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Begegnungen
Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Band 12:22–23.

ÁRPÁD GÖNCZ

Gemeinsame Zukunft

Begrüßungsworten

 

Liebe Freunde!

Ich befinde mich in einer schwierigen Lage. Ich sollte eine Begrüßungsrede halten – dies hat an meiner Stelle der Präsident der Ungarischen Akademie der Wissenschaften getan. Er hat genau das gesagt, was man bei einer Preisüberreichung sagen muss und kann. Ich befinde mich in einer schwierigen Lage, weil nach mir Herr Vizekanzler Busek den Gefeierten würdigen wird. Wahrscheinlich wird er ihn viel genauer und viel besser würdigen, als ich es tun könnte. Wenn ich seine Rede halte, dann bleibt für ihn nichts übrig. Erlauben Sie mir, dass ich jetzt trotzdem etwas versuchen werde. Ich stimme mit dem Präsidenten vollkommen überein, dass das zukünftige Europa ein Europa der Menschen sein soll. Heute feiern wir jemanden, der in einer sehr engen Beziehung zu seiner Heimat steht, dort sich bildete und all das lernte, was in Europa seinen Einfluss hat, das ist der europäische Geist. Im vorigen Jahr feierten wir eine Person, deren Bildung und künstlerische Tätigkeit sich mit Ungarn verband, aber ihre Tätigkeit und Leistung hatten Auswirkungen auf die ganze Welt, doch in erster Linie auf Europa, denn die Aussagen waren auch europäisch.

Herrn Minister Pleşu haben wir persönlich als Minister kennengelernt, damals als Erziehungsminister, zugleich aber auch als Mensch, als europäischen Mensch, der die gesamte Kunst Europas erlernt hat, diese zu schätzen weiß, denn er hat auch ein Diplom für Kunstkritik erworben. Er war Träger des Humboldt-Stipendiums, das eines der höchstrangigen wissenschaftlichen Stipendien ist. In Deutschland und in der Welt erhielt er jene Weitsicht, mit der er unsere Region erfassen kann, so auch seine eigene Heimat und womit er Ungarn in jenes wunderbare Mosaik einsetzen kann, das aus vielen Teilen zu einem ganzen Bild entsteht, das wir gerne als Europa bezeichnen, gerne als europäische Bildung bezeichnen, die auf die ganze Welt hinausstrahlt, vor allem auf jenen Teil, der seine Wurzeln einst in Europa hatte.

Ich möchte hinzufügen, dass ich Ihr zweites Ministeramt wichtiger als das erste einstufe. Das erste hatte Auswirkungen auf jene ungarische Minderheit, deren Kultur Sie beschützten und nach gewissen Ereignissen weckten Sie große Hoffnungen in ihr. Ihr jetziges Ministeramt fällt in eine sehr interessante Zeitperiode. Das ist jene Zeitperiode, wo sowohl die ungarische wie die rumänische Politik die reale geopolitische Lage zur Kenntnis nehmen müssen. Das muss geschehen, auch wenn die Last mehrerer Jahrhunderte drückt und auch wenn es Versuche gibt, diese Realität zu verdecken. Ungarn und Rumänien spielen heute in einer unruhigen Isolation eine herausragende Rolle in Europa. Diese Rolle ist bitter und qualvoll, denn sie wird begleitet von Bombenexplosionen, und es ist unmöglich nicht zu sehen, dass über uns Flugzeuge fliegen und vier Kondensstreifen nach sich ziehen und man schaut hinauf in den Himmel und man sieht plötzlich davon drei. Ich würde sagen, das ist nicht gegen das serbische Volk gerichtet, sei dies noch so qualvoll, dass es mit Bomben geschieht, sondern es richtet sich gegen die Unmenschlichkeit, die fast eine Million Menschen von zu Hause vertrieben hat. Diese Fragen, diese Tragödie, die sich in Serbien abspielt, kann man nicht verstehen, wenn man ihre Wurzeln nicht kennt. Diese Wurzeln reichen auf 500 Jahre zurück. Auf 500 Jahre und auf solche Erfahrungen, an denen Ungarn 150 Jahre und Rumänien noch länger teil hatten. Diese Region, die mit dieser Frage ringt, hatte 500 Jahre, bis sie sich hätte überbieten können, aber jene politische Schule, die sie durchlief, entsprach nicht dem europäischen Geist. Ich finde es tragisch, dass diese Schule nun auf diese Weise absolviert werden muss und dabei kommt auch uns eine bittere Rolle zu. Selbstverständlich schmerzt uns jedes menschliche Leben, das verloren geht, selbst wenn die beiden Opfer von der Größenordnung her nicht in dieselbe Kategorie gehören.

Mit den Serben werden sie wohl weitere 500 Jahre leben müssen, wenn nicht länger, ich möchte keine Grenze nennen. Als Nachbarn richtet sich dieser Krieg nicht gegen das serbische Volk. Unsere Aufgabe wird darin bestehen, wenn dieser Krieg zu Ende ist, und ich hoffe, dass das sobald wie möglich der Fall sein wird, dass wir die rechte Hand des Friedens ausstrecken und ihnen helfen, nach Europa zurückzukommen, und dass wir ihnen bei der Heilung der unverdienten Wunden beistehen. Seien wir jene, Rumänen und Ungarn, die dieses offensichtlich verzweifelte Volk zurück nach Europa begleiten.

Wir haben Glück, dass in dieser Zeit Rumänien einen solchen Außenminister hat, der Europa sehr genau einschätzt, so auch den Aufgabenbereich, die Rolle Rumäniens und ihre zukünftigen Möglichkeiten. Er ist in der Lage, aus der Situation zu erkennen, was er für sein Land tun kann und wozu sein Land sich verpflichten muss, und welche Verantwortungen es hat. Das ist das höchste, das ich von einem Außenminister sagen kann. Das kann ich heute von ihm sagen und dies strahlt weiter über die Grenzen seiner Heimat. Gemeinsam mit unseren Aufgaben, mit unserer Verantwortung ist auch unsere Zukunft gemeinsam. Diese Zukunft versuchen wir zusammen aufzubauen mit der Last, unter Schmerzen, mit Gewissensbissen, indem wir unsere Pflichten des Bündnisses und die politischen Realitäten wahrnehmen.

 

Herr Staatspräsident, liebe Freunde, lieber Andrei!

Ich kenne Dich noch nicht ganz ein Jahr, und ich erinnere mich gut an unser erstes Telephongespräch, als Du mich ein paar Tage nach meiner Ernennung angerufen hast. Ich fühlte an Deiner Stimme eine Unsicherheit, ob Du mich wirklich glücklich einschätzen sollst oder nicht, später habe ich immer mehr begriffen, woran Du gedacht hattest. Der Herr Staatspräsident hat schon darauf hingewiesen, dass der Präsident der Akademie die Begrüßungsrede schon gehalten hat. Ich denke, dass ich berechtigt darauf hinweisen darf, dass meine Würdigung im Rahmen der Laudatio schon gehalten worden ist. Ich möchte Ihre Geduld nicht strapazieren, ich möchte nur einige Gedanken kurz ausführen.

Andrei Pleşu stand immer auf der richtigen Seite. Vor 1989 stand er im Widerstand zur Diktatur. Nach dem Dezember 1989 hat er gefühlt, dass wir Mitteleuropäer jetzt auf eine der wichtigsten Fragen eine Antwort geben müssen. Nämlich darauf: was wir mit uns selber anfangen werden, nach dem Zerfall des Imperiums, der Implosion der Sowjetunion. Wählen wir die Zusammenarbeit oder wollen wir die auf Eis gelegten Konflikte, Konfrontationen wiederbeleben. Damals wählte die Mehrheit die Zusammenarbeit, und dies entschied die Zukunft von Mitteleuropa. Andrei Pleşu war einer derjenigen, der dabei eine herausragende Rolle gespielt hat. Es gab auch solche, die den anderen Weg gewählt haben. Jene, die heute vom Krieg auf dem Balkan gesprochen haben, wissen genau, dass die eigentliche Tragik in der Wahl jenes Weges besteht. Es gab Alternativen. Der Weg der Konfrontation, man konnte es so entscheiden, dass die Grenzen, die Macht wichtiger sind, auch die eigene Gemeinschaft, unsere eigene Macht, und daran könnte man bis in die Ewigkeit festhalten. Diese Tragödie auf dem Balkan begann nicht erst vor zwei Monaten, meine lieben Freunde, sondern vor acht oder neun Jahren. Es geht hier nicht nur um die Vertriebenen, sondern um die heute schon mehrere hunderttausend Toten und verstümmelten Kinder, denen man jedes Jahr neue Prothesen produzieren muss... ich höre hier auf. Nun deswegen war diese Wahl des Weges damals, 1989, eine so wichtige Frage. Andrei Pleşu gab nicht nur die richtige Antwort, sondern er begann zu handeln. Er fand sich bereit, ein Amt zu übernehmen. Es wäre für ihn sicherlich bequemer gewesen, bei seinen Gedanken und Formen – es sei hier vom Ästheten die Rede – zu verweilen, das hat er nicht getan. Als er es fühlte, dass er aus Gewissensgründen trotzdem etwas weiterarbeiten muss, da hat er sich für den Pflug entschieden. Der Pflug bedeutete hier offensichtlich seine Welt der Gedanken. Aber als sich die Umstände wieder änderten und sein Land ihn brauchte, im Dezember 1997, da kam er wieder zurück. Ich bin sicher, denn soweit kennen wir uns, dass ihn nicht der Titel, der Rang, der Ruhm und der Posten anzogen, denn er hätte sich viel mehr gefreut, wenn er, sagen wir, in seiner Welt der Formen hätte verweilen können, er hätte seine Reisen fortsetzten können in seiner Welt der Formen, wie er dies in einem seiner früheren Werke niedergeschrieben hat, oder er hätte gar an seinem wunderbaren Tagebuch des Tescani weiterschreiben können, das ganz Mitteleuropa mit grossem Interesse las. Nicht dies hat er getan. Er fühlte, wo sein Platz ist, und er kam zurück in den Dienst.

Andrei Pleşu hat keine leichte Aufgabe, denn auch in seinem Land bekämpfen sich das Alte und das Neue, stehen sich Intoleranz und Toleranz gegenüber, es bekämpfen sich die Vision eines homogenen Nationalstaates und jene europäische – das wurde hier schon aufgegriffen – mit vielfältigen, mit verschiedenen Sprachen und verschiedenen Kulturen sich befruchtende Gemeinschaft, und Andrei Pleşu stand auch hier auf der richtigen Seite. Er bekämpft die Psychosen, er tritt gegen die Ängste auf, die von den falschen Gefühlen der Bedrohung geschürt werden, er spricht gegen die Verfälschung der Tatsachen, gegen die Demagogie, kurz er tut, was er zuvor schon jahrzehnte lang getan hat. Er handelt wie ein Intellektueller handeln muss, sei er nun schöpferisch oder politisch tätig.

Andrei Pleşu tat und tut für die Zusammenarbeit beider Länder sehr viel, und ich glaube, mit nicht wenig Erfolg. Er ist der Freund der Zusammenarbeit, deshalb ist er unser Freund, der Freund der Region und auch der Freund von Europa. Von jenem Europa, das sich fortwährend einheitlicher gestaltet, und auf solchen Grundsätzen basiert, basieren wird, wie Zusammenhalt, Solidarität, Regionalismus, Subsidiarität. Ich bin stolz darauf und wir alle dürfen stolz darauf sein, dass dieser Preis dieses Jahr an Andrei Pleşu geht. Deswegen bin ich sicher, dass all die Grundsätze, für die er sich so eingesetzt hat und sich weiter einsetzen wird, dass diese zum Erfolg gereichen werden.

 

Geschätzte Festgäste!

Es ist für mich eine Ehre und Auszeichnung, aus dem Nachbarland Ungarns kommend, das so viele Verbindungen in der Geschichte, in der Gegenwart mit Ungarn hat und in der Zukunft haben wird, die Laudatio zum Corvinus-Preis 1999 vornehmen zu dürfen. Die Anwesenheit des ungarischen Staatspräsidenten, meines Freundes Árpád Göncz, ist mir eine Freude, wie mich auch mit dem Hausherrn der Ungarischen Akademie der Wissenschaften Prof. Ferenc Glatz seit seiner Ministerschaft eine enge Beziehung verbindet, wo wir 1989 einiges zur Verbesserung jener Situation beitragen konnten, die Europa nach dem Zweiten Weltkrieg so schmerzlich betroffen hat. Auch die Anwesenheit des ungarischen Außenministers János Martonyi, der sein Land auf dem Weg zur Europäischen Union mit sicherer Hand führt, ist ebenso eine Freude wie die des Stifters des Preises, Senator Prof. Dr. Dr. Herbert Batliner, der aus einem Mikrostaat kommend, aus Liechtenstein, zeigt, wie man europäische Verantwortung auch persönlich sichtbar machen kann. Wir sind zusammengekommen, um Andrei Gabriel Pleşu zu ehren, den ich einen Freund nennen darf, weil er ein Freund der Europäischen Demokratie, ein Freund des Denkens und ein Freund des Wortes und der Sprache ist. Seit jeher bewegen mich die biblischen Bilder und die Bedeutung der Sprache. Das Alte Testament hat mit der babylonischen Sprachenverwirrung ein Symbol für den Zustand unserer Welt geschaffen. Es wird von der Unfähigkeit der Menschen gesprochen, ein gemeinsames Werk zu verrichten, weil sie einander nicht verstehen. Als Kontrast hält das Neue Testament das Kommen des Geistes parat, der es den Jüngern ermöglicht, dass „ein jeder den anderen in seiner Sprache reden hört”.

Sie werden fragen, was das alles mit dem Matthias Corvinus-Preis zu tun hat? Nehmen wir doch mit, was dieser europäische Herrscher in seiner Zeit bedeutet hat und wo er nach wie vor aktuell für uns ist. Da ist zum einen die Supranationalität in Mitteleuropa, die kulturelle Qualität, die Matthias Corvinus eingefordert hat und die Weite des Geistes, die signifikant das Europa von damals mitgestaltet hat. Alle diese Eigenschaften brauchen wir auch heute, womit nicht nur die Bedeutung des Matthias Corvinus-Preises, sondern auch die Relevanz eines Schriftstellers vom Range des Andrei Pleşu gegeben ist, den wir heute durch Matthias Corvinus ehren.

Die Bedeutung des Schriftstellers, die Kraft des Wortes wurde mir durch ein Interview bewusst, das in der Neuen Zürcher Zeitung der bosnisch-muslimische Schriftsteller und Literaturwissenschaftler Dzevad Karahasan gegeben hat: „Die Literatur trägt ohne Zweifel eine große Verantwortung. Sie ist neben Geschichtsschreibung, Religion und Philosophie die geistige Disziplin, die Werte formuliert und artikuliert, die also ein Wertesystem schafft, auf dem eine Gesellschaft ruht. In dieser Hinsicht trägt Literatur eine ganz wesentliche Verantwortung für die Geschehnisse, die Geschichte machen. Außerdem trägt die Literatur Verantwortung als eine Art des öffentlichen Sprechens. Das Wort ist sozusagen die Einführung zur Tat. Zum dritten trägt die Literatur Verantwortung als eine Art der öffentlichen Kommunikation.” Karahasan wird dann noch deutlicher, wobei seine Analyse des Geschehens im Kosovo die Gewichte der Verantwortung verschiebt: „Der Balkankrieg wurde eigentlich im voraus geschrieben. Die eigentliche Verantwortung dafür tragen weit mehr die Quasi-Literaten und die Quasi-Geschichtsschreiber als die Generäle und Politiker.”

Wer ist nun Andrei Gabriel Pleşu? Ich verzichte darauf, Ihnen einen Lebenslauf zur Kenntnis zu bringen, der meistens von der Banalität getragen ist, dass jemand irgendwann einmal geboren wurde, bestimmte Ausbildungen hinter sich gebracht hat, Funktionen wahrnahm oder sonst irgendwie tätig war oder ausgezeichnet wurde. Das kann alles nachgelesen werden und ist doch eigentlich nicht relevant. Wichtiger ist, welche Spuren jemand hinterlassen hat, wie er seine Zeit prägte und was ihm gelungen ist. Allein der Blick auf sein Werkverzeichnis zeigt schon die Richtung: Die Rolle des Intellektuellen wird sichtbar, wenn jemand eine Zeitschrift unter dem Titel „Die Lämmer” herausgibt. Der Ästhet wird sichtbar in „Picturesque and Melancholy. An Analysis of the Feeling of Nature in European Culture” oder in „The Eye and the Objects”. Der kritische Intellektuelle dokumentiert sich in „Minima Moralia. Elements for the Ethics of Space” wie auch in „Appearances and Masks of Transition”. Aber nicht nur analytisch war und ist Andrei Pleşu tätig, sondern auch in dem Transformationsprozess sehr aktiv als Präsident des New Europe College, das er zwischen seinen beiden Ministerschaften 1989, 1990 und 1997 bis jetzt geleitet hat.

Was aber noch viel wichtiger ist, ist wohl die Tatsache, dass jemand mit moralischer Dimension in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts und in Mitteleuropa lebend naturgemäß mit dem totalitären System in Konflikt kommen musste, mit dessen Folgen wir heute so viele Schmerzen zu bewältigen haben. Hätte es aber Menschen wie Andrei Pleşu nicht gegeben, wäre nie eine Metaebene des Geistes entstanden, die uns nach 1989 geholfen hat, die Folgen des Eisernen Vorhangs und der Ost–West-Teilung zu überwinden. Er gehört in die Gilde jener wie Vaclav Havel, Tadeusz Mazowiecki und Wladyslaw Bartoszewski, die slowenischen Literaten oder aber auch der hier anwesende Árpád Göncz. Ihnen ist bewusst gewesen, dass das Leben nicht nur eine politische und ökonomische, sondern vor allem eine geistige Funktion hat und Europa jedenfalls nur so bestehen kann. Julien Benda hat es in seinem „Discours à la Nation Europeene”, 1933 bereits formuliert: „Europa wird ein Produkt eures Geistes sein, des Wollens eures Geistes und nicht ein Produkt eures Seins. Und wenn ihr mir antwortet, dass ihr nicht an die Unabhängigkeit des Geistes glaubt, dass euer Geist nichts anderes sein kann als ein Aspekt eures Seins, dann erkläre ich euch, dass ihr Europa niemals bringen werdet. Denn es gibt kein europäisches Sein.” Die Worte von damals sind heute eine Herausforderung, die nach wie vor gilt.

Ein anderer Schriftsteller, Hugo von Hofmannsthal, hat es bereits 1917 mitten in der ersten großen Katastrophe dieses Jahrhunderts formuliert, was wir in der Mitte des Kontinents brauchen: „Dies Klare, Schöne, Gegenwärtige ist der geheime Quell des Glücksgefühls. Dies Schöne, Gesegnete würde ohne uns in Europa, in der Welt fehlen. Zum Schluss nenne ich den Sinn für das Gemäße, wovon uns trotz allem noch heute die Möglichkeit des Zusammenlebens gemischter Völker in gemeinsamer Heimat geblieben ist. Die tolerante Vitalität, die uns durchträgt durch die schwierigen Zeiten und die wir hinüber retten müssen in die Zukunft.” Das hat uns bei aller Verschiedenheit in diesem mitteleuropäischen Raum aneinander gebunden, eine Sehnsucht, die uns erhalten geblieben ist, eine Chance, die wir heute haben, es noch einmal zu versuchen. Was aber dazu notwendig ist, hat ein anderer Schriftsteller nämlich György Konrad bereits beschrieben: „Mitteleuropäer ist der, dessen staatliche Existenz irgendwie künstlich ist und nicht ganz seinem Realitätsempfinden entspricht. Mitteleuropäer ist der, den die Teilung unseres Erdteils verletzt, berührt, behindert, beunruhigt und beengt. Aus unserer Lage ergibt sich eine Philosophie, die Philosophie der paradoxen Mittel, die eigentlich auch das Wesen einer vorstellbaren europäischen Weltanschauung sein könnte. Wir sind ein Projekt, ein kulturelles Bündnis, ein literarischer Ritterorden, wir sind Rekordler der Ambivalenzen, professionelle Problememacher. In unseren Kulturen vermischen sich verschiedene zeitliche Schichten. Wir sind keine eindimensionalen Gesellschaften. Wir haben noch keine rationale Übersichtlichkeit, wir sind nicht identisch mit unseren formalen Institutionen, wir sind nicht problemlos identisch mit unserem Schein.”

Andrei Pleşu ist einer von diesem literarischen Ritterorden, von dem sich heute viele wieder aus der Politik zurückgezogen haben, weil sie ihre Aufgabe erfüllt haben und vielleicht auch nicht jene sind, die das Geschäft des Tages besorgen. Eines aber haben Pleşu und seine Freunde geschafft: die Glaubwürdigkeit ihrer Länder sicherzustellen, weil sie von sich aus einen Beitrag des Geistes geleistet haben, um den Kommunismus zu überwinden. Sie stellen damit auch eine moralische und ethische Herausforderung für den Westen unseres Kontinents dar, der nicht in gleicher Weise in der Lage war, auf diese Herausforderung in Europa zu antworten. Nach wie vor besteht das Problem, dass der Transformationsprozess zu mechanisch und ökonomisch gesehen wird. Nicht alles ist der Euro, nicht alles ist die Marktwirtschaft, nicht alles sind die neuen Regeln, die in Europa aufgestellt wurden. Es bedarf vielmehr die Kraft des Geistes, nicht nur um die Trennung zu überwinden, sondern auch dem Kontinent eine Zukunftsdimension zu geben. Es gilt daher den Faktor Zeit zu erkennen, den es nämlich braucht, um in der Transformation all jene schrecklichen Folgen des totalitären Systems zu überwinden. Es braucht die Geduld in der Generationenabfolge, um wirklich ein gemeinsames Europa erstellen zu können. Wie einem da zumute sein kann, das hat Andrei Pleşu auch beschrieben. Es scheut nicht vor starken Worten zurück, die sich insbesondere jene zu Herzen nehmen sollten, die in der Sicherheit ihrer Freiheit auch den Wohlstand genießen konnten, zu dem andere erst den Zugang suchen. Der erhobene Zeigefinger des Westens gegenüber dem Osten des Kontinents ist hier nicht angebracht. Daher sollten gerade die Worte Andrei Pleşus, die er in einem Aufsatz in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung gefunden hatte, eine Pflichtlektüre für Transformationstheoretiker sein: „Im Grunde genommen wird man mit unzähligen Prioritäten konfrontiert. Alles ist prioritär. Unter diesen Bedingungen ist es nicht verwunderlich, dass man gelähmt ist und zögert. Gleichzeitig müssen gelöst werden: die Löcher in der Straßendecke, die Rechtsunsicherheit, die Verschmutzung der Gewässer, die Inflation, die Armut, das Recht der Homosexuellen, das Verbot der Zigerettenwerbung, die Renovierung der Strafanstalten, die Entsorgung der öffentlichen Abfälle, der engstirnige Konfessionalismus, die Diskriminierung von Frauen, die Medikamentenkrise, die schwachen Dienstleistungen, die Polizeireform, das Reinigen der Züge, die Sozialisierung der Rentner, die Einschulung der Roma-Kinder, die Umbenennung von Straßen, die Finanzierung der Theater, der Tierschutz, der Druck neuer Reisepässe, die Modernisierung der öffentlichen WCs, die Privatisierung, die Umstrukturierung, die Ankurbelung der Volkswirtschaft, die moralische Reform, die Neudefinierung des Bildungswesens, das Auswechseln von Diplomaten, die Konsolidierung des Zivillebens, die Förderung der NGO’s, die Neuausstattung der Krankenhäuser, die ausgesetzten Kinder, die AIDS-Kranken, die neuen Mafia-Strukturen und so weiter und so fort. Alles ist Pflicht, alles ist dringend.”

Pleşu konstatiert folgerichtig, dass angesichts dieser Fülle es zwangsläufig zu Neurosen kommen müsse. Er befürchtet eine „ideologische Magenverstimmung”, wobei es die Menschen in der EU nachdenklich stimmen sollte, dass er unserer „civil society” eine Wirkungsweise zuschreibt, die er als „terrorisierende Gestalt eines Obersturmbannführers” beschreibt. Manchmal erkenne auch ich in der Phantasielosigkeit der Anforderung, dass alles dem „acquis communitaire” zu folgen hat, jene Kommandosprache, die ganz sicher nicht in die Welt des neuen Europa passt.

Da aber wird das Geistige notwendig. Da bedarf es jener, die eben Anwälte dieses Geistes sind. Menschen wie Andrei Pleşu haben den Eros zum Geist, die Fähigkeit zur Umsorgung mit oder ohne Seele. Er wird dann zum europäischen Mahner, jemand, der in der Kraft des Wortes einen Zustand sichtbar macht, in dem sich Europas Geist befindet. Das ist ein durchgehender Grundzug des Verhaltens, der oft den Geist ersticken lässt. Custos quid de nocte? Wächter, wie weit ist die Nacht – in Europa? Fast alle schlafen. Auch diejenigen, die gerade nicht schlafen, sind oft nicht deshalb wach und munter, um erwartungsvoll in den neuen Morgen zu blicken, sondern sie wälzen sich nur müde in ihrer Schlaflosigkeit herum, weil der Magen zu voll ist oder alles unerledigte von gestern im Kopf herumschwirrt. Die Wachheit, die es braucht, ist aber nicht eine bekümmerte und leidende Schlaflosigkeit, sondern ist Munterkeit, Aufgewecktheit, gespannte Erwartung, Nüchternheit, Rastlosigkeit, Neugier, Bewusstheit und Geistesgegenwart. Geistesgegenwart – das ist das Wort, das die Verheißung des Glaubens verspricht, Geistesgegenwart nicht nur als Eschaton, sondern als anbrechende Wirklichkeit schon in diesem Äon.

Und diese Wachheit der Sinne geht auf Wahrnehmung aus, Wahrnehmung im eigentlichen Wortsinn: nämlich auf geistig-sinnliches Erfassen der Welt und auf die Unterscheidung des Wahrens vom Unwahren, vom Falschen und Unechten.

Wahrnehmung heißt auf griechisch Aisthesis – Ästhetik. Es kommt darauf an, was man darunter versteht. Wenn man damit meint, dass einer mit wachem Geist und allen fünf Sinnen die Botschaft wahrnimmt und dechiffrieren kann, dass er aus dem Wahrgenommenen sich auch die Geistesgegenwart erschließen kann – dann muss man ein Ästhet sein. Auch wenn es auf Kennerschaft, auf Geschmack, auf Eros ankommt, und auch auf die Gabe, das Gelungene zu erkennen und ein wahres Werk von einem Machwerk zu unterscheiden – dann ist man ein Ästhet.

Wenn man mit „Ästhet” aber jemanden meint, der den schönen Schein sucht und sich daran mit seinen Sinnen gütlich tut, der sich im Geschmäcklerischen und Genießerischen ergeht, dann ist es ein Missverständnis. Solche „Ästheten” waren und sind vor allem diejenigen, die sogenannte „Schöne” Kunst einmahnen wollen – Augenschmaus sozusagen, der der Iris Behagen verschafft, aber nichts mehr von dem durchblicken und wahrnehmen lässt, was den Menschen und die Welt wirklich bewegt. Augenschmaus ist nicht ästhetisch, er ist das Gegenteil davon. Er ist Opium, Narkotikum – und bewirkt damit nur Anästhesie: Einschläferung der Sinne und Verlust der Wahrnehmung dessen, was ist und rings um uns geschieht.

Da fällt mir die erste Seligpreisung der Bergpredigt ein, die ich noch mit „Selig die Armen im Geiste” in Erinnerung habe. Das ist durchaus missverständlich, denn in Wahrheit heißt der griechische Text, dass jene selig sind, die Begierde nach mehr Geist haben. Jene brauchen wir und selig sind sie, nicht in einem himmlischen, sondern in einem höchst irdischen Sinn, denn gerade der Geist gibt uns die Gabe der Unterscheidung, die wir brauchen, um die Vielfalt unseres Kontinents zu erkennen.

Was lässt uns die Frage nach der „Vielfalt”, nach der „kulturellen Zukunft” Europas stellen? Die Beantwortung dieser Frage zu verweigern ist „Einfalt” – Dummheit –, genauso wie zu meinen, dass nicht die Frage „kulturelle Zukunft” die Existenz Europas entscheide.

Es gibt eine Dichotomie, ja sogar Schizophrenie des Denkens. Wir sind stolz auf die Vielfalt der Kultur, und gleichzeitig müssen wir erleben, dass eine Verweigerung der Akzeptanz des „Anderen”, des Fremden, stattfindet. Dabei ist die kulturelle Landschaft so reich! Horizontal, also gleichzeitig, erleben wir eine Vielfalt von Völkern, Sprachen und Ausdrucksformen. Wir kennen die Unterschiede in unseren Tälern genauso wie die der Mode, der Literatur und der Musik. Der Reichtum umfasst aber auch das Vertikale, nämlich die Abläufe der Epochen. Was ist doch nicht alles in diesem Europa seit der Antike, der jüdisch-christlichen Welt, dem Mittelalter, der Renaissance und der Aufklärung geschehen, bis wir bei der „Postmoderne” gelandet sind!

Eigentlich ist der Begriff „Postmoderne” eine Verlustanzeige. Wie überhaupt von Verlust die Rede ist, wenn wir beklagen, wirklich Modernes nicht zu kennen oder die Werte zu vermissen. Haben wir das Selbstvertrauen verloren? Fehlt uns die Kraft zum Neuen? In der Tat: Zitate beherrschen uns, und offensichtlich ist an die Stelle der Kultur eine Art von Weltzivilisation getreten, die sich durch außerordentliche Gleichförmigkeit – Einfalt – auszeichnet. Was die Satelliten uns an Programmen über die Welt schicken, ist der Eintopf aus der Konserve, ist das „global village”, jenes Weltdorf, das sich zweifellos durch seinen simplen Charakter auszeichnet.

Aber das ist es nicht, denn noch immer besteht der Reichtum unserer Welt und unseres Kontinents. Vielmehr ist die menschliche Offenheit in einer Krise. Hier kann wirklich von der Veränderung der Vielfalt zur Einfalt gesprochen werden. Welche Antworten geistern durch die Gegend, welche Kritiken werden geäußert?

Wird die europäische Kultur zwischen Globalisierung und Regionalisierung zerrieben? Gibt es in dieser Vielfalt überhaupt eine Gemeinsamkeit, oder ist sie erst in der Weltzivilisation zu finden? Hat der Integrationsprozess Europas auf die Kultur vergessen? Ist die Kultur nur mehr ein Hobby einiger Sonderlinge oder eine marktgerechte Form eines internationalen Festspielbetriebs mit angeschlossener CD- und Video-Produktion?

Um es vorwegzunehmen: Ohne Kultur wird es Europa nicht geben! Europa hat es zwischen 1945 und 1989 eigentlich nicht gegeben. Der demokratische westliche Teil war über den Atlantik hinweg mit den USA verbunden und wohl auch kulturell von ihnen abhängig; der östliche Teil stand unter der Herrschaft des russisch dominierten Sowjetsystems; die Mitte des Kontinents war nicht mehr als eine literarische-intellektuelle Erinnerung. Von Vielfalt war nicht die Rede, der Ost–West-Konflikt war die binäre Unterscheidung Europas. Den Unterschied kann man auch heute noch sehen, wenn man mit offenen Augen im ehemaligen „Osten” durch Städte fährt.

Erstmals seit 1989 ist uns die Chance gegeben, Europa wieder als einen kulturellen Kontinent zu begreifen und seine Vielfalt zu nutzen. Damit verändert sich die Qualität der europäischen Einigung. War es mit Montanunion und Europäischer Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) zunächst die Aufhebung des seit dem 17. Jahrhundert währenden deutsch-französischen Konflikts, dann die Vorstellung der Einheit eines freien Europa als Bollwerk gegen den Kommunismus, so ist es seit Maastricht die Chance eines freiwilligen Zusammenschlusses zu einer neuen politischen Realität. Europa hat noch einmal die Chance, Europa zu sein.

Der Europäer Andrei Gabriel Pleşu hat dazu seinen Beitrag geleistet und leistet ihn immer noch. Zum einen im Bereich der Literatur und der Kultur, zum anderen in der Politik. Sicher ist dieses Spannungselement für ihn nicht immer eine Freude. Manchmal wird er wohl die Versuchung verspüren, das alles hinter sich zu lassen, um sich wieder der Qualität des Geistes zu widmen. Andrei Pleşu wird aber am Hofe von Matthias Corvinus von heute gebraucht. Warum? Lassen Sie mich es in der Sprache des Hofes sagen: Andrei Pleşu ist ein Adeliger des Geistes, eine große Stimme am Hofe Europas, ein Anwalt der Zukunft im europäischen Reich des Matthias Corvinus von heute. Das allein schon verdient den Matthias Corvinus-Preis 1999, denn nicht nur wir zeichnen ihn aus, sondern er zeichnet uns aus – durch sein Wirken und sein Werk.

Die postkommunistischen Gesellschaften haben den Intellektuellen gegenüber eine äußerst zwiespältige Einstellung. Einerseits werden die Intellektuellen mit einem leicht scheinheiligen Respekt behandelt, sie werden ihrer „Gelehrtheit” wegen bewundert, stolz als „Werte” präsentiert und angehalten, „das Land aus der Sackgasse zu führen”. Andrerseits betrachtet man sie mit einer leichten, von Misstrauen durchsetzten Ironie: Als schwächliche, unzeitgemäße, von zu vielem Nachdenken etwas angegriffene Wesen. Sie sind ineffizient, elitär, kosmopolitisch und erhalten nur „mangelhaft” bei mehreren „bürgerpflichtigen” Rubriken – wie Patriotismus, Solidarität, Respekt gegenüber den Massen usw. Ein Großteil der Bevölkerung reagiert eher gelangweilt auf die Intellektuellen. Das sind im allgemeinen irgendwelche Leute, die sie nicht verstehen und von denen sie nicht verstanden werden, Personen, auf die man sich nicht verlassen kann, einfach Taugenichtse, die sich um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern sollten, wenn sie schon nicht imstande sind, tatsächlich und wahrhaftig zu helfen.

Dieses Problem ist typisch für Übergangsperioden. Die großen Umsturze von 1989 haben überall angesehene Intellektuelle in den Vordergrund gebracht, die – gleichzeitig – Auslöser, Garanten und Wahrzeichen der Ereignisse sein durften. Menschen, deren Schicksal meist mit einem arbeitsamen Schattendasein in Verbindung gebracht wird, füllten plötzlich raumdeckend die Bühne in der Gestalt des „zivilisatorischen Heldens”, des aktiven Reformers. Und, wie es nicht anders zu erwarten war, alle postrevolutionäre Enttäuschungen wurden anschließend auf ihr Konto gesetzt. Die Wähler hatten die edlen Reden und moralisierenden Vorbilder schnell satt. Die Zeit der symbolträchtigen Gesten, der großartigen und überwältigenden Haltungen ist vorbei. Havel ist banal und Michnik unsympathisch geworden. Das Verhältnis zwischen Intellektuellen, Ethik und Politik wurde schnell thematischer Bestandteil koketter internationaler Symposien. Weg von der Straße und weg von den „Verhandlungstischen” sind die Intellektuellen zu mehr oder minder mondänen Schauspielern endloser „Rundtisch-Gespräche” geworden. Sie glossieren und adnotieren alexandrinisch rund um ihre Leistungen in der Vergangenheit, sie erklären sich, schlagen neue Utopien vor, sie debattieren Nuancen. In einem Artikel über Polen in „Le Nouvel Observateur” bringt Bernard Gueta die Situation auf den Punkt: „Der Krieg ist vorbei. Polen hat für normale Zeiten einen normalen Menschen gewählt. Alles ist in Ordnung – und sehr traurig.”

Soll das heißen, dass die Intellektuellen raus aus dem Spiel sind? Und sollte dies der Fall sein, müssen wir diesen Umstand sofort als Katastrophe einstufen? Als erstes liesse sich bemerken, dass der Terminus „Intellektueller” in den zu diesem Thema laufenden Diskussionen mit einer besonderen Bedeutung behaftet ist. Er bezeichnet eher die „künstlerische” Variante des Intellektuellen – den interessanten, „auserwählten” Menschen, der charismatisch über der Menge schwebt. Nicht einfach das Hochschulstudium, nicht die Vorherrschaft des Mentalen, des Geistigen über das Manuelle, Handwerkliche definieren zur Zeit den Status des Intellektuellen, sondern die Neigung zur spekulativen Erhabenheit, zur ethizistischen Gestikulation und zur kreativen Originalität. Niemand denkt an Václav Klaus, wenn er ein Beispiel sucht, selbst wenn man dem ehemaligen tschechischen Ministerpräsidenten nur schwer die Eigenschaft eines Intellektuellen absprechen könnte. Alle Welt denkt an Václav Havel. Nur als Verkörperung vom Typ Havel erlangt der Intellektuelle die Aura der missionären, von sybillischen Instanzen für unsere Rettung auserwählten Gestalt. Einem Buchhalter kann man die Rolle des „Erlösers” nicht anvertrauen.

Und hier treffen wir auf eine erste Form der „Verdrehtheit” unserer Mentalität. Eine unschuldig-treuherzige und romantische Verdrehtheit, aber deshalb nicht minder schädlich. Wir machen einen deontisch-logischen Fehler, das heißt, wir verteilen die Kriterien der Autoriät auf recht aberante Weise. Aus der Tatsache, dass er ein „inspirierter” und auf seinem Kompetenz-Gebiet effizienter Mensch ist, schlussfolgern wir, dass er universell kompetent ist. Genauer gesagt, wir setzen als selbstverständlich voraus, dass „inspiriert und effizient sein” eine Kompetenz an sich ist, die spektakuläre Ergebnisse zeitigt, egal auf welchem Gebiet sie eingesetzt wird. Einstein hat den Nobel-Preis für Physik erhalten, das bedeutet also, dass er uns – egal, was wir ihn fragen – mustergültige Antworten liefern muss. Wir werden folglich von ihm seine Meinung über Glück, über die Unsterblichkeit der Seele und über die Zukunft der Menschheit wissen wollen und dabei all seine Platituden als letzte Wahrheiten akzeptieren, weil wir auf seine allerhöchste Begabung dort setzen, wo er kaum mehr als ein rechtschaffener Mensch ist. Auf die Idee, dass ein genialer Schriftsteller ein Schuft oder ein Weichei sein kann, dass ein bedeutender Mathematiker in Sachen Politik ein Idiot oder ein heldenmütiger Mensch eher unterentwickelt in Verwaltungsfragen sein kann – auf diese Idee kommt man nicht. Für diese Idee ist kein Platz in unseren nach Geometrie und Konsequenz dürstenden Gehirnen.

Der Intellektuelle ist jemand, der gewisse Dinge, der viele Dinge weiß. Folglich ist er jemand, der alles weiß. Der Intellektuelle redet schön, demnach hat er Lösungen. Der Intellektuelle versteht alles – also kann er alles. Man verweigert dem Intellektuellen das Recht, manchmal und auf manchen Gebieten ein einfacher Mensch zu sein. Folglich hat der Intellektuelle die Pflicht und Schuldigkeit, mit seiner wundersamen Energie bei den Überwindungen aller Hürden mitzuhelfen. Tut er das nicht, so ist er egoistisch, er drückt sich, er ist faul. Die Intellektuellen unterliegen einem enormen öffentlichen Anspruchs-Druck. Sie sind dazu verdammt, ihrem Nimbus gerecht zu werden, sie können sich die alltäglichen Halbschatten des „einfachen Bürgers” nicht leisten. Verboten wird dem Intellektuellen selbst der Kommentar – seine ureigenste und allbekannte Spezialität. Es schicke sich nicht, vom Rande aus zu sprechen – er habe die Pflicht und Schuldigkeit einzugreifen.

Es gibt also eine richtige Mythologie des intellektuellen Auftrags, der von der Geschichte in manchen Momenten gefordert, in anderen in Abrede gestellt wird. Die Frage, die sich zwangsläufig ergibt: Innerhalb welcher Grenzen ist solch ein Auftrag vernünftig und legitim? Was kann man von den Intellektuellen erwarten, und was nicht? Und wie muss sich ein wahrer Intellektueller verhalten, um das Gleichgewicht zu wahren zwischen dem Risiko eines unangemessenen Aktivismus und jenem des schuldhaften Absentismus? Letzte Antworten können wir nicht bieten, zumindest aber versuchen, vorgefasste Meinungen und die allzu scharfen Richtlinien der Allgemeinheit zu relativisieren.

Die Mythologie des politischen Auftrags der Intellektuellen hat bislang zu drei großen Kategorien von Lösungen geführt.

 

Die zurückhaltende Kontemplation

Intellektuelle und Politiker haben auf derselben Bühne nichts verloren. Es ist nicht die Sache der Intellektuellen, sich ins Getümmel des Jahrhunderts einzumischen, sich im öffentlichen Leben zu verausgaben, sich in einer kontingenten Problematik aufzugeben. „Politik muss den Diplomaten und Militärs überlassen werden”, sagte Goethe mit einer Radikalität, der er nicht immer treu blieb. Das kontemplative Leben aufgeben, die großen geistigen Fragen durch triviale, konjunkturbedingte Sorge zu ersetzen – das heißt, das „Talent” zu opfern, das dir gegeben wurde. Ende der zwanziger Jahre machte Julien Benda diese These zum Kernpunkt eines Bestsellers. Für ihn sind die Gelehrten (les clercs) ganz besondere und eigenartige Lebewesen, die sich von der „weltlichen” Spezies der Menschheit deutlich unterscheiden. Sie führen eine Aktivität durch, der „jedwelches praktisches Ziel wesensfremd” ist. Frei von der Tyrannie der zeitgeprägten Interessen und zur Verzweiflung getrieben durch den „Realismus der Massen” sind die Intellektuellen „nicht von dieser Welt”. Zwangsläufig können sie von der Ebene der ewigen Prizipien auf das Niveau der momentanen Leidenschaften nur dann hinabsteigen, wenn sie eine Entstellung in Kauf nehmen. Der Wechsel der Intellektuellen ins Lager des Alltags-Pragmatismus und ihr Einstieg in den politischen Kampf stellen einen wahren „moralischen Umsturz” mit schwerwiegenden Folgen für die europäische Geschichte ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts dar.

Als der rumänische Philosoph Constantin Noica seinen Jüngern nahelegte, sich nicht auf einen kräftezehrenden Verschleiß-Konflikt mit den kommunistischen Institutionen einzulassen, so handelte er im Geiste von Benda. „Politik ist Meteorologie” – lautete Noicas Urteil. Man unterbricht seine Lektüre und sein Schreiben nicht, um Regen, Dürre und Jahreszeiten zu bekämpfen. Nur um einen umgestürzten Wagen am Wegrand flottzumachen, verpasst man nicht den Einzug ins Paradies...

 

Die Partizipation

Die Intellektuellen haben die Pflicht, sich am politischen Leben zu beteiligen, gerade weil ihre außergewöhnliche Begabung einer höchsten Qualifikation in der Kunst des Regierens gleichkommt. Aus solch einer Überzeugung ist das Modell des „Philosophenkönigs” geboren worden. Um gut geführt zu werden, muss die Gemeinschaft von einem Meister des Geistes geführt werden. Also nicht von einem „Vertreter”, sondern von der Ausnahme. Der Besitz der Wahrheit und die Ausübung der moralischen Unbestechlichkeit sind schließlich keine überall vorkommenden und allgegenwärtigen Gaben, keine „volkstümlichen” Güter. Demzufolge ist es selbstverständlich, dass nur diejenigen, die solch seltene Tugenden verkörpern, bei dem Regieren der Menge etwas zu sagen haben. Rein theoretisch entbehrt diese These nicht einer gewissen kalten Konsequenz. In der Praxis aber hat sie durch klägliche Ergebnisse versagt. Die politische Leistung der Intellektuellen (und zwar beginnend mit jener von Platon, der dem „Philosophenkönig” die metaphysische Geburtsurkunde ausstellte) ist oftmals prekär, utopisch, wenn nicht sogar richtig gefährlich. Mit guten Recht wurde festgestellt (u.a. von Wolfgang Müller-Funk), dass weder Nazismus noch Kommunismus Erfindungen der Arbeiter und Bauern waren. Im Gegenteil – sie waren hartnäckige, zielstrebige intellektuelle Konstruktionen, „Phantasien” von „Elite-Hirnen”.

Es gibt zugegebenermaßen auch das Gegenbeispiel einiger aufgeklärter Herrscher, die das Image des Intellektuellen-Anführers einigermaßen verbessern. Der politische „Platonismus” wird, moralisch gesehen, nicht von Platon selbst, sondern von einer Gestalt wie Havel gerettet, dessen Haltung den Dogmatismus der Platon’schen „Republik” allerdings sprengt. Wir müssen desgleichen zugeben, dass das politische Engagement der osteuropäischen Dissidenten und ihr Beitrag zur Sturz des Totalitarismus einigermaßen die Schande der sich anpassenden und fügenden katastrophalen Allianzen mit allen extremistischen Ideologien hervortaten. Nur solche Haltungen und Leistungen (Dissidenz, Zivil-Wachsamkeit, konkret den wahren Werten dienen) berechtigen das Vertrauen einiger zeitgenössischer Autoren (György Konrád zum Beispiel) und den Glauben an die Chance der Intellektuellen, das Antlitz der Welt zum Guten zu verändern.

 

Die engagierte Kontemplation

Zwischen den Intellektuellen, der unmitelbar am politischen Spiel teilnimmt, und jenen, der es ignoiert, drängt sich in letzter Zeit der Intellektuelle, der den Gang der Dinge von außerhalb des Strudels der Ereignissse beinflusst. Das ist – laut Timothy Garton Ash, in einem Beitrag in „New York Review of Books” – die für diesen Abschnitt der Geschichte angemessenste Verhaltensstrategie. Die Zeit des totalen Engagements ist vorbei. Es ist nicht mehr erforderlich, dass Intellektuelle Minister, Premierminister oder Staatspräsidenten werden. Wollen die Intellektuellen ihre Interventions-Kraft wahren, sollten sie solche Ämter eher meiden. Von ihnen wird jetzt nur verlangt, dass sie die Taten der Regierenden kritisch kommentieren und zum sozialen „Pol” der Besonnenheit werden. Im Vordergrund taucht wieder das Amt des „engagierten Zuschauers” auf – der Terminus stamt von Raymond Aron –, das einzige, das dem Wesen des Intellektuellen wirklich zusagt. Übrigens war sogar Julien Benda bereit, dem Gelehrten gewisse politische Exkurse zuzugestehen. Mit zwei Bedingungen: Er dürfe nicht der Staatsverwaltung angehören (mit anderen Worten, er muss unabhängig bleiben), und er dürfe den gelegentlichen „Exkurs” nicht zur konstanten Beschäftigung werden lassen.

Jenseits der aufgezählten Varianten bleibt jede Menge Raum für Nuancen. Dasselbe Individuum kann Umstände, Zustände und Krisen durchmachen, die ihn berechtigterweise zu jedwelcher nur vorstellbaren öffentlichen Haltung hinorientieren. Es gibt historische Umstände, in denen der Absentismus einer schuldigen Demission gleichkommt, doch gibt es auch Zeiten, die Zurückhaltung erlauben und rechtfertigen. Es gibt Zeiten des öffentlichen Forums und es gibt Zeiten der Klausur. Und schließlich gibt es die unendliche Vielfalt der Temperamente. Zurückgezogenen, kontemplativen, diaphanen Geistern kann nicht der Prozess gemacht werden, einfach weil ihnen die Passion für das Konjunkturelle fremd ist. So wie auch feurige Temperamente, die vom gemeinschaftlichen Sinn ergriffen sind, nicht gezwungen werden können von heute auf morgen Bibliotheks-Gebahren anzunehmen... Wir befinden uns auf einem Gebiet, das sich keinen Schematismen, keinen Rezepten beugt. Und die Welt der Tat ist weitaus umfassender, reicht weit über äußerliche Agitation und prometheischen Aufstand hinaus.

Wie ich bereits eingangs erwähnte, ist das am häufigsten ins Feld geführte Argument für das politische Engagement der Intellektuellen deren moralische Autorität. Natürlich ist eine Gleichstellung von Kultur und Moralität nicht gerade selbstverständlich, doch Fakt bleibt, dass jedesmal, wenn ein Intellektueller die öffentliche Bühne betritt, von ihm ethische Radikalität, Kompromisslosigkeit, groß- und edelmütige Haltung erwartet werden. In Klammer sei dazu bemerkt, dass dies alles Eigenschaften sind, die im Widerspruch zu politischer Effizienz stehen. Wünschenswert wäre folglich, dass sich der aufs politische Parkett begebende Intellektuelle einem Politiker nicht ähnelt. Es ist keineswegs Pflicht – sagt Havel mit einer immer blasseren Stimme –, dass die Politik die Ethik ausschließt. Denn schließlich besteht die Aufgabe des „Philosophenkönigs” auch darin, den Beweis für die perfekte Kompatibilität von Politik und Ethik zu erbringen. Sowohl Havels Erfahrungen der letzten Jahre (nach seiner Wiederwahl zum Präsidenten der Tschechischen Republik) als auch die Erfahrungen anderer von der Politik angesteckter Intellektuellen beweisen aber letztendlich, dass die Bemühungen, für beide Bereiche einzutreteten, ab einem gewissen Zeitpunkt – auf beiden Seiten – zu Malformationen führen, die nur schwer remediabel sind.

Derselbe Mensch kann sowohl Politiker als auch Intellektueller sein. Die Frage, die sich nun stellt, ist: Kann er beides zur gleichen Zeit sein? Der wahre Intellektuelle kann dem Protokoll des politischen Lebens, der Scheinheiligkeit der Diplomatie, der Ambiguität der Wahlreden nur Langeweile entgegenbringen. Er spürt seit einiger Zeit, wie er seine Identität verliert, dass seine von Regierungsgeschäften bestimmte Situation seine Sprache und Verhaltensweise ändert, dass die Fingerübungen des öffentlichen Lebens ihn zu unverdaulichen Allianzen und schroffen Aussagen zwingen. Genauso auch der Politiker – er verzweifelt an den Skrupeln und der Selbstironie des Intellektuellen, an dessen Hang zur Hamlet’schen Selbstergründung, an den analytischen Exzessen seines kontemplativen Geistes. Das Zusammenleben der beiden Gestalten unter ein- und demselben Dach entwicklelt sich zwangsläufig und fatalerweise in Richtung Schizophrenie. Um solch einen Ausgang zu vermeiden, gibt eine von ihnen nach: Entweder verblasst der Intellektuelle allmählich hinter dem Politiker (und so entsteht die Spezies des Politikers, der Bücher sammelt und Konzerte besucht, um seine alte Identität zu wahren), oder aber der Politiker lässt dem Intellektuellen die Oberhand, und dieser versucht – meist ohne Erfolg – seine alten Werkzeuge und Fertigkeiten wiederzuerlangen. In der Regel sind die Reflexe des intellektuellen Lebens nach einer intensiven Episode politischen Engagements stark beschädigt. Auf dem Weg von der Macht zurück in die Bibliothek stellt der Intellektuelle fest, dass er seine Unschuld verloren hat, dass er vom Virus der Kontingenzen, von der Leidenschaft des politischen Kampfes befallen ist. Gezwungenermaßen muss er Kant recht geben: „die unmittelbare Ausübung von Macht schadet zwangsläufig der freien Verwendung der Vernunft”.

Der Intelektuelle hofft – und so auch seine Anhänger –, dass seine Beteiligung am politischen Leben eine „Vergeistigung” der Macht als Ergebnis zur Folge hat. Doch existiert eine Kehrseite dieser Hoffnung: die exzessive Politisierung des intellektuellen Lebens. Wer eine Invasion der Werte auf die promiskuosen Mechanismen der politischen Welt starten will, der geht auf Schritt und Tritt das Risiko einer umgekehrten Kontamination ein: Heimtückisch und schleichend infizieren die Angewohnheiten, Fertigkeiten und Thematik der Macht den Metabolismus des Geistes. So geschah es im Falle vieler osteuropäischer Intellektuellen der jungen Generation, die sich nach 1989 von den verschiedenen mehr oder minder erhebenden und hohen Varianten der Politologie haben völlig absorbieren und aufzehren lassen. Toqueville und Hayek werden zu wahren „geistigen Meistern”, und die Fragen nach der optimalen Beziehung zwischen Staat und Individuum oder nach der Dynamik von Wahlsystemen werden in den Rang alles entscheidender Fragen erhoben. Selbstverständlich sollen und müssen Toqueville und Hayek gelesen und als hochklassige Gesprächspartner anerkannt werden. Das Problem aber ist, was man nicht mehr liest und welche Fragen man nicht mehr stellt, wenn man ihrer Faszination erliegt. Das Problem ist, wieviel Kontingenz kann der Geist ertragen und noch er selbst bleiben?

Was die osteuropäischen Intellektuellen nach 1989 experimentierten, das mussten die westeuropäischen Intellektuellen bereits in den fünfziger Jahren durchmachen. Die Verlockung der Agitation im Gegenwärtigen, das linksgerichtete Pathos der Debatten, das ideologische Fieber rund um edle „Sachen” und Belange haben den Mythos des „eingebundenen”, „verantwortlichen” und „wachsamen” Intellektuellen geboren, der die Stunden angeeigneter Lektüre durch eine äquivalente Zahl an Stunden legitimiert, die er auf der Straße, an Seiten des Volkes verbringt... In jenen Zeiten, als wir darunter litten, Platon nicht lesen und kommentieren zu können, genossen unsere westlichen Kollegen Marcuse und Garaudy. Nun sind wir an der Reihe, von Platon verwirrt und leicht gelangweilt zu sein. Diese fehlende Synchronität, der nicht vorhandene Gleichlauf zwischen östlichen und westlichen Intellektuellen ist ein Charakteristikum, eine bezeichnende Realität unseres Jahrhunderts, die noch nicht ausreichend analysiert worden ist.

Das Diagramm der intellektuellen „Schuld” verlief im Ablauf der Zeit zwischen diametral entgegengesetzen Grenzen: Vom Augenblick Benda, als der „Abstieg” in die Agora als Verrat eingestuft wurde, bis heute, da die Nicht-Teilnahme als unwürdiger Abschied gilt. Die „Wahrheit” in einem Mittelweg zu suchen, ist zwecklos. Ungeachtet aber dessen, wohin uns die eine oder andere Konjunktur drängt, müssen wir einsehen, dass wir nicht über die Intellektuellen sprechen können, ohne ihnen einen „spezifischen Unterschied” zuzugestehen. Und dieser spezifische Unterschied des Intellektuellen, dieser Bereich, den sich niemand an seiner Stelle anmaßen kann, hat nicht allzu viele Schnittpunkte mit dem Bereich der Politik. Der Politiker verfügt über die Kompetenz der für die Gemeinschaft nützlichen Werte, der Intellektuelle über die Kompetenz der Einsamkeiten. Der Politiker kann nur offensiv, dynamisch, handwerklich handeln, der Intellektuelle handelt eher durch das Ansehen seiner Präsenz, durch statische Ausstrahlung, durch Haltung. Der Intellektuelle kann – und muss manchmal – die politische Bühne betreten. Doch er tut es immer mit dem Gefühl, dass sein „Engagement” ein Exil ist und dass er früher oder später „nach Hause” zurückkehren muss. Ohne diese ständige Nostalgie dessen, was ihm ureigen ist, fällt der politisch aktive Intellektuelle unter seinen Status als Intellektueller, genauso wie Ulysses ohne die Besessenheit auf Ithaka nur ein gewöhnlicher, zu jedem nur vorstellbaren Schiffbruch und Scheitern bestimmter Abenteurer wäre.