.

Als meistversprechende Initiative galt der heute mit schwankender Intensität arbeitende Bund der „Visegrad Staaten” (V4), eine hauptsachlich politisch-kulturelle Zusammenarbeit, die nach einer beinah zur Auflösung führenden Passivität Mitte der 90er Jahre dank der Orbán-Regierung in 1998 einen neuen Schwung bekam. Das Ziel war vor allem, die Interessen und Strategien der vier Länder bei den EU-Beitrittsverhandlungen zu harmonisieren. Die V4 pflegte ab 1999 starke kulturelle Beziehungen unter den Mitgliedstaaten dadurch, dass neben den Treffen der Ministerpräsidenten und Außenminister die Mitgliedsstaaten das halbjährliche Treffen der Kultusminister verkündeten, sowie einen gemeinsamen kulturellen Fonds aufstellten. Die gemeinsame Arbeit begann in 2000, einem Jahr nach der Vorbereitungssitzung, und umfasste über den kulturellen Erfahrungsaustausch hinaus die Ausarbeitung gemeinsamer Programme. Bis 2002 wurden mehrere Vorstellungen ausgearbeitet: V4 Filmfestivals, gemeinsam finanzierte Filme, die Erfassung der Holzkirchen diesseits und jenseits der Grenze, Buchübersetzungsprojekte, Veranstaltung von Folklorefestivals. Das erste solche Folklorefestival wurde in März 2002 in Budapest veranstaltet. Infolge des Regierungswechsels in 2002, scheint heute die kulturelle Zusammenarbeit, die von den „Visegrad Staaten” initiiert wurde, weniger intensiv zu sein. Die geplante Erweiterung der V4 droht mit dem negativen Beispiel der Pentagonale.

Die kulturelle Zusammenarbeit in Mitteleuropa wäre aber sowohl auf interstaatlicher, als auch auf regionaler Ebene äußerst wichtig. Viele – ich selbst auch – sind der Meinung, dass es, über die nationale Identität hinaus, eine mitteleuropäische kulturelle Identität gibt, die nicht nur zur Zeit der Monarchie, eine auf merkwürdige Art verwandte Weltanschauung für Polen, Ungarn, Österreicher, Tschechen, Slowaken und Juden bedeutete, und als Grundlage bedeutender literarischen und musikalischen Meisterwerke diente. Das war eigentlich auch zur Zeit der kommunistischen-sozialistischen Periode der Fall – zum Teil daraus folgend, dass die Staaten politisch auf einander angewiesen waren. Nach dem Zweiten Weltkrieg ist – neben der Literatur und der Musik – auch in der Filmkunst und den bildenden Künsten eine eigenartige mitteleuropäische Sichtweise zu bemerken, die viele Künstler in dieser Region und weltweit sehr bekannt machte. Ich bin überzeugt, dass eine intensive kulturelle Zusammenarbeit den kulturellen Markt der hier lebenden Völker gegenseitig erweitern könnte, was die Aufmerksamkeit der westlichen Welt auf die Kultur der neuen EU-Länder lenken würde. Um die Erfüllung dieser Aufgabe zu unterstützen, brachten wir in 2000 das Mitteleuropäische Kulturinstitut zustande, die die Zielsetzung hat, diese eigenartige Identität durch Veranstaltungen und Publikationen zu unterstützen, und die bunte und interessante Kultur dieser Region darzustellen.