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Begegnungen
Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Band 12:99–115.

FERENC FEJTŐ

Gedanken über die Ungarn und die Juden in Ungarn

 

Das jetzt präsentierte Buch über die tausendjährige Geschichte der ungarisch-jüdischen Beziehungen habe ich ursprünglich auf Bestellung eines französischen Verlages für das französische Publikum mit der sehr effektiven Hilfe meines Freundes Gyula Zeke geschrieben. Soviel ich weiß, ist das Buch vor einigen Wochen bereits erschienen, auch die Belegexemplare wurden verteilt, so haben es unter Ihnen vermutlich schon mehrere in der Hand gehabt und gelesen. Erwarten Sie von mir jetzt deshalb keine detaillierte, wissenschaftliche Abhandlung über das Thema, und da ich mich ungern wiederhole, möchte ich vielmehr einige Fragen beantworten, die ich mir seit der Herausgabe des Buches vor vier Jahren gestellt habe, oder die mir meine französischen Leser, Zuhörer und Rezensenten gestellt haben.

In der französischen Ausgabe hatte das Buch den Untertitel: ‘Die tausendjährige Geschichte des eigenartigen Verhältnisses von Ungarn und Juden’. Warum ‘eigenartig’? – fragten viele. Weil ich während der fünf Jahre, die ich mit der Untersuchung und Abfassung der Geschichte verbracht habe, zu der Überzeugung gelangte, dass der ungarische Jude in der Geschichte der jüdischen Diaspora ein eigenartiges Phänomen ist – wie die Ungarn und Juden für sich eigenartige kollektive Persönlichkeiten sind. Da ich seit langem vergleichende historische Essays schreibe, suchte und fand ich viele Gemeinsamkeiten zwischen den Deutschen und den Juden in Deutschland, zwischen den Eigenartigkeiten der französischen oder polnischen, tschechischen oder österreichischen Juden. All diese Völker lebten jahrhundertelang im Rahmen der griechisch-römischen, jüdisch-christlichen Zivilisation, wobei die Regeln des gesellschaftlichen und politischen Verhältnisses den Juden gegenüber von den christlichen Kirchen festgestellt wurden. Ab der Mitte des 18. Jahrhunderts begann unter dem Einfluss der Ideen der Aufklärung die Trennung von Staat und Kirche und die Entscheidungen des Staatsinteresses – anfangs der aufklärerischen tyrannischen Regierungen – lösten einen Prozess aus, der zur Rechtsgleichheit der Staatsbürger, zur religiösen Toleranz und in den katholischen Staaten zur Emanzipation der Protestanten und Juden führte. Dieser Vorgang wurde in den Ländern der Österreich-Ungarischen Monarchie, so auch in Ungarn durch die Initiativen von Maria Theresia und Joseph II. ausgelöst und hing mit der antifeudalen und modernisierenden Politik dieser Herrscher zusammen, die von den ungarischen hohen Beamten – zum Beispiel Gergely Berzeviczy1 – sowie dem Großteil der aus dem Kleinadel herauswachsenden Intellektuellen unterstützt wurde.

Aus der Hand des als Gegenwirkung der französischen Revolution reaktionär gewordenen Wiener Hofes übernahm am Anfang des 19. Jahrhunderts die sich die Modernisierung und Verselbständigung Ungarns zum Ziel setzende politische Elite die Angelegenheit der Modernisierung der Staatsverwaltung. So war die Frage der Emanzipation und staatsbürgerlicher Gleichheit der Juden ab 1825 ständig auf der Tagesordnung auf den ungarischen Parlamentssitzungen. Hier muss bemerkt werden, dass die zu dieser Zeit vor allem aus dem Westen in großem Maße einwandernden deutschsprachigen Juden bereits vor ihrer Aufnahme aktiv an der Entwicklung des ungarischen wirtschaftlichen und kulturellen Lebens teilgenommen haben und dabei eine größere Rolle als in den anderen mittel- oder westeuropäischen Ländern gespielt haben.

Die Umstände des Zusammentreffens der Ungarn und der Juden waren besonders günstig. Dieses Treffen begann während der Glanzzeit der Aufklärung, als beide Parteien in eine Identitätskrise gerieten. Sowohl der ungarische Adel als auch die ansässigen Juden erkannten gleichzeitig ihre Rückständigkeit. Die Aristokratie und der Großteil des in Komitatsrepubliken organisierten ungarischen Adels begannen die Notwendigkeit zu spüren, sich an das in den westlichen Staaten sich immer dynamischer entwickelnde industrielle, landwirtschaftliche, finanzielle und die Mentalität betreffende Modell zu assimilieren, und die Juden erkannten ihre Isolierung in religiösen Gemeinden als zu eng, so wurde der Wunsch laut, sich an die Gesellschaft ihrer Heimat, vor allem an deren soziale und politische Elite anzupassen. Einen ausgezeichneten Trumpf hatten sie darin, dass sie ihre internationalen Verbindungen, die Vorteile ihres seit Jahrtausenden geübten Wissens in Schreiben, Lesen und Rechnen zur Entwicklung ihrer neuen Heimat verwendet haben. So entwickelten sich einerseits in der ungarischen Reformelite eine philosemitische Strömung, die von den Reformisten, die sich um József Eötvös scharten, leidenschaftlich unterstützt wurde, andererseits der Patriotismus der ungarischen Juden, der sich zuerst während des Freiheitskampfes im Jahre 1848 offenbarte.

Unter den in Ungarn lebenden Nationalitäten waren es die Juden, zusammen mit der Mehrheit der sesshaften Deutschen, die nicht nur keine Nationalitätenautonomie forderten, sondern die ungarische Sprache und Kultur übernahmen und deren Verbreitung sogar auf den Nationalitätengebieten unterstützten. So kam ein stillschweigender Kompromiss zustande, die von einem der größten Kenner der Geschichte der Juden in Ungarn, von meinem Freund Viktor Karády – der mir beim Schreiben meines Buches mithalf – mit dem Namen „ungarisch-jüdischer Gesellschaftsvertrag” bezeichnet wurde. Der Vertrag kann im Großen und Ganzen so definiert werden, dass die ungarische herrschende Klasse – ab 1867 mit der Gutheißung des Wiener Hofes, manchmal sogar mit seiner Rivalität – die Gleichheit der Juden als Staatsbürger gesetzlich anerkannte und die Juden – in der Mehrheit „Reformjuden” – ihre ethnische Eigenartigkeit aufgegeben und ihre Begabung in den Dienst des ungarischen Staates und der ungarischen Gesellschaft gestellt haben.

In keinem europäischen Staat stieß der die Neubildung des jüdischen Staates, also die nationale Renaissance des Judentums erzielende Zionismus auf solchen Widerstand, wie bei den Juden in Ungarn, obwohl der Zionismus von einem in Ungarn geborenen, deutschsprachigen, prophetischen Autor ins Leben gerufen wurde. Der größte Teil der rumänischen und russischen Juden gab bei den Registrierungen jüdisch als Nationalität an und behielt sich die jiddische Muttersprache vor, die Juden in Ungarn – sogar die orthodox konservativen – sprachen zu Hause ungarisch. Der Großteil der Juden in Ungarn teilte die Auffassung, die am Ende des 18. Jahrhunderts von einem ungarischen Philologen wie folgt formuliert wurde: die Nation lebt in ihrer Sprache. Ungar ist, der ungarisch zur Muttersprache hat und sich zur ungarischen Nation bekennt.

Dass diese Konzeption nicht generell war und vor allem von den kirchlichen Kreisen nicht vertreten wurde, zeigen die Parlamentsberatungen und Pressedebatten bereits vor 1848. Die ungarischen Juden wichen von den in anderen Ländern lebenden Juden auch darin ab, dass sie trotz der durch den dem Fall Dreyfuss-Angelegenheit vorausgegangenen Tiszaeszlár-Prozess ausgelösten antisemitischen Bewegungen auf ihrem Ungarntum beharrten und zu dessen Bekräftigung sich anstatt des Wortes Jude, das nicht nur die Religion, sondern auch den ethnischen Ursprung bezeichnete, Israeliten genannt haben. Das ungarische Judentum ist jedoch das einzige, in dem es zwischen dem konservativen, dogmatisch auf den rituellen Traditionen beharrenden Juden und den die kulturelle Assimilation vollständig vertretenden Reform-Juden, die sich als Neologen bezeichnet haben, zur Kirchenspaltung kam. Ein paradoxes Phänomen ist, dass József Eötvös, der wie bekannt nicht nur Liberaler, sondern auch ein Anhänger der staatlichen Zentralisation war, es bei seinem besten Willen nicht gelang, für die jüdischen Gemeinden eine den katholischen und protestantischen Kirchen ähnliche einheitliche Vertretung zu schaffen.

Es kann behauptet werden, dass nur die Antisemiten zwischen den verschiedenen Gruppen des sozial und weltanschaulich immer differenzierteren ungarischen Judentums keinen Unterschied machten, da ihre Judengegnerschaft sich immer offener auf rassistische Argumente stützte.

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In meinem Buch messe ich der Diskussion auf hohem Niveau eine große Bedeutung bei, die in der Zeitschrift von Oszkár Jászi,2 in ‘Huszadik Század’,3 während des Ersten Weltkrieges im Jahre 1917 im Gange war und in der sich die geistigen Fürsprecher der verschiedenen geistigen Strömungen des ungarischen Judentums sowie des modernen ungarischen Antisemitismus äußerten. Das Hauptargument der Antisemiten – deren intellektuelle Wurzel teils auf den kirchlichen Antijudaismus, andererseits auf die Denkweise der kleinadligen Antiassimilationisten vom 19. Jahrhundert zurückzuführen ist – war die wesentliche ‘Blutsfremdheit’ des Judentums, die Unmöglichkeit seiner Assimilierung und die Gefahr seiner ‘Eindrängung’ in die ungarische Kultur. Mehrere Redner bedauerten nunmehr mit ehrlicher Offenheit die Verwirrung der ungarischen politischen Elite im Jahre 1867, als die volle Gleichberechtigung der Juden mit ungarischer Abstammung angenommen wurde. Der Diskussionsbeitrag eines Kurialrichters namens Ede Alföldy ist ein interessantes Beispiel der antiliberalen Wendung, die in der höheren Beamtenelite erfolgte. „Die heilige Idee der Gleichheit hat ihre Grenze dort”, – sagte er –, „wo einzelne Mitglieder der Gesellschaft neben einheitlichen Umständen solche Vorteile genießen, ohne dass diese Vorteile im entsprechenden Maße der Gemeinschaft nutzen würden. In dem Fall also, wenn das Judentum mit seinen besonderen Eigenartigkeiten oder Fähigkeiten andere vom Weg des Vorankommens verdrängt, ohne dass davon die Gemeinschaft mehr Nutzen zieht als Schaden, kann die Reglementierung des Judentums keine Gleichheitstheorie oder keinen Liberalismus verhindern.” (Siehe Seite 42 der Sonderausgabe von „Huszadik Század” über die Judenfrage.) Wie gesehen, haben die „Ébredő magyarok” (‘Erwachenden Ungarn’)4 und der sonst ausgezeichnete, aber tragisch endende Pál Teleki5 nichts Neues entdeckt. Es war nämlich offensichtlich, dass sich die Kündigung der Gleichheit und die rechtliche Konzeption der Unterscheidung nicht auf die Personen mit armenischer, kroatischer, serbischer, schwäbischer, slowakischer Abstammung bezog, sondern nur auf die Juden. Das wahre Ziel der Wende war, dass die jüdischen Jugendlichen – die sich in verschiedenen Bereichen des Unterrichts an der Universität mit ihren Fähigkeiten auszeichneten und sich als Folge davon in gesellschaftlich gesehen höheren Positionen etablieren konnten – aus dem Hochschulunterricht ausgeschlossen werden (man denke nur an Vilmos Vázsonyi, den späteren Minister).

An dieser Stelle sei bemerkt, dass viele Tausend jüdische Jugendliche ihr Diplom an ausländischen Universitäten erwerben konnten und von ihnen viele ihre Fähigkeiten im Ausland geltend machten. Diese Maßnahmen schadeten nicht nur dem Image von Ungarn, sondern auch der Entwicklung des Landes. Ich musste allerdings feststellen, dass die Zurückdrängung der jüdischen Konkurrenz auf administrativen Wegen und damit der Gedanke des Übertritts vom Weg zur Demokratie auf die rassenschützerische Bürokratie und dessen theoretische Formulierung bereits vor Trianon auftauchten.

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Wenn man über das Verhältnis zwischen Ungarn und Juden spricht, müssen auch die auch heute noch viel diskutierten Fragen der Identität, des nationalen Selbstbewusstseins und der Selbsterkenntnis behandelt werden. Sie verstehen es ja, ähnlich wie meine französischen Studenten und Zuhörer, dass diese Fragen sich nicht so leicht beantworten lassen, besonders wenn es um Nationen geht wie die ungarische, die in ihrer Geschichte oft mit Identitätsstörungen zu kämpfen hatten. Die Frage, wie ich schon erwähnt habe, wer und was ist ein Jude, können eigentlich nur die Antisemiten einfach und sicher beantworten. Die Antisemiten in Frankreich behaupten untereinander über die Juden: il n’est pas catholique, also wer nicht Katholik ist, was in diesem Zusammenhang so viel bedeutet, dass sie, wie es ungarisch oder jiddisch formuliert wird, nicht rein, nicht salonfähig, nicht ehrlich, nicht koscher sind. Es haftet an ihnen irgendwelche Sünde, früher die Sünde des Mordes an Gott, im modernen Zeitalter eher ihre ‘Shylock’-Geldgier. Auf der Enquete von ‘Huszadik Század’ leugnete jedoch der Großteil der jüdischen Redner die Existenz der Judenfrage und sie behaupteten, dass sie sich, auch wenn sie von Moses und nicht aus dem Árpádenblut abstammen, genauso als Ungarn fühlen wie die nicht jüdischen Ungarn. Sie bemerkten jedoch oft nicht, dass dieses Gefühl von ihrer Umgebung nicht immer geteilt wurde.

Was die Frage der ungarischen Identität betrifft, beginnt diese offensichtlich mit der Fragestellung nach dem ungarischen Ursprung, die ab dem 18. Jahrhundert Gegenstand der wissenschaftlichen Diskussion bildete. Am Ende dieses Jahrhunderts und in der romantischen historischen und belletristischen Literatur des 19. Jahrhunderts haftete an dem sich auf den einstigen Ruhm stützenden nationalen Stolz das schmerzvolle Gefühl der Dekadenz. Dies findet man unter anderem in den Gedichten von Dániel Berzsenyi, wo er über das „Verderben” der Ungaren schreibt.

Bei István Széchenyi6 ertönt anstatt der Klage über die Vergänglichkeit des Ruhmes und der Größe das optimistische Vertrauen und die Hoffnung als er verkündet, dass „Ungarn nicht ist, sondern wird”. Die Nation, deren Mitglieder die so nahe liegende Stadt Wien betrachteten, die langsam kosmopolitisch wurde, sahen die Zukunft der Nation in der Erneuerung der ungarischen Literatur, Bildung und Wissenschaft. Der in Wien lebende György Bessenyei stellt sich in einem „Brief in Versen” als ein schweigender Beobachter vor.

Und in diesem Schweigen ist vieles vom edlen ungarischen Schmerz angesichts der raschen Entwicklung des Westens enthalten. Ich muss jedoch bemerken, dass als es zum ersten Mal verkündigt wurde, dass „die Nation in ihrer Sprache lebt und ein Ungar ist, der auf ungarisch spricht, schreibt und liest”, der ungarische Adel eher lateinisch und die Aristokratie auf deutsch oder englisch sprach. Als der Dichter des slowakischen nationalen Erwachens, Štur, in einer an den Kaiser adressierten deutschsprachigen Petition schrieb, dass was sie, als Slowaken ersuchen, ist nur, dass sie „im ungarischen Vaterland” die gleichen Rechte wie die Ungarn genießen. Tatsache ist, dass zu dieser Zeit die Heimat, die von den Ungarn Ungarn genannt wurde, im Ausland den aus dem lateinischen ‘Hungaria’ stammende Name hatte (Ungarn, Hongrois, Ungharese usw.). Die slowakische Petition bestätigt, dass die Slowaken in den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts das ungarische Reich für ihre Heimat hielten, was von dem konservativen aristokratischen Anführer Aurél Dessewffy7 verstanden wurde, während der Liberale Lajos Kossuth,8 Redakteur von „Pesti Hírlap”, die an ihn gerichteten Briefe und Artikel von Stur ohne sie zu lesen zurückgeschickt hatte.

Im Gegensatz zu den Slowaken, die ihre Nationalität auf ethnischer und sprachlicher Grundlage formulierten, wählten die ungarischen Juden bereits vor der Emanzipation die ungarische Sprache und Kultur, und hielten sich auch als Nationalität für Ungarn, was der ungarische Staat – schon aus statistischen Gründen – akzeptiert hat und es wurde auch von der öffentlichen Meinung nicht bezweifelt. Von der nicht liberalen öffentlichen Meinung wurde es jedoch bezweifelt. Daraus entspringt die Judenfrage als Projektion der Kämpfe des Nationalismus mit liberalen und rassistischen Komponenten in Ungarn, der mit der Wende nach dem Weltkrieg zu einem relevanten Faktor des ungarischen politischen und geistigen Lebens wurde.

Als die aus der Zerstümmelung des historischen Ungarns resultierende erneute Identitätskrise in der Mitte der 30er Jahre während des ermutigenden Einflusses des deutschen Rassismus akut wurde, bekam ich von der Redaktion der Zeitschrift „Szép Szó”9 die Aufgabe, mit dem Titel „Was ist der Ungar jetzt?” eine Sonderausgabe zum Tag des Buches vorzubereiten. Ich nahm die Aufgabe mit der Bedingung entgegen, dass die Ausgabe mit einem Gedicht von Attila József10 eingeführt werden soll. Es geschah tatsächlich so. Die Sonderausgabe erschien im Juni 1937 eingeleitet von einem der schönsten Gedichte von Attila József, das „aus der Ferne von Tausend Jahren” geschrieben wurde und den Titel „Meine Heimat” (‘Hazám’) trug. Dieses Gedicht wird mit der Bitte an Gott beendet, „gib Menschlichkeit dem Menschen, gib Ungarntum dem Ungar!” Ein ausgezeichneter Vertreter des ungarischen Kalvinismus, Pál Simándy schrieb, dass „die grausame Grässlichkeit des Schicksals ist, wie Dezső Szabó mit seinem rassischen Pathos und Heidentum unwillkürlich den Weg der germanischen geistigen Eroberung geebnet hatte, vor der er als vor einem schweren Unglück die eigene Rasse gewarnt hatte.”

Nach zwei Jahren veröffentlichte Gyula Szekfű11 in der Ausgabe von „Magyar Szemle”12 ein kollektives Werk, in dem zahlreiche politische Autoren und Publizisten die Kriterien der ungarischen Identität zu formulieren versuchten. Auf die Leserwelt der ungarischen Mittelklasse übte zu dieser Zeit schon die Nationsidee von László Németh die größte Wirkung aus. Mit seiner Unterscheidung zwischen „Tief-Ungarn” und „Dünn-Ungarn” sowie mit seiner Theorie über den „rassischen Geist” gab er den diskriminativen Bestrebungen quasi eine philosophische Grundlage, zwar mit einem bestürzend konfusen, jedoch aufregendem Pathos sowie einer persönlichen Glaubwürdigkeit der die ganze Frage vereinfachenden Definition, dass in Ungarn schließlich alle Ungarn sind, in deren Adern kein Tropfen jüdisches Blut fließt. Trianon hatte einen Vorteil, dass der ungarische Staat, der nunmehr die Last des Dualismus nicht mehr tragen musste, was die Nationalitäten betrifft, vollständig homogen wurde. Ein großer Nachteil war jedoch, dass die ungarische Politik, die ungarische politische Elite auch gegenüber den genauso Verliererstaaten Deutschland und Österreich zu einer restaurativ hybriden, teilweise feudalen, teilweise parlamentarischen Staatsform führte. Das Horthy-Regime versuchte zwar nach Westen das Image des Rechtsstaates zu zeigen, hielt jedoch unter der Devise des nationalen christlichen Kurses umso mehr den anfänglichen Antisemiten-Charakter aufrecht, ermöglichte die Sabotierung der Bodenreform und baute seinen wirtschaftlichen Einfluss auf die Zusammenarbeit des „christlichen” Großgrundbesitzes und des „jüdischen” Kapitalismus auf.

Was die Demokratie betrifft, die Einführung des allgemeinen und geheimen Wahlrechts, behauptete István Bethlen seinen englischen Besuchern, dass das ungarische Volk dazu noch nicht reif genug ist.

Die Abfassung der Geschichte von Ungarn bzw. des ungarisch-jüdischen Verhältnisses in der Zwischenkriegszeit ist eine schwierige Aufgabe, trotz der Tatsache, dass ich es miterlebt und viele Erinnerungen diesbezüglich habe.

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Bei der skizzenhaften Besprechung meines Buches bin ich nunmehr zu der heikelsten Frage, zu Soa bzw. zu der Frage der Verantwortung dafür gekommen. Die Behandlung dieser Frage fällt mir umso schwerer, da meine Familie väterlicherseits – deren Mitglieder ausschließlich auf dem Lande und teilweise in der Woiwodschaft lebten –, wie es aus meinem Lebenslauf bekannt ist, im Jahre 1944 vollständig ausgerottet wurde. Nur ein Onkel ist am Leben geblieben, der während des Ersten Weltkrieges Kriegsrichter, dann Polizeidirektor in Nagykanizsa war und von seinen Freunden gerettet wurde. So musste ich Angst haben, dass die Erinnerung an diese Tatsache, meine mich als Historiker verpflichtende „sine ira et studio” Objektivität beeinflussen könnte und diese Studie in eine Klageschrift verwandelt. Um dies zu vermeiden, stützte ich mich außer der Hilfe des an den Ereignissen unbeteiligten Gyula Zeke, nach der Studie von zahlreichen Memoiren und den Ergebnissen von Detailforschungen, auf die Analyse von zwei Historikern, deren Neutralität und Scharfblick im In- und Ausland anerkannt werden: es handelt sich um István Bibó und Gyula Juhász.

István Bibó13 übernahm nach dem Weltkrieg in der Novemberausgabe von „Válasz” im Jahre 1945 zuerst die Aufgabe, – wie er schrieb – die Verantwortung des Ungarntums für all das zu klären, was mit dem ungarischen Judentum nach 1938 und vor allem in den Jahren 1944–45 geschehen ist. Dies tat er mit einer einzigartigen Tapferkeit, dass es eigentlich nicht überraschend ist, dass seine Analyse und sein Urteil bis zu unseren Tagen nicht allgemein bekannt sind.

Erlauben Sie mir an dieser Stelle einen Abstecher zu machen. In den Jahren am Ende des 20. Jahrhunderts, vielleicht eben auf die Initiative des Heiligen Stuhls, wird in der französischen, deutschen und im allgemeinen in der westlichen öffentlichen Meinung im Kreise der Historiker und Politiker immer öfter über die Pflicht der Erinnerung gesprochen. Was bedeutet das? Das bedeutet, dass als die Menschheit nach dem Sturz des Kommunismus an einem welthistorischen Wendepunkt anlangte, überall in Europa die Nationalbewusstseine störenden Ereignisse der jüngsten Vergangenheit und die Verantwortung für diese diskutiert werden. Dieses, man könnte sagen, gewissensmäßige und wissenschaftliche Großreinemachen war für die Historiker keine leichte Aufgabe. Wie bekannt, gründet sich die Geschichte auf die Erinnerung, und setzt sich aus den Zeugnissen der Überlebenden oder Zeitgenossen zusammen. Und wie es Bergson in seiner denkwürdigen Studie über die Erinnerung darlegte, ist eine der Haupteigenschaften der individuellen Erinnerung die Fähigkeit des Vergessens, die Übermalung, das Retuschieren der Erinnerungen. Die Handlungen und Tatsachen, die auf unser Selbstbewusstsein, auf unsere Selbstachtung einen Schatten werfen könnten und die wir im Nachhinein als schändlich empfinden, möchten wir im Allgemeinen in Dunkel hüllen. So ist es mit den Individuen, mit den Nationen und auch mit den staatlichen Behörden. Stalin sagte in Jalta Churchill – wo er versuchte, vor ihm das Selbstbestimmungsrecht der kleinen Nationen zu verteidigen – : „glauben Sie doch nicht mein Herr, dass die kleinen Nationen immer unschuldig sind!” Sie sind es vermutlich nicht, es muss jedoch hinzugefügt werden, dass die großen Nationen noch weniger unschuldig sind und sich nur selten mit der Veröffentlichung ihrer eigenen Verantwortung, Sünden oder Verfälschungen auszeichnen. In den nationalen Geschichtsschreibungen funktioniert das Vergessen viel spontaner als die wahre Erinnerung. Gleichzeitig hat die historische Wahrheit die unangenehme Eigenschaft, dass sie trotz aller Versuche zu ihrer Unterdrückung ans Tageslicht kommen will.

Deshalb schrieb Attila József, dass man die Vergangenheit gestehen muss. Umso mehr, da ohne die Vergangenheit zu gestehen, zu beichten und ohne dass man aus den begangenen Fehlern und Sünden lernt, es kein wahres menschliches und nationales Selbstbewusstsein geben kann. Diese Erinnerung, die Notwendigkeit, die Forderung nach der Erkundung der historischen Wahrheit und deren Eintritt sind das, was ich im französischen geistigen und politischen Leben immer konzentrierter beobachte. Gerade als ich mich auf diesen Vortrag vorbereitete, habe ich im Leitartikel von Le Monde vom 8. Februar gelesen, dass es die moralische Pflicht der französischen Nation und des französischen Staates ist, sich mit der eigenen Geschichte zu konfrontieren und auszusprechen, was verschwiegen wurde bzw. was man verschweigen ließ. Der französische Staat, wenn auch mit Verspätung, hat seiner schmerzvollen Pflicht Genüge zu tun, mit den Grausamkeiten, die die französische Armee zwischen 1954–1962 im achtjährigen Krieg gegen Algerien begangen hatte, als beim Verhör der arabischen Kriegsgefangenen die grausamsten Folterungen verwendet wurden, abzurechnen. Später im Jahre 1962 wurden Zehntausende der algerischen Araber ihrem Schicksal überlassen wurden, die während des Krieges auf französischer Seite gekämpft haben und die in unabhängigen Algerien als Landesverräter behandelt wurden.

Beinahe gleichzeitig hat die französische Nationalversammlung dem Beispiel des amerikanischen Senats folgend den Genozid-Charakter der Massenabschlachtung der Armenier gesetzlich festgelegt, die während des Ersten Weltkrieges im Osmanischen Reich mit dem Verdacht des Kooperierens mit dem russischen Feind angeklagt wurden, was vom Rechtsnachfolger, dem türkischen Staat bis zu unseren Tagen geleugnet wurde und dessen Anerkennung im Interesse der Aufrechterhaltung der guten Beziehungen zum türkischen Staat die atlantischen Verbündeten – unter ihnen die Amerikaner und die Franzosen – gesetzlich festlegen wollten. Die in der ganzen Welt, besonders in den Vereinigten Staaten und in Südfrankreich sowie in Paris zerstreut lebenden Nachkommen der Armenier wollten jedoch in den vergangenen hundert Jahren die Frage nicht vergessen.

Es sei diesbezüglich die Tatsache erwähnt, dass Präsident Chirac 1995 die Verantwortung des französischen Staates für die Hilfeleistung offiziell feststellte, die die französische Verwaltung auf Anweisung der damaligen Regierung der Gestapo in der Zusammensammlung und Deportation der französischen Juden gab. Diese Verantwortung wurde von De Gaulle bis Mitterand bis jetzt immer mit dem Argument geleugnet, dass Pétain und seine inneren Mitarbeiter für die Sünden der mit den Deutschen kollaborierenden Pétain-Regierung bestraft wurden, die heutige Französische Republik jedoch die Verantwortung nicht übernehmen kann. Die Gültigkeit dieses Arguments wurde von Präsident Chirac und dann von Ministerpräsidenten Jospin zurückgewiesen, da die historische Kontinuität des französischen Staates mit der deutschen Besetzung und der Tätigkeit der mit den Nazis kollaborierenden Vichy-Regierung nicht abgebrochen wurde. Auf Grund der gleichen Rechtsargumentation entschuldigten sich die Vertretungen der französischen, deutschen, belgischen, polnischen usw. katholischen Kirchen für die Versäumnis der Kirche, dass sie gegen die Grausamkeiten der Nazis nicht energisch protestierte.

Tatsache ist, dass die Geschichte und Vorgeschichte des Zweiten Weltkrieges, besonders aus der Sicht der Siegermächte manchmal aus voneinander stark abweichenden Gesichtspunkten verfasst wurde und auch in den Schulen wird sie oft einseitig gelehrt. Die Sieger haben immer Recht, – schrieb etwas zynisch György Lukács. Darin steckt auch Wahrheit, aber die hat ihre Gültigkeit nur für Stunden, manchmal für Jahrhunderte oder Jahrtausende.

Ich erinnere mich, als in den 60er Jahren auf einer Historikerkonferenz über die Schwierigkeiten der Futurologie, also der Voraussicht diskutiert wurde und ein anwesender sowjetischer Historiker mir Folgendes sagte: Sie im Westen haben es leicht, die Sie über die Schwierigkeiten der Voraussicht diskutieren. In der Sowjetunion können wir nicht einmal die Vergangenheit voraussehen! Das bedeutet, dass das Bild der Vergangenheit, die Auswertung der vergangenen Ereignisse sich in jedem Zeitalter verändern. Die zum 200. Jahrestag der Französischen Revolution erschienenen Werke geben einem über die Ereignisse, die führenden Persönlichkeiten der Revolution ein ganz anderes Bild, als die Werke, die noch auf Grund der Memoiren der Zeugen der Revolution geschrieben wurden.

In den 80er Jahren löste ein ausgezeichneter Historiker, Ernst Nolte in Deutschland mit einer Arbeit eine große Diskussion aus, in der er beweisen wollte, dass der Nationalsozialismus mit seinen Verirrungen eigentlich als spontane und verständliche – wenn auch nicht entschuldbare – Reaktion des Deutschtums auf die drohende Gefahr des Kommunismus gedeutet werden kann, da zeitlich gesehen die Grausamkeiten der Repression von Lenin dem nationalsozialistischen Terror vorausgegangen sind und die Tscheka eigentlich der SS als Muster diente. Nolte bewies seine These mit einer Unmenge von Daten, die sein Buch kritisierenden Historiker beschuldigten ihn jedoch damit, dass er mit der Feststellung, dass nämlich die bolschewistischen Arbeitslager und Massaker den NS-Vernichtungslagern vorangegangen seien, eigentlich nur den Hitlerismus von der Verantwortung für die Kriegsverbrechen freisprechen will. Noltes Thesen können auch meiner Meinung nach kritisiert werden, vor allem, weil die Wurzeln der nationalsozialistischen Ideologie und des russischen Bolschewismus beinahe unabhängig voneinander auf die ferne Vergangenheit der beiden Nationen sowie auf ihre im Ersten Weltkrieg überlebten Traumen zurückzuführen sind. Die Verantwortung für die Grausamkeit des Bolschewismus kann ebenso nicht auf den deutschen Imperialismus und Rassismus abgewälzt werden wie umgekehrt. Das von Stephan Courtois zusammengestellte „Schwarzbuch” über die Verbrechen des Kommunismus (dessen Übersetzung soviel ich weiß auch in Ungarn erschienen ist), kann ebenso wenig der Rehabilitation der für die nationalsozialistischen Sünden Verantwortlichen dienen, wie die wissenschaftlichen Forschungen über die NS-Vernichtungslager die kommunistischen Verbrechen nicht vergessen lassen können. Nolte und einige westliche Historiker mögen jedoch darin Recht haben, dass in der westlichen Gesichtsschreibung, vor allem wegen dem nach dem Krieg sich langfristig durchsetzenden sowjetischen Einfluss und teilweise wegen der Rolle der Sowjets bei der Bekämpfung des Nazismus, die Erforschung und Analyse der kommunistischen Verbrechen vernachlässigt wurden. Dazu trug noch bei, dass die deutschen Archive seit langem für die Forscher offen sind, während die Archive im Kreml erst seit 1989 zur Verfügung stehen. Viele westliche Historiker entschuldigten die kommunistischen Verbrechen damit, dass die führenden Denker und Anhänger des kommunistischen Totalitarismus theoretisch die Erlösung der ganzen Menschheit von den Kriegen und der Ausbeutung erzielten, während die Verantwortlichen des deutschen Totalitarismus ihre Absichten zur Eroberung und Menschenvernichtung gegenüber den Juden und den Slawen nicht einmal verheimlicht haben. Diese Entschuldigung erinnert mich an den Spruch, dass „auch der Weg zur Hölle mit guten Vorsätzen gepflastert ist”. Die leidenschaftlichen Diskussionen, die durch diese Fragen überall ausgelöst wurden, würden eine ernste, wissenschaftliche Analyse verdienen. An dieser Stelle möchte ich Sie nur daran erinnern, dass es, seit es Geschichtsschreibung mit wissenschaftlichem Anspruch gibt, noch niemals in solchem Maße gegen die Nationalmythen, Selbstbestätigungen, die Verschleierung der historischen Wahrheiten und gegen die politischen Manipulationen bezüglich der Forschungen gekämpft wurde als seitdem Papst Johannes Paul II. ein erschütterndes Beispiel für das Bekenntnis der über 1000jährigen Sünden der römischen Kirche gegeben und die Gläubigen zur Selbstprüfung und Entschuldigung bei den Opfern aufgerufen hatte.

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Nach diesem Abstecher, der auch zum Verständnis der Bedeutung von István Bibó dienen kann – die man mit der Bedeutung von Karl Jaspers, dem deutschen Philosophen vergleichen könnte –, kehre ich zu den ungarischen Bezügen von Soa zurück. Ich halte es für das unvergängliche Verdienst von Bibó, dass er nicht einmal zwei Jahre nach den Geschehnissen die Aufdeckung des Wesens der Realität, die auch für ihn bittere Arbeit der nationalen und christlichen Selbstprüfung erfolgreich durchführte. So denke ich jetzt 50 Jahre nach der Veröffentlichung seiner Studie, wo uns bereits Detailforschungen zur Verfügung stehen, die mehrere Bibliotheken füllen könnten, dass man an seinen Analysen keine Zeile verändern soll und mit deren Darlegung und Kommentar ich in meinem Buch die eigene Meinung ausdrücken kann. Ich möchte jetzt nur einige relevante Punkte erwähnen.

1. Es kann nicht bezweifelt werden, dass die letzte Verantwortung für Soa die deutschen Nazis und ihre ungarischen Helfershelfer zu tragen haben. Was den ungarischen Staat betrifft, kann hier mit Bibó die in der Verteidigung des Horthy-Systems oft zitierte Entschuldigung nicht berücksichtigt werden, nach der die nach dem Judengesetz vom Jahre 1938 immer diskriminativeren Judengesetze dem Ziel gedient haben, die Gefahr der deutschen Besetzung und einer blutigen Judenverfolgung abzuwenden. Hier sei Bibó wortwörtlich zitiert: „die aus dem konterrevolutionären Terror vom Jahre 1919 herausgewachsenen Regierungen – auch die Bethlen-Konsolidation – haben die ungarische Gesellschaft völlig rechtmäßig an den Gedanken der Isolierung der Juden gewöhnt, und daran, dass die Achtung der menschlichen Würde auf die Juden nicht gültig ist.”

2. „Die herrschende Klasse stand immer bereit zur Verfügung der antisemitischen Propaganda, um ihr wahres Ziel, die Aufbewahrung der politischen und gesellschaftlichen Hegemonie, die zum gesamtnationalen Interesse erhoben wurde, vergessen zu machen.

3. „Das Verhalten der ungarischen Militärbehörden gegenüber dem Judentum auf den rückgliederten Gebieten, dann die Einordnung Hunderttausender Juden in den demütigenden Arbeitsdienst, die massenweise unter den Händen des ungarischen militärischen Abschaumes umgekommen sind, ist untrennbar davon, dass Horthy der Besetzung und deren Folgen den Anschein der Gesetzlichkeit verlieh.”

4. „Die Deportationen wurden mit Hilfe der unter pfeilkreuzlerischen Leitung stehenden ungarischen Polizeien, vor allem mit Hilfe der Gendarmerie durchgeführt.”

5. „Die Zahl der Deportierten vom vergrößerten Gebiet Ungarns war etwa 700.000, die Mehrheit von ihnen wurde in deutschen Vernichtungslagern vernichtet.”

Bibó urteilt sehr streng über das Verhalten der Kirchen und der Intelligenz – besonders der sog. völkischen Intelligenz –, obwohl er zu mehreren von ihnen freundschaftliche Beziehungen pflegte. Bibó ergänzte seine diesbezüglichen Bemerkungen vom Jahre 1945 in einem langen Brief an Gyula Borbándi im Jahre 1978 (siehe: István Bibó 1911–1979 Életút dokumentumokban /’Ein Lebensweg in Dokumenten’/, 1995. S. 634–681). Er machte der völkischen Intelligenz vor allem zum Vorwurf, dass diese sich „schief zu der dem ungarischen öffentlichen Leben aufgezwungenen verzerrten Auffassung verhalten hatte, die immer die Judenfrage in den Mittelpunkt der Politik stellte.” Wie schief dieses Verhältnis war, beleuchtete Gyula Juhász14 in seinem Buch mit dem Titel „Uralkodó eszmék Magyarországon 1939–1944” (‘Herrschende Ideen in Ungarn 1939–1944’, Budapest, 1983) im Kapitel, das er den interessanten Diskussionen der im August 1943 veranstalteten II. Konferenz in Szárszó gewidmet hatte. Ich muss bemerken, dass zu dieser Zeit alle Teilnehmer (Gyula Illyés, Zoltán Szabó, Imre Kovács) beinahe überzeugt waren, dass der Krieg verloren ist.15

Auf der Konferenz hielt László Németh die wichtigste und charakteristischste Rede, die die Judenfrage getrennt behandelte. Worin sah László Németh die katastrophalen Folgen der Judengesetze? Darin, dass es nicht erlaubt wurde, dass „die Juden Juden seien und unter sie mit Brandmarkung magyarisierte, halbe und viertel Juden gezwungen wurden”. (Juhász bemerkte, dass László Németh diese Feststellung dann äußerte, als die Tageszeitungen des nationalen Widerstandes nur mit jüdischen Geldern zu finanzieren waren.) „Und wir haben jetzt Frieden”, – prophezeite Németh etwas vorzeitig – „und in diesem Frieden werden sie die Spitzel werden, sie können jedoch auch die ernannten Erlöser sein”. Gyula Juhász bemerkte hier wiederum, dass „Németh es nicht wissen konnte, wir wissen jedoch über die Tragödie, und darüber, dass nach Monaten nicht der Friede kam und auch nicht die Zeit der rachsüchtigen Menschen ohne Selbstkritik, so hätte Németh nicht darauf aufmerksam machen müssen, dass der ein schlechtes Ohr für Messerschleifen hat, der nicht hört, dass Shylock eben das Herz braucht”.

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Hier höre ich auf, da ich bereits befürchte, Ihre Aufmerksamkeit zu lange beansprucht zu haben. In meinem Buch setze ich die Geschichte natürlich fort, eigentlich bis zu unseren Tagen. Vielleicht doch noch einige Worte darüber, wie ich heute im Jahre 2001 die Zukunft des ungarisch-jüdischen Verhältnisses sehe. Ich versuche kurz die 1997 geschriebene Konklusion meines Buches zu formulieren. Soviel ich weiß, tauchte die Judenfrage in den vergangenen Jahren in Ungarn in den Gesprächen, in der Presse, auf der Straßenbahn, sogar im Parlament wieder auf. Der Historiker kann sich darüber nicht wundern, denn er weiß über den Antisemitismus, dass er auch da existiert, wo keine oder kaum noch Juden oder Menschen mit jüdischer Abstammung oder Religion leben.

In Ungarn ist die Zahl der Juden in Folge des Genozids und der Abwanderungen stark zurückgegangen, ihr Gewicht im gesellschaftlichen Leben, in der Wirtschaft, in der Kultur und der Politik ist unvergleichbar kleiner, als es vor dem Genozid war. Trotzdem scheint es beinahe selbstverständlich zu sein, dass es einige gibt, Familien, Gruppen, Vereine, Presseprodukte, die die Zahl der Juden für zu groß halten und ihre Präsenz für das „rein ungarische” Volk – wenn es so etwas gibt – als schädlich und gefährlich empfinden. Solche Individuen und Gruppen gibt es auch in den Ländern der Europäischen Union und sie werden auch geduldet solange sie keine strafbaren Verbrechen begehen und sich rassistisch nicht hetzerisch oder handgreiflich äußern. Die Geschichte zeigt, dass diese extremistischen Elemente für die Juden und gleichzeitig für die Verfassungsmäßigkeit, die Demokratie nur dann eine Gefahr darstellen, wenn die demokratische Staatsmacht unfähig wird, eine wirtschaftliche und soziale Krise zu bewältigen und die bürgerliche Rechtsordnung zu sichern.

Es wird jedoch noch lange die Judenfrage geben und – ich darf prophezeien – nicht nur in Ungarn, sondern auch in den westlichen demokratischen Staaten, und zwar deshalb, weil sie tief in der europäischen Kultur verwurzelt ist. Der Antisemitismus ist eine der am meisten verbreiteten Formen des Fremdenhasses, eine, behaupte ich, denn es gibt auch die Zigeuner-Frage, die arabische Frage, die Neger-Frage, die chinesische Frage, die Ungarn-Frage in Rumänien, die kurdische Frage in der Türkei, die Hutu-Frage in Ruanda, die katholische Frage in Indien usw. Der Antisemitismus ist, ich wiederhole es, die Diabolisierung und Demonisierung des Judentums als Volk, ein Glaube an die bösen Geister wie an den Teufel, ein religiöses Phänomen, Glaube, blinder Glaube, eine Ideologie, die sich überall mit dem extremistischen Nationalismus verknüpft, eine fanatische Überzeugung, an die man also glauben muss, man kann jedoch mit ihr mit rationalen Argumenten nicht diskutieren. Obwohl die Glauben, die Hass-Religionen genauso wie die Liebe-Religionen, wie bekannt, die Zeiten und Umstände überleben, in denen sie entstanden sind, so können sie nicht auf soziologische oder politische Ursachen reduziert werden, deren Ursprung und Aufrechterhaltung sowie blutige Ausbrüche zu erklären und vorzubeugen wären. Man kann jedoch darauf vertrauen, dass, wie im allgemeinen die Phänomene der Zivilisation, die Moden, ideologische Strömungen, auch die Glauben sterblich sind.

In Ungarn wurde der Weg der Demokratie 1989 eingeschlagen, das Land bereitet sich auf die Mitgliedschaft in der Europäischen Union vor und die große Mehrheit der politischen Elite will sich an die westliche Wertordnung assimilieren, ich sehe so keine ernste Gefahr bezüglich der Situation der assimilierten Juden. Was ich in der französischen Ausgabe meiner Studie vor vier Jahren geschrieben habe, die Worte eines französischen Wissenschaftlers zitierend, halte ich auch bezüglich der ungarischen Situation im Großen und Ganzen gültig: „Die Franzosen, zumindest die Mehrheit, wurden die alten Dämonen los. Die Frage ist nunmehr, ob das Judentum in Frankreich den integrierten Teil der Nation bilden kann, ohne die Vergangenheit zu leugnen sowie ob die Franzosen fähig sein werden, sie so zu akzeptieren, ihr ihren Traditionen treues Anderssein respektierend.”

 

Anmerkungen (von Ildikó Farkas)

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Gergely Berzeviczy (1763–1822): volkswirtschaftlicher Schriftsteller, Sozialwissenschaftler, eine führende Gestalt der Freimaurerbewegung im 18. Jahrhundert in Ungarn. Er gehörte zu den ungarischen Kleinadeligen, die die Modernisierungspolitik von Joseph II. unterstützten. Nach dem Tod von Joseph II. schloss er sich den bürgerlichen Reformern an, später stand er mit der ungarischen Jakobinerbewegung in Verbindung (1795), die auf Einfluss der französischen Revolution entstand. Er wurde deshalb aus seinem Amt entlassen (er war ab 1788 Oberbeamter beim Statthalterrat), er zog sich danach auf seine Güter zurück und beschäftigte sich hauptsächlich mit der Verfassung von Schriften. Er unterstützte die Aufhebung der Leibeigenschaft und war einer der ersten Forscher der Situation des ungarischen Bauerntums.

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Oszkár Jászi (1875–1957): Sozialwissenschaftler, Politiker, Publizist, führende Gestalt und Begründer der Theorie des ungarischen bürgerlichen Radikalismus, einer der ersten ungarischen Soziologen. Er war Mitbegründer der Zeitschrift „Huszadik Század” (‘Zwanzigstes Jahrhundert’) (1900) und der Soziologischen Gesellschaft (‘Társadalomtudományi Társaság’) (1901) (Hauptredakteur zwischen 1906–19, Generalsekretär zwischen 1907–18). Mit seiner Freimaurerloge gründete er den Galilei Kreis, der vor dem Ersten Weltkrieg die radikale Organisation, später eher die marxistische Organisation der ungarischen Jugend war. Im Jahre 1914 gründete er die Bürgerliche Radikale Partei (‘ Országos Polgári Radikális Párt’), die auch ein konkretes politisches Programm formulierte (allgemeines Wahlrecht, Bodenreform, Unabhängigkeit, Antiklerikalismus), grundsätzlich jedoch eine doktrinäre Partei blieb. Oszkár Jászi nahm an der ungarischen Revolution in den Jahren 1918–19 aktiv teil. Im Jahre 1919 verließ er nach dem Zusammenbruch der Revolution das Land und lebte bis zu seinem Tod in Emigration.

 3

Huszadik Század (‘Zwanzigstes Jahrhundert’): die erste ungarische sozialwissenschaftliche Zeitschrift, die das neue Jahrhundert als Titel wählte, wurde am 1. Januar 1900 als Forum der neuen Gedankenströmungen und politischen Bestrebungen gegründet. Die Liberalen, die die Zeitschrift gegründet haben, schieden bald aus, ihr Platz wurde von den Vertretern der radikalen Progression eingenommen. Die bis 1918 erscheinende Zeitschrift veröffentlichte soziologische, philosophische und historische Studien und leitete Diskussionen über die aktuellen politischen Fragen des Zeitalters (Wahlrecht, Judenfrage, Nationalitätenfrage) ein.

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Ébredő Magyarok Egyesülete, ÉME: Rassenschützerische politische Organisation in Ungarn zwischen 1918–1945, sie wurde im November 1918 gegründet, die Zielsetzungen waren: die Verbreitung des christlichen nationalen Geistes, der Schutz des Ungarntums auf kulturellem und wirtschaftlichem Gebiet und die Bewahrung der Grenzen, die vor November 1918 gültig waren. Der Verein spielte eine relevante Rolle im politischen Leben zwischen 1919–21, sein Einfluß war später nicht mehr so bedeutend, seine Anführer waren in verschiedenen Rechtsparteien tätig. In den 1930er Jahren war der ÉME einer der bedeutendsten irredentistischen Vereine. Im Februar 1945 wurde der Verein mit den anderen Rechtsparteien und -organisationen aufgelöst.

 5

Pál Teleki (1879–1941): Geograph, herausragender liberaler konservativer ungarischer Politiker der Periode zwischen den beiden Weltkriegen. Er hatte eine bedeutende Rolle in der Gründung und der Herausgestaltung der Ideologie des Horthy-Systems (1920– 1945). Ab April 1920 war er Außenminister, dann zwischen Juli 1920 und April 1921 Ministerpräsident. In dieser Zeit ratifizierte Ungarn den Friedensvertrag von Trianon, das Numerus Clausus Gesetz gegen die Juden wurde eingeführt und gleichzeitig begann die Konsolidierung des Landes: die Bodenreform wurde durchgeführt und der weiße Terror gezähmt. Zwischen Februar 1939 und April 1941 war er zum zweiten Mal Ministerpräsident. Er schützte die ungarische Verfassungsmäßigkeit gegen extreme Rechte und den deutschen Eingriff. Beim Ausbruch des Zweiten Weltkrieges versuchte er mit den westlichen Mächten einen Kompromiss zu schließen und den Bewegungsraum Ungarns trotz des deutschen Druckes zu bewahren. Er schloss mit Jugoslawien einen Friedensvertrag für alle Zeiten, infolge der deutschfeindlichen Wende in Belgrad im März 1941 verlangte Hitler jedoch von Ungarn eben die militärische Kooperation gegen Jugoslawien und bot die Chance der Revision an. Teleki sah keinen Ausweg: er konnte das Angebot nicht zurückweisen, da dies die Verleugnung des Kampfes bedeutet hätte, den Ungarn 20 Jahre lang für die territoriale Einheit des Landes führte. Er konnte das Angebot aber auch nicht annehmen, da dies ein ernster Vertragsbruch gewesen wäre und er damit die Unterstützung der westlichen Mächte hätte verlieren können. Teleki konnte nicht wählen: er beging Selbstmord.

 6

István Széchenyi (1791–1860): die führende Gestalt des ungarischen Reformzeitalters. Er wurde in einer der vermögendsten aristokratischen Familien Ungarns geboren. In seiner Jugend bereiste er Europa, wo er angesichts der hochentwickelten wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse zu dem Entschluss kam, dass er sein Leben und Vermögen der Modernisierung seiner zurückgebliebenen Heimat widmet. Er bot im Parlament im Jahre 1825 die Erträge seiner Landgüter von einem Jahr zur Gründung der Ungarischen Akademie der Wissenschaften an. Er bürgerte weiterhin die Pferdezucht, das Pferderennen sowie die Dampfschifffahrt ein, startete die Flussregelung, initiierte und organisierte den Bau der ersten Steinbrücke zwischen Pest und Ofen. In seinen Büchern fasste er das wirtschaftliche und gesellschaftliche Programm der bürgerlichen Umgestaltung Ungarns zusammen. Er verkündigte friedliche Reformen, eine geduldige Nationalitätenpolitik, den Ausgleich mit dem Habsburgerreich und eine friedliche Kooperation und hielt die Unabhängigkeitsbestrebungen der radikalen Reformer für gefährlich. Nach der 1848er ungarischen Revolution war er Mitglied des ersten verantwortlichen ungarischen Ministeriums, nach dem österreichischen Angriff und dem Ausbruch des Freiheitskampfes trübte sich sein Geist immer mehr und er zog sich vom öffentlichen Leben zurück. Er lebte nach dem Zusammenbruch des Freiheitskampfes in der Nervenklinik in Döbling, wo er Selbstmord beging.

 7

Aurél Dessewffy (1808–1842): aristokratischer Großgrundbesitzer, neukonservativer Politiker im Reformzeitalter. Im Parlament war er in den Jahren 1833–36 Mitglied und später 1839–40 Anführer des neukonservativen Lagers der Magnatentafel. Nach seiner Rundreise in Westeuropa (1840–41) redigierte er die Zeitschrift „Világ” (‘Die Welt’) und vertrat den radikalen Reformen gegenüber die Politik „des überlegten Fortschrittes”.

 8

Lajos Kossuth (1802–1842): Politiker, eine führende Gestalt des Reformkampfes für die bürgerliche Umgestaltung und Selbstbestimmung Ungarns. Als Anwalt auf dem Lande mit kleinadeliger Abstammung trat er im Parlament in den Jahren 1832–36 mit seinem handschriftlichen Nachrichtenblatt „Berichte aus dem Parlament” auf, das für die Reformpolitiker ein landesweites Forum sicherte. Er wurde einer der Leiter der im Jahre 1847 gegründeten Oppositionspartei. Sie forderte das Tragen der öffentlichen Lasten, politische Rechtsgleichheit, Volksvertretung und eine unabhängige ungarische Regierung. Nach dem Sieg der 1848er Revolution war er Minister der ersten verantwortlichen ungarischen Regierung. Als Vorsitzender des nach dem österreichischen Angriff gegründeten Landesverteidigungsausschusses war er der Leiter des Landes und nach der Entthronung des Hauses Habsburg ab April 1849 bis August 1849 Gouverneur von Ungarn. Nach dem Zusammenbruch des Freiheitskampfes ging er ins Exil.

 9

Szép Szó: Literarische und soziologische Zeitschrift (März 1936 – Juli-August 1939). Sie wurde von einer linksorientierten Schriftstellergruppe gegründet, ihre Mentalität war das Ergebnis der Vereinbarung des bürgerlichen Radikalismus und des Sozialismus. Pál Ignotus und Attila József waren die Redakteure und auch Ferenc Fejtő nahm an der Gründung und Redaktion der Zeitschrift teil. In ihr kamen die Gedanken des Humanismus, des Rationalismus, der Aufklärung, des Liberalismus und des demokratischen Sozialismus zum Ausdruck. Sie kämpfte gegen den Faschismus und die extremen Rechte, sie distanzierte sich jedoch auch vom Westen, den sie dem herrschenden System für nachgiebig gegenüber hielt, sowie von den kommunistischen Kreisen, sie stand der volkstümlichen Bewegung gegenüber, die sie der Neigung zur extremen Rechten beschuldigte.

10

Attila József (1905–1937): Dichter, Redakteur, der bedeutendste Vertreter der ungarischen Lyrik zwischen den zwei Weltkriegen. Er stand mit der völkischen Idee, den Kommunisten, den sozialdemokratischen Traditionen, dann mit dem bürgerlichen Radikalismus in Verbindung. Als Dichter und Verfasser von Studien hatte er eine Neigung zur Synthese, auf seine Auffassung hatten sowohl der Marxismus als auch die psychoanalytische Schule Einfluß. Ab 1936 redigierte er die Zeitschrift “Szép Szó” mit Pál Ignotus und Ferenc Fejtő. Er beging Selbstmord.

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Gyula Szekfű (1883–1955): bestimmender Historiker der Zwischenkriegszeit in Ungarn.

In seinem Werk „Három generáció” (‘Drei Generationen’) wollte er in der durch den Ersten Weltkrieg verursachten Krise die Ursachen des ungarischen Verfalls sowie die Kritik der liberalen gesellschaftlichen Kräfte formulieren. Die Ursache des Bruches der im Rahmen der Österreichisch-Ungarischen Monarchie in Schwung gekommenen Entwicklung sowie die Ursache des Zerfalls der Monarchie sah er im moralischen und wirtschaftlichen Verfall des Kleinadels bzw. im Raumgewinn der Fremden (Deutsche, Juden). Sein Werk (und dessen Fortsetzung im Jahre 1935) wurde zum Grundpfeiler des Zeitalters.

12

Magyar Szemle Társaság (‘Ungarische Rundschau Gesellschaft’): die Magyar Szemle Társaság wurde 1927 zur Unterstützung der Politik des gemäßigten konservativen Ministerpräsidenten, István Bethlen mit der Teilnahme von Soziologen und Großkapitalisten gegründet. Zwischen 1927–1944 veröffentlichten sie die Zeitschrift „Magyar Szemle” (‘Ungarische Rundschau’), die die Wertordnung der gebildeten Mittelklasse widerspiegelte. Gyula Szekfű war bis 1938 ihr Redakteur.

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István Bibó (1911–1979): Rechtsphilosoph, Verfasser von politischen und historischen sowie rechtstheoretischen, die Verwaltung betreffenden und staatstheoretischen Schriften. Ihn beschäftigten vor allem das Verhältnis von Recht und Macht, das Problem der internationalen Rechtsprechung, die Theorie der Trennung der Staatsmächte sowie die Deformationen der politischen Entwicklung in Ostmitteleuropa. Er schrieb über die Judenfrage in Ungarn die beste Studie bis zu unseren Tagen (1948).

14

Gyula Juhász (1930–1993): Historiker. Sein Hauptforschungsgebiet waren die Geschichte der ungarischen Diplomatie zwischen den zwei Weltkriegen sowie die Geschichte des ungarischen politischen Denkens und die Geschichte Ungarns während des Zweiten Weltkrieges. Er verfasste ein erläuterndes Nachwort zu der Studiensammlung “Sorskérdések” (‘Schicksalsfragen’) von László Németh.

15

Volkstümliche Schriftsteller: in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre wurde die Bewegung der volkstümlichen Schriftsteller zur politischen Richtung, vor allem mit der Absicht, die gesellschaftlich-wirtschaftlich-politische Lage des Bauerntums zu verbessern. Die ungarische Volkstümlichkeit wurde von dem westeuropäischen Populismus durch die Identifikation mit dem Bauerntum und von der deutschen völkischen Sichtweise durch die Treue zu den Freiheitsideen der französischen Revolution sowie die Ablehnung der totalitären Staatsordnung abgegrenzt. In den 1930er Jahren wurde von den „Volkstümlichen” die Konzeption des „dritten Weges” ausgearbeitet, die sowohl die kapitalistische als auch die totalitäre kommunistische Weltordnung ablehnte und vor allem die genossenschaftliche Gesellschaft der Kleinproduzenten und Landwirte verwirklichen wollte. – Eine große Rolle spielten in den 1930er Jahren in der Ausgestaltung der völkischen Ideologie das Bewusstsein der nationalen Gefährdung sowie der Schutz der Nation. An diesem Punkt war die volkstümliche Bewegung wegen des Gebrauches des Wortes „Rasse”, das von den Volkstümlichen im Sinne „Nation” verwendet wurde, sowie wegen den bei einigen unleugbar vorkommenden, gegen das Judentum gerichteten rassistischen Ausdrücken von der Seite der liberalen Linken und der bürgerlichen Radikalen angreifbar. – Die bekanntesten Vertreter der Bewegung der volkstümlichen Schriftsteller waren: László Németh, Gyula Illyés, János Kodolányi sowie Péter Veres, Géza Féja, Pál Szabó und István Sinka, die die radikale Umgestaltung der Eigentumsverhältnisse in der Landwirtschaft forderten. Zu dieser Gruppe gehörten die Dorfforscher und die Klassiker der soziologischen Literatur Ferenc Erdei, Zoltán Szabó und Imre Kovács. Der soziale Radikalismus und der Aufklärungscharakter ihrer Bücher lösten sogar politische Verfolgungen aus. Sie haben unabhängig von politischen Richtungen viel zur Miteinbeziehung des Bauerntums in die Politik bzw. in die Literatur beigetragen.

 

Ferenc Fejtő ist Gründungsmitglied des Wissenschaftlichen Beirates des Europa Institutes. Mehrmals hielt er in den 90er Jahren in Budapest Vorträge in der Organisation des Institutes. Unter Mitwirkung des Europa Institutes erschien sein ursprünglich in französischer Sprache verfasstes Buch über das tausendjährige Zusammenleben von Juden und Ungarn und gegenwärtige Probleme in ungarischer Sprache. Das Buch (Ungarntum, Judentum) wurde innerhalb eines halben Jahres zum zweiten Male herausgegeben. Anlässlich der ersten Ausgabe organisierte das Europa Institut eine Buchpräsentation und lud den Autor nach Budapest ein. (Am 20. Februar 2001 hielt er seinen Vortrag Ungartum und Judentum.) An dieser Stelle folgt der Wortlaut seines Vortrages anlässlich der Buchpräsentation.