1088 Budapest, Rákóczi út 5.; Tel: (36 1) 381 23 47; E-mail: Ez az e-mail-cím a szpemrobotok elleni védelem alatt áll. Megtekintéséhez engedélyeznie kell a JavaScript használatát.
Begegnungen
Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Band 7:49–53.

ATTILA PÓK

Zum Problem der Periodisierung der Geschichte der Ostblockländer

 

„We shall at once be lost in a forest of historical complexity – an endlessly intriguing forest to be sure, a territory where peoples, cultures, languages are fantastically intertwined, where every place has several names and men change their citizenship as often as their shoes, an enchanted wood full of wizards and witches, but one which bears over its entrance the words: ‘Abandon hope, ye who enter here, of ever again seeing the wood for the trees’. Every attempt to distill some common ‘essence’ of ... [the region’s] history is either absurdly reductionist or invincibly vague.” (Timothy Garton Ash)

 

In diesem kurzen Beitrag möchte ich auf einige Probleme des im Titel genannten Problemkreises aufgrund meiner Erfahrungen auf zwei Arbeitsgebieten eingehen.

Das erste Gebiet ist die Zusammenstellung einer „Chronik des internationalen Lebens nach 1945”, ein kleines Buch von etwa 16 Druckbogen, das ich vor 10 Jahren veröffentlicht habe und jetzt arbeite ich an der Vorbereitung der zweiten Ausgabe. Hier geht es nicht um eine traditionelle Chronologie sondern um eine – auf dem deutschen aber auch auf dem ungarischen Buchmarkt immer mehr verbreitete andere – Gattung: außer der Liste der Ereignisse werden auch Zitate von zeitgenössischen und späteren Quellen und bewertenden Darstellungen veröffentlicht.

Das zweite Gebiet sind Lehrveranstaltungen: im Laufe der letzten zehn Jahre habe ich in Chicago, Wien und Budapest ziemlich viele Kurse über die Geschichte Ost- und Mitteleuropas im 19.–20. Jahrhundert für amerikanische Studenten gehalten – dabei auch über die Geschichte der Region nach dem Zweiten Weltkrieg.

In beiden Fällen stellt sich natürlich die Grundfrage: falls wir davon ausgehen, dass das sowjetische politische, wirtschaftliche, soziale usw. System auf die Region – mit Churchill’s Worten in seiner berühmten Fulton-Rede – von Stettin bis Triest aufgezwungen wurde, könnten wir voraussetzen, dass sich dieser Block oder dieses Lager mehr oder weniger einheitlich bewegt und die wichtigsten Wendepunkte in allen Ländern ungefähr gleichzeitig stattfinden.

Das ist natürlich eine äußerst oberflächliche Zugangsweise, wobei es – außer der Vernachlässigung der Besonderheiten der europäischen Blockländer – gar nicht beachtet wird dass das sozialistische Staatssystem keinesfalls mit den Ländern des von den sowjetischen Truppen direkt unter Kontrolle gehaltenen Gebietes gleichzusetzen sei – in seinem bekannten Buch über die kritische politische Ökonomie des Sozialismus schreibt Professor János Kornai über 26 sozialistische Länder in der Welt 1987 – davon 9 in Europa, 8 in Asien, 8 in Afrika und 2 in Amerika. (Sein Kriterium des sozialistischen Systems ist sehr einfach – dies sind die von kommunistischen Parteien geleiteten Länder.)

Der von uns für diese Tagung festgelegte Horizont ist bewusst viel begrenzter und natürlich – wenn wir mit unserer vergleichenden Methode systematisch Schritt für Schritt vorgehen wollen – könnte er kaum anders sein.

Vom Gesichtspunkt meines Themas, die Periodisierung gesehen will meine erste Bemerkung aber die Nötigkeit dieses globalen Horizonts betonen – weder in einem Handbuch, noch in einem Universitätskurs kann man bei der Untersuchung allgemeiner Charakterzüge von Staatsystemen sowjetischer Prägung auf nicht-europäische Entwicklungen verzichten.

Ein anderes methodologisches Problem bei der Feststellung der chronologischen Grenzpunkte ist die Rolle der nicht direkt innen- und außenpolitischen Faktoren in der Periodisierung: wirtschafts- und sozialpolitische Maßnahmen, Änderungen der Kulturpolitik, die quellenmäßig schwer definierbaren Umwälzungen auf den verschiedenen Ebenen der Öffentlichkeit sind alle wichtig, und sollten beachtet werden.

Aufgrund obiger Überlegungen möchte ich meine Hypothese erwähnen.

Ich bin der Meinung, dass die allgemeine Geschichte der Ostblockstaaten (wobei ich an alle „sozialistische Länder” denke) ein ziemlich eindeutiger Ausgangspunkt und bis jetzt etwa vier Wendepunkte hat, die aber mit den Periodengrenzen der inneren Geschichte der einzelnen Ostblockländer nicht immer gleichzusetzen sind.

Der Ausgangspunkt ist natürlich die Periode 1948–1950, wobei in acht Ländern der Sieg der Roten Armee, die sich in Churchills Fulton-Rede, in Stalins Stellungnahme zu dieser Rede und besonders im Fiasko der Ausdehnung des Marshallplanes auf Osteuropa immer mehr zeigenden Zeichen der Spaltung Europas die äußeren Rahmenbedingungen für die kommunistische Machtübernahme schaffen. Innenpolitisch sind die Kollektivierung der Landwirtschaft, Verstaatlichungen im Industrie- und Dienstleistungssektor, die Gründung von zentralen staatlichen Planungsbüros (GOSPLAN) und zuletzt meistens die „Fusion” von kommunistischen und sozialdemokratischen Parteien und dann „Säuberungen” in der neuen Partei die wichtigsten Schritte diese Prozesses. Die Unterschiede sind jedoch riesig: in Polen, Rumänien, Ungarn und in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands spielt die Anwesenheit der sowjetischen Armee eine entscheidende Rolle, der Kommunismus in Jugoslawien und Albanien war in großem Maße ein eigenes Produkt, die fast 40 Prozent welche die Kommunistische Partei in der Tschechoslowakei 1947 bei den parlamentarischen Wahlen bekommen hat, waren nicht weit von der Realität entfernt und die traditionelle russenfreundliche Einstellung in Bulgarien hat die Aufnahme der kommunistischen Ideen und der Kommunistischen Partei erleichtert. Westliche Literatur zum Thema war viele Jahre lang von Hugh Seton Watsons Theorie über das vorgeplante Muster der Sowjetisierung Osteuropas nach 1945 geprägt und obwohl die Unterschiede der kommunistischen Machtübernahmen uns heute viel besser bekannt sind, ist doch 1949, das Jahr der Gründung des Rates für Gegenseitige Wirtschaftshilfe als Geburtsdatum des sowjetischen Blocks (oder wenn wir an die Ausrufung der Chinesischen Volksrepublik und an die Gründung Nord-Koreas denken, des sozialistischen Weltsystems) eindeutig. Mehr noch: viele neuere zusammenfassende Darstellungen der allgemeinen europäischen oder osteuropäischen Geschichte definieren nicht 1945 sondern 1949 als einen wirklichen Wendepunkt, als wahren Abschluss der Periode des zweiten Weltkrieges.

In Vorbereitung auf dieses Referat habe ich etwa ein Dutzend hauptsächlich britische und amerikanische Synthesen zur europäischen und osteuropäischen Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts und der Periode nach 1945 vom Gesichtspunkt der Periodisierung durchgesehen: das letzte Datum, das einheitlich als eine eindeutige chronologische Grenze in diesen Büchern angenommen wird, ist das Ende des Ersten Weltkrieges. Die meisten Kollegen akzeptieren dann auch 1948–1949, 1953, 1968, und – dabei gibt es wieder fast Übereinstimmung – 1989 als welthistorisch entscheidende Wendepunkte in der Geschichte unserer Region.

Ehrlich gesagt habe ich aber vom Gesichtspunkt der Periodisierung für das Nützlichste das magistrale Buch von János Kornai, seine auf Englisch 1992, auf Ungarisch 1993 veröffentlichte kritische politische Ökonomie des sozialistischen Systems gefunden.

Kornai schreibt über vier Prototypen der Entstehung, des Bestehens und des Niederganges des sozialistischen Systems:

a) das revolutionäre Übergangssystem (vom Kapitalismus zum Sozialismus)

b) das klassische System (klassischer Sozialismus)

c) das Reformsystem (Reformsozialismus)

d) postsozialistischer Übergang

Diese Prototypen sind natürlich Modelle: kein Land in keiner Periode seiner Geschichte entspricht diesen Kriterien. Falls wir aber auf eine Analyse der allgemeinen Merkmale der sowjetischen Staatsysteme zielen, kann – meines Erachtens – Kornais Modell als ein ausgezeichneter Ausgangspunkt dienen. Vom Gesichtspunkt der Periodisierung her sehe ich als Wendepunkte die Daten des Übergangs für kürzere oder längere Zeit vom klassischen System zum Reformsystem oder zurück an, oder wenn für eine kürzere oder längere Periode die Möglichkeit für eine solche Wende offen ist.

Laut Kornais Definition sind die Merkmale des klassischen Systems in fünf Blocke einzuteilen:

1) Die ungeteilte Macht der marxistisch-leninistischen Partei, der herrschende Einfluss der offiziellen Ideen;

2)Vorherrschaft des staatlichen und quasi-staatlichen Eigentums;

3) Übergewicht der bürokratischen Koordination;

4) Planhandel, Quantität contra Qualität, Paternalismus, dehnbare Budgetgrenzen, schwache Preissensitivität;

5) Übertriebenes Wachstum, chronische Mangelwirtschaft, Arbeitskraftmangel und Arbeitslosigkeit „innerhalb der Tore”, spezifische Stellung des Außenhandels.

Als Faktoren der Änderungen des klassischen Systems beschreibt Kornai vier Ursachen:

1) Akkumulation der wirtschaftlichen Schwierigkeiten;

2) Unzufriedenheit der Bevölkerung;

3) Unsicherheit der Machthabenden;

4) Äußere Beispiele.

Mein Vorschlag für die chronologischen Grenzen bezieht sich also auf Daten, bei denen sich hauptsächlich unter dem Einfluss solcher Faktoren die Möglichkeit für den Übergang vom klassischen System zu Kornais drittem Prototyp, zum Reformsozialismus ergibt, oder sich markant eine Bewegung in die Gegenrichtung von Prototyp 3 zu Prototyp 2 zeigt.

Die erste große Möglichkeit für den Übergang vom Prototyp 2 zu Prototyp 3 ergibt sich nach Stalins Tod 1953 bis zur Niederschlagung der ungarischen Revolution von 1956 – die vielversprechende Periode des XX. Kongresses der KPdSU.

Die zweite vielversprechende Periode des möglichen Überganges vom Prototyp 2 auf Prototyp 3 fängt – meines Erachtens – mit dem XXII. Kongress der KPdSU 1961 an. Trotz der baldigen schweren Krisen (Kuba 1962; der Bruch zwischen China und der Sowjetunion usw.) scheint dieser Kongress eine langfristige Periode der friedlichen Koexistenz der beiden großen Weltsysteme zu eröffnen wobei das sowjetische Lager die neuen Kraftquellen in Reformen, das heißt gewisse Lockerungen hauptsächlich in Merkmalblock 3 bis 5 vorsieht. Merkmalblock 1 ist aber kaum, Merkmalblock 2 wenig zu ändern und die Entlassung Chruschtschows signalisiert 1964 den Beginn des Abschlusses dieser Periode. Abschluss, obwohl die Vorbereitung von Reformplänen in Polen, in der Tschechoslowakei und in Ungarn noch voll im Gange ist und nur die Invasion der Tschechoslowakei in 1968 diese Periode eindeutig abschließt.

Die folgenden Jahre bis 1985 können als Jahre der „kurzfristigen Ewigkeit”, der Stagnation, beschrieben werden, wobei ich die Periode von Ende 1979 bis 1982 für sehr wichtig halten würde. Während dieser Jahre, von dem sowjetischen Einmarsch nach Afghanistan bis zum Tode Breschnews versuchte der sowjetische Block eine Stärkung seiner Position mit der Festigung der Merkmale des klassischen Systems zu erreichen – die polnische Krise ist hier von entscheidender Bedeutung.

Die Bedeutung von 1989, als allgemeine Öffnung Richtung Prototyp 3 und in vielen Fällen dann die schnelle Weiterentwicklung Richtung Prototyp 4 bedarf natürlich keiner besonderen Erleuchtung, es wäre aber vielleicht ein Fehler – wenn wir wirklich wissenschaftlich vorgehen wollen – darunter auch das letzte Jahr der Geschichte der Diktaturen sowjetischen Typs zu verstehen. Bei einem breiteren Horizont kann das – meiner Meinung nach – kaum der Fall sein.

Kornais Vorschlag bezieht sich natürlich hauptsächlich auf wirtschaftliche Faktoren, kann aber vielleicht gut als Ausgangspunkt zu einer Diskussion über die Periodisierung der Geschichte der Ostblockländer dienen.

Zuletzt möchte ich mein Kurzreferat mit einem Zitat von einer amerikanischen Zusammenfassung über die Geschichte der Region nach 1945 schließen. Der Autor, Thomas W. Simons Jr. war viele Jahre lang Diplomat in Osteuropa, unter anderem Botschafter in Warschau 1990 bis 1993.

”The reality of contradictory truths presented Westerners who cared about the area – academics, but also those of us who lived and worked in the area and the policymakers we served – with a genuine dilemma. If you limited your analysis to what was bizarre and unnatural, it was hard to understand how the regimes survived; if you went beyond it to ask how they functioned on a day to day basis, you risked losing sight of how odd they were. I believe that dilemma is likely to survive the regimes themselves, now that (or to the extent that) they are safely consigned to the lumberroom of history; it will survive as an analytical and intellectual problem for those who seek to understand what is likely to follow them.” (Eastern Europe in the Postwar World. New York, 1993. 132.)

Wir hoffen, dass unsere Tagung und weitere Tagungen unserer Reihe zur Lösung dieses Dilemmas beitragen werden.