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I.
An der Schwelle zur Europäischen Union

Bericht
über die Tätigkeit des Europa Institutes Budapest
1994–1998

 

1. Alte und neue Zielsetzungen

 

„Es ist in den kommenden Jahren Aufgabe der Intelligenz, die zurückgebliebenen Regionen Europas zu gestalten.” „Ziel des Europa Institutes Budapest ist eine wissenschaftliche Erforschung von Problemen der europäischen Einheit.” „Das Institut sei ein Verbindungsglied zwischen den Völkern Europas bzw. eines zwischen Ungarn und Europa.” „Das Institut unterstützt Forschungsprojekte, erteilt Stipendien an sich aus den verschiedensten Teilen der Welt bewerbende postgraduierte Studenten, junge Forscher und Lehrkräfte.” „Eine besondere Bedeutung messen wir jenen Themen bei, die sich mit den überstaatlichen gesellschaftlich-ethnischen Bewegungen, der Migration, der Herausbildung internationaler politischer Organe und ihrem Wirken befassen ...” „Das Institut organisiert zur Zeit der Universitätssemester monatlich wissenschaftliche Vorträge und Konferenzen. Diese Veranstaltungen des Institutes sollten für das heimische sowie später dann nach Möglichkeit auch für das internationale Fachleben Foren bedeutender Debatten bzw. eines wichtigen Gedankenaustausches sein.” „Das Institut stellt für die jungen Intellektuellen der ungarischen Gesellschaftswissenschaft einen Treffpunkt mit der Weltkultur dar.”

Diese Sätze stammen aus dem die Zielsetzungen des Europa Institutes festlegenden Dokument, welche vom Stiftungsrat anlässlich der konstituierenden Sitzung vom 7. Mai 1990 angenommen wurde. Die Gründer des Institutes erachteten diese Zielsetzungen auch nach der Rechenschaftslegung der ersten vier Jahre für zeitgemäß, so dass auf der Kuratoriumssitzung im Jahre 1995 dieser Standpunkt erneut bekräftigt wurde. Wenn wir heute auf die Ereignisse der letzten vier Jahre (1994–1998) zurückblicken und die Protokolle der Sitzungen des Wissenschaftlichen Beirates bzw. des Stiftungsrates der Jahre 1995/96/97 zur Hand nehmen, dann zeigt sich eindeutig, dass die europäische Integration der ungarischen Intelligenz ein sich auf Jahrzehnte erstreckendes Aufgabensystem stellt. Mit anderen Worten: jene Zielsetzungen, die 1990 von den Stiftern formuliert wurden, bleiben – leider, oder auch nicht – über einen längeren Zeitraum aktuell, als wir das derzeit glaubten. Es geht bei der europäischen Integration sowie der Erweiterung der Europäischen Union im Rahmen jener um einen sich über Jahrzehnte hinziehenden Prozess. Im Laufe von Debatten der vergangenen Jahre betonten wir oftmals, dass es ein Irrtum ist, zu glauben, dass die Erweiterung der EU nur ein diplomatischer Akt sei. Es ist falsch anzunehmen, dass es hierbei einfach um den „Beitritt” in eine internationale Organisation geht. Schon das war ein simpler Irrtum zu glauben, dass der europäische Integrationsprozess mittels Entscheidungen auf Regierungsebene oder seitens der Gesetzgebung sozusagen als Aktionsserie realisierbar sei – oder auch mit der Einführung einiger neuer Institutionen (wie z.B. politisches Mehrparteiensystem, demokratische Wahlen, Freiheitsrechte der Menschen, Marktwirtschaft usw.) Wir haben bereits 1990 betont, dass es hierbei um gesellschaftliche sowie Veränderungen in der Denkweise geht, die eine Generationsperiode erfassen. Die 1990 einsetzende Entwicklung ist der jüngste Abschnitt einer europäischen Integration im tausendjährigen Prozess der Wiedereinbeziehung östlicher Randgebiete der lateinischen christlichen Kultur in das europäische System von Wirtschaft, Kultur und Macht. Die östlichen Randgebiete gliederten sich teilweise organisch in den Okzident ein (11. Jahrhundert, 14–15. Jahrhundert, 18–19. Jahrhundert). Es verstärkten sich andrerseits in den Gesellschaften dieser Region teilweise die sogenannten „morgenländischen” Züge (in erster Linie zur Zeit der Tataren bzw. der Türkenherrschaft – 13. Jh., 17. Jh. – und dann während der Expansion Sowjet-Russlands 1945–1990). Oftmals haben wir betont, dass im Laufe der vergangenen Jahrhunderte die marginalen Regionen im Osten des Okzidents von der Nordsee bis zur Adria in Gesellschaftsorganisation und Kultur dermaßen spezifische Züge aufweisen, die sie derzeit bereits markant sowohl von den östlichen (byzantinischen und islamischen) als auch den westeuropäischen Kulturen abgrenzen. Schon deshalb heben wir hervor, dass es bei der gegenwärtigen europäischen Integration nicht um die Frage geht, wie wir westeuropäische Institutionen und Gepflogenheiten in die Gesellschaften der Randgebiete adaptieren. Unsere Frage lautet nun schon: wie hat eine solche Europäische Union auszusehen, in der die Völker der Region ihre Spezifika wahren können? Es geht um die Anpassung aneinander, nicht jedoch um eine simple „Osterweiterung”.

All das, was hier von uns konstatiert wurde, basiert nicht ausschließlich einfach auf unseren historischen Studien, sondern auf jenen Fakten, die auf eine Verzögerung der Osterweiterung der EU hinweisen. Seit 1990 rückt der Zeitpunkt einer Osterweiterung der Europäischen Union in immer größere Ferne. Vor einigen Jahren noch träumten die drei Visegrád-Staaten (Polen, Tschechoslowakei, Ungarn) davon, im Jahre 2000 vollberechtigte Mitglieder der EU zu sein. Gegenwärtig gilt der „Fahrplan” nun für einen wesentlich längeren Zeitraum. Wie bekannt, hat man die Kandidatenstaaten in zwei Gruppen aufgeteilt und in den für Brüssel gedachten Papieren taucht jetzt sogar das Jahr 2015 als realer Zeitpunkt einer vollberechtigten Mitgliedschaft der Visegrád-Länder auf. Für uns bedeutet dies den klaren Hinweis darauf, dass in konkreten Angelegenheiten anlässlich der Verhandlungen die Schwierigkeiten einer Anpassung in den Vordergrund treten und an die Stelle politischer Tiraden wirtschaftliche sowie verwaltungsmäßige Realitäten die Oberhand gewinnen. Diese Realitäten sind es, die eine Integration der Gesellschaften der Randgebiete in das einheitliche Europa determinieren.

Aus zuvor Erwähntem folgt weiterhin, dass sich herausstellte: eine staatsorganisatorische Integration (jene der Territorialverwaltung nämlich) ist der einfachste und am schnellsten begehbare Abschnitt der Integration. Eine Integration von Wirtschaft und alltäglicher Kultur, von Gepflogenheiten und Verhaltensweisen aber wird in einem bedeutend langsameren Tempo vonstattengehen. Beim „in den Köpfen” erfolgenden Systemwechsel handelt es sich um einen wesentlich schwierigeren und langsameren Prozess als bei jenem der politischen Institutionen.

Obige Überlegungen entstammen übrigens jenen Studien, die aufgrund der Konferenzen, der wissenschaftlichen Debatten und Seminare im Europa Institut Budapest zu diesen Themenbereichen publiziert wurden. Diese Überlegungen bzw. Lehren wiederum können das vom Europa Institut in den kommenden Jahren zu befolgende Programm bestimmen. Unsere Schlussfolgerung lautet deshalb:

a) Die im Jahre 1990 vom Europa Institut formulierte Zielsetzung hat auch weiterhin Gültigkeit, denn es ist weiterhin nötig, mit den derzeit erwähnten Mitteln (Stipendien, Seminare, Vorträge) die Gesellschaften der Region – und vor allem Ungarns – sowie jene Europas einander näherzubringen

b) Das Programm des Institutes ist dem neuesten Abschnitt der europäischen Integration anzupassen. Im April 1998 haben in Ungarn die Verhandlungen mit der EU begonnen, d.h. eine beschleunigte Etappe der europäischen Einigung setzt ein. Das Institut wiederum hat im Rahmen dieser beschleunigten Etappe seinen eigenen kleinen, jedoch markant umrissenen Platz zu finden. (Politische Prognosen erwähnen den Zeitraum 1998–2005, in welchem Assoziationsverhandlungen in einzelnen politischen, wirtschaftlichen Bereichen und Sektoren des kulturellen Lebens erfolgen werden.)

Ich bitte den Stiftungsrat bzw. den Wissenschaftlichen Beirat um Stellungnahme in Bezug auf das System der Zielstellungen.

 

2. Themenschwerpunkte

 

Im Mittelpunkt unserer wissenschaftsorganisatorischen Arbeit zwischen 1994– 98 standen vier herausragende Themenbereiche:

a) Die Osterweiterung der Europäischen Union

b) Regionale Konflikte in Ostmitteleuropa

c) Der Übergang zur Marktwirtschaft

d) Probleme der zeitgenössischen Historiographie

 

a) Erster Themenschwerpunkt: Die Erweiterung der EU

In der Periode von 1990 bis 1998 hatten die westeuropäischen Forschungszentralen der Integration die Voraussetzungen einer in Aussicht gestellten Erweiterung der Europäischen Union zu ermitteln.

Herausragende Verdienste bei der Ermittlung dieser kommen der Bertelsmann Stiftung zu, die systematisch die Unionsbereitschaft der einstmals sozialistischen Länder überprüfte. Unser Institut arbeitet seit 1990 eng mit der Stiftung zusammen, d.h. mit einer wissenschaftlichen Basis der Stiftung, der Forschungsgruppe Europa mit Sitz zunächst in Mainz und später dann in München. Als Direktor des Institutes beteiligte ich mich an der Arbeit des Wissenschaftsausschusses der Stiftung mit strategischem Charakter und darüber hinaus auch an jener der Subkommission zu Minderheitenfragen. Im Jahre 1994 hat unser Institut mit der Stiftung bzw. der Münchener Forschungsgruppe einen Vertrag abgeschlossen. Im Rahmen dieser vertraglichen Zusammenarbeit veranstalteten wir 1995/96 jene internationalen Seminare in Ungarn, die auf die EU-Fähigkeit unseres Landes auf den Gebieten von Wirtschaft, Recht und Gesellschaftspolitik eingingen. An diesen Konferenzen beteiligten sich Führungskräfte der Brüsseler Administration ebenso wie die derzeitige heimische Politelite unterschiedlichster Parteizugehörigkeit. Beruhend auf diesen Konferenzmaterialien wurden für Brüssel die Interview-Unterlagen über Ungarn angefertigt. (Ähnliche Konferenzen hat man auch in Polen, Tschechien und in der Slowakei veranstaltet.) Anlässlich dieser Konferenzen hat unser Institut die „europafähigen” Persönlichkeiten der heimischen Politelite „gemanagt”. Unseres Wissens ging Ungarn aus dem Vergleich der Länder mit wirklich positiver Einschätzung hervor, was zum Teil der fachlichen Kompetenz, der Sprachkenntnis und nicht zuletzt der Führungskultur der betreffenden Politiker zu verdanken ist. Auf den Veranstaltungen traten die politischen Führungskräfte sowohl der Regierung als auch der Opposition äußerst kultiviert auf, die Regeln eines demokratischen Mehrparteiensystems strikt einhaltend. Minister und Beamte der gegenwärtigen und einstigen Koalition saßen nebeneinander. Diese politische Kultiviertheit und jener Fakt, dass wir einen so guten Eindruck erwecken konnten, ist vielleicht ein wenig der Tatsache zu verdanken, dass das Europa Institut während der vergangenen Jahre immer parteineutral zu bleiben vermochte. Es stand gleichmäßig fern von allen politischen Parteien und stand sämtlichen politischen Parteien gleich nahe.

Unser Institut verfertigt (aufgrund des mit der Bertelsmann Stiftung getroffenen Abkommens gemeinsam mit dem Forschungsinstitut für Weltwirtschaft) die EU-Presseschau Ungarns. Von Bedeutung ist dies schon deshalb, weil in den für Brüssel vorbereiteten Papieren die EU-Politik Ungarns aufgrund dieser Informationen beurteilt wird.

Das heißt, unser Institut hat sich mit seinen bescheidenen Mitteln äußerst aktiv an der Ermittlung der Voraussetzungen für die Erweiterung der Europäischen Union und der Repräsentation des Landes gegenüber Westeuropa beteiligt.

Ein bedeutender Meilenstein des Einigungsprozesses ist die Unionsmitgliedschaft Österreichs. Wie wir schon in unserem Bericht 1997 andeuteten, rechnet unser Institut damit, dass Österreich – genauer gesagt, der österreichischen wissenschaftlichen Eliteintelligenz – im Laufe der nächsten Jahrzehnte eine herausragende Bedeutung in der neuen „Ostpolitik” zukommen kann. Auf dieser Auffassung basiert die Ausweitung der Thematik der mit dem ÖOSI bereits zuvor bestehenden Zusammenarbeit auf konkrete Themenbereiche der EU-Osterweiterung. Wie aus dem Veranstaltungskalender unseres Berichtes ersichtlich ist, haben wir mit unseren österreichischen Kollegen 1997–98 mehrere Konferenzen zur Konfrontation von Anforderungen der EU und Voraussetzungen Ungarns veranstaltet. Dies waren Expertenkonferenzen, an denen sich die betreffende Fachverwaltung und Legislative sowie eine Gruppe von Politologen beteiligte. (Besonders großes Interesse widmete man den Konferenzen über Migration und Rechtsangleichung, doch erhoffen wir dies auch für die noch ausstehenden Seminare, so z.B. die schon im Juni stattfindende Debatte zum Problembereich Immobilien.)

Große Aufmerksamkeit widmeten wir darüber hinaus der Bekanntgabe der Anforderungen der Integration an Ungarn. Im Rahmen ihrer eigenen Illusion bedeutet für die ungarische Gesellschaft eine große Enttäuschung, dass es sich bei der westlichen Integration nicht um ein Hilfsprogramm sondern eine Zwangsmodernisierung handelt. Diese Zwangsmodernisierung wiederum geht einher mit einer radikalen Umgestaltung der heimischen Produktionsstruktur sowie des Allgemeindenkens. Und dieser Wandel bietet gewissen Gesellschaftsschichten vorteilhafte Situationen, versetzt aber andere in eine aussichtslose Lage. Die ungarische Gesellschaft wird kontinuierlich von ihren anfänglichen Illusionen geheilt, wobei jedoch diese Enttäuschung bereits zu einer Integrationsfeindlichkeit führt. Zumindest die ungarischen Mittelschichten müssen verstehen, welche Vorteile die Integration bietet und welche Veränderungen uns damit aufgezwungen werden. Anlässlich unserer Konferenzen und Seminare befassten wir uns mit diesen Erscheinungen und waren darum bemüht, diesen Konferenzen umfassende Publizität zu verschaffen. Tagespresse und Fernsehen beschäftigten sich mit unseren Veranstaltungen, wenn jene auf zu erwartende allgemeine politische, institutionelle oder wirtschaftliche Auswirkungen der Erweiterung eingingen. Teilnehmer unserer Veranstaltungen (von denen wir zum Beispiel die eine im Konferenzsaal des Parlamentes organisierten) waren führende Politiker des In- und Auslandes, darunter der Staatspräsident Ungarns, Ministerpräsidenten, gegenwärtige und ehemalige Minister ebenso wie z.B. aus dem Westen der deutsche Außenminister a.D. Hans-Dietrich Genscher, die Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth, der flämische Ministerpräsident, der Vizepräsident des österreichischen Parlamentes und Botschafter – u.a. jener der EU in Ungarn.

Für uns hat die europäische Integration einen neuen Abschnitt erreicht, in Brüssel hat man mit den Beitrittsverhandlungen begonnen. Erst jetzt wird deutlich, dass wir uns nicht sehr irrten, als wir behaupteten, dass es in den ehemals sozialistischen Ländern an einer sich in der europäischen Administration auskennenden Politadministration mangelt. (So, wie es auch in Brüssel keine sich in den Ostterritorien auskennenden Experten gibt.) Die ungarische Regierung hat 1997 beschlossen, in den einzelnen Ministerien Fachausschüsse zwecks Bekanntmachung mit den Anforderungen der EU und Monitoring der Spezialgebiete in Ungarn zu gründen. Gleichzeitig werden an Universitäten und Hochschulen Fachrichtungen bezüglich der Europäischen Union ins Leben gerufen. Die Direktion unseres Institutes plant, für graduierte und postgraduierte Studenten Europa-Seminare einzuführen, und zwar zweimal jährlich im Rahmen 6–8wöchiger Kurse (d.h. mit wöchentlich je zwei Vorträgen oder Seminaren) zwecks Debattieren konkreter Fachprobleme. Der Plan dieser Seminarreihe wird von Károly Manherz, Attila Pók und Zoltán Sánta erstellt und zusammengefasst.

Mit anderen Worten: das Europa Institut kann sich in der Periode 1998–2002 bereits zu einer ‘Hintergrundinstitution’ für konkrete Verhandlungen zum EU-Beitritt entwickeln und eine Garde von jungen Personen aufstellen, die künftig die wirtschaftliche, kulturelle sowie politische Integration realisiert und welche sich aktiv an den bis 2015 andauernden institutionellen Reformen beteiligen kann. Schon deshalb erachten wir dies als wichtig, weil es bei der Geschichte der Integration immer um das Eine geht: auf welche Weise vermag der bisher Außenstehende für seine eigenen spezifischen Interessen im Rahmen der Integration als Gesamtheit den entsprechenden Platz zu finden. Im vorliegenden Falle geht es darum, wie der Kleinstaat Ungarn und die ungarische Nation im vereinten Europa ihren Platz finden.

 

b) Zweiter Themenschwerpunkt: Regionale Konflikte in Mitteleuropa

Zu einer der ersten Themenpräferenzen unseres Institutes zählte die Neueinschätzung unseres Mitteleuropäertums. Die Kleinstaaten der Region veranstalteten zwischen 1990 und 1995 bei den Westmächten einen Wettlauf zwecks Debattierens aller betreffenden Probleme. Für die zuvor bereits erwähnte Migrations- und Minderheitenforschung gestaltete sich unser Institut auf dieser Weise zu einer der Werkstätten Mitteleuropas. Aus diesem Grunde haben wir der Regierung im vergangenen Jahr vorgeschlagen, unseren Versuch zur Gestaltung eines „mitteleuropäischen Davos” in Budapest zu unterstützen. Wir sollten in einem jeden Jahr im Mai den Führungskräften jener Länder ein Forum bieten, die noch an der Schwelle der EU stehen. (Leider setzten die Vorgefechte zu den Parlamentswahlen dermaßen früh ein, dass die Aufmerksamkeit von unserem Vorschlag abgelenkt wurde. Wir hoffen, dass das neue Parlament bzw. die neue Regierung unsere Anregung unterstützt.)

Ab 1998 tritt eine neue Situation ein, denn in der Region werden die Beitrittsverhandlungen mit Polen, Tschechien, Ungarn und Slowenien aufgenommen. Eindeutig stellt sich heraus, dass schon bald eine ‘EU-Grenze’ die Länder der Region voneinander trennt. Zu befürchten ist, dass wirtschaftliche, politische und kulturelle Kooperationen zwischen den neuen Mitgliedsstaaten der EU und den nur assoziierten Ländern nicht bestehen bleiben. Die Direktion unseres Institutes empfiehlt, ein Forum für regelmäßige Debatten darüber zu gewähren, was diese neue Situation für Ungarn und seine Nachbarn bedeutet, die nicht Mitglieder der EU sind (Slowakei, Rumänien, Kroatien, Serbien). Sollten nicht auch wir Vorschläge im Interesse dessen unterbreiten, dass EU-Grenzen nicht die sich in den vergangenen Jahren entfaltende gute Zusammenarbeit zwischen Ungarn und seinen Nachbarn beeinflussen?

Die Erforschung des Minderheitenproblems sehen wir auch weiterhin als eine unserer Aufgaben an. Die Werkstatt der Minderheitenforschung an der Akademie kam durch unsere Beteiligung zustande. Ein Teil der Arbeit beruht auf der von uns publizierten Analyse „Die Minderheitenfrage in Ostmitteleuropa”.

Wir wünschen uns u.a. mit Großprojekten zu befassen, die die natürliche und gestaltete Umwelt der mitteleuropäischen Völker betreffen. Wir möchten eine Konferenz über unseren Gemeinschaftsschatz, die Donau (1999) bzw. über die Infrastruktur in Ostmitteleuropa während der Osterweiterung (2000) organisieren.

Im Rahmen einer Seminarreihe wünschen wir auf die Möglichkeiten der Regionalität in der Periode der Osterweiterung einzugehen (2000–2001), und zwar mit besonderer Rücksicht auf die grenzüberschreitenden Regionen.

Dies bedeutet, dass das Europa Institut sich in der Zeit von 1998–2002 neuen Teilbereichen des Mitteleuropaproblems zu widmen hat.

 

c) Dritter Themenschwerpunkt: Der Übergang zur Marktwirtschaft

Das Eingehen auf Fragen der Marktwirtschaft hat der Kurator Dr. Herbert Batliner anlässlich unserer Sitzung im Jahre 1992 in Vaduz vorgeschlagen. Diese Seminarreihe ist außerordentlich erfolgreich. Referenten waren in der Zeit von 1994 bis 1998 herausragende Vertreter des Wirtschaftslebens Ungarns (János Kornai, Tamás Bácskai, Károly Lotz, András Inotai, Csaba Hütter, Gyula Varga, Tamás Sárközy). Beteiligt haben sich an diesen Veranstaltungen die hervorragendsten Vertreter des heimischen Wirtschafts-, Fachverwaltungs- und Wissenschaftsbereiches. (Die Themen dieser Seminare gingen auf Marktwirtschaft und umfassende soziale Betreuungssysteme, die Privatisierung in Mitteleuropa und Ungarn, die Europäische Union und Prozesse der Makroökonomie, das Bankensystem und den Eigentumswechsel, die Europäische Union und das Agrarwesen ein.) Im Laufe dieser Seminare wurde deutlich gemacht, dass die ungarischen Mittelschichten einer neuen Illusion zu berauben sind. Zum einen kann nicht erwartet werden, dass man das wettbewerbszentrische Prinzip der Marktwirtschaft mit dem paternalistischen Prinzip des Staates paart. In dieser Region handelt es sich bei Tradition des übermäßigen staatlichen Eingreifens um eine 200jährige Tradition – auch in der Wirtschaft. Die Weltwirtschaft zum Ausgang des 20. Jahrhunderts duldet aber kaum die direkte Einmischung des Staates in das Wirtschaftsleben. Gleichzeitig jedoch ist erforderlich, dass der Staat ein solches unternehmensfreundliches Umfeld an Rechtsvorschriften und Lehr-Qualifikationspolitik gestaltet, welches Großinvestoren auf das Staatsgebiet lockt und damit neue Arbeitsplätze schafft. Eine weitere Illusion, der die ungarische Gesellschaft gezwungenermaßen verlustig gehen muss, ist jene von der Beibehaltbarkeit der osteuropäischen Arbeitsmoral. Wie bereits von uns formuliert wurde: es ist zur Kenntnis zu nehmen, dass man nicht leben kann wie im Westen und arbeiten wie im Osten.

Diesen dritten Themenschwerpunkt wünschen wir auch zwischen 1998 und 2002 beizubehalten, ähnlich wie bisher die Seminarreihen fortsetzend und neue Teilbereiche der Anforderungen der Marktwirtschaft einbeziehend, die Auswirkungen auf das kulturelle Leben, das Gesundheitswesen und die Sozialbereiche erörternd.

 

d) Vierter Themenschwerpunkt: Probleme der zeitgenössischen Historiographie

Vom Zeitpunkt seiner Gründung an wünschte das Institut jene historischen Probleme aufzuarbeiten, die sich selbst auf das allgemeinpolitische Denken unserer Tage aktiv auswirken. In diesem Zusammenhang gingen mehrere unserer Konferenzen zwischen 1990 und 1996 auf Fragen der Österreichisch-Ungarischen Monarchie ein, auf strittige Fragen der Geschichtsschreibung der in dieser Region lebenden Nationen, und im Jahre 1996 begannen wir mit der vergleichenden Analyse der Geschichte des Ostblocks (1945–1990). In diesem Zusammenhang arbeiten wir gemeinsam mit den Instituten unserer Nachbarländer. (Erwähnt seien an dieser Stelle das Wiener ÖOSI aber auch das Potsdamer Institut für Zeitgeschichte oder das Münchener Südostinstitut und die Südostdeutsche Historische Gesellschaft.) Eine konfliktlösende Wirkung verzeichneten wir aber ebenso während unserer erfolgreichen Konferenz zu den Revolutionen von 1848/49 – gemeinsam veranstaltet mit unseren österreichischen, rumänischen und tschechischen Kollegen.

Wir wünschen, diese zeithistorische Thematik zwischen 1998 und 2002 weiterzuführen, Thematika neuer Teilbereiche auszuarbeiten. In Zusammenarbeit mit unseren österreichischen Kollegen planen wir folgende Konferenzen:

–1999: Systemtransformation und Geschichtsschreibung in Ostmitteleuropa

– 2000: Staatsgründungen in Mittel- und Osteuropa (1000. Jahrestag der Gründung des Staates Ungarn)

– 2001: Regionalität und Wirtschaftsprozesse in der Zeit 1920–2000

 

e) Ein neuer thematischer Schwerpunkt: Die Rolle der Wissenschaft hinsichtlich Emanzipation der Region Ostmitteleuropa

Die Eingliederung der ostmitteleuropäischen Region in die Globalwirtschaft und die westeuropäischen Politsysteme kann nur dann erfolgreich sein, wenn der wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Eliteintelligenz der hiesigen kleinen Völker eine entsprechende Rolle zukommt. Der Übergang zur Marktwirtschaft hat einen Großteil der lokalen wissenschaftlichen Institutionssysteme zerstört. Die lokale staatliche Sphäre ist verarmt und nicht in der Lage, Institute der Wissenschaft sowie Lehrstühle auf entsprechendem Niveau beizubehalten, sie in Bezug auf große westliche Wissenschaftsinstitute konkurrenzfähig zu gestalten. Andererseits richten die in unsere Region vordringenden multinationalen Konzerne ihre eigenen Forschungsbasen nicht bei uns ein, sondern bringen allein die Lizenzen der in verschiedensten Gegenden der Welt befindlichen Forschungs- und Entwicklungszentren mit sich. Schon deshalb handelt es sich um eine Schlüsselfrage für Nationalökonomie und Kultur der Region, wenn es um die Zukunft der ostmitteleuropäischen Wissenschaftsbasen geht. Diese Zentren existierten in den vergangenen 50 Jahren aufgrund staatlicher Aufträge und staatlicher Subventionen, die nun im Laufe der Privatisierung ausblieben. In Ungarn (aber auch den anderen benachbarten, einst sozialistischen Ländern) stellt die Wissenschaftspolitik einen „weißen Fleck” dar. Jenen Zufall nutzend, dass der Direktor des Institutes gleichzeitig der Präsident der Ungarischen Akademie der Wissenschaften ist, wünscht die Leitung des Institutes sich nach 1998 vorrangig mit bestimmten Fragen der Wissenschaftspolitik zu befassen, unter anderem in erster Linie mit den sich durch die Osterweiterung der EU ergebenden neuen Voraussetzungen. Wir planen Konferenzen über den Konsens der in der Region bereits bestehenden drei Richtungen der Wissenschaftspolitik (kontinentale Wissenschaftspolitik, staatliche Wissenschaftspolitik und betriebliche Wissenschaftspolitik). Im Jahre 1999 wünschen wir eine internationale Konferenz über die Auswirkungen des V. Rahmenprogrammes der EU auf die Forschungszentren der ost-mitteleuropäischen Region zu veranstalten. Im selben Jahr möchten wir darüber hinaus gemeinsam mit dem ÖOSI eine Konferenz zur österreichisch-ungarischen wissenschaftlichen Zusammenarbeit organisieren.

 

*

 

Mit anderen Worten heißt dies, dass die Direktion die stufenweise gestalteten thematischen Schwerpunkte weiterentwickeln möchte und neben die bisherigen vier einen fünften Schwerpunkt, die Wissenschaftspolitik in das Programm aufzunehmen wünscht.

 

3. Schwerpunkte der Aktivitäten

 

a) Konferenzen, Seminare, Vorträge

Laut Statut empfängt das Institut Stipendiaten und organisiert Konferenzen, Seminare im Interesse der Verwirklichung seiner Ziele. Diese Aktivitäten haben sich im Verlaufe der vergangenen Jahre entwickelt und wurden sowohl vom Wissenschaftlichen Beirat als auch dem Stiftungsrat als erfolgreich eingeschätzt.

 

b) Publikationstätigkeit

Im Jahre 1995 vertrat das Kuratorium den Standpunkt, dass das Institut sich um den Ausbau einer eigenen Publikationstätigkeit bemühen sollte. Das heimische Verlagswesen liegt in Bezug auf fremdsprachige wissenschaftliche Buch- und Zeitschriftenausgaben am Boden. Im Jahre 1996 begannen wir mit der Herausgabe der Reihe „Begegnungen”, in der bisher 5 Bände erschienen sind. In Druck gingen die 1998 zu publizierenden Bände 6 und 7, was heißt, dass ein neuer Schwerpunkt unserer Aktivität, die Publikation kontinuierlich gestaltet wird. Das fachliche Niveau der Bände fand ein gutes Echo, denn herausragende Vertreter des internationalen sowie heimischen politischen, künstlerischen und wissenschaftlichen Lebens kamen zu Wort. Die Ausgaben (1200 Exemplare) werden von uns versandt, d.h. Exemplare gehen an nationale und größere internationale Bibliotheken. Ab 1998 möchten wir regelmäßig Sonderdrucke anfertigen sowie die Verbindung zu Instituten ähnlichen Profils aufnehmen, somit die Distribution effektiver gestaltend.

 

c) Corvinus-Preis

Als einer der Stifter des Institutes hat Dr. Dr. Herbert Batliner im Jahre 1995 den Vorschlag unterbreitet, aus seinem Privatkapital einen Corvinus-Preis zu stiften, welcher im Werte von 30.000 Schweizer Franken alle zwei Jahre verliehen würde. Der Preis kann an solche Repräsentanten des europäischen und ungarischen kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Lebens verliehen werden, die Herausragendes für die Verbindung des ungarischen und europäischen Geistes leisteten. Zum ersten Male erfolgte die Preisverleihung im März 1997 an den ungarischen Filmregisseur und Oscar-Preisträger István Szabó. Auf der Festveranstaltung erschienen der Staatspräsident Árpád Göncz, der Stifter Dr. Dr. Herbert Batliner, sowie der Präsident Ferenc Glatz, die auch Ansprachen hielten. Die Grußworte des Vizekanzlers a.D. Dr. Erhard Busek übermittelte Prof. Károly Manherz. Den nächsten Preis wird der Stiftungsrat im Jahre 1999 zuerkennen. Bereits im vergangenen Jahr wurde der Vorschlag unterbreitet, den Corvinus-Preis mit der Zuerkennung eines einjährigen Stipendiums am Europa Institut an einen der Schüler des Ausgezeichneten zu verbinden.

 

d) Kunstabende im Europa Institut

Schon seit 1992 gilt die Reihe „Künstler und Künste im Europa Institut” praktisch als Jahresauftakt und auch in den Jahren 1994–1998 waren diese Veranstaltungen sehr beliebt, deren Gastgeber jeweils der Professor unseres Institutes, István Nemeskürty ist. Wir wünschen, diese Tradition nach 1998 ebenfalls fortzusetzen, ergänzt aber mit Musikabenden.

 

4. Betriebsordnung

 

Stiftungsrat und Wissenschaftlicher Beirat des Institutes tagten im Laufe der vergangenen vier Jahre der üblichen Ordnung gemäß, was auch aus den Berichten hervorgeht. Jährlich wird der Bericht gedruckt und vom Wissenschaftlichen Beirat sowie Kuratorium debattiert, gleichzeitig wird dazu bezüglich der Pläne für das kommende Jahr Stellung genommen. Über den Jahresbericht hinaus verfertigt der Direktor eine Zusammenfassung zu einzelnen Zeitabschnitten seines Amtes (so z.B. den Bericht der Jahre 1990–1994 oder den jetzigen über die Periode 1994–1998). Die Berichte werden auch in je einem Band der Serie „Begegnungen” publiziert.

Der Vorstand tagt wöchentlich. An jedem Dienstag essen wir gemeinsam zu Mittag (der Direktor, drei Professoren, die beiden stellvertretenden Direktoren, die Leiterin der Administration, die Finanzleiterin und der Seniorstudent). Dem Mittagessen folgt die Vorstandssitzung, auf der Anträge von Stipendiaten, Fragen des Institutsbetriebes und administrative Angelegenheiten bezüglich wissenschaftlicher Veranstaltungen besprochen werden. Der Vorstandssitzung folgt um 16 Uhr die Kaffeerunde. Für die Stipendiaten des Institutes ist die Teilnahme daran Pflicht, denn hier stellen sich die neuen Stipendiaten vor, die vor der Abreise Stehenden legen Rechenschaft ab und es bietet sich die Möglichkeit zu Konsultationen mit den sich im Institut aufhaltenden Gastprofessoren und auch eingeladenen Referenten. Anlässlich gesonderter Sitzungen befassen sich der Direktor und sein geschäftsführender stellvertretender Direktor regelmäßig mit der finanziellen und Vermögenssituation des Institutes, mit den Geldanlagen und der Suche nach verschiedenen Sponsoren.

Auf die Sitzungen, Konferenzen und die Stipendiaten der vergangenen vier Jahre wird im zweiten Teil unserer jetzigen Zusammenfassung detailliert eingegangen. Einige Lehren in diesem Zusammenhang wird der stellvertretende Direktor Attila Pók dem Wissenschaftlichen Beirat und dem Stiftungsrat mündlich vortragen.

Besonders erwähnt werden muss an dieser Stelle die traurige Tatsache, dass der eine wissenschaftliche Grundpfeiler unseres Institutes, der weltweit bekannte Historiker Péter Hanák im vergangenen Jahr verstarb. Mit seinem Tod erlitt das Europa Institut einen unersetzlichen Verlust.

Seit 1990 hat sich beim Personal des Institutes nur so viel geändert, dass an die Stelle der in den Ruhestand gehenden Buchhalterin Frau Verseczi Frau Mária Ughi getreten ist.

 

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Rückblickend auf die letzten vier Jahre können wir unsere Meinung wie folgt zusammenfassen:

Die Leitung des Institutes hat immer die Zielsetzungen des Statutes aus dem Jahre 1990 befolgt. Es erwies sich als richtig, regelmäßig die Sitzungen des Wissenschaftlichen Beirates und des Stiftungsrates einzuberufen, da auf diese Weise eine kontinuierliche Kontrolle gewährleistet ist und ein Rat gebendes Gremium das Wirken des Institutes unterstützt. Praktisch jährlich gibt es eine Neuerung, eine Reform, die auf jenen Sitzungen formuliert wird und welche das Institut vor jener Gefahr bewahrt, dass das Organ nicht mehr flexibel genug bleibt. Diese mangelnde Flexibilität nämlich ist die größte Gefahr für eine jede wissenschaftliche Tätigkeit und bisher ist es uns gelungen, ihr auszuweichen. Wir wünschen, auch künftig unseren Arbeitsstil beizubehalten.

Budapest, 1. Juni 1998

Ferenc Glatz

Direktor