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Begegnungen
Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Band 21: 31–48.

ORSOLYA NÁDOR

Die Rechte der Minderheiten in Ostmitteleuropa im Unterricht in der Muttersprache

 

1. Einführung

Die meisten der Länder auf den fünf, ständig besiedelten Kontinenten können vom ethnischen und sprachlichen Standpunkt aus nicht für homogene Nationalstaaten gehalten werden – dennoch ist es weltweit eine der wesentlichen Ursachen der politischen Konflikte, dass die Mehrheit nicht geneigt ist, die Existenz der Minderheiten von unterschiedlichem Charakter (der sprachlichen, ethnischen, religiösen, eingewanderten Minderheiten) zur Kenntnis zu nehmen, die juristischen Forderungen im Zusammenhang mit der Sprache, der Kultur, der Religion und der Selbstorganisation werden von ihr als Gefährdung der staatlichen Ordnung dargestellt. In Europa ist die Frage der sprachlichen und ethnischen Zugehörigkeit infolge der Eroberungskriege, der Kolonialisierung, des Zerfalls der religiösen Traditionen, sowie der Umstrukturierung der internen Kräfteverhältnisse der einzelnen Staaten zu einer Selektionskraft der Macht geworden. Im Falle der ostmitteleuropäischen Völker lieferte die enge Verwandtschaft der einzelnen westslawischen (tschechisch-slowakischen) und südslawischen (serbisch-kroatischen) Sprachen zum Beispiel die Grundlage der Entstehung der slawischen nationalstaatlichen Konzeptionen, zugleich wurde die Formulierung der slawischen Zusammengehörigkeit auf staatlicher Ebene auch von gegeneinander gerichteten Interessen begleitet: unter anderem von den mit dem Normungsprozess zusammenhängenden internen Debatten und von den Unterschieden in Religion und Kultur (z. B. in der Lebensweise). Im Falle der Südslawen sind z. B. zahlreiche derartige Abweichungen zu beobachten. So hatten z. B. die Kroaten ihre Kultur nach den Regeln der katholischen, die Serben nach den Regeln der orthodoxen Kirche herausgestaltet. Die Staatlichkeit der nicht-slawischen Bevölkerung aber, z. B. die der Ungarn, wurde in vielen Fällen für einen hemmenden Faktor bei der Realisierung des gemeinsamen slawischen Staates gehalten.

Die sprachliche Regulierung ist bis in das 19. Jahrhundert hinein zum Bestandteil der Rechtsordnung der Nationalstaaten geworden. Die Sprache der den Staat determinierenden, beherrschenden Volksgruppe hat sich früher oder später über den gemeinsamen, vernakularen Status erhoben, und ist zu einer Prestigesprache, später zu einer auch juristisch deklarierten Amtssprache geworden. Die Gesetze, die die Ungleichheit der Sprachen deklarierten, begannen sich aber erst dann langsam außerhalb der obersten Kreise zu verbreiten, als sie sich auch im Unterrichtswesen meldeten. Dies bedeutete aber noch nicht den Sieg der hervorgehobenen Sprache: in den Volksschulen, von denen die Mehrheit der Bevölkerung aufgenommen wurde, lernten die Kinder das Lesen und Schreiben, das Rechnen und den Katechismus in der Sprache der örtlichen Gemeinschaft, auf der Ebene der höheren Schulen schien die Rolle der Sprache der internationalen Kulturvermittlung, des Lateinischen, auch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts noch unerschütterbar zu sein. Parallel hierzu, zu Beginn vor allem an die protestantischen Bewegungen gekoppelt, begann in ganz Europa die Herausbildung der Literaturen in der Nationalsprache und parallel dazu der Prozess der Normung und Kodifizierung der vernakularen Sprachen, der – von einigen Ausnahmen abgesehen (z. B. bei den Slowaken) – bald über die konfessionellen Rahmen hinauswuchs und zur gemeinsamen Sache des konkreten Ethnikums wurde. Vom Gesichtspunkt unseres Themas aus kommt diesem eine herausragende Bedeutung zu, war doch die Vereinheitlichung und die Kodifizierung die Voraussetzung für die innere (und äußere) Effizienz einer Sprache, sowie für die Unterrichtbarkeit der Sprache in einer organisierten schulischen Form. Eine Ursache der ethnischen Konflikte im Karpatenbecken im 19. Jahrhundert ist gerade im ungleichmäßigen Grad der Ausgearbeitetheit der verwendeten Sprachen zu suchen. Sind das schriftliche System (die Buchstaben, die Rechtschreibung) und die Regeln einer Sprache nicht in einer anwendbaren Form formuliert worden, kann sie nicht „offiziell” gemacht werden. Auf diese Art und Weise werden die Gesetze leicht missverständlich, im Unterrichtswesen würde dann gerade die Mittlerrolle der sprachlichen und kulturellen Norm der Sprache nicht zur Geltung kommen. Es ist kein Zufall, dass in den Ländern der untersuchten Region noch um die Mitte des 19. Jahrhunderts die Amtssprache der Rechtsprechung das Lateinische geblieben ist – obzwar jeder Staat bemüht war, die Gesetzgebung und die Rechtsanwendung in der Muttersprache auszuarbeiten. Vom Gesichtspunkt der Unterrichtspolitik aus kann als organisiert aufgefasst werden, und auch im muttersprachlichen Unterricht bedeutete einen qualitativen Sprung das Erscheinen der wissenswerten Kenntnisse der einzelnen Unterrichtsfächer in Lehrbüchern mit einheitlicher Sprache im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts. Zugleich ist es wichtig zu erwähnen, dass von diesen nach einer Sprachregelung strebenden Gesetzen die heute urheimisch genannten Minderheiten betroffen werden, doch befassen sich diese z. B. nicht mit den eine Arbeit und ein Auskommen suchenden französischen, italienischen und wallonischen Ansiedlern. Seit Jahrhunderten stellen die kürzere oder längere Zeit hindurch in anderen Ländern arbeitenden und lebenden Handwerker, Künstler und Wissenschaftler eine bedeutende Gruppe der europäischen Minderheiten dar, im 20. Jahrhundert jedoch traten dann in großer Zahl die von anderen Kontinenten stammenden, ihr Auskommen vor allem aus wirtschaftlichen oder religiösen Gründen in Europa suchenden Einwanderer aus Asien und Afrika auf. In den 70er und 80er Jahren war Schweden beinahe das einzige europäische Land, das die gesetzlichen Möglichkeiten der Wahrung der sprachlichen, kulturellen und religiösen Identität auch auf sie ausgedehnt hatte.

Von sprachlich-juristischem Gesichtspunkt aus bedeuten jene Minderheiten, die in Ostmitteleuropa in die Gruppe der uransässigen Bevölkerung gehören, den neuralgischen Punkt der untersuchten Region, deren Status sich aber im Laufe der Geschichte mehrmals geändert hat, so dass die Angehörigen eines und desselben Volkes in den benachbarten Ländern als Mehrheit oder als Minderheit leben können (so z. B. bilden die Slowaken in Tschechien, in Polen und in Ungarn die Minderheit und in ihrem eigenen Staat die Mehrheit). Sehr viele Beispiele könnten wir in Bezug darauf aufzählen, wie eine konkrete Bevölkerung aus der Mehrheit zu einer Minderheit, bzw. aus einer Minderheit zur Mehrheit geworden ist, und wie dieser Wandel auf der Ebene der Landesgrenzen, der internationalen und der Innenpolitik sowie der individuellen Selbstidentität erschienen ist. Es kann aber festgehalten werden, dass der primäre Kampfplatz dieser quantitativen und qualitativen Ungleichheit das Unterrichtswesen ist, innerhalb dessen der Unterricht in der Muttersprache in seiner Komplexität (Organisiertheit, finanzielle Förderung, Kraft und Vorbereitung der lokalen Intelligenz, der Lehrer, das Selbstbewusstsein der Eltern, das Niveau, das Prestige und der gesellschaftliche Nutzen des Unterrichts). Nachstehend bin ich bemüht, die Zusammenhänge zwischen den für diese Region geltenden Rechten des Unterrichts und der Sprache zu umreißen.

 

2. Über die Besonderheiten der Normung und des sprachpolitischen Status einiger – mit dem Ungarischen in Kontakt geratenen – ostmitteleuropäischen Sprachen

Der gemeinsame ungarische Staatsverband mit den Kroaten reicht bis in das 11. Jahrhundert zurück; man kann sagen, das durch besondere Gesetze geregelte Zusammenleben hat bis zum 18. Jahrhundert eigentlich gut funktioniert. Der gemeinsame Gegner und die gemeinsamen Interessen verbanden beide Völker noch für einige Jahrzehnte, doch veränderte die nationale Bewegung, die bei den Kroaten begonnen hat, das System der Beziehungen. Die Frage der Vereinheitlichung der aus vielen, voneinander ziemlich abweichenden Dialekten bestehenden Sprache trat in den 1830er Jahren auf, ihre Ausarbeitung hängt mit dem Namen von Ljudevit Gaj zusammen. Seinem Vorschlag nach ist bei der Herausbildung der genormten Sprache jener Dialekt in Betracht zu ziehen, der auch von der Mehrheit der Serben gesprochen wird. Sprache und Politik lassen sich auch in diesem Fall nicht voneinander trennen: das Ziel war die Vereinigung der südslawischen Völker unter kroatischer Führung. Diese sprachlich-kulturelle Bewegung erhielt die Bezeichnung Illyrismus, weil ihren Vorstellungen nach alle südslawischen Völker Nachfahren der altertümlichen Illyren sind, also in Wirklichkeit eine gemeinsame Nation bilden. Auf den Landtagen stand (vom ungarischen Vorbild ausgehend) vom Jahre 1805 an ständig die Forderung der Einführung der kroatischen Amtssprache auf der Tagesordnung. Dies war damals noch eine irreale Forderung, erfolgten doch Normung und Kodifizierung der Sprache erst in den 30er Jahren. Die kroatische und die ungarische nationale Bewegung hat viele gemeinsame Züge, bei der Ausarbeitung der eigenen Bestrebungen und ihrer Verwirklichung befolgte die kroatische Bewegung häufig die ungarischen Vorbilder. Das Zusammenleben, die enge Zusammengehörigkeit tauchte auch in den die sprachlichen Rechte regelnden ungarischen Gesetzen auf, doch nicht einmal in den 1830er Jahren war der Ungarischunterricht für die Kroaten obligatorisch.

Die serbische Bevölkerung wird im Allgemeinen mit zwei markanten Merkmalen charakterisiert, mit der Orthodoxie und mit der soldatischen Lebensform. Vuk Karadžić hatte wahrscheinlich zutreffend die Besonderheiten der Zusammengehörigkeit der südslawischen Völker erkannt, seiner Auffassung nach bilden die Serben die Grundlage aller südslawischen Völker und mit dieser Auffassung geriet er in Widerspruch zu den illyrischen Bestrebungen und Spracherklärungen. Die führenden Politiker der Serben legten aber vom Anfang des 18. Jahrhunderts an das Gewicht von den sprachlichen Fragen eher auf die territorialen Autonomieforderungen. Vielleicht spielte auch diese Akzentverschiebung mit, dass die Linguistik lange Zeit hindurch (ganz bis zum Zerfall Jugoslawiens) die Zusammengehörigkeit der serbischen und kroatischen Sprache betonen konnte, nur die Leiter des abweichenden Normungs- und Kodifizierungsprozesses sowie die Betonung des eng mit dieser Tendenz zusammengehörenden religiösen Unterschiedes versah diese mit unterschiedlichen Merkmalen.

Die Situation der Sachsen und ihr Verhältnis zu den anderen Völkern der Region gestaltete sich auf der Grundlage der jeweiligen politischen Kräfteverhältnisse. Ihre Ansiedelung in Siebenbürgen war seit den ungarischen Königen des 12. Jahrhunderts kontinuierlich, ihre Privilegien erhielten sie zuerst von den ungarischen Königen, dann von den Großfürsten von Siebenbürgen, als Angehörige der Union der drei Nationen. Die Pflege ihrer Sprache und ihrer Kultur wurde im Laufe des Zusammenlebens durch die Einwirkung von außen geschmälert, zur gleichen Zeit übernahmen sie aber an der Stelle ihres Dialekts die deutsche Hochsprache. Auch ihre Identität wurde grundlegend von ihrer Zugehörigkeit zum Deutschtum bestimmt. Die führende Intelligenz der Volksgruppe betrieb vom Anfang des 19. Jahrhunderts an die Gründung der Sächsischen Gelehrten Gesellschaft und anderer Vereinigungen (für Musik, Turnen usw.), sowie ortsgeschichtliche und Quellen erschließende Forschungen. Im Grunde genommen wollten sie damit ihre spezifische Situation innerhalb des Deutschtums darstellen. Ihre Sprache, genauer formuliert, ihre traditionell gebrauchten Mundarten wollten sie aber infolge des freiwilligen Sprachwechsels nicht besonders entwickeln.

Im Falle der siebenbürgischen Rumänen wirkte die Kulturbetrachtung der orthodoxen Kirche auf die Herausbildung der zum Unterricht geeigneten, genormten Umgangssprache ein (deshalb konnte z. B. ein Großteil der Priester niederen Ranges nicht einmal Schreiben und Lesen). Allein über die Volksschule in Brassó (Kronstadt) sind aus dem 16. Jahrhundert Angaben erhalten geblieben: diese Schule wurde von den rumänischen kleinen Schülern der verschiedenen Siedlungen Siebenbürgens besucht. Eine besondere Rolle spielte hier die ungarische Reformation, in deren Rahmen die reformierte Kirche mit Texten in der Muttersprache die rumänischen Gläubigen für sich gewinnen wollte. Zsuzsanna Lorántffy gründete im Jahre 1657 in Fogaras die erste Schule mit rumänischer Unterrichtssprache, die sich auch mit der Ausbildung von Volksschullehrern beschäftigte. Am Ende des Jahrhunderts aber erschien auch das erste Abc-Buch (1699). Einen positiven Einfluss auf die Entwicklung der rumänischen nationalen Identität in Siebenbürgen hatten die Verordnung von Joseph II., die die Privilegien der Ungarn, der Székler und der Sachsen – der drei Nationen – abschaffte. Im Jahre 1781 wurde auch den Rumänen das Bürgerrecht gesichert, das unter anderem auch das Recht auf den muttersprachlichen Unterricht umfasste. Danach wurden für die Rumänen mehrere Volksschulen und Volksschullehrerbildungsanstalten eröffnet. Die Verordnungen zog der König jedoch noch zu seinen Lebzeiten zurück, so dass das ursprüngliche privilegisierte System wieder hergestellt wurde, das die Rumänen immer mehr beanstandeten.

Die ideologische Leitung der Bewegung des rumänischen nationalen Erwachens und die Ausarbeitung der Theorien hängt mit den Namen von drei Gelehrten, von Ioan Inocenţiu Micu-Clain, Gheorghe Şincai und Petru Maior zusammen. Sie arbeiteten die ersten linguistischen und geschichtlichen grundlegenden Werke aus, in denen sie die glorreiche rumänische Vergangenheit darstellen wollten. Ihre Werke können für die Grundlage der rumänischen nationalen Ideologie gehalten werden. Die erste umfassende Grammatik, die die rumänische Sprache für die Nachfolgerin der lateinischen Sprache hielt, erschien im Jahre 1780 aus der Feder von Micu-Clain. In diesem Werk schlug er vor, an der Stelle der bisher aus griechisch-orthodoxen religiösen Gründen verwendeten kyrillischen Schrift die lateinische Schrift einzuführen, die den Besonderheiten des Rumänischen besser entspricht. Gut stellt den sprachschöpfenden Prozess vor, dass die griechisch-orthodoxen Schulen in Kronstadt schon im Jahre 1768 von der slawischen zur lateinisch-rumänischen Unterrichtssprache übergegangen sind. Eine Bildung auf höherem Niveau konnte man sich aber auch weiterhin nur in lateinischer Sprache aneignen. Die Verbreitung der Kultur in rumänischer Sprache verbreitete sich erst von der Mitte des 19. Jahrhunderts an. Die Frage der Sprache war auch für die Rumänen eine Frage von politischer Bedeutung geworden. Das Sich-Losreißen vom slawischen Charakter und die Rückkehr zum glorreichen römischen Ursprung spielte sowohl in der Sprache als auch in der Geschichte eine vorherrschende Rolle in der Herausbildung der rumänischen Identität. Das Problem bedeutete die Normung der Sprache. Die Meinung der vorstehend erwähnten Gelehrten wich stark voneinander ab: Micu-Clain und Şincai argumentierten für eine sich von der Volkssprache stark entfernende Latinisierung, Maior, nach dem das Rumänische und das Vulgärlateinische sich mehr nahe stehen, wollte die Sprache eher dem Italienischen näher bringen. Die Traditionen, die Lebensweise, die Armut, sowie die große mundartliche Gliederung und die Schwäche der Schulorganisation ließen ihre Auswirkung noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts stark fühlen.

Über die schwächsten Positionen innerhalb des ungarischen Staates verfügten die Slowaken und die Rusinen (Ruthenen). Die Entwicklung der eigenen Literatursprache der Ruthenen wurde durch die starke Einwirkung der russischen und der ukrainischen Sprache erschwert. Auf ihre Verbindung mit Ungarn und die lebhaften wirtschaftlichen Beziehungen verweist die innere Volkssprache, die Uhrorusskij [ = Ungarisch-russisch] genannt wurde, die bereits in den Druckerzeugnissen des 17. Jahrhunderts in dieser Form zu finden ist. Außerdem beweisen dies die vielen ungarischen Lehnwörter, die vor allem mit der Landwirtschaft und mit dem Weinbau zusammenhängen. Dieses Ethnikum setzte sich aus einer relativ dünnen Schicht der kirchlichen Intelligenz und aus einer hohen Zahl von Bauern und Hirten zusammen; wir können hier keinen markanten Bestrebungen begegnen, die den Selbständigkeitsbewegungen der anderen Nationalitäten ähnlich sind. Ihre sprachliche und kulturelle Identität trägt die Besonderheiten ihres Wohnortes, ihr Verhältnis zum Ungartum wurde primär von einer Loyalität charakterisiert.

Die Entwicklung des nationalen Selbstbewusstseins der Slowaken wurde von der slawischen Zusammengehörigkeit und dem damit zusammenhängen Geschichtsgefühl bestimmt. Die Herausbildung der ersten Literatursprache ging um die Wende des 18.-19. Jahrhunderts vor sich. Ihre Grundlage war die tschechische Sprache der Kralitzer Bibel in slowakischer Form. Ein großer Teil der sprachschöpferischen Arbeit wurde von dem Katholiken Anton Bernolák durchgeführt. Seiner Auffassung nach ist das Slowakische ein Dialekt der großen Familie der slawischen Sprachen, die sowohl von den tschechischen als auch von den polnischen Einflüssen gesäubert werden muss. Die erste auf dieser Grundlage organisierte erste Sprachgesellschaft bildete sich im Jahre 1785 heraus, ein Jahr danach wurde bereits die Ausarbeitung der slowakischen Rechtschreibenorm angeregt, und 1792 wurde die Slowakische Gelehrte Gesellschaft gegründet. Die slowakische Intelligenz war aber geteilt, gegen diese Tendenz gerichtet sympathisierten die Protestanten (u. a. Jan Dobrovský) mit der tschechischen Sprache und Kultur, und sie fassten das Slowakische nur als eine Variante des Tschechischen auf. Die mit den Sprachkämpfen zusammenhängende Nationalbewegung bildete sich bis zu den 1840er Jahren mit dem Auftreten der Generation von Ludovít Štúr heraus, und von dieser Zeit an kann im Grunde genommen mit der Entstehung der modernen slowakischen Sprache gerechnet werden.

Mit Rücksicht auf die politologische Determinierung unterscheidet sich die jüdische Minderheit von den vorstehend erwähnten Nationalitäten, da sie im geschichtlichen Ungarn keine ethnische, sondern eine religiöse Minderheit bildete. Daraus ergibt sich, dass sie im Interesse ihres Erhaltens und der Bewahrung ihrer Traditionen bemüht war, sich am meisten an die Gesetze des aufnehmenden Landes anzupassen. Zur Zeit der Nationalitätenbewegungen war das Judentum immer ungarischer geworden. Da in diesem Fall die Assimilation freiwillig verlief, und parallel zur allmählichen Lockerung der die jüdische Bevölkerung betreffenden Beschränkungen immer größere Ausmaße annahm, hatten die zum Erlernen der ungarischen Sprache anregenden Gesetze hier keine negative Auswirkung. Vom 18. Jahrhundert an erschienen ungarische Sprachbücher für Jiddisch-Sprechende, in erster Linie in lateinischer, später in deutscher Mittlersprache. Auch vom Gesichtspunkt der sprachlichen Planung aus gibt es eine Abweichung von den anderen Sprachen: das im Grunde genommen auf der Basis des Deutschen beruhende Jiddisch ist ein Dialekt und Umgangssprache in der Familie geblieben, dann im Zeitalter des Dualismus, wegen des Bedarfs der größeren Assimilierung ging man allmählich zur Verwendung der ungarischen Sprache über, veränderten sie ihre deutsch klingenden Familiennamen in ungarische Namen, schickten sie ihre Kinder gern in die Schulen anderer Konfessionen, und die klassische hebräische Sprache wurde nur in dem mit der Religion zusammenhängen Unterricht gelehrt.

Eine Volksgruppe mit großer Anzahl, die aber verstreut lebte, sind die Zigeuner. Die Nationalitätenpolitik wandte sich erst in den letzten zwei-drei Jahrzehnten den Zigeunern zu, doch heute werden die sprachlichen, religiösen, kulturellen Besonderheiten und Besonderheiten der Lebensweise dieser Volksgruppe schon in selbständigen Roma-Forschungsprogrammen erschlossen. Vom sprachlichen Gesichtspunkt aus ist es determinierend, auf dem Gebiet welchen Landes sie leben, weil ihre Muttersprache die Wörter, die grammatischen Elemente der aufnehmenden Kultur in der Mehrheitssprache übernimmt, außerdem hat die Zigeunersprache noch mehrere archaische Varianten. In unseren Tagen können wir zu Zeugen der Normierung der Sprache, zur Schaffung der Hochsprache werden. Vom Unterrichtswesen werden schon viel komplexere, vor allem politische und soziale Probleme aufgeworfen: einander widersprechenden Auffassungen kann man im Zusammenhang mit der Organisierung der von den Mehrheitskinder getrennten, sogenannten „Zigeunerklassen” begegnen, und einstweilen wird die Wahl der Unterrichtssprache noch von Debatten begleitet. In Ungarn wird vom Gesetz Nr. LXXVII aus dem Jahre 1993 über die Minderheiten auch das Zigeunertum als gleichberechtigte Minderheit anerkannt, das Gesetz sichert ihnen umfangreiche Rechte.

Für die meisten der im Karpatenbecken lebenden Ethnien begann der Prozess der Nationswerdung im 18.-19. Jahrhundert, der in jedem Fall von der Ausarbeitung der Nationalsprache ausgeht. Im Allgemeinen wird noch vor deren Realisierung das Recht auf den Unterricht in der Muttersprache gefordert, wo das Ungarische auch als Schulfach nicht gern gesehen wurde, ganz zu schweigen als Unterrichtssprache der Fächer. Die Bestrebungen und Diskussionen im Zusammenhang mit der Normung bedeuteten zu Beginn nicht die Konfrontation mit dem Ungarischen als landesweit gebrauchter Hauptsprache, dies erscheint eher als Rückprojizierung späterer Zeiten; vom ersten Drittel des 19. Jahrhunderts an, als man auch schon das auf die Sprache orientierte institutionelle System schaffen wollte, stieß man schon in vielen Fällen gegen ungarische sprachpolitische Interessen. Da jedoch der Schulträger des Nationalitätenunterrichts in der Volks- und in der Mittelschule überwiegend die Kirche ihrer Muttersprache war, haben sich die Assimilationsmaßnahmen der ungarischen Staatssprache auch zu Beginn des 20. Jahrhunderts nicht als erfolgreich erwiesen, mehr als 80% der Bevölkerung mit nicht ungarischer Muttersprache sprachen das Ungarische nicht. Zur Natur des für diese Epoche typischen Nationalismus gehörte auch das hinzu, dass die Vertreter des für die Rechte der ungarischen Sprache geführten Kampfes jahrzehntelang keine Notiz von den Anforderungen der ähnlichen Rechte anderer Völker nahmen, sie maßen einfach den Forderungen ethnischer Natur keine Bedeutung bei. Während der Annäherung an die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert begründeten sie die immer umfangreicher werdende Einmischung in das Unterrichtswesen der Nationalitäten damit, dass es das Interesse aller Bürger Ungarns ist, die Staatssprache in einem hohen Maße zu erlernen, damit dadurch ihr Vorankommen unterstützt wird. Heute protestiert eigentlich keine einzige Minderheit gegen den Unterricht der Sprache des Staates. Der Konflikt wurde früher und wird auch heute noch dadurch ausgelöst, wenn die Mehrheit die Unterrichtssprache, bzw. die Inhalte der einzelnen, die Selbstidentität betreffenden Unterrichtsfächer ihrer eigenen Betrachtung nach herausgestalten will. Die Folgen der Verbreitung der ungarischen Staatssprache haben sich in der Wirklichkeit wirklich erst in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, in der mit dem Ende des Ersten Weltkriegs herausgestalteten neuen politischen Situation, als die Mehrheits- und die Minderheitssprache als politischer Begriff um einen neuen Bedeutungsgehalt erweitert wurde, und neben der inneren Gesetzgebung der Länder auch die ihre Verhältnisse regelnden ersten internationalen Vereinbarungen auf den Plan traten (Saint Germain, 1919). Die die Ländergrenzen umgestaltenden internationalen rechtlichen Dokumente formulierten Empfehlungen in Bezug auf den rechtlichen Status der Minderheiten, auf die Rechte des Unterrichts und des Sprachgebrauchs, auf die Religionsfreiheit. Diese wurden dann entsprechend ihren nationalen Interessen und den früheren Beleidigungen von den neuen mittelosteuropäischen Nationalstaaten interpretiert und so gestalteten sie ihre eigene Mehrheiten- und Minderheitenrechtsordnung heraus.

 

3. Die Fragen der sprachlichen Rechte und des Unterrichts – aufgrund des Ungarischen, einer der Konfliktsprachen der Region

Der Frage der sprachlichen Rechte kann man sich auch von mehreren Seiten her nähern, so von Seiten der Verwaltung, der Unterrichtspolitik und der Religionsfreiheit. Das Recht auf den Unterricht in der Muttersprache ist von herausragender Bedeutung, betrifft es doch einerseits die umfassendsten Volksschichten, andererseits beeinflussen Sprache und Inhalt des Unterrichts die Entwicklung der Identität. Es reicht nicht aus, die Muttersprache nur als Unterrichtsfach zu lernen, weil diese zwar bei der Aneignung der Hochsprache und der Entfaltung der Kommunikationsfähigkeiten hilft, doch entwickelt dieser Umstand nicht das Zugehörigkeitsgefühl als solches. Deshalb ist es erforderlich, auch die Traditionen, die Ortsgeschichte der konkreten Minderheit, die Geschichte, die Geographie und die Kulturgeschichte der Mutternation in der Muttersprache kennenzulernen. Bevor wir das sprachpolitische und unterrichtspolitische Bild der Lage der Region zeichnen, überblicken wir kurz die einzelnen Termini.

Der Begriff der vernakularen Sprache (lingua vernacula) bedeutet in unserer Interpretation, dass die auf dem Territorium des Landes bzw. in den kleineren Regionen, z. B. in den von Nationalitäten besiedelten Gebieten, im alltäglichen Gebrauch verwendete Sprache keinen amtlichen Status hat (entweder deshalb, weil man sich noch nicht mit der politischen Rolle der Sprache befasst hat, oder deshalb, weil sich das Über- und Unterordnungsverhältnis der Sprachen herausgebildet hat). Demgegenüber ist die Staatssprache eine offizielle, in der von Gesetzen deklarierten Form über einen vollständigen Kompetenzbereich verfügende Sprache, die auf den Gebieten der Verwaltung, in der Gesetzgebung und auf den höheren Ebenen des Unterrichts über dem Volksschulwesen allein anerkannt ist. Im Falle Ungarns war die Staatssprache Jahrhunderte hindurch das Lateinische, eine kurze Zeit hindurch das Deutsche, und dann erst danach das Ungarische (seit 1844). Die lingua franca war im internationalen Beziehungssystem des Ungartums Jahrhunderte hindurch das Lateinische, diese Sprache hatte für alle Völker und Kulturen Europas dieselbe Mittlerrolle eingenommen. In der Region hatte die deutsche Sprache eine ähnliche Funktion, bzw. in Gebieten mit gemischten Sprachen auch das Ungarische, demnach haben mehrere linguae francae gleichzeitig existiert. Der Status der Minderheitensprache ist politisch determiniert, und auf jeden Fall von beschränktem Gebrauch, außerdem ist für diese über die territorialen mundartlichen Besonderheiten auch der Einfluss der Mehrheitssprache charakteristisch.

3.1 Der Status der ungarischen Sprache im Karpatenbecken wird von einem mehrfachen Oppositionssystem bestimmt, für das im Allgemeinen charakteristisch ist, dass es von der jeweiligen historischen und politischen Situation herausgestaltet und verändert wird. Überschauen wir die Jahrhunderte, die vom Ungartum im Karpatenbecken verbracht wurden, hat sich der Status der ungarischen Sprache wie folgt verändert:

– Die von den landnehmenden und den Staat organisierenden Ungarn natürlich (doch nicht durch Gesetze geregelt) verwendete „Staatssprache”, die wichtigste Sprache des Landes, die von den einzelnen Sprachen der Regionen um Elemente ihres Wortschatzes bereichert wurde; dies wird in der Folgezeit wechselseitig, doch besteht zwischen den Sprachen der Region kein Widerspruch;

– die in der Region verwendete(n) Sprache(n) wird/werden von einer Fremdsprache auf die Ebene der alltäglichen Kommunikation hinabgedrängt, die als Mittel der internationalen Kommunikation bzw. mit der Absicht der kulturellen oder politischen (wirtschaftlichen) Kolonisierung in der Verwaltung und im Unterricht eingeführt wird; im Falle des Ungarischen ist dies das Lateinische und später das Deutsche;

– von den auf dem Territorium der Region gebrauchten vernakularen Sprachen tritt die eine, deren Position und Backgroundbasis die stärkste ist (in unserem Falle das Ungarische), gegen die sie in den Hintergrund drängende Fremdsprache auf, und versucht mit Hilfe des Rechts, sowie der muttersprachlichen Literatur (Schriftlichkeit) im umfassendsten Sinne des Wortes, der Wissenschaft und des Unterrichts in eine vorteilhaftere Situation zu gelangen.

– Infolge der Veränderungen in der historischen Situation und infolge des Prozesses der Nationswerdung werden die in der Region gebräuchlichen anderen Sprachen gegen die vorher aufgestiegene Sprache gewendet. Ihre eigenen sprachlichen Bewegungen machen anfangs die Veränderung ihres sprachpolitischen Status noch nicht möglich, deshalb schreiten sie eher zur Bewahrung eines früheren Zustands bzw. zu seiner Wiederherstellung zurück (z. B. wählen die Kroaten zuerst das Ungarische gegenüber dem Deutschen, dann treten sie mit dem Stärkerwerden der illyrischen Bewegung gleichzeitig für das Lateinische auf den Plan). Die sprachlichen und politischen Kämpfe werden im 19. Jahrhundert immer stärker von Autonomieforderungen, dann von Bestrebungen des Losreißens erfüllt;

– Infolge des Ideals „eine Sprache – ein Nationalstaat“ französischen Ursprungs bildet sich im Karpatenbecken die sprachliche Hierarchie Mehrheitssprache – Minderheitssprache heraus, die sowohl im Falle der ungarischen Sprache als auch der übrigen Sprachen eine Duplizität hervorbringt: die Sprachen der Region existieren nach dem Zerfall der Monarchie auf dem Territorium Ungarns als Minderheitensprachen, in ihren eigenen Staaten als Mehrheitssprache; das Ungarische nimmt innerhalb der Landesgrenzen einen Mehrheitsstatus, außerhalb der Landesgrenzen einen Minderheitenstatus ein.

Aufgrund der vorstehend umrissenen Oppositionen kommen unterschiedliche sprachpolitische Gebilde zustande, deren Funktionieren abhängig ist:

– von den die konkrete Form zustande bringenden allgemeinen politischen, innerhalb dieser sprachpolitischen Umständen (z. B. vom /individuellen und kollektiven/ Charakter der staatsbürgerlichen und Nationalitätenrechte, von der Formuliertheit und Unterstütztheit der sprachlichen Rechte;

– vom Charakter des mit dem konkreten Status zusammenhängenden institutionellen Systems, vor allem des Unterrichtssystems und innerhalb dessen vom Inhalt der sprachlichen (muttersprachlichen und fremdsprachlichen) Studien;

– vom Charakter der Verwirklichung im Alltag (z. B. vom Kreis der Benutzer, von der Aufwendung und dem Nutzen).

Die sprachpolitischen Veränderungen werden in jedem Fall von den allgemeinen nationalstrategischen Tendenzen (Formulierung der Toleranz, der Assimilationsbestrebungen, der rechtlichen Garantien auf konstitutioneller Ebene usw.) bestimmt. Als Schlüsselfrage kann aufgefasst werden, ob

– die unter äußerer Wirkung eingeführte und für die Region einheitliche Fremdsprache dem Land behilflich ist bei der Funktion der Staatlichkeit des Landes auf dem Gebiet der internationalen Beziehungen und der Kultur;

– ob eine lingua franca oder mehrere linguae francae vorhanden ist/sind;

– mit welcher Nationalitätenpolitik welchen Typs (Mehrheitssprache – Minderheitssprache) der Zerfall des Gleichgewichts zwischen den vernakularen Sprachen innerhalb des Landes verbunden ist, und in welchem internationalen politischen Umfeld dies sich realisiert.

3.2 Von den dargestellten Oppositionen und den sprachpolitischen Statusveränderungen wurden im Karpatenbecken nachstehende Unterrichtsvarianten der ungarischen Sprache hervorgebracht:

– der Unterricht des Ungarischen als Muttersprache als offizielles Unterrichtsfach in der Schule,

– der Unterricht des Ungarischen als Sprache des Umfelds im weiteren Sinne des Wortes (als Zweitsprache) für die in Ungarn lebenden anderen Ethnien,

– der Unterricht des Ungarischen als Minderheiten-Zweitsprache in den Nachfolgestaaten,

– der Unterricht des Ungarischen als Sprache des Umfelds im engeren Sinne des Wortes für die Mehrheit (Modell in der Vojvodina),

– der Unterricht des Ungarischen als Fremdsprache in Ungarn,

– der Unterricht des Ungarischen als Fremdsprache für solche Volksgruppen in der Region (wie z. B. für Österreicher, Italiener, Tschechen), mit denen das Ungarntum in der Beziehung einer Staatengemeinschaft gelebt hat.

Eines der aktivsten Funktionsgebiete der Sprachpolitik ist – neben der Verwaltung – der Unterricht. In der Herausgestaltung der Identität, in der Sozialisierung des Individuums, in der Festlegung seiner gesellschaftlichen Stellung spielt der Unterricht in der Muttersprache eine wichtige Rolle, wo die Sprache nur ein Unterrichtsfach bildet.

Es müssen die territorialen Mehrheits- und Minderheitsvarianten des muttersprachlichen Unterrichts der Schüler mit ungarischer Muttersprache unterschieden werden, weil während erstere im vollständigen, aufsteigenden, staatlich unterstützen Unterrichtssystem wirkt, wird letztere durch die von der Mehrheit mit anderen Sprache angenommenen Sprach- und Unterrichtsgesetze beschränkt und beeinflusst. Die Mehrheit der ungarischen Schüler im Mutterland ist einsprachig, demgegenüber lernen in den Schulen der Minderheitengebiete Kinder, die auf irgendeiner Stufe der Zweisprachigkeit stehen. Dieser Fakt schlägt sich auch in der Zusammenstellung der Unterrichtsmaterialien nieder.

Ein vom vorstehenden Bild abweichender Unterricht der ungarischen Sprache hat sich für die auf dem Territorium Ungarns lebenden anderen Volksgruppen von anderem Ethnikum herausgebildet. Die Einführung der ungarischen Sprache war allmählich erfolgt, und jeder einzelne Schritt war vom Protest der Nationalitäten begleitet worden. Der Prozess wurde dadurch verlangsamt, dass es nicht genug Unterstufenlehrer gab und dass auch die entsprechende Methodik nicht vorhanden war. Der Assimilationsprozess, dem die Nationalitäten zur Zeit der sogenannten „Magyarisierung” mit mehr oder weniger großem Erfolg Widerstand leisteten, erschien in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts schon in einer anderen Form, als natürliche Assimilation. Infolge der Beschleunigung dieses Prozesses hat sich auch die Struktur der Nationalitätenschulen verändert: das Erlernen der ungarischen Sprache ist zwar auch heute Pflicht, doch verlangt das Erlernen der eigenen Hochsprache, die sich von ihrer im alltäglichen Leben gebrauchten vernakularen, häufig archaische Merkmale tragenden Muttersprache unterscheidet, eine viel größere Energie. Die heutige Sprachenpolitik in Ungarn ist bestrebt, die Nationalitätensprachen zu erhalten und zu entwickeln1–unter anderem aus dem Grund, weil sie hofft, dass ihr Vorbild in den Nachbarländern auf Nachfolger findet, sowie aus dem Grund, weil es bis zur Gegenwart offensichtlich geworden ist, dass die Muttersprache und die Kultur der Minderheiten nur mit Hilfe der sogenannten „positiven Diskriminierung” erhalten werden kann, und Ungarn ist diese Verpflichtung mit der Unterzeichung der verschiedenen internationalen Verträge eingegangen.

Die ungarische Sprache wird aber auch als Fremdsprache unterrichtet: in Ungarn (im zielsprachlichen Milieu) und im Ausland (im quellensprachlichen Milieu). In diesen Fällen dominieren die geringe Bekanntheit des Ungarischen, sowie mehrere methodologische Mängel, die die Vorstellung von der Unerlernbarkeit der Sprache festigen.

Im 18. und 19. Jahrhundert war der verstreute Unterricht der ungarischen Sprache ohne Vorgeschichte und ohne Fortsetzung charakteristisch, und die Erlerner des Ungarischen stammten aus jenen Ländern, zu denen Ungarn direkte historische Beziehungen unterhielt. Später wurde, und dies ist der Verbreitung der Sprachvergleichung und der Entfaltung des Hochschulwesens zu verdanken, das Ungarische an den Universitäten von immer mehr Ländern – als nicht indogermanische Sprache – als studierbares Studienfach eingeführt. In den vergangenen Jahrzehnten werden die das Ungarische studierenden Studenten außer von dem linguistischen Interesse vor allem von der Herkunft, von der Besonderheit und der Interessantheit, bzw. von der Mitte der 80er Jahre an auch von den politischen Veränderungen dazu motiviert, gegenwärtig bedeutet die eventuelle Aufnahme Ungarns in die Europäische Union eine neue Anregung für das Erlernen der ungarischen Sprache.

Eine wichtige Motivation auf dem Territorium Ungarns bedeutet die Absicht der Ansiedlung, die Arbeit bzw. die familiären Bindungen – dies ist aber für alle Einwanderer und alle Aufnahmeländer charakteristisch. Jahrhundertelang dominierte das spontane Erlernen der Sprache, die institutionellen Anfänge sind im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts erschienen. Das gegenwärtige System gliedert sich in zwei große Teile, auf die Hochschuleinrichtungen und auf die Formen des privaten Lernens (Sprachschulen, tutorales System). Im ersteren Fall war die wichtigste Motivation das Erreichen des zum Studium erforderlichen sprachlichen Niveaus, im zweiten Fall ist das Ziel die Aneignung der in den alltäglichen Lebenssituationen unentbehrlich notwendigen grundlegenden Kommunikation. (Hier sei bemerkt, dass es sich lohnen würde, die Gültigkeit des Minderheitengesetzes auch auf in großer Zahl einwandernde Minderheiten auszudehnen wie z. B. auf die Chinesen. Die Anpassung der an sich schon über abweichende kulturelle und sprachliche Traditionen verfügenden, obendrein ihren Boden verlorenen Einwanderer würde in einem hohen Maße durch die ihnen gesicherte Selbstorganisationsmöglichkeit erleichtert werden.)

3.3 Den Fragenkomplex der sprachlichen Rechte, des Unterrichts und der Minderheiten überblicke ich nachstehend aufgrund der allgemein bekannten Kategorien von Tova SKUTNABB-KANGAS. Der bekannte Wissenschaftler untersucht vom Gesichtspunkt des Unterrichts aus die Ein- und Zweisprachigkeit, das Problem der Assimilation und der Integration, die auf sprachlicher Grundlage erfolgende Diskriminierung, außerdem beschreibt er die im Mehrheiten- und Minderheitenrelationssystem vorkommenden Unterrichtsmodelle (-programme).2 Auch für uns sind diese Formationen lehrreich, weil wir im mittelosteuropäischen Raum ähnlichen begegnen können. Zur gleichen Zeit sehen wir auch, dass in mehreren Fällen der Bedeutungsinhalt der einzelnen Kategorien umgedeutet oder ergänzt werden muss, entsprechend den eigenen Traditionen.

Das sogenannte „submersion programme” bedeutet, dass den die Sprache der Mehrheit nicht sprechenden Kindern nur der Unterricht in der Mehrheitssprache gesichert wird. So nimmt Prestige und Anwendungsgebiet der Muttersprache stark ab, und ein geradliniger Weg führt hin zur sprachlich-kulturellen Assimilation, hin zur Aufgabe der ursprünglichen Identität. Keine einzige magyarisierende unterrichtspolitische Verordnung im Ungarn des 19. Jahrhunderts hatte ein derartiges Programm enthalten, doch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, in den 50er und 60er Jahren sank der Nationalitätenunterricht auf dieses Niveau. (Hier gibt es aber einen gewissen inhaltlichen Unterschied, weil die Angehörigen der Nationalitäten in Ungarn neben den lokalen Dialekten auch schon sehr gut die ungarische Sprache sprachen.) Dieser Begriff kann vielleicht besser in Bezug auf die tschechoslowakische Unterrichtspolitik für die Minderheiten zwischen 1945 und 1948 verwendet werden: in dieser Zeit wurden die muttersprachlichen Schulen geschlossen, und so konnten die in der „ungarischen Ära” (1938-1945) geborenen, Slowakisch nicht oder nur auf einem niedrigen Niveau sprechenden Kinder nur in der Sprache der Mehrheit lernen.

Das sogenannte „transitional programme” ist, was das Endergebnis anbelangt, dem vorstehenden ähnlich, obwohl in diesem in den ersten Jahren ein muttersprachlicher Unterricht gesichert wird. Dies bedeutet aber nicht gleichwertige sprachliche Rechte mit denen der Mehrheit, weil es nur dazu diente, in der Folgezeit die Veränderung der Unterrichtssprache vorzubereiten. Diese Form ist in Europa in erster Linie für die Einwanderer aufnehmenden westeuropäischen Länder bezeichnend, wo man so die Aufnahme der Völker mit anderer Sprache und Kultur erreichen will. Doch finden wir auch im untersuchten Raum diese Bestrebung, es reicht aus, wenn wir nur auf die Folgen der Schaffung von „Zentralschulen” verweisen. Hier ist vom Schließen der „Zwergschulen” mit ein bis zwei Unterstufenlehrern die Rede, die in der Muttersprache unterrichteten, die zumindest in der Unterstufe der allgemeinbildenden 8-Klassen-Schule den auf die lokale Sprachvariante aufbauenden Unterricht sicherten. Die an ihre Stelle tretenden Schulen waren in den meisten Fällen zum Minderheitenunterricht ungeeignet, vor allem im Falle von Siedlungen, in denen mehrere Nationalitäten wohnten.

Wegen des stark intoleranten nationalen Charakters ist in Ostmitteleuropa die Chance für die Realisierung des Hineintauchens („immersion programme”) klein, dazu also, dass die Mehrheit freiwillig den Unterricht in der Minderheitensprache wählt. Es gibt jedoch einige Beispiele, die erwähnt werden müssen, obzwar sie nicht ganz in den Gehalt des obigen Begriffs hineinpassen: Am Ende der 80er Jahre schickten in Rumänien entlang der Grenze rumänische Familien ihre Kinder gern in den ungarischen Kindergarten und in die Unterstufe der ungarischen Grundschule, weil sie mit ihrer Hilfe das Programm des ungarischen Fernsehens, das viel interessanter war als das rumänische, verstehen konnten. Auch der in der jugoslawischen Vojvodina eingeführte Unterricht in der Sprache der Umgebung könnte hierher gehören, dort lernten die serbischen Schüler die Sprache der Minderheit (sonst nichts!) aber nicht freiwillig, sondern als Pflichtfach. Zu dieser Erscheinung könnte gegenwärtig, obwohl die Motivation eher, die Nützlichkeit ist, Folgendes gezählt werden: der Fall der in die deutschen Minderheitenkindergärten, Minderheitenschulen Ungarns angemeldeten Kinder, deren Muttersprache nicht Deutsch ist.

Vom Gesichtspunkt der Minderheiten aus ist am humansten und idealsten die Form der Spracherhaltung oder der Sprachförderung (language maintenance programme), die den Schülern mit der Muttersprache der Minderheit die Möglichkeit sichert, sich die Kenntnisse in der Muttersprache anzueignen, die Mehrheitssprache in der Sprachstunde zu erlernen. Heute gibt es in allen Länder hierzu die Möglichkeit, in denen eine ungarische Minderheit lebt, doch nicht auf der gesamten Schulskala: der Grundschulunterricht ist sichergestellt, doch der Abschluss der Mittelschule oder der Berufsausbildung auf der Oberstufe kann auch gegenwärtig eher in der Sprache der Mehrheit erworben werden.

Eine extrem negative Variante dieses Modells ist das Segregationsprogramm, das überhaupt keine Möglichkeit zur Wahl bietet, sondern wo die Schüler, die eine Sprache mit niedrigem Ansehen sprechen, in schlecht ausgerüstete, mit schlecht ausgebildeten Lehrern versehene Schulen ihrer Muttersprache geschickt werden, und damit wird ihnen den Weg der Integration versperrt. Dies ist uns in Ostmitteleuropa nicht bekannt, obzwar von Seiten der Zigeunerminderheit die Furcht auftauchte, wenn wegen der Berücksichtigung der sprachlichen und kulturellen Besonderheiten die Organisierung von „Zigeunerklassen” oder „Zigeunerschulen” zur Sprache kam. (Das Gandhi-Gymnasium in Pécs ist ein gutes Beispiel dafür, wie eine gut ausgerüstete, auf ethnischer Grundlage organisierte Schule dem Prestige einer Sprache helfen kann, mittelbar kann sie auch dem gesellschaftlichen Aufstieg der zum konkreten Ethnikum Gehörenden dienen.)

 

4. Die Lehre der ostmitteleuropäischen Vergangenheit für die Zukunft

Der ostmitteleuropäische Raum ist der Schauplatz jener äußeren politischen Absichten und jener inneren Selbstverwirklichungsbestrebungen, die in einem hohen Maße die Stabilität der Region beeinflussen können. Die Erhaltung der sprachlich-kulturellen Identität, die Methode der Realisierung der Sprachrechte trugen sogar am Ende des 20. Jahrhunderts noch die Lasten der Sprachbetrachtung der nationalen Romantik. Nacheinander erließen die Slowakei, Rumänien, Serbien und die Ukraine ihre die Minderheiten benachteiligenden sprachlichen und Unterrichtsgesetze der Retorsion (indem sie auf die mehrere Jahrhunderte umfassende „ungarische Unterdrückung” verwiesen), und es ist nur der politischen Selbstorganisation nach der demokratischen Umgestaltung, dem langen und anhaltenden, auch die Möglichkeiten des Völkerrechts anwendenden Kampf zu verdanken, dass für die Minderheiten der erwähnten Länder noch ein muttersprachlicher Unterricht existiert. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren schon die ersten völkerrechtlichen Dokumente entstanden, die sich auch auf das Recht des Gebrauchs der Muttersprache erstreckten, doch hatten die sozialistischen Länder der untersuchten Region stillschweigend akzeptiert, dass die Fragen der nationalen Minderheiten innere Angelegenheiten des jeweiligen Staates sind. Diese Auffassung hat bis heute wirkende gesetzliche Auswirkungen, obzwar die betroffenen ostmitteleuropäischen Länder früher oder später alle Deklarationen und Empfehlungen in Bezug auf die Menschenrechte oder die sprachlichen Rechte unterzeichnen werden. Ein wichtiger Faktor ist, dass der Beitritt zur EU der gemeinsame Wunsch der Region ist, und ein wichtiges Kriterium hierzu ist – und dies ist gerade den Minderheiten der Mitgliedstaaten der EU (z. B. den Katalanen) zu verdanken, – die Sicherung der sprachlichen und kulturellen kollektiven Rechte, innerhalb dieser des Unterrichts in der Muttersprache für die Minderheiten. Für diese Rechte gibt es einen Bedarf, also ist das internationale Recht im Einklang mit dem Willen der Minderheiten tätig, damit auch die lokale Gesetzgebung die Bewahrung der Muttersprache auf einem hohen Niveau, unterstützt auch durch Unterrichtsinstitutionen, beruhigend regelt.

Für den Minderheitenunterricht in den ostmitteleuropäischen Ländern – gerade wegen der Abweichung der ethnischen und der Landesgrenzen – kann die Regionalität den Ausweg darstellen. Von der zweiten Hälfte der 90er Jahre an existieren schon gut funktionierende Institutionen entlang der Grenzen3, die den Mittelschul-, den Berufs- und den Hochschulunterricht in der Muttersprache der Minderheiten unterstützen. Diese Institutionen wären dann wirklich effizient, wenn die schon bestehenden Institutionen – aufbauend auf die sprachlichen, kulturellen, religiösen und wirtschaftlichen Traditionen des gegebenen Raumes – und auf die wirklichen Bedürfnisse miteinander kooperieren und eventuell auch in mehreren Sprachen unterrichten würden. Unter anderem würde dies vom Programm Cross Board Cooperation der PHARE unterstützt, das jedoch den Traditionen der Region widerspricht, denn es würde von oben, von der Ebene der Staatsgewalt aus die Arbeit der festgelegten Institutionen abstimmen, damit können aber die Fallen des Interessenwiderspruchs zwischen Mehrheit – Minderheit nicht umgangen werden. Eine aus mehreren Jahrhunderten stammende Erfahrung demgegenüber ist aber die, dass die interethnischen Kontakte dann effizient funktionieren, einander bereichernd, wenn sie von unten aus organisiert werden, wenn also die Bevölkerung mit unterschiedlicher Muttersprache und Kultur, indem sie die gemeinsamen Interessen erkennt, den Versuch unternimmt, die internationalen Förderungen, die in den bilateralen Verträgen enthaltenen Möglichkeiten zu nutzen. Die Sicherstellung des muttersprachlichen Unterrichts, Grundlage und einer der wichtigsten Faktoren der Kultur der Staatsbürger, indirekt jedoch des gesellschaftlich-wirtschaftlichen Nutzens, kann jedoch auch von diesem Standpunkt aus nicht in Zweifel gezogen werden.

 

Anmerkungen

1

Radó, Péter ( 1994)

2

Skutnabb-Kangas, Tove (1997)

3

Vgl. Kozma, Tamás (2002)

Literatur

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Nádor, Orsolya (2002): Nyelvpolitika. A magyar nyelv politikai státusváltozásai és oktatása a kezdetektől napjainkig [Sprachpolitik. Statusveränderung und Unterricht der ungarischen Sprache von den Anfängen bis zur Gegenwart]. Budapest: BIP.

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