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Begegnungen
Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Band 25:204–209.

ANDOR HORVÁTH

Stellvertreter des rumänischen Kultusministers, A. Pleşu (1990–92)

 

In wie weit betrachteten, bzw. betrachten Sie die Bewahrung der Minderheiten als Aufgabe der staatlichen Kulturpolitik, und welche Mittel standen, bzw. stehen Ihnen zu diesem Zweck zur Verfügung?

In den letzten fünfzehn Jahren des Ceausescu-Regimes war die Kulturpolitik in Rumänien bewusst und konsequent minderheitenfeindlich. Der offizielle Diskurs änderte sich kaum, aber die kulturpolitische Praxis war oft eindeutig diskriminierend, und setzte sich zum Ziel, die kulturelle Identität der Minderheiten zu schwächen und zurückzudrängen. Das soll aber auch hinzugefügt werden, dass die staatliche Politik im Allgemeinen kulturfeindlich war, wodurch die staatlichen Förderungen der Bildungsinstitutionen drastisch verringert wurden. Die kulturelle Öffentlichkeit wurde streng geprüft, und der schöpferischen Freiheit wurden enge Schranken gesetzt.

Demzufolge war das erste und wichtigste Ergebnis des Systemwechsels die Abschaffung der Verbote und Beschränkungen, die die Freiheit der Kultur behinderten. Andrei Pleşu, der erste Kultusminister nach der Wende in 1989 konnte mit gutem Gewissen sagen, dass sein Ministerium die Kultur nicht leiten will, sondern ihr Rückkehr zur freien Wirkung und Autonomie fördert. Die Botschaft dieser Aussage war natürlich nicht, dass das Ministerium untätig bleibt, sondern dass es nicht anweist und verlangt, wie früher, und die Macht nicht zentralisiert, sondern verteilt. Das Ministerium darf ihre Befugnisse nicht zum Schaden der Kultur missbrauchen. (Nach einer Weile wurde es natürlich auch den Leitern des Ministeriums klar, dass die Administration ohne Planung, Richtlinien und durchdachte Konzeption nicht funktionieren kann.) Das erste Gesetz zur Regelung der Arbeit des Ministeriums kam in diesem Geist zustande, und genehmigte solche kulturpolitische Prinzipien, die in Rumänien fast schon vergessen waren. Das Ministeriumsbudget wurde von der Regierung in 1990 wesentlich erhöht, was einen größeren Spielraum bedeutete. Die finanziellen Ressourcen des Ministeriums nahmen auch in den folgenden Jahren zu.

Das Ministerium setzte sich zum Ziel, die gleiche Behandlung der Mehrheits- und Minderheitskulturen im Prinzip festzulegen, und in der Praxis zu verwirklichen. Das widerspiegelte sich sowohl in dem strukturellen Aufbau des Ministeriums, als auch in der Arbeit der Komitatskanzleien. Die Delegierten der Minderheiten machten das Personal der neuen Minderheitsabteilungen aus. Es war ihre Aufgabe, die Initiativen (Aktionen, Institutionen und Programme) zu fördern, die den kleineren Minderheiten (Slowaken, Ukrainern, Türken, Tataren und Lipowanen) den ersten Schritt zur Durchsetzung ihrer kulturellen Identität bedeuteten.

Ich möchte durch ein Beispiel zeigen, was der Übergang aus einem System in ein Anderes damals bedeutete. Die Einlieferung der in Ungarn veröffentlichten Bücher wurde früher in einem Abkommen geregelt, wodurch die Auflage weit unter dem Anspruch der in Rumänien lebenden Ungaren lag. Etwas übertrieben könnte ich auch sagen, dass der ungarische Buchimport in den Jahren vor 1989 völlig zum Stillstand kam. Mit dem Verschwinden der Hindernisse wurde die Einlieferung von ungarischen Büchern frei, aber dieses Prinzip war einfacher zu verkündigen, als zu verwirklichen. Das Verhältnis der zwei Länder wurde nämlich so schlecht, und von so vielen Vorurteilen negativ beeinflusst, – denken wir nur an das sogenannte Trianon-Syndrom und die angebliche Revisionsvorhaben der Ungaren – dass ich als Beamte des Ministeriums monatelang dafür kämpfen musste, dass die ungarischen Buchlieferungen ohne Hindernisse ans Ziel gelangen. Im Prinzip ist es schon entschieden, dass es keine Zensur mehr gibt, und die Staatsgrenzen den Buchlieferungen keine Schränke setzen können. Um das in der Praxis verwirklichen zu können, muss jedoch die Mentalität der Menschen und Institutionen grundsätzlich geändert werden. Heute ist es schon selbstverständlich, aber nach dem Systemwechsel war es gar nicht der Fall.

 

Welche Verfügungen haben Sie während Ihrer kulturpolitischen Tätigkeit zur Aufrechterhaltung der nationalen Minderheiten gefördert? Welche kulturpolitischen Aktionen wurden während Ihrer Amtszeit durchgeführt mit dem Ziel die Kultur der kleinen Nationen oder das Identitätsbewusstsein der nationalen Minderheiten innerhalb der Staatsgrenzen zu stärken?

Während meiner Amtszeit in dem Ministerium (zwischen Januar 1990 und September 1992) waren zwei parallele Tendenzen zu beobachten: einerseits der Abbau und Umformulierung der geerbten Zentralisierungsmentalität der Vergangenheit, andererseits das Erwachen und Aktivierung der Zivilgesellschaft. Die Befreiung der Kunstinstitutionen von den Fesseln der staatlichen Zentralisierung erfolgte also – paradoxerweise – durch staatliche Mittel. Diese Mittel trugen dazu bei, dass die Kultur ihre neuerworbenen Möglichkeiten ausnutzen konnte.

Die Leitung der Kunstinstitutionen wurde zum Beispiel völlig verändert, was leicht zu verstehen ist, wenn wir in Betracht ziehen, dass wir meist inkompetente, moralisch kompromittierte Leiter geerbt hatten, die in dem früheren Regime contraselektiv ausgewählt wurden. Die Überprüfung und Reform der Normen, die in der Kultur festgelegt worden waren, war ein wichtiger Prozess. Neue Gesetze mussten gegeben werden und das früher versteinerte und schon überholte System wurde auf neuen Grundlagen gesetzt. Das Ministerium förderte das Zustandebringen von neuen Kunstinstitutionen, und unterstützte die zivile Gesellschaft in ihrer Strebung, selbst Institutionen zu schaffen – auch solche die zwischen den zwei Weltkriegen eine wichtige Rolle gespielt hatten, aber in dem kommunistischen Regime verboten wurden. Das Ministerium beipflichtete und unterstütze z.B. die Initiative der ungarischen Historiker in Siebenbürgen, das Museumsverein – eine wissenschaftliche Gesellschaft der ungarischen Gemeinde in Rumänien – wieder ins Leben zu rufen. Hunderte von Vereinen und Stiftungen kamen zu dieser Zeit zustande, und ein Teil davon nahm auch an der Dynamisierung der Minderheitenkulturen teil.

In diesen Jahren hatten die Kulturen der Mehrheitsnation und der Minderheitsnation dieselben Probleme, und fanden oft ähnliche Lösungen. Die neue Kulturpolitik behandelte die Erneuerung der internationalen Kontakte als eine wichtige Priorität, wollte eine Offenheit für Europa und die Nachbarländer zeigen, und neue zwischenstaatliche Abkommen ausarbeiten. In diesem Prozess kam der Gedanke auch zur Geltung, dass die Minderheiten ihre kulturellen Beziehungen mit dem Vaterland ausbauen sollen. Damit sind Verbote und Hindernisse verschwunden, die die Minderheitskulturen jahrzehntelang behindert hatten. Dadurch verbesserten sich auch die zwischenstaatlichen Beziehungen Rumäniens mit ihren Partnern – neben Ungarn und Jugoslawien auch mit der Tschechoslowakei, Polen und der Türkei – die die positiven Veränderungen in Rumäniens Einstellung zu den Minderheiten erkannten.

Um die kulturpolitischen Prinzipien dieser Jahren kurz zu beschreiben, möchte ich besonders zwei Tendenzen hervorheben. Die eine ist die Strebung, sich wieder an den Strömungen, Bewegungen und Stilrichtungen der europäischen Kultur anzuschließen. Diese Verbindung verschwand in den vergangenen Jahrzehnten nicht ganz im Bereich der Literatur, Filmkunst, Musik oder der bildenden Künste, aber sie wurde begrenzt und verzerrt infolge der früheren dogmatischen Kulturpolitik. Die Kontakte mussten durch die Formulierung und Durchsetzung der Qualitätskriterien der Kunstwerke, bzw. durch die ausländische Verbreitung der rumänischen Kultur wiederhergestellt werden. Die alten und neuen Rumänischen Institute im Ausland dienten auch diesem Zweck.

Die zweite Tendenz – und das ist für die Kultur der Minderheiten von besonderer Bedeutung – setzt die Unterstützung und Bewahrung der authentischen Traditionen und Sitten zum Ziel. Die Pflege der traditionellen Kultur ist besonders wichtig für nationale Minderheiten, weil sie einer der bedeutendsten Garanten zur Bewahrung ihrer Identität ist. Es ist also gar nicht überraschend, dass die Volkstanzfestivale in den ersten Jahren nach dem Systemwechsel in Rumänien eine Renaissance erlebten, und die besten Tanzgruppen der Minderheiten oft in solchen Veranstaltungen auftraten.

 

Gibt es Ihrer Meinung nach einen bedeutenden Unterschied zwischen der Anwendung von kulturpolitischen Strategien bei großen, bzw. kleinen Nationen?

Große und kleine Nation – diese Begriffe sind überall benutzt, obwohl ihre Bedeutung bestreitbar und relativ ist. Wenn es große und kleine Nationen gibt, kann man auch über Nationen mittlerer Größe sprechen – die Rumänen halten sich, zum Beispiel, aufgrund der Bevölkerungszahl für so eine Nation. Was die Frage betrifft, sehe ich keinen bedeutenden Unterschied zwischen die Kulturpolitik von großen und kleinen Nationen. Beide haben die Zielsetzung, die Werte der nationalen Kultur zu bewahren, sie in der Welt bekannt zu machen, und dadurch der jeweiligen Nation Anerkennung zu gewinnen.

In der Praxis gibt es jedoch einen Unterschied zwischen diesen zwei Kategorien. Ein wichtiger Aspekt dieses Unterschieds ist die Tatsache, dass die größeren Nationen mehr Geld für die Verbreitung ihrer Kultur und die Bekanntmachung und Popularisierung ihrer kulturellen Werte verwenden können. Die Ausstrahlung und Anerkennung der englischen, französischen, italienischen, deutschen und spanischen Kultur ist dadurch viel größer, als die der schwedischen, portugiesischen oder ungarischen Kultur. Es ist aber auch wahr, dass sie nicht wegen ihrer Bevölkerungsgröße zu großen Kulturen zählen, sondern auch weil sie reicher an bedeutenden Künstlern und Werken sind – noch dazu benutzen sie eine Sprache, deren Anziehungskraft und Bekanntheit größer ist.

Zwei Ergänzungen möchte ich jedoch an dieser Stelle machen. Als Fundgrube geistiger Werte ist die Kultur gleichzeitig sehr selektiv und sehr demokratisch. Wenn Ungarn in dem 20. Jahrhundert nur Béla Bartók „aufzeigen” könnten, und Rumänien nur Brancusi hätte, wären sie als auch gleichwertige Partner für die anderen europäischen Kulturen – als Heimatländer zwei großartiger Künstler. Die nationalen Kulturen sind auf ein eigenartiges Ethos zurückzuführen, das seine eigene Werte schafft, und dadurch alle Nationen Europas zu gleichwertigen Partnern macht. Die zweite Ergänzung wäre, dass das Phänomen der Globalisierung die Unterschiede zwischen den Nationen Europas viel geringer und relativer macht. Ich bin überzeugt, dass die europäischen Länder in der Zukunft mehr Wert darauf legen werden, die kulturellen Werte anderer Nationen gegenseitig kennen zu lernen. Der gemeinsame Kulturmarkt wird genauso wichtig sein, wie die wirtschaftliche und finanzielle Vereinigung Europas. Der Schutz der nationalen Identitäten und die Bewahrung der gemeinsamen europäischen Werte sind eigentlich zwei Dimensionen der gleichen Strebung, und der europäische Geist, der diese Kulturen ins Leben gerufen hatte, soll hier wirklich zur Geltung kommen.

 

Hat die politische Wende aus strategischer Sicht positiv auf die Aufrechterhaltung der kleinen Nationen eingewirkt?

Die parlamentarische Demokratie ist günstiger für die menschliche Freiheit, den schöpferischen Geist, und die Kunst, als ein totalitäres System. In diesem Sinne hat der Systemwechsel eine positive Wirkung auf die Bewahrung der kulturellen Identität der kleineren Minderheiten. Als freie politische Gemeinden haben sie natürlich ein stärkeres Selbstbewusstsein und Identitätsgefühl, und können ihre eigene Geschichte erfolgreicher gestalten.

Andererseits sind in den Gesellschaften, die einen Systemwechsel durchgemacht haben, zwei Erscheinungen zu beobachten, die die Bewahrung der kulturellen Identität nicht begünstigen. Die eine ist die Marktwirtschaft, die andere das Phänomen der Massenkultur (die sich vor allem durch das Fernsehen verbreitet). Unabhängig von ihren wirtschaftlichen Vorteilen bedeutet die Marktwirtschaft eine Gefahr für die Kultur, sie unterstützt nämlich nicht die (künstlerische) Qualität, und strebt hauptsächlich nur finanziellen Profit an. Ihre negative Wirkung kann natürlich ausgeglichen werden, unseren Gesellschaften stehen aber dazu die nötigen Mittel nicht zur Verfügung. Was die zweite Erscheinung betrifft, veränderte die heutige Massenkultur die traditionelle Struktur der europäischen Gesellschaft grundsätzlich.

Die Kultur der europäischen Nationen hatte tausend Jahre lang zwei Grundpfeiler: die Volkskultur und die hohe Kultur (Literatur, Wissenschaft und Philosophie etc.), die beide in der Muttersprache gepflegt waren. In der westlichen Welt wurde die Zweite immer dominanter, im Osten ist jedoch diese Diskrepanz immer noch zu beobachten. Die Invasion der Massenkultur erschüttert jetzt alle beide, und bietet den Konsumenten eine „populär” genannte Kultur an, die mit ihrer eigenartigen Internationalität die Grenzen zwischen nationalen Kulturen abschafft. Die nationalen Kulturen werden natürlich auch unter diesen Umständen erhalten, aber es wäre schwer zu sagen, was die jetzige und die folgende Generationen daraus übernehmen, und als Erbe fortsetzen werden.

 

In der Zeit der Integration der Verwaltungsgebiete kamen nach 1990 sehr oft Interessensgemeinschaften zwischen den ostmitteleuropäischen kleinen Nationen zustande. Worauf ist es Ihrer Meinung nach zurückzuführen, dass die kleinen Nationen der Regionen die zwischenstaatlichen Kontakte nicht verstärkt zur Bewahrung der kleinen Nationen nutzen, und daran anknüpfend nicht enger im Interesse der auf dem Gebiet der Nachbarstaaten lebenden Minderheiten zusammenarbeiten?

Was die Beziehung zwischen Rumänien und Ungarn nach 1990 betrifft, muss es festgestellt werden, dass sowohl die Leitung der Ungarischen Demokratischen Verbund in Rumänien, als auch die Vertreter der ungarischen Zivilgesellschaft in Siebenbürgen, die politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit positiv beeinflussten. Eine der wahren Triebkräften der Zusammenarbeit der Nationen in dieser Region ist gerade die Existenz der nationalen Minderheiten (außer den Konflikten, die auf innere Spannungen zurückzuführen sind, wie z.B. in Jugoslawien). Ich bin der Meinung, dass die euro-atlantische Integration dieser Staaten auch zur Ausbildung dieser Tendenz beitrug, da ihre nationale Souveränität unter neuen Umständen versichert wurde, wodurch viele Sorgen und Vorurteile verschwunden sind. Diese Staaten führen in ihr politisches System und Rechtswesen ein gemeinsames europäisches Wertensystem ein, das auch in diese Richtung zeigt. Trotzdem bin ich der Meinung, dass die Staaten Ostmitteleuropas die Institutionen der politischen Zusammenarbeit noch nicht ausbauten, die zur Durchsetzung ihrer Interessen erforderlich wären. Die Voraussetzungen dieser Zusammenarbeit sind tief in den historischen Traditionen verankert.

 

Was halten Sie über die oben angesprochenen Themenbereiche hinaus wichtig für die Förderung der kleinen Nationen?

Was die kommenden Jahrzehnte anbelangt, die größte Herausforderung, die vor den Nationen Europas steht, ist die Idee der Solidarität in einem gemeinsamen Europa zu verwirklichen. Nach den Kriegen und politischen Spaltungen des 20. Jahrhunderts, können sich die Nationen nur durch die Vereinheitlichung Europas auf die großen, globalen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts vorbereiten. Dazu ist viel Weisheit und ein starker politische Wille erforderlich – und der Dialog der Kulturen kann wesentlich zu diesem Prozess beitragen.