Begegnungen
Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Band 10:127–142.
TAMÁS SÁRKÖZY
Modelle der Privatisierung in Ostmitteleuropa
Der Produktionsgang, die Gliederung der Gesellschaft und sogar das Beziehungssystem zwischen Mensch und Gemeinschaft waren in den ehemaligen sozialistischen Ländern bestimmt von der staatlichen Monopolstellung bei den Eigentumsverhältnissen. Gerade aus diesem Grund war die Privatisierung in sämtlichen Staaten einer der wichtigsten Teilprozesse des Systemwandels. Ihr Ablauf beeinflusst die gegenwärtigen und zukünftigen Verhältnisse in der Gesellschaft genauso, wie es die Dominanz von Staatseigentum in der Vergangenheit getan hat. Um ihre Auswirkungen ermessen zu können, müssen wir erst die verschiedenen Wege der Privatisierung selbst überblicken.
Der Begriff der Privatisierung
In der internationalen Fachliteratur wird der Begriff „Privatisierung“ mit zwei grundverschiedenen Inhalten gebraucht:
1. „Privatisierung“: Eindämmung der Einmischung des Staates in die Gesellschaft und Wirtschaft – ein Mittel des wirklich wirksamen, sich selbst einschränkenden Regierens. Die „entstaatlichende“ Privatisierung in diesem Sinne war zusammen mit der Liberalisierung und der Deregulierung eine Losung der Reagan-Ära in den 80-er Jahren. Sie ist zugleich Begründer der globalen Angriffe der neoliberalen Wirtschaftslehre auf die Institutionen des Sozialstaates.
2. „Privatisierung“: Wechsel des Inhabers, also Veräußerung staatlicher Beteiligungen in den Aktiengesellschaften gegen Entgelt an Privateigentümer. Diese Art der Privatisierung begann in Westeuropa dank der Politik der Regierung Thatcher ebenfalls in den 80-er Jahren, sie verbreitete sich aber schrittweise auch in solchen Ländern Westeuropas, in denen der Anteil von Staatseigentum relativ hoch war (Österreich, Italien, Frankreich). Beschäftigte sich die westeuropäische Wirtschafts- und Rechtsliteratur im Zeitraum zwischen 1950 und 1958 eher mit den spezifischen Problemen des Staatssektors (Typen von staatlichen Unternehmen, wettbewerbspolitische Beurteilungen, etc.), richtete sich ab den 80-er Jahren das Augenmerk in Westeuropa ebenfalls auf die Privatisierung.
Es ist anzumerken, dass der Begriff der Privatisierung auch in den ehemaligen sozialistischen Ländern gebraucht wird und zwar in einem – der amerikanischen Literatur über die Privatisierung ähnlichen – recht weiten Sinn: Privatisierung bezieht sich hier auf den ganzen Prozess der Schaffung von Privateigentum und der Gründung von Privatunternehmen. In dieser Studie verstehen wir im Weiteren unter Privatisierung jedoch nur den Wechsel des Inhabers, also den Übergang von Staatseigentum in Privatbesitz.
II. Die Eigenheiten der Privatisierung in Ostmitteleuropa
Die systemimmanente Privatisierung im Westen
Bei der Privatisierung in West- und Ostmitteleuropa (genauer gesagt bei der, die sich in den ehemaligen sozialistischen Ländern vollzieht) handelt es sich jeweils um die Eigentumsprivatisierung. Charakteristischer sind jedoch vielmehr die Unterschiede: die Privatisierung in Westeuropa ist ins System integriert und stärkt die Position des Privateigentums, während die in Osteuropa hingegen das Eigentumssystem verändert. Für die Privatisierung in Westeuropa ist typisch, dass
1. sie einen relativ kleinen Bereich der Volkswirtschaft betrifft, da ja der Anteil des Staates am Nationalvermögen Mitte der 80er Jahre in Frankreich 16 %, in Italien und Österreich 14 %, in England und Deutschland 10 % betrug;
2. die Privatisierung zur Durchführung gelang, als die Weltwirtschaft respektive die Volkswirtschaften der betroffenen Länder sich in einer Wachstumsphase befanden;
3. die Privatisierung eine betont partikuläre Erscheinung ist, die sukzessiv und verzögert durchgeführt wird. So ist in England in 12 Jahren nur ca. 10 % vom Staatssektor privatisiert worden;
4. ausschließlich die Unternehmen privatisiert werden, die auf handelsrechtlicher Grundlage (hauptsächlich AG) funktionieren (die öffentlich-rechtliche Formen – public corporation, nationale französische Unternehmen, deutsch-österreichische öffentlich-rechtliche Sondervermögen – also nicht). Infolgedessen ist die westeuropäische Privatisierung fast nur eine Börsenprivatisierung, also der Verkauf staatseigener Aktien an der Börse, was dazu führt, dass die in Osteuropa üblichen Probleme der Vermögensbewertung gar nicht erst auftauchen (obwohl Korruptionsskandale in der Privatisierung natürlich auch in Westeuropa nicht ausblieben).
Die systemmodifizierende Privatisierung im Osten
In Ostmitteleuropa ist die Privatisierung dagegen eine zentrale Erscheinung des allgemeinen gesellschaftlich-wirtschaftlichen Umbruchs, kann doch ohne die Dominanz des Privateigentums weder die Marktwirtschaft, noch eine bürgerliche Gesellschaft existieren. Der Anteil des Staatseigentums am Nationalvermögen nahm in der überwiegenden Mehrheit der einstigen sozialistischen Länder ungeahnte Dimensionen an: 96 % in der Sowjetunion und in der DDR, 97 % in der Tschechoslowakei, in Rumänien, Bulgarien sowie in Jugoslawien (im letzteren nicht der Anteil des Staates, sondern das sog. gesellschaftliches Eigentum) jeweils 98 %, in Albanien sogar 99 %. Es gibt jedoch zwei Ausnahmen: Polen mit 81 % und Ungarn mit nur 65 % – in diesen zwei Ländern ist die Privatisierung entsprechend einfacher. Gleichzeitig überwog auch in Ungarn das Staatseigentum, auch bei uns war der Staat – zumindest bis Mitte der 90er Jahre – der maßgebende Eigentümer. In diesem Sinne kann die Privatisierung in den einstigen sozialistischen Ländern auch als systemtheoretischer Selbstzweck angesehen werden, sie gerät in den Mittelpunkt des gesellschaftlich-wirtschaftlichen Umbruchs. Solange der Staat die Macht und das Eigentum gleichermaßen in den Händen hält, kann der demokratische Rechtsstaat in Osteuropa nicht konsolidiert werden. Die Ursache liegt darin, dass die öffentliche Macht des Staates, welche gezwungenermaßen mit dem Eigentumsrecht verbunden ist, potenziell prädestiniert ist, das parlamentarische Mehrparteiensystem des demokratischen Staates zu zerstören. Solange der Staat in der Wirtschaft mehrheitlicher Eigentümer ist, wird die Bürokratie die Privatunternehmen stets beeinträchtigen, während die Wettbewerbsvorteile des Staates den Markt verzerren.
Die Insolvenz staatlicher Unternehmen
Doch für die Privatisierung sprechen in den ehemaligen Ostblockstaaten – im Gegensatz zu Westeuropa – nicht primär theoretische Gründe. Die Mehrheit der staatlichen Unternehmen geriet zu Anfang der 90-er Jahre unmittelbar an den Rand des Ruins, dringende Kapitalspritzen mussten her. (1989–1990 wurden in Polen im Rahmen einer Privatisierung, bei der leistungsschwache staatseigene Unternehmen liquidiert wurden, 20 % der Staatsbetriebe aufgegeben, in Ungarn mussten infolge des Konkursgesetzes 400 solcher Unternehmen schließen.) Nebenbei waren die hochverschuldeten Staatsetats der betroffenen Länder dringend auf die vorläufigen Einnahmen aus der Privatisierung angewiesen. Die Beschleunigung der Privatisierung, eine Art „Schocktherapie“, wurde auch durch den rasanten Wertverlust des Staatsvermögens am Markt gerechtfertigt – in Ungarn betrug der Verlust innerhalb von 8 Jahren beispielsweise etwa 50 %. Zu dieser volkswirtschaftlichen Zwangslage kommt noch der starke internationale Druck von außen: die Weltöffentlichkeit, die internationalen Geldinstitute, die USA und die Regierungen der maßgebenden westeuropäischen Länder sehen in dem Voranschreiten der Privatisierung den grundlegenden Indikator für die politische Wende in den osteuropäischen Länder. Den Regierungen ostmitteleuropäischer Staaten wurde deutlich gemacht: solange das Staatseigentum überwiegt (das heißt mit einer sich von der westeuropäischen grundlegend unterscheidenden Besitzstruktur), ist an einen Beitritt zur Europäischen Union nicht zu denken. Die Beschleunigung der Privatisierung und ihre Durchführung innerhalb von ca. 10 Jahren ist in Ostmitteleuropa also gleichzeitig ein realpolitisches Sollen. Mit den Mitteln der Regierung Thatcher würde die Privatisierung – wie der namhafte amerikanische Experte Professor Savas schreibt – in den einstigen sozialistischen Ländern jedoch rund 200 Jahre dauern. Darin liegt der Grund für die mit vielen Nachteilen verbundene „Schocktherapie“. In den Ländern Ostmitteleuropas geht es also um den Verkauf von Staatseigentum in ungeheuren Dimensionen zu Dumpingpreisen und zwar im Vergleich zu Westeuropa unter wesentlich schwierigeren weltwirtschaftlichen und binnenwirtschaftlichen Bedingungen. In den früheren Staaten des Ostblocks wurde mit der Privatisierung des Staatsvermögens nämlich zur Zeit einer Rezessionsphase in der Weltwirtschaft an der Wende der 80er Jahre begonnen. Parallel zur Privatisierung haben die kleinen Staaten Ostmitteleuropas durch den Zusammenbruch der RGW ihre Märkte im Osten größtenteils verloren. Die Mehrheit der staatseigenen Unternehmen in Osteuropa hat mit akuten Liquiditätsengpässen und beträchtlichen Schulden zu kämpfen. Die Bürden des Umweltschutzes im Staatssektor wiegen ebenfalls schwer – die Schulden und eventuelle spätere Umweltschutzauflagen haben das Investitionsrisiko in hohem Maße erhöht (und dabei zum Preisverfall beigetragen). Durch die tiefe Krise des Umschwungs hat sich das Bruttoinlandsprodukt in Ostmitteleuropa binnen 6–8 Jahren um bemerkenswert hohe 20–30 % verringert; vor allem die industrielle Produktion fiel auf das Niveau der frühen siebziger Jahre zurück, eine hohe im allgemeinen mehr als 10 %-ige Arbeitslosigkeit wurde dabei zur Regel. Die Privatisierung ist indes geeignet, die im Staatssektor noch immer vorhandene versteckte Arbeitslosigkeit in eine offene Arbeitslosigkeit umzuwandeln. Das stimmt die im Sozialismus an soziale Sicherheit gewohnte Bevölkerung jedoch noch mehr gegen die Privatisierung und macht dabei die Gewerkschaften, die in dieser Region politisch traditionell einflussreich sind, einerseits zum Gegner der Privatisierung, andererseits werden dadurch sowohl linke, als auch rechte populistische Bewegungen mobilisiert. Die Privatisierung in Ostmitteleuropa ist eine Privatisierung, die sich in einer tiefen Krise der wirtschaftlichen Umwandlung vollzieht. In dieser Krise wird von der Privatisierung leider nicht das erwartet, wozu sie geeignet ist, nämlich die Eigentumsverhältnisse des Landes zu verändern und die strukturellen Grundlagen des Eigentums in der Marktwirtschaft zu sichern, sondern sie wird allgemein als eine Art wirtschaftliches Wundermittel betrachtet. Nach dieser Auffassung ist die Aufgabe der Privatisierung – siehe § 2 des ungarischen Privatisierungsgesetzes aus dem Jahre 1995 – den ökonomischen Strukturwandel zu meistern, der sich in diesen Ländern seit gut 20 Jahren hinzieht. Die Privatisierung muss der technischen Entwicklung, der Beschäftigung, dem Umweltschutz und weiteren, etwa 20–30 wirtschaftspolitischen Zielsetzungen Genüge tun. Dies ist jedoch undurchführbar.
Das fehlende Instrumentarium
Bei der Privatisierung in den einstigen sozialistischen Ländern fehlten (fehlen) die entsprechenden Institutionen und die Infrastruktur. Das heißt:
1. in den meisten Ländern gab es keine entsprechenden rechtlichen Grundlagen, ohne Zivilrecht ist die Privatisierung jedoch nicht möglich. Aus dieser Sicht sind nicht Ungarn oder Tschechien typisch, sondern die Nachfolgestaaten der Sowjetunion oder Albanien. Im Russischen gibt es beispielsweise für Handelsgesellschaften nicht einmal eine sprachliche Entsprechung – die Begriffe „towaritschestwo“ oder „obstschestwo“ spiegeln eine ganz andere Gedankenwelt wider. Selbst in Ungarn ist die tatsächliche Rechtsanwendung hinter der wirtschaftlichen Gesetzgebung zurückgeblieben;
2. es fehlen die Institutionen der Marktwirtschaft, wie zum Beispiel eine zuverlässige Erfassung der Immobilien (Grundbuch), ein entsprechendes Handelsregister, schnelle Firmenverfahren, eine durch entsprechend wirksame Rechtsanwendung gewährleistete Rechtssicherheit (Vollziehbarkeit der Gerichtsurteile etc.);
3. es fehlt das System der Buchführung und der Bilanzierung; Die Umstellung des radikal abweichenden „hosrastschot“-Systems auf die in der Europäischen Union übliche Buchführung würde (wird) viel Zeit in Anspruch nehmen;
4. die personellen Bedingungen waren unzulänglich, es fehlten (fehlen) entsprechende Juristen für Handelsrecht und der Gerichtsbarkeit im Wirtschaftsbereich sowie Buchprüfer, Auditoren, Notare etc. Diesen Bedingungen ist mit fortwährender Schulung einerseits und mit dem Hinzuziehen von Beratern aus dem Westen andererseits nur teilweise beizukommen. Den Beratungsfirmen im Westen mangelte es im Hinblick auf die spezifischen Umstände in Osteuropa an Erfahrung, sie benahmen sich häufig wie der sprichwörtliche Elefant im Porzellanladen. So erwies es sich als Illusion, die osteuropäische Privatisierung durch Beratungsfirmen zu privatisieren;
5. die sozialistische staatliche Unternehmensform war nicht geeignet das Unternehmen zu vermarkten, da dieses im rechtlichen Sinne als eine Anstalt des öffentlichen Rechts gilt. Das Unternehmen als Institution kann dergestalt nicht veräußert werden. Die sozialistischen Länder waren aus diesem Grund gezwungen, zuerst die Staatsbetriebe in staatliche Einmanngesellschaften (AG oder GmbH) umzuwandeln und zwar mit dem aus der deutschen Rechtsschöpfung übernommenen Verfahren die Umwandlung mit der allgemeinen Rechtsnachfolge. Diese sogenannte formelle oder rechtliche Privatisierung ist die Kommerzialisierung der rechtlichen Form ohne die Veränderung der Eigentumsverhältnisse – dieser Schritt war in der westeuropäischen Privatisierung gar nicht nötig. Der formell-rechtlichen Privatisierung kann nur die reale, auch im volkswirtschaftlich-soziologischen Sinne wirkliche Privatisierung folgen, nämlich die Vermarktung der Aktien der ursprünglichen staatlichen Einmanngesellschaften zugunsten von Privatunternehmen und Privatpersonen. So wird die Privatisierung gezwungenermaßen zweistufig, was den Prozess erheblich verzögert.
Das fehlende Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage
Professor Lewandowski (er war nebenbei eine Zeit lang Minister für Privatisierung in Polen) charakterisierte die osteuropäische Privatisierung wie folgt: der Verkauf herrenloser Vermögensgegenstände von unbekanntem Wert und unglaublichem Ausmaß an Käufer, die gar nicht kaufen wollen und kein Pfennig haben. Damit gelangen wir zu zwei weiteren neuralgischen Punkten der osteuropäischen Privatisierung, der Vermögensbewertung respektive dem grundlegenden Widerspruch zwischen Angebot und Nachfrage: dem immensen staatlichen Vermögensangebot steht eine äußerst geringe, finanzschwache Nachfrage gegenüber. Die Erfassung des Vermögens staatlicher Unternehmen nach Ende des Sozialismus und unter den undurchsichtigen Marktverhältnissen ist notgedrungen problematisch. Der Marktpreis liegt dank des Überangebotes auf jeden Fall weit unter dem ideellen Wert des staatlichen Vermögens (von der öffentlichen Meinung übrigens meist überbewertet). Die Fachkompetenz der westlichen Investoren übertrifft die des anbietenden Staatsapparates deutlich (Daran ändern auch die ausländischen Beratungsfirmen nicht viel, da für sie der Investor einen potenziellen Auftraggeber darstellt.). Die Privatisierung ist für die Investoren ein knallhartes Geschäft und keine Sozialhilfe, so trägt die osteuropäische Privatisierung tatsächlich zahlreiche Merkmale eines Ausverkaufs. Aufgrund der unsicheren Vermögenserfassung kann prinzipiell beinahe jede größere oder komplexere Transaktion im Rahmen der Privatisierung zum Skandal werden (oder zu einem solchen gemacht werden) und zwar unabhängig von der Art der Organisation – Ministerium, Treuhand oder Aktiengesellschaft – (siehe den Fall Thyssen in Deutschland oder der berühmte ungarische sog. Tocsik-Skandal). Dadurch wird die Privatisierung dunkel und undurchsichtig, die nicht nur von den populistischen, extremen rechts- und linksgerichteten Kräften attackiert wird – gegebenenfalls kämpfen beispielsweise die Christdemokraten und Sozialisten Schulter an Schulter für die Erhaltung staatlichen Eigentums und der Einstellung der Privatisierung.
Der Widerstand des Staatsapparats
Die osteuropäische Privatisierung muss letztendlich unter dem heftigen Widerstand des Staatsapparates vonstattengehen. Der sozialistische Verwaltungsstaat hatte den überwiegenden Teil des nationalen Vermögens inne und das Eigentumsbewusstsein ist im Staatswesen recht stark ausgeprägt. Die Einstellung jeder osteuropäischen Regierung zur Privatisierung ist von Zwiespalt geprägt: auf der einen Seite will sie privatisieren, weil sie von den westlichen Regierungen und den internationalen Geldinstituten dazu gedrängt wird und sie die Einnahmen aus der Privatisierung braucht, auf der anderen Seite will sie wiederum nicht privatisieren, da sie ja durch jede einzelne Privatisierung die eigene Macht beschneidet. Theoretisch kann sie angesichts des starken politischen Widerstandes und der Interessengegensätze an jeder größeren Privatisierung scheitern. So entsteht für die osteuropäischen Regierungen eine klassisch widersprüchliche Situation. Der Staatsapparat wäre natürlich kein Staatsapparat, hätte er auf die Herausforderung durch die Privatisierung nicht mit der Errichtung einer riesigen zentralen Organisation eigens zu diesem Zweck reagiert. Dieser zentralen Organisation gehören sowohl territoriale Abteilungen als auch Fonds, Agenturen, Beratungsfirmen und Hintergrundeinrichtungen an. Die Privatisierung ist selbstverständlich eine vorübergehende Aufgabe, doch der Staatsapparat (seine sogenannte Entschädigungsbehörde inbegriffen) richtet sich auf eine ständige staatliche Funktion ein. Es sind mehrere Typen dieser Organisationen mit immensem Personal (man versucht die Angestellten aus den leer werdenden Wirtschaftsministerien hier unterzubringen) entstanden: Ministerium (z.B. in Polen und Tschechien), Treuhand, sie gilt im Wesentlichen als eine Anstalt des öffentlichen Rechts (z.B. in Deutschland, Slowenien, Kroatien, das ungarische Staatliche Vermögensagentur, ung. ÁVÜ) oder Unternehmen mit Handels- und juristischer Funktion (Aktiengesellschaft für Privatisierung und Verwaltung staatlicher Vermögen in Ungarn, ung. ÁPV Rt., Regierungsunternehmen in Estland und Lettland). Eine zügigere Privatisierung setzt offenbar mehr die Einbeziehung einer Institution mit Handels- und juristischer Funktion voraus, während eine verzögerte, kontrollierte Privatisierung eher die Mitwirkung einer Einrichtung des Staatshaushaltes oder des öffentlichen Rechts erfordert. Missbrauch gab es jedoch auch bei den Ministerien beziehungsweise Vermögensagenturen reichlich. Der aufgeblähte Privatisierungsapparat und die Gesetzgebung, die ein bürokratisches Vorgehen bei der Privatisierung vorschreibt, das frei von jeglicher Verantwortung ist (Wettbewerb um jeden Preis, von Fall zu Fall mehr Sachverständige und Berater), führen natürlich zu enormen Kosten, deren Deckung in einigen Fällen etwa 50 % der Einnahmen aus der Privatisierung wieder verschlingt. Es ist eine allseitige Tendenz, dass man die für die Privatisierung zuständige Organisation in der Endphase der Privatisierung zu einem ständigen staatlichen Organ zur Vermögensverwaltung umzubilden versucht (in Deutschland ist das nicht gelungen, da die Treuhandanstalt aufgelöst wurde). Gleiches gilt für die Ausnutzung der Privatisierung zur Unterstützung von politischen Anhängern. Dies ist die sogenannte politische Privatisierung zugunsten sogenannter politischer Unternehmer. Geht man von der Verkäufer- auf die Käuferseite über, liegt das Problem darin, dass der überwiegende Teil der ostmitteleuropäischen Bevölkerung zu kapitalschwach ist, um an dem Erwerb von Staatseigentum teilzuhaben (infolge ihres früheren sozialistischen Bewusstseins will sie das meist auch gar nicht). Gleichzeitig übt sie Druck aus, damit dieses Eigentum unentgeltlich verteilt wird. Auf politisch-soziologischer Seite tauchen zahlreiche Anliegen – ähnlich zu den bereits angesprochenen volkswirtschaftlichen Scheinprioritäten – an die ostmitteleuropäische Privatisierung auf, denen die Privatisierung als rein Eigentumsverhältnis verändernde Institution nicht beikommen kann. Solche sind zum Beispiel:
– gerecht zu privatisieren,
– Privatisierungsstrategien verwirklichen, die den Mittelstand stärken,
– mit der Privatisierung die gesellschaftliche Chancengleichheit und die soziale Angleichung fördern,
– die Informations- und Beziehungsdominanz der früheren Nomenklatur und vor allem den positionellen Vorteil der Unternehmensführung ins Gleichgewicht bringen etc.
Diese gesellschaftlichen Ziele sind offensichtlich in sich widersprüchlich und mit den volkswirtschaftlichen Zielsetzungen unvereinbar. Es ist ein berechtigtes Anliegen, dass die Privatisierung für die Öffentlichkeit durchschaubar sein soll, doch kaufen kann nur derjenige, der über die nötigen Mittel verfügt. Sozial gesehen ist es auch ungerecht, dass nur derjenige ein Rinderfilet im „Gundel“ (ein exklusives Restaurant in Budapest) ist, der es bezahlen kann, und aus diesem Grund werden Entschädigungskupons als Zahlungsmittel auch weiterhin nicht akzeptiert. Gleichzeitig ist auch klar, dass bei der Privatisierung eines solch riesigen staatlichen Vermögens die Bevölkerung und die heimischen Unternehmer – ungeachtet ihres Kapitalmangels – nicht unberücksichtigt gelassen werden können. Das ist nicht nur politisch erforderlich, sondern auch wirtschaftlich, denn das gesamte ostmitteleuropäische Vermögen kann einfach nicht an ausländische Investoren verkauft werden, selbst dann nicht, wenn man die diesbezügliche Absicht der interessierten Regierungen annimmt. Die Absicht, den Großteil des nationalen Vermögens an ausländische Investoren zu verkaufen, war neben den durch die 40jährige russische Vorherrschaft in Osteuropa zwangsläufig ausgelösten nationalistischen Tendenzen in der Politik freilich in keinem der betroffenen Länder spürbar vorhanden – dieses Problem ist also rein fiktiv. Der Hauptteil des Staatsvermögens der einstigen sozialistischen Länder ist für die ausländischen Investoren nämlich von vornherein unerreichbar, es besteht kein Kaufinteresse (eine Reihe von verschuldeten, veralteten Industriebetrieben mittlerer Größe bleibt dem Staat am Halse hängen, weshalb dieser verzweifelt versucht, solche Betriebe mit vereinfachten Privatisierungsverfahren – das war sogar in Ostdeutschland so – auf die Unternehmensführungen abzuwälzen). Seit 1990 ist im Allgemeinen äußerst wenig Fremdkapital in die Region geflossen – Ungarn liegt im Jahre 1997 mit 16 Mrd. Dollar deutlich an erster Stelle, was jedoch auch an hiesigen Maßstäben gemessen zu wenig ist (in Russland erreichen die ausländischen Investitionen noch nicht einmal 1 %). Es ist zudem deutlich zu sehen, dass das ausländische Kapital bemüht ist (übrigens ähnlich zu den heimischen Unternehmern), Investitionen auf der sogenannten grünen Wiese zu verwirklichen, anstatt an langwierigen, skandalverdächtigen und zu riskanten staatlichen Privatisierungen teilzunehmen (gewöhnlich fließt mindestens Zweidrittel der ausländischen Investitionen in Projekte auf der grünen Wiese). Das relativ geringe Interesse ausländischer Investoren erklärt sich aus den viel lukrativeren Investitionsmöglichkeiten in der dritten Welt (China, Indien, Indonesien, Thailand, Brasilien, Mexiko), der instabilen politischen Lage in Osteuropa (Bürgerkriege in der ehemaligen Sowjetunion und Jugoslawien) und daraus, dass das deutsche Kapital in Ostdeutschland gebunden ist, obzwar deutsche Investitionen in dieser Region seit vor dem zweiten Weltkrieg Tradition hatten. Die beträchtliche Inflation, die unsichere monetäre Lage und ungeklärte Besitzverhältnisse bei den Immobilien schrecken ebenfalls ab. Das Ergebnis: Nicht nur, dass kein neuer Marshallplan die Festigung der Demokratie in Ostmitteleuropa und den Ausbau der Marktwirtschaft unterstützt (warum auch – schließlich würde das den Kaufpreis in die Höhe treiben), auch die Privatisierung erfüllt nicht die in sie gesetzten Hoffnungen. Zwar bringt das Erscheinen von multinationalen Unternehmen viel Positives mit sich (z.B. Führungskultur, Hightech, Marketing), doch gleichzeitig verursachen unüberlegte, habgierige ausländische Investitionen schmerzvolle Einschnitte, was die Abneigung gegenüber solche Investitionen erhöht.
Das Ausland hat nämlich im Laufe der Privatisierung in den früheren sozialistischen Ländern deutlich weniger gekauft als von der Öffentlichkeit angenommen, doch infolge seiner Finanzkraft hat es meist das erworben, was auch die Bevölkerung gerne gekauft hätte (die besten Stücke sozusagen – Kaufhäuser, Tabakfabriken etc.). Teilweise sind es sogar die sogenannten strategischen Zweige (Energieversorgung, Erdölindustrie, Gasversorgung), womit die ausländischen Investoren auch für die Preiserhöhungen in diesen Bereichen verantwortlich sind, welche die Bevölkerung am härtesten treffen. Die Bevölkerung gewöhnt sich freilich allmählich an das ausländische Eigentum, das momentan auch in Ungarn deutlich weniger beträgt (selbst nach der Privatisierung des Energiesektors) als vor dem zweiten Weltkrieg. Immer weniger Menschen lassen sich durch die Übermystifizierung des Eigentums täuschen: Hätten die Dänen auf der Óbuda-Insel (Insel auf der Donau in Budapest) Hotels gebaut, hätten sie die Insel nicht nach Skandinavien zaubern können, ihre Hotels hätten das ungarische Bruttosozialprodukt vermehrt, die Zulieferer, Subunternehmer, Arbeiter und das Personal wären überwiegend aus Ungarn gekommen etc. Ausländische Investitionen haben also gewöhnlich mehr Vor- als Nachteile, man darf jedoch auch die Nachteile nicht außer Acht lassen.
Die Einbeziehung heimischer Kräfte
Kehren wir zum Grundgedanken zurück: mit Ausnahme Ungarns und Tschechiens ist die ausländische Kaufkraft in den einstigen sozialistischen Ländern vorerst verschwindend gering, doch selbst in Ungarn erreicht sie nicht mehr als ein Drittel der Gesamtkaufkraft. Will man also den Großteil des Staatseigentums zugunsten des Privateigentums abschaffen, müssen die Einheimischen in den Privatisierungsprozessmit einbezogen werden. Diesbezüglich wurden in den ehemaligen sozialistischen Ländern vier verschiedene Versuche unternommen.
Reprivatisierung
Aus juristischer Sicht wäre diese Methode der Privatisierung die einfachste. Die Verstaatlichungsgesetze würden sowohl den damals gültigen, als auch den gegenwärtigen bürgerlichen Verfassungen zufolge als offenbar verfassungswidrig gelten – obzwar die osteuropäischen Verfassungsrichter sich scheuten dies auszusprechen. Im Falle der Außerkraftsetzung respektive Abschaffung dieser Gesetze würde das ursprüngliche Eigentumsrecht automatisch wiederhergestellt werden, denn Eigentumsansprüche verjähren nämlich nicht. Mit Ausnahme Deutschlands, wo die Berücksichtigung von eigentumsrechtlichen Ansprüchen der ehemaligen Eigentümer (oder deren rechtmäßige Nachfolgern) ein wesentlicher Bestandteil des Privatisierungsprozesses war, haben sich fast alle Länder statt der Reprivatisierung für eine ziemlich eingeschränkte und komplizierte Entschädigung entschieden. Der Grund dafür liegt zum einen in der Verschuldung, zum anderen darin, dass die Reprivatisierung investitionsfeindlich gewesen wäre. Auch politisch war zu erfahren, dass die bereits im Sozialismus aufgewachsenen jüngeren Generationen, also die Mehrheit der Bevölkerung, die bedeutendere kostenfreie Beteiligung vorheriger Generationen am Nationalvermögen unter den Bedingungen einer allgemeinen wirtschaftlichen Regression einfach nicht akzeptiert hat. Der Anspruch auf Reprivatisierung ging vor allem von einkommensschwachen und materiell schlechter gestellten Rentnern aus – siehe Péter Esterházys berühmte Bemerkung „Boden nehme ich nicht zurück“. Das Ausbleiben der Reprivatisierung ging im Übrigen jedoch auch mit einem sozialpsychologischen Nachteil einher: ein Teil der Politiker, der Presse und der Öffentlichkeit denkt, dass die Privatisierung mit der Verteilung von Gemeinbesitz gleichzustellen ist. Dies ist ein Irrtum. Vor 1948 verfügten die Staaten Ostmitteleuropas über fast gar kein Unternehmensvermögen. Dieses Vermögen entstammte grundsätzlich nicht Steuergeldern oder Leistungen der Arbeitnehmer, der Staat beschlagnahmte einfach das Vermögen von anderen. Der Staat privatisiert demnach nicht das Volksvermögen, sondern das der Esterházys und Onkel Schwartz – in welchem Verhältnis der Wert des verstaatlichten Vermögens damals und heute zueinander steht, wird noch viel Stoff für Meinungsverschiedenheiten liefern.
Kleinprivatisierung
In den Ländern, in denen die Bevölkerung eine gewisse Kaufkraft hatte und mehr oder weniger offene, beziehungsweise verhüllte Formen der Privatunternehmen recht verbreitet waren – in Ungarn, in der Tschechoslowakei, in Polen und Slowenien –, tat sich die Möglichkeit der Vermarktung von Einheiten des Einzelhandels, der Gastronomie und von Dienstleistungsbetrieben (Geschäfte, Restaurants usw.) zugunsten einheimischer Unternehmer auf. Diese sogenannte Kleinprivatisierung ging der allgemeinen Privatisierung voraus, somit kann sie auch als Vorprivatisierung betrachtet werden. In den betroffenen Ländern – obwohl es auch hier Missbrauch und andere Anomalien gab – war die Kleinprivatisierung bis 1993–94 bereits erfolgreich abgeschlossen, die heimischen Kleinunternehmen gingen daraus deutlich gestärkt hervor. In Ländern wie z.B. Albanien tauchte der Gedanke der Kleinprivatisierung im Grunde gar nicht erst auf.
Dezentralisierte (spontane) Privatisierung
In den Ländern, in denen sich zu Lasten der zentralen Staatsmacht in den 80er Jahren ein selbstständiges Unternehmenseigentum herausgebildet hat (vor allem in Ungarn, Polen und in geringerem Maße in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion, aber wegen des Kollektiveigentums der gesellschaftlichen Selbstverwaltung muss auch Jugoslawien dazugezählt werden), schien es folgerichtig, bei der Privatisierung die Unternehmensführung und die Belegschaft zu begünstigen. Das war die Grundlage des Vorschlags zur dezentralisierten Eigenprivatisierung der Unternehmen, welche seitens des Staates später als spontane Privatisierung bezeichnet wurde. (Diese spätere Bezeichnung setzte sich in den Massenmedien durch.) Am stärksten ausgeprägt war diese dezentralisierte (und aus der Sicht der Unternehmensführung überhaupt keine spontane) Privatisierung in Ungarn 1989–90, doch als Pachtprivatisierung war sie auch in der Ukraine und in Weißrussland recht verbreitet sowie verständlicherweise in den Nachfolgestaaten Jugoslawiens und in Polen, besonders zu Anfang des Prozesses. Einerseits war die gesellschaftliche Antipathie beziehungsweise der Widerstand der neuen politischen Elite (Bezichtigung der Benutzung interner Informationen, Privileg der an der Quelle Sitzenden, die spontane Privatisierung ist nichts weiter, als „die Selbstprivatisierung der früheren Nomenklatur“ usw.) gegenüber der Umwandlung der reellen Macht der Unternehmensführungen in die Macht der Eigentümer beträchtlich. Andererseits hat der Staatsapparat die politische Wende mit Unterstützung der für die Schulden aufkommenden internationalen Geldinstitute dazu benutzt, um das in den 80er Jahren entstandene selbstständige Unternehmenseigentum quasi wieder zu verstaatlichen. 1990–91 geht die dezentralisierte Privatisierung in allen einstigen sozialistischen Ländern zu Ende und eine streng zentrale, staatlich gesteuerte Privatisierung nimmt ihre Stelle ein. In diese staatlich gesteuerte Privatisierung wurde die Möglichkeit der Belegschaft zum begünstigten Eigentumserwerb in Höhe von 5–20 % allgemeingültig integriert (am höchsten war dieser Anteil in Polen mit 20 %), der Kauf durch die Unternehmensführungen jedoch wird offiziell als eine ausnahmsweise Privatisierungsmethode in den Hintergrund gedrängt (im Verborgenen dagegen waren die Unternehmensführungen in der Privatisierung recht aktiv und hinter den MRP-Organisationen in Ungarn steckte oft nichts anderes als „management-buy-out“).
Unentgeltliche Kuponprivatisierung
Die mit Ausnahme Ungarns und der DDR in allen früheren sozialistischen Ländern angewandte Kuponprivatisierung (vouchere, Privatisierungsscheck etc.) als grundlegendes Instrument der Massenprivatisierung ist eine Erfindung der damals noch vereinten Tschechoslowakei. In den Nachfolgestaaten der Sowjetunion oder in den Staaten des Balkans gibt es aufgrund der Rückständigkeit des Privatsektors gar keine andere Möglichkeit einer allgemeinen und relativ schnellen Privatisierung. Es sei denn, jeder volljährige Einwohner erhält auf Grundlage des Staatsbürgerrechts spezifische Wertpapiere, die er direkt oder über Investmentfonds gegen Wertpapiere der – mittlerweile in Aktiengesellschaften umgewandelten – Staatsunternehmen tauscht. „Das Unternehmen hunderttausender Kleinunternehmer“ ist volkswirtschaftlich gesehen natürlich ineffektiv, es hindert ausländische Investitionen und da viele Bürger die Dividende losen Aktien der verlustreichen Unternehmen wieder loswerden wollen, besteht dauernd die reelle Gefahr der „Rückverstaatlichung“ (siehe z.B. die Erfahrungen Russlands und Tschechiens). Hier gelangen wir zum Schluss des Vergleichs: In Westeuropa bedeutet die Privatisierung ein kleines Börsenangebot für kapitalkräftige Investoren. In Osteuropa jedoch berührt die Privatisierung fast die ganze Volkswirtschaft und zwar unter ungünstigen wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen. Dadurch ist die Privatisierung in den ehemaligen sozialistischen Ländern ein äußerst widersprüchlicher Prozess, in dem die lang– und kurzfristigen Interessen, die unterschiedlichen wirtschafts- und sozialpolitischen Ziele einander ständig im Wege sind.
Grundlegende Richtungen der ostmitteleuropäischen Privatisierung
Die Privatisierung der ehemaligen sozialistischen Länder lässt sich im Grunde genommen in drei große Gruppen einteilen:
1. Ostdeutschland, oder wie der reiche Bruder aus dem Westen privatisiert (eine bereits beendete Privatisierung).
2. Vom Staatssozialismus zum Staatskapitalismus führende, auf dem Primärstatus der unentgeltlichen Kuponprivatisierung basierende Quasiprivatisierung, die sich über Jahrzehnte hinzieht (in den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion mit Ausnahme einiger baltischer Staaten, außerdem in Rumänien, Bulgarien, Albanien und Serbien).
3. Privatisierung mit verschiedenen Methoden in Ländern, in denen mehr als 50 % der Volkswirtschaft bereits in Privatbesitz ist und die Chancen gut stehen, dass die institutionelle Privatisierung bis 2000 beendet sein wird. Zu dieser Gruppe gehören fünf bis acht Länder: Ungarn, Estland (und eventuell Lettland), Tschechien (und eventuell die Slowakei), Polen, Slowenien (und eventuell Kroatien)
Vollständige Privatisierung
Zwischen März 1990 und Januar 1995 hat das im Grunde von der letzten DDR-Regierung auf gesetzlicher Grundlage errichtete – heute nicht mehr existierende – Spezialorgan des öffentlichen Rechts, die Treuhandanstalt, 95 % des ganzen Staatssektors der DDR privatisiert: insgesamt 8000 Kombinate mit 45000 Betriebseinheiten (Typ „1“). Dies ist im Wesentlichen die Privatisierung des reichen Bruders aus dem Westen: Die Großunternehmen Westdeutschlands haben die ehemaligen ostdeutschen Betriebe zu ihren Tochtergesellschaften umgebildet. Dabei gab es kaum finanzielle Probleme: die alten Schulden wurden von der Treuhandgesellschaft geregelt, so hat sie vor der Privatisierung saniert, Kredite gewährt sowie Bürgschaften übernommen. In der deutschen Privatisierung spielte fremdes Kapital kaum eine Rolle: Es gab keine Kupons, es wurde kein Tender ausgeschrieben, Börsentransaktionen sowie der Erwerb von Anteilen durch Mitarbeiter oder durch die Unternehmensführung waren ebenfalls selten, man konnte sich sogar eine relativ umfangreiche Reprivatisierung leisten. Die Privatisierung bedurfte kaum des Ausbaus der Infrastruktur: im Sommer 1990 übernahm man praktisch mit dem sogenannten Mantelgesetz das „westdeutsche“ Handels– und Gesellschaftsgesetz, statt der mit langwierigen und blutigen Streitigkeiten um die Vermögensbewertung verbundene Umstrukturierung einzelner Unternehmen setzte man auf eine automatische Umbildung: aus den Kombinaten wurden kraft Gesetzes AGs mit jeweils 100.000 Mark Grundkapital, aus den Kombinatsbetrieben GmbHs mit jeweils 50.000 Mark Stammkapital. Die Privatisierung der ehemaligen DDR vollzog sich zwar bisher am schnellsten, trotzdem möchte ich anmerken: auch hier waren 1993 besondere Maßnahmen zur Beschleunigung des Prozesses erforderlich (z.B. bei den Firmenregistrierungen), auch hier gab es Skandale und Korruption (ferner sogar Schießereien und Bombenanschläge).
Quasiprivatisierungen
Auf der anderen Seite stehen die Länder (Typ „2“), in denen bis jetzt Privatisierungen im eigentlichen Sinn kaum durchgeführt wurden. Wohl aber hat sich die Überführung des Staatseigentums in Handelsgesellschaften vollzogen und anstelle der Kleinprivatisierung kamen partielle Funktionsprivatisierungen zum Tragen, es wurden z.B. Betriebe vermietet oder konzessioniert. In diesen Ländern bedeutet die Kuponprivatisierung die eigentliche Privatisierung, das heißt, die im Wesentlichen kostenlose Verteilung von Staatsanteilen unter der Bevölkerung. Zu dieser Gruppe gehören vor allem Russland, die Ukraine und Weißrussland, wo der private Anteil in der Volkswirtschaft noch immer unter 20 % liegt, ferner Albanien, Serbien und Mazedonien (bei den letzten beiden sollte der Bürgerkrieg berücksichtigt werden), sowie die ehemaligen sowjetischen Teilrepubliken in Asien oder die Mongolei, wo der Staatsbesitz noch immer mehr als 90 % ausmacht. Die besten Werte weisen innerhalb dieser Gruppe Bulgarien und Rumänien auf, im ersteren lag der Anteil von Privatbesitz Ende 1996 bei ca. 25 %, im letzteren bei ca. 35 %. Es ist leicht abzusehen, dass die Privatisierung in diesen Ländern noch Jahrzehnte dauern wird, der Kapitalfluss aus dem Ausland ist sehr gering. In diesen Ländern sind die Voraussetzungen (juristisch, institutionell, infrastrukturell und personell) am schlechtesten, der Nihilismus im Rechtswesen am stärksten ausgeprägt. Die Privatisierung kann deshalb generell nur mittels unentgeltlicher Kupons, die nur eingeschränkten Besitz ermöglichen, verhältnismäßig beschleunigt werden. Gerade aus diesem Grund ist die Annahme berechtigt, dass die Quasiprivatisierung in diesen Ländern durch Schaffung halbwegs staatlicher und marktwirtschaftlicher Strukturen vom Staatssozialismus zum kommerzialisierten Staatskapitalismus führt. Dem vereinten Europa kann man sich mit diesem System jedoch nicht anschließen – diese Erkenntnis reift seit 1997 vor allem in Rumänien.
Gemischte Privatisierung
Die unterschiedlichen Privatisierungsmethoden in fünf verschiedenen Ländern kennzeichnen die mittlere Gruppe (Typ „3“). In diesen Ländern ist das Staatseigentum im Wesentlichen auf die Hälfte des Bruttosozialproduktes (oder noch weiter) zurückgegangen und allen Skandalen und Unkenrufen zum Trotz stehen in diesen Ländern die Chancen gut, dass die institutionelle Privatisierung um 2000 herum abgeschlossen wird und damit die Besitzverhältnisse dem Unionsbeitritt nicht mehr im Wege stehen. Diese Gruppe wird – und das ist keine nationale Befangenheit – von Ungarn angeführt, wo der Prozess schon um 1998 beendet sein könnte. Von den ehemaligen sozialistischen Ländern hatte Ungarn die beste wirtschaftliche Ausgangslage, die fortschrittlichste Gesetzgebung und das beste Institutionssystem, hier begann die Privatisierung am frühesten, nämlich schon 1989. In Ungarn gab es überhaupt keine Kuponprivatisierung, vielmehr setzte man auf eine Privatisierung mithilfe des Marktes, wobei die Inanspruchnahme von begünstigten Privatisierungsverfahren unter 20 % blieb. Zuerst wurde fast der ganze Energie- und Bankensektor privatisiert, bei den mittleren und bei den Kleinunternehmen kam es zu einer recht umfangreichen, vereinfachten Privatisierung, zudem ist der Anteil ausländischer Investitionen in Ungarn bei weitem am höchsten. Betrachten wir die statistischen Werte der Privatisierung, liegt Estland vor Ungarn, was auch deswegen beachtlich ist, weil die Privatisierung dort erst 1992–93 begann. (Estland ist neben Ungarn das einzige Land, wo die Privatisierung nicht durch ein Verwaltungsorgan geleitet wird, sondern durch eine Organisation mit Unternehmensstatus.) Gleichzeitig ist die Privatisierung in den kleineren Staaten des Baltikums (Lettland geht den gleichen Weg wie Estland, jedoch viel langsamer, während sich Litauen eher an dem ukrainisch-weißrussischen Beispiel orientiert) aus meiner Sicht recht verzerrt: eine nachhaltige Privatisierung mithilfe ausländischer Investoren wird durch eine ausgedehnte unentgeltliche Kuponprivatisierung ergänzt, was keine echten Eigentümer auf dem Markt schafft. Tschechien hatte – nach der Entstehung der selbstständigen Slowakei – von den einstigen sozialistischen Ländern die beste wirtschaftliche Position inne. Die technisch versierte und qualifizierteste Führung der Region hat eine stark zentralisierte Privatisierungspolitik verwirklicht. Die tschechische Privatisierung war bislang die komplexeste: „kleine Privatisierung“ und Kuponprivatisierung, Tenderausschreibungen und direkte Privatisierung nach Verhandlungen sind gleichermaßen in Erscheinung getreten, die Privatisierung zugunsten der Arbeiter jedoch war minimal. Dem Ausland gegenüber wurde eine ziemlich einseitige Investitionspolitik betrieben, die deutsches Kapital in den Vordergrund stellte. Die wirtschaftlichen Erschütterungen des Jahres 1997 führen vermutlich zur Beschleunigung der Privatisierung. Polen verfügte durch die Reformen der 1970–80er Jahre über eine ähnlich gute Ausgangsposition wie Ungarn, die Kuponprivatisierung und die Privatisierung zugunsten der Arbeiter sind bedeutend. Eine Eigenheit der polnischen Privatisierung besteht darin, dass im Gegensatz zu Ungarn die ehemaligen kommunalen Betriebe fast vollständig die Gemeindeverwaltungen erhalten haben, wodurch die Privatisierung seitens der Selbstverwaltungen ein hohes Ausmaß annahm. Slowenien steht als kleiner Bruder Italiens und Österreichs ebenfalls gut da. Die eigenartigen, sich selbstverwaltenden Volksbetriebe in Jugoslawien mussten erst verstaatlicht werden, um privatisiert werden zu können, was jedoch den ganzen Prozess aufgehalten hat (dies war das grundlegende Problem der Teilstaaten Jugoslawiens zwischen 1989 und 1991). Die Privatisierung im eigentlichen Sinn begann 1992, im Wesentlichen mit der tschechischen gemischten Methode, doch der Privatisierung zugunsten der Arbeiter wurde aus traditionellen Gründen eine höhere Bedeutung zugemessen. Der privatisierte Teil betrug Anfang 1997 in Estland ca. 70 %, in Ungarn ca. 65 %, in Tschechien und Slowenien etwa 60 % und in Polen rund 55 %. Diesen fünf Ländern nähern sich – aber mit deutlich schlechteren Resultaten – das bereits erwähnte Lettland (estnische Methode), die Slowakei (gemeinsame Grundlagen mit Tschechien bei der Gesetzgebung und auf institutioneller Ebene, aber ein viel stärkerer Nationalismus sowie weniger ausländische Investitionen) und Kroatien (ähnliche Methoden wie in Slowenien, doch die Züge des Staatskapitalismus sind deutlich ausgeprägter).
Fazit
In den Ländern der Gruppe „2“ werden die Spuren der sozialistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung infolge staatskapitalistischer, halbwegs staatlicher und marktwirtschaftlicher Strukturen noch lange zu spüren sein. In der letzten Ländergruppe wird der Abschluss der Privatisierung dagegen die konsequente Anwendung moderner und vollwertiger marktwirtschaftlicher Lösungen ermöglichen. Auch in Ungarn müssen sich nach Beendigung der Privatisierung die Haltung des Staates und die Führungsstruktur grundlegend verändern. Das Überwiegen von Staatseigentum wird es nicht mehr geben, der Staat darf in der Wirtschaft nur eine behördlich-regelnde Funktion wahrnehmen. Der Staat muss für die Wirtschaft stabile Rahmenbedingungen schaffen und den Teilnehmern der Wirtschaft z.B. öffentliche Sicherheit und Rechtssicherheit gewährleisten. Angesichts der Dominanz des Privateigentums kann sich ein vollwertiger marktwirtschaftlicher Wettbewerb entfalten, der Staat kann konsequent gegen Monopole vorgehen. Die Chancen für eine strategische, langfristige Wirtschaftspolitik stehen somit gut.