Begegnungen
Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Band 12:267–282.
ANATOL SCHMIED-KOWARZIK
Das Scheitern des Wirtschaftsausgleiches von 1897
1. Der österreichisch-ungarische Ausgleich von 1867
1867 erhielt die Habsburgermonarchie durch den ungarischen Gesetzartikel XII/1867 und das zisleithanische Gesetz vom 21. Dezember 1867, R.G.Bl. Nr. 146, eine dualistische Struktur. Ungarn wurde dadurch endgültig ein selbständiger Teil innerhalb der Habsburgermonarchie. Nahezu alle politischen Bereiche regelten von nun an Ungarn einerseits und „die übrigen Länder Seiner Majestät”1 andererseits unabhängig voneinander. Und die Bereiche, die gemeinsam blieben und wie sie zu behandeln waren, das regelten die beiden staatsrechtlichen – im Gegensatz zu den wirtschaftlichen – Ausgleichsgesetze des Jahres 1867.2
Gemeinsam blieben Außen- und Militärpolitik – als die nach der pragmatischen Sanktion von 1723 benannten pragmatischen Angelegenheiten. Gemeinsam hieß aber hier nicht, dass beide Teile der Monarchie – Zisleithanien und Ungarn – diese Aufgaben zusammen lösten, sondern sie wurden letztlich unabhängig von den Teilen durch gemeinsame Institutionen verwaltet. Dies waren zum einen die sogenannten „gemeinsamen Minister”, die in Zisleithanien lange Zeit auch „Reichsminister” genannt wurden, und zum anderen über die Delegationen ein Quasiparlament, welches das Budget für Außen-, Kriegs- und gemeinsames Finanzministerium des kommenden Jahres zu votieren hatte.3
Diese Ausgaben, die durch die pragmatischen Angelegenheiten entstanden, konnten aber nicht von der „gemeinsamen Monarchie” gedeckt werden, weil diese über keinerlei Einnahmen verfügte. Daher mussten beide Teile das notwendige Geld dazu bereitstellen. Zu welchen Anteilen sie die Deckung aber zu übernehmen hatten, mussten Zisleithanien und Ungarn miteinander bestimmen. Dies war die sogenannte Quote. Im Unterschied zu den pragmatischen Angelegenheiten waren es jetzt nicht die gemeinsamen Institutionen, sondern die getrennten, die den Kompromiss auszuhandeln hatten. Die Ausgleichsgesetze legten auch genau das Prozedere des Verhandlungsablaufes fest. Zunächst sollten je eine Deputation des ungarischen Reichstages und des zisleithanischen Reichsrates versuchen, sich zu einigen. Gelang dies nicht, hatten die unterschiedlichen Auffassungen den Parlamenten direkt zur Beratung vorgelegt zu werden. Und wenn auch hier eine Übereinkunft nicht möglich war, musste der Monarch das Quotenverhältnis bestimmen, aber – so schränkte es das zisleithanische Gesetz ein – für nicht länger als ein Jahr.4 Faktisch erwiesen sich beide Deputationen als unfähig, Einigungen zustande zu bringen. In der Regel mussten die Regierungen diese Aufgabe übernehmen. Im ersten wirtschaftlichen Ausgleich von 1867 einigten sich beide Seiten auf ein Verhältnis von 70 % der Ausgaben für Zisleithanien und 30 % für Ungarn, also eine Quote von 70:30. Die Gültigkeitsdauer des ersten Abkommens 1867 sollte zehn Jahre betragen. Und die späteren Übereinkommen behielten diesen Zeitraum bei, so dass alle zehn Jahre die Quote neu zu bestimmen war.
Neben den pragmatischen Angelegenheiten und der Aufteilung der durch sie anfallenden Kosten gab es noch einen dritten durch die Ausgleichsgesetze bestimmten gemeinsamen Aufgabenkomplex: die sogenannten paktierten Angelegenheiten, die im Wesentlichen aus dem Zoll- und Handelsbündnis bestanden. Zwar gehörten die Wirtschaftsfragen eigentlich zu den von jedem Teil selbständig verwalteten Bereichen. Doch war es sinnvoll, diejenigen Teile der Wirtschaftspolitik, die im gemeinsamen Interesse lagen, gemeinsam festzulegen, auch wenn sie dann getrennt verwaltet wurden. So konnten beide Teile der Monarchie einen Wirtschaftsraum bilden. Zu diesen Bereichen der Wirtschaftspolitik gehörten – als die wichtigsten – die Festlegung der Zölle und die Verzehrungssteuern für Bier, Branntwein und Zucker – später kam noch Petroleum hinzu.5 Das Zoll- und Handelsbündnis selbst enthielt dabei nur die allgemeinen Bestimmungen, z.B. dass zwischen beiden Teilen während der Dauer eines Bündnisses keine Zollgrenze errichtet werden dürfe und einheitliche Zölle gegenüber dem gemeinsamen Ausland bestanden. Wie hoch dann die Zölle, Verzehrungssteuern usw. konkret waren, legte eine Unzahl von Zusatzgesetzen fest. Genauso wie die Quote war das Zoll- und Handelsbündnis nicht auf ewige Zeiten abgeschlossen worden, sondern auch auf zehn Jahre.6 Daher wurden Quote sowie Zoll- und Handelsbündnis immer gemeinsam verhandelt. Hinzu kamen inhaltliche Verknüpfungen. Denn zur Deckung der gemeinsamen Ausgaben wurden – noch vor der Aufteilung durch die Quote – die Zolleinnahmen herangezogen. So musste einerseits das Zoll- und Handelsbündnis festlegen, dass diese Einnahmen zur Deckung der gemeinsamen Ausgaben zu verwenden seien, bevor dies auch im Quotengesetz geschehen konnte. Versuche, beide Fragen voneinander zu trennen, scheiterten und so blieben sie sowohl zeitlich wie inhaltlich miteinander verknüpft und bildeten zusammen den sogenannten Wirtschaftsausgleich.
Ab dem zweiten Wirtschaftsausgleich kam noch ein dritter Bereich hinzu: die Privilegierung der gemeinsamen Notenbank. In den Wirtschaftsausgleichsverhandlungen 1867 spielte diese Frage kaum eine Rolle. Lediglich ein ministerielles Übereinkommen legte die Gemeinsamkeit fest; das Parlament beschäftigte sich damit gar nicht. Mit dem Vöslauer Übereinkommen vom 12. September 1867 gestand der ungarische Finanzminister zu, das Privilegium der Oesterreichischen Nationalbank auch in Ungarn anzuerkennen, wenn dafür die Bank ungarische Kreditbedürfnisse nicht vernachlässige und die k.k. Regierung auch die ungarischen Interessen gegenüber der Bank vertreten würde. Denn die Notenbank war bis 1878 ein rein zisleithanisches Institut, das auch nur der zisleithanischen Gesetzgebung unterworfen war.
Wie die Bankangelegenheit allerdings rechtlich zum Wirtschaftsausgleich gehörte, blieb bis zum Ende ungeklärt, da hier beide Teile der Monarchie unterschiedliche Auffassungen vertraten.
In Zisleithanien war man der Meinung, weil die Bestimmung des Geldfußes zum Zoll- und Handelsbündnis gehöre, würden auch alle anderen Geldangelegenheiten dazu zählen; also sei die Notenbankprivilegierung Teil dieses Bündnisses.7
Im Gegensatz dazu herrschte in Ungarn die Auffassung, das staatsrechtliche Ausgleichsgesetz reihe zwar die Bestimmung des Geldfußes zu den paktierten Angelegenheiten, die das Zoll- und Handelsbündnis regelte, von der Gemeinsamkeit der Notenbankfrage sei jedoch nichts gesagt. Daher gehöre sie nicht dorthin. Wenn eine Gemeinsamkeit bestehe, so sei dies ein freiwilliger Akt Ungarns, der – anders als beim Zoll- und Handelsbündnis – jederzeit revidiert werden könne.8
1862 war das Privilegium der Bank bis zum 31. Dezember 1876 verlängert worden. Damit fiel aber die Privilegierung in eine Zeit, in der Ungarn in diesen Angelegenheiten nicht gefragt worden war; und daher hatte das ungarische Parlament dem Privilegium auch nicht zugestimmt. Dass die Gemeinsamkeit der Notenbank dennoch auch nach 1867 weiterhin gültig war, beruhte entsprechend der zisleithanischen Interpretation auf dem Zoll- und Handelsbündnis; Ungarn hingegen fühlte sich nur durch das Vöslauer Übereinkommen gebunden. Der Grund, warum Ungarn nicht auf eine eigene Notenbank drängte, bestand darin, dass es sich – besonders nach dem Börsenkrach 1873 – finanziell nicht stark genug fühlte, dies auch bewerkstelligen zu können.
Als 1876 das Privilegium der Österreichischen Nationalbank auslief, verlangte nun Ungarn ein Mitspracherecht auf die Bankpolitik. Die Drohung, andernfalls eine eigene Notenbank zu errichten, machte die zisleithanische Regierung gesprächsbereit. Inzwischen hatten 1875 die Ausgleichsverhandlungen frühzeitig begonnen, so dass diese unterschiedlichen Fragenkomplexe ineinander gerieten und ab diesem Zeitpunkt nicht mehr voneinander zu trennen waren. Der Wirtschaftsausgleich hatte „wie ein Magnet” die Bankfrage in seinen Bann gezogen. So wurden im Juni 1878 gleichzeitig das Quotenübereinkommen, das Zoll- und Handelsbündnis und die Notenbankprivilegierung mit einer Gültigkeitsdauer von zehn Jahren geschlossen. Um diese drei Bereiche drehten sich die alle zehn Jahre wiederkehrenden Ausgleichsverhandlungen.
2. Der Wirtschaftsausgleich von 1897 Drei Stufen des Scheiterns
Als die ungarische und die zisleithanische Regierung im Oktober 1895 die Ausgleichverhandlungen begannen, hatten sie große Pläne. Nicht nur, dass viele Bestimmungen des Ausgleiches grundlegend verändert und chronische Streitpunkte endgültigen Lösungen zugeführt werden sollten, viel zentraler war der Wunsch sowohl beider Regierungen, als auch des Monarchen und der gemeinsamen Minister, diese Ausgleichsverhandlungen zu einem Symbol der Zusammengehörigkeit Zisleithaniens und Ungarns nach innen und außen zu machen. Eintracht und Harmonie sollten aller Welt vor Augen geführt werden, um dem sinkenden Ansehen der Monarchie entgegenzutreten.
Zu diesem Zweck, so wurde beschlossen, solle die Kündigung des Zoll- und Handelsbündnisses verhindert werden.
Die Bestimmung über die Dauer des Zoll- und Handelsbündnisses von 1887 besagte – wie auch schon seine Vorläufer –, dass das Bündnis grundsätzlich zehn Jahre Geltung hätte, wenn es aber bis Ende des neunten Jahres – also Ende 1896 – von keiner Seite gekündigt würde, es automatisch um weitere zehn Jahre verlängert werde und so fort. Nun strebten aber beide Regierungen zentrale Änderungen an den Bestimmungen des bisherigen Abkommens an. An eine einfache Beibehaltung des bisher gültigen Zoll- und Handelsbündnisses war nicht zu denken. Um aber dennoch nicht kündigen zu müssen, sollten die Neuerungen einfach bis Ende 1896 gänzlich – auch parlamentarisch – erledigt und das alte Bündnis nur abgeändert, nicht aber aufgehoben und neu geschlossen werden.9
a) Der frühe Ausgleich
Das stolze Ziel bei diesen Verhandlungen war es, schon ein Jahr früher als notwendig alles fertigzustellen, um den schlechten Eindruck zu umgehen, den die Kündigung auf die eigene Bevölkerung und die auswärtigen Staaten machte.
Besonders die Regierungsverhandlungen sollten daher so kurz wie möglich gehalten werden. Zu diesem Zweck schlugen der zisleithanische Ministerpräsident Graf Kasimir Badeni und sein Finanzminister Leon Ritter von Biliński ihren ungarischen Kollegen bei ihrem Antrittsbesuch in Budapest am 19. Oktober 1895 einen Handel vor, der von Anfang der Verhandlungen an die schwierigsten Diskussionspunkte aus dem Weg räumen sollte: die Regierung Badeni sei bereit, Ungarns Wünsche bezüglich des Überweisungsverfahrens bei den Verzehrungssteuern und der Parität in den Zentralstellen der gemeinsamen Notenbank zu entsprechen, wenn die ungarische Regierung des Ministerpräsidenten Baron Dezső Bánffy im Gegenzug einer „namhaften Reduzierung” – wie Biliński in späteren Noten schrieb – des zisleithanischen Quotenanteiles zustimmen würde. 10 Diese drei Problembereiche – Verzehrungssteueraufteilung, Einfluss auf die Notenbankpolitik und Quotenbestimmung – waren in den vorangegangenen Verhandlungen immer die heftigst umstrittenen Punkte gewesen. Und Badenis Vorschlag zielte darauf ab, sie diesmal nicht nur durch Vertagung einer Lösung auf die nächsten Verhandlungen zu verschieben, sondern sie ein für alle Mal vom Tisch zu schaffen. Mit einer frühen Einigung hier, so konnte gehofft werden, wären dann auch die minder wichtigen Fragen schnell zu lösen, so dass schon nach kurzer Zeit der gesamte Ausgleich abgeschlossen werden könne.
Die ungarische Regierung nahm dies sogenannte Junktim spätestens mit der Note des ungarischen Finanzministers vom 3. November 1895 dezidiert an11 und so konnten sich beide Finanzminister in den Bank- und Verzehrungssteuerfragen in nahezu allen Punkten bis Dezember 1895 einigen; und weil die Ausgleichsverhandlungen eigentlich erst mit der ersten gemeinschaftlichen Ministerkonferenz im Januar 1896 eröffnet wurden, schon vor diesem offiziellen Beginn.
Offen blieb nur die Quotenfrage, weil für diese nach den Bestimmungen beider Ausgleichsgesetze nicht die Regierungen, sondern von beiden Parlamenten gewählte sogenannte Regnikolardeputationen zuständig waren.12 Doch intern hatte sich die ungarische Regierung in dieser Frage faktisch gebunden.
Der weitere Verlauf der Regierungsverhandlungen sei hier nur stichpunktartig dargestellt:
Bezüglich des Zoll- und Handelsbündnisses begannen wie gesagt ab Januar 1896 offiziell die Verhandlungen und konnten bis Juli – zunächst – abgeschlossen werden, brachen aber im November erneut auf.13
Die Einigung beider Regierungen in der Bankfrage lag im Februar 1896 vor.14 Damit war dieses Problem aber noch nicht ausgestanden, weil diesem Kompromiss auch noch die Österreichisch-ungarische Bank zustimmen musste. Die Anfang Februar eingeleiteten Verhandlungen zogen sich hin, erreichten Ende August ihren Tiefpunkt – Biliński erklärte die Verhandlungen für abgebrochen und strebte kurzfristig sogar die Liquidierung der Österreichisch-ungarischen Bank als privater Aktiengesellschaft an, um sie durch eine Staatsbank zu ersetzen. Der ungarische Finanzminister László Lukács musste sein ganzes politisches Gewicht in die Waagschale werfen, um Biliński wieder an den Verhandlungstisch zu zwingen.15 Ende September waren dann die entscheidenden Hürden genommen, aber die endgültige Einigung ließ noch bis zum 16. März 1897 auf sich warten.16
Die im Februar 1896 gewählten Regnikulardeputationen brachten keine Einigung in der Quotenfrage zustande und hielten sich in vier Nuntien ihre unterschiedlichen Standpunkte entgegen, ohne auf die Argumente der Gegenseite einzugehen.17 Die Auflösung des ungarischen Repräsentantenhauses im Oktober 1896 unterbrach dieses Aneinandervorbeireden, da die ungarischen Deputationsmitglieder so ihr Mandat verloren.
Von einer Einigung konnte also im August/September 1896 keine Rede sein. Lediglich für das Zoll- und Handelsbündnis führte in der letzten gemeinschaftlichen Ministerkonferenz im Juli zunächst keine der beiden Regierungen Differenzpunkte an.
Die Kündigung, die die Regierungen verhindern wollten, bezog sich nun nur auf das Zoll- und Handelsbündnis, nicht aber auf die Quote und die Bankeinigung. Badeni machte daher im September den Vorschlag, das Zoll- und Handelsbündnis noch vor Quote und Bankfrage in die Parlamente einzubringen, damit diese es bis Ende des Jahres annehmen könnten und so die Kündigung überflüssig gemacht werde.18 Dies lehnte aber Bánffy ab, weil er keine Möglichkeit sah, dass der ungarische Reichstag hier auch zustimmen werde. Die Obstruktion der 48er Partei und der Nationalpartei hatten 1896 die Verabschiedung des Budgets 1896 bis Mitte des Jahres verhindert und die Diskussionen darüber waren zu einer Generalkritik an der Wirtschaftsunion mit Zisleithanien geworden. Außerdem seien in Zisleithanien „absolutistische Tendenzen” bemerkbar, die durch Bánffy nun auch in Ungarn immer mehr an Boden gewännen – so der Abgeordnete der 48er Partei Gábor Ugron.19 Diese Obstruktion machte Neuwahlen in Ungarn notwendig, um ein der Regierung gefügigeres Parlament wählen zu lassen.
Deswegen, so Bánffy, könne der Ausgleich in Ungarn unmöglich bis Ende des Jahres 1896 parlamentarisch abgeschlossen sein, ja nicht einmal bis Ende 1897. Er schlug daher auf der gemeinsamen Ministerratskonferenz am 30. August 1896 vor, sich schon jetzt um die Schaffung eines Ausgleichsprovisoriums zu bemühen, um so im Jahr 1898 die Zeit für den definitiven Ausgleich zu haben. Sich eineinhalb Jahre vor Ablauf des alten Ausgleiches um eine Überbrückung für das Jahr 1898 zu bemühen und nicht den definitiven Ausgleich zu versuchen, fand Badeni gänzlich absurd. Man einigte sich schließlich darauf, den Ausgleich zwar auf 1897 zu verschieben, nicht aber gleich auf 1898.20
So sehr auch zugegeben werden muss, dass Bánffy ziemlich unter der Obstruktion litt, so sprechen zwei Gründe dagegen, dass er hier seine wahren Motive offenbarte, um den Ausgleich zu verschieben: zum einen, dass er auf die Obstruktion mit Neuwahlen reagierte. In diesen Wahlen setzte Bánffy dann auch mit Brachialgewalt seine Kandidaten durch, so dass die Liberale Partei Bánffys knapp 70 Sitze im Repräsentantenhaus dazugewinnen konnte. Ziel von Bánffys Politik war es also, die Obstruktion zu brechen, um sich von seiner Politik nicht abbringen zu lassen. Er konnte daher diese Behinderung kaum als ernstes Argument verwenden, seine alten politischen Ziele aufzugeben.
Der zweite Punkt hängt mit dem anderen Gegenstand der gemeinsamen Ministerkonferenzen im August/September 1896 zusammen: die baldige Erhöhung des Rekrutenkontingents. Kurz, in den Konferenzen ging es darum, in welcher Reihenfolge Ausgleich und Erhöhung des Rekrutenkontingents in die beiden Parlamente einzubringen seien. Eines von Badenis Argumenten, den Wirtschaftsausgleich so schnell wie möglich parlamentarisch zu erledigen, war es, dass nach Bekanntwerden des Ausmaßes der Vergrößerung des Heeres und der dadurch anfallenden Kosten die Chancen auf eine Zustimmung des Ausgleiches deutlich erschwert würden. Erst der Ausgleich, dann das Rekrutenkontingent war Badenis Schlussfolgerung. Bánffy hingegen meinte, der Ausgleich könne kaum im Jahre 1897 fertiggestellt werden – daher Verschiebung auf 1898 –, sehr wohl aber das Rekrutenkontingent. Sein Vorschlag: 1897 die Vergrößerung des Heeres und erst 1898 den Ausgleich beschließen zu lassen.
Nun, wenn die Politik der ungarischen Opposition, ihr Engagement für bestimmte Fragen und die kommende Krise der Monarchie Anfang des 20. Jahrhunderts in Betracht gezogen wird, so ist gewiss, dass der Wirtschaftsausgleich ein Reizthema für diese Opposition war; aber in noch viel größerem Ausmaß trifft dies auf die Heeresfragen zu. Es klingt daher äußerst unglaubwürdig, wenn Bánffy meinte, den Ausgleich aus Angst vor der Opposition bis Ende 1897 nicht versuchen zu wollen, aber stattdessen die parlamentarische Bewilligung des Rekrutenkontingents in Aussicht stellte. Es macht eher den Eindruck, dass er die Verschiebung des Ausgleiches aus anderen Gründen bewirken wollte und den heeresliebenden Franz Joseph durch das Rekrutenkontingent zu ködern suchte.
Der wahre Grund scheint darin zu liegen, dass Badeni nur einen Teil der Ausgleichsmaterie den Parlamenten vorlegen wollte, nämlich lediglich das Zoll- und Handelsbündnis. Bánffy aber sah sich durch die Zustimmung zum Zoll- und Handelsbündnis alleine in den anderen Ausgleichsbereichen dann benachteiligt. Weniger die Quote kann für Bánffy ausschlaggebend gewesen sein, sehr wohl aber die Bankfrage. Wie schon erwähnt, befanden sich die Verhandlungen mit der Notenbank während des August 1896 auf dem Tiefpunkt und Biliński versuchte ernsthaft, die bisherige private Bankgesellschaft durch eine Staatsbank als Noteninstitut zu ersetzen. Auch schon erwähnt wurde, dass der ungarische Finanzminister Lukács sein ganzes politisches Gewicht in die Waagschale werfen musste, dies zu verhindern. Nun stellt sich die Frage, ob das finanzpolitisch sehr viel schwächere Ungarn den entschlossenen Biliński von seinem Plan hätte abhalten können, wenn nicht Bánffy in den gemeinsamen Ministerratskonferenzen ein Zerreißen der einzelnen Ausgleichsbereiche verhindert hätte. Denn mit dem Entschluss zur Zollgemeinschaft – durch Annahme des Zoll- und Handelsbündnisses – wäre eine Notenbanktrennung gänzlich undenkbar geworden und die ungarische Regierung hätte der zisleithanischen nahezu blind folgen müssen. Zeitlich liefen die Verhandlungen beider Problembereiche nahezu parallel. Am 30. August wurde der Durchbruch in der Notenbankfrage erzielt und am selben Tag der bisherige Zeitplan für den Ausgleich auf 1897 verschoben.
Badeni überlegte noch, ob über eine Verschiebung der Kündigung diese dennoch hätte verhindert werden können, sie wurde aber auf den gemeinsamen Ministerratskonferenzen genauso beschlossen, wie die Verschiebung des Ausgleiches an sich. Somit scheiterte im September 1896 das erste große Ziel beider Regierungen, durch einen schnellen Ausgleich die Stabilität nach innen und außen zu demonstrieren. Nur mehr ein „ganz normaler” Ausgleich wurde angestrebt.
b) Vom Ausgleich zum Provisorium
In der Folge kam es auf ungarischen Wunsch zu erneuten Verhandlungen bezüglich des Zoll- und Handelsbündnisses, die Zisleithanien schon als abgeschlossen wähnte.21 Doch Mitte März war hier, wie in der Bankfrage, auf Ministerebene alles erledigt. Die ausgearbeiteten Regierungsentwürfe für die Parlamente lagen vor. Hingegen stand eine Einigung in der Quotenfrage noch aus. Zisleithanien pochte nun auf das Ende des Jahres 1895 erhaltene ungarische Versprechen einer deutlichen Erhöhung der ungarischen Quote.
Nachdem durch die Auflösung des ungarischen Reichstages die Verhandlungen der Deputationen unterbrochen worden waren, trat im Dezember 1896 Lukács an Biliński heran, um eine Einigung auf Ministerebene vor Zusammentritt der neuen Deputationen zu erzielen. Sein Vorschlag war der sogenannte „Láng’sche Schlüssel”, nach dem der ungarische Quotenanteil von faktisch 31,4 auf 33,4 % angehoben werden sollte.22 Dies war aber Biliński viel zu wenig und er erhielt Rückendeckung durch Franz Joseph, der von Ungarn eine „anständige” Erhöhung forderte.23 Zisleithanischerseits dachte man an 36 %.
Diese Position des Monarchen schwächte die ungarische Regierung in den Verhandlungen enorm. Wenn sie dem Wunsch Franz Josephs nicht genügen wollte – und dies wollte sie nicht, konnte es aber nicht sagen – musste sie etwas an der bisherigen Situation ändern.
Anfang Mai scheiterten dann die mündlichen Gespräche der neuen Deputationen und Bánffy – es war inzwischen Chefsache geworden – unternahm zwei schriftliche Versuche, Badeni zur Reduzierung seiner Forderungen zu bewegen – er führte dabei einige sehr plausible Argumente der Billigkeit ins Feld. Badeni – der Unterstützung des Monarchen gewiss – ignorierte diese aber und bestand auf 36 %.24 Am 17. Mai 1897 kam es dann zu einem äußerst geheimen Sechsaugengespräch – Franz Joseph, Bánffy und Badeni –, das nur in Bilińskis Memoiren erwähnt wird. Hier hieß es dazu: „(...) aber Bánffy stellte eine Kabinettsfrage und darauf gaben Badeni und der Kaiser nach.”25 Bánffy musste also nur mit seiner Demission drohen und weil sich der Kürze der Zeit wegen keine andere Regierung für den Ausgleich gefunden hätte, musste der Monarch Bánffy von der Verpflichtung entbinden, eine „anständige” Quotenerhöhung zu akzeptieren. Dies hieß aber nicht, dass der Ausgleich mit einer geringeren Quote nun beschlossene Sache gewesen wäre, sondern vielmehr, dass die Quote wieder völlig offen war. Denn Badeni bestand wegen des Junktims von 1895 auf den 36 %. Die Entbindung Bánffys von der Forderung des Monarchen bedeutete nur, dass ein definitiver Ausgleich im Jahre 1897 nicht machbar sei und daher nur mehr an ein Provisorium gedacht werden konnte, in dem die Bestimmungen des alten Ausgleiches von 1887 um ein Jahr verlängert würden.
Dies war die zweite Phase des Scheiterns. Statt den Ausgleich wenigstens zeitgerecht abzuschließen, war es nur noch das Ziel, Zeit für weitere Verhandlungen zu gewinnen oder – etwas härter ausgedrückt – die rechtliche Basis der Wirtschaftsgemeinschaft, den Boden des 1867er Ausgleiches nicht zu verlassen. Von dem ursprünglichen Ziel, innere Geschlossenheit zu demonstrieren, war kaum mehr etwas übriggeblieben. Hier konnte nur die Devise gelten, zu retten, was noch zu retten war.
c) Das Provisorium in den Parlamenten
In beiden Teilen der Monarchie begegnete der Wirtschaftsausgleich Mitte der 1890er Jahre einer starken Kritik wichtiger Interessengruppen. Für Ungarn wurde auf die Unabhängigkeits- und Nationalpartei verwiesen und die Schwierigkeiten, die sie während der Budgetdebatte 1896 machten. Auch und gerade in Zisleithanien verhielt es sich nicht anders. Das einzige, was das in sich national und sozial zerrissene Zisleithanien einte, war eine vernichtende Kritik des Wirtschaftsausgleiches und ein – höflich gesagt – Ärger über Ungarn. Ob der Landtag von Böhmen oder Oberösterreich, ob der deutsche Abgeordnete Hoffmann von Wellenhoff oder der jungtschechische Abgeordnete Josef Fořt, ob die Krakauer Landwirtschaftsgesellschaft oder die Grazer Handels- und Gewerbekammer, alle stimmten in wichtigen Forderungen gegenüber Ungarn überein.26 Differenzen gab es unter ihnen nur in der Härte der Trennung zu Ungarn – Banktrennung, die Wirtschaftstrennung insgesamt und gar die notfalls gewaltsame Aufhebung des Dualismus wurde 1895/96 gefordert.
Dies alles passte nicht zu Badenis 1895er Zielsetzung, sowohl den Wirtschaftsausgleich zu schließen, als auch die Interessenharmonie beider Teile nach außen zu demonstrieren. Er sah die Chancen für seinen geplanten Ausgleich immer als gefährdet an, wohl aber den Abschluss als machbar. Die Erweiterung des Reichsrates um 74 Abgeordnete der neuen allgemeinen Kurie bei den Abgeordnetenhauswahlen im März 1897 brachte aber in seinen Augen eine gefährliche Verschiebung der bis dahin relativ stabilen Verhältnisse. Daher wollte er eine breite Mehrheit für seinen Ausgleich schmieden. Die deutschen Abgeordneten vertraten nach seiner Einschätzung Interessengruppen, die – so heftig auch ihre Kritik am Ausgleich war – dennoch durch ihn profitierten. Ihre Stimmen hoffte er sicher zu erhalten. Für eine Mehrheit – besonders eine stabile – glaubte er aber noch andere Parteiungen gewinnen zu müssen; und diese fand er in den Jungtschechen, die bis dahin zu den größten Gegnern sowohl des wirtschaftlichen, aber auch besonders des staatsrechtlichen Ausgleiches zählten. Sie sicher in eine produalistische Regierungsmehrheit einzubetten, hätte nicht nur den Ausgleich gesichert, sondern das politisch destabile Zisleithanien enorm gefestigt. Dafür nun müsse – so Badenis Ansicht – im Interesse der gemeinsamen Monarchie und Zisleithaniens ein bestimmter sozusagen Kaufpreis bezahlt werden, und dies sollten die Sprachenregelungen in den Kronländern Böhmen und Mähren sein, die hier letztlich das Tschechische gleichberechtigt neben die deutsche Sprache stellten. Er handelte mit den Jungtschechen die sogenannten Badenischen Sprachenverordnungen aus. Die deutschböhmischen Vertreter, die auch hierzu eingeladen worden waren, hatten vor den Märzwahlen andere Probleme – das gesamte Parteiengefüge der Deutschliberalen ging einem Zusammenbruch entgegen.
Als dann am 5. und 22. April 1897 die Sprachenverordnungen in Kraft traten, brach ein Sturm der Empörung los, der die Deutschen aller Kronländer und alle besonnenen Geister mit sich riss. Sie erklärten, alle Reichsratsverhandlungen zu blockieren, solange die Sprachenverordnungen in Kraft und Badeni im Amt sei. Da diese Parteien aber nicht die Mehrheit hatten, konnten sie ihre Ziele nur über Obstruktion betreiben. Für den Ausgleich musste ein Regierungswechsel das Ende bedeuten, außerdem dürfe dem Druck der Straße – der sich auf das Abgeordnetenhaus übertrug – nicht nachgegeben werden – so die Einschätzung Franz Josephs. Der Ausgleich und später das Provisorium sollten durch den Reichsrat gedrückt werden. Dies führte zu einer ständigen Gewaltschraube, in der Regierung und Parlamentsmehrheit die geschäftsordnungsmäßigen Rechte der obstruierenden Abgeordneten immer mehr einschränkten und andererseits von der Opposition immer neue, handgreiflichere Wege der Obstruktion beschritten wurden. Sie gipfelten Ende November in regelrechten Parlamentsschlachten, in denen Stühle flogen, Taschenmesser gezückt wurden. Eine besondere Trophäe für die Deutschliberalen war die Präsidentenglocke, um die mehrere Male gerungen wurde.27 Badeni musste am 29. November 1897, innerlich gebrochen, mit der gesamten Regierung zurücktreten. Die Obstruktion hatte gesiegt und der Versuch, das Ausgleichsprovisorium durch den Reichsrat zu bringen, war gescheitert.
In Ungarn verliefen die Verhandlungen zum Provisorium demgegenüber erstaunlich glatt. Nur die Unabhängigkeitspartei konnte hier ihre Zustimmung nicht geben, allerdings weniger aus inhaltlichen, sondern vielmehr aus ideologischen Gründen. Entgegen ihrer sonstigen Taktik versuchte sie in der entscheidenden Generaldebatte der zweiten Lesung des Provisoriums im Repräsentantenhaus nicht, die Parlamentsarbeit durch viele und lange Reden zu blockieren, sondern begnügte sich mit einer kurzen Erklärung von Ferenc Kossuth. Diese Duldung des Provisoriums durch die Unabhängigkeitspartei musste als halbe Zustimmung verstanden werden.28
Allerdings bestand das ungarische Parlament – und zwar parteiübergreifend – darauf, dass das Provisorium entsprechend den Bestimmungen des staatsrechtlichen ungarischen Ausgleichsgesetzes – G.A. XII/1867 – in Zisleithanien auf parlamentarischem Weg in Kraft gesetzt würde.29
Und weil am 27. November 1897 die Verhandlungen im zisleithanischen Reichsrat endgültig abgebrochen werden mussten, bedeutete dies das dritte und endgültige Scheitern. Bei dem Versuch, zu retten, was noch zu retten, war, wurde alles verloren. Die Wirtschaftsgemeinschaft konnte in der bisherigen Form – basierend auf dem staatsrechtlichen Ausgleich von 1867 – nicht aufrechterhalten bleiben. An Ungarn fiel – entsprechend § 68 des G.A. XII/1867 – das Verfügungsrecht über die bisher gemeinsam geregelten Wirtschaftsfragen zurück.
Der Ausgleich war zum vollständigen Desaster geworden. Wirtschaftspolitisch war alles ins Wanken geraten – niemand wusste, ob und wie lange die Einheit noch währte – und nach innen und außen wurde der Eindruck eines sich in Auflösung befindlichen staatlichen Gebildes erweckt, der der Realität zumindest nicht sehr fern lag.
3. Die selbständige Aufrechterhaltung der Wirtschaftsgemeinschaft
Wie gesagt hatte Ungarn das selbständige Verfügungsrecht über die gemeinsamen Wirtschaftsfragen zurückerhalten. Es stand ihm nun völlig frei, Zollschranken gegenüber Zisleithanien zu errichten.
Dies konnte aber nur – und dessen war sich die Regierung Bánffy bewusst – zu einer wirtschaftlichen Katastrophe führen. Ihre Agrarprodukte hätten den sicheren Absatzmarkt Zisleithaniens verloren, ohne dass Ungarn den Industriegüterimport von dort hätte effektiv unterbinden können. So entschloss sich Bánffy schon während des Jahres 1897, die Wirtschaftsgemeinschaft auch dann aufrechtzuerhalten, wenn die parlamentarische Verhandlung des Provisoriums in Zisleithanien scheitern sollte; allerdings auf einer anderen rechtlichen Basis als der des staatsrechtlichen Ausgleichs von 1867.30 Nicht mehr wegen deren Bestimmungen, sondern auf freiwilliger Basis erklärte sich Ungarn im G.A. I/1898 bereit, die Bestimmungen des Ausgleiches von 1887 für ein Jahr anzuerkennen, wenn dies auch in Zisleithanien geschähe.
Somit blieb vorderhand alles beim Alten, aber neben der Tatsache der Erschütterung der Monarchie durch die Ausgleichsverhandlungen, gab es noch den bitteren Beigeschmack, dass die rechtliche Basis, die die Doppelmonarchie zusammenhielt, sich langsam aufzulösen begann.
Resümee
Nach solch harten Verhandlungen sowohl zwischen den Regierungen, als auch innerhalb des zisleithanischen Reichsrates, stellt sich die Frage, ob der eine oder andere Teil der Monarchie – oder auch beide – letztlich eine Wirtschaftstrennung anstrebten. Es spricht vieles dafür, dass dies direkt niemand wollte, auch wenn es in der Agitation beider Teile des Öfteren im Munde geführt wurde. Hier sei nur auf den G.A. I/1898 verwiesen, der ja geradezu die Trennung verhindern sollte. Auch auf zisleithanischer Seite gibt es deutliche Anzeichen dafür, dass nicht nur die Regierung die Gemeinschaft beizubehalten suchte, sondern auch zumindest Teile der deutschen Obstruktionsparteien, nämlich besonders diejenigen, welche Wirtschaftsinteressengruppierungen vertraten. Besonders der deutsche Abgeordnete der Brünner Handels- und Gewerbekammer Otto Lecher sei hier angeführt, der eine dreizehnstündige Obstruktionsrede hielt. Wahrscheinlich diente diese Rede – von ihm bewusst so eingesetzt – aber nicht der Obstruktion, sondern ihrer Hintertreibung, um der Regierung die Möglichkeit zu geben, das Provisorium gegen die Obstruktion durchzusetzen. Denn offen konnten weder er noch andere gegen die „Scharfmacher” und deren Obstruktion auftreten, dies hätte unweigerlich einen politischen Selbstmord bedeutet.
Und an der Spitze der „Scharfmacher” standen Georg Ritter von Schönerer und Karl Herrmann Wolf mit den Alldeutschen, deren dezidiertes Ziel die Herauslösung der deutschen Gebiete aus der Monarchie und ihr Anschluss an das Deutsche Reich war. Sie hätten mit dem Zusammenbruch der Monarchie ihr Ziel erreicht und das Verhindern des Provisoriums wiederum hätte sie diesem Ziel einen Schritt näher gebracht. Doch die Vertreter dieser Richtung waren im Grunde eine verschwindend kleine Minderheit.
Aber auch wenn die Aufhebung der Wirtschaftsgemeinschaft von keiner ernsthaften Gruppe angestrebt wurde, so nahmen doch alle für kleinste Vorteile das Scheitern in Kauf; und diese Bereitschaft, für Einzelfragen das Ganze zu gefährden, schuf die Situation, die die Monarchie 1897 an den Abgrund führte und von der sie sich letztlich nicht mehr erholen sollte.
Anmerkungen
1
Dies war der Ausdruck des ungarischen G. A. XII/1867 für Zisleithanien. Offiziell bezeichneten die „übrigen Länder” sich selbst als „die im Reichsrat vertretenen Königreiche und Länder”. Inoffiziell, staatsrechtlich aber falsch, bürgerte sich in beiden Teilen der Monarchie schnell der Begriff „Österreich” ein. Um weder die komplizierten Namen, noch den nicht korrekten Ausdruck „Österreich” verwenden zu müssen, wird in der Folge die auch oft benutzte Bezeichnung „Zisleithanien” gebraucht.
2
Dies waren der ungarische G. A. XII/1867 und das zisleithanische Gesetz vom 21. Dezember 1867, R. G. Bl. Nr. 146. Das zisleithanische Ausgleichsgesetz wurde halboffiziell auch „Delegationsgesetz” genannt; vgl. Eduard Bernatzik: Die österreichischen Verfassungsgesetze mit Erläuterungen. Wien 19112, S. 41.
Die Betonung auf „staatsrechtlich” scheint mir deshalb notwendig, weil es 1867 auch den ersten wirtschaftlichen Ausgleich gab und sich dieser Artikel vornehmlich mit den Wirtschaftsausgleichen beschäftigt.
3
Zu den pragmatischen Angelegenheiten vgl.: G. A. XII/1867, §§ 8–17, 23–51 und 69. Delegationsgesetz, §§ 1–3, 5–36.
4
Bezüglich der Quote vgl.: G. A. XII/1867, §§ 18–22. Delegationsgesetz, §§ 3 und 36.
5
Für die paktierten Angelegenheiten vgl.: G. A. XII/1867, §§ 52–69. Delegationsgesetz, §§ 2–4, 36 und 37.
6
Während die Quote 1867 genau auf zehn Jahre abgeschlossen worden war, galten für das Zoll- und Handelsbündnis differenziertere Bestimmungen. So musste sich eine Seite nach fünf Jahren – also ab 1873 – auf Wunsch der anderen auf Verhandlungen einlassen. Führten diese innerhalb eines Jahres nicht zum Ziel, so konnte das Bündnis dann frühzeitig gekündigt werden. Wenn es hingegen nach Ablauf des neunten Jahres – Ende 1876 – nicht gekündigt worden war, blieb es automatisch weitere zehn Jahre gültig. Während die Möglichkeit einer frühzeitigen Kündigung ab dem zweiten Zoll- und Handelsbündnis wegfiel, behielt man die Bestimmung der automatischen Verlängerung in den Folgeausgleichen bei. Doch wurde nie von der automatischen Verlängerung Gebrauch gemacht; alle Zoll- und Handelsbündnisse fanden durch die rechtzeitige Kündigung ihr Ende.
7
So hieß es in der Note des österreichischen Ministerpräsidenten Thun an Bánffy vom 17. August 1898: „Ich habe absichtlich den Punkt 66 [Bestimmungen des Gelbfußes im ungarischen G. A. XII/1867, A. S.-K.] neben dem Punkte 59 und 61 [Bestimmungen über das Zoll- und Handelsbündnis, A. S.-K.] des besagten Gesetzes citirt, weil sich aus demselben ergibt, dass der in der Note Eurer Excellenz seitens Eurer Excellenz aufgestellte Gesammtvorschlag vom ungarischen Standpunkte ebensowenig vertreten, wie er vom österreichischen Standpunkte angenommen werden kann. Denn wenn das politisch juristische Grundmotiv, welches die ungarische Regierung schon zur Construction des Gesetz-Artikels I ex 1898 [die einseitige ungarische Verlängerung des Zoll- und Handelsbündnisses, A. S.-K.] geführt und auch nunmehr auf der Bahn der einseitigen Regelung festhält, darin besteht, dass die genaue Legalität auf das rigoroseste bei der Erneuerung des Ausgleiches eingehalten werden muss, dann geht es nicht an, Materien, welche nach dem klaren Wortlaute des Gesetzes/:Art: XII. P. 60 und P. 66:/ ganz gleich behandelt werden müssen, für eine grundsätzlich verschiedene Lösung vorzuschlagen. Wenn die strenge Applicirung des Punktes 59 und 61 auf das Zoll- und Handelsbündnis als unvermeidlich betont und darum eine Abänderung des Status quo abgelehnt wird: dann kann aus Gründen wirtschaftlicher Opportunität bei den Angelegenheiten des Münzwesens und des Gelbfußes, das ist bei den Vorlagen, welche Valuta und Bank betreffen, nicht einfach von dem hier gleicher Weise bindenden, den Punkten 59 und 61 abgesehen werden. Entweder die strenge Legalität in dem einen Falle wie dem anderen oder aber wirtschaftliche Opportunität in beiden Fällen gleichmäßig.” Vgl. MOL, K 26, csomó 434, 1898, XXVI tétel, 106, Note des k.k. Ministerpräsidenten vom 17. August 1898, Folio 492 ff.
An dieser Stelle sei nur auf die zisleithanische Argumentation hingewiesen, aus der Bestimmung der staatsrechtlichen Ausgleichsgesetze, dass das Geldwesen nach gleichen Grundsätzen zu erfolgen habe, ergebe sich die gemeinschaftliche Regelung der Notenbankfrage.
8
Bánffy widersprach Thun: „Sie können die oben gekennzeichneten zwei Argumente [der zisleithanischen Seite, A.S.-K.], welche gegen die ungarischen Vorschläge vorgebracht wurden, nicht für stichhaltig erkennen. Die vom Standpunkte der Legalität gemachte Objektion kann nur von der Verkennung der gesetzlichen Sachlage herrühren. In dem Ges. Art. XII vom Jahre 1867 ist über die Notenbank nicht einen Buchstabe enthalten. Unsere auf die Österreichisch-ungarische Bank bezüglichen Gesetze sind ohne Ausnahme einseitig, von einem Übereinkommen oder Vertrage zwischen beiden Staaten ist in dem Gesetze gar keine Rede.” Vgl. ÖStA, HHStA, Kabinettskanzlei, deutsche Übersetzung der ungarischen Ministerratsprotokolle, Ktn. 20, Protokoll der Sitzung des Ministerrates vom 26. August 1898: In Angelegenheit der mit Osterreich [sic!] gepflogenen Ausgleichsverhandlungen; ungarisches Original: MOL, K 27 MT, doboz 63.
9
„Der Ministerrat gibt in erster Reihe vom politischen Gesichtspunkte ausgehend seinem Wunsche Ausdruck, dass das Zoll- und Handelsbündniss aufrecht erhalten bleibe, er ist jedoch der Meinung, dass dessen unveränderte Aufrechterhaltung nicht möglich ist. (...) die Kündigung des Bündnisses bei jeder Gelegenheit aber mit Rücksicht auf die Konsolidierung der inneren Verhältnisse der Monarchie eventuell zu irrigen Deutungen Anlass biethen könnte; hat der Ministerrath sich entschlossen zu versuchen, ob es nicht möglich wäre bezüglich der nothwendigen Modifikationen mit Österreich noch vor dem Ablaufe der Kündigungsfrist eine Vereinbarung zu erzielen.” Vgl. ÖStA, HHStA, Kabinettskanzlei, deutsche Übersetzung der ungarischen Ministerratsprotokolle, Ktn. 17, Protokoll der Sitzung des Ministerrates vom 26. August 1895, Punkt 5: Erneuerung des mit Österreich bestehenden Zoll- und Handelsbündnisses; ungarisches Original: MOL, K 27 MT, doboz 56.
10
Von diesem Treffen wurde kein Protokoll angefertigt, so dass der Inhalt nur über spätere Noten erschlossen werden kann. Auch Biliński erwähnte diese Zusammenkunft in seinen Memoiren. Vgl. Leon von Biliński: Wspomnienia i dokumenty [Erinnerungen und Dokumente], 2 Bde. Warschau 1924 und 1925, 1. Band, S. 97.
11
Die Formulierung, auf die sich beide Finanzminister bezüglich des Junktims geeinigt hatten, lautete: „Bevor ich auf die Resumirung der Ergebnisse unserer Besprechungen und die Darlegung meiner Ansichten über die zur Sprache gekommenen Gegenstände übergehe, muss ich noch Eure Excellenz bitten, meine nachstehenden Äußerungen als ganz unverbindlich zu betrachten, die lediglich den Zweck haben, eine Klärung und Sonderung der verschiedenen Standpunkte herbeizuführen. Ich bin davon überzeugt, dass Eure Excellenz diese Bitte für gerechtfertigt erachten werden, wenn ich bemerke, dass die kön. ung. Regierung in diesen Angelegenheiten noch keine Stellung genommen hat und dass bei dem großen vielfach verschlungenen Complex von Angelegenheiten, die zwischen beiden Regierungen demnächst zur Austragung gelangen, die endgültige Schlussfassung in den einzelnen Angelegenheiten auch von der Beurtheilung der Ergebnisse der Verhandlungen in ihrer Totalität abhängig gemacht werden muss.” Vgl. ÖStA, FA, G.Z. 7387/1895, Note des ungarischen Finanzministers vom 3. November 1895, eigene Hervorhebung.
Diese hervorgehobene Stelle der Note Lukács stand im krassen Gegensatz seiner späteren Aussage: „das die mit der Verlängerung des Zoll- und Handelsbündnisses untrennbar zusammenhängenden Fragen der Neuordnung der Verzehrungssteuern, wie auch die der Verlängerung des Bankprivilegiums als Angelegenheiten zu betrachten sind, die jede für sich ein abgeschlossenes Gebiet betreffen, innerhalb dessen die gegenseitigen Interessen ihre Ausgleichung zu finden haben.” Vgl. MOL, K 255, csomó 430, 1897, 6. tétel, 787, Abschrift der Note des ungarischen Finanzministers vom 28. Februar 1897, Folio 3v, S. 4, eigene Hervorhebung.
12
„In Betreff der Quotenfrage wurde vereinbart, dass die Initiative hinsichtlich der Beantragung des neuen Quotenschlüssels den Regnicolar-Deputationen zu überlassen sei.” Vgl. MOL, K 26, csomó 357, 1896, 64, Protokoll der gemeinschaftlichen Ministerkonferenzen vom 3. bis 5. Februar 1896, Folio 453v.
13
Vgl. MOL, K 26, csomó 357, 1896, 64, Protokoll der gemeinschaftlichen Ministerkonferenzen vom 16. bis 18. Juli 1896, Folio 610–619.
Bánffy brachte mit seiner Note vom 29. November 1896 erneut einige Punkte zur Diskussion. Vgl. MOL, K 26, csomó 357, 1896, 64, Entwurf der Note des ungarischen Ministerpräsidenten vom 29. November 1896, Folio 702–710.
14
Vgl. ÖStA, FA, G.Z. 899/1896, Entwurf der identischen Noten an die Österreichisch-ungarische. Bank vom 3. Februar 1896.
15
„Ich halte es für meine collegiale Pflicht Euere Excellenz darauf besonders aufmerksam zu machen, dass mit der Liquidation der Österr.-ung. Bank (...) die Frage des Notenwesens in beiden Staaten der Monarchie in ihrer Totalität aufgerollt wird und es daher ein unumstößliches Gebot der Voraussicht ist dies erst dann herbeizuführen, wenn über die weiteren Maßnahmen ein volles Einvernehmen erzielt sein wird.” Vgl. ÖStA, FA, G.Z. 5877/1896, Note des ungarischen Finanzministers vom 26. August 1896.
16
Den Abschluss der Verhandlungen bildete die Note des Gouverneurs der Österreichisch-ungarischen Bank vom 16. März 1897. Vgl. ÖStA, FA, G.Z. 2111/1897.
Noch am 16. März stellte Bili¤ski: die Einigung im Ministerrat fest. Vgl. ÖStA, AVA, Ministerratsprotokolle, Ktn. 36, Protokoll der II. Sitzung des Ministerrates vom 16. März 1897, Punkt II: Einbringung von elf Gesetzentwürfen im Reichsrathe, betreffend die Fortführung der Währungsreform und die Regelung der Bankfrage.
Einen Tag später, am 17., berichtete auch Bánffy im ungarischen Ministerrat vom Abschluss der Verhandlungen mit der Notenbank. Vgl. ÖStA, HHStA, Kabinettskanzlei, deutsche Übersetzung der ungarischen Ministerratsprotokolle, Ktn. 18, Protokoll der Sitzung des Ministerrates vom 17. März 1897, Punkt 2: Von den Ausgleichsverhandlungen; ungarisches Original MOL, K 27 MT, doboz 59.
17
Vgl. Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Hauses der Abgeordneten, XII. Session 1897, Beilage 164. Da die Beilage 164 während der XII. Session dem Reichsrat nicht unterbreitet wurde, kam es unverändert in den Entwurf des Ausgleichsprovisoriums. Vgl. XIII. Session 1897, Beilage Nr. 177.
18
Vgl. ÖStA, AVA, Ministerratsprotokolle, Ktn. 36, Protokoll der Sitzung des Ministerrates vom 29. August 1897, Punkt II: In Angelegenheit der Ausgleichsverhandlungen, speziell der Bankfrage und der Erneuerung des Zoll- und Handelsbündnisses mit Ungarn.
19
Vgl. Pester Lloyd, Abendblatt Nr. 6 vom 9. Januar 1896, 2. Seite, Aus dem Reichstage.
20
Vgl. Éva Somogyi: Die Protokolle des gemeinsamen Ministerrates der österreichisch-ungarischen Monarchie. Bd. V, 1896–1907, Budapest 1991, Sitzung des gemeinsamen Ministerrates vom 30. August 1896, Punkt II: Die parlamentarische Behandlung der Ausgleichsvorlagen sowie der projektierten neuen Militärvorlagen, S. 43.
21
Vgl. ÖStA, FA, G.Z. 8760/1896.
22
Vgl. ÖStA, FA, G.Z. 773/1897, Note des ungarischen Finanzministers vom 24. Dezember 1896.
23
Vgl. Bili¤ski: Wspomnienia i dokumenty, S. 107.
24
Notenwechsel beider Ministerpräsidenten im Mai 1897 mit den Noten Bánffys vom 6. und 14. sowie den Noten Badenis vom 10. und 16. Mai 1897 vgl. MOL, K 26, csomó 399, 1897, 878 II.
25
Vgl. Bili¤ski: Wspomnienia i dokumenty, S. 107.
26
Als einige Beispiele des reichen Schrifttums Zisleithaniens über die Ausgleichsfrage 1896 vgl: Paul Hoffmann von Wellenhof: Der Ausgleich mit Ungarn. Graz 1896; Josef Fořt, Der Kern der bevorstehenden österr.-ungar. Ausgleichsfrage, Prag 1896; ÖStA, FA, G.Z. 1433/1896, Memorandum der k.k. Krakauer Landwirtschafts-Gesellschaft über den Ausgleich mit Ungarn; sowie a.a.O. G.Z. 2109/1896, Memorandum der Handels- und Gewerbekammer Graz.
27
Zu den Ereignissen und der politischen Situation in Zisleithanien vgl. besonders Berthold Sutter, Die Badenischen Sprachenverordnungen von 1897, 2 Bände, Graz–Köln 1960 und 1965.
28
Vgl. Pester Lloyd, Abendblatt Nr. 242 vom 21. Oktober 1897, 1. Seite, Aus dem Reichstage.
29
So referierte Ferdinand Horánszky auf der Konferenz der Nationalpartei vom 20. Oktober 1897 über seine Gespräche mit Mitgliedern der regierenden Liberalen Partei, dass das Ausgleichsprovisorium „nicht anders verstanden wird, nicht anders verstanden werden kann und nicht anders verstanden werden darf, als dass die analogen Bestimmungen auch im anderen Staate der Monarchie unter Mitwirkung der gesetzgebenden Faktoren zu Stande kommen müssen.” Vgl. Pester Lloyd, Morgenblatt Nr. 252 vom 21. Oktober 1897, 3. Seite, Die reichstägige Nationalpartei.
30
Vgl. ÖStA, HHStA, Kabinettskanzlei, deutsche Übersetzung der ungarischen Ministerratsprotokolle, Ktn. 18, Protokoll der Sitzung des Ministerrates vom 20. Oktober 1897, Punkt 18: Eventuelle Verfügungen betreffend der Verwaltung der gemeinsamen Angelegenheiten; sowie a.a.O. Protokoll der Sitzung des Ministerrates vom 10. November 1897, Punkt 16: Betreffend provisorischer Regelung des Zoll- und Bankwesens. Beide ungarischen Originale fehlen.