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Begegnungen
Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Band 12:246–255.

IVÁN BERTÉNYI d. J.

Zehn Denkmäler, ein Herrscher und eine Nation

Ein Ausgleichsversuch zwischen der dynastischen Loyalität und den ungarischen nationalen Emotionen

 

Nach den ruhigen achtziger Jahren geriet das dualistische System in den Neunzigern sowohl in Österreich als auch in Ungarn in eine Krise. Der Fall der seit langem regierenden zwei Ministerpräsidenten, Graf Eduard Taaffe bzw. Kálmán Tisza, war ein Zeichen dafür. Die neunziger Jahre waren in Ungarn von den sogenannten kirchenpolitischen Kämpfen gekennzeichnet: die liberale Mehrheit der regierenden Liberalen Partei wollte ihre sinkende Popularität durch populäre Reformen verstärken. Die ungarische Geschichtswissenschaft betrachtet die staatliche Führung des Standesregisters, die Religionsfreiheit – welche auch eine Konfessionslosigkeit erduldete –, die Gleichberechtigung der israelitischen Konfession und andere Gesetze als letztes bedeutendes Aufflackern des ungarischen Liberalismus. Aus parteipolitischem Gesichtspunkt war aber die Lage bei weitem nicht so eindeutig. Obwohl die Wekerle-Regierung gegen den Widerstand der katholischen Kirche auch von der 48er Opposition unterstützt war, und Wekerle bedeutend populärer wurde, sind doch einige konservative Elemente gegen ihn aufgetreten und manche sogar aus der Regierungspartei ausgetreten. Unter anderem auch der vorige Ministerpräsident selbst, Graf Gyula Szapáry. Andere waren zwar in der Regierungspartei geblieben, aber in der Presse waren jeden Tag Artikel erschienen, dass der konservative Teil der Liberalen Partei zusammen mit den verschiedenen Parteien der Opposition – und unterstützt von Franz Joseph, der die kirchenpolitischen Reformen nur schweren Herzens billigen konnte – eine neue, konservative Regierung bilden wird. Ein Mitglied dieser neuen Koalition hätte die Nationalpartei unter Graf Albert Apponyi sein können. Diese Partei war nicht nur die größte Kraft der Opposition, sondern sie war auf der 67er Basis stehend, prinzipiell regierungsfähig. Als Ministerpräsident war der Banus von Kroatien, Graf Károly Khuen-Héderváry auserkoren, er ist aber trotz mehrmaliger Versuche erfolglos geblieben. Die liberale Mehrheit der Regierungspartei stand fest zu Wekerle und zu der bisherigen Politik. Die Person von Wekerle war aber für den Herrscher unakzeptabel geworden, und so hat der Ministerpräsident im Interesse der Sanktionierung der Gesetze abgedankt.

Der Grund, warum Wekerle für Franz Joseph unakzeptabel wurde, liegt wahrscheinlich darin, dass der Herrscher die Gesetze, welche die bisher regierende Rolle der katholischen Kirche einschränkten, nur durch einen sehr schweren Gewissenskonflikt gutheißen konnte, und der Ministerpräsident, der ihn in diese Lage hineingezwungen hatte, musste den Preis durch seine Abdankung bezahlen. Ein anderer Grund, warum Franz Joseph die jahrzehntelange „quieta non movere” Praktik der Kirchenpolitik zwar zögernd, aber doch zu ändern bereit war, ist die Idee, dass dadurch die Regierung, die Parteien, die auf der 67er Basis stehen, und das Ausgleichssystem allgemein stärker wird. Seine Ratgeber waren der Meinung, dass der Liberalismus die in staatsrechtlichen Fragen gegeneinander kämpfenden ungarischen Parteien vereinen und dadurch die gesamte Ausgleichs-Struktur verstärken werden kann. Es geschah jedoch nur vorübergehend, da eine neue und resolute katholische Oppositionspartei gegründet war, und sowohl die konservativen Reste, die aus der Regierungspartei ausgetreten waren, aber auch die dort gebliebenen Unzufriedenen haben die Macht der Liberalen Partei geschwächt. Auch die 48er Ideen waren lebendig, doch ein wenig dadurch zurückgesetzt, dass die kirchenpolitische Frage in den Vordergrund trat. Aber der Tod und die Beisetzung von Lajos Kossuth 1894 zeigte, dass der bedeutende Teil des Landes noch immer Kossuth-Anhänger war.

Nach dem Fall von Wekerle musste man einen Ministerpräsidenten suchen, der fähig war, das durch die liberalen Reformen aufgestörte ungarische innenpolitische System wieder zu verstärken. Statt des Liberalismus musste man sich nach einem anderen Mittel umsehen, das die staatsrechtliche Konfrontation eventuell mindern kann. Es war eine große Aufgabe und es war bei weitem nicht leicht, den passenden Mann zu finden. Baron Dezső Bánffy, der loyale Präsident des Abgeordnetenhauses, hat diese Rolle übernommen. Er schien eine gewichtslose Übergangsfigur zu sein. Franz Joseph hat ihm fast diktiert, laut welchem Program seine Übergangs-Regierung zu funktionieren gedacht war.1

Dezső Bánffy hat jedoch alle Erwartungen weit übertroffen. Als Anhänger der liberalen Reformen konfrontierte er sich mit dem päpstlichen Nuntius und später, infolge eines Missverständnisses, auch mit dem gemeinsamen Außenminister, Graf Gustav Kálnoky, demzufolge verwandelte sich die liberale–klerikale Konfrontierung sofort in einen österreichisch–ungarischen Gegensatz. Das entschlossene Auftreten des Ministerpräsidenten beeinflusste auch die 48er Revolution so konnte die Regierung die schwersten ersten Monate überleben.

Der Kern des Bánffyschen Programmes aber war der ungarische Nationalismus, ein kraftvolles Auftreten gegen die Nationalitäten. Er stammte aus einer transsylvanischen Familie, früher war er dort Obergespan für fünfzehn Jahre, so wusste er nur zu gut, welche Wichtigkeit der Nationalitätenfrage zukam. Er war sogar auch darin bewandert, wie man die Gegner des ungarischen Nationalstaates besiegen kann.

Als Ministerpräsident erwies er sich eher als Meister der politischen Schachzüge, er hat jedoch seine Ideen für später bereits zu dieser Zeit niedergeschrieben.

Dezső Bánffy war ein Anhänger des Dualismus. Er hielt die Großmachtstellung der Österreichisch-Ungarischen Monarchie für unentbehrlich, damit die Ungarn gegenüber Nationalitäten einen genügenden Hintergrund haben. Jedenfalls wollte er aber auch erreichen, dass der Schwerpunkt der Habsburgermonarchie nach Ungarn herüberkomme. Dafür brauchte man ein stärkeres Ungarn, einen einheitlichen ungarischen Nationalstaat, also die Assimilation der Nationalitäten. Bánffy vertrat ein Europa der homogenen Nationalstaaten und anerkannte das Recht aller Staaten auf die Assimilierung der dort lebenden Minderheiten. Sogar im Falle der in Rumänien lebenden Ungarn! Deswegen kritisierte er stark die ungarische liberale Nationalitätenpolitik, weil die Konzessionen nur das Erreichen des Zieles verzögerten. Bánffy hielt besonders die sprachliche Magyarisierung für wichtig, aber er sah ein, dass ein absoluter Erfolg nur von einer jahrzehntelangen Arbeit erwartet werden könne. Die Fortsetzung der bisherigen milden Nationalitätenpolitik schien ihm sehr gefährlich, weil sie nur die Schwächung und den Zerfall Ungarns zur Folge haben könnte.

Eine stärkere Politik gegen die Nationalitäten war ein wirksamer Anknüpfungspunkt für alle ungarischen politischen Kräfte. 67er und 48er waren sich darin einig, dass die Integrität Ungarns ein absolutes Dogma ist, und der nationale Charakter war für jeden selbstverständlich zu stärken. Auf dieser Basis konnte man die Stabilisierung des dualistischen Systems versuchen.

Auch die Festlichkeiten anlässlich des Millenniums 1896 gaben der Bánffy-Regierung eine prachtvolle Möglichkeit, an Popularität zu gewinnen. Zahlreiche Gebäude, Wege, Brücken, die zweite Untergrundbahn in Europa, Denkmäler usw. wurden errichtet, was nicht nur die Lebenskraft der ungarischen Nation, aber indirekt auch die Richtigkeit des Regierungssystems bestätigte.

Nach den Festlichkeiten, die das ganze Jahr über dauerten, hat der am Gipfel seines Ruhmes stehende Ministerpräsident im Herbst 1896 die Wahlen ausgeschrieben, da die Opposition – besonders die katholische Volkspartei und die Apponyis Partei – mit unerhört starken Mitteln zurückgedrängt war. Die konservative Opposition hat Bánffy von nun an innig gehasst. Von diesem Moment an musste er immer darauf achten, wie er die Opposition mit verschiedenen Aktionen abrüsten könne, gleichzeitig aber das Vertrauen des Herrschers nicht verliere.

Ein solcher Fall ist von Péter Hanák in einem Aufsatz von 1984 erwähnt und analysiert worden.2 Als zum 50. Jubiläumsjahr der 1848er Revolution kam, bat die Unabhängigkeitspartei, dass der 15. März zum Feiertag erklärt werden solle. Demgegenüber schlug die Bánffy-Regierung den 11. April vor, als Tag der Sanktionierung jener Gesetze, die die revolutionäre Umwandlung vollendeten. Wie der Ministerpräsident im Abgeordnetenhause erklärte: nur dieser Tag ist anwendbar für eine gemeinsame Feier des Herrschers und der Nation.3 Die Opposition und die nationale öffentliche Meinung war (und ist) eindeutig auf der Seite des 15. März, aber die Regierungsmehrheit hat für den Vorschlag des Ministerpräsidenten gestimmt.

In diesem Fall war die Sache von der 48er Opposition, d.h. sogar vom Führer Ferenc Kossuth selbst gestartet,4 und der Ministerpräsident wollte mit dieser Halblösung zu einem Kompromiss kommen. Um ein Jahr früher war er selbst der Anreger.

1897 hat der deutsche Kaiser Wilhelm II. Franz Joseph besucht. Der ungarische Ministerpräsident konnte es erreichen, dass der alte Herrscher seinen Verbündeten – nicht wie üblich in Wien, sondern – in Budapest empfange. Allein diese Tatsache war damals ein Erfolg, da es ja seit langem der innigste Wunsch der Ungarn war, es anerkennen zu lassen, dass die Doppelmonarchie ZWEI gleichberechtigte Hauptstädte hat, und dass Budapest ebenso Haupt- und Residenzstadt von Franz Joseph ist wie Wien.5 Wie der Hauptartikel des Tagesblattes Magyarország (ein Presseorgan der 48er Unabhängigkeitspartei) geschrieben hat: „Demonstriert wird dadurch, dass in der Habsburgermonarchie infolge der neuesten Gestaltung der Kraftverhältnisse Ungarn die ausschlaggebende Rolle erteilt wurde und die Wahrheit trotz allem zur Geltung kommen wird, dass der Schwerpunkt der Macht der Habsburger nicht in Wien, sondern in Budapest zu suchen sei.”6

Dezső Bánffy hat dadurch in der symbolischen Politik einen Erfolg erreicht und konnte gleichzeitig auch die Popularität des Herrschers erhöhen, da es ja endlich Franz Josephs Entscheidung war, wo er sich mit seinem Herrscherkollegen trifft. Die politischen Gegner des Ministerpräsidenten haben ausdrücklich betont, dass für diese populären Schritte Franz Joseph zu danken sei.7

Wilhelm II. konnte dann die Ungarn erobern. Er zeigte ein über das Höfliche weit hinausgehendes Interesse für die sich rasch entwickelnde ungarische Hauptstadt – z.B. hat er das offizielle Programm abbrechend den unlängst eröffneten exklusiven Park-Klub besucht. In seinen Äußerungen hat er seine Anerkennung zu Vergangenheit und Gegenwart der ungarischen Nation geäußert. Auch sein Toast anlässlich des Ehrenempfanges hat einen großen Anklang gefunden.

Der deutsche Kaiser betonte – nebst der höflichen an Franz Joseph gerichteten Wörter – die traditionelle Königstreue der Ungarn. Er behauptete: „Mit sympatischem Interesse verfolgen Wir daheim die Geschichte des ständischen Ungarnvolkes, dessen Vaterlandsliebe sprichwörtlich geworden ist, das in seiner kampfesreichen Vergangenheit Gut und Blut für die Verteidigung des Kreuzes zu opfern nicht gezögert hat. Namen wie Zrínyi und Sziget[vár] lassen noch heute die Herzen eines deutschen Jünglings höher schlagen. Mit sympathischer Bewunderung haben wir die Feier der tausendjährigen Staatsgründung begleitet, die das getreue Ungarnvolk um seinen geliebten König geschart in überraschender Herrlichkeit gefeiert hat. Die stolzen Baudenkmäler geben Zeugnis von seinem Kunstsinn, während die Sprengung der Fesseln des Eisernen Tors dem Handel und Verkehr neue Wege eröffnete und Ungarn als gleichberechtigt unter die großen Kulturvölker einreihte.” Wilhelm II. hat seine Rede auf Ungarisch beendet: Éljen a király!8 (Es lebe der König!)

Der deutsche Kaiser wurde in der Presse Wort wortwörtlich zitiert und tagelang analysiert. Alle freuten sich über die lobenden Wörter, die der gewachsenen Bedeutung Ungarns galten. Andererseits haben alle die Rede des Kaisers natürlich nach ihrem Geschmack interpretiert. Die Klerikalen sahen ihn als gläubigen Herrscher, das 48er Magyarország hat Wilhelms Worte gegen die Nationalitäten gedreht, da er im Toast die ungarische Nation für ein gleichrangiges Kulturvolk gehalten hatte, müsse man jetzt auch schon die Sachsen in Siebenbürgen anerkennen.9

Der deutsche Kaiser war derart populär geworden, dass Dezső Bánffy es für gut hielt, dass Franz Joseph es mit einem geschickt gewählten Schritt ausgleichen könnte. Nach einer schlaflosen Nacht war ihm die glänzende Idee gekommen.10 Dezső Bánffy hat Franz Joseph dazu bewogen, der Hauptstadt zehn Statuen – welche die großen Persönlichkeiten der ungarischen Geschichte zeigen – auf seine eigenen Kosten zu schenken.

In dem allerhöchsten Handschreiben vom 25. September 1897 hat Franz Joseph unter den „auf verschieden Gebieten des nationalen Lebens” hervorragenden Figuren die folgenden zehn ausgewählt: „den für die christliche Religion den Märtyrertod erleidenden heiligen Gellért; den glaubenseifrigen Esztergomer Erzbischof Péter Pázmány; die beiden siebenbürgischen Fürsten István Bocskai und Gábor Bethlen; János Hunyadi und Miklós Zrínyi, Streiter des Vaterlandes und des Christentums; den Grafen János Pálffy, den bei Verteidigung des Throns große Verdienste erwerbenden Kriegsherrn Ungarns”; den namenlosen Historiker des Landnahme [den sogenannten Anonymus]; „István Werbőczy, den berühmten Rechtswissenschaftler Ungarns und Sebestyén Tinódi, den populären Sänger”.11

Das königliche Geschenk hat einen riesenhaften Beifall geerntet. In fast allen größeren Ansiedlungen hat man eine Festbeleuchtung angeordnet, die Komitate und die Städte haben feierlich dankgesagt. Die Studenten der Budapester Universität, die sonst als feste Basis der Unabhängigkeitspartei betrachtet wurden, haben zu Ehren des Herrschers einen Fackelzug veranstaltet. Zahlreiche Vorschläge sind auch zum Thema der effektiven Verwirklichung gemacht worden: Wie die einzelnen Figuren aussehen müssten, wo die Statuen aufzustellen seien, welche Künstler mit der Aufgabe beauftragt werden sollten, usw.12

Auch das Parlament hat für das königliche Geschenk gedankt. Der Präsident der Liberalen Partei, Baron Frigyes Podmaniczky, hat einen Vorschlag eingereicht, dessen Text aber in den Räumen des Ministerpräsidiums gefasst war.13 In diesem wurde betont: „... stark ist die Nation und der König, wenn sie in ihrem Bestreben zusammengeschmolzen seien” und ihre gemeinsame Überzeugung ist, dass „nur dasjenige Land und diejenige Nation auf ein langes Bestehen hoffen kann, die ihren Vorfahren Ehrfurcht bezeigen, und die große Lehre beherzigen, die nach den Kämpfen der Vergangenheit, nach Ruhm und Niedergang vor ihnen offenbart wird”.14

Die einzelnen Parteien waren bestrebt, sich diesem Dankschreiben rasch anzuschließen. In den lobenden Worten haben sie selbstverständlich ihre eigenen politischen Standpunkte gelten lassen. Der Redner der Liberalen Partei (Sándor Hegedüs) betonte, dass „... die ungarische Nation, von der Begründung ihrer Heimat in Europa an, nur im Dienste der Zivilisation und der Freiheit stand”. Die zehn Denkmäler beweisen dasselbe: „Von der Annahme des Chris tentums, von der jahrhundertelangen Verteidigung desselben bis zur Erringung der Gewissensfreiheit, bis zur Verteidigung und Sicherung der konstitutionellen Rechte und der Selbstständigkeit; die Wissenschaft und die Dichtung, die Kirchenkult, und alles, was in diesem Vaterland geschah für dieses Vaterland, aber auch im Dienste der Zivilisation und der Freiheit.” In der Vergangenheit wurde das mehrmals nicht akzeptiert oder verhindert, aber Franz Joseph hat dem berechtigten Nationalgefühl zugestimmt, und die so erzielte Eintracht gibt uns Kraft für die Lösung der nächsten Aufgaben.15

In Vertretung der 48er Opposition freute sich Lajos Meszlény darüber, dass Franz Joseph auch diejenigen als Vorbilder anerkannt hat, die „in der Erwerbung oder Verteidigung der Religion, des Rechts, der Freiheit und der nationalen Selbstständigkeit und Unabhängigkeit unsterblich geworden sind”. Er war der Meinung, dass der Tag nicht fern sei, da „ein ganz selbstständiges und unabhängiges ungarisches Volk seinem gekrönten König dankt”.16 Von den Anhängern von 48er war das königliche Geschenk als ein endgültiges Aufhören des Misstrauens zwischen der Dynastie und der Nation gefeiert worden. Die Dynastie sucht nach Sicherheit, die nur im einheitlichen Ungarn zu finden sei – behaupteten sie. Dazu muss jedoch mit allem Widerstreben aufgehört werden und der Nation soll ihr Recht gegeben werden. Die Unabhängigkeits-Partei hatte die Hoffnung, dass Franz Josephs Handschrift das erste Zeichen einer Politik sei, die den ungarischen Nationalwünschen Schritt für Schritt nachkommt.17

Nach den Erörterungen des Führers der 67er Opposition, des Grafen Albert Apponyi, hat der weise König eingesehen, dass „die empfindliche Verteidigung unserer staatlichen Selbstständigkeit mit der untrennbaren und gemeinsamen Besitzung aller Länder des Herrscherhauses in keinem Gegensatz steht, es ist dadurch sogar gefestigt und gesichert worden.” Darum hat er auch über die Ereignisse geredet, „in denen sich das Andenken des Zusammenstoßes der Nation und des Herrscherhauses vermischt”. Apponyi wollte mit größerem Eifer als alle anderen die königliche Tat loben. Er versuchte zu beweisen, dass die gegen die Habsburger Revoltierenden letztendlich die Stärke der Dynastie vergrößerten, weil „alle die Arbeiter der Größe der Dynastie waren, die der Größe der Nation dienten”, als diese beiden heute schon die gleichen sind.18

Der andere Redner der 48er (Lajos Holló) hat sehr besonnen darauf aufmerksam gemacht, dass bei anderen Völkern eine ähnliche Geste des Königs keinesfalls von einem so großen Jubel begleitet wäre. In Ungarn hat sich aber die fremde Dynastie nicht um die Emotionen der ungarischen Nation gekümmert. Deswegen kann das königliche Geschenk als ein Wendepunkt in unserer Geschichte gelten. Das war schon sehr nötig, weil die ungarische Nation nur dann Kraft und Autorität im Ausland und unter den Nationalitäten haben kann, wenn auf spiritueller sowie materieller Ebene unsere Souveränität zur Geltung kommen kann, und alles vom ungarischen Nationalgeist durchdrungen ist.19

Im Namen der katholischen Volkspartei war János Molnár der Auffassung, dass der König weniger den Personen selbst, sondern eher Ideen und Werten Denkmäler stellen lassen wollte: Der tiefen Religiosität; der flammenden Vaterlandsliebe; der heroischen Selbstaufopferung; dem Genie des Kriegsherren; den Wissenschaften und den schönen Künsten.20 Die klerikale Presse hat – die Religiosität des Herrschers vor Auge haltend – betont, dass es kein Zufall sein könne, dass die ersten Plätze der zehn Statuen solche Verteidiger des katholischen Glaubens innehaben, wie Gerardus und Péter Pázmány. Sie sind davon zur Folgerung gelangt, dass der König Anhänger des „christlichen Ungarn” sei und so dem Liberalismus bald ein Ende bereiten wird.21

Das Abgeordnetenhaus hat einstimmig das Dankschreiben angenommen, und die Sitzung mit „Es lebe der König!”-Ausrufen beendet.22 Auch wegen dieser Tatsache kann man sagen, dass die „Statuenpolitik” erfolgreich war. Die katholische Presse bedauerte es auf innigste, dass der Ministerpräsident „allzu erfolgreich” sei.23 Die Opposition hielt es für wichtig zu erwähnen, dass der populäre Schritt allein dem König zu verdanken sei und dem Ministerpräsidenten gegenüber mit der früheren Entschlossenheit weiterzukämpfen wäre.24

Es war Dezső Bánffys Ernst, die Statuen zu errichten und er arbeitete daran mit großer Energie. In einem Brief an den Grafen Tivadar Zichy, der Botschafter in München war, hat er gebeten, Angaben über die deutschen Denkmäler zu sammeln.25 (Wir müssen bemerken, dass München, die bayerische Hauptstadt damals ein wichtiges Kunst- und Kulturzentrum war.) Ein ähnlicher Brief war auch an László Szögyény-Marich, an den Botschafter in Berlin gesandt worden.26

Da über die Plätze der Statuen einige Diskussionen im Gange waren, konnte Bánffy die Arbeiten nur mit sechs Statuen beginnen. Es ist wahrscheinlich mit der Knappheit an Zeit zu erklären, dass entgegen der Gewohnheit kein Wettbewerb ausgeschrieben war, sondern zehn jüngere Bildhauer direkt beauftragt worden waren.27

Es wurden um die Jahrhundertwende in Ungarn viele Denkmäler geschaffen. Es gab mehrere Gründe für dieses Fieber des Statuenstellens. Einerseits wollte das sich modernisierende Land auch in diesem Bereich seinen Rückstand gegenüber der westeuropäischen Metropolen einholen.28 Andererseits bewahren die Statuen der Nationalhelden auch die Erinnerung an die Errichter der Statuen – betonte zum Beispiel Jenő Rákosi, der berühmte Schriftsteller und Zeitungsredakteur.29 Und was vielleicht das Wichtigste ist: Man konnte mit den Denkmälern Politik machen.30 Die Auswahl der zu verewigenden Personen, die Weise der Darstellung waren Interpretationen der ungarischen Vergangenheit, und zugleich politische Stellungnahmen. Eine Kossuth-Statue zum Beispiel konnte die Abneigung zum bestehenden dualistischen System ausdrücken. Die durchpolitisierte und aktualisierte ungarische Geschichtsanschauung kam durch die Bildhauerei auf die Straßen. Wer keine Zeitungen oder Bücher las, auch der konnte sich doch jeden Tag mit den Helden der ungarischen Geschichte treffen. Die politischen und historischen Diskussionen der gebildeten Kreise konnten in dieser visuellen Form auch auf die Fußgänger Wirkung ausüben.

Das war auch eines der Ziele bei den zehn Denkmälern. Darum war es wichtig, welche zehn Persönlichkeiten der ungarischen Geschichte ausgewählt wurden: In welche Vergangenheitskonzeption, in welche politische Richtung sie passen. Wenn wir die Namensliste aus diesem Gesichtspunkt prüfen, können wir feststellen, dass der Ministerpräsident – weil wir ihn als Aufsteller der Liste ahnen – sehr geschickt über die grundsätzliche Bruchlinie balancierte. Neben Helden der ungarischen Unabhängigkeitstraditionen konnte auch die hoftreue Vergangenheitsanschauung ihre Vorbilder finden. Die gegen die Habsburger kämpfenden Bocskai und Bethlen vertreten einen Gegenpol – bemerkenswert, dass das königliche Manuskript in ihrem Fall keine Charakterisierung beinhaltete, nur die neutrale Bezeichnung „siebenbürgische Fürsten”! Zu den kaisertreuen Figuren kann man vor allem den gegen Rákóczi kämpfenden Grafen János Pálffy einordnen, ebenso war der sein Leben für den Habsburgerkönig aufopfernde Held Miklós Zrínyi eine seit langem beliebte Figur der Habsburg-Historiker.31 Tinódi, Anonymus und der heilige Gellért können auf dieser Skala in der Mitte stehen, da sie eigentlich keine politischen Werte haben. Werbőczy und Hunyadi stehen auf der „48er Seite”, Pázmány, die größte Figur der ungarischen Gegenreformation aber war der „67er Seite” näher.

Es lohnt sich, die dargestellten Personen auch vom Gesichtspunkt der ab Mitte der neunziger Jahre immer stärker gewordenen konfessionellen Gegensätze zu prüfen. Es ist desto wichtiger, da Dezső Bánffy – selbst ein Kalvinist – einer der Hauptakteure der kirchenpolitischen Kontroversen war. Die Vorbilder des „protestantischen – liberalen” Lagers sind Bocskai und Bethlen. Die Katholiken konnten sich währenddessen an Pázmány oder Gellért halten. (Die anderen sind in dieser Hinsicht kaum wichtig.)

Aus dieser Analyse ist zu ersehen, dass Bánffy eine Kompromisslösung zwischen den beiden Lagern zu finden versuchte. Die historische Vergangenheit schien für ein solches Gebiet, wo die harten politischen Diskussionen entschärft werden konnte. Und mit geschickter Balancierung konnte man in der gleichen Zeit die Sensibilität Franz Josephs und die ungarischen nationalen Gefühle ahnen.

Wie durch und durch loyal Bánffy war, zeigt sein Vorschlag, laut welchem die Gesichtszüge des namenlosen mittelalterlichen Chronikers Anonymus die Züge des ehemaligen Kronprinzen Rudolf tragen sollten. Sein Grund dafür war, dass so wie Anonymus die erste große Figur in der ungarischen Geschichtsschreibung, so der Kronprinz ein Führer des großen Unternehmens unter dem Titel „Die Österreich-Ungarische Monarchie in Schrift und in Bildern” war.32 Der alte Herrscher billigte aber den Vorschlag des Ministerpräsidenten ganz und gar nicht. Laut Notizen eines Beamten hat der wütende Bánffy den ablehnenden Brief zerrissen.33

Die Denkmalangelegenheit schien geeignet, die Popularität des Königs zu steigern, ohne wahre politische Konzessionen zu gewähren. All dies war aber nur eine kurze Episode. Nach dem Fall von Bánffy-Regierung zu Anfang 1899 ist ein Stillstand in der Frage der Statuen eingetreten. Das Ministerpräsidium hat die Bildhauer nicht urgiert und erst im Frühling 1902, also vier und einhalb Jahre nach dem königlichen Handschreiben wurden die ersten Statuen (Miklós Zrínyi und Gábor Bethlen) aufgestellt. In der geänderten Situation erachtete der neue Ministerpräsident, Kálmán Széll es nicht mehr als wichtig, große Festlichkeiten zu veranstalten, so geschah alles in großer Stille ohne jedwede Zeremonie. Die Presse der Opposition hat dies selbstverständlich übel genommen und die Regierung beschuldigt, dass die ganze Statuen-Verschenkung nur als Gegenleistung nach dem erfolgreichen Toast des Kaisers Wilhelm nötig war. Das Ausbleiben der Feierlichkeiten diente dazu – sagte die Opposition –, dass die Erinnerung an die großen Figuren der ungarischen Geschichte das ungarische Selbstbewusstsein eben erwecken würde, und dadurch die Unnationalität der offiziellen Politik der Gegenwart noch besser ins Auge springen würde.34 Die halboffizielle Zeitung der Regierung hat darauf geantwortet, dass es unmöglich sei, große Festlichkeiten rasch nacheinander zu veranstalten. Gleichzeitig haben sie erklärt, dass sobald alle Statuen errichtet seien, man dann ein Fest halten würde.35 Nichts wurde daraus. Auch die Fertigstellung der Statuen verschleppte sich mehr und mehr. Andere Themen gelangten in den Mittelpunkt des Interesses, und die Enthüllung der einzelnen Statuen fand kaum Anklang. Auch das versprochene große Fest wurde niemals veranstaltet, da die Enthüllung der letzten Statue, die von Péter Pázmány am 19. August 1914 stattfand, zu einer Zeit, da schon ganz andere Themen die Gedanken beschäftigten.

 

Anmerkungen

1

Péter Hanák: Iratok az 1894–95. évi magyar kormányválság történetéhez. [Akten zur Geschichte der ungarischen Regierungskrise in den Jahren 1894 und 1895] Történelmi Szemle 1959/3–4. 291–353.

2

Péter Hanák: 1898 – a nemzeti és az állampatrióta értékrend frontális ütközése a Monarchiában. [1898 – der frontale Zusammenstoß der nationalen und der staatspatriotischen Wertordnung in der Monarchie] In: A Kert és a Mûhely. Budapest, 1988, Gondolat. 112–119. Auf Deutsch: Österreichische Osthefte. 1985/3.

3

Az 1896. évi november hó 23-ra hirdetett országgyűlés nyomtatványai. Képviselőház. Napló. [Protokolle des ungarischen Abgeordnetenhauses. Im Folgenden: Protokolle...] Bd. XIV. Sitzung 14. März 1898. 67.

4

Ebda. Sitzung 11. März 1898. 9.

5

Z. B. der Leitartikel der Tageszeitung der katholischen Volkspartei: Hármasszövetség – békeszövetség. Alkotmány. 21. September 1897. 1–2.

6

II. Vilmos. [Leitartikel]. Magyarország. 21. September 1897. 1.

7

Ünnep után. [Leitartikel]. Alkotmány. 23. September 1897. 1.

8

A pohárköszöntők. Alkotmány. 22. September 1897. 2–3. (Die Zeitung hat auch das deutsche Original zitiert.)

9

Árpád fiai. [Leitartikel]. Magyarország. 23. September 1897. 1–2.

10

Sándor Dárday: Emlékbeszéd báró Bánffy Dezsőről. [Gedenkrede über Baron Dezső Bánffy]. [Budapest, 1911] 6–7.

11

Das königliche Schreiben wurde von allen Zeitungen am 26. September Wort für Wort zitiert.

12

Z. B. der Brief von Adolf Palkovics an den Ministerpräsidenten (4. Mai 1898) oder die Vorschläge von dr. József Göőz (6. Oktober 1898). Beide: Országos Levéltár. (Ungarisches Staatsarchiv. Im Folgenden: OL) K 26 – 460 – XVII – 1899

13

OL. K 26 – 460 – 1899. 15981/1897.

14

Protokolle... Bd. X. Sitzung 1. Oktober 1897. 10–11.

15

Ebda. 12–13.

16

Ebda. 13.

17

Hála a királynak! [Leitartikel]. Magyarország. 26. September 1897. 1–2.

18

Protokolle... Bd. X. Sitzung 1. Oktober 1897. 13–14.

19

Ebda. 14–15.

20

Ebda. 15–16.

21

A király a nemzetnek [Leitartikel]. Alkotmány. 26. September 1897. 1–2.

22

Protokolle... Bd. X. Sitzung 1. Oktober 1897. 16.

23

A Képviselőház megnyitása. Alkotmány. 26. September 1897. 2–3.

24

Miklós Bartha: Kié az érdem? [Leitartikel]. Magyarország. 1. Oktober 1897. 1. Es zeigt die Wichtigkeit der Frage, dass der beste Publizist und einer der Führer der Partei diesen Artikel geschrieben hat.

25

30. November 1897. Die Antwort von München: 4. Dezember 1897 und ein anderer Brief von Zichy: 15. januar 1898. Alle: OL. K 26 – 460 – XVII – 1899

26

28. Januar 1898. Die Antwort des Botschafters: 24. März 1898. Beide: OL. K 26 – 460 – XVII – 1899

27

Die Entscheidung des Ministerpräsidenten nach der vertraulichen Konferenz am 9. April 1898. OL. K 26 – 460 – XVII – 1899

28

Dr. Dénes Kovács: A szabadságharc szobra. Vasárnapi Ujság. 1891. 166.

29

Aladár Sajó: A Vörösmarty-szobor. (Die Vörösmarty-Statue) Budapest, 1908. 25.

30

Judit Mazányi: Emlékművek a századfordulón. [Denkmäler um die Jahrhundertwende] In: Lélek és forma. Magyar mûvészet 1896–1914. [Seele und Form. Ungarische Kunst 1896–1914] Der Katalog wurde zusammengestellt und die Ausstellung geordnet von Gyöngyi Éri und Zsuzsa O. Jobbágyi. Budapest, 1986, Magyar Nemzeti Galéria. 31

31

Bereits Anfang des 19. Jahrhunderts schlug Baron Joseph Hormayr ihn als ein gutes Beispiel für eine gemeinsame Reichsidentität vor. Géza Galavics: A Zrínyi kirohanása téma története. [Die Geschichte der Thema von dem Ausfull von Zrínyi]. In: Művészet Magyarországon [Kunst in Ungarn] 1780–1830. [Budapest,] 1981, Magyar Nemzeti Galéria. Red.: Júlia Szabó und György F. Széphelyi. 61–66.; Katalin Sinkó: A nemzeti emlékmû és a nemzeti tudat változásai. [Das Nationaldenkmal und die Änderungen des nationalen Bewusstseins]. In: Mûvészettörténeti Értesítő. 1983/4. 187–188.

32

12. Dezember 1898. OL. K 26 – 579 – XXXI – 1903

33

22. Dezember 1898. OL. K 26 – 579 – XXXI – 1903

34

Zum Beispiel: Magyar Szó. 18. und 24. Mai 1902. (8. bzw. 1–2. Seiten)

35

Magyar Nemzet. 29. Mai 1902. 2.