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Begegnungen
Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Band 26:73–76.

FERENC GLATZ

Intellektueller unter den Politikern, Politiker unter den Intellektuellen

Laudatio auf Erhard Busek

 

Mit Erhard Busek verbindet mich eine enge persönliche Freundschaft seit 16 Jahren. Eine Laudatio auf ihn kann ich deswegen nicht ohne Befangenheit halten. Unsere Generation ist aber seit langem über die Feststellung hinweg, dass die Wahrheit der Bewertung davon abhängt, wer sie ausspricht. Wir sind schon zu der Schlussfolgerung gekommen, dass es nicht zählt, wer etwas sagt, Hauptsache ist, was er sagt.

Erhard Busek wurde in Budapest schon in den 1980er Jahren als eine der großen Politikerpersönlichkeiten angesehen, der die ostmitteleuropäischen Traditionen der österreichischen Politik der vergangenen anderthalb Jahrhunderte fortsetzen kann. Er wurde auch von denen, wie ich, die ihn nicht gekannt haben, als ein Mann gesehen, der die innerhalb des sowjetischen Blocks lebenden Völker mit außergewöhnlichem Verständnis betrachtet, der ihre national-religiösen Konflikte versteht und auch bereit und fähig ist, diese Konflikte aufzulösen, und der mit seinen persönlichen Aktionen und Verbindungen zur Abschaffung des Demokratiedefizits dieser Region beiträgt. Wie mein Freund Péter Hanák formulierte: Er nimmt die Tatsache der sowjetischen Besatzung zur Kenntnis, wie wir sie auch zur Kenntnis nehmen, aber er tut alles, was innerhalb der von der Politik bestimmten Grenzen möglich ist, um die Prinzipien des demokratischen Zusammenlebens im alltäglichen Leben zu stärken. Wir, Historiker, die in den 1970-80er Jahren viel in Mitteleuropa geforscht und an Konferenzen teilgenommen haben, formulierten mehrmals unter uns: Wenn die ostmitteleuropäischen Völker einmal von der sowjetischen Besetzung frei werden, das größte Hindernis ihres Vorankommens werden diejenigen ethnischen und konfessionellen Konflikte sein, die in der Region überall, wenn auch verborgen, zu finden sind. Das andere Hindernis wird wohl sein, dass diese Region wegen der sowjetischen Besatzung aus der industriell-technischen Revolution, die sich in der westlichen Welt nach dem zweiten Weltkrieg entfaltete, ausblieb.

Nach solchen Vorereignissen war es selbstverständlich, dass meine österreichischen Freunde schon in den ersten Tagen nach meiner unerwarteten Ernennung zum Ministeramt im Mai 1989 ein Treffen mit Erhard Busek organisierten. Ich war ein völlig neuer Mann in der Politik, ich gelang vom Universitätskatheder, aus meinem Forscher- bzw. Direktorszimmer in die Regierung. Selbstverständlich versuchte ich meine kulturpolitischen historischen Kenntnisse mit der gegenwärtigen kulturpolitischen Administration zu harmonisieren. Ich setzte mir zum Ziel, das Band der sowjetischen Besatzung und des diktatorischen Staatssystems zu lösen, und einen möglichst freien Bewegungsraum für die Kultur und das Geistesleben zu schaffen. Mein Bestreben ging dahin das institutionelle System der Kulturpolitik abzubauen, die Zensur abzuschaffen, die Freiheit der Forschung und den Pluralismus in der Kulturfinanzierung zu sichern sowie die Freiheit der Gründung privater und kirchlicher Schulen zu gewährleisten. Zur gleichen Zeit versuchte ich der Etablierung der ungarischen Intelligenz in der Welt zu helfen, vor allem durch die Förderung des Lernens von westlichen Weltsprachen. Das Programm konnte ich als neuer Minister innerhalb von Wochen durchführen – wenigstens auf der Ebene der Rechtsregeln – aber es war fraglich, mit welchen Mitteln nach der Abschaffung der schlechten rechtlichen Regelungen und Institutionen eine bessere Praxis ausgebaut werden kann. Die Frage habe ich nicht nur mir selbst, sondern auch Herrn Busek während unseres ersten Treffens gestellt. Er versicherte mir, dass Österreich aus österreichischen Staatsmitteln Deutschlehrer schickt, die nach der Abschaffung des Russischen als Pflichtfremdsprache in Mittelschulen und an Universitäten, Fremdsprachen unterrichten werden. Er versicherte mir, dass er dieselben Vorstellungen von der staatlichen Kulturaußenpolitik hat, wie ich: Die kleinnationalen Kulturen sollen an möglichst vielen Orten in der Welt zerstreut Fakultäten und „Brückenkopfstellungen” ausbauen, wie es von der ungarischen Kulturpolitik noch in den 1920er Jahren begonnen wurde. Es hat sich herausgestellt, dass wir über die ostmitteleuropäische Region genau dieselben Vorstellungen haben. Was noch, auch über menschliche Werte. Die Bildung und die Ausbildung des Geistes hielten wir beide für einen wertschaffenden Faktor; dieser Geist ist genauso wichtig für die Lebensqualität wie der persönliche Reichtum und das Vermögen. Busek war für mich von dem ersten Augenblick an ein wahrer Intellektueller unter den Politikern.

Danach stellte es sich schnell heraus, dass der Wiener Kultusminister auch ein wahrer Politiker ist. Nicht nur unter den Intellektuellen, sondern auch unter den Politikern. Den gemeinsam ausgearbeiteten Plänen folgten in ein paar Tagen Taten. Österreichische Sprachlehrer erschienen in Ungarn, Herr Busek initiierte gemeinsame ostmitteleuropäische und österreichische kulturpolitische Aktionsreihen und „raste” als reisender Botschafter der österreichischen Kultur innerhalb von Österreich bzw. zwischen Pressburg, Belgrad, Budapest und Graz, und wir sind gemeinsam für den ostmitteleuropäischen Gedanken und die Emanzipation der Kulturpolitik aufgetreten. Die Kulturpolitik wurde ja nach dem zweiten Weltkrieg in den europäischen politischen Systemen neben den Machtpolitikzweigen (innere und auswärtige Angelegenheiten, Militärwesen) immer als eine Art „Hobbytätigkeit” betrachtet.

Wir sind fast jeden Monat in österreichischen Kleinstaaten aufgetreten oder haben an lokalen festlichen Veranstaltungen teilgenommen in Staaten die für uns beide als Ausland galten, sowie an zwischenstaatlichen Treffen, in riesigen Zelten auf den Hauptplätzen von Städten, an Kaffeerunden der Kaffeehäuser der Innenstadt oder gegebenenfalls in der pomphaften Wiener Burg, bzw. in der ungarischen königlichen Burg. In diesen Orten sind wir immer in der letzten Minute angekommen, unsere Vorträge haben wir immer improvisiert und wir haben erst in den darauf folgenden Diskussionen einander hingelächelt und festgestellt: Wir kennen einander kaum, trotzdem kennen wir die Gedankenwelt des Anderen sehr gut. Er hat dabei geholfen, dass das kulturpolitische Programm des ungarischen Ministers von dem deutschsprachigen Raum gefördert wurde. Ihm ist es zu verdanken, dass ich Senator Dr. Dr. Herbert Batliner, dem bekannten Mäzen der europäischen Kultur, kennenlernte, der aus seinem Privatvermögen zur Gründung des Europa Instituts Budapest eine wesentliche Summe angeboten hatte, und zu diesem Zweck von anderen westeuropäischen Stiftungen Geld erworben hatte.

Natürlich war in dem Stiftungsrat des Europa Instituts auch Erhard Busek einer der „Tonangeber” und Mithelfer. Und es war selbstverständlich, dass ich, als ich nach der rumänischen Revolution von Dezember 1989 nach Bukarest fuhr und dort den neuen Kultusminister, den Philosophen und Schriftsteller, Andrei Pleşu traf, Pleşu und Busek miteinander bekannt machte, und dem Minister die Mitgliedschaft im Wissenschaftlichen Beirat des Europa Instituts anbot. Die kulturpolitische Achse Wien-Budapest-Bukarest – die Zusammenarbeit der drei Freunde, wie es von unseren gemeinsamen Freunden genannt wurde – führte zu vielen sinnvollen Initiativen in 1990. Viele Pläne wurden über gemeinsame ostmitteleuropäische kulturpolitische Konferenzen geschmiedet, davon wurde eine im April 1990 in Wien verwirklicht. Pläne über das Zustandebringen einer internationalen kulturpolitischen Arbeitsgemeinschaft mit der Zielsetzung, die gemeinsamen institutionellen Grundlagen des Zusammenlebens der ostmitteleuropäischen Kleinnationen mit den Mitteln der Kulturpolitik zu schaffen. (Später beruhte das große Projekt des Europa Instituts in 2000 auf dieser Idee.) Wir setzten große Hoffnungen auf die damals geplante Veranstaltung der Budapest-Wien Weltausstellung. Wir haben mit Busek gemeinsam das Grundprinzip ausgearbeitet – eigentlich bot ein gemeinsames Auftreten in Graz dazu die Gelegenheit –, dass die Weltausstellung vor allem eine kulturelle Veranstaltung sein soll, die die Aufmerksamkeit der Welt auf die kulturelle Vielfalt der gegebenen Region lenkt. (Nur in Klammern möchte ich hinzufügen, dass ich es bis heute für eine falsche politische Entscheidung halte, dass wegen parteipolitischer Überlegungen zuerst Wien, dann auch Budapest dem Recht der Veranstaltung der Weltausstellung entsagte.) Zwei Städte, zwei politische Eliten entschieden darüber, ob die Kultur dutzender Nationen Ostmitteleuropas ein Weltforum bekommen soll, oder nicht. Die Freundschaft und die Zusammenarbeit blieb auch nach 1990, als die Stelle der Intellektuellen in der osteuropäischen Politik von hauptberuflichen, d.h. „Unterhaltspolitikern” übernommen wurde.

 

Lieber Minister! Lieber Freund!

Die Verdienste Erhard Buseks in der österreichischen Politik werden wohl zu seinem 70. oder 100. Geburtstag von Anderen gewürdigt. Andere werden die Frage stellen, ob es kein Luxus von der österreichischen Politik war, dass die österreichische Regierung eine der buntesten Politikerpersönlichkeiten des Endes des Jahrhunderts genau zu der Zeit nicht mehr in Anspruch nahm, als Österreich Mitglied der Europäischen Union wurde. Zu einer Zeit, als Österreich mehrere Möglichkeiten zum Ausbau einer aktiven regionalen Politik hatte, als je zuvor. Jetzt versuche ich nur zu erläutern, welche persönlichen Gründe dazu geführt hatten, dass ich Herrn Dr. Dr. Batliner, dem Stifter des Corvinus-Preises, die Auszeichnung von Erhard Busek vorschlug. Und vielleicht erlaubt mir der Herr Senator, unsere gemeinsame persönliche Überzeugung mitzuteilen: Wir würdigen hier nicht Herrn Busek, den Minister, nicht Herrn Busek, den Funktionär der Österreichischen Volkspartei, nicht Herrn Busek, den Vizekanzler oder Herrn Busek, den südosteuropäischen Sonderkoordinator der Europäischen Union, sondern Erhard Busek, den Menschen. Den Mann, der sein Talent im Dienst seiner eigenen Prinzipien als intellektueller Politiker und nicht im Dienst seiner administrativen Karriere gestellt hat. Ein Mann, der unter uns, ostmitteleuropäischen Intellektuellen – darunter meine ich Domokos Kosáry, Ferenc Mádl, Ferenc Fejtő, Karl Otmar von Aretin, Károly Manherz, Lajos Vékás, Dušan Kováč und Andrei Pleşu – genauso die Offenheit für die Welt, den Geist des Verständnisses vertreten hat, wie unter den Politikern. Und der unter uns Intellektuellen immer die volle Anerkennung verdient hat. Und die Politiker? Wen interessieren die Politiker, wenn wir über die jahrhundertealten Probleme der ostmitteleuropäischen Gesellschaften, über die Auflösung ihrer Probleme nachdenken?

Im Namen des Stiftungsrates des Europa Instituts Budapest hält unser gemeinsamer Freund, einer der Stifter unseres Instituts, Dr. Dr. Batliner die Laudatio von Erhard Busek. Ich wollte nur einen Satz sagen: Lieber Erhard, das war „ein tolles Vergnügen und ein tüchtiges Stück Arbeit”. Aus diesem Satz wurde eine ziemlich lange Rückerinnerung.

Sehr geehrter Präsident, Minister, liebe Freunde! Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit!