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Begegnungen
Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Band 21: 13–21.

GYÖRGY SZÉPE

Einführende Gedanken zur Untersuchung der sprachlichen Rechte
in Ostmitteleuropa

 

1. Die Autoren der folgenden rund ein Dutzend Studien leben in unterschiedlichen Ländern; sie sind Staatsangehörige mehrerer Länder; vermutlich ist auch ihre politische, ethnische und sprachliche Identität abweichend; auch ihre Schulbildung, ihre Arbeitserfahrungen und auch ihr gelebtes Leben weichen voneinander ab; sie sind an unterschiedlichen Arbeitsplätzen und auf unterschiedlichen Posten tätig; vermutlich stimmen nicht einmal ihre Meinungen in Bezug auf die Beurteilung der Vergangenheit und Gegenwart der Welt überein.

 

Die Einheit des Studienbandes kann bis zu einem gewissen Grade durch sein Thema gesichert werden. Die Untersuchung der in der Republik Ungarn als nationale (ethnische/sprachliche) Minderheit lebenden Menschen, Menschengruppen, sowie die Untersuchung der in den mit Ungarn benachbarten Ländern – in erster Linie der ungarischen Nationalität – als nationale (ethnische/sprachliche) Minderheit lebenden Menschen, Menschengruppen, vor allem im universellen Geiste der Menschenrechte – und vor allem von jenen menschenrechtlichen Aspekten aus, die sich (a) auf ihre Existenz als nationale (ethnische/ sprachliche) Minderheit beziehen, (b) die sich auf ihren Sprachgebrauch beziehen, und (c) die – im Rahmen der vorher erwähnten beiden Aspekte – sich auf ihre Lebensqualität auswirken können.

 

Die Zusammenstellung des Bandes wurde vom Institut für Minderheitenforschung der Ungarischen Akademie der Wissenschaften angeregt und gefördert. Durch diese seine Unternehmung dient das Institut der internationalen wissenschaftlichen öffentlichen Meinung durch die Darstellung eines Themenkreises, der ohne dieses Institut – in dieser historischen Epoche und in dieser geographischen Region – von den Universitäten nicht hätte zustande gebracht werden können.

 

 

 

2. Damit hängt gleich die erste Frage zusammen, der wir, so glaube ich zumindest, ins Auge blicken müssen. Und zwar sind dies die Schatten der Vergangenheit. Der Verfasser dieser Zeilen hat schon als junger Zeitungsleser seit dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, dann als erwachsener Staatsbürger im identischen Land sieben politische Systemwechsel erlebt (und innerhalb dieser mehrere unterschiedliche wirtschaftliche Umgebungen). Die von den Parlamenten verabschiedeten Gesetze und die Regierungsverordnungen sind uns wie auch die „Lehrpläne und Anweisungen” für die Schulen wie die Kometen über die Köpfe hinweggerast.

 

Auch heute noch blicke ich mit regem Interesse auf die Vergangenheit der unterschiedlichen Gebiete, Institutionen und Personen zurück. Ich versuche mit Empathie jene Traumata zu erleben, die auch einzelne Menschen, Gruppen von Menschen – ohne ihr eigenes Verschulden oder eventuell mit ihrer eigenen Mitwirkung – erlebt haben, und die sie selbst oder ihre Fürsprecher pausenlos zum Ausdruck bringen. Dies aber fällt – einen Wissenschaftszweig, die Geschichtswissenschaft ausgenommen, – in das Reich der Ästhetik und der Psychologie. Es ist unzulässig, unser heutiges und morgiges Leben im Schatten der Vergangenheit zu leben und aufzubauen, ob wir dies nun als einzelner Mensch oder aber als verschiedene Gruppen von Menschen tun mögen.

 

 

 

3. Die zugefügten Unrechte müssen als Lehren erschlossen werden: was aber auf der einen Seite ein „Unrecht” ist, das ist auf der anderen Seite „die Aufrechterhaltung der Integrität der glorreichen Nation”, „die Erfüllung unserer auserwählten, berufenen Sendung”, usw. Schon vom Gesichtspunkt der alltäglichen, zivilen Denkweise aus ist es etwas Absurdes, dass an einem Ufer des Flusses die Wahrheit eine andere sein soll, als an dem anderen Ufer. Das Vorhandensein und die „Wahrheit” der Berge und Täler, des Hagels, des Hochwassers, der Umweltverunreinigung, der Epidemien, der Modeerscheinungen, des Rundfunks und des Fernsehens, der erhaltenen Vögel und – in normalen Zeitläufen – der Eisenbahnzüge hängt nicht davon ab, in welchem Winkel der Erde die Macht sich gerade in wessen Hand befindet, und welche Untermenge der Menschen seine eigene Macht auf Kosten einer – oder mehrerer anderen Unter- mengen – aufrechterhalten oder gerade erhöhen will.

 

Nur die allgemeine Achtung des Menschen: auf dem Fundament des Schutzes der Freiheit und Brüderlichkeit, und nur der universelle Schutz der Erde kann jene philosophische Grundlage bilden, auf der die lange Zeit hindurch unlösbaren Konflikte an ihren wahren Platz geraten können. Es ist aber nicht einfach, wie in einer auf dem Wettbewerb beruhenden Marktwirtschaft eine kooperative menschliche Philosophie durchgesetzt werden kann. Das nehmen jene auf sich, die die Menschenrechte in den Mittelpunkt gestellt haben.

 

 

 

4. Der Ideenkreis der Menschenrechte ist, wie allen bekannt, das Produkt der Aufklärung des 18. Jahrhunderts: er enthielt die unveräußerlichen Rechte des Menschen und des Bürgers (citoyens), jene Rechte, die diese nicht von einem anderen erhalten hatten, sondern jene, die ihnen zustanden. Das bezeichnet man als erste Generation der Menschenrechte: das sind die Rechte des „homo politicus”, wie ich es zu lehren pflege.

 

Dieser individuelle „homo politicus” hat dann im darauf folgenden 19. Jahrhundert merkwürdige Situationen erlebt. Es stellte sich heraus, dass er nicht nur als Bürger von der aus dem Mittelalter dort gebliebenen (und in jener Zeit in einige Länder zurückgekehrten) zentralisierten königlichen Macht unterdrückt wurde, sondern die stärkste Ethnie (Nation) der Reiche (oder großen Königreiche) unterdrückte mit bürokratischen, polizeilichen und kulturellen Instrumenten die anderen Ethnien (ob diese sich nun der damaligen Auffassung zufolge zu einer Nation entwickelt hatten, oder aber nicht). Nicht selten sind richtigen „chinesischen Schachteln” ähnliche Konstruktionen zustande gekommen, in denen die unterdrückte Ethnie (die unterdrückte Nation) zum Unterdrücker einer anderen Ethnie werden konnte. Aus der „Forderung” auf kollektive Rechte der Unterdrückten entstand das „Minderheitenrecht”, das über eine gegebene politische Struktur (ein Reich, ein Königreich, eine Republik) zum rechtlichen Rahmen der Freiheit einer eine vom Zentrum abweichende Sprache sprechenden Gruppe wurde, – sei es nun in der Form eines Begehrens oder eines Zugeständnisses. Einige der minderheitsrechtlichen Prozesse sind symbolisch; doch haben sich zahlreiche realistische Terrains herausgebildet und bis zum heutigen Tag erhalten. Der wichtigste von diesen ist die in der Sprache der Minderheiten verlaufende – muttersprachliche – Schulbildung.

 

 

 

5. Die minderheitenrechtliche Sphäre gilt in dieser geographischen Zone in erster Linie für die ethnisch-sprachliche Minderheit, da diese in der Entwicklung des 19. Jahrhunderts ihre stärkste organisierende Kraft war. Dieser Minderheitengesichtspunkt war insofern ein „sprachlicher”, dass er sich auf einen über eine Sprache zusammenhängenden, Massen umfassenden Kommunikationsraum bezog; und insofern war er ein „ethnischer”, dass innerhalb dieses Raumes auch die eingekeilten kleineren sprachlichen Gruppen ähnliche alltägliche (und festliche) Bräuche ausüben: „sie verstanden einander, auch ohne zu sprechen”.

 

In diesen Raum der Minderheiten fügte sich die Religion, bzw. die Tätigkeit der die Religion organisierenden „historischen Kirchen” ein. Katholizismus und Protestantismus verwiesen auf die Bindung an Westeuropa; in den protestantischen Konfessionen äußerte sich dies manchmal direkt mit der Ethnie zusammen, dieser untergeordnet; der Katholizismus konnte kraft seines universellen Charakters durch die Tätigkeit seiner herausragenden Würdenträger und seiner Propagandisten zu einem bedeutenden Teilnehmer an den nationalen/sprachlichen/ethnischen Minderheitenbewegungen werden. In der Folgezeit sind in diesem Raum die vor dem 19. Jahrhundert eine Rolle spielenden „historischen Kirchen” bis zu einem gewissen Grade in die Sphäre des öffentlichen Lebens getreten: sie haben zwischen der politischen Sphäre und der zivilen Sphäre eine „dazwischen liegende”, auf halbem Weg befindliche Sphäre herausgebildet (mit einer relativ kurzen Unterbrechung bis zum heutigen Tag).

 

Die griechisch-orthodoxen Kirchen (mit Strukturen unterschiedlicher Art, doch mit einem identischen Gehalt) richteten ihre Aufmerksamkeit eigentlich hin auf die östlichen und südöstlichen Zentren Europas. Ihre „von ihnen in den Westen” zurückgekehrten Brüder und Schwestern (d. h. die die Oberhoheit des österreichischen Kaisers und des römischen Papstes anerkannten) bildeten die griechisch-katholische (unierte) Konfession, die sich ebenfalls an die nationale Struktur angepasst hatte.

 

An diese komplexe Struktur passte sich das Judentum nicht an – oder nur um den Preis von großen Schwierigkeiten –, das seine sprachlichen und ethnischen Unterschiede zu einem Großteil aufgab; seine religiösen bzw. kulturellen Besonderheiten behielt es aber bei, deshalb konnte es leicht zum Opfer von irrationalen inneren und äußeren Angriffen werden.

 

Und außerhalb dieser Struktur verblieb das der „Rasse” (d. h. physisch-anthropologischen Menschenart) zufolge als Minderheit aufzufassende Zigeunertum, das wegen seiner Identität von abweichender Struktur nicht als selbständige Nation existieren wollte, sondern von Stufe zu Stufe zum Schutz seiner Traditionen zurückkehrte. Auch die Roma wurden deshalb für eine lange Zeit aus dem Themenkreis der nationalen Minderheiten weggelassen.

 

Es muss hinzugefügt werden, dass im Rahmen der freisinnigen Bestrebungen des 19. Jahrhunderts auch bis zum heutigen Tag zu würdigende Vorstellungen und Gesetze zum Schutz der Interessen der historischen christlichen Kirchen und des Judentums, sowie in gewisser Beziehung auch zum Umgang mit den sprachlich-ethnischen Minderheiten entstanden sind.

 

 

 

6. In der eingesetzten Entwicklung der sprachlichen-ethnischen Minderheiten hat sich infolge der im Königreich Ungarn eingetretenen konservativen Wende um die Wende des 19.-20. Jahrhunderts fast alles in sein Gegenteil verkehrt.

 

Im 19. Jahrhundert hat sich zwischen den Sphären der damals aus der Mode gekommenen Menschenrechte und Minderheitenrechte eigentlich keine positive Beziehung herausgebildet. Die Banderien der mittelalterlichen Kavallerie paradierten unter Nationalbannern, und diese Richtung hatten auch die ihren eigenen Bannern zustrebenden nationalen (sprachlich-ethnischen) Minderheiten eingeschlagen.

 

In der Zwischenzeit entwickelte sich die Welt weiter. Allmählich schalteten sich in Bezug auf die Schwerpunkte neben Europa auch die Länder anderer Kontinente in das System der internationalen Zusammenarbeit ein. In den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg entstand der Völkerbund, der über große Möglichkeiten in den internationalen Aktionen im Weltmaßstab verfügte. Die Organisationen der Siegermächte hatten aber keine Kraft, was den Umgang mit den Problemen des Minderheitenschutzes neuen Typs anbelangt, die auf dem europäischen Kontinent durch die Pariser Vorstadtfrieden umgestaltet wurden. Diese Probleme waren insofern „von neuem Typ”, dass ein Großteil von ihnen die Verwandlung „von ehemaligen Mehrheitsgruppen” zu Minderheiten zur Folge hatte, gegenüber der untergeordneten Situation der klassischen, über keinen Staat verfügenden, seit langer Zeit so lebenden sprachlich-ethnischen Gruppen.

 

Dann brach der Zweite Weltkrieg aus, der die Situation zwischen den beiden Weltkriegen aufwühlte, in mehreren Beziehungen gerade unter Berücksichtigung der sprachlichen/ethnischen Gesichtspunkte, in deren Verlauf Massen von Angehörigen der „Minderheiten” (fast zur Gänze z. B. die Juden, die Zigeuner in einem hohen Grade, und die anders Denkenden oder Lebenden) vernichtet wurden. Dann kamen die den Zweiten Weltkrieg wiederum in Paris abschließenden Friedensverträge, die fast zur Gänze den Zustand zwischen den beiden Weltkriegen herstellten, wozu auch das von den sprachlichen/ethnischen Minderheiten gebildete Mosaik gehörte. Und der zweite Friedensvertrag von Paris ließ – de facto – die Rechte der nationalen Minderheiten schon außer Acht.

 

Das war jene Zeit, in der Europa gerade die Macht über die Welt verloren hatte. Und bis in den 60er Jahren die Beseitigung der Kolonialreiche in Afrika und in Asien begonnen hatte, bis dahin wurden die Rechte des „homo politicus” nur um die Rechte des „homo oeconomicus”, um die Rechte der Arbeitsverrichtung und der sozialen Sphäre, erweitert.

 

Sowohl die die Bewegungslosigkeit des „status quo” Europas nach dem Zweiten Weltkrieg erschütternden westeuropäischen Generationenbewegungen, als auch die innere Gärung Osteuropas waren dazu erforderlich, damit wiederum die Menschenrechte in den Vordergrund rückten. Das Aufeinandertreffen der außerhalb Europas sich abspielenden Dekolonisierungsprozesse und die Anforderungen der europäischen Minderheiten lösten neue Hoffnungen aus in Bezug auf die Harmonisierung der individuellen klassischen Menschenrechte, der kollektiven Rechte der Minderheiten sowie der Rechte von einzelnen in einer besonders benachteiligten Situation befindlichen Menschengruppen. Die neue Organisation der Menschheit, die Vereinten Nationen – auch durch ihre Spezialorganisationen – konnte die Frage der vom Gesichtspunkt des Überlebens der Menschheit aus erforderlichen Menschenrechte auf die Tagesordnung setzen: als ob die historische Epoche des „homo sapiens sapiens” (so wäre der Gebrauch des Begriffs zutreffend, wenn die Verheißungen in Erfüllung gehen würden) begonnen hätte. Dazu war die Weiterentwicklung des Begriffs der Menschenrechte, die Herausgestaltung der Kategorie der kollektiven Menschenrechte erforderlich geworden.

 

 

 

7. Der Studienband befasst sich mit jenen zweisprachigen Gruppen, bei denen die eine Sprache das Ungarische ist, und zwar innerhalb und außerhalb der Grenzen der Republik Ungarn. Für den Linguisten ist dies Fakt; vom Gesichtspunkt der Gesellschaftswissenschaften aus an sich ein schwer bewertbarer Problemkreis. Die in diesem Thema enthaltenen Menschengruppen haben nämlich an ihrer Kultur (d. h. an ihren Werten und Bräuchen) über die ungarische Komponente unweigerlich teil. Ihre Identität kann eine zweifache sein oder zumindest aus Schichten bestehend. Für Wissenschaftler mit ungarischer Identität ist es in dieser Situation nicht leicht, einen Fokus zu finden, der von allen Betroffenen/Interessierten als „objektiv” angenommen würde. Vielleicht ist dies auch gar nicht möglich (ausgenommen die Summierung von gut angepeilten Einzelerscheinungen und Einzelfragen). Dem Autor dieser Zeilen nach lohnt es sich auch gar nicht, in einer konkreten Region die objektive Zueinanderfügung von umfassenden gesellschaftlichen Fragen zu suchen und zu erzwingen, statt dessen gilt es, einen anthropologischen – das heißt universell menschlichen – Rahmen zu suchen, in dem einer nicht Angeklagter/Ankläger und Richter zur gleichen Zeit sein kann.

 

Die Linguistik, in der sich der soziale, psychische und biologische Charakter immer mehr miteinander verbindet, steht nicht ohne Chancen da, um gültige Fragen auch in Bezug auf die komplizierten sprachlichen Verhältnisse der Region zu stellen. Und diese Fragen können – mutatis mutandis – auch auf andere Sphären übertragen werden.

 

An dieser Stelle lohnt es sich auch, auf die sprachlichen Funktionen einzugehen. Hier möchte ich ein wenig den Fragenkomplex der unterschiedlichen Funktionen der Sprache ausführen. (Die Wichtigkeit dieser Aufgabe war für mich evident geworden, als im Verlaufe der Vorbereitung der Empfehlungen der OSZE von Haag die sich in der überwiegenden Mehrheit befindlichen Sozialwissenschaftler, Politologen und Juristen ihre Aufmerksamkeit auf eine einzige sprachliche Funktion konzentrierten: dies war die symbolische Funktion des Sprachgebrauchs der Mehrheit der Staatsmacht und der sprachlich-ethnischen Minderheit. Ich war nicht allein in dieser Diskussion unter denen, denen es schließlich gelungen ist, diesen Kreis zu erweitern.) Zweifelsohne besteht die wichtigste Funktion der Sprache in der Unterstützung der Kommunikation, der Zusammenarbeit zwischen den Menschen: diese sprachliche Funktion hängt unzerreißbar mit den menschlichen Handlungen in ihren unterschiedlichsten Varianten zusammen: vom Spiel bis zu Arbeit, über die Paarwahl, die Familie, die Erziehung, die Freundschaft, die Unterhaltung, den Kampf, das Heraufbeschwören der Vergangenheit, den Gottesdienst, das Verbringen der Freizeit usw.

 

Dem ist untergeordnet die die Identität symbolisierende Funktion der Sprache, die im Allgemeinen im Zusammenhang mit der gegebenen sprachlichen Gemeinschaft berücksichtigt wird: im einfachen Fall bringt das gegenseitige Verstehen eine – im konkreten Fall – als „wir” funktionierende Gemeinschaft zustande (das Hinzugehören zur „Koine”), in den vergangenen Jahrhunderten wurde der Maßstab aber immer mehr angehoben: auf einem konkreten Sprachgebiet wurde von dem/von den wirtschaftlichen/kulturellen/politischen Zentrum/Zentren eine nur in der Schule erwerbbare sprachliche Norm herausgestaltet, die es entschied, ob jemand vom Gesichtspunkt seiner Selbstidentität aus in berechtigter Weise auf das eine (oder das andere) Zentrum blickt. Hieraus hat sich auch eine geschichtete Form herausgebildet, die die Übernahme der vollständigen Identität auch für die an der Peripherie Lebenden leichter machte. – Die Identität als sprachliche Funktion hat sich mit der Loyalität zu einer gegebenen (oder einst bestandenen) politischen Einheit verknüpft: da ließ sich die Zugehörigkeit zu dem einen Zentrum schwer (oder überhaupt nicht) mit der mit einem anderen Zentrum harmonisierenden Identität vereinbaren. Die aus mehreren Schichten bestehende Identität ist zwar verständlich, kann in der sprachlich/ethnischen Sphäre erläutert werden, vom Gesichtspunkt der Loyalität der politischen Sphäre aus lässt sie sich aber nur schwer tolerieren. – Diese Frage ist aber linguistisch übrigens heute schon nicht mehr von der Frage der Zweisprachigkeit (dem Bilinguismus) bzw. der Diglossie zu trennen. Das Politikum wird so in diese universell vorfindbare sprachliche Erscheinung verwickelt, dass es nicht gleichgültig ist: wer verordnet die Gründung der zweisprachigen Schule, wer fordert diese, und wird die zweisprachige Schule zur Werkstatt der Assimilierung oder zur Erhaltung der Sprache.

 

Und hier muss auch gleich die kognitive Funktion der Sprache erwähnt werden, die nach der kommunikativen Funktion – mit dieser zusammen – die wichtigste vom Gesichtspunkt des Fortbestehens und der Entwicklung der Gattung des Menschen ist. Von dieser kognitiven Funktion wird entschieden, was für eine Welt das Kleinkind um sich herum ausbaut, wie sieht es diese, wie kann es über diese sprechen. (Achtung: die Erkenntnis hat in hohem Maße einen sprachlichen, doch nicht ausschließlich einen sprachlichen Charakter: auch die Augen und die Hände des Menschen spielen dabei eine Rolle.) Diese anthropologische Argumentation ist die Grundlage für die vernakuläre Erziehung. Für das Kind ist es am optimalsten, wenn es die Welt in der Sprache seiner Familie kennenlernen kann, in dieser Sprache die Schule beginnt und fortsetzt, solange es die wirtschaftlichen/politischen Verhältnisse ermöglichen, wenn möglich bis zum Abschluss der Schule. Dieses Prinzip wurde von den Gründervätern der UNESCO am Ende der 40er Jahre von der vor dem britischen Kolonialreich entstandenen indischen Auffassung übernommen. Und dieses vernakuläre Prinzip wurde die Grundlage des Menschenrechts der Erziehung in der Muttersprache. (Hier sei bemerkt: weder das vernakuläre Prinzip, noch das Prinzip der Erziehung/des Unterrichts in der Muttersprache hat eine ausschließliche Geltung, es hebt nur gerade die Wichtigkeit der ersten Sprache, der Familiensprache, der Muttersprache gegenüber dem Erlernen der später erforderlichen Umweltsprachen, Staatssprachen, bzw. international wichtigen Sprachen hervor, und vor allem dagegen, dass diese Sprachen das Medium des Unterrichts werden sollen. Vielleicht kann es gerade zu den Besonderheiten dieser Region gehören, dass der tschechische Philosoph und Pädagoge J. A. Comenius gerade in Sárospatak, in Ungarn, den Gedankenkreis des in der Muttersprache beginnenden Lernens ausgearbeitet hat.

 

 

 

8. Besonders müssen wir dem Problem ins Auge blicken, weshalb gerade die Vertreter der Republik Ungarn und der ungarischen sprachlichen-ethnischen Gruppe zu Fürsprechern der modernen Menschenrechte (und innerhalb dieser der sprachlichen Menschenrechte) geworden sind, ist doch gerade in diesem Land die Assimilierung der nationalen Minderheiten im größten Ausmaß erfolgt. Hierfür werden im Allgemeinen zwei Gründe angegeben: (a) dieses Land war im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts radikal einsprachig geworden (im Vergleich zu dem früheren mehrsprachigen Zustand), (b) und eben aus diesem Grund gerieten bedeutende Teile des sprachlich-ethnischen Kontinuums unter die (politische, wirtschaftliche, kulturelle) Oberhoheit anderer, mehrerer benachbarter Länder. Das muss mit gewissem kühlen, distanzierten Abstand auch dann ausgesprochen werden, wenn zwischen den beiden Weltkriegen der bedeutendste politische Plan (und Wunschtraum) des damaligen konservativen Regimes die Revision der den Ersten Weltkrieg abschließenden Pariser Vorstadtfrieden, d. h. „die Rückgliederung der vom Königreich Ungarn losgerissenen Gebiete” war. Nun, jene, die Beiträge für diesen Band geschrieben haben – wie auch die Besten der Intelligenz des Raumes – erkennen die gegenwärtige Landkarte Europas an und halten sie für unveränderbar, was die Grenzen der einzelnen Länder anbelangt. In dieser historischen Situation kann die innere Rechtsordnung der Europäischen Union, die virtuelle Rechtsordnung der Vereinten Nationen und die Souveränität voneinander gegenseitig deklarierenden Verträge zwischen den Nachbarstaaten jene Wende bedeuten, in deren Rahmen (a) obzwar jedwede gewaltsame Veränderung der bestehenden Ländergrenzen von der Tagesordnung der möglichen Ereignisse genommen wird, (b) im Rahmen der EU die relative Einheit der natürlichen sprachlichen/ethnischen Gemeinschaften wieder entstehen kann. Und dadurch kann sich die mehrschichtige Identität und die komplexe Loyalität der Bürger dieses Raumes herausbilden und stärker werden: hin zu Europa, zur Ordnung ihres Landes und zu ihrer sprachlich-ethnischen Gemeinschaft. (Wäre die Frage der nationalen Minderheiten nicht auf irgendeine Weise mit der Macht und der wirtschaftlichen Sphäre verbunden, dann wäre diese Annäherung nicht aussichtslos.)

 

Solange wir aber nicht in der „civitatis dei” ankommen, kann von dem Gebiet der Wissenschaft aus die kooperative Zukunft dadurch unterstützt werden, dass je mehr kontrollierbare Angaben und deren Zusammenhänge enthaltende Studien publiziert werden.

 

In dieser Auffassung bleibt die „regionale Verantwortung” der Sozialwissenschaftler nicht nur vorhanden, sondern sie wird auch noch verstärkt, indem sie es akzeptieren, dass der vom europäischen Mosaik auf sie entfallende eigene Teil vorgestellt werden muss. Auch das ist kein Problem, wenn derselbe Teil von mehreren, auf vielerlei unterschiedliche Art vorgestellt wird. Eben deshalb halte ich die Unterstützung der Zusammenarbeit von aus mehreren Ländern stammenden, über eine unterschiedliche schulische Ausbildung verfügenden und von unterschiedlichen Berufen ausgehenden Fachleuten bei der Erstellung eines derartigen Bandes für förderungswert. Auf ähnliche Weise wird eine abwechslungsreiche kritische Reaktion allmählich die Handhabung „sine ire et sine studio” der in einem solchen Band vorgestellten und behandelten Problematik in der internationalen wissenschaftlichen öffentlichen Meinung herausgestalten in der Region, zwischen den Regionen, auf dem Kontinent und unabhängig von der geographisches Lage.

 

Ich glaube, dass bei der Zusammenfassung der Spezifika des Raumes auf jeden Fall jene kompetenter sein werden, die außerhalb dieser Region leben, und von denen nicht einmal den Großvätern ein Härchen gekrümmt worden war im kontinuierlich wehenden stürmischen Wind der Region.

 

 

 

9. Wenn Ungarn und einige Gefährten dieser Region zu Mitgliedsländer der erweiterten Europäischen Union werden (die noch immer nicht den gesamten Kontinent umfasst), dann wird vielleicht das Studium der Verhältnisse dieses Raumes in ganz Europa aktuell werden, wie seit langer Zeit von uns die Verhältnisse der westeuropäischen Staaten studiert werden. In der mitteleuropäischen Zone gibt es – der politischen Tradition zufolge – keine Großmacht: hier gibt es viele Kleinstaaten und eine mittlere Macht; Polen, das von seiner stürmischen Geschichte daran gehindert worden war, seine Funktion als Mittelmacht zu versehen. In diesem Gebiet der Welt sind die Mosaiken farbiger, noch immer sind die von der Vergangenheit geschlagenen Wunden tief (und vor allem ihre Narben schmerzend), doch hat diese Gruppe sich entschieden den Weg der Demokratisierung und Modernisierung gewählt. Ich glaube, dass wegen der Besonderheiten der Region die Befolgung des in Westeuropa entstandenen Prozesses und der Ordnung der Demokratisierung und Modernisierung unmöglich zu sein scheint, wenn – in dieser Region und auch in dem größeren Raum – die politischen Differenzen der benachbarten Länder, die die Grenzen überschreitenden sprachlichen Gemeinschaften sowie der Fragenkomplex der in den meisten identifizierbaren sprachlich-ethnischen Minderheiten in einem umfassenderen menschenrechtlichen Rahmen nicht in einen neuen Zusammenhang miteinander geraten. Falls dies zu einem Beitrag zum Verständnis dieser ein wenig komplizierten mitteleuropäischen Lage werden kann, für den gesamten Kontinent und für die – diesen überschreitende – Welt, was nur von hier stammen kann. Wenn die Fragen von „diesen von der Peripherie Kommenden” auch für die „im Zentrum Befindlichen” interessante Antworten hervorbringen können...

 

(August 2002)