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Begegnungen
Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Band 21: 225–236.

CSILLA BARTHA

Die Möglichkeiten der Bewahrung der Minderheitensprachen in Ungarn

Über eine soziolinguistische Zweisprachigkeitsuntersuchung im Landesmassstab*

 

1. Einige „unsichtbare” Themen der ungarischen Minderheitenforschung

Überblicken wir die Geschichte der soziolinguistischen (und eigentlich in den meisten gesellschaftswissenschaftlichen Disziplinen durchgeführten) Forschungen über das Thema der Minderheiten in Ungarn, ist die direkte Einwirkung der für die gegebenen Epochen charakteristischen gesellschaftlich-politisch-ideologischen Umgebung besonders offensichtlich. Daraus ergibt sich die Praxis, in deren Verlauf gewisse Themen, die zwar seit langer Zeit im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit der westeuropäischen und angelsächsischen Forschungen standen, in Ungarn lange Zeit hindurch „unsichtbar” geblieben sind, und in Wirklichkeit erst von den 90er Jahren zu hervortretenden Untersuchungsgebieten werden (können). (Außerdem gibt es ganz bis zum heutigen Tag solche Tendenzen und Paradigmen, die beinahe zur Gänze fehlen).

Zu diesen relativ spät erscheinenden – zum Teil soziolinguistischen – Gebieten gehört die Frage der Zwei- und Mehrsprachigkeit, die Beschreibung der Besonderheiten des Sprachgebrauchs der bilinguischen Minderheitenindividuen, -Gruppen und -Gemeinschaften, die Problematik der Bewahrung der Sprache, des Sprachwechsels, die Frage des zweisprachigen Unterrichts, der sprachlichen Rechte usw. (vgl. Bartha 1999).

Bis heute kann mit Recht gesagt werden, dass die Untersuchung der Kontakte der ungarischen Sprache, der Sprache der in der Situation als Minderheit lebenden Ungarn – sowohl hinsichtlich der autochthonen, als auch der eingewanderten Gemeinschaften – eines der wichtigsten Forschungsgebiete der ungarischen Soziolinguistik in Ungarn und im Karpatenbecken geworden ist. In mehreren Forschungsinstituten und an Hochschulen Ungarns und der benachbarten Länder bilden sich jene stabilen Zentren heraus, die sich als mit einer hervorgehobenen Frage mit den sozio- und psycholinguistischen, sprachlich-rechtlichen und Unterrichtsaspekten der Zweisprachigkeit beschäftigen. In den vergangenen Jahrzehnten sind im Zusammenhang mit den verschiedenen Teilfragen des Themas auch mehrere Monographien, Studien- und Konferenzbände erschienen (s. u. a. Kontra [red.] 1991; Kiss 1994; Csernicskó 1998; Göncz 1999; Lanstyák 2000).

Viel wenigere soziolinguistische und Zweisprachigkeitsuntersuchungen sind entstanden/konnten entstehen seit Jahrhunderten in Ungarn über den Sprachgebrauch der mit dem Ungartum zusammenlebenden autochthonen Minderheiten, über die Art und Weise und die Gründe der in diesen Gemeinschaften sich abwickelnden sprachlichen und gesellschaftlichen Veränderungen. Die vorliegenden Forschungsergebnisse (u. a. Manherz 1977; Réger 1988; 1990; Gyivicsán 1993, Nelde et al. 1991; Wolf [red.] 1994; Borbély 2001; Bindorffer 2002) aber finden über den engeren fachlichen Rahmen hinaus noch immer ein bedeutend geringeres Echo, werden weniger eingebaut in das wissenschaftliche und alltägliche gemeinsame Denken, noch weniger in die Sprachenpolitik in Ungarn. Auch heute noch begegnen wir außerordentlich vielen irrtümlichen und bei weitem nicht wertneutralen Vorstellungen über die Zweisprachigkeit, über die in Ungarn gesprochenen Minderheitensprachen, über die ungarländischen Kontaktvarianten der ungarischen Sprache, über die sprachlichen und kulturellen Traditionen ihrer Anwender, darüber, warum und worin die diese Varianten sprechenden Gemeinschaften in Bezug auf ihren Sprachgebrauch anders sind als die einsprachigen ungarländischen Ungarn, wo können sie zwischen den zahlreichen Realisierungsformen der Zweisprachigkeit untergebracht werden.

Diesem Mangel wollten wir zum Teil abhelfen, als unter der Anleitung der Wissenschaftler des Lehrstuhls für Ungarische Sprachwissenschaft der Eötvös- Loránd-Universität und der Abteilung für Soziolinguistik des Instituts für Sprachwissenschaften der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, unter Einbeziehung von Fachleuten anderer Institutionen eine soziolinguistische Zweisprachigkeitsuntersuchung unter dem Titel Die Dimensionen des sprachlichen Andersseins: Die Möglichkeiten der Bewahrung der Minderheitensprachen im Landesmaßstab entwarfen und in Angriff nahmen, die aufgrund identischer theoretischer Überlegungen und methodologischer Prinzipien auf einmal die in den sieben ungarländischen sprachlichen Minderheiten im Gang befindlichen sprachlichen und gesellschaftlichen Veränderungen untersuchen will, und zugleich wollten wir die Auswirkung des Verhältnisses der Minderheit und der Mehrheit zueinander auf diesen Prozess untersuchen. Nachstehend stelle ich die wichtigeren Untersuchungsfragen dieser bis 2004 laufenden Arbeiten und ihre zu erwartenden Ergebnisse vor.

 

2. Das Forschungsvorhaben „Dimensionen sprachlichen Andersseins”

Die Wahrnehmung und die gesellschaftliche Beurteilung des sprachlichen Andersseins weist in jedem historisch-gesellschaftlich-wirtschaftlich-politisch- kulturellen Kontext unterschiedliche Stufen auf. Dennoch kann dieser Begriff auf natürliche Art und Weise auch mit in der Sozio- und Psycholinguistik, in der Soziologie und in der Psychologie in solchen abwechslungsreichen Bedeutungen verwendeten Kategorien gekoppelt werden wie mit der sprachlichen Minderheit, mit der Zweisprachigkeit, mit dem Spracherhalt, dem Sprachwechsel, der Attitüde, den Stereotypen und dem Vorteil, und mit der Assimilation. In dominierend einsprachigen Gesellschaften, wie auch Ungarn eine ist, gewinnen diese Kategorien und das System der Zusammenhänge des sprachlichen Andersseins einen besonderen Sinn.

Das vom ungarischen Parlament am 7. Juli 1993 verabschiedete Gesetz Nr. LXXVII über die Rechte der nationalen und ethnischen Minderheiten widerspiegelt als ein grundlegendes Funktionsprinzip des demokratischen, toleranten, freiheitlichen Rechtsstaates auch vom sprachlichen, rechtlichen sowie Unterrichtsgesichtspunkt aus den Geist der die Rechte der sprachlichen Minderheiten formulierenden modernsten völkerrechtlichen Instrumente, indem es – zumindest im Prinzip, ohne die beigeordneten Sanktionen – auch jenen Rahmen sichert, in welchem, indem er zum primären Schauplatz der Weitergabe dieser Sprachen wird, der muttersprachliche Unterricht der dreizehn benannten nationalen und ethnischen Minderheiten in Ungarn vor sich gehen kann. Unter allen diesen Umständen erlebt in unseren Tagen der Großteil der sprachlichen Minderheiten in Ungarn die letzte Phase des Sprachwechsels, bei anderen existiert die Muttersprache nicht mehr als ein primäres Symbol der Identität. Die Sprache der Minderheiten in Ungarn sowie die Sprache des Ungartums als Minderheit im Karpatenbecken können heute schon als gefährdet bezeichnet werden. Im Interesse der Interpretation, der Verlangsamung und eventuell der Umkehrung dieser aus vielen Faktoren bestehenden gesellschaftlichen und sprachlichen Prozesse kann auf jeden Fall die Umwertung der traditionellen Auffassungen, Theorien und Methoden von der Sprache, von der Ein- oder Mehrsprachigkeit, von der Berührung zwischen den sprachlichen Gruppen, von den Minderheiten und ihrem Sprachgebrauch erforderlich werden. Dazu ist es aber unerlässlich, 1) einerseits die sich in den Minderheitengemeinschaften abspielenden sprachlichen und sozialen Veränderungen empirisch zu untersuchen; 2) andererseits die bei der Bewahrung oder beim Aufgeben der Minderheitensprachen eine Schlüsselrolle spielende, einerseits mit den sprachlichen Gruppen, mit ihrem Sprachgebrauch bzw. mit den Sprechern selbst zusammenhängenden, andererseits dem sich in der Sprache widerspiegelnden Anderssein, den Minderheits- oder Mehrheitsattitüden, den Stereotypen und Vorurteilen, der Realisierungsformen des Verkehrs zwischen den Gruppen eine linguistische Erschließung zuzuwenden.

Im Rahmen dieses Projekts werden zwei eng miteinander zusammenhängende Grundlagenforschungen durchgeführt, die bisher sowohl die ungarländische Minderheitenforschung, als auch die ungarische Sprachwissenschaft schuldig geblieben ist. Das sind nachstehende: 1. Die Formen des Sprachwechsels und der Sprachbewahrung in den Gemeinschaften der Minderheiten; 2. Soziale Berührungsformen, Zweisprachigkeit, Minderheiten- und Mehrheitsattitüden, -vorurteile in sprachlichen Gemeinschaften in Ungarn. Die wichtigsten Zielsetzungen der auf gemeinsam ausgearbeitete theoretische und methodologische Prinzipien gestützten, was ihren Charakter anbelangt multidisziplinären Untersuchungen ist die Durchführung von a) auf die Rolle des Modellierbarkeit der Prozesse des Sprachwechsels, auf die Möglichkeiten der Sprachbewahrung, auf die Rolle der die sprachlichen Prozesse sich erstreckenden Minderheiten- und Mehrheitenattitüden und –stereotypen sich beziehenden Grundforschungen; b) solche Hilfsmaterialien auszuarbeiten, mit deren Hilfe die Ergebnisse der Untersuchungen in der Praxis, vor allem im Unterricht der Minderheiten und im Aufbau der Minderheitengemeinschaften nutzbringend angewendet werden können.

2.1 Die Formen der Sprachbewahrung in Gemeinschaften der Minderheiten

Im Rahmen des Forschungsprojekts „Die Formen der Sprachbewahrung in Gemeinschaften der Minderheiten” untersuchen wir in der ersten Phase – als Modelluntersuchung – in ungarländischen rumänischen und in amerikanischen ungarischen Gemeinschaften die Übergangserscheinungen und Prozesse zwischen den beiden extremen Punkten des Kontinuums der gesellschaftlichen und sozialen Zweisprachigkeit mit den Mitteln der Soziolinguistik, der anthropologischen Linguistik, der Diskursanalyse sowie der Kontaktlinguistik im engeren Sinne. Dieser Teil der Untersuchung wurde einerseits in der Gemeinschaft der ungarländischen rumänischen Gemeinschaft in der Siedlung Kétegyháza durchgeführt, mit longitudinaler Methode, die in den ungarischen linguistischen Forschungen als Neuheit aufgefasst werden kann. Wir haben eine vor zehn Jahren im Jahre 1990 durchgeführte Datensammlung (Borbély 2001) wiederholt, um damit die Auswirkung der realen (ein Jahrzehnt) und der scheinbaren Zeit (des Lebensalters) auf den Sprachwechsel untersuchen zu können. In der Untersuchung der Veränderung im Sprechen und zwischen den Sprechern sind nachstehende sprachliche Erscheinungen vorhanden: (1) Sprachwahl, (2) Sprachkenntnisse, (3) sprachliche Attitüden, (4) ethnisches Identitätsbewusstsein, (5) die Symbiose innerhalb der Muttersprache in den Text- und Interviewsituationen.

Bei der Untersuchung verwendeten wir andererseits die Analysen von aufgrund von 250 Stunden in zwei amerikanischen ungarischen Gemeinschaften, in Detroit und in New Brunswick, aufgenommenem Material (Bartha 1995/96; 2002). Es wurden das sprachliche Repertoire und die Sprachwahl, die Praxis des Kodewechsels mit den aus den Interviews des Sprachgebrauchs und der Beobachtungen des Teilnehmers gewonnenen Angaben untersucht. Die Gliederung der sprachlichen Normen, Attitüden und sprachlichen Ideologien und ihre Veränderung erschlossen/erschließen wir mit Hilfe der Diskursanalyse der mit den Datenlieferanten angefertigten Interviews bzw. durch die Analyse der in den Interaktionen erscheinenden Diskursstrategien.

Gestützt auf die theoretischen und methodologischen Erfahrungen dieses Teilprojekts nahmen wir soziolinguistische Fieldworksuntersuchungen in ungarländischen Zigeunergemeinschaften (Romani- und Beasprache), in deutschen, rumänischen, slowakischen, bulgarischen Gemeinschaften und in Gemeinschaften von Taubstummen in Angriff und zwar mit Hilfe von auf Tonband bzw. auf Video aufgenommenen Fragebögen und Interviews (vgl. 2.2).

Durch die aufgrund der Untersuchung nach festgelegten Prinzipien der Antworten auf von gesprochenen Sprachmaterial bei der in Kétegyháza autochthonen Minderheit bzw. der in Detroit und in New Brunswick in einer Minderheitensituation, durch die Emigration entstanden, gesammelten Material sowie der im Laufe von Fieldworksarbeiten bei Roma, bei deutschen und slowakischen Gruppen aufgrund von Antworten auf Fragebögen des Sprachgebrauchs nach bestimmten Prinzipien untersucht, suchten wir letzten Endes auf nachstehende Fragen eine Antwort: Ob wohl ein allgemein anwendbares Modell existiert, oder überhaupt existieren kann, mit dessen Hilfe der Ausgang der in den unterschiedlichen Sprachgemeinschaften vor sich gehenden sprachlichen Prozesse absehbar ist? Mit anderen Worten ausgedrückt, ob es allgemeingültige Merkmale gibt, auf deren Grundlage irgendwie absehbar ist, ob in der gegebenen Kontaktsituation eine (Minderheiten-)Sprache erhalten bleibt, oder ob ihre Rolle umfassend von einer anderen Sprache übernommen wird? Die eng damit zusammenhängende Frage ist die, ob in solchen Fällen, wo die „Symptome” des Sprachwechsels sich bereits klar registrieren lassen, irgendeine Prädiktion in Bezug auf die Intensität des Prozesses gemacht werden kann. Durch die Analyse der empirischen Angaben nach Gemeinschaften und insgesamt fassen wir zusammen, was für gemeinsame bzw. abweichende Charakterzüge und was für beeinflussende Faktoren die sich in den einzelnen ungarländischen Minderheitengemeinschaften abspielenden sprachlichen und gesellschaftlichen Prozesse aufweisen. Über diese Frage ist es bis zur Gegenwart weder zu einer vergleichenden Untersuchung noch zu einer umfassenden Analyse in ungarischer Sprache gekommen.

2.2 Gesellschaftliche Berührungsformen, Zweisprachigkeit, Minderheiten- und Mehrheitenattitüden, Vorurteile in ungarländischen sprachlichen Gemeinschaften

Die Kategorisierung der Gesellschaftswelt, die Bezeichnung der Grenzlinien zwischen „wir” und „sie” mit Rücksicht auf die Beziehung zu den Attitüden, den Vorurteilen und der Identität kann die Psychologie und die Soziologie auf eine bedeutende aus- und inländische Vorgeschichte der Forschungen zurückblicken (vgl. zum Überblick Csepeli 1997; Hewstone-Stroebe-Stephenson [red.] 1999). Wenn unterschiedliche Ethnien auf einem gemeinsamen Gebiet leben, im Rahmen eines identischen gesellschaftlich-wirtschaftlich-ideologischen Systems, erscheint das Bild, dass sie voneinander bilden, in der Form von Stereotypen, Vorurteilen, häufig ohne die wirklichen Erfahrungen der Verallgemeinerung. Die Bezeichnung von „wir” und „sie” ist eigentlich die natürlichste, zwischen den Gruppen auftretende Äußerung im Interesse der Festlegung der Grenzlinien zwischen der persönlichen und kollektiven Identität (vgl. Csepeli 1997 : p. 33). Nach Allport (1977: p. 69) „bilden alle jene Personen eine eigene Gruppe, die das Personalpronomen ’wir’ im Grunde genommen in einer identischen Bedeutung anwenden”. Natürlich hängt all das, wie die Identität auch, vom Kontext ab und trägt einen diskursiven Charakter. Die negativen Attitüden den anderen Gruppen gegenüber können zwar nicht notwendigerweise die Gefühle der Person in Bezug auf die Zugehörigkeit festigen, möglich ist es jedoch (Allport op. cit. p. 85). „Wir sind geneigt, anderen gewisse Absichten zuzuschreiben, und dies ist vor allem dann so, wenn jene Individuen und Gruppen, über die wir unsere Meinung äußern, sehr ’anders’ sind, eine andere Sprache sprechen, wenn sie andere Bräuche haben, zu einer anderen Kultur gehören, sich zu von den unseren abweichenden Werten bekennen, oder nur ganz einfach aufgrund ihres Verhaltens und ihrer äußeren Erscheinung, oder ihrer körperlichen Merkmale von unserer eigenen Gruppe unterscheiden.” (Erős 1998: p. 119).

Die zentrale Kategorie dieses komplizierten Prozesses ist die Attitüde, die zur gleichen Zeit über wissensmäßige, gefühlsmäßige und verhaltensmäßige Komponenten verfügt, und die untrennbar mit der Kommunikation zusammenhängt: „Die Attitüden beziehen sich immer auf eine von irgendeiner Gesellschaft zustande gebrachte, gesellschaftlich konstruierte Sache (Idee, Gegenstand, Person, Prozess, Ereignis usw.). Wenn von der Person die Attitüde als ihre eigene, als Bestandteil ihrer persönlichen Welt anerkannt wird, ist sie sich mit dieser identifizierend nicht im Klaren darüber, dass nicht nur der Gegenstand der Attitüde, sondern die Attitüde selbst sozial determiniert ist. Diese soziale Determiniertheit kommt immer im konkreten, gesellschaftlichen Zusammenhang zur Geltung, sie entsteht in Kontakten zwischen den Personen, in Gruppenprozessen und wirkt auch so, ein grundlegendes Triebrad bildend in den gesellschaftlich vergleichenden Prozessen, der in der Gesellschaft vor sich gehenden Kommunikation.” (Csepeli 1997: p. 221)

Im zweiten Teilprojekt unseres soziolinguistischen Forschungsvorhabens führen wir im Kreise von zweisprachigen Sprechern von sieben ungarländischen Minderheiten und in einer ethnisch homogenen einsprachigen ungarischen Kontrollgruppe Untersuchungen durch, die sich auf die aus der Minderheitensituation und der Zweisprachigkeit resultierende sprachliche Andersartigkeit, auf die verhüllt und offen auftretenden positiven und negativen sprachlichen Attitüden und Vorurteile beziehen. Neben der Erschließung der sich auf die eigene Minderheitengruppe (des „wir”) und der sich auf die Mehrheitsgruppe beziehenden allgemeinen Attitüden und Stereotypen sind wir in erster Linie darauf neugierig, was für eine Rolle in deren Herausgestaltung die Sprache hat, wie die Attitüden, Stereotypen und Vorurteile auf den Sprachgebrauch auf die Sprachwahl und auf den Prozess des Sprachwechsels selbst zurückwirken; beziehungsweise wollen wir auch die Methoden der Diskursanalyse anwendend die allgemeinen und gemeinschaftsspezifischen kognitiven Strategien der mündlichen Vorurteilshaftigkeit, ihre sprachlichen Erscheinungsformen anwenden. Diese Probleme waren sowohl in der ungarländischen Minderheitenforschung, als auch in der bei der Untersuchung der Attitüden und Vorurteile über Traditionen verfügenden Sozialpsychologie lange vernachlässigte Fragen.

Zu unserer Untersuchung wählten wir sprachliche Gruppen, die den Angaben der Volkszählung und auch der Schätzung der Minderheitenorganisationen die größten sind. Im Zusammenhang damit war ein wichtiger Gesichtspunkt ihrer Auswahl, dass im Bereich dieser Gruppen der in der ungarischen Einsprachigkeit endende Prozess des Sprachwechsels noch nicht umfassend vor sich gegangen ist. So haben wir die Gruppen der Roma (Romani–Bea), der Deutschen, der Rumänen und der Slowaken sowie eine, was die sowohl nach ihrem Anteil als auch nach dem Ausmaß der Abstempelung bedeutsame Gruppe, die bisher in Ungarn noch nicht als sprachliche Minderheit anerkannt wurde, die Gruppe der ungarischen Gehörlosen ausgewählt. Innerhalb der untersuchten Gruppen der Minderheitengemeinschaften begannen wir die Sammlung in einer nach identischen Gesichtspunkten ausgewählten Siedlung. Die Schauplätze des Fieldworks hatten wir nach folgenden Gesichtspunkten ausgewählt: (1) die Zahl der Bevölkerung der Siedlung sollte um 5 000 Einwohner liegen; (2) der Anteil der in der konkreten Siedlung lebenden Minderheitengemeinschaft den 50 % näher kommen. Der Gesichtspunkt der Auswahl der ungarischen Gruppe war jener, dies soll eine Siedlung in Ungarn sein, in der keine ungarländische Minderheitengemeinschaft lebt. Die Auswahl der Datenlieferanten stimmt mit der Auswahlmethode der Minderheitengemeinschaften überein. Die untersuchten sprachlichen und kollektiven Attitüden und Stereotypen wurden im Zusammenhang mit dem Lebensalter und dem Geschlecht der Sprecher untersucht. Betrachten wir die drei Altersgruppen der Datenlieferanten, haben wir nach Altersgruppen je 20 Datenübermittler ausgewählt, das bedeutet insgesamt 480 Personen. An den Altersgruppen betrug der Anteil der Männer und Frauen je 50%. Die Auswahl der Datenlieferanten war zufällig erfolgt, doch wurde danach gestrebt, dass innerhalb der Altersgruppen – nach Möglichkeit – die schulischen Ebenen auch proportional repräsentiert sind.

Eine Neuigkeit der Forschungen bedeutete insgesamt, dass der Prozess des Sprachwechsels, die Erscheinungen der Attitüde, der Stereotype und des Vorurteils nicht nur innerhalb einer gegebenen Gemeinschaft untersucht werden, sondern in einem einheitlichen theoretischen und methodologischen Rahmen, in linguistisch-soziolinguistischer Annäherung, und zugleich wurden auch die Ergebnisse der Sozialpsychologie angewendet und die gleichzeitige Untersuchung von mehreren Gemeinschaften bzw. wird die vergleichende Analyse der erhaltenen Ergebnisse durchgeführt.

2.3 Die wichtigeren Zielsetzungen der Forschungen und die zu erwartenden Ergebnisse

Nach einheitlichen Gesichtspunkten wurden und werden auch kontinuierlich Hintergrundstudien der Gemeinschaften und Sprachumfeldanalysen zu jeder einzelnen Gemeinschaft erstellt. Nach den einzelnen Minderheitengemeinschaften beschreiben wir die eigenen und die der Mehrheitssprache (zu den Sprachvarianten) und der Gemeinschaft (zu den Sprechern) gegenüber verhüllten und offenen Attitüden, Vorurteile und Stereotypen.

Die die Zeichensprache verwendenden Gemeinschaften wurden in Ungarn von uns als erste im identischen theoretischen und methodologischen Rahmen im klassischen Sinn des Begriffs untersucht, der identisch ist mit den auf ethnischer Grundlage organisierten zweisprachigen ethnischen Minderheiten.

Innerhalb der einzelnen Minderheitengemeinschaften untersuchen wir die Variabilität der konkreten Kategorien entlang von zwei soziolinguistischen Veränderlichen, des Lebensalters und des Geschlechts der Datenlieferanten (quantitative Analysen); die erhaltenen Angaben werden nach den einzelnen Gemeinschaftsgruppen, nach dem Lebensalter sowie nach Geschlechtern verglichen (quantitative und qualitative Analysen).

Die sich auf den Sprachgebrauch der Minderheit und der Mehrheit beziehenden und sich darin widerspiegelnden Attitüden, Stereotypen und Vorurteile werden wegen ihrer Wechselseitigkeit gemeinsam untersucht. Entlang des Kontinuums des Sprachwechsels und der Sprachbewahrung bestimmen wir die Rolle der untersuchten Erscheinungen auf die sich in den sprachlichen Gemeinschaften abspielenden sprachlich-sozialen Veränderungen: auf die funktionale Arbeitsteilung der Sprachen der zweisprachigen Sprecher, auf die Umschichtung des verbalen Repertoires, auf die Art und Weise der interethnischen Kommunikation.

Auch das Zur-Geltung-Gelangen der Minderheitenrechte, in erster Linie der sprachlichen Rechte (Unterrichtsrechte) und die eventuellen Verstöße gegen diese im „Minderheitengesetz” bzw. im „Chancengleichheitsgesetz” werden untersucht, sowie im Einklang mit den in den sonstigen internationalen rechtlichen Instrumenten festgelegten Dingen.

Eine besondere Summierung stellen wir im Zusammenhang mit der Situation der ungarländischen Gehörlosen und über die ungarländische Zeichensprache zusammen, und formulieren Empfehlungen in Bezug auf jene strategischen Schritte – im Einklang mit den internationalen Normen der Menschenrechte – die zur erfolgreichen sprachlich-kulturell-gesellschaftlichen Integration der Gemeinschaft erforderlich sind. Zum ersten Mal erhalten wir auch ein umfassendes Bild über die eigenen Attitüden der Gemeinschaften mit der Zeichensprache und über die Attitüden der Hörenden im Zusammenhang mit ihnen. Die Ergebnisse können es außerdem bestärken, dass die Gemeinschaften der die Zeichensprache Verwendenden wirklich untersuchbar sind in dem theoretischen und methodologischen Rahmen, der identisch mit dem der im klassischen Sinne auf ethnischer Grundlage organisierten zweisprachigen Minderheiten ist.

Es sollen die Ergebnisse der zur gleichen Zeit, parallel miteinander mehrere Methoden anwendenden vergleichenden Untersuchung zusammengefasst werden, in der wir – im Spiegel unserer Angaben – besondere Sorgfalt auf die Herausgestaltung der Attitüdenformung im Unterricht der Mehrheiten und der Minderheiten verwenden.

Aufgrund dessen werden gut trennbare Profile nach den einzelnen Gemeinschaften der Minderheiten umrissen. Ein nuancierteres Bild erhalten wir über die Formen und Funktionen der verhüllten und offenen Attitüden, Vorurteile und Stereotypen für die Sprache (Sprachvarianten) und die Gemeinschaft (und Sprecher) der Minderheiten oder der Mehrheiten.

Von den im Laufe der Untersuchung ausgewählten zwei veränderlichen Größen kann am meisten das Lebensalter der Datenlieferanten bzw. die Auswirkung des Lebensalters und der Interaktion in den einzelnen Gemeinschaften nachgewiesen werden.

Aufgrund der vergleichenden Untersuchung scheint sich bereits in gegenwärtigem Stadium immer mehr jene unsere Hypothese nachweisen zu lassen, nach der die Verdrängung der ungarländischen Minderheitensprachen in einen direkten Zusammenhang mit den eigenen sprachlichen Attitüden der Sprecher mit der Interiorisierung der mehrheitlichen Stereotypen und Vorurteile gebracht werden kann. Der Vergleich der Ergebnisse der Mehrheitenkontrollgruppe mit den Ergebnissen der Minderheiten ermöglicht es, die Interaktion und die Dynamik der Prozesse besser zu verstehen. Entlang des Kontinuums des Sprachwechsels und der Sprachbewahrung lässt sich in einem gewissen Maße der Einfluss der untersuchten Erscheinungen auf die sprachlich-sozialen Veränderungen determinieren, die sich in den sprachlichen Minderheiten abspielen: auf die funktionelle Arbeitsteilung der Sprachen der zweisprachigen Sprecher, auf die Umschichtung des verbalen Repertoires, auf die Art und Weise der interethnischen Kommunikation.

 

3. Die „Sichtbarmachung” der Untersuchungsergebnisse

Die Ergebnisse der vorgestellten soziolinguistischen Forschungen können einerseits einen theoretischen Beitrag zu unseren bisherigen Kenntnissen von der allgemeinen synchronen und historischen Funktion des Sprachwechsels und der Sprachbewahrung als sprachliche und gesellschaftliche Veränderung bedeuten, und zugleich können sie auch einen Nutzen für die Gesellschaft, die Kultur und den Unterricht bringen. Die gegenwärtige Untersuchung kann neben dem allgemeinen wissenschaftlichen Beitrag einen Ausgangspunkt darstellen zur Bewahrung der Muttersprache sowohl des autochthonen, als auch des in der Minderheitensituation in der Emigration lebenden Ungartums, bzw. der in Ungarn gesprochenen, was die Schauplätze und die Funktionen anbelangt einen dramatischen Rückgang aufweisenden Minderheitensprachen, zur Herausgestaltung einer auf die wirklichen Zusammenhänge aufbauenden umsichtigen, den Sprachwechsel/die Spracherhaltung abzielenden Sprachpolitik. Mit Hilfe dieser Ergebnisse wollen wir außerdem gezielt einen Beitrag leisten zur Ausarbeitung von Strategien des Unterrichtswesens und der Massenkommunikation und anderen Strategien für die Mehrheiten und die Minderheiten, die eine Rolle in der Herausgestaltung der Attitüden spielen können, indem sie die Belastung mit Vorurteilen verringern. Durch die Akzeptierung des sprachlichen Andersseins als Wert, durch die Umgestaltung des traditionellen Denkens über die Sprache, durch die Vermittlung der soziolinguistischen Betrachtungsweise, die die Vielfalt in den Mittelpunkt stellt, kann gerade das Unterrichtswesen viel dafür unternehmen, dass solche Jugendliche die Schulen verlassen, die empfindlich sind für andere und über das sprachliche Anderssein auch die abweichenden Eigenschaften und Werte der Menschen weitgehend beeinflussen. Mit der geplanten Forschung, mit der auch für andere zugänglich zu machenden Studie und mit dem Hilfsmaterial, vor allem aber mit der sofortigen Aufnahme der Ergebnisse in das Hochschulwesen und in die Lehrerausbildung wollen die Teilnehmer am Projekt auch dazu einen Beitrag leisten.

 

Literatur

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