Begegnungen
Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Band 21: 117–132.
LAJOS GÖNCZ
Sprachliche Rechte der Minderheiten in der Föderativen Republik Jugoslawien mit dem Auge des Psychologen
Die Rechte des Sprachgebrauchs des Ungartums in Serbien (in der Wojwodina)
1 Einführung
Überall auf der Welt leben Millionen Menschen als Minderheiten. Auch jeder siebente europäische Bürger gehört irgendeiner nationalen Minderheit an, ihre Gesamtzahl kann sogar die 100 Millionen Personen erreichen. In unserer Arbeit befassen wir uns mit den Ungarn in der Wojwodina. Diese Minderheit in Ostmitteleuropa ist nicht nur eine nationale, sondern zugleich auch eine sprachliche und eine konfessionelle Minderheit.1 Sie hält sich nämlich für zur ungarischen Nation und zur eigenen Minderheit gehörend, ihre Muttersprache gehört zu dem finnisch-ugrischen Zweig der nicht indogermanischen Sprachen, sie verwendet die lateinische Schrift und ist in der Mehrheit römisch-katholisch. Die größte Ethnie jenes Staatsgebildes, in dem sie lebt, hat die serbische Muttersprache, sie spricht also eine zur südslawischen Gruppe der indogermanischen Sprachen gehörende Sprache, verwendet die kyrillische Schrift und ist prawoslawischer Religion. Die Situation der Ungarn in der Wojwodina ist der Situation zahlreicher ostmitteleuropäischer Minderheiten ähnlich, so können die für sie geltenden Feststellungen, abgesehen von gewissen spezifischen Besonderheiten, auch auf diese bezogen werden können (Szépe 2000a: p. 132). Da heute bereits die Erkenntnis allgemein geworden ist, dass die Zukunft der Menschheit zu einem großen Teil von der Sicherstellung der Menschenrechte abhängt, und dass für den Frieden die größte Gefahr jenes Verfahren ist, wegen dessen die Minderheiten sich bedroht fühlen, ist die gesellschaftliche Anforderung immer nachdrücklicher, dass auch die Wissenschaften einen Beitrag zu deren Ausarbeitung leisten und auf die Möglichkeit ihrer praktischen Anwendung verweisen sollen. Zur wissenschaftlichen Fundierung der sprachlichen Rechte und des Minderheitenschutzes kann in erster Linie die Rechtswissenschaft dienen, doch können auch zahlreiche andere Disziplinen dazu beitragen. In einem gesteigertem Ausmaß gilt dies für die Psychologie, die sich mit dem Verständnis und der Voraussagung des menschlichen Verhaltens beschäftigt, das Funktionieren der Gesellschaft aber hängt von dem Verhalten und den Interaktionen der in ihr lebenden Menschen ab. Die psychologischen Kenntnisse können zweifelsohne das Funktionieren der modernen Gesellschaften auf zahlreichen Gebieten unterstützen, so auch auf dem Gebiet der Sicherstellung der Menschenrechte, innerhalb dieser der sprachlichen und Minderheitenschutzrechte.
Wenn wir den Inhalt der sprachlichen Rechte berücksichtigen und den Umstand, mit welchen anderen Rechten sie zusammenhängen2, werden die psychologischen Beziehungen dieser eindeutig. Falls nämlich jemand im Gebrauch seiner Muttersprache behindert wird, er seinen Glauben nicht in dieser Sprache praktizieren kann, und nicht den entsprechenden Unterricht genießen usw. kann, beeinflusst all das stark seine Situation in der Gesellschaft und sein ganzes Verhalten.
Die psychologische Untersuchung dessen, was für Einwirkung das Individuum oder die Gruppe in einer heterogenen Gemeinschaft betreffen (was zum größten Teil von den geltenden Gesetzen abhängt), und wie es diese am vollständigsten erlebt, kann durch die Unterscheidung der dazugebenden (additiven) und vertauschenden (subtraktiven) Situationen der Zweisprachigkeit (bzw. mit dem Begriff der auf ihren Einfluss entstehenden additiven und subtraktiven individuellen Zweisprachigkeit) durchgeführt werden3. Das Begriffspaar verweist auf den Umstand, ob die Mitglieder oder Gruppen einer heterogenen Gemeinschaft aufgrund ihrer ethnischen / kulturellen / sprachlichen / konfessionellen Zugehörigkeit hierarchisiert werden.
Von einer additiven Zweisprachigkeitssituation sprechen wir, wenn die Nationalitäten, Sprachen und Kulturen des heterogenen Umfelds gleich gewertet werden, also wenn ihr Status annähernd gleich ist. Subtraktiv ist die Zweisprachigkeitssituation demgegenüber, wenn das Umfeld die eine Ethnie, die eine Sprache und Kultur wünschenswerter als die anderen hält, sie also bevorzugt. In der Wirklichkeit treten diese Situationen nicht als einander ausschließende und einander gegenüberstehende Kategorien auf, sondern bezeichnen die Endpunkte einer Geraden, mit zahlreichen Übergängen zwischen ihnen.
Von den psychologischen Forschungen wurde nachgewiesen, dass die stark um additive und subtraktive Elemente gefüllten Zweisprachigkeitssituationen – im Vergleich zur Einsprachigkeit – den Vorgang der seelischen Entwicklung modifizieren. In der additiven Zweisprachigkeitssituation können sich wegen der mehrerlei sprachlichen/kulturellen Einwirkungen die rationellen Potenzen des Kinder auch vollständiger entfalten (Peal & Lambert 1962; Göncz 1988), kann sein metasprachliches Bewusstsein (Göncz & Kodžopeljić), seine sprachliche und kulturelle Toleranz wachsen, kann sein Ethnozentrismus abnehmen. Die rationellen Potenzen des Kindes sind heute noch zum größten Teil nicht genutzt. Wenn wir es allen Kindern der Welt, dazu zählen auch die einsprachigen, ermöglichen würden, mit Hilfe des Unterrichts eine Zweisprachigkeit von additivem Typ zu entwickeln (und das ist kein unerreichbares Ziel, da jedes durchschnittliche Kind durch zusätzliches Lernen zweisprachig werden kann), würden die rationellen Potenzen der Menschheit in einem unvorstellbaren Maß wachsen. Im Falle der subtraktiven zweisprachlichen Situation kann aber die sozio-emotionale Entwicklung und die Entwicklung der Sprache Schaden davontragen, auch die kognitive Entwicklung kann sich verlangsamen. Wenn das gesellschaftliche Zur-Geltungkommen nur in der Mehrheitssprache möglich ist, dann vermittelt eine derartige Umgebung an die Minderheitenangehörigen jene Nachricht, dass ihre Sprache und Kultur nicht erwünscht ist, dass sie keine Funktion hat, dass sie aufgegeben werden muss. Abhängend von der Intensität und der Dauer der Einwirkung dieser Richtung kann dadurch die Sprache und Kultur der Minderheit gleichgültig, ja sogar unsympathisch gemacht werden. Zur gleichen Zeit können sich mit der Mehrheitssprache Erfolgserlebnisse assoziieren und diese anziehend machen. In derartigen Situationen beginnt der Wechsel der Sprache und meldet sich die doppelte Halbsprachigkeit: das Individuum kennt keine seiner Sprachen auf einem solchen Niveau wie die einsprachigen Sprecher der gegebenen Sprachen. Nähert man sich der Frage vom Gesichtspunkt der Lernpsychologie aus, „gestaltet” eigentlich die breitere Gemeinschaft mit Hilfe der Belohnung, der Bestrafung, der Außerachtlassung und mit deren „entsprechenden” Portionierung das Verhalten der Angehörigen der Minderheit, zwingt sie, die verachteten Verhaltensweisen aufzugeben und die mit zweckmäßigeren zu ersetzen. In motivationspsychologischer Hinsicht jedoch können die Elemente der wechselnden Situation für die Frustrationen auslösende, die Befriedigung von grundlegenden Bedürfnissen verhindernden Fakten gehalten werden, die Frustration aber ist ein Erlebnis, das emotional negativ gefärbt ist.
Eng mit der subtraktiven Zweisprachigkeit hängen die Begriffe Linguizismus und Ethnizismus zusammen (Skutnabb-Kangas, 1990). Diese sind in Wirklichkeit die modernen Äußerungen des Rassismus, solche Ideologien, die die Individuen und Gruppen einer heterogenen Gemeinschaft auf sprachlicher/ethnischer/kultureller Grundlage in eine Reihe stellen. Derartige Ideologien können die Gesetzgebung und über diese die Herausbildung der subtraktiven Zweisprachigkeitssituation beeinflussen.
Aus diesen Kenntnissen geht hervor, dass jene Rechtsnormen zu bevorzugen sind, in denen mehr additive Situationen schaffende Elemente als in den vorstehenden sind. Theoretisch wären nur solche Rechtsnormen wünschenswert, die ausschließlich additive Situationen zustande bringen würden, nicht nur wegen der Beseitigung der Diskriminierung, sondern auch aus dem Grund, weil sie es sichern würden, dass die Vorteile des potenziell anregenden mehrsprachigen und mehrere Kulturen habenden Lebensraumes zum Ausdruck gelangen können.
Vorstehende Gesichtspunkte halten wir vor Augen, wenn wir die jugoslawischen sprachlichen und Minderheitenschutzgesetze, deren mögliche psychologische Auswirkungen und die Rechte des Sprachgebrauchs des dort lebenden Ungartums analysieren.
2. Historischer Überblick
2.a Geschichte, geographische und demographische Verhältnisse
In der Geschichte des Ungartums in der Wojwodina (ungarisch: Vajdaság) können zwei große Abschnitte getrennt werden. Der erste beginnt mit der Ansiedlung des Ungartums im 9. Jahrhundert, als es die Pannonische Tiefebene, so auch die heute als Wojwodina bezeichnete Region bevölkerte. Den in diesem Gebiet entstandenen humanistischen Zentren ist es zu verdanken, dass den hier lebenden Ungarn eine große Bedeutung bei der Entwicklung der Kultur des mittelalterlichen Staates zukam. Nach 1526, nach dem Zerfall des einheitlichen ungarischen Staates, fielen die Ungarn in der Wojwodina den Türken zum Opfer, oder aber flohen sie nach Norden, ihre Zahl ging sehr zurück. Das demographische Vakuum wurde mit einer serbischen Bevölkerung gefüllt.
Der zweite Abschnitt begann von den 1730er Jahren an, als zur Bevölkerung der verwüsteten Landstriche ungarische, deutsche, slowakische und ruthenische Einwanderer kamen. Der Geist des 18. Jahrhunderts stützte sich aber nicht mehr auf die reichen mittelalterlichen ungarischen kulturellen Traditionen dieses Gebiets, so spielte in den Prozessen der Nationswerdung das hiesige Ungartum nur eine marginale Rolle, und der bürgerlichen ungarischen Kultur kam in der schwungvollen Entwicklung des 19. Jahrhunderts nur mehr das Zurückbleiben hinter den Hauptströmungen. Im Ersten Weltkrieg brachten die Ungarn der Wojwodina große materielle und menschliche Opfer.
Die Wojwodina wurde am 25. November 1918 von Ungarn abgegliedert, und dieses Gebiet kam mit anderen südlichen Landschaften des historischen Ungarns zu dem am 1. Dezember proklamierten Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen, zum einheitlichen Staat der Südslawen. Das Staatsgebilde wird seit 1929 Jugoslawien genannt. Damals lebten in diesem Gebiet mehr als eine halbe Million Ungarn. So gelangten die Ungarn der Wojwodina in das Minderheitenschicksal der Neuzeit, in dem sie, die Batschka ausgenommen, die eine kurze Zeit mit einer Unterbrechung von dreieinhalb Jahren (von 1941 bis 1944 wurde es wieder an Ungarn angegliedert), seit mehr als acht Jahrzehnten lebt. Innerhalb dieser acht Jahrzehnte lebten die Ungarn im I. Jugoslawien (zwischen den beiden Weltkriegen), im II. Jugoslawien (unter Tito) (von 1945 bis 1991), seit 1992 jedoch im III. Jugoslawien (in der Föderativen Republik Jugoslawien), das aus zwei Republiken des Titoschen Jugoslawiens, aus Serbien und Montenegro entstanden ist. Innerhalb Serbiens, zu dem die Wojwodina gehört, unterschied sich der Verwaltungsstatus dieses Gebiets in den erwähnten Perioden: von der kleineren oder größeren Autonomie bis zu deren gesamten Beseitigung.
Auch aus diesem kurzen historischen Überblick ist zu entnehmen, dass das Gebiet der Wojwodina seit mehreren Jahrhunderten von einer außerordentlich heterogenen Bevölkerung besiedelt ist. So sind z. B. nach dem Machtwechsel nach dem Ersten Weltkrieg mehrere zehntausend Ungarn freiwillig nach Ungarn gezogen, viele wurden jedoch aus dem Land ausgewiesen, deshalb mussten sie es verlassen. Im Kreis der Ungarn ist die Zahl der Auswanderer auch seitdem kontinuierlich, nach Nord- und Südamerika, nach Australien, nach Westeuropa, in den 1990er Jahren sind wegen des ethnischen Bürgerkrieges viele geflohen, rund 50 000 sind nach Ungarn übersiedelt. Nach dem Weltkrieg wurde auch planmäßig eine serbische Bevölkerung angesiedelt (nach dem Zweiten Weltkrieg z. B. eine Viertel Million), die auf allen Gebieten des Lebens Vorrechte genossen, zur gleichen Zeit ist aus der Wojwodina die deutsche Bevölkerung verschwunden, die im Jahre 1941 332 200 Personen ausmachte. Hunderttausende Flüchtlinge kamen auch nach dem Zerfall Jugoslawiens in den 1990er Jahre in die Wojwodina, viele zogen aber ins Ausland. Infolge dieser ethnischen Bewegungen hat sich bis zur Gegenwart die ethnische Zusammensetzung der Bevölkerung verändert, ebenso das zahlenmäßige Verhältnis zueinander. Als typische allgemeine Tendenz ist hervorzuheben, dass das mehrere Jahrhunderte währende Zusammenleben zwischen den hier lebenden unterschiedlichen Volksgruppen in der Mehrheit der Bevölkerung die Achtung voreinander, die Anerkennung des Andersseins, eine Toleranz auf hohem Grade entwickelt hat. Zur gleichen Zeit haben sich auch in dieser Region unter dem Einfluss der von den jeweiligen Mächtekreisen vertretenen Politik die vor allem auf nationaler, kultureller und sprachlicher Grundlage hierarchisierten Mehrheits- und Minderheitsgruppen herausgebildet, und auch die letztere betreffenden unterschiedlichen Diskriminierungsformen traten auf. Keine der hier lebenden Volksgruppen bildete im Laufe ihrer Geschichte eine Ausnahme hiervon. Der Ethnizismus und der Linguizismus hat in einer weniger verhüllten oder einer verhüllteren Form auch das Leben der ungarischen Volksgruppe stark beeinflusst, vor allem in den vergangenen acht Jahrzehnten. (Göncz 1999: p. 49-60)
Das heutige, das III. Jugoslawien mit seinen 10 Millionen Einwohnern, und innerhalb Jugoslawiens auch Serbien, ist ausgesprochen ein Vielvölkerstaat. Aufgrund der Angaben der Volkszählung des Jahres 19914 besteht die Bevölkerung zu 62,7% aus Serben, zu 5% aus Montenegrinern, der Rest sind Minderheiten anderer Nationalitäten. Die sprachliche, ethnische, kulturelle und konfessionelle Vielfalt kommt vor allem in der nördlichen Provinz, in der Wojwodina zum Ausdruck, die mehr als 1/5 des Territoriums und der Bevölkerung der Republik Serbien ausmacht. Die Wojwodina besteht aus drei größeren Landschaften: dem Banat, der Batschka und Syrmien. Die Wojwodina besteht verwaltungsmäßig aus 45 Gemeinden5, die Zahl der Siedlungen beläuft sich auf 464. 99% der Ungarn Serbiens leben in der Wojwodina.
Aufgrund der Angaben des Jahres 1991 macht die Zahl der Bevölkerung der Wojwodina 2 013 889 aus. Am bedeutendsten ist die Zahl der Serben (1 143 727 – 56,8%), gefolgt von den Ungarn (339 491 – 16,9%), dann von jenen, die sich als Jugoslawen bezeichnen (174 295 – 8,7%), dann kommen die Kroaten (74 808 – 3,7%), Slowaken (63 545 – 3,2%), die Montenegriner (44 838 – 2,2%), die Rumänen (38 806 – 1,9%), die Roma (24 366 – 1,2%), sowie die Bunewazen (21 434), die Ruthenen (17 652) und die Makedoner (17 472). Die anderen ethnischen Gruppen, die unbekannten und die sich über ihre ethnische Zugehörigkeit nicht geäußert hatten, machten 2,65% der Bevölkerung aus.
Fast 3/4 der Ungarn leben in der Batschka, ein Viertel im Banat, in Syrmien erreichen sie nicht die 2% der Bevölkerung. 60% leben zentralisiert in 11 Gemeinden. 1991 bildeten sie in 81 Siedlungen die Mehrheit, 55% aller Ungarn lebten in solchen Siedlungen.
2.b Die sprachlichen und Minderheitenschutzrechte der Ungarn
in der Wojwodina zwischen 1918 und 1991
Die Bestrebungen der nach dem Ersten Weltkrieg entstandenen neuen Nationalstaaten, dass die Landesgrenzen zugleich auch zu ethnischen/sprachlichen Grenzen werden sollen, betrafen in erster Linie die in die Minderheit geratenen Ungarn, dass sich nach Ländern, nach gesellschaftlichen Einrichtungen und nach historischen Situationen Unterschiede in der Härte der Formen der Realisierung zeigten. Auch die Ungarn in der Wojwodina bildeten keine Ausnahme davon.
Obzwar vom südslawischen Staat nach dem ersten Weltkrieg die (übrigens sehr eng bemessenen) internationalen Garantien des Minderheitenschutzes anerkannt wurden6, hielt er in der Praxis mit seiner ausgesprochen diskriminierenden und verschmelzenden Politik die eingegangenen Verpflichtungen nicht ein, schuf die Bedingungen zur Anwendung der grundlegenden Minderheitenrechte (Schulbildung in der Muttersprache, Gebrauch der Muttersprache und im Allgemeinen die staatbürgerliche Rechtsgleichheit) nicht. Eine ganze Reihe von Rechtsverletzungen wurde den Ungarn in der Wojwodina zugefügt und zahlreiche Maßnahmen zielten auf die Zerstörung der Volksgruppe ab7. Der Abbau war vor allem auf dem Gebiet des Schulwesens stark zu fühlen (Tóth 1994: p. 9-12), und dies wirkte sich auch stark auf die sprachliche Lage des Ungartums aus. Das Recht auf Schulbildung in der Muttersprache, das für die 4- bzw. 6-jährigen Elementarschulen galt, verpflichtete den Staat, dort Minderheitenschulen zu eröffnen, wo die Minderheitenbevölkerung in höherer Zahl lebt. Von den neuen Schulbehörden wurden die ungarischen Elementarschulen in den Ortschaften mit ungarischer Mehrheit mit der Bedingung belassen, dass der ungarische Klassenzug mindestens 30 Schüler haben musste, die Lehrer mussten mit einem Staatsexamen nachweisen, dass sie die Staatssprache sprechen, denn sonst durften sie nicht unterrichten. Jene Schüler, deren Namen nicht ungarisch klangen, durften sich nicht zum ungarischen Zug melden, auch dann nicht, wenn sie sich als Ungarn bekannten („Namensanalyse”). Im fünften und sechsten Schuljahr wurde der Unterricht im Allgemeinen in serbischer Sprache gehalten. Die Zahl der ungarischen Klassenzüge nahm im I. Jugoslawien kontinuierlich ab. Dies bezog sich vor allem auf den Oberschulunterricht. Auch die ungarischen Züge der Gymnasien hörten allmählich zu bestehen auf, so dass bis zum Jahr 1939 in zwei Gymnasien, in denen zahlreiche Fächer in serbischer Sprache unterrichtet wurden, nur mehr 337 ungarische Gymnasiasten blieben.
Im II. Jugoslawien veränderte sich die Lage des Ungartums in der Wojwodina grundlegend. Anfangs fielen einige Tausend ungarische Einwohner den Säuberungsaktionen zum Opfer, die von der einige Monate tätigen Militärverwaltung veranstaltet wurden, danach nahm aber das Schicksal des Ungartums in der Wojwodina auf mehreren Gebieten einen Wandel zum Besseren. Die jugoslawische Variante des Sozialismus wurde aufgebaut, das System der sozialistischen Selbstverwaltung, ein Einparteiensystem (die Kommunistische Partei, bzw. der Bund der Kommunisten war an der Macht), das im Verhältnis zu den ähnlichen Systemen eine akzeptierbarere Lebensform ausbaute. Trotz aller Verzerrungen existierte in ihm eine Art von multikulturellem Zusammenleben im Interesse des empfindlichen ethnischen Gleichgewichts. Zur gleichen Zeit war das Erkennen und die Behebung der die ethnischen Gruppen erreichten Beleidigungen ausschließlich das Monopol der Partei, die Gründung von Organisationen auf ethnischer Grundlage war verboten. Von der kommunistischen Partei wurde auf allen ihren Parteitagen die wirtschaftliche, kulturelle und sprachliche Gleichberechtigung aller Minderheiten verkündet, dies wurde auch in zahlreichen, die Rechtsgleichheit regelnden Dokumenten formuliert. Der Anfang war vielverheißend, in den 50er Jahren bildete sich das institutionelle System der ungarischen Kultur in der Wojwodina heraus, das der Meinung vieler nach sehr literaturzentrisch war. Später blieben aber die weiteren Institutionalisierungsaktionen aus, ja ein großer Teil der bestehenden Institutionen wurde sogar in die serbischen Institutionen eingegliedert. Die Ungarn wurden bald auf allen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens in den Hintergrund verdrängt, auch in Bezug auf ihre Ausbildung wurden sie hin in Richtung der Berufe verschoben, wo die Kenntnisse der Universität und der Mittelschule nicht so erforderlich waren. So machten im Jahre 1969 in Serbien die Ungarn 4,8% der Gesamtbevölkerung des Landes aus, doch verfügten nur 2,4% von ihnen über ein Diplom. Auch für das Unterrichtssystem mit ungarischer Unterrichtssprache waren ähnliche Tendenzen charakteristisch. In den 50er Jahren war ein Unterrichtssystem ausgebaut worden, das auf dem Niveau der Grundschule der großen Mehrheit der ungarischen Schüler, auf dem Mittelschulniveau einem großen Teil, im Hochschulwesen jedoch es nur einem kleinen Teil ermöglichte, in seiner Muttersprache zu lernen bzw. zu studieren. Später wurden die serbischen und die Schulen mit Nationalitätensprachen (Gebietsschulen, Zentralschulen) vereint, dann wurde der berufsausgerichtete Unterricht eingeführt (die beiden ersten Schuljahre der Mittelschule waren einheitlich, dann kam ein nach Berufen ausgerichteter Unterricht, in dem die Berufe zu sehr aufgegliedert wurden), dies erschwerte dann sehr das Weiterlernen in der Muttersprache. Zu Beginn stieg die Zahl der Grundschüler sehr, dann nahm sie stark ab (von 40 000 im Jahre 1964 auf 23 000 in den 90er Jahren). Von der Mitte der 60er Jahre bis zur Gegenwart besuchten 20% der ungarischen Schüler den serbischen Zug der Grundschule, in der Mittelschule machte dieser Anteil die 35-40% aus, die Zahl der an Hochschulen studierenden ungarischen Jugendlichen ist seit Jahrzehnten sehr niedrig, nie hatte sie den Anteil erreicht, der dem Anteil der Ungarn entsprach (1992 z. B. betrug der Anteil der ungarischen Studenten an den Hochschulen und Universitäten der Wojwodina 6,9%, obzwar damals der Anteil der ungarischen Bevölkerung in der Wojwodina ungefähr 17% ausmachte. 59% von ihnen lernten in ihrer Muttersprache).
3. Die Regelung der Rechte der Minderheitensprachen und die Rechte des Sprachgebrauchs der ungarischen Minderheit in der Wojwodina im III. Jugoslawien
(von 1992 bis zur Gegenwart)
Mit dem Ausbruch des Krieges zwischen den südslawischen Völkern in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts, mit dem Zerfall des II. Jugoslawiens und der Gründung des III. Jugoslawiens (im Jahre 1992) haben sich die Lebensumstände der Ungarn in der Wojwodina wiederum bedeutend verändert. Ihre Zahl hat bedeutend abgenommen, sie sind benachteiligenden Situationen ausgeliefert, die unter den schwierigen wirtschaftlichen und den ständig wechselnden gesellschaftlichen und politischen Umständen in gesteigertem Maße wirken (z. B. Zwangsmobilisierungen, eine ganze Reihe von Maßnahmen zur Assimilierung), infolgedessen ist die Situation der ungarischen Ethnie in der Wojwodina in den letzten zehn Jahren außerordentlich unsicher.
Einem juristischen Gutachter zufolge wird im Jahre 2002 im III. Jugoslawien der Schutz der Minderheiten von 3 Verfassungen (der Verfassung des Bundesstaates und der beiden Republiken) und von 27 Gesetzen geregelt. Unter diesen befinden sich vor 1992 (in einem anderen System) angenommene Rechtsnormen, auch solche, die zwischen 1992 und 2001 in Kraft getreten sind, doch auch solche, die nach den Veränderungen des Jahres 2001 angenommen wurden8 . Da in diesen Dokumenten häufig auch einander widersprechende Vorschriften enthalten sind, spricht man auch von einem normativen Chaos. Natürlich kann nicht die Analyse aller unternommen werden, doch kann als allgemeine Tendenz festgestellt werden, dass von den neuesten Verfügungen einzelne Thesen der gegen die Minderheiten gerichteten, häufig diskriminierenden Regelung der 90er Jahre gemildert werden. Die praktische Realisierung wird jedoch auch heute von vielen nicht für ausreichend gehalten, der Sprachgebrauch der Minderheiten wird stark durch die noch gültigen älteren Verordnungen beschränkt.
Das Verhältnis der Gesetzgebung des III. Jugoslawiens zu den individuellen und kollektiven Rechten der Minderheiten wird von Varga (1995: p. 12-13) im Vorwort zum Band von Bozóki (1992) so charakterisiert, dass in den Verfassungen vielverheißende Verfügungen enthalten sind (obzwar auch diese von den kollektiven Rechten, von der Autonomie der Minderheiten schweigen), für die Außenwelt ein Empfehlungsschreiben darstellen dadurch, dass in einige Artikel auch einige Feststellungen aus den internationalen Dokumenten übernommen sind, die gesetzlichen Verfügungen jedoch derartige Rechte nur reduziert enthalten, die nationale Ausschließlichkeit widerspiegeln, ganz zu schweigen von jener alltäglichen Praxis, für die Gefühllosigkeit, Missachtung und Ungeduld charakteristisch sind. Seine Meinung, die sich auf die 90er Jahre bezieht, wird gut von nachstehenden Fakten beleuchtet:
1990 wurde in Serbien eine neue Verfassung angenommen9, in der nicht die Idee des Nationalstaates, sondern das Prinzip der bürgerlichen Souveränität fixiert wurde. Das die Gleichberechtigung und die Gleichrangigkeit der Gruppen der Minderheiten sichernde Rechtssystem beruht(e) aber in vielen Beziehungen nicht auf diesem Prinzip, so dass man eher von einer sich als bürgerlicher Staat gebärdenden nationalstaatlichen Rechtsregelung sprechen kann. Mit der Begründung, dass das frühere System die Minderheiten mit überdimensionierten Rechten versehen hatte (was zur Schmälerung der Rechte der Mehrheit führte), sind im III. Jugoslawien in erster Linie Rechtbeschneidungen auf dem Gebiet des Sprachgebrauchs und des Unterrichts vorgenommen worden.
Der Status der im III. Jugoslawien gesprochenen Sprachen, so des Serbischen und des Ungarischen (und der Sprachen, deren Status dem Ungarischen ähnlich ist, in der Wojwodina z. B. des Slowakischen, des Rumänischen und des Ruthenischen) wird von dem im Jahre 1991 vom Serbischen Parlament angenommenen „Gesetz über den amtlichen und den öffentlichen Gebrauch der serbokroatischen Sprache und der Minderheitensprachen”10 festgelegt. Diese Gesetz über die Sprache will die bedingungslose Gültigkeit der serbischen Sprache im amtlichen und öffentlichen Gebrauch, und den Primat der kyrillischen Schrift gegenüber der lateinischen sicherstellen. Der Gebrauch von anderen Nationalitätensprachen, so der ungarischen Sprache als öffentliche, amtliche Sprache wird nur als Ausnahme als allgemeingültig aufgefasst (z. B. in der richterlichen Praxis bei der Verfügung über das Dolmetschen vor Gericht), dies wird in die Kompetenz der Gemeinderäte, der Selbstverwaltungen verwiesen, aber als beschränkte territoriale Variante, als alternative Variante. Doch werden auch in solchen Fällen die Eigennamen, z. B. die Ortsnamen nicht als organische Bestandteile des Ungarischen aufgefasst (als ungarische Entsprechung für den Ortsnamen Senta kann also nicht Zenta stehen), doch wird dem Namen Senta als Transkription Szenta als „ungarische” Form beigeordnet. Zugleich wurde vom Gesetz die für gewisse Arbeitskreise obligatorische Zweisprachigkeit abgeschafft, die Kenntnis der Nationalitätensprachen wird also nicht für erforderlich gehalten.
Im Zusammenhang mit den Unterrichtsgesetzen der 90er Jahre11 werden von Tóth (1994: p. 123) nachstehende Einengungen aufgezählt:
– eine Nationalitätenklasse in der Grundschule darf nur im Falle des ausdrücklichen Wunsches von 15 / mindestens 15 Schülern tätig sein, für weniger Schüler darf ein Klassenzug nur mit einer Sondergenehmigung des Ministeriums eröffnet werden;
– der muttersprachliche Unterricht wird sozusagen mit dem zweisprachigen Unterricht identifiziert;
– die Kenntnis des Ungarischen ist für jene nicht obligatorisch, die in ungarischen Klassenzügen unterrichten (so kann unter Berufung auf Lehrermangel der muttersprachliche Unterricht mit dem Unterricht in der Staatssprache ersetzt werden);
– vom Gesetz wird auf der Mittelstufe die Einführung des zweisprachigen Unterrichts bevorzugt, die Einrichtung von ungarischen Klassenzügen wird von den Schulen von Jahr zu Jahr festgelegt, dadurch wird in den Eltern eine Unsicherheit ausgelöst.12
Auch diese beschränkenden Maßnahmen tragen immer dazu bei (neben den sonstigen, sich aus der Minderheitensituation ergebenden anderen Benachteiligungen), dass sich zwischen dem Status und den Funktionen der Sprachen einer gegebenen heterogenen Gemeinschaft große Unterschiede herausbilden. Dies wird auch von der Situation in der Wojwodina bestätigt. Die von den Gemeinschaften der Sprecher in der Wojwodina gesprochenen Sprachen unterscheiden sich sehr. Die serbische Sprache erfüllt in der Wojwodina nach der in der Soziolinguistik verwendeten Einteilung auf allen drei Ebenen der Sprachverwendung (der familiär-alltäglichen, der öffentlich-fachlichen, der publizistisch-belletristischen) restlos aller ihre Funktionen. Dies gilt für das Ungarische und die anderen Sprachen in einer ähnlichen Rechtsstellung aber nicht, der Bereich ihrer Funktionen ist bedeutend eingeengt, sie leben in der Gesellschaft ein reduziertes Leben. Der ungarische Sprachgebrauch in der Wojwodina ist auf der untersten Ebene, der familiär-alltäglichen, und (zum Teil) auf der obersten Ebene, der publizistisch-belletristischen Ebene aktiv, auf der Ebene des öffentlichen Lebens und des fachlichen Lebens dagegen kaum. Folge der Verarmung der Funktion ist, dass die Staatssprache gewisse Gebiete von der Minderheitensprache übernimmt (z. B. den Wortschatz der Verwaltung, die Fachsprachen), und dies gilt zum Teil auch für das öffentliche Leben (die Verwaltung, das Bildungsleben, das Unterrichtswesen, den Handel und das Gesundheitswesen usw.). Natürlich sind auch in unserem Fall die bekannten soziolinguistischen Gesetzmäßigkeiten bekannt:
– ohne die entsprechenden Lebensbedingungen – und dies bedeutet die vollständige Anwesenheit im Kreise der die Sprache als Muttersprache gebrauchenden Sprecher – verkümmert eine Sprache, und falls sie in die Privatsphäre verdrängt wird, verschwindet sie innerhalb von einigen Generationen.
– Die Verarmung der Funktionen einer nur partiell zur Geltung gelangenden Sprache kann durch nichts (weder durch die Sprachpflege, noch durch den Unterricht in der Muttersprache) vollständig ersetzt werden, den Schwierigkeiten kann man eventuell durch flexible Gesetze Abhilfe schaffen.
Dass der Gebrauch der Muttersprache der Ungarn in der Wojwodina auf gewissen Gebieten des Lebens stark beschränkt ist, und dass diese Gesetzmäßigkeiten ihre Auswirkungen verspüren lassen, wird auch von den Angaben einer 1996 durchgeführten Terrainforschung bewiesen. Den Lehren dieser Untersuchung zufolge (Göncz 1999: p. 123-132) verwenden die Ungarn in der Wojwodina schriftlich und am Arbeitsplatz gleich häufig die ungarische und die serbische Sprache. Obzwar auf allen anderen Schauplätzen des Sprachgebrauchs (in den Privatkontakten, beim Lesen, bei dem Hören und Sehen von Rundfunk- und Fernsehsendungen, auf anderen Gebieten) der Gebrauch der Muttersprache signifikant häufiger ist, verweisen die detaillierteren Analysen innerhalb der einzelnen Kategorien darauf, dass der Gebrauch der Muttersprache auf die Privatkontakte zurückgedrängt wurde, und in solchen offiziellen und formellen Sprachsituationen stark beschränkt ist, die mit der Verwaltung und dem Beruf zusammenhängen. In letzterem Fall dominiert die Mehrheitssprache. So werden z. B. im engeren familiären Umkreis 90% der verbalen Kommunikation in ungarischer Sprache abgewickelt, mit den Freunden und Nachbarn zu 59%, auch in der Privatkorrespondenz wird vor allem das Ungarische verwendet, auch die Belletristik und die Zeitung wird häufiger ungarisch gelesen. Doch in Schreiben im Zusammenhang mit dem Beruf sind nur mehr 41,5%, in Schreiben an Ämter aber nur mehr 33,5% ungarisch geschrieben, ähnlich ist der Anteil auch im Zusammenhang mit dieser Lektüre. In der Kirche wird beinahe ausschließlich das Ungarische verwendet, in den Geschäften, auf der Post und auch beim Arzt ist die Muttersprache im Durchschnitt häufiger als der Gebrauch der Mehrheitssprache (55%), doch auf der Bank, auf dem Gericht, in Ämtern und auf der Polizei dominiert schon die mehrheitssprachliche Kommunikation. Während in den Dörfern 64,3% aller Sprachverwendungen auf das Ungarische entfallen und 26,3% serbisch sind, liegen in der Stadt diese Proportionen bei 45% und bei 43,5%. Von geringeren Abweichungen abgesehen sind diese Proportionen auch im Falle der in anderen Ländern lebenden Sprecher der ungarischen Minderheit im Karpatenbecken ähnlich, mit der Bemerkung, dass in der Wojwodina die Muttersprache im Durchschnitt etwas häufiger verwendet wird. (Dies kann mit vielerlei Gründen, unter anderem auch mit der Siedlungsstruktur zusammenhängen, und bedeutet nicht unbedingt flexiblere Gesetze und im Allgemeinen eine größere sprachliche Toleranz). Diese Situation ist die Ursache dafür, dass den Angaben der erwähnten Forschung zufolge die Ungarn der Wojwodina der Meinung sind, dass sie an ihrem Wohnort nur mit Kenntnissen der Mehrheitssprache relativ leicht, mit Kenntnissen nur des Ungarischen kaum zurecht kommen können. Dies ist aber übrigens auch die Meinung aller ungarischen Sprachgemeinschaften der Minderheiten im Karpatenbecken. Dass der Gebrauch der Minderheitensprache die Alltage vergällen kann, zeigt auch die Angabe, dass 33% der Ungarn in der Wojwodina sagen, dass es ihnen schon passiert ist, dass sie zurechtgewiesen wurden, nicht die Muttersprache zu verwenden (in einer Gesellschaft, am Arbeitsplatz, im Autobus vom Schaffner, oder vom Polizisten), meistens auch mit einem Hinweis, „das hier ist nicht Ungarn, sondern Serbien”. Bei den anderen ungarischen Gemeinschaften im Karpatenbecken lag dieser Anteil bei über 50%.
Der Umstand, dass die in der Situation der Minderheit Lebenden ihre Muttersprache nur beschränkt verwenden können, hat auch andere Auswirkungen. Der wechselnde Gebrauch der beiden Sprachen hat auf individueller Ebene Interferenz-Erscheinungen zur Folge, diese nehmen bald einen Gemeinschaftscharakter an, und werden in das muttersprachliche und in das zweitsprachliche System der Sprecher integriert. Deshalb weichen beide Sprachen der Zweisprachigen bis zu einem gewissen Grade von der Sprache der beiden Sprachen als einsprachige Sprecher Sprechenden ab, und es bilden sich von den zweisprachigen Normen gesteuerte Kontaktvarianten heraus. So ist für die Muttersprache der Ungarn in der Wojwodina einerseits charakteristisch, dass sie eine Kontaktvariante ist, also bilden sich wegen des ständig vorhandenen Kontakts mit der Mehrheitssprache gewisse Spezifika heraus. Z. B. ist für alle ungarische Kontaktvarianten der Minderheiten im Karpatenbecken die Bevorzugung der analytischen Konstruktionen typisch, die Feminisierung und der ausdrucksvollere Gebrauch der Diminutivformen im Vergleich zum Sprachgebrauch der Ungarn in Ungarn. Andererseits kommen auch andere typische Besonderheiten vor: die Sprache hat eher einen mundartlicheren Charakter, da die Sprecher weniger Möglichkeiten zur Aneignung und zum Gebrauch der Standardsprache haben, und auch der sprachliche Konservativismus kommt vor: es werden Archaismen bewahrt und die Neologismen kommen seltener vor. Parallel hierzu sind auch gewisse Erscheinungen der spontanen Sonderentwicklungen zu beobachten, d. h. Ausdrücke, die wegen der abweichenden gesellschaftlichen Verhältnisse nur für die Kontaktvariante der Minderheit charakteristisch sind. Wegen der Beschränktheit des Sprachgebrauchs und wegen der geringeren Möglichkeit zum Üben wird der Sprachgebrauch der Minderheitensprecher unsicher, in erster Linie in den amtssprachlichen und fachsprachlichen Registern (Versprecher, zögernde Anwendung, falsche Wort- und Strukturwahl, Kontaminierungen von Strukturen sind charakteristisch). (Lanstyák – Szabómihály 1997: p. 5–6)
Die Beurteilung dessen, in welchem Maße sich die Gesetzgebung des III. Jugoslawiens an die internationalen Dokumente des Minderheitenschutzes und an die Normen des OSZE und des Europarates hält, die den europäischen Schutz der Minderheitenrechte betreiben, ist eine außerordentlich zusammengesetzte Frage. In den 90er Jahren nahm das Land wegen seiner internationalen Isoliertheit nicht an den neuesten internationalen und europäischen Bestrebungen zum Schutz der Minderheiten teil, so schloss es sich z. B. nicht an die Europäische Charta der Regional- und Minderheitensprachen an. Demgegenüber unterzeichnete es im Jahre 2001 das Rahmenabkommen über den Schutz der nationalen Minderheiten, weil es Mitglied des Europarates sein will.
In Bezug auf die internen Rechte haben die neueren großen politischen Veränderungen, die sich im Jahre 2001 zugetragen haben, günstigere Umstände sowohl für den Sprachgebrauch13, als auch auf dem Gebiet des Minderheitenschutzes14, diese lassen aber im wirklichen Leben die Auswirkungen noch nicht verspüren. Die Möglichkeit aber ist gegeben, dass sich die Minderheitenpolitik des Landes in der Zukunft konsequenter nach den auf den internationalen Foren angenommenen Leitprinzipien und Anforderungen richtet. So richtet sich z. B. das im Jahre 2002 verabschiedete Gesetz über den Minderheitenschutz, obzwar es noch Mängel hat15, auch in Bezug auf den Sprachgebrauch und die Fragen der Unterrichtsfragen schon besser nach den europäischen Normen. Da die juristische Regelung dieser Fragen auf die Wojwodina übertragen wurde, sind in der nahen Zukunft neuere, flexible, für die Minderheiten günstigere Maßnahmen zu erwarten, die zum Teil die schwierige (sprachliche) Situation der ungarischen Minderheit in der Wojwodina ausgleichen können.
4. Abschließende Gedanken
Abschließend kann festgestellt werden, dass im vergangenen Jahrzehnt für die Sprachgesetze und sonstigen juristischen Dokumente, die den Sprachgebrauch und den Minderheitenschutz der Ungarn in der Wojwodina regelten, sowie für die aufgrund dieser entstandene Praxis zahlreiche linguizistische und ethnizistische Elemente bezeichnend waren, und in ihrem Lebensraum die Merkmale der subtraktiven Zweisprachigkeitssituation im Übergewicht waren. Obzwar sich hiervon erst einige wenige Merkmale abzeichnen, sind in den vergangenen anderthalb Jahren die Möglichkeiten gegeben, dass an die Stelle dieser auf zahlreichen Gebieten die für die additive Zweisprachigkeit typischen Besonderheiten treten, und so die überhaupt nicht als leicht zu bezeichnende Situation etwas verbessern.
Anmerkungen
1
Die Minderheit ist nach der Definition von Capotorti (1979) eine in einer nicht dominanten Position befindliche, zahlenmäßig untergeordnete Gruppe im Verhältnis zum anderen Teil der Bevölkerung des Staates, deren Angehörige, da sie Staatsangehörige dieses Staates sind, über von dem anderen Teil der Bevölkerung abweichende ethnische, konfessionelle oder sprachliche Besonderheiten verfügen und – wenn auch nur stillschweigend – einen Geist der Zusammengehörigkeit aufweisen, der auf die Bewahrung ihrer Kultur, ihrer Konfession oder ihrer Sprache abzielt. Für das Ungartum in der Wojwodina ist vorstehende Definition auch dann gültig, wenn wir ihre Zugehörigkeit zu der Gruppe nicht aufgrund von objektiven Indizes bestimmen, sondern als Frage des Sich-Bekennens (also als ein subjektives Kriterium) verstehen, weil es eng mit ihrer eigenen Minderheit verbunden ist (Göncz, 2000: p. 85).
2
Zu den sprachlichen Rechten gehört das Recht der Aneignung und des Gebrauchs der Muttersprache, das Recht der Aneignung der Amtssprache des Staates, das Recht der freien Wahl und des Lernens der Fremdsprachen, das Recht der Bekämpfung der Kommunikationsnachteile, das Recht, dass jeder sich mit jedweder Sprache identifizieren kann und in dieser unterrichtet werden kann, all das hängt mit der Redefreiheit, mit der Gleichheit vor dem Gesetz, mit dem Recht der Teilnahme an öffentlichen Angelegenheiten, mit dem Recht auf Unterricht, dem Recht des Gebrauchs des Personennamens, dem Recht des Kindes, der Religionsfreiheit, mit dem Recht des freien Verkehrs und der Wahl des Aufenthaltsortes zusammen (Szépe 2000b: p. 120–121).
3
Diese Unterscheidung wurde von kanadischen Sozialpsychologen eingeführt (Lambert 1972 ; 1975 ; 1977), und hat sich als ein außerordentlich produktives erläuterndes Prinzip erwiesen, als die einander häufig widersprechenden Ergebnisse der empirischen Untersuchungen über die möglichen Auswirkungen der Zweisprachigkeitssituationen der verschiedenen Typen gedeutet werden mussten.
4
Die Angaben der Volkszählung von 1991 haben sich infolge der großen politischen Veränderungen und der kriegerischen Ereignisse der folgenden Jahre (Auswanderung, Ansiedlung von Flüchtlingen, usw.) wahrscheinlich bedeutend verändert, hierüber stehen aber keine zuverlässige Quellen zur Verfügung, da die Ergebnisse der neuesten Volkszählung noch nicht veröffentlicht wurden. Deshalb müssen die Angaben von 1991 mit gewissen Vorbehalten behandelt werden, wenn wir sie auf den heutigen Zustand (des Jahres 2002) projizieren und so behandeln.
5
Gemeinde oder Kommune ist eine mit gesellschaftlich-verwaltungsmäßigen Selbstverwaltungsrechten bekleidete territoriale Einheit, gebildet von der Stadt oder dem größeren Dorf, nach der/dem sie den Namen erhält, und den im Umland liegenden und angegliederten/eingemeindeten Siedlungen.
6
Im Vertrag von Saint Germain-en-Laye.
7
Z. B. die vollständige politische Rechtlosigkeit zwischen 1919–1922; Aufteilung von Land nur an Siedler; Entlassung der Beamten, Staatsangestellten; eine diskriminierende Steuerpolitik; Abbau des ungarischen Schulnetzes (Domokos 1992: p. 55–57). Im Jahre 1929 wurde die Wojwodina zum Donau-Banat, zu einer der neun neuen Verwaltungseinheiten geschlagen, in der der Anteil der ungarischen Bevölkerung im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung sehr abnahm. Nach dem Machtwechsel wurde auch der Einfluss der Kirchen der Ungarn geschwächt: den Kirchen wurde der Grundbesitz weggenommen, es gab keine Möglichkeit zur Ausbildung von Theologen, die konfessionellen Schulen wurden abgeschafft.
8
Mit dem Ende der Ära Milošević.
9
Die Verfassung der Republik Serbien [Službeni glasnik Republike Srbije, 1/90].
10
Gesetz über den offiziellen Sprach- und Schriftgebrauch [Zakon o službenoj upotrebi jezika i pisma, Službeni glasnik Republike Srbije, 1991/45, 1802).
11
Das Gesetz über die Grundschule (Zakon o osnovnoj školi, Službeni glasnik Republike Srbije, 1992/50, p. 1726), Das Gesetz über die Mittelschule (Zakon o srednjoj školi, Službeni glasnik Republike Srbije, 1992/50, p. 1716).
12
Analysieren wir das ungarische Unterrichtssystem der Wojwodina des III. Jugoslawiens mit Hilfe der für die heterogenen Gemeinschaften ausgearbeiteten Unterrichtstypologien (u. a. Skutnabb-Kangas, 1984), kann festgestellt werden, dass dies sich nicht ausreichend genug auf die Ergebnisse der Zweisprachigkeitsforschungen stützt, und dass es zahlreiche Lösungen gibt, die nicht im Interesse der Minderheitenschüler sind. So sind z. B. in den Grundschulen 20% der Schüler, auf der Ebene der Mittelschule 35–40% der Schüler den sprachlichen „Erstickungsversuchen” ausgesetzt (die Muttersprache lernen sie nicht einmal als Unterrichtsfach), die Zahl der transitiven Unterrichtsprogramme nimmt zu (viele Fächer werden sogar im ungarischen Klassenzug serbisch unterrichtet), in den Lehrplänen der humanistischen Fächer fehlen die kulturellen Elemente mit ungarischen Bezügen, ein Großteil der Lehrbücher sind Übersetzung aus dem Serbischen in schlechter Qualität.
13
Beschluss über die mehrsprachigen Musterformulare der Auszüge aus den Büchern des Standesamtes und die Art und Weise der Eintragungen. Amtsblatt des Autonomen Gebietes Wojwodina, 2001/1.
Beschluss über die zur Aufnahme an die Hochschulen und Universitäten berechtigenden Qualifikations-, Aufnahme- bzw. Befähigungsprüfungen in der Sprache der Minderheiten (Odluka o polaganju klasifikavionog ispita, prijemnog ispita, odnosno ispita za proveru sklonosti i sposobnosti za upis ma višu školu a fakultet na jezicima narodnosti, Službeni list APV, 2001/1).
14
Gesetz über den Schutz der Rechte und der Freiheitsrechte der nationalen Minderheiten (Zakon o zaštiti prava i sloboda nacionalnih manjina, Službeni list SRJ, 2002/11).
15
Das Gesetz enthält z. B. keine Sanktionen und koppelt die Berechtigungen, die als subjektive Rechte zustehen, an solche Bedingungen (die Loyalität), die der Verfassung nach sowie so von allein gültig sind. So wird eine Betrachtungsweise widerspiegelt, dass der Staat und die Mehrheit die Minderheitenrechte dann verleiht, wenn die Minderheit keinen Missbrauch mit diesen treibt.
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