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Begegnungen
Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Band 9:15–31.

KARL OTMAR v. ARETIN

Das Reich und die europäische Politik 1763–18061

 

Die Friedensschlüsse von Paris und Hubertusburg vom Februar 1763 beendeten einen Krieg, bei dem viele der Teilnehmer im Nachhinein der Meinung waren, sie hätten auf der falschen Seite gekämpft. Diese Tatsache hatte international die Folge, dass die 1756/57 geschlossenen Allianzen 1763 – wie das englisch-preußische oder das russisch-österreichische Bündniszerbrachen, oder – wie die österreichisch-französische Allianz – ihren aggressiven Charakter verloren. Das Reich war Österreich 1757 nur widerwillig in den Krieg gefolgt. Man sah sich plötzlich in einen Krieg mit internationalen Verflechtungen verwickelt, dessen Konsequenzen man nicht übersehen konnte.

Wenn sich das Reich trotzdem dem Krieg gegen Preußen, genau genommen der Reichsexekution gegen Preußen anschloss, dann spielte hier die Empörung über den preußischen Überfall auf Sachsen, später Mecklenburg ebenso eine Rolle, wie die Völkerrechtsbrüche, die sich Friedrich gegen Sachsen zu Schulden kommen ließ. Von der Eingliederung der kapitulierenden sächsischen Armee in das preußische Heer, der Plünderung und Zerstörung des Brül’schen Palais in Dresden und des sächsischen Schlosses Hubertusburg bis zur Zerstörung der Dresdener Vorstädte war dies eine lange Liste. Je länger jedoch der Krieg dauerte, desto größer wurden die Sympathien evangelischer Reichsstände für Friedrich den Großen und desto stärker die Abneigung gegen Frankreich.2 Für die Haltung vieler deutscher Fürsten wurde es am Ende des Siebenjährigen Krieges wichtig, dass sich in diesem Krieg über die politischen Gegensätze die alten, die Reichsgeschichte seit 1648 beherrschenden konfessionellen Gegensätze international verfestigt hatten: Die katholischen Vormächte Österreich und Frankeich gegen die evangelischen Mächte Preußen und England.3 Der Feldherrnruhm Friedrichs des Großen fand darüber hinaus überall im Reich Bewunderung. Am Ende wurden im Reich aus den konfessionellen Bindungen politische Parteien, deren Anführer in Wien und Berlin saßen.

Es waren im Grunde genommen zwei Kriege, die sich auf eine höchst komplizierte Weise miteinander verbunden hatten. Der eine war ein Kolonialkrieg zwischen England und Frankreich, der 1755 mit dem englischen Angriff auf die französischen Kolonien in Nordamerika begonnen hatte. Der andere hatte seine Ursache in dem Versuch Österreichs, mit Hilfe einer Koalition mit Russland und Frankreich, Preußen Schlesien zu entreißen und – wenn möglich – das Königreich auf einen Stand zurückzuführen, der es ihm nicht mehr ermöglichte, die Rolle einer europäischen Großmacht zu spielen.4

Der Verlauf des Kolonialkrieges zwischen England und Frankreich hatte auf das Reich kaum einen Einfluss. Auch der Krieg um Schlesien hatte im Hubertusburger Frieden ein unspektakuläres Ende gefunden. Friedrich dem Großen wurde der Besitz Schlesiens zugesprochen. Österreich musste sich endgültig sowohl mit dem Verlust des reichen Schlesiens als auch mit der Tatsache abfinden, das mit Preußen im Reich ein Land in den Rang einer europäischen Großmacht aufgestiegen war. Diese beiden Tatsachen veränderten die europäische Politik wie auch die Reichspolitik stärker, als es nach außen den Anschein hatte.

1

Die Einmischung fremder Mächte in die inneren Angelegenheiten des Reiches hatte eine lange Tradition. Seit 1648 waren Schweden und Frankreich Garantiemächte des Westfälischen Friedens und damit der Reichsverfassung. Während Schweden davon fast keinen Gebrauch machte, benutzte Frankreich dieses Privileg für eine sehr aktive, meist gegen den Kaiser gerichtete Reichspolitik. Die französischen Könige bezeichneten diese Garantie als eine der „herrlichsten Perlen” ihres Königtums. Im Reich wurde diese Garantie zunächst als Friedensgarantie gegen den Kaiser angesehen, den man nach 1648 verdächtigte, den für ihn ungünstigen Westfälischen Frieden anfechten zu wollen. So war die Garantie ursprünglich von Richelieu auch gedacht gewesen, der für Frankreich eine Sonderstellung als Garant des Friedens in Europa erstrebte. Zwei wichtige Entscheidungen machten die Pläne Richelieus zunichte: Kaiser Ferdinand III. und später sein Nachfolger Leopold I. verzichteten darauf, die Entscheidung von 1648 in Frage zu stellen und akzeptierten die in Münster und Osnabrück gefundene Form der Reichsverfassung. Die Bedrohung des europäischen Friedens ging nicht von Wien sondern von Versailles aus. Es waren die Eroberungskriege Ludwigs XIV., die Europa zwischen 1672 und 1715 in eine nicht zu enden wollende Kette von Kriegen stürzten. Der Westfälische Friede konnte deshalb die Rolle einer europäischen Friedensordnung, wie sie Richelieu erstrebt und wie sie im Text des Friedens angelegt war, nie spielen. Rousseau, Voltaire und der Abbé Gabriel Bonnet de Mably interpretierten noch im 18. Jahrhundert die unter französischer Garantie stehende Reichsverfassung als europäische Friedensordnung.5 Dies war nur insofern richtig, als vom Reich kein Krieg ausgehen konnte. So durfte z.B. die Reichsarmee die Grenzen des Reiches nicht überschreiten.

Mit dem österreichisch-französischen Bündnis von 1756/57 veränderte sich die Stellung Frankreichs zum Reich. 1757 hatte Ludwig XV. – als Garant der Reichsverfassung – offiziell sein Eintreten in den Krieg gegen Preußen mit dem Überfall Friedrichs des Großen auf Sachsen begründet. Nach 1763 trat Kaunitz für eine Fortsetzung des Bündnisses auch mit dem Argument ein, Frankreich werde dadurch daran gehindert, als Garant der Reichsverfassung im Reich eine gegen den Kaiser gerichtete Politik zu führen. Das war allerdings ein Irrtum. Wie die Arbeit von Eckhard Buddruss über die französische Deutschlandpolitik 1756–1789 zeigt, hielt sich Frankreich zwar in der Reichspolitik tatsächlich zurück.6 Dagegen unterstützte es im Geheimen die gegen den Kaiser und Österreich gerichtete Poltik Friedrichs des Großen.

2

Österreichs Stellung veränderte sich 1763 sowohl im Reich wie international erheblich. Das Bündnis mit Russland war noch während des Krieges zerbrochen. Russland war an die Seite Preußens getreten. Das Bündnis mit Frankreich bestand zwar weiterhin, aber es war klar, dass sich Frankreich nicht ein zweites Mal in einen Krieg um Schlesien hineinziehen lassen würde. Außenpolitisch war Österreich isoliert. In Frankreich mehrten sich die Stimmen, die das Bündnis mit Österreich für einen Fehler hielten. Es hindere – so meinten seine Gegner – Frankreich daran, wie vor 1756, aktive Reichspolitik zu betreiben.

Auch das Verhältnis des Kaisers zum Reich hatte sich 1763 gewandelt. Man war sich zwar am Wiener Hof darüber im Klaren, dass Schlesien verloren war, bemühte sich aber um ein Äquivalent. Die österreichischen Bestrebungen richteten sich dabei auf das benachbarte Bayern, das Österreich im Spanischen Erbfolgekrieg 1704–1714 und im ersten Schlesischen Krieg 1741–45 besetzt hatte. In den Friedensschlüssen nach dem Spanischen Erbfolgekrieg war die Möglichkeit, Bayern gegen die Niederlande einzutauschen, festgehalten. Nach 1763 war Österreich auf einen Landgewinn im Reich aus, der es für den Verlust Schlesiens entschädigen sollte. Eine solche Politik war zwar ganz im Sinn der europäischen Großmachtpolitik, wie sie Ludwig XIV. und Friedrich der Große gehandhabt hatten. Sie stand aber im klaren Gegensatz zu der Rechtsordnung des Reiches, die bis dahin die Reichspolitik und die der Römischen Kaiser bestimmt hatte. Österreich besaß keinen Rechtstitel auf ein Gebiet im Reich. Mit seiner Absicht auf Vergrößerungen wurde Österreich auch in der internationalen Politik zu einem Unsicherheitsfaktor, von dem eine Bedrohung des Friedens ausgehen konnte.

3

Noch etwas Weiteres kam hinzu: Nicht nur, dass Preußen in den Kreis der europäischen Großmächte aufgerückt war. Das Reich, das seit 1648 unter einem ausgewogenen Rechtssystem in der Balance zwischen dem Kaiser und den am Reichstag in Regensburg versammelten Reichsständen existiert hatte, sah sich auf einmal in ein System des Gleichgewichts eingespannt, in dem Österreich und Preußen sich die Waage hielten. In diesem System war Österreich mit seiner Absicht, in Bayern einen Ersatz für Schlesien zu finden, die auch den Frieden im Reich bedrohende Macht. Die Übertragung des Gleichgewichtssystems auf das Reich veränderte aber auch das System der Reichsverfassung. Gebietserwerbungen waren damals unabhängig vom Rechtsanspruch nur im Einvernehmen der beiden deutschen Großmächte möglich. Territoriale Vergrößerungen waren damit nicht mehr die Folge von Rechtsansprüchen, sondern das Ergebnis politischer Verhandlungen. Das Reich als Ganzes wurde daher nach 1763 ein Objekt der Politik, das selbst keine Initiative entwickelte. Kurfürst Karl Theodor von der Pfalz konnte seinen Erbanspruch auf Bayern nur verwirklichen, weil sich Österreich und Preußen darüber vorher nicht geeinigt hatten. Wäre es zu einer Einigung der beiden Großmächte gekommen, so wäre wahrscheinlich Bayern an Österreich und Jülich-Berg an Preußen gefallen. Wie solche willkürlichen Entscheidungen aussahen, zeigte die 1. polnische Teilung 1772. Weil sich Österreich, Preußen und Russland einig waren, wurde ein Land in einer Art ausgebeutet, wie es jedem Rechtssystem Hohn sprach.

Zum zweiten machte das Gleichgewichtssystem die andere Großmacht – Preußen – zum Partner bzw. Gegenspieler Österreichs. Das wollte man in Wien nicht akzeptieren, wo man sich noch immer auf die Würde eines Kaisers berief und nicht bereit war, Preußen als gleichberechtigt anzuerkennen. Die Berufung auf das kaiserliche Amt war Reichspolitik im althergebrachten Stil. Die Politik des Gleichgewichts, unter der die Reichspolitik seit 1763 stand, entsprach dem Stil der europäischen Großmachtpolitik, auf die die weniger mächtigen Reichsstände keinen Einfluss besaßen.

Im preußischen König sahen die evangelischen Reichsstände nach 1763 ihren Schutzherren, obwohl der König als Freigeist bekannt war. Preußen wurde auch in konfessioneller Hinsicht als Schutzmacht des evangelischen Reichsteils der Widerpart des Kaisers. Die in Deutschland ohnehin schwierigen Verhältnisse wurden dadurch noch komplizierter, weil die Parteiungen im Reich konfessionell begründet wurden. Damit wurden Einrichtungen, wie die itio in partes, zu politischen Auseinandersetzungen benutzt, die 1648 zur Regelung konfessioneller Spannungen geschaffen worden waren. Die itio in partes sollte verhindern, dass am Reichstag eine Religionspartei die andere überstimmte. Bei Religionsstreitigkeiten wurde nach Konfessionen abgestimmt, sodass ein friedlicher Ausgleich – die sog. amicabilis compositio – gefunden werden musste. Die itio in partes wirkte mehr als Drohung, als dass sie zur Anwendung kam. Haeberlin zählte insgesamt acht Anwendungen, davon keine nach 1763.7 Als Drohung wurde sie aber auch nach 1763 häufig in der politischen Auseinandersetzung eingesetzt. Die amicabilis compositio wurde nach 1763 nicht mehr angestrebt. Man blockierte sich gegenseitig. Die große Chance, die sich in der Reichspublizistik als Reichsreformbewegung nach 1763 abzeichnete, konnte nicht genutzt werden. Das hinderte zwar Friedrich den Großen 1785 nicht, den Fürstenbund als Ansatz zur Reichsreform auszugeben. Tatsächlich verhinderte Preußen aber nach 1785 alle Ansätze einer Reform der Reichsverfassung.

4

Die preußische Politik war nicht weniger auf territoriale Vergrößerungen ausgerichtet als die österreichische. Die von Friedrich dem Großen auf eine Friedensstärke von 220 000 Mann gebrachte Armee konnte nur mit äußerster Sparsamkeit aus dem Land unterhalten werden. Bei einer weniger sparsamen Haushaltsführung wurden territoriale Zugewinne notwendig. Auch hier erstrebte Friedrich der Große Vergrößerungen im Reich an. So war auch Preußen nach 1763 sowohl im Reich, wie in der internationalen Politik ein Unsicherheitsfaktor. Friedrich, der in diesen Jahren die militärische Welt mit glanzvollen Manövern erstaunte, begründete die übergroße Stärke seiner Armee mit der Bedrohung durch Österreich.

Aus dem gleichen Grund war auch Österreich gezwungen, eine stärkere Armee zu unterhalten, als es ohne die preußische Bedrohung notwendig gewesen wäre. Beide deutschen Großmächte veränderten mit ihren Armeen die Stimmung im Reich, dessen Reichsarmee seit der Niederlage von Roßbach 1757 Gegenstand des allgemeinen Gespöttes war, und deren Fürsten ihre Soldaten, wenn überhaupt, als Paradetruppen unterhielten. Im Siebenjährigen Krieg und in den Plänen, wie sie Friedrich vor seinem Regierungsantritt und später in seinen Testamenten geäußert hatte, wurden Sachsen und Mecklenburg als Eroberungsziele genannt. Beide Länder hatte Preußen im Siebenjährigen Krieg besetzt. Der König war sich aber darüber im Klaren, daß eine Eroberung dieser Länder nach 1763 unmöglich war. Er besaß jedoch einen rechtlichen Anspruch auf eine andere Erwerbung: Die Markgrafentümer Ansbach und Bayreuth waren in den Händen von Nebenlinien der Hohenzollern. Nach 1763 standen beide Nebenlinien der Hohenzollern vor dem Aussterben. Es war nun das erklärte Ziel des Königs, die Erbfolge in Ansbach-Bayreuth in seinem Sinn zu entscheiden.

Diese Absicht war für Österreich eine weitere Bedrohung. Brandenburg-Preußen wurde mit diesem Landgewinn mächtiger, ohne dass Österreich dagegen etwas unternehmen konnte.

Das alles erklärt, weshalb sich Österreich mit allen Mitteln gegen eine Bestätigung dieser Erbordnung wehrte, die auch vom Reichstag nicht zu erhalten gewesen wäre. Preußen fasste damit Fuß in Süddeutschland. Bayreuth grenzte an Böhmen und vergrößerte die Gefahr für dieses Kronland. Preußen wurde damit auch kreisausschreibender Fürst des Fränkischen Reichskreises, der bisher als kaisertreu galt. Friedrich ließ sich daher die Erwerbung der Markgrafentümer bei der Erneuerung des russisch-preußischen Bündnisses 1769 von der Zarin Katharina zusagen.8 Das war zwar reichsrechtlich irrelevant, aber Russland besaß damit die Möglichkeit, bei der Regelung der inneren Verhältnisse des Reiches mitzureden.

5

Nicht Frankreich als Garantiemacht der Reichsverfassung und Russland als Partner Preußens, auch England stand in einem ganz besonderen Verhältnis zum Reich. Seit 1714 war der Kurfürst von Hannover König von England. Während der Eroberungskriege Ludwigs XIV. war England der treueste Verbündete des Kaisers. Auch Maria Theresia hätte die ersten beiden Schlesischen Kriege kaum so gut überstanden, wäre England/Hannover nicht auf ihre Seite getreten. Dieses Bündnis hatte sich in der Vergangenheit allerdings meist sehr nachteilig für Kaiser und Reich erwiesen. Noch bei jedem Friedensschluss hatte England den Kaiser im Stich gelassen. Das war im Frieden von Nymwegen 1679 und Ryswik 1697 ein Ärgernis. Im Frieden von Utrecht 1713, als sich England an die Seite Frankreichs stellte und Kaiser und Reich, entgegen allen eingegangenen Verpflichtungen, einen schimpflichen Frieden diktierte, wurde diese Haltung zum Skandal.9 Im Frieden von Aachen 1748 wurde der Leiter der österreichischen Delegation, der spätere Staatskanzler Graf Kaunitz, von dem englischen Vertreter Lord Sandwich von den entscheidenden Verhandlungen ferngehalten. Gegen die Proteste von Kaunitz wurde in diesem Frieden Schlesien Preußen zugesprochen, obwohl zu diesem Zeitpunkt Friedrich der Große nicht mehr am Krieg teilgenommen hatte, und Preußen an den Verhandlungen nicht beteiligt war.10 Für Maria Theresia besonders verbitternd war die Tatsache, dass der Reichstag den Frieden von Aachen 1751 ratifizierte und Friedrich der Große sich damit seither reichsrechtlich im legitimen Besitz Schlesiens befand. Mit diesem Frieden hatte England begonnen, das Gleichgewichtssystem im Reich einzuführen, das in demselben Frieden von Aachen in Italien Gültigkeit erlangte, wo sich die bourbonischen Besitzungen, das Königreich Neapel-Sizilien und das Herzogtum Parma-Piacenza, mit dem österreichischen Herzogtum Mailand mit dem Großherzogtum Toskana die Waage hielten. Für Italien leitete das österreichisch-französische, bzw. habsburg-bourbonische Bündnis von 1756 eine fast vierzigjährige Phase des Friedens ein. Zu dieser Entwicklung hatten die Rechte des Reiches in Italien kaum etwas beigetragen. Es war das System des Gleichgewichtes, das sich hier als segensreich erwies.

Für Österreich verband sich mit dem Frieden von Aachen die Einsicht, dass im Bündnis mit England Schlesien nicht zurückerobert werden konnte. Insbesondere Kaunitz hatte seitdem starke Vorbehalte gegen England. Trotzdem kam es nach 1748 zu einer Erneuerung des englisch-österreichischen Bündnisses, was sich für das Reich als segensreich erwies. Die Tatsache, dass der Kaiser über einen starken Verbündeten im corpus evangelicorum verfügte, entschärfte den konfessionellen Gegensatz. Die Folge war, dass eine Reihe wichtiger Reichsgesetze vom Reichstag beschlossen werden konnte.

Das österreichisch-französische Bündnis von 1756/57 wurde in England als Verrat angesehen. England/Hannover trat im Siebenjährigen Krieg auf die Seite Preußens. Dieses Bündnis wurde nach 1763 nicht mehr erneuert. Im Reich wurde Hannover aber zum schärfsten Gegner des Kaisers. Ziel dieser Obstruktionspolitik Hannovers im Reich war weniger, den evangelischen Reichsteil zu stärken, als das österreichisch-französische Bündnis zu sprengen. Mehrfach ging von London nach 1763 das Angebot an den Wiener Hof, ihr Bündnis zu erneuern, unter der Bedingung, dass Österreich seine Verbindung mit Frankreich lösen würde. Als Gegenleistung bot London eine Unterstützung der kaiserlichen Reichspolitik an. Kaunitz ließ dieses Angebot, wie wir sehen werden, unbeantwortet. Nicht gering einzuschätzen ist der Einfluss der englischen Verfassung auf die Verfassungsdiskussion im Reich. Beide wurden als gewachsene Mischverfassungen angesehen, die vergleichbare Elemente aufwiesen.11 Auf dieser Linie blieb Hegels Vorschlag in seiner damals nicht veröffentlichten Schrift von 1802 „Die Verfassung Deutschlands”, in der er die Empfehlung gab, den Städtetag des Reiches in eine Art gewähltes Unterhaus zu verwandeln. Die englische Reichspolitik und der von England ausgehende Einfluss auf das Reich sind weitgehend unerforscht.

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Als neue Großmacht, die im Reich Einfluss erhalten wollte, meldete sich das seit 1763 mit Preußen verbündete Russland an. Bereits hinter der Unterstützung, die Katharina II. 1769 bei der Erneuerung des preußisch-russischen Bündnisses Friedrich dem Großen für die Verwirklichung seiner Ansprüche auf Ansbach-Bayreuth versprach, stand die Absicht der Zarin, in die inneren Verhältnisse des Reiches einzugreifen. Nach der ersten polnischen Teilung 1772 wollte Katharina die verschiedenen territorialen Ansprüche im Reich in einem österreichisch-preußisch-russischen Bündnis einer friedlichen Regelung zuführen. Der Zufall wollte es nämlich, dass am Ende des 18. Jahrhunderts vier Dynastien im Reich vor dem Aussterben standen: Die beiden Hohenzollernlinien der fränkischen Markgrafentümer und die bayerische und die pfälzische Linie des Hauses Wittelsbach. Die Initiative der Zarin scheiterte an der ablehnenden Haltung des preußischen Königs. Trotzdem war man in Versailles, St. Petersburg und London überzeugt, dass sich Österreich und Preußen im Geheimen abgesprochen hätten, dass Österreich Bayern gegen die österreichischen Niederlande eintauschen und im Gegenzug Preußen die Zustimmung für die Vereinigung mit Ansbach-Bayreuth erhalten würde. Tatsächlich aber hatten die beiden deutschen Großmächte, verstrickt in ihre Rivalität, keine Absprachen getroffen, sodass es nach dem Tod des bayerischen Kurfürsten Max III. Joseph 1777 zwischen Österreich und Preußen zum bayerischen Erbfolgekrieg kam. Diese, als „Kartoffelkrieg” verspottete Auseinandersetzung wurde allerdings weniger auf dem Kriegsschauplatz als in den Kabinetten ausgefochten. Vergeblich versuchte Friedrich der Große, Russland zu einer aktiven Beteiligung an diesem Krieg zu bewegen. Auch der Verbündete Österreichs, Frankreich, wollte sich in diesen Krieg nicht mithineinziehen lassen. Als aber nach längeren Verhandlungen Russland mit seinem Eingreifen drohte, gelang es Österreich, Frankreich zu mobilisieren. An einer Neuauflage eines österreichisch-preußischen Krieges hatten weder Frankreich noch Russland ein Interesse. Ihnen ging es um die Erhaltung des Friedens. So kam es, dass ein durchaus innerdeutsches Problem unter der Beihilfe zweier auswärtiger Großmächte im Januar 1779 in Teschen gelöst wurde. Katharina strebte bei diesen Verhandlungen an, Russland zum Garanten der Reichsverfassung zu machen, um so mit Frankreich gleichzuziehen. In der Weisung an den russischen Vertreter in Teschen, Fürst Repnin, heißt es:12 „Auf diese Weise werden wir vor ganz Deutschland die Ehre einer Lösung dieser Frage genießen und vielleicht auch eine Vereinigung verschiedener Fürsten in ein System zustande bringen, woraus dann für Russland das erwünschte Vorrecht sich ergeben dürfte, ein Bürge der deutschen Reichsverfassung zu werden, also eine Eigenschaft zu erlangen, welcher Frankreich seinen überlegenen Einfluss in die Politik verdankt.” Der Friede von Teschen 1779 wurde auf Vermittlung Frankreichs und Russlands abgeschlossen, die auch den Frieden garantierten.

Der preußische Vertreter in Teschen, Johann Eustach Graf Görtz, war damals fest entschlossen, Russlands Wunsch, Garant der Reichsverfassung zu werden, zu erfüllen. In Wien stand man diesem Ansinnen eher skeptisch gegenüber, obwohl man gewillt war, mit Russland ein besseres Verhältnis herzustellen. Ausgerechnet der Vertreter Pfalz-Bayerns meldete Widerspruch an und weigerte sich, Russland ein Garantenrecht der Reichsverfassung einzuräumen. Schließlich kam Görtz auf die Idee, dem Wunsch Russlands durch eine Kombination von zwei Artikeln zu entsprechen. Er fügte einen Artikel 12 ein, in dem es hieß: „Der Westfälische Friede werde durch gegenwärtigen Friedensvertrag erneuert und bestätigt, als wenn sie demselben von Wort zu Wort eingerückt wären.” In Artikel 16 ist die Garantie des Friedens von Teschen durch Frankreich und Russland ausgesprochen. Auch dagegen wandte sich der kurpfälzische Vertreter. Der russische Vertreter, Fürst Repnin wollte auf einem Artikel bestehen, in dem die Garantie der Reichsverfassung durch Russland ohne Einschränkung ausgesprochen wurde. Es blieb bei dieser Kombination zweier Artikel, durch die in Artikel 12 der Westfälische Friede zum Bestandteil des Vertrages gemacht wurde, und der ganze Vertrag unter die Garantie von Russland und Frankreich gestellt wurde. Da der Westfälische Friede unter der Garantie Frankreichs und Schwedens stand, wurde Russland auf diese Weise Garantiemacht der Reichsverfassung. Schließlich gab auch der pfalzbayerische Vertreter nach, und es blieb bei der Kombination der Artikel.

Als der Friedensvertrag von Teschen vor den Reichstag kam, kam es erneut zu Differenzen. Der Gesandte von England/Hannover, von Ompteda, erhob Einspruch. Er setzte in das Ratifikationsgutachten vom 2. März 1780 den Passus, dass der Friede keinem Reichsgesetz widersprechen dürfe.

Die Frage, ob Russland seit Teschen, wie Frankreich, ein Garant der Reichsverfassung war, blieb ungeklärt. Als preußischer Gesandter in St. Petersburg wies Görtz Katharina 1781 darauf hin, Russland sei durch die Kombination von Artikel 12 und 16 Garantiemacht geworden. Katharina hat sich auch mehrfach als Garantin bezeichnet. In Wien aber lehnte der Reichsvizekanzler, Rudolf Fürst Colloredo, diese Ausdeutung des Friedens von Teschen ab.

Ein Jahr später, 1781, nach dem Abschluss des österreichisch-russischen Bündnisses, ernannte Katharina mit dem jungen Diplomaten Nicolai Petrovic Romanzoff einen eigenen Gesandten im Reich.13 Zusammen mit dem russischen Gesandten am Reichstag in Regensburg, von Asseburg, und dem in Wien, Dimitrij Michailowi Fürst Gallitzin war Romanzoff Träger einer aktiven russischen Reichspolitik in den Jahren 1781 bis 1792, deren Umfang bisher nur in Umrissen bekannt ist. Die Fäden liefen über Gallitzin. Es handelte sich, nach allem was wir wissen, weniger um die Vertretung eigenständiger russischer Interessen, als vielmehr um die Unterstützung der österreichischen Reichspolitik, deren Fehler und Ungeschicklichkeiten die anfängliche Begeisterung der Zarin erlahmen ließen. 1784 war es Romanzoff, der in Zweibrücken die Verhandlungen über einen Tausch Bayerns gegen die österreichischen Niederlande führte. Da auch Kurfürst Karl Theodor von Bayern keine legitimen Nachkommen besaß, war der Herzog Karl August von Zweibrücken der Erbe Pfalz-Bayerns. Ohne seine Zustimmung zum Tausch Bayerns gegen die österreichischen Niederlande, das heutige Belgien, war das Projekt nicht zu verwirklichen. Durch eine ungeschickte Bemerkung gab Romanzoff zu dem Gerücht Anlass, das mächtige Russland habe den kleinen unbedeutenden Herzog von Zweibrücken zwingen wollen, in den Tausch einzuwilligen. Die Empörung, die darüber im Reich herrschte, benutzte Friedrich der Große 1785 zur Gründung des Fürstenbundes. Romanzoff bemühte sich nach 1785, die Ausbreitung des Fürstenbundes zu verhindern, allerdings ohne großen Erfolg. Katharina war empört, dass Friedrich der Große ihrem Diplomaten unterstellte, er hätte bei den Verhandlungen in Zweibrücken den Herzog mit Drohungen zum Tausch zwingen wollen. Als ihr Graf Görtz offiziell Mitteilung vom Abschluss des Fürstenbundes zur Erhaltung der Reichsverfassung machte, ließ sie ihm durch ihren Kanzler Ostermann ausrichten, dass die Reichsverfassung nach dem Teschener Frieden durch Russland garantiert sei. Das genüge zu ihrer Erhaltung. Dazu bedürfe es keiner so dubiosen Assoziation wie den Fürstenbund. Russland mischte sich in den folgenden Jahren mehrfach in die inneren Angelegenheiten des Reiches ein. Romanzoff trat bei verschiedenen Anlässen fast wie ein österreichischer Gesandter auf. Sein Engagement ging so weit, dass er 1786 bei der Emser Konferenz die Verhandlungen der 4 deutschen Erzbischöfe im Auftrag des Wiener Hofes beobachtete. Die Reichspolitik der Jahre 1782 bis 1792 ist ohne die Aktivitäten Russlands nicht zu verstehen.

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Auch England-Hannover wurde 1785 von der Verfassungskrise erfasst, die von der Reichspolitik Kaiser Josephs II. ausging und 1785 in den gegen den Kaiser gerichteten Fürstenbund kulminierte. Das geschah auf zweierlei Art. Noch war ja im Reich das Misstrauen gegen Friedrich den Großen nicht überwunden, der bisher kaum Interesse an der Reichsverfassung gezeigt hatte. Schon vor Friedrich hatte es bei einigen mindermächtigen Fürsten, wie Franz von Anhalt, Karl Friedrich von Baden, Wilhelm von Hessen-Kassel oder Carl August von Sachsen-Weimar, Überlegungen gegeben, gegen den Einfluss der beiden deutschen Großmächte Österreich und Preußen auf die Reichspolitik einen Fürstenbund zu gründen. Als nun Friedrich diesen Gedanken 1785 aufgriff, wollten diese Fürsten mit England/Hannover zusammengehen. So tief aber wollten sich Georg III. von England und sein Kabinett nicht in die Reichspolitik verstricken lassen. Hannover trat zwar dem Fürstenbund bei, lehnte aber eine Sonderstellung im Fürstenbund ab und verwies die mindermächtigen Fürsten an den Berliner Hof. Zur selben Zeit versuchte England, das Bündnis mit Österreich zu erneuern, mit dem Ziel, die österreichisch-französische Allianz zu sprengen.

Diese Verhandlungen liefen über Russland. Katharina machte dem englischen Botschafter Vorhaltungen, warum sich England/Hannover in Verhandlungen mit Friedrich dem Großen über die Gründung eines Fürstenbundes einlasse. Im Auftrag des englischen Ministeriums bot der Gesandte an, dass Hannover nicht dem Bund beitreten werde, falls Österreich ernsthaft ein Bündnis mit England erwägen würde. Ausdrücklich betonte die englische Regierung, dass sie in diesem Fall bereit wäre, die österreichische Reichspolitik zu unterstützen und verwies auf die Zusammenarbeit in den Jahren zwischen 1748 und 1755. Parallel dazu liefen Verhandlungen auch über den österreichischen Gesandten in London und den Reichsvizekanzler Colloredo. Von ihm wusste man, dass er ein Gegner des Bündnisses mit Frankreich war. Kaunitz ließ auch diese Offerte unbeantwortet. Als Katharina darüber ihr Unverständnis äußerte, verwies der Staatskanzler auf die negativen Erfahrungen, die Österreich bei Friedensschlüssen mit England gemacht hatte. Den Hinweis Katharinas, dass die Allianz mit Frankreich wertlos sei, weil dieses insgeheim die Reichspolitik des Kaisers bekämpfe, beantwortete Kaunitz mit dem wenig überzeugenden Argument, er wisse zwar, dass Frankreich die preußische, gegen den Kaiser gerichtete Politik unterstütze. Das Bündnis verhindere jedoch, dass Frankreich eine aktive Reichspolitik betreibe.

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In der Phase zwischen dem Hubertusburger Frieden und der Französischen Revolution war das Reich stärker denn je in die internationale Politik eingebunden. Das geschah einmal, weil beide deutschen Großmächte im Bunde mit anderen europäischen Großmächten standen, oder wie England-Hannover im Reich eigene Interessen hatten. Waren vor 1763 Bündnisse häufig Anlass zu kriegerischen Auseinandersetzungen gewesen, so veränderten sie nach 1763 ihren Charakter und wurden zu Sicherungen des Friedens. Als Friedrich der Große 1783 von dem russisch-österreichischen Vertrag erfuhr, den Katharina ihm verheimlicht hatte, strebte er eine Erneuerung des Bündnisses mit Frankreich an, in der Sorge, dass die russisch-französisch-österreichische Allianz von 1756/57 wiederbelebt werden könnte. Vergennes verweigerte sich Friedrich mit dem Hinweis, ein Bündnis mit Preußen werde sofort ein englisch-österreichisches Gegenbündnis hervorrufen und damit die Gefahr eines Krieges heraufbeschwöre. Als Verbündeter des Kaisers könne Frankreich Joseph II. ohne Kriegsgefahr von unüberlegten Schritten abhalten. Das österreichisch-französische Bündnis hatte also nach 1763 friedenssichernde Funktionen – ein Novum in der europäischen Politik.

Tatsächlich intervenierte Frankreich 1784/85 energisch in Wien gegen die Pläne, Bayern gegen die österreichischen Niederlande zu vertauschen. Frankreich hatte sehr zum Ärger des Wiener Hofes kein Interesse an einer Vergrößerung Österreichs, oder daran, dass Österreich ein Äquivalent für den Verlust Schlesiens erhielt. Dagegen hatte, nicht minder zum Ärger der Wiener Politik, Frankreich im Frieden von Teschen zusammen mit Russland Brandenburg-Preußen den Erwerb von Ansbach und Bayreuth nach dem Tod der dort regierenden Markgrafen garantiert. Das französisch-österreichische Bündnis, das 1756 den Siebenjährigen Krieg ausgelöst hatte, wurde nach 1763 ein Instrument, mit dem Frankreich Vergrößerungen Österreichs verhinderte. Es war zu einer den Frieden im Reich und in Europa sichernden Einrichtung geworden.

Ganz ähnlich waren die Folgen des englisch-preußischen Bündnisses von 1788, das sich aus dem Fürstenbund und nach dem Scheitern der Bündnisgespräche mit Österreich ergaben. Es war der Londoner Hof, der nach 1788 verhinderte, dass die weitausgreifenden Pläne des preußischen Ministers Hertzberg zur Ausführung kamen. Hertzberg hatte die erheblichen Schwierigkeiten, in die Österreich durch den unglücklich verlaufenden österreichisch-türkischen Krieg und durch die Aufstände in Ungarn und den Niederlanden geraten war, zu einem großen Revirement zu Ungunsten Österreichs benutzen wollen. Auch diese Allianz galt daher der Sicherung des Friedens.

Der Friede im Reich und in Europa wurde durch das österreichisch-französische und das englisch-preußische Bündnis gesichert, weil weder Frankreich, noch England bereit waren, sich nach 1763 noch einmal über den österreichisch-preußischen Konflikt in einen Krieg verwickeln zu lassen. Diese Tatsache wurde durch die dritte Großmacht Russland noch unterstrichen. Wie der bayerische Erbfolgekrieg eindrucksvoll gezeigt hatte, waren weder Österreich noch Preußen Großmächte im Stil Englands, Frankreichs oder Russlands. Die Drohung Russlands, und später Frankreichs, in den Konflikt einzugreifen, hatte dazu geführt, dass die beiden deutschen Großmächte bei der Lösung eines innerdeutschen Problems, nämlich der bayerischen Erbfolge, die Hilfe zweier auswärtiger Mächte in Anspruch nahmen. Katharina fühlte sich danach als Garantin der den inneren Frieden im Reich sichernden Reichsverfassung. Auch wenn sie nach 1781 die österreichische Reichspolitik unterstützte, war sie doch nie bereit, einen den Frieden gefährdenden Bruch der Reichsverfassung zu akzeptieren. Der von den Betroffenen freiwillig verabredete Tausch Bayerns gegen die Niederlande hätte nämlich nach allgemeiner Ansicht nicht gegen die Verfassung verstoßen.

9

Das System internationaler Sicherungen des Friedens, wie es sich nach 1763 entwickelte, blieb auf das Zusammenleben der verschiedenen Reichsstände nicht ohne Auswirkungen. So sehr auch das aus der Rivalität der beiden deutschen Großmächte erwachsene System des Gleichgewichts eine an Österreich und Preußen orientierte Parteibildung begünstigte, so ist doch danach zu fragen, welche Rolle das Reich für die beiden Mächte spielte und welche eigenständigen Interessen das Reich als die Summe aller Reichsstände in dieser Situation entwickelte.

Das Verhältnis der beiden Großmächte zum Reich ist nicht nur als eine Rivalität interpretiert worden. Der englische Historiker Joachim Whaley hat die Frage aufgeworfen, ob es eigentlich richtig wäre, vom österreichisch-preußischen Dualismus zu sprechen.14 Es wäre nämlich nach 1763 weniger um einen Kampf der beiden deutschen Großmächte gegeneinander als vielmehr um den jeweiligen Einfluss im Reich gegangen, was die Bedeutung dieser Einrichtung zeige. Whaley sieht darin eine Aufwertung des Reiches. Friedrichsens letzte diplomatische Coups, die Gründungen des Fürstenbundes, scheint dieser These rechtzugeben. Der Fürstenbund kann zunächst durchaus als ein Versuch gewertet werden, das Reich, d.h. die Summe der Reichsstände für Preußen zu gewinnen. Die Behauptung, dass dieser Bund der Erhaltung der Reichsverfassung diene und die im Bundesvertrag niedergelegte Garantie der Besitzverhältnisse deuten auch in diese Richtung. Sie wurde von den geistlichen Fürsten, die durch die Diözesanpolitik Josephs II. stark beunruhigt waren, auch als Verzicht auf die bislang von Preußen und dem corpus evangelicorum betriebene Säkularisation der geistlichen Territorien angesehen.

Eine kurze Analyse der österreichischen und der preußischen Reichspolitik zeigt aber sehr schnell, dass es sich dabei doch um eine echte Rivalität handelte, bei der das Reich nur Mittel zum Zweck war.

Die Reichspolitik Josephs II. ging später von völlig irrationalen Vorstellungen aus. Sein Fragenkatalog an seine beiden Kanzler Colloredo und Kaunitz und den Staatsminister v. Pergen zeigen, dass er sich anfangs mit großem Engagement seiner Aufgabe als Kaiser annahm.15 Joseph folgte deren Rat und ging an eine Reform der beiden obersten Reichsgerichte.16 Seine Bemühungen, eine durchgreifende Reform des Reichkammergerichts durchzuführen, stießen jedoch auf den hartnäckigen Widerstand England/Hannovers, das schon damals das französisch-österreichische Bündnis sprengen und das alte österreichisch-englische Bündnis erneuern wollte. Dem Kaiser sollte drastisch vor Augen geführt werden, wie wenig er ohne England im Reich erreichen könne und wie wenig ihm das Bündnis mit Frankreich im Reich nütze. Der Kaiser zog jedoch daraus und aus dem Verhalten des corpus evangelicorum den Schluss, dass eine vom Kaiser initiierte Reform des Reiches unmöglich war. Als er nach dem Tode Maria Theresias 1780 Alleinherrscher wurde, spielte das Reich in seinen Plänen nur noch eine ganz untergeordnete Rolle. Seine Denkschrift zum Tausch Bayerns gegen die Niederlande 1784, der Vorschlag, den Reichshofrat einzusparen und seine Diözesanpolitik beweisen, dass ihm sein Einfluss im Reich gleichgültig geworden war, und dass er die Kaiserkrone am liebsten niedergelegt hätte.

Auch die Reichspolitik Friedrichs des Großen war nicht auf das Reich ausgerichtet. Zwar enthielt der Fürstenbund neben der Garantie der territorialen Verhältnisse auch einen Hinweis, Reichsreformpläne zu unterstützen. Damit wollte Friedrich die mindermächtigen Fürsten für sich gewinnen, deren Bundes- und Reichsreformpläne er kannte. Tatsächlich aber ging es Friedrich im Fürstenbund um eine Verbindung mit Sachsen und Hannover. Um die mindermächtigen Fürsten hat er sich später nie mehr gekümmert. Sein Nachfolger, Friedrich Wilhelm II. zeigte anfangs zwar Interesse an den Reichsreformideen des Herzogs Carl August von Weimar. Sein Minister Hertzberg war sich jedoch mit Sachsen und dem englischen König einig, dass eine Reichsreform nicht im Interesse der drei Kurfürsten lag. Auch hier blieb die preußische Politik Großmachtpolitik, die auf die Rivalität mit Österreich ausgerichtet war. Es ging schon Friedrich dem Großen nicht um das Reich oder eine Reform seiner Verfassung, sondern darum, den Einfluss des Kaisers im Reich zu treffen. Es gibt keine Pläne der drei evangelischen Kurfürsten, die der Erhaltung, dem Aufbau oder der Reform des Reiches dienten. Wäre der österreichisch-preußische Dualismus tatsächlich auf das Reich bezogen gewesen, wie Whaley meint, hätten die Friedensjahre 1763–1792 für eine Reform der Reichsverfassung genutzt werden können. Pläne und Überlegungen dazu waren in der Reichspublizistik reichlich vorhanden. Sie haben in der Politik Österreichs und – von den ersten Regierungsjahren Friedrich Wilhelms II. abgesehen – auch in der Preußens keine Rolle gespielt. Der den Frieden im Reich gefährdende Gegensatz zwischen Österreich und Preußen wurde durch ein internationales System der europäischen Großmächte England, Frankreich und Russland gehindert, das Reich in das Chaos eines vierten Schlesischen Krieges zu stürzen. Im Westfälischen Frieden sollte das Reich und die Reichsverfassung das Kernstück einer europäischen Friedensordnung bilden. Diese Aufgabe hat das Reich nie erfüllen können. In den Jahren 1763 bis 1792 ist das Reich jedoch durch ein System internationaler Verflechtungen in diese Rolle hineingewachsen.

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Es lag im System dieser internationalen Verbindungen, dass sofort Rückwirkungen auf das Reich erkennbar wurden, als Frankreich im Trubel der Revolution unterzugehen drohte. In der Annahme, dass ein Feldzug gegen Frankreich mit einem raschen Sieg enden würde, wurden 1792 sowohl in Wien wie in Berlin Pläne für eine territoriale Neustruktur des Reiches entworfen, bei der wesentliche Einrichtungen der Reichsverfassung aufgegeben worden wären. Man dachte über die Säkularisation der geistlichen Fürsten nach, über die Abschaffung kleinerer Fürsten und Reichsgrafen und einiger Reichsstädte. Auch der Tausch Bayerns gegen die Niederlande wurde erwogen. Daß diese Pläne nicht realisiert wurden lag einmal an der sich rasch verändernden militärischen Lage. Zum anderen regte sich 1792/93 auch Widerstand im Reich. Zum Hüter der Reichsverfassung und als strikter Gegner aller territorialen Pläne erwies sich England/Hannover. Auch in Dresden wurden die Pläne abgelehnt, weil man, wie in Hannover, einen Machtzuwachs der beiden deutschen Großmächte und als Konsequenz die Teilung Deutschlands entsprechend dem polnischen Vorbild befürchtete. Dass diese Befürchtungen nicht unberechtigt waren, zeigte sich bei der zweiten und dritten polnischen Teilung 1793/95, nach der Polen von der Landkarte verschwunden war.

Im Frieden von Luneville 1801 wurde dem Reich eine Neuordnung der territorialen Verhältnisse aufgezwungen. Die territorialen Verluste der Reichsstände, die diese durch die Abtretung des linken Rheinufers erlitten, sollte durch Entschädigungen im Reichsgebiet ausgeglichen werden. Mit Hilfe der Säkularisation geistlicher Staaten sollte dafür das Land gefunden werden. Obwohl 1802 durchaus die Chance bestand, die neuen territorialen Verhältnisse ohne das Frankreich Napoleons zu bestimmen, verwickelten sich die beiden deutschen Großmächte wieder in ihre Gegnerschaft und blockierten damit eine vernünftige Lösung. Das Schauspiel, das Österreich und Preußen bei diesen Verhandlungen boten, war so unangemessen, dass Russland sich seiner Rolle als Garant der Reichsverfassung erinnerte und zusammen mit Frankreich die neue Gebietsaufteilung in Deutschland festlegte. Der französische und der russische Gesandte am Reichstag traten gemeinsam in Regensburg vor den Reichstag und diktierten den versammelten Reichstagsgesandten, was in Paris und St. Petersburg über die territorialen Veränderungen beschlossen worden war. Dem Reichstag blieb nichts anderes übrig, als das Ergebnis zum Reichsdeputationshauptschluss zu erheben und der Kaiser musste ihn ratifizieren.

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Welche Bedeutung hatte dieses merkwürdige System für die europäische Politik, in dem die drei wichtigsten Großmächte, Frankreich, England und Russland in die Reichspolitik eingebunden waren? Im Grunde ging es darum, zu verhindern, dass der österreichisch-preußische Gegensatz dazu führen konnte, dass es darüber zu einem weiteren europäischen Krieg wie dem Siebenjährigen Krieg kommen konnte. Nach 1763 gab es in Frankreich wie in England Stimmen, in diesen Krieg gegen die eigenen Interessen verwickelt worden zu sein. Diese Erkenntnis steigerte sicherlich die Bereitschaft nach 1763, den österreichisch-preußischen Gegensatz zu neutralisieren.

Überblickt man die nach 1763 in Europa noch vorhandenen Konfliktherde, so wird man sehr bald feststellen, dass Schlesien und der Tausch Bayerns gegen die österreichischen Niederlande die einzigen noch ungelösten Probleme darstellten. Frankreich stellte keine Ansprüche mehr, nachdem ihm 1735 Lothringen zugesprochen worden war. Seine Forderung nach Abtretung des linken Rheinufers tauchte erst während der Revolution auf. Sie bildete im alten, vorrevolutionären Frankreich keinen Konfliktstoff. Die Bemühungen Spaniens, nach Italien zurückzukehren, die nach 1714 mehrfach den europäischen Frieden bedroht hatten, waren befriedigt, seit Neapel-Sizilien und Parma-Piacenza in den Händen spanischer Sekundogenituren waren. Das polnische Problem war im Einvernehmen der drei Teilungsmächte „gelöst” worden. Der von beiden Seiten mit großer Hartnäckigkeit wachgehaltene österreichisch-preußische Konkurrenzkampf war als einziger Konfliktstoff übriggeblieben. Von daher erklärt sich das starke Interesse der westeuropäischen Großmächte, diesen Konflikt nicht eskalieren zu lassen. Sowohl das österreichisch-französische wie das preußisch-englische Bündnis richtete sich nicht gegen jemand, sondern diente der Erhaltung des europäischen Friedens.

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Qualitativ änderte sich die Stellung des Reiches in der europäischen Politik nach 1763 erheblich. Nach 1763 war das Reich in sich überkreuzende Bündnissysteme eingebunden. Ein kompliziertes, durch ausländische Allianzen abgesichertes Gleichgewichtssystem trat bis 1792 an die Stelle des alten Rechtssystems des Reiches und sicherte dessen Existenz. Nie zuvor war das Reich so sehr Gegenstand, wenn auch nicht Partner der europäischen Politik. Frankreich und Schweden waren und Russland fühlte sich nach 1779 als Garanten der Reichsverfassung. England, Schweden, Dänemark und Sardinien waren als Reichsstände am Reichstag zu Regensburg vertreten und auf vielerlei Weise mit dem Reich verbunden. So waren England und Dänemark Garanten einer evangelischen Politik in Hessen-Kassel und Württemberg, als in diesen protestantischen Ländern katholische Herrscher regierten.17

Das Rechtssystem des Reiches existierte von diesen internationalen Verflechtungen ziemlich unberührt weiter. So war das Vertrauen einer Mehrheit der Untertanen in das Rechtssystem des Reiches und die Tätigkeit der beiden obersten Reichsgerichte, Reichshofrat und Reichskammergericht, nach 1763 und erstaunlicherweise auch in der letzten Phase des Reiches ungebrochen.18 Andererseits führte die Verstrickung der beiden deutschen Großmächte in die europäische Politik zu einer völligen Passivität des Reiches. Die Maximen der Reichsverfassung und des Reichsrechtes galten zwar weiter. Wichtige Entscheidungen aber kamen von außen. Das Reich als Summe aller Reichsstände im Sinn einer Reichsreformbewegung konnte sich weder bei der Gründung des Fürstenbundes, noch später durchsetzen, als Herzog Karl August von Weimar und Karl Theodor von Dalberg Vorschläge für eine Reichsreform entwickelten. Andererseits verhinderte die Existenz der Reichsverfassung bis weit in die neunziger Jahre des 18. Jahrhunderts Maßnahmen, die mit der Rechtsordnung nicht zu vereinbaren gewesen wären. Wie brüchig allerdings diese Ordnung war, zeigte sich in den Jahren zwischen dem Ausbruch der Revolutionskriege und dem Frieden von Basel 1795, als die beiden deutschen Vormächte einig waren. Sowohl in Österreich, wie in Preußen, wie in den Verhandlungen untereinander wurden Pläne erörtert, die einen völligen Umsturz nicht nur der territorialen Verhältnisse, sondern auch der Reichsverfassung zur Folge gehabt hätten. Der Ausfall der Garantiemacht Frankreich gefährdete die innere Ordnung des Reiches. Reichsverfassung und ein System europäischer Mächte garantierten eben gemeinsam nach 1763 den Fortbestand des Reiches und seiner Verfassung.

 

Anmerkungen

 

 1

Zu den Einzelheiten verweise ich auf meine dreibändige Arbeit „Das Alte Reich 1648–1806” und hier insbesondere auf Band 3 „Das Alte Reich und der österreichisch-preußische Dualismus (1745–1806)”, 1997, als Ganzes. Die hier vorgetragenen Ideen der Verflechtung des Reiches in seiner letzten Phase in die europäische Politik sind eine Frucht dieser Arbeit.

 2

Vgl. dazu die Haltung des jungen Markgrafen Karl Friedrich von Baden, der seine Abneigung gegen die katholische Politik des Kaisers sehr deutlich zum Ausdruck brachte. H. Gerspacher: Die badische Politik im Siebenjährigen Krieg, 1934, S. 44–75.

 3

Von preußischer Seite wurde während des ganzen Krieges versucht, den Krieg als einen Religionskrieg der katholischen Vormächte zur Unterdrückung des Protestantismus zu interpretieren. Aber nicht Preußen, auch Rom sah darin einen Religionskrieg, was der Wiener Hof ebenso energisch leugnete, weil er Rückwirkungen auf die evangelischen Reichsstände befürchtete. Vgl. dazu J. Burkhardt: Abschied vom Religionskrieg. Der Siebenjährige Krieg und die päpstliche Diplomatie, 1985, S. 166–176 und 244–249.

 4

Diese Absicht ist in der Denkschrift Maria Theresias an Daun vom 24. 7. 1759 klar ausgedrückt. Die Kaiserin begründet darin die Notwendigkeit, Preußen auf den Stand eines mittleren Reichsfürsten herabzubringen, weil anders der Kaiser das Reich nicht regieren könne. Die Denkschrift veröff. bei J. Kunisch, Der Ausgang des Siebenjährigen Krieges. Ein Beitrag zum Verhältnis von Kabinettspolitik und Kriegführung im Zeitalter des Absolutismus. in: Zeitschrift für Historische Forschung 2, 1978, S. 95–100.

 5

Vgl. dazu K. O. v. Aretin: Das Reich, Friedensordnung und Europäisches Gleichgewicht 1648–1806, 1986, S. 56ff.

 6

E. Buddruss: Die französische Deutschlandpolitik 1756–1789, 1996.

 7

Zu diesem Komplex vgl. M. Heckel: Itio in partes. In: Zeitschrift der Savigny Gesellschaft für Rechtsgeschichte, kanonistische Abteilung 64, 1978, S. 108–308.

 8

Vgl. K. O. v. Aretin (wie Anm. 1), Band 3, S. 177f.

 9

Die Einzelheiten bei O. Weber: Der Friede von Utrecht. Verhandlungen zwischen England, Frankreich, dem Kaiser und den Generalstaaten 1710–1713, 1891.; M. Braubach: Die Friedensverhandlungen in Utrecht und Rastatt, in: Historisches Jahrbuch 90, 1970, S. 284–298.

10

Vgl. dazu H. Schilling: Kaunitz und das Renversement des Alliances. Studien zur außenpolitischen Konzeption Wentel Anton von Kaunitz, 1994, S. 26 f.

11

Auf den häufig wenig beachteten englischen Einfluss auf die Debatte um eine Reform der Reichsverfassung vgl. U. Wilhelm: Der deutsche Frühliberalismus. Von den Anfängen bis 1789, 1995.

12

Zitiert nach: A. Brückner–C. Mettig: Geschichte Russlands bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, Band 2, 1913, S. 37.

13

Zur Mission Romanzoff vgl. K. O. v. Aretin: Das Reich, Friedengarantie und europäisches Gleichgewicht, 1648–1806, S. 337–352.

14

I. Whaley: Die Habsburger Monarchie und das Heilige Römische Reich im 18. Jahrhundert. In: Sacrum Imperium. Das Reich und Österreich 996–1806 (hrsg. v. W. Brauneder–L. Höbelt), 1996, S. 290f

15

Der Fragenkatalog Josephs II. ist veröffentlicht in: Aus der Zeit Maria Theresias. Tagebuch des Fürsten Johann Josef Khevenhüller-Metsch, kaiserlicher Oberhofmeister 1742–1776 (hrsg. v. R. Graf Khevenhüller–Metsch u. H. Schlichter), Bd. 6, S. 479–486. Die Antworten der beiden Kanzler Colloredo und Kaunitz, ebenda S. 482–518. Die Denkschrift Pergens ist veröffentlicht in: H. Voltelini: Eine Denkschrift des Großen Johann Anton Pergen über die Bedeutung der römischen Kaiserkrone für das Haus Österreich, in: Festschrift für H. v . Srbik, 1938, S. 152–168

16

Vgl. K. O. v. Aretin: Reichshofrat und Reichskammergericht in den Reichsreformplänen Kaiser Josephs II. In: Friedenssicherung und Rechtsgewährung. Sechs Beiträge zur Geschichte des Reichskammergerichts und der obersten Gerichtsbarkeit im alten Europa (hrsg. v. B. Distelkamp und J. Scheurmann), 1997, S. 51–81.

17

Zu Württemberg vgl. die Arbeit von G. Haug-Moritz: Württembergischer Ständekonflikt und deutscher Dualismus. Ein Beitrag zur Geschichte des Reichsverbandes in der Mitte des 18. Jahrhunderts, 1992, S. 179–199. Zu Hessen-Kassel vgl. J. Burkhardt (wie Anm.3) S. 75–100.

18

Das ist das erstaunliche Ergebnis der Arbeit von R. Saiber, Untertanenprozesse vor dem Reichskammergericht. Rechtsschutz gegen die Obrigkeit in der zweiten Hälfte des 18.Jahrhunderts, 1999.