Begegnungen
Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Band 17/II:13–50.
STEFAN SMID
Nationale Insolvenzrechte
DEUTSCHES INSOLVENZRECHT
Aktuelle Literatur: Häsemeyer, Insolvenzrecht, 2. Aufl. (1998); Hess, Insolvenzrecht, 5. Aufl. (1999); Smid, Grundzüge des neuen Insolvenzrechts, 3. Aufl. (1999); Wimmer (Hrsg), Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung, 2. Aufl. (1999); Kübler/Prütting (Hrsg), InsO. Kommentar zur Insolvenzordnung, 2 Bde, (2001).
A) Reform des Insolvenzrechts
1. Reformziele
1999 ist die alte deutsche Konkursordnung, die Vergleichsordnung und in Ostdeutschland die Gesamtvollstreckungsordnung durch die Insolvenzordnung (InsO) abgelöst worden. Selten ist die Reform eines wirtschaftsrechtlichen Gesetzes mit einer Skepsis begleitet worden, wie sie der Insolvenzordnung entgegengebracht worden ist. Anders als ihre Vorgängerin, die Konkursordnung von 1877, die als „Perle der Reichsjustizgesetze” triumphal gefeiert wurde, hat das neue Gesetz schon im Vorfeld heftige Kritik auf sich gezogen.1 Der Aufbruch in das Zeitalter der InsO bedeutet die Abkehr von einem allein als Haftungsordnung in der Insolvenzlage eines Schuldners begriffenen Insolvenzrecht hin zu einem Recht, dessen Instrumente der Schuldner bis in eine Situation weit vor dem Eintritt materieller Insolvenz zur Einbindung seiner Gläubiger in ein Sanierungskonzept nutzen können wird.
Die Reformziele lauteten: Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit des Insolvenzrechts durch Sicherstellung kostendeckender Masse und Erleichterung der Verfahrenseröffnung; die Eröffnung des Zugangs zu einem effizienten gerichtlichen Sanierungsverfahren im Rahmen eines einheitlichen Insolvenzverfahrens; schließlich die Einrichtung eines Verfahrens der Verbraucherinsolvenz zur Gewährung einer „Restschuldbefreiung” an „redliche” Schuldner.2 Die Reform war durch den Zustand des überkommenen Konkurs- und Vergleichsrechts veranlasst. Über dessen Funktionsverlust bestand allgemein Einigkeit. Die haftenden Schuldnervermögen werden durch besitzlose Sicherheiten, auch durch die Aufwertung der Arbeitnehmerforderungen zu unechten Masseforderungen ausgedünnt und die Befriedigungschancen der Insolvenzgläubiger im übrigen durch die Ausdehnung von Vorrechten geschmälert. Überwiegend wurden und werden Konkurs- und Gesamtvollstreckungsanträge mangels Masse abgewiesen; eine Sanierung im Vergleichsverfahren kam und kommt nur in äußerst seltenen Fällen zustande und hoch verschuldete Privatpersonen waren und sind der Vollstreckung durch ihre Gläubiger ohne Aussicht auf einen Ausweg ausgesetzt. Es ist nicht in Abrede zu stellen, dass die Reform durchaus zu einzelnen Verbesserungen geführt hat – die freilich z. T., wie etwa die Regelung eines Verfahrenskostenbeitrags gesicherter Gläubiger (§ 171 InsO) oder die gesetzliche Bestimmung der Absonderungsrechte (§§ 49-51 InsO), halbherzig geblieben sind. Diese Änderungen hätten vielleicht effizienter mit einer „kleinen” Insolvenzrechtsreform3 erreicht werden können.4 Es lässt sich mit Fug behaupten, dass die Reform in einer Vielzahl von Regelungen Verbesserungen mit sich bringt. Ebenso ist aber nicht zu verkennen, dass die Reform ihre Ziele insofern verfehlt hat, als an die Stelle eines einfachen Verfahrens ein hochkompliziertes Regelwerk tritt, dessen Anwendung der Praxis nicht nur Probleme aufbürdet, sondern nicht ohne erhebliche Belastungen des Justizapparates zu bewältigen sein wird.
2. Rezeption US-amerikanischen Insolvenzrechts: Der fresh-start-Gedanke
So wird das Verständnis des Reformwerks insbesondere nicht dadurch leichter, dass der Gesetzgeber sich nachdrücklich am US-amerikanischen Insolvenzrecht des bankruptcy code orientiert hat: Die Übernahme nordamerikanischer Rechtsnormen – insbesondere des Insolvenzplans mit neuen Erscheinungen wie der claim classification (der Gruppenbildung nach § 222 InsO) und der cram-down procedure (dem Obstruktionsverbot des § 245 InsO) in den Sinnkontext des deutschen Rechts bereitet Probleme eigener Art. Aus dem US-amerikanischen Recht in das deutsche Insolvenzrecht importiert ist nicht zuletzt das Verfahren unter Eigenverwaltung des Schuldners, von dem zu erwarten ist, dass es, einmal von der beratenden Praxis entdeckt und in seinen Möglichkeiten ausgeschlossen, das Gesicht des herkömmlich bekannten mitteleuropäischen Insolvenzrechts gravierend verändern wird. Das diese mögliche Veränderung bezeichnende Stichwort lautet Ablösung der Haftungsverwirklichung durch den Gesichtpunkt der Ermöglichung eines fresh start des Schuldners nach Durchführung eines Insolvenzverfahrens. Das neue Insolvenzrecht erlaubt es, dass unter seinem („einheitlichen” – sogleich B) Dach neben der Haftungsverwirklichung durch Verhängung einer „Generalexekution” über den Schuldner ein Verfahren wird Raum greifen können, in dem es nicht um die gerichtliche Behandlung einer („materiellen”) Insolvenzlage des Schuldners geht, sondern darum, einen „automatic stay”5 (Ausschluss von Individualvollstreckungen – § 89 InsO; Ausschluss von Leistungsklagen; Ausschluss der Verzinsung von Insolvenzforderungen während des eröffneten Verfahrens usf.) für die Sanierung eines Schuldners nutzbar zu machen, in dessen Person die klassischen Insolvenzgründe von Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung (noch) nicht vorliegen.
B) „Einheitlichkeit” des Insolvenzverfahrens und Verschiedenartigkeit von Verfahren
Die Vorschrift des § 1 InsO geht über die Festschreibung der überkommenen und selbstverständlichen Exekutionsfunktion des Insolvenzverfahrens hinaus.6 Das überkommene Recht trennte ein Sanierungs(vor-)verfahren des Vergleichs vom liquidierenden Konkursverfahren. Vergleichsverfahren wurden nur noch selten durchgeführt7 und endeten regelmäßig in Anschlusskonkursen, was ihre Eignung, ein Verfahren der Unternehmenssanierungen bereitzustellen, zweifelhaft werden ließ.8 An der „Zweiteilung” des Insolvenzrechts in sanierenden Vergleich und liquidierenden Konkurs wurde zum einen bemängelt, ein exekutiv auf Liquidation des Schuldnervermögens ausgerichteter Konkurs sei unwirtschaftlich.9 Mit § 1 InsO hat der Gesetzgeber auf diese (vermeintlichen) Missstände des überkommenen Rechts reagiert und die Einheitlichkeit10 des Insolvenzverfahrens statuiert.11 Neben der Haftungsverwirklichung durch Liquidation des gemeinschuldnerischen Vermögens soll danach „gleichrangig” die Sanierung des schuldnerischen Unternehmensträgers stehen.12
Die vom Gesetzgeber angestrebte Einheitlichkeit des Insolvenzverfahrens bezieht sich allerdings nur auf die einheitliche Einleitung eines Verfahrens, das sowohl die Liquidations-, als auch die Sanierungsoption aufweisen kann.13 Schon im bisherigen Recht gab es (beispielsweise mit dem Nachlassverfahren) Sonderinsolvenzverfahren, die allerdings ihren Grund in materiellrechtlichen Strukturen (wie der Beschränkung der Erbenhaftung) haben. Das neue Recht wird die Aufteilung des einheitlichen Konkurses in Sonderinsolvenzverfahren bis hin zu einer Zersplitterung verstärken. Zum einen wird sich der Regelfall des liquidierenden Verfahrens vom Sanierungsverfahren mit Insolvenzplan nach den §§ 217 ff. InsO erheblich unterscheiden. Künftig wird darüber hinaus neben dem klassischen Sonderverfahren der Nachlassinsolvenz ein Kleinverfahren nach den §§ 304 ff. InsO ein vom Regelfall erheblich abweichendes Verfahren bilden. Daneben wird es im Vorfeld der „materiellen Insolvenz” ein Verfahren geben, das der Schuldner, dem Zahlungsunfähigkeit nur droht, zur Sanierung einleiten kann. Der Gesetzgeber eröffnet ihm mit den §§ 270 ff. InsO die Perspektive der sog. Eigenverwaltung. Entsprechend § 22 Abs. 2 GesO sieht § 102 Abs. 3 EGInsO14 vor, dass die Anerkennung des im Ausland eröffneten Insolvenzverfahrens die inländische Eröffnung eines Partikularinsolvenzverfahrens über das im Inland belegte Vermögen nicht ausschließt. Die inländische Verfahrenseröffnung setzt dann nicht mehr die Feststellung des Vorliegens von Insolvenzgründen voraus. Ein inländisches deutsches Sonderinsolvenzverfahren kann nach der Verordnung über Insolvenzrecht auch auf Antrag eines Verwalters eröffnet werden, der in einem, von der Eröffnungsbehörde in einem ausländischen europäischen Vertragsstaat eröffneten Hauptinsolvenzverfahren eingesetzt worden ist.15 All diese Verfahren unterscheiden sich erheblich voneinander.
Die Einheitlichkeit des Insolvenzverfahrens (§ 1 S. 1 InsO) kann im übrigen auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Grundfall der Insolvenz im herkömmlichen Sinne – also des Verfahrens, das beim Vorliegen von Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung des Schuldners eingeschlagen wird – sich weiterhin als Verfahren der gerichtlichen Zwangsliquidation des schuldnerischen Vermögens darstellt.16 Die Reform hat durchaus einzelne Bedingungen verbessert, unter denen das Sanierungsverfahren durchgeführt wird, um die Gleichbehandlung der Gläubiger im Insolvenzverfahren zu gewährleisten.17 In diesem Überblick brauchen nur einzelne beispielhafte Reformmaßnahmen genannt zu werden, die für die Verbesserung der Lage der Verwaltung besonders hervorzuheben sind: Hierzu gehört, dass dem Verwalter im Falle der Insolvenz des Eigentumsvorbehaltskäufers gem. § 107 Abs. 2 S. 1 InsO das Nutzungspotential der Sache bis kurz nach dem Berichtstermin zur Verfügung steht, dass die gesicherten Gläubiger einen Verfahrenskostenbeitrag zu entrichten haben (§ 171 InsO) und schließlich, dass mit der Anfechtbarkeit Rechtshandlungen gleichstehender Handlungen des Schuldners ein besonderer Rechtsbehelf gem. § 132 Abs. 2 InsO bereitgestellt worden ist.18
C) Von der Verstärkung der Ordnungsfunktionen des „klassischen” Insolvenzverfahrens bis zur Eigenverwaltung durch den Schuldner
1. Eröffnung masseunzulänglicher Verfahren: Verstärkung der ordnungs-
politischen Funktionen des Insolvenzverfahrens auf Kosten der Gläubiger?
Unter der Geltung des alten Konkurs- und Gesamtvollstreckungsrechts wurde in dem weitaus überwiegenden Teil der Fälle, in denen Anträge auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt werden, der Erlass eines Eröffnungsbeschlusses mangels Masse abgelehnt (§ 107 KO, § 4 Abs. 2 GesO). Das künftige Recht, dessen § 26 InsO die Verfahrenseröffnung erleichtern helfen wird, mag hier Abhilfe schaffen.19 Ebenso wie im bisherigen Recht wird sich damit aber – vielleicht bei einer größeren Zahl eröffneter Verfahren sogar dramatischer als bisher20 – in sehr vielen Verfahren die Frage stellen, was zu geschehen hat, wenn „Massearmut” oder „Masseunzulänglichkeit”21 eintreten; das wird dann in einer hohen Zahl zunächst eröffneter Verfahren zur alsbaldigen Einstellung gem. § 207 InsO führen22 (dazu sogleich B.). Die Eröffnung auch masseunzulänglicher Verfahren erfolgt allerdings nicht (allein oder vornehmlich) im „Allgemeininteresse”,23 sondern dient der Haftungsrisiken minimierenden Schaffung der rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeit des Insolvenzverwalters, ein Verfahren aus der Masseunzulänglichkeit „herauszuführen”; selbst wo dies nicht gelingt, können im masseunzulänglichen Verfahren unerledigt gebliebene Aufgaben des Gemeinschuldners „nachgeholt” werden, deren Abarbeitung nicht allein im öffentlichen Interesse liegt, sondern den Insolvenzgläubigern oder einzelnen Gläubigergruppen dient; hier sei z. B. an die Ausstellung von Arbeits- und Verdienstnachweisen u. dgl. m. erinnert, die schon in rentenrechtlicher Hinsicht für die betroffenen Arbeitnehmer (also Insolvenzgläubiger!) von höchster Bedeutung ist. Mehr noch: Die Ordnungsfunktion des Insolvenzverfahrens24 erzwingt nachgerade eine erleichterte Verfahrenseröffnung in Fällen unzureichender Masse. Es ist aber nicht zu übersehen, dass die Chancen einer außerhalb des Insolvenzverfahrens möglichen Befriedigung einzelner Gläubiger zugunsten eines Verfahrens ausgeschlossen wird, in dem die Masse zugunsten Ermittlungstätigkeiten des Insolvenzverwalters verbraucht wird, die schließlich zwar der Staatsanwaltschaft, kaum aber den durch die Insolvenz ihres Schuldners geschädigten Gläubigern zugute kommt.
2. Eröffnungsverfahren: Optionen der Ausgestaltung der Rechtsstellung des vorläufigen Verwalters
§ 21 Abs. 2 Nr. 2 1. Var. InsO25 i. V. m. § 22 Abs. 1 InsO26 erfüllt eine alte Forderung der Insolvenzpraxis nach einer gesetzlichen Ausgestaltung der Rechtsstellung des vorläufigen Verwalters und insbesondere der gesetzlichen Genehmigung einer Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren. Missbräuche einer Betriebsstillegung im Eröffnungsverfahren, wie sie bisher noch vorkommen können, sind dann ausgeschlossen. Da im Rahmen einer Betriebsfortführung durch den vorläufigen Verwalter nachgerade zwangsläufig massebezogene Geschäfte geschlossen werden müssen, hat der Gesetzgeber auch dieses Problem des vorläufigen Verwalters behandelt, der bislang entweder drohte, sich im Bereich der Untreue zu bewegen oder sich persönlich zu verpflichten: Durch die Reform hat sich eine gravierende Änderung der Qualifikation der Forderungen ergeben, die aus den Handlungen des nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 1. Var., § 22 Abs 1 InsO bestellten vorläufigen Verwalters herrühren: Nach § 55 Abs. 2 InsO werden diese Forderungen als Masseverbindlichkeiten angesehen, was naturgemäß die Eröffnung des Insolvenzverfahrens voraussetzt. Daraus wird u. a. folgen, dass die Betriebsfortführung durch den vorläufigen Verwalter nicht mehr die Attraktivität haben wird, die sich für den Sequester in der Grauzone ergab, die das bisherige Recht kennzeichnete.
Die „starke” Rechtsstellung des bei „Totalentmachtung” des Schuldners einzusetzenden vorläufigen Verwalters kann zugleich seine Schwäche sein, zumal die nunmehr durch die §§ 183 ff. SGB-III geregelten Vorschriften über das Insolvenzgeld zum einen die Vorfinanzierung des Insolvenzverfahrens, die bislang durch Konkursausfallgeld möglich war, erschweren und im Zusammenspiel mit § 55 Abs. 2 InsO eine persönliche Haftung des vorläufigen Verwalters möglich erscheinen lassen. Es mehren sich daher Stimmen, von denen die Ansicht vertreten wird, es könne sich empfehlen, nach den § 21 Abs. 2 Nr. 2 2. Var., § 22 Abs. 2 InsO einen vorläufigen Verwalter mit beschränkten Aufsichtsaufgaben einzusetzen, dessen Rechtsstellung dann der Stellung des Sequesters im bisherigen Recht angenähert wäre.27
3. Übertragende Sanierung und Insolvenzplan
a. Effiziente Werterhaltung durch den Insolvenzverwalter im „Regelinsolvenzverfahren”
Wie im überkommenen Recht wird die Verwertung der Masse in der Unternehmensinsolvenz häufig im Wege übertragender Sanierungen28 vorgenommen werden, um Verluste bei der Zerschlagung des Unternehmens zu vermeiden und um – als „Nebenaspekt” – um Arbeitsplätze und Standortvorteile usf. zu wahren. Der Gesetzgeber hat diese Option als „gleichwertig” gegenüber der Liquidation und der Sanierung des Unternehmensträgers qualifiziert29 und mit den §§ 157 ff. InsO Regelungen für deren verfahrensmäßige Umsetzung geschaffen.30 Befürchteten Missbräuchen – wie der eines „Ausverkaufs” des schuldnerischen Unternehmens – ist der Gesetzgeber entgegengetreten: Der Unternehmensverkauf bedarf über die wie bisher einzuholende besondere Zustimmung durch den Gläubigerausschuss (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 InsO31) hinaus der Zustimmung durch die Gläubigerversammlung (§ 157 InsO32); liegt diese nicht vor, so kann gem. § 161 InsO eine qualifizierte Minderheit von Gläubigern (§ 75 Abs. 1 Nr. 3 InsO33), aber auch der Schuldner einen Antrag auf einstweilige Untersagung des Unternehmensverkaufs (oder vergleichbarer Verwertungshandlungen!) durch das Insolvenzgericht stellen, wodurch – neben einem Schutz der Gläubiger vor Aushöhlung der Masse – der Schutz der verfahrensrechtlichen Befugnis des Schuldners zur Vorlage eines Insolvenzplans gem. § 218 InsO bewirkt werden soll. Wegen der darin liegenden Problematik einer wirtschaftlichen Bewertung ist die Vorschrift des § 163 InsO34 für den Fall der Betriebsveräußerung unter Wert konfliktträchtig. Sie bezweckt einen Minderheitenschutz: Eine Gruppe von Gläubigern gem. § 75 Abs. 1 Nr. 3 InsO kann in diesem Fall eine Anordnung des Insolvenzgerichts beantragen, wonach die Betriebsveräußerung von der Zustimmung der Gläubigerversammlung abhängig gemacht wird; es wird Fälle geben, in denen eine solche Prozedur zu langwierig und zu indiskret ist und sich daher als sanierungsfeindlich erweisen wird. Ein weiteres explizites Zustimmungserfordernis der Gläubigerversammlung regelt § 162 InsO für den Fall der Betriebsveräußerung an besonders Interessierte.35
b. Das Insolvenzplanverfahren
Das – hochumstrittene–Herzstück36 der Insolvenzrechtsreform stellen die Regelungen des Sanierungsverfahrens aufgrund eines Insolvenzplans (§§ 217 ff. InsO) dar. Das Insolvenzplanverfahren soll an die Stelle des Vergleichsverfahrens nach der Vergleichsordnung und des Zwangsvergleichs (§§ 173 ff. KO, 16 GesO) treten. Wie bislang (§ 2 VerglO, § 173 KO) wird auch künftig der Schuldner die Befugnis zur Vorlage eines Insolvenzplans haben. Daneben steht ein Planinitiativrecht nach § 218 Abs. 1 InsO aber im Unterschied zum bisherigen Recht auch dem Verwalter37 zu. Vorlagebefugnisse der Gläubiger hat der Gesetzgeber nicht vorgesehen; die Gläubiger können aber durch Beschluss der Gläubigerversammlung gem. § 157 S. 2 InsO38 den Verwalter verpflichten, einen Insolvenzplan auszuarbeiten und ihm das „Ziel” dieses Planes aufgeben.39 Durch den Insolvenzplan kann nicht nur – wie durch Vergleich und Zwangsvergleich – eine Kürzung der persönlichen Forderungen der Insolvenzgläubiger durch Festsetzung einer Vergleichsquote vorgenommen werden, sondern es können auch zur Sanierung des Schuldners weitere gestaltende Maßnahmen festgesetzt werden, zu denen insbesondere auch Eingriffe in die Sicherungsrechte der am Insolvenzplanverfahren beteiligten Absonderungsberechtigten zu zählen sind.40 Die gegenüber dem überkommenen Recht höhere Flexibilität der Gestaltungsmöglichkeiten und Eingriffsrechte aufgrund eines Insolvenzplans verleiht dem Verfahren gegenüber dem bisherigen Vergleichsrecht Attraktivität.
Der Gesetzgeber ist freilich von der zunächst im Verlauf der Reformdiskussion geäußerten Ablehnung41 der übertragenden Sanierung und der Statuierung eines exklusiven gesetzlichen Verfahrens zur Reorganisation und Sanierung des Unternehmensträgers mit der Regelung der übertragenden Sanierung abgerückt, die den Vorteil eines geringeren bürokratischen Aufwandes hat, während das Insolvenzplanverfahren nicht frei von Schwerfälligkeiten ist. Da es im Insolvenzplanverfahren im Wesentlichen um die Sanierung von Unternehmensträgern geht, ist zu erwarten, dass es im Wesentlichen von Schuldnern initiiert werden wird.42
Wesentlich neu am Insolvenzplanverfahren ist, dass mit der Zulassung des Insolvenzplans durch das Insolvenzgericht gem. § 231 InsO die Gläubigerversammlung als Organ der Gläubigerselbstverwaltung ausgeschaltet wird. Deshalb wird dem Insolvenzgericht durch § 231 Abs. 1 Nr. 2 und 3 InsO ein erheblich weiterer Spielraum zur Prüfung des vom Schuldner vorgelegten Insolvenzplans eingeräumt, als im Falle der Insolvenzplaninitiative des Gläubigers.43.
Das nach den allgemeinen gesetzlichen Regelungen durchzuführende Insolvenzverfahren wird aber nur dann mit Bestätigung des Insolvenzplans beendet, wenn in allen Abstimmungsgruppen eine Mehrheit für die Annahme des Planes gestimmt hat. Der Plan gilt aber auch dann als angenommen und ist vom Insolvenzgericht zu bestätigen, wenn seine Ablehnung als „Obstruktion” (Akkordstörung) zu werten ist. Hierfür hat der Gesetzgeber in § 245 InsO Tatbestände normiert, die wegen ihrer Weite und Diffusität allerdings einer einschränkenden Auslegung bedürfen.44 Schuldnerinitiative und -eigenverwaltung, Stop der individuellen Rechtsverfolgung (§§ 87 ff. InsO) bei gleichzeitiger Aussetzung der Verwertung und Verteilung (§ 233 InsO), weitgehende Eingriffsmöglichkeiten in Rechte der gesicherten Gläubiger, Gruppenbildung und Obstruktionsverbot machen das Insolvenzplanverfahren zu einem Werkzeug des Schuldners gegenüber seinen Gläubigern, dem durchaus Gefahren innewohnen.45
4. Eigenverwaltung durch den Schuldner
Der erhebliche Aufwand eines Insolvenzplanverfahrens hat nur dann einen Sinn, wenn das Verfahren frühzeitig, und d. h. noch vor dem durch Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung signalisierten Zusammenbruch des Schuldners, eingeleitet wird. Hierzu dient insbesondere der Tatbestand der drohenden Zahlungsunfähigkeit: Er erlaubt es dem Schuldner bzw. seinen Organen (§ 101 InsO),46 frühzeitig einen Eigenantrag zu stellen. Dieser Eigenantrag hilft dann nicht mehr nur wie im überkommenen Recht, einer zivil- und strafrechtlichen Sanktionierung der Rechtsverletzung durch Nichtbeachtung von Insolvenzantragspflichten vorzubeugen, sondern erlaubt es dem Schuldner, das Instrumentarium des einheitlichen Insolvenzverfahrens zur Verfolgung seiner Zwecke in vielfältiger Weise zu nutzen.
Nach § 270 Abs. 1 InsO ist der Schuldner berechtigt, unter der Aufsicht eines Sachwalters die Insolvenzmasse zu verwalten und über sie zu verfügen, wenn das Insolvenzgericht in dem Beschluss über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Eigenverwaltung anordnet. Die Anordnung ergeht entweder nach § 270 Abs. 1 InsO im Eröffnungsbeschluss oder durch nachträglichen Beschluss nach § 271 InsO. Voraussetzung für die Anordnung der Eigenverwaltung ist, dass sie vom Schuldner beantragt worden ist (§ 270 Abs. 2 Nr. 1 InsO) oder dass, wenn der Eröffnungsantrag von einem Gläubiger gestellt worden ist, der Gläubiger dem Antrag des Schuldners zugestimmt hat (§ 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO), und in beiden Fällen dass nach den Umständen zu erwarten ist, dass die Anordnung nicht zu einer Verzögerung des Verfahrens oder zu sonstigen Nachteilen für die Gläubiger führen wird (§ 270 Abs. 2 Nr. 3 InsO).47 Das wird insbesondere dann der Fall sein, wenn sich der Antrag des Schuldners auf § 18 InsO stützt. Für das Verfahren gelten die allgemeinen Vorschriften, soweit die §§ 270 ff. InsO nichts anderes bestimmen. Gem. § 281 Abs. 1 S. 1 InsO hat der Schuldner die Befugnis und Aufgabe, das Unternehmen weiter zu führen; insbesondere obliegt es ihm, das Verzeichnis der Massegegenstände, das Gläubigerverzeichnis und die Vermögensübersicht (§§ 151 bis 153 InsO) zu erstellen. Zur Rechnungslegung nach den §§ 66, 155 InsO ist der Schuldner gem. § 281 Abs. 3 S. 1 InsO verpflichtet. Nach § 283 Abs. 2 S. 1 InsO werden die Verteilungen vom Schuldner vorgenommen.49 Insbesondere ordnet § 279 S. 1 InsO an, dass die Vorschriften über die Erfüllung der Rechtsgeschäfte und die Mitwirkung des Betriebsrats (§§ 103 bis 128 InsO) mit der Maßgabe im Verfahren der Eigenverwaltung gelten, dass an die Stelle des Insolvenzverwalters der Schuldner tritt.50 Das Recht des Insolvenzverwalters zur Verwertung von Gegenständen, an denen Absonderungsrechte bestehen, steht gem. § 282 Abs. 1 S. 1 InsO dem Schuldner zu.
Sowohl bei der Anordnung der Eigenverwaltung nach § 270 Abs. 1 InsO im Eröffnungsbeschluss als auch bei der nachträglichen Anordnung gem. § 271 S. 1 InsO bestellt das Insolvenzgericht anstelle eines Insolvenzverwalters einen Sachwalter,51 der gem. § 272 Abs. 2 S. 1 InsO die wirtschaftliche Lage des Schuldners zu prüfen und die Geschäftsführung sowie die Ausgaben für die Lebensführung zu überwachen hat. Gem. § 280 InsO kann nur der Sachwalter die Haftung nach den §§ 92 und 93 InsO für die Insolvenzmasse geltend machen und Rechtshandlungen nach den §§ 129 bis 147 InsO anfechten.52
D) „Kleininsolvenzverfahren”
Soweit eine Person keine oder eine nur geringfügige wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, ist nach § 304 Abs. 1 InsO ein Kleinverfahren nach den §§ 305 ff. InsO einzuleiten. Im Rahmen der Unternehmensinsolvenz wird dieses Verfahren wegen § 304 Abs. 2 InsO regelmäßig keine Rolle spielen. Liegt ein Kleininsolvenzverfahren vor, greifen die besonderen Eröffnungsvoraussetzungen des § 305 InsO. In Grenzbereichen kann dies insbesondere dann zu Problemen führen, wenn die Kau-Zahlung von der Verfahrenseröffnung abhängt. Wegen der zwingenden Anwendbarkeit der Vorschriften der §§ 305 ff. InsO stellt sich die Definition als Rechtsproblem dar: Handelt es sich um einen unter § 304 Abs. 1 InsO fallenden Schuldner, ist damit der Zugang zum allgemeinen Insolvenzverfahren verschlossen.
E) Verbesserung der Gläubigergleichbehandlung durch Änderungen im Bereich des materiellen Insolvenzrechts
1. Abschaffung von Gläubigervorrechten
a. Streichung der Regelungen des § 61 KO bzw. des § 17 GesO
Bevorrechtigungen von Gläubigern, die das überkommene Recht (§ 61 KO) in weitem Umfang eingerichtet hatten und die zur Aushöhlung der Konkursmassen erheblich beigetragen haben, sind durch die Reform gestrichen worden.53 Eine Ausnahme stellt die Verstärkung der Position der Arbeitnehmer im Hinblick auf die Durchsetzung ihrer Sozialplanansprüche nach § 123 Abs. 2 InsO54 dar. Die Abschaffung von Vorrechten ist nicht unproblematisch. Sie führt dazu, dass die Gläubiger wie bisher überwiegend nicht befriedigt werden und sich dies künftig insbesondere auch auf die Sozialversicherungsträger erstreckt. Ob die damit angestrebte Gläubigergleichbehandlung befördert wird, mag zweifelhaft erscheinen; die Verfahrensabwicklung wird voraussichtlich erheblich erschwert.
Die Aufzählung sog. nachrangiger Gläubiger in § 39 InsO ist neu; die InsO weicht damit erheblich vom überkommenen Recht (§ 63 KO) ab: Nach § 39 Nr. 1 InsO sind die Forderungen wegen der seit Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgelaufenen Zinsen nachrangig; gem. § 39 Nr. 2 InsO die Forderungen auf Ersatz der wegen der aus der Verfahrensteilnahme der Insolvenzgläubiger diesen erwachsenden Kosten; nach § 39 Nr. 3 InsO Forderungen wegen Geldstrafen, Geldbussen, Ordnungsgeldern usf.; nach § 39 Nr. 4 Forderungen aufgrund Freigebigkeit des Schuldners.
b. Abschaffung unechter Masseverbindlichkeiten
Die Abschaffung von Gläubigervorrechten wirkt sich auch auf die Struktur der Masseverbindlichkeiten aus: Unechte Masseverbindlichkeiten, besonders die aufgrund sozialpolitischer Entscheidungen des Gesetzgebers als Masseverbindlichkeiten ausgestalteten Ansprüche auf Lohnzahlung wegen rückständiger Löhne aus dem Zeitraum vor Verfahrenseröffnung bzw. Sozialplanansprüche sind durch die Reform beseitigt worden, was gewiss einen Beitrag zur Gleichbehandlung der Gläubiger leisten wird.
2. Dingliche Sicherheiten
Eine besondere Stellung im Insolvenzverfahren nehmen die gesicherten Gläubiger ein. Denn die Gläubiger, für deren Forderung Sicherheiten bestellt worden sind, können aufgrund ihrer Sicherheit die abgesonderte Befriedigung verlangen. Als Reaktion auf die Schwerfälligkeit von Mobiliarpfandrechten haben sich bekanntlich Formen der publizitätslosen Sicherheiten herausgebildet:55 So wird zugunsten des Gläubigers nach §§ 929, 930 BGB dergestalt Sicherungseigentum an beweglichen Sachen begründet, dass aufgrund einer Sicherungsabrede der Kreditnehmer für den Kreditgeber den Besitz an der Sache vermittelt. Betrachtet man das Sicherungseigentum sachenrechtlich, gibt es dem Kreditgeber „vollwertiges” Eigentum mit der Folge, dass er im Rahmen einer Einzelzwangsvollstreckung gegen einen in die Sache pfändenden Gläubiger im Wege der Drittwiderspruchsklage gem. § 771 ZPO vorgehen kann. Im Kontext des Insolvenzrechts zählt indessen die dingliche Rechtslage nicht unvermittelt. Vielmehr ist danach zu fragen, wie die haftungsrechtliche Zuordnung der Sache ausgestaltet ist. Die hL und st. Rspr.56 stellt mit Blick auf die Sicherungsabrede auf die Pfandfunktion des Sicherungseigentums ab und behandelt es als Absonderungsrecht. Die haftungsrechtliche Einordnung der zur abgesonderten Befriedigung berechtigenden Sicherungsrechte zieht noch weitere Konsequenzen nach sich. Die vorkonkursliche Einflussnahme der Absonderungsgläubiger, die es im Falle des Sicherungseigentums rechtfertigt, deren dingliche Eigentümerstellung insolvenzrechtlich auf eine Pfandrechtsfunktion zu reduzieren, führt darüber hinaus dazu, dass der Reformgesetzgeber diese Gläubiger zu Verfahrenskostenzuschüssen heranziehen kann (§ 171 InsO).57
3. Verschärfung des Rechts der Insolvenzanfechtung
Grundsätzlich bleibt es bei der Anfechtung solcher vorkonkurslicher Rechtshandlungen, die die Insolvenzgläubiger benachteiligen (§ 129 InsO).58 Für die Insolvenzanfechtung liegt die Zuständigkeit beim Insolvenzverwalter. Wie bislang sieht auch das neue Gesetz eine Anfechtung der vorkonkurslichen Vornahme einer Sicherung der Forderung des Gläubigers sowohl dann vor, wenn der Gläubiger dies verlangen konnte (kongruente Deckung, § 130 InsO), als auch in den Fällen, in denen der Gläubiger keinen Anspruch auf die Sicherung hatte (inkongruente Deckung, § 131 InsO). Schließlich unterliegen gem. § 134 InsO Fälle unentgeltlicher Leistungen des Schuldners der Insolvenzanfechtung. § 135 InsO trifft besondere Regelungen für die Anfechtung von Rechtshandlungen, aufgrund derer dem Gesellschafter wegen seiner Forderung auf Rückzahlung eines der Gesellschaft gewährten Darlehens Sicherung oder Befriedigung gewährt wurde. § 136 InsO regelt die Insolvenzanfechtung solcher Rechtshandlungen, aufgrund derer dem Gesellschafter einer stillen Gesellschaft seine Einlage erstattet oder sein Verlustanteil erlassen worden ist. Eine wichtige Forderung, die an die Reform des Insolvenzrechts erhoben worden ist, war auf die Verbesserung der Möglichkeiten der Geltendmachung des Insolvenzanfechtungsrechts durch den Verwalter gerichtet. Das Hauptaugenmerk lag dabei im wesentlichen auf zwei Schwerpunkten, nämlich zum einen auf der Verlängerung der Fristen, innerhalb derer das Anfechtungsrecht durch den Verwalter ausgeübt werden kann, und zum anderen auf einer weiteren Fassung derjenigen Insolvenztatbestände, mit denen besonderen Formen kollusiven Zusammenwirkens zwischen Schuldner und dem späteren Anfechtungsgegner begegnet werden soll.59
Sachlich gehört zum Bereich des Insolvenzanfechtungsrechts die Rückschlagssperre: Das Vollstreckungsverbot ist in § 88 ff. InsO geregelt. Gem. § 88 InsO sind solche Sicherungsmaßnahmen unwirksam, die nicht früher als einen Monat vor der Insolvenzeröffnung durchgeführt wurden. Während des Verfahrens sind gem. § 89 InsO Einzelzwangsvollstreckungen nicht zulässig.60
4. Erhaltung von Nutzungspotentialen an schuldnerfremden Sachen für die Masse
Das neue Insolvenzrecht sieht hier Änderungen vor, aufgrund derer im Falle des über den Mieter eröffneten Insolvenzverfahrens die Lage für die Masse deutlich verbessert wird. Die Wirksamkeit von Auflösungsklauseln wird nunmehr ausdrücklich durch § 112 Nr. 2 InsO ausgeschlossen.61 Umstritten ist, ob vorkonkurslich Auflösungsklauseln durch § 119 InsO ausgeschlossen werden. Der heutige § 119 InsO entspricht dem früheren § 137 Abs. 1 RegEInsO; § 137 Abs. 2 RegEInsO ordnete ausdrücklich die Unwirksamkeit von Umgehungsklauseln an – diese Vorschrift ist aber im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens auf Initiative des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestags62 nicht beschlossen worden. Sie sei sanierungsfeindlich (!), weil sie die Bereitschaft zur vertraglichen Bindung an konkursgefährdete Unternehmen herabsetzen würde. Daher meinen einige Autoren,63 die §§ 122, 119 InsO stünden der Wirksamkeit von Auflösungsklauseln nicht entgegen. Diese Auslegung ist aber nicht zwingend. Die – überzeugende – Gegenmeinung64 hat gezeigt, dass § 119 InsO für alle gegenseitigen Verträge gilt, während § 112 InsO lex specialis für die Miet- und Pachtverträge ist: Damit hat der Wegfall des § 137 Abs. 2 RegEInsO nicht notwendig die Bedeutung, dass Auflösungsklauseln nicht von den §§ 112, 119 InsO erfasst würden.
Von erheblicher Bedeutung ist § 107 Abs. 2 InsO: Danach ist der Insolvenzverwalter im Regelinsolvenzverfahren, aber auch der Schuldner im eigenverwalteten Verfahren berechtigt, sich wegen der Erfüllung eines Kaufvertrages, der vorkonkurslich mit einem Vorbehaltsverkäufer unter Vereinbarung einfachen Eigentumsvorbehalts geschlossen worden ist, erst „unverzüglich” nach dem Berichtstermin (der ersten Gläubigerversammlung; § 156 InsO65) erklären zu müssen. Diese Regelung bewirkt, dass die unter (einfachem) Eigentumsvorbehalt gelieferte Sache in einem Zeitraum bis zu drei Monaten (vgl. § 29 Abs. 1 Nr. 1 InsO) nach Erlass des Eröffnungsbeschlusses66 ohne Beeinträchtigungen z. B. für eine Ausproduktion zu nutzen berechtigt ist. Vergleichbares gilt für Absonderungsgut – also Waren, die unter verlängertem oder erweitertem Eigentumsvorbehalt geliefert oder sicherungsübereignet worden sind (vgl. §§ 169, 172 InsO).
5. Insolvenzarbeitsrecht
In Anlehnung an § 22 Abs. 1 KO und § 51 Abs. 2 VerglO gibt § 113 Abs. 1 InsO dem Insolvenzverwalter – ohne das es eines Insolvenzplanes bedürfte – das Recht, Dienstverhältnisse mit der gesetzlichen Frist zu kündigen.67
Allerdings hat der Reformgesetzgeber den extrem sanierungsfeindlichen § 613 a BGB trotz Interventionen auch der Gewerkschaften (!), diese Vorschrift zu streichen, unberührt gelassen. Die im Geltungsbereich der Konkursordnung bereits seit dem 1. Januar 1996 in Kraft getretenen Regelungen der §§ 125 bis 128 InsO, die es dem Insolvenzverwalter möglich machen sollen, leichter einen Interessenausgleich zur Vorbereitung von Kündigungen herzustellen, haben sich schlechthin als Fehlschlag erwiesen: Das in § 126 InsO geregelte arbeitsgerichtliche Beschlussverfahren ist zu umständlich und zeitintensiv, als dass der Insolvenzverwalter sich darauf einlassen dürfte. Er ist daher – nicht anders als bislang – gezwungen, sich mit dem Betriebsrat nach § 125 InsO68 zu einigen. Der Schutz der Arbeitnehmer bleibt dabei ebenso auf der Strecke wie die Erleichterung der Unternehmenssanierung.
F) Ausblick
Die Abwicklung des Regelinsolvenzverfahrens ist durch das neue Recht erheblich kompliziert worden. Nicht allein sind dem Schuldner weitgehende Eingriffsbefugnisse eingeräumt. Mehr noch werden die professionellen Insolvenzverwalter künftig durch die zu erwartende Steigerung eröffneter masseunzulänglicher Verfahren mit Aufgaben betraut, die weitgehend insolvenzfremd und daher hinderlich sind. Kommt es zu einer Steigerung der Zahl eröffneter Verfahren auch nur im Bereich der Unternehmensinsolvenzen, wird dies schon wegen der Prüfung von Schlussrechnungen gem. § 66 InsO69 zu einer erheblichen Mehrbelastung der Insolvenzrechtspfleger führen.
Unternehmenssanierungen werden durch das neue Recht entgegen der gesetzgeberischen Absicht nicht wesentlich erleichtert. Während die Nutzungsbefugnisse, die dem Insolvenzverwalter an schuldnerfremden Sachen eingeräumt werden, positiv zu beurteilen sind, stehen der Unternehmenssanierung eine Reihe von Hemmschwellen im Wege: Die Kompliziertheit des Insolvenzplanverfahrens wird der übertragenden Sanierung weiterhin das Hauptgewicht zuweisen, die aber durch das Fehlen eines angemessenen Insolvenzarbeitsrechts erheblich behindert und durch bedenkliche Maßregeln des Steuerreformgesetzgebers wie die Besteuerung von Sanierungsgewinnen (§ 3 Nr. 66 EstG) und die beabsichtigte Streichung von Verlustvorträgen wirtschaftlich in einer Reihe von Fällen torpediert zu werden droht.
Anmerkungen
1
Smid, in Weisemann/Smid, Unternehmensinsolvenz, 1999, Kap. 1 RdNr. 2.
2
Smid (Fußn. 1) Kap. 1 RdNr. 3.
3
Wie sie der Gravenbrucher Kreis (ZIP 1992, 657) gefordert hat.
4
Smid (Fußn. 1) Kap. 1 RdNr. 4.
5
Kennedy 11 U. Mich. J. Law Rev. 170, 247 (1978).
6
Smid, Insolvenzordnung. Kommentar, 1998, § 1 RdNr. 15 ff.; ders., (Fußn. 1) Kap. 1 RdNr. 9.
7
Baur/Stürner, Zwangsvollstreckungs-, Konkurs- und Vergleichsrecht, Bd. 2, Insolvenzrecht,12. Aufl. 1990, RdNr. 25.1.
8
S. dazu allein K. Schmidt, Wege zum Insolvenzrecht der Unternehmen, 1990, 17 ff.
9
Jaeger, Lehrbuch des Deutschen Konkursrechts, 8. Aufl. 1932, 38 I.
10
Stürner, in: Kübler (Hrsg.), Neuordnung des Insolvenzrechts, 1989, 41 ff.
11
Allg. Amtl. Begr. zum RegEInsO 1 a), 4 a aa), bb), Kübler/Prütting, Das neue Insolvenzrecht, Bd. 1, 1994, 104/105; Amtl. Begr. zu § 1 RegEInsO, Kübler/Prütting 153 f.
12
Allg. Amtl. Begr. zum RegEInsO 3 a bb), Kübler/Prütting (Fußn. 11) 97 f.
13
Smid (Fußn. 1) Kap. 1 RdNr. 11.
14
Smid, Insolvenzordnung (Fußn. 6) Art. 102 EGInsO RdNr.
15
Zum ganzen Balz ZIP 1996, 948 ff.; Smid, in: Rajak (Hrsg.).
16
Smid (Fußn. 1) Kap. 1 RdNr. 39.
17
Hierzu als Zielvorgabe der Insolvenzrechtsreform Smid BB 1992, 507 ff.
18
Smid (Fußn. 1) Kap. 1 RdNr. 41.
19
Vgl. Häsemeyer, in: Leipold (Hrsg.), Insolvenzrecht im Umbruch, 1991, 101, 110; Uhlenbruck, Das neue Insolvenzrecht, 1994, Einführung, 44; Smid WM 1998, (.
20
Vgl. Pape KTS 1995, 189 f.; Kübler, in: Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 1997, 735; zweifelnd Uhlenbruck, Das neue Insolvenzrecht (Fußn. 19). Schließlich Haarmeyer/Wutzke/Förster, Handbuch zur InsO/EGInsO, 1997, RdNr. 8/109 ff.
21
Pape (Fussn. 20) 216.
22
Diese Vermutung Grubs (ZIP 1993, 393, 395) erscheint plausibel.
23
So aber Häsemeyer (Fussn. 19) 106.
24
Smid, Insolvenzordnung. Kommentar, 1998, § 1 RdNr. 34.
25
Smid, Insolvenzordnung (Fussn. 6) § 21 RdNr. 13.
26
Smid, Insolvenzordnung (Fussn. 6) § 22 RdNr. 5 ff.
27
Vgl. dazu Insolvenzordnung (Fussn. 6) § 21 RdNr. 17 f.
28
BGH, Urt. v. 11. April 1988, II ZR 313/87, ZIP 1988, 727; K. Schmidt ZIP 1980, 328, 336; ders., Wege zum Insolvenzrecht der Unternehmen, 1990, 138 sowie ders., in: Leipold (Hrsg.), Insolvenzrecht im Umbruch, 1991, 67 ff. Vgl. zudem Gottwald KTS 1984, 1 ff., 16 ff.
29
Allg. Amtl. Begr. zum RegEInsO, 4 f aa), Kübler/Prütting (Fussn. 11) 119.
30
Smid/Rattunde, Der Insolvenzplan, 1998.
31
Smid, Insolvenzordnung (Fussn. 6) § 160 RdNr. 4.
32
Smid, Insolvenzordnung (Fussn. 6) § 157 RdNr. 8.
33
Smid, Insolvenzordnung (Fussn. 6) § 75 RdNr. 4.
34
Krit. Dagegen Smid/Nellessen InVo 1998, 113 ff.
35
Smid (Fussn. 1) Kap. 1 RdNr. 42 f.
36
Kübler/Prütting, Entwicklungslinien des neuen Insolvenzrechts (Fussn. 11) 11; Haarmeyer/ Wutzke/Förster Insolvenzordnung. Handbuch 1997, I RdNr. 31.
37
Smid/Rattunde, in: Smid, Insolvenzordnung (Fussn. 6) § 218 RdNr. 7 ff.
38
Krit. Smid, Insolvenzordnung (Fussn. 6) § 157 RdNr. 8, 10.
39
Smid WM 1996, 1249, 1252 f.
40
Smid/Rattunde (Fussn. 30).
41
Vgl. nur Erster Bericht. Einleitung S. 7; eingehend Balz, Sanierung von Unternehmen oder Unternehmensträgern, 1986, 26 f.
42
Smid/Rattunde (Fußn. 30).
43
Smid/Rattunde, in: Smid, Insolvenzordnung (Fußn. 6) § 231 RdNr. 3 ff.
44
Smid, in: Festschr. f. Pawlowski, 1996, 387 ff.
45
Smid/Rattunde (Fußn. 30).
46
Wegen Einzelheiten vgl. Smid, Insolvenzordnung (Fussn. 6) § 101 RdNr. 2 ff.
47
Smid, in: Weisemann/Smid Kap. 6 RdNr. 5.
48
Smid, Insolvenzordnung (Fussn. 6) § 270 RdNr. 7 ff.
49
Smid, in: Weisemann/Smid Kap. 6 RdNr. 1.
50
Smid (Fussn. 1) Kap. 6 RdNr. 2.
51
Smid (Fussn. 1) Kap. 6 RdNr. 8.
52
Smid (Fussn. 1) Kap. 6 RdNr. 12.
53
Smid (Fussn. 1) Kap. 1 RdNr. 75.
54
Müller, in: Smid, Insolvenzordnung (Fussn. 6) § 123 RdNr. 19 ff.
55
Smid (Fußn. 1) Kap. 1 RdNr. 79.
56
RGZ Bd. 124, 73, 75; BGH NJW 1959, 939; Kuhn/Uhlenbruck § 42 RdNr. 16; Gottwald/Adolphsen, in: Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 1997, 805, 813 jeweils m. w. Nachw.
57
Smid (Fußn. 1) Kap. 1 RdNr. 80.
58
Amtl. Begr. zu § 144 RegEInsO, Kübler/Prütting (Fußn. 11) 336.
59
Smid (Fussn. 1) Kap. 1 RdNr. 106.
60
Smid (Fussn. 1) Kap. 1 RdNr. 110.
61
Eckert 899, 902; Depré, Die anwaltliche Praxis in Insolvenzverfahren, 1997, RdNr. 922.
62
BT-Drucks. 12/7302.
63
Hess/Pape, InsO und EGInsO, 1996 RdNr. 340.
64
Eckert 902.
65
Smid, Insolvenzordnung (Fussn. 6) § 156 RdNr. 1.
66
Zu dessen Struktur vgl. Smid/Frenzel DZWIR 1998, 442 ff.
67
Müller, in: Smid, Insolvenzordnung (Fussn. 6) § 113 RdNr. 3 ff.
68
Müller, in: Smid, Insolvenzordnung (Fussn. 6) § 125 RdNr. 3.
69
Smid, Insolvenzordnung (Fussn. 6) § 66 RdNr. 3 ff.
ÖSTERREICHISCHES INSOLVENZRECHT
Aktuelle Literatur: Bartsch/Pollak/Buchegger (Hrsg), Kommentar zum österreichischen Insolvenzrecht, Band I, 4. Auflage 2000; Feil, Ausgleichsordnung (Praxiskommentar) 2. Auflage 1998; Feil, Konkursordnung (Praxiskommentar) 3. Auflage 2000; Insolvency and Restructuring in 35 jurisdictions worldwide (Published by Law Business Research Ltd) 2002, 3 ff; Konecny/Riel, Entlohnung im Insolvenzverfahren, 1999; Konecny/Schubert (Hrsg), Kommentar zu den Insolvenzgesetzen (erscheint in Teillieferungen); Mohr, Konkurs-, Ausgleichs- und Anfechtungsordnung, 9. Auflage 2000; Rechberger/Thurner, Insolvenzrecht, 2001.
1. Gesetzliche Grundlagen
Die zentralen gesetzlichen Regelungen finden sich in der Konkursordnung (KO), RGBl 1914/337 idF BGBl 1999/123, der Ausgleichsordnung (AO), BGBl 1934 II/221 idF BGBl I 1999/123, der Anfechtungsordnung (AnfO), RGBl 1914/337 idF 1968/240 und im Insolvenz-Entgeltsicherungsgesetz (IESG), BGBl 1977/324 idF BGBl 1986/69. Das Unternehmensreorganisationsgesetz (URG), BGBl I 1997/114 sieht als ein Mittel zur Insolvenzprophylaxe die Reorganisation von solventen Unternehmen nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen vor1. Dem Unternehmer sollen hier schon vor dem Eintritt der materiellen Insolvenz Anreize geboten werden, rechtzeitig Reorganisationsmaßnahmen zu ergreifen. Die Eröffnung eines Reorganisationsverfahrens wird nicht in die Insolvenzdatei2 eingetragen.
2. Ziele des Insolvenzverfahrens
Grundsätzlich stehen zwei Insolvenzverfahren nebeneinander, das Konkurs- und das Ausgleichsverfahren. Das Ausgleichsverfahren ist von vornherein auf die Sanierung des Ausgleichsschuldners ausgerichtet.3 Durch einen teilweisen Forderungserlass soll dem Schuldner die Gesundung seines Unternehmens ermöglicht werden. Auch das Konkursverfahren bietet dem Schuldner über den Zwangsausgleich die Möglichkeit zur Sanierung.4 Umgekehrt kann es im Rahmen eines Ausgleichsverfahrens auch zu einem Anschlusskonkurs kommen.5
3. Insolvenzfähige Rechtssubjekte
Im Gegensatz zu anderen Insolvenzrechtsordnungen ist das österreichische Insolvenzrecht nicht auf Unternehmer eingeschränkt (§ 1 Abs 1 der Konkursordnung [KO]).6 Grundsätzlich ist somit jedes rechtsfähige Subjekt insolvenzfähig: Natürliche Personen,7 jede juristische Person des privaten und öffentlichen Rechts und auch Verlassenschaften. Nicht insolvenzfähig sind die stille Gesellschaft und die Gesellschaft bürgerlichen Rechts.
4. Insolvenzgründe
Voraussetzung für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens ist die Zahlungsunfähigkeit (§ 66 KO).8 Eine gesetzliche Definition fehlt. Nach der Rechtsprechung liegt Zahlungsunfähigkeit vor, wenn der Schuldner mangels flüssiger Mittel nicht imstande ist, binnen angemessener Frist und bei redlicher wirtschaftlicher Gebarung alle seine fälligen Verbindlichkeiten zu begleichen. Einen weiteren Insolvenzgrund stellt die Überschuldung dar (§ 67 KO). Nach der Lehre (auch hier fehlt eine gesetzliche Normierung) ist der Tatbestand der Überschuldung erfüllt, wenn die Passiva die Aktiva übersteigen. Der Tatbestand der Überschuldung ist nur bei juristischen Personen, bei Verlassenschaften und bei jenen Handelsgesellschaften relevant, bei denen kein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist. Im Ausgleichsverfahren besteht die Möglichkeit der Verfahrenseröffnung auch schon bei bloß drohender Zahlungsunfähigkeit (§ 1 Abs 1 Ausgleichsordnung [AO]).9
5. Antragsberechtigter Personenkreis
Zur Stellung eines Insolvenzantrags ist der Schuldner (im Ausgleichsverfahren nur dieser) sowie jeder Gläubiger legitimiert (§ 69 und § 70 KO, § 1 AO).10 In einigen vom Gesetz taxativ aufgezählten Fällen kann die Verfahrenseröffnung auch von Amts wegen erfolgen (Anschlusskonkurs).
6. Zuständiges Insolvenzgericht
Sachlich zuständig ist der Gerichtshof erster Instanz (§§ 63 Abs 1, 64 KO, § 1 Abs 1 AO). Nur für den Privatkonkurs natürlicher Personen, die kein Unternehmen betreiben, ist das Bezirksgericht zuständig (§ 182 KO).11 Für die örtliche Zuständigkeit ist maßgebend, dass der Schuldner im Gerichtssprengel sein Unternehmen betreibt bzw. mangels eines solchen dort seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.
7. Verfahrensablauf
Grundsätzlich erfolgt die Verfahrenseröffnung auf Antrag des Schuldners (im Ausgleichsverfahren) oder eines Gläubigers. Bei Vorliegen der Insolvenzvoraussetzungen hat das Gericht das Verfahren unverzüglich zu eröffnen.12 Die Eröffnung ist durch Aufnahme in die Insolvenzdatei (§ 173a KO) öffentlich bekannt zu machen. Diese Datei ist über Internet für jedermann zugänglich.13 Das eigentliche Verfahren beginnt mit der Feststellung des Vermögens (Aktiva und Passiva) durch den Masseverwalter, setzt sich mit dessen Verwaltung und Verwertung fort (im Ausgleichsverfahren bleibt der Ausgleichsschuldner grundsätzlich verfügungsbefugt) und endet mit der Verteilung unter den Konkurs- bzw. Ausgleichsgläubigern. Während im Konkursverfahren der Gemeinschuldner weiterhin für seine Verbindlichkeiten haftbar bleibt, führt das Ausgleichsverfahren zur Restschuldbefreiung des Ausgleichsschuldners. Unter bestimmten Voraussetzungen kann das eröffnete Konkursverfahren in einen Zwangsausgleich münden (Art 140 ff KO), mit dem Ziel, die Befriedigungsaussichten der Gläubiger zu verbessern. Diesfalls muss die den Gläubigern angebotene Quote mindestens 20% betragen, zahlbar innerhalb von zwei Jahren ab Annahme des Zwangsausgleichs. Umgekehrt kann auf ein Ausgleichsverfahren auch ein Anschlusskonkurs folgen, wenn das Ausgleichsverfahren eingestellt oder dem beabsichtigten Ausgleich die Bestätigung versagt wird (§ 2 Abs 2 KO).
8. Verfahrensbeteiligte
Die Organe des Konkursverfahrens sind das Konkursgericht (Ausgleichsgericht), der Masseverwalter (Ausgleichsverwalter), die Gläubigerversammlung und der Gläubigerausschuss14 (Gläubigerbeirat im Ausgleichsverfahren).
a. Konkursverwalter (Ausgleichsverwalter)
Die Bestellung des Verwalters erfolgt im Eröffnungsbeschluss. Zum Verwalter ist eine unbescholtene, verlässliche und geschäftskundige Person zu bestellen.15 Zu seinen Hauptaufgaben zählt die Prüfung der wirtschaftlichen Lage des Schuldners, die Verwaltung und Vertretung der Konkursmasse (im Ausgleichsverfahren bleibt der Schuldner verwaltungs- und vertretungsbefugt) und die Verteilung des Erlöses. Gemäß § 21 KO hat der Masseverwalter ein Wahlrecht für den Fall, dass ein zweiseitig verbindlicher Vertrag zum Zeitpunkt der Konkurseröffnung weder vom Gemeinschuldner noch vom anderen Teil vollständig erfüllt worden ist: Er kann den Vertrag vollständig erfüllen und vom anderen Teil ebenfalls Erfüllung verlangen oder vom Vertrag zurücktreten. Für seine Tätigkeit hat der Verwalter Anspruch auf Ersatz seiner Barauslagen und auf eine Entlohnung für seine Mühewaltung (§§ 82 bis 82d KO, § 33 AO idF des Insolvenzverwalter-Entlohnungsgesetzes [IVEG] BGBl I 1999/73).16 Er haftet als Sachverständiger nach den Bestimmungen des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches (§ 1299 ABGB) und ist allen Beteiligten für Vermögensnachteile, die er diesen durch pflichtwidrige Handlungen verursacht hat, verantwortlich.
b. Gläubigerversammlung
Die Gläubigerversammlung (§§ 91 bis 95 KO)17 besteht aus allen verfahrensbeteiligten Gläubigern. Sie hat die Aufgabe, die gemeinsamen Interessen zu wahren und die Tätigkeiten des Verwalters und des Gläubigerausschusses zu überwachen. Die Einberufung und Leitung der Gläubigerversammlung obliegt dem Insolvenzgericht. Stimmberechtigt sind nur die Gläubiger von festgestellten Forderungen. Zu den Kompetenzen der Gläubigerversammlung zählen die Einsetzung eines Gläubigerausschusses, die Beantragung der Enthebung des Verwalters sowie die Enthebung einzelner Ausschussmitglieder. Die wichtigste Aufgabe der Gläubigerversammlung ist die Abstimmung über einen Zwangsausgleich. Die Gläubigerversammlung im Ausgleichsverfahren ist nicht organisiert; sie tritt nur einmal zusammen und zwar zur Ausgleichstagsatzung, in der sie über den Ausgleichsvorschlag beschließt.
c. Gläubigerausschuss und Gläubigerbeirat
Der Gläubigerausschuss (§§ 88 bis 90 KO)18 bzw. Gläubigerbeirat (§ 36 AO)19 ist ein Organ zur Überwachung und Unterstützung des Masse- bzw. Ausgleichsverwalters. Er ist amtswegig oder auf Antrag der Gläubigerversammlung (nur im Konkursverfahren) zu bestellen, wenn dies die Eigenart oder der besondere Umfang des Unternehmens erfordert. Er umfasst drei bis sieben Mitglieder, wobei ein Mitglied für die Belange der Arbeitnehmer zuständig zu sein hat.
d. Konkurs- bzw. Ausgleichsgericht
Zu den Aufgaben des Insolvenzgerichts zählt insbesondere die Eröffnung des Verfahrens, dessen Leitung, die Bestellung und Überwachung des Verwalters sowie allenfalls des Gläubigerausschusses und die Mitwirkung bei der Forderungsfeststellung.
9. Rechtsstellung der Gläubiger und Gläubigerschutz
a. Forderungsanmeldung
Die Gläubiger werden bei Verfahrenseröffnung zur Anmeldung ihrer Forderung aufgefordert.20 Feststellbar sind nur Konkurs- bzw. Ausgleichsforderungen. Anmeldungen sind auch noch nach Ablauf der Anmeldungsfrist möglich. Im Ausgleichsverfahren ersetzt die Forderungsanmeldung nicht die klageweise Geltendmachung im Zivilprozess (§ 9 AO). Nur bei rechtzeitiger Anmeldung können die Gläubiger alle Beteiligungsrechte (zum Beispiel Abstimmung über den [Zwangs]Ausgleichsvorschlag, Bestreitungsrecht gegenüber anderen angemeldeten Forderungen, Rekursrechte) ausüben. Die Versäumung der Anmeldungsfrist hat jedoch nicht den Verlust der Forderung zur Folge. Wird die Forderung nicht angemeldet, so geht sie dem Gläubiger zwar nicht verloren, er wird aber bei der quotenmäßigen Befriedigung nicht berücksichtigt. Ist der Konkurs- bzw. Ausgleichsgläubiger zugleich auch Absonderungsgläubiger, so hat er die Höhe der voraussichtlichen Deckung durch das Absonderungsrecht anzugeben. Eine wichtige Aufgabe in den Insolvenzverfahren übernehmen die bevorrechteten Gläubigerschutzverbände21. Sie vertreten die Gläubiger und wirken bei der Ermittlung und Sicherung des Vermögens mit (§ 172 Abs 3 KO). Derzeit bestehen drei derartige Verbände: Der Alpenländische Kreditorenverband (AKV), der Kreditschutzverband von 1870 (KSV) und der Insolvenzschutzverband für Arbeitnehmer (ISA).
b. Aus- und Absonderungsansprüche
In der Insolvenz wird zwar das gesamte Vermögen des Gemeinschuldners zur Befriedigung der Gläubiger herangezogen, nicht hingegen fremdes Vermögen. Solche Ansprüche beruhen vor allem auf dem Eigentumsrecht des Berechtigten an der Sache, können aber auch auf obligatorischen Herausgabeansprüchen (zum Beispiel aus einer Leihe) basieren. Aussonderungsansprüche22 haben zum Beispiel der Eigentumsvorbehaltsverkäufer, der Sicherungsgeber, der Hinterleger, der Verleiher und der Treugeber. Aussonderungsberechtigte werden durch die Konkurseröffnung in der Durchsetzung ihrer Ansprüche grundsätzlich nicht berührt und haben deshalb auch keinen Konkurs- bzw. Ausgleichsteilnahmeanspruch. Bei Absonderungsgläubigern23 handelt es sich um dinglich gesicherte Gläubiger des Gemeinschuldners. Absonderungsgläubiger sind alle Pfandgläubiger, der Sicherungseigentümer und die Sicherungszessionare. Auch Absonderungsgläubiger werden durch die Konkurs- bzw. Ausgleichseröffnung nicht beeinträchtigt und haben deshalb auch keinen Konkurs- bzw. Ausgleichsteilnahmeanspruch.
c. Arbeitnehmerforderungen
Die Entgelts- und sonstigen Ansprüche der Arbeitnehmer sind durch den Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds nach dem IESG gesichert.24 Die Absicht dieses Gesetzes ist es, den Arbeitnehmern eines insolventen Arbeitgebers das Risiko des gänzlichen oder teilweisen Verlustes ihrer typischerweise existentiellen Ansprüche zu nehmen. Der Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds ist ein mit Rechtspersönlichkeit ausgestatteter Fonds, der die Erfüllung dieser Ansprüche nach einer Art Versicherung übernimmt. Er wird aus Mitteln der Arbeitslosenversicherung finanziert. Gesichert sind aufrechte, nicht verjährte und nicht ausgeschlossene Forderungen von Arbeitnehmern, die bis zum Ende des dritten Monats entstanden sind, der auf die Eröffnung des Insolvenzverfahrens folgt (§ 1 Abs 2 iVm § 3 Abs 1 IESG).
10. Die Gläubiger im Insolvenzverfahren (Befriedigungsrangordnung)
Die Stellung eines Gläubigers im Insolvenzverfahren richtet sich nach der Art der Forderung. Zu unterscheiden sind dabei die bevorrechteten Ansprüche,25 die unabhängig vom Konkurs- und Ausgleichsverfahren geltend gemacht und befriedigt werden können (Aus- und Absonderungsansprüche) sowie Masse-26 bzw. Geschäftsführungsforderungen und Konkurs-27 bzw. Ausgleichsforderungen.28 Masse- und Geschäftsführungsforderungen entstehen durch die Fortführung des Unternehmens. Sie sind in voller Höhe zu befriedigen. Konkurs- und Ausgleichsforderungen werden lediglich mit der Quote bedacht.
11. Verfahrensbeendigung
Im Konkursverfahren erfolgt die Verfahrensbeendigung durch gerichtliche Aufhebung des Konkurses nach Vollzug der Schlussverteilung (§ 139 iVm § 79 KO).29 Die Aufhebung des Konkurses ist in der Insolvenzdatei anzumerken. Der Gemeinschuldner wird wieder voll verfügungs- und prozessfähig. Er tritt in noch anhängige Rechtsstreitigkeiten an Stelle des Masseverwalters ein. Im Ausgleichsverfahren treten die Wirkungen (Restschuldbefreiung) des angenommenen und bestätigten Ausgleichs (die den Gläubigern angebotene Quote muss mindestens 40 %, zahlbar innerhalb von zwei Jahren ab dem Tag der Annahme des Ausgleichsvorschlags, betragen) nur endgültig ein, wenn der Ausgleichsschuldner den Ausgleich auch erfüllt.30 Gerät er mit der Erfüllung in Verzug, so leben die Forderungen quotenmäßig wieder auf.
Anmerkungen
1
Vgl. ausführlich Feil, Praxiskommentar KO3 (2000), §§ 1 ff URG.
2
Vgl. zur Insolvenzdatei Feil, KO3 § 14 ff IEG.
3
Feil, Ausgleichsordnung AO2 (1998) §§ 1 ff AO.
4
Feil, KO3 §§ 140 ff KO.
5
König/Fink, Der Anschlusskonkurs und § 2 KO, JBl 1984, 397. Ausführlich Schubert in Konecny/Schubert, Kommentar zu den Insolvenzgesetzen § 2 Rz 6 ff.
6
Vgl. Buchegger in Bartsch/Pollak/Buchegger, Kommentar zum österreichischen Insolvenzrecht, Bd 1, 4. Auflage (2000), § 1 Rz 3 ff.
7
Vgl. zu deren Sonderbestimmungen Mohr in Konecny/Schubert, §§ 181 ff mwN. Rechberger/Thurner, Insolvenzrecht (2001) Rz 323 ff.
8
Dellinger in Konecny/Schubert, § 66 Rz 1 mwN.
9
Feil, AO2 11 ff.
10
Feil, KO3 §§ 69 ff KO.
11
Mohr in Konecny/Schubert, § 182 Rz 1 f.
12
Schubert in Konecny/Schubert, § 2 Rz 1 f.
13
URL: http://www.edikte.justiz.gv.at.
14
Feil, KO3 § 88 KO.
15
Feil, KO3 § 80 f KO. Hierzenberger/Riel in Konecny/Schubert, § 80 ff mwN.
16
Feil, KO3 § 82 KO. Ausführlich Konecny/Riel, Entlohnung im Insolvenzverfahren (1999) 1 ff.
17
Vgl. Feil, KO3 § 91 ff KO. Vgl. weiters Hierzenberger/Riel in Konecny/Schubert §§ 91 ff.
18
Vgl. Feil, KO3 § 88 ff KO.
19
Feil, AO2 § 36 AO.
20
Feil, KO3 § 102 f KO.
21
Feil, KO3 § 11 IEG.
22
Vgl. ausführlich Feil, KO3 § 44 f KO.
23
Vgl. Feil, KO3 § 48 f KO.
24
Vgl. dazu ausführlich Feil, KO3 § 1 ff IESG.
25
Vgl. Rechberger/Thurner, Insolvenzrecht 449.
26
Feil, KO3 § 46 ff KO.
27
Feil, KO3 § 51 ff KO.
28
Feil, AO2 § 23a AO
29
Feil, KO3 § 139 KO.
30
Feil, AO2 § 57 f.
ITALIENISCHES INSOLVENZRECHT
Aktuelle Literatur: Insolvency and Restructuring in 35 jurisdictions worldwide (Published by Law Business Research Ltd) 2002, 116 ff.
A) Gesetzliche Grundlage
Der Codice fallimentare aus dem Jahre 1941 (fortlaufend geändert) regelt das Verfahren über die Beaufsichtigung der Geschäftsführung durch den Gemeinschuldner, den Vergleich, den Konkurs und den Zwangsvergleich.
B) Konkursverfahren
1. Verfahrenseröffnung
Mit dem Erlass eines auf Antrag hin ergehenden dem deutschen Eröffnungsbeschluss entsprechenden „sentenza dichiarativa di fallimento”1 gem Art 16 codice fallimentare (cf) wird ein curatore gem. Art 27 cf eingesetzt, auf den die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Schuldners übergeht (Art 31 cf). Der curatore wird der zweisprachigen, insbesondere für den deutschsprachigen Gerichtsgebrauch in der autonomen Provinz Alto Adige bestimmten Ausgabe des codice fallimentare mit dem österreichischen Rechtsbegriff des „Masseverwalters”2 übersetzt (vgl. zum Beispiel die Art 16, 28, 30 und 43 Abs 1 cf), der dem deutschen Insolvenzverwalter entspricht.3
2. Rechtsfolgen der Einleitung des Konkursverfahrens (Erlass einer sentenza dichiarativa di fallimento)
Die Einleitung eines Konkursverfahrens hat zur Folge, dass der eingesetzte Insolvenzverwalter gemäß Art 43 cf sowohl in nach Eröffnung des Verfahrens anzustrengende Rechtsstreitigkeiten für oder gegen die Masse als auch in vor Eröffnung des Verfahrens laufende Verfahren als Partei kraft Amtes (so ausdrücklich Art 30 cf) prozessführungsbefugt ist. Spiegelbildlich dazu verhält sich der Verlust der Prozessführungsbefugnis des Schuldners.4
3. Stellung des Konkursgerichts
Soweit das Gesetz (insbesondere Art 190 cf) von „provvedimenti del giudice delegato” spricht, darf im übrigen die in der Südtiroler zweisprachigen Ausgabe vorgenommene Übersetzung mit dem Ausdruck „Verfügungen des beauftragten Richters” nicht zu der Annahme verleiten, dass damit materielle Verfügungen über die Masse gemeint wären. Das ergibt sich bereits aus der Stellung des giudice delegato, der, da über die Entscheidung wegen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein Spruchkörper zuständig ist5 (Art 9 cf), zur Beaufsichtigung des Masseverwalters6 und zur Vornahme aller gerichtlichen Maßnahmen und Entscheidungen bezüglich der Masseverwaltung zuständig ist. „Provvimenti” im Sinne von Art 190 cf sind daher nicht als materielle Verfügungen über die Masse zu verstehen,7 sondern es handelt sich um Tätigkeiten, die in der deutschen Rechtssprache mit dem terminus der „Verrichtungen”8 umschrieben werden.
C) Reorganisationsverfahren
1. Begriff der ammistrazione controllata
Mit der ammistrazione controllata (Titel 4 des codice fallimentare, Art 187) kennt das italienische Recht ein die Liquidation des Schuldnervermögens abwendendes Reorgansationsverfahren. Ammistrazione controllata wird in der durch die zweisprachige, insbesondere für den deutschsprachigen Gerichtsgebrauch in der autonomen Provinz Alto Adige bestimmten Ausgabe des codice fallimentare als „Geschäftsaufsicht” übersetzt.
2. Kein Verlust der Prozessführungsbefugnis des Schuldners im Verfahren der ammistrazione controllata
Ein Übergang der Prozessführungsbefugnis vom schuldnerischen Unternehmensträger auf einen gerichtlich bestellten Amtsträger ist im Falle der Anordnung des Verfahrens der ammistrazione controllata grundsätzlich nicht vorgesehen.9 Die Vorschrift des Art 43 cf greift in diesem Verfahren nicht. Somit verbleibt die Vertretungsbefugnis der gesellschaftsrechtlich bestellten Organe im Allgemeinen im Verfahren der ammistrazione controllata auch in Ansehung der Prozessführungsbefugnis der Schuldnerin grundsätzlich bestehen.10
Am ehesten entspricht die ammistrazione controllata dem Verfahren nach dem österreichischen Unternehmensreorganisationsgesetz (URG), in dem ebenfalls keine Fremdverwaltung des Schuldnervermögens, sondern allein eine Reorganisationsprüfung (§ 8 URG) angeordnet wird.11 Da die ammistrazione controllata dem Schuldner Schutz vor dem Zugriff seiner Gläubiger zum Zweck der Bewältigung einer vorübergehenden Liquiditätsproblematik und somit zur Vermeidung eines konkursabwendenden Vergleichs/Ausgleichs (concordato preventivo) gewähren soll,12 bleibt die Befugnis zur Verwaltung seines Vermögens grundsätzlich beim Schuldner.13 An dieser Stelle genügt der Hinweis darauf, dass mit der ammistrazione controllata nicht die Eröffnung eines Konkursverfahrens verwirklicht wird.14
3. Verfahrensorgane und Einschränkung der Rechtsmacht des Gemeinschuldners unter der ammistrazione controllata
Eine Beschränkung der Prozessführungsbefugnis der Gemeinschuldnerin ergibt sich in dieser Lage allenfalls aus folgender Erwägung: Bei Anordnung der amministrazione controllata wird ein commissario giudiziale15 bestimmt, der die Qualifikation eines curatore haben muss (Art 188 c 3 cf). Das Tribunale kann von Amts wegen oder auf Antrag eines „Interessierten” (Art 191 cf) anordnen, dass die Geschäftsführung des Unternehmens und die Verwaltung des Vermögens des Schuldners vom commissario giudiziale ausgeübt wird.16 Der Erlass eines solchen besonderen Dekrets ist nicht zwingend; es stellt den Ausnahmefall von der Ausübung der Vermögensverwaltung durch den Schuldner dar;17 das ergibt sich allein schon aus der systematischen Stellung des Verfahrens der ammistrazione controllata als Moratorium; demgegenüber stellt sich die Anordnung eines concordato preventivo als weitreichender dar.
D) Stellung des Gemeinschuldners nach Einleitung des Verfahrens des concordato preventivo
1. Keine gesetzliche Regelung des Verlusts der Prozessführungsbefugnis des schuldnerischen Antragstellers des concordata preventivo
Auch für den Fall der Anordnung des Verfahrens des concordato preventivo ist grundsätzlich ein Übergang der Prozessführungsbefugnis vom Schuldner auf den commissario gudiziale nicht vorgesehen.18 Im allgemeinen ist die Vorschrift des Art 43 cf nicht einschlägig. Wie im Schrifttum ausdrücklich festgehalten wird,19 fehlt es an einer vergleichbaren besonderen Vorschrift.
Will man das Verfahren des concordato preventivo mit Rechtsinstituten des deutschen oder österreichischen Rechts vergleichen, fällt die strukturelle Gleichartigkeit mit dem früheren deutschen konkursabwendenden Vergleichsverfahren und dem österreichischen Ausgleichsverfahren auf.20 Keine Parallelität gibt es zum Zwangsvergleichs- bzw. Zwangsausgleichsverfahren, das den eröffneten Konkurs abschließt. Auch ein Vergleich mit der im neuen deutschen Insolvenzrecht vorgesehenen Eigenverwaltung des Schuldners (§§ 270 ff InsO) ist mit der Maßgabe vertretbar, dass es sich dabei um ein Verfahren in einem einheitlichen Insolvenzverfahren handelt,21 was beim Verfahren des concordato preventivo nach der Struktur des italienischen Rechts ausdrücklich nicht der Fall ist. Sowohl in konkursabwendenden Ausgleichs- bzw. Vergleichsverfahren als auch in dem im Rahmen eines einheitlichen Insolvenzverfahrens angeordneten Verfahren der Eigenverwaltung gilt, dass die Prozessführungsbefugnis beim Schuldner verbleibt (vgl § 8 öAO,22 § 38 dVerglO,23 § 270 dInsO24)25.
2. Meinungsstreit in der italienischen Literatur
Die Nichtregelung der Prozessführungsbefugnis hat in der italienischen Lehre zu einem Streit geführt. Dabei wird von einigen Autoren26 die Meinung vertreten, die Prozessführungsbefugnis des Antragsstellers werde im Innenverhältnis gegenüber den Gläubigern durch Einleitung eines Verfahrens des concordato preventivo dadurch beschränkt, dass es sich bei der Prozessführung um „atti straordinaria amministrazione” – also Maßnahmen außerhalb des gewöhnlichen Geschäftsbetriebes – handle, die, wie es in Art 167 c 2 cf heißt, zu ihrer Wirksamkeit der „autorizzazione scritta del giudice delegato” bedürften. Gegen diesen Ansatz sprechen allerdings erhebliche Bedenken. Zum einen unterscheidet sich die Struktur des Art 167 c 2 cf von derjenigen des Art 43 des Gesetzes: Während letztere Vorschrift den Übergang der Prozessführungsbefugnis ausdrücklich anordnet, spricht Art 167 c 2 cf nicht von der Unwirksamkeit solcher Handlungen, die ohne Autorisation durch den giudice delegato vom Schuldner vorgenommen worden sind. Vielmehr sind diese Maßnahmen gegenüber denjenigen Gläubigern relativ unwirksam, „rispetto ai creditori anteriori al concordato”. Diese relative Unwirksamkeit von ohne Autorisation vorgenommenen Rechtshandlungen ist dort konsistent, wo es um materiellrechtliche Verfügungen zu Lasten der in einem Anschlusskonkurs zu konstituierenden Masse ginge. Im Hinblick auf auch nach italienischem Zivilprozessrecht bedingungsfeindliche Prozesshandlungen, zu denen die im In- oder Ausland vorgenommene Klageerhebung zu zählen ist, greift dies jedoch nicht.
Der Meinung, die von einer Beschränkung der Prozessführungsbefugnis des Schuldners im concordato preventivo im Innenverhältnis ausgeht, wird denn auch von anderen Literaturstimmen entgegengetreten.27 Diese Auffassung macht für sich den Wortlaut des Gesetzes (Art 165 cf bestimmt ausdrücklich, dass die Art 36-39 cf, nicht aber der Art 43 cf auf den commissario giudiziale Anwendung finden28) und die systematisch von der des liquidierenden Konkursverfahrens abweichende Struktur des concordato preventivo geltend. Die Rechtshandlungen des Schuldners werden in Art 167 c 2 cf in einer Weise behandelt, die mit der Regelung der Wirksamkeit von Rechtshandlungen des Insolvenzverwalters in den §§ 160, 164 der deutschen Insolvenzordnung29 vergleichbar ist. Denn der commissario giudiziale hat nach Art 172 cf die Aufgabe, das Schuldnervermögen zu inventarisieren und der Gläubigerversammlung über das Verhalten des Schuldners Bericht zu erstatten.30 Dabei handelt es sich um Aufsichtsfunktionen,31 um im Falle der Verletzung der Pflicht des Schuldners, eine Genehmigung zur Vornahme der in Art 167 cf aufgezählten Rechtsgeschäfte einzuholen, gegebenenfalls die Einleitung des Konkurses gemäß Art 173 cf herbeizuführen.
Die höchstrichterliche italienische Rechtsprechung des corte di cassazione32 geht vor diesem Hintergrund aufgrund der Aufsichtsfunktionen des commissario giudiziale von der Beibehaltung der Prozessführungsbefugnis durch die gesellschaftsrechtlichen Organe der schuldnerischen Gesellschaft aus.
Nach den Vorschriften des italienischen Konkursrechts ist daher ein Übergang der Vertretungs- und Verwaltungsbefugnis auf einen Zwangsverwalter nicht mit der Folge vorgesehen, dass die Vertretungsbefugnis der Gesellschaftsorgane beschränkt oder ausgeschlossen wird. Im italienischen Konkursrecht ist ein solcher Übergang der Befugnis zur Verwaltung des schuldnerischen Vermögens nur in den Fällen des „Regelverfahrens” des liquidierenden Konkurses auf den curatore bzw. im Falle der liquidazione coatta ammistrativa auf den dort einzusetzenden commissario liquidatore vorgesehen.
3. Concordato preventivo in caso di cessione die beni
Besonderheiten sind allerdings zu beachten im Falle eines Ausgleichs, der eine Abtretung des schuldnerischen Vermögens vorsieht, Art 182, 160 c 2 No 2 cf. In diesem Sonderfall verfügt das Konkursgericht am zuständigen Tribunale in dem den Ausgleich bestätigenden Beschluss den Übergang der Verfügungsbefugnis von den gesellschaftsrechtlichen Organen der Schuldnerin auf gerichtlich bestellte Liquidatoren. Auch insofern herrscht in der Literatur33 freilich Streit darüber, wie die Prozessführungsbefugnis in diesem Fall zu bestimmen ist. Die Einsetzung der Liquidatoren nach Art 182 cf setzt voraus, dass der Vergleichs- (Ausgleichs)schluss durch die Gläubiger angenommen und vom Konkursgericht bestätigt wird.
4. Genehmigungsvorbehalte
Im italienischen Schrifttum ist es im Hinblick auf materiellrechtliches Handeln des Schuldners umstritten, welche Funktion die nach Art 167 cf einzuholende Genehmigung des giudice delegato zu besonders wichtigen Maßnahmen der Verwaltung der Gemeinschuldnerin hat und welche daraus abzuleitenden Folgen daran geknüpft sind. Bereits über die Voraussetzungen, unter denen das Vorliegen eines atto di ammistrazione straordinaria (also einer „besonders wichtigen Maßnahme”) zu bejahen ist, besteht Streit.34 In der berufungsgerichtlichen Judikatur35 ist wegen des Unterschieds der ammistrazione controllata gegenüber dem Konkurs (fallimento) und der damit fortbestehenden Prozessführungsbefugnis des Schuldners die Prozessführung für die Masse nicht unter die atti straordinarii gefasst worden.36 Einigkeit besteht darüber, dass das Nichtvorliegen der schriftlichen autorizzazione des giudice delegato37 nicht zur Unwirksamkeit von solchen Rechtsgeschäften inter partes führt, die von den Organen der Gemeinschuldnerin gleichwohl vorgenommen worden sind.38 Bei Art 167 cf geht es um den Schutz der Gläubigergleichbehandlung (par condicio creditorum); der corte di cassazione39 betont dies in einer Entscheidung, in der es um die Wirksamkeit einer vom Schuldner begründeten Garantiererklärung ging. Bei einer Verletzung des Genehmigungsvorbehalts sieht das Gesetz einen Sanktionsmechanismus vor, und zwar in Form der Einleitung eines Konkursverfahrens gemäß § 173 cf.40 Art 167 cf schützt nicht diejenigen, die der Masse etwas schulden, sondern im Gegenteil die Gläubigergleichbehandlung.41
Anmerkungen
1
Bonacini, Gli effetti della sentenza dichiarative di fallimento nei condronti die creditori, 1999; Pajardi/Criscuolo Limido, La dichiarazione di fallimento, 1994; Bongiorno, in Problemi e prospettive del processo di fallimento, 1989.
2
Vgl. allein Feil, öKO § 81 RN 1.
3
D’Amora/Quatraro, Il curatore fallimentare, 1999; Bosco/Cesaris/Pajardi/Pajardi, Il curatore del fallimento, 2000; Frigeni, in: Cinquant´anni della legge fallimentare (1942-1992), pp 255 ss.
4
Pajardi, Codice fallimentare, Comm., Art 43 Anm 4; Satta, Diritto fallimentare, pp 165 ss, 170: “Form der Rechtsnachfolge” durch den curatore.
5
Bongiorno, in: Cinquant´anni della legge fallimentare (1942-1992); Pajardi/Bocchiola, Gli organi del processo di fallimento, 1991.
6
Quatraro, in: Probleme e prospettive del processo fallimento, 1989.
7
Eingehend hierzu Luiso, in: Cinquant´anni della legge fallimentare (1942-1992) pp. 233 ss.
8
Hierzu vgl. Pawlowski/Smid, Freiwillige Gerichtsbarkeit, RN 137.
9
Nardo, in: I contratti nelle procedure concorsuali, 1992.
10
Zusammenfassend: Mollura, L´ammistrazione controllata delle societá, 1989; Blandini/Gramatica, La procedura di ammistrazione controllata, 1999.
11
Feil, KO, § 10 URG.
12
Satta, Diritto fallimentare, p 9, pp 517 ss.
13
Satta, Diritto fallimentare, pp 526 ss.
14
Paluchowski, in: Cinquant´anni della legge fallimentare (1942-1992), 55, pp 63 ss; diese Autorin spricht angesichts des Meinungsstreits in der italienischen Wissenschaft allerdings auch von diesem Rechtsinstitut als einem “Monstrum”.
15
Zu dessen Stellung: Viale, in Cinquant´anni della legge fallimentare (1942-1992) pp 277 ss.
16
Pajardi, Codice fallimentare, Comm., Art 191 Anm 2. Wood, Principles of International Insolvency, 12-13, p 219.
17
LoCascio, L´amministrazione controllata, pp 184 und p 433; Censoni, Gestione commissariale e funzione dell´ammistrazione controllata, 1994. Zum Ganzen auch Lanfranchi, Ammistrazione controllata e dirrito virgente, 1996.
18
Nardo, in I contratti nelle procedure concorsuali, 1992.
19
Pajardi, Codice fallimentare, Comm., Art 167 Anm 4.
20
Die Südtiroler zweisprachige Ausgabe des codice fallimentare übersetzt denn auch den concordato preventivo als „Ausgleich”, nicht als „Zwangsausgleich”.
21
Smid, Grundzüge des neuen Insolvenzrechts, § 25, besonders RN 6 ff; Schlegel, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, 38 ff, 53 ff.
22
Die Vorschrift sieht wie Art 167 codice fallimentare vor, dass Rechtshandlungen, die über den gewöhnlichen Geschäftsbetrieb des Schuldners hinausgehen, gegenüber den Gläubigern unwirksam seien; prozessual wird die Aktiv- und Passivlegitimation des Schuldners gleichwohl nicht berührt, vgl. Mohr, AO § 8 Anm. B.
23
Mohrbutter, VerglO § 38 RN 4.
24
Smid, Insolvenzordnung. Kommentar (1999) § 270 RN 14.
25
Im dänischen Konkursrecht, das insofern dem österreichischen und früheren deutschen Ausgleichs- bzw. Vergleichsrecht entspricht und daher zu der „Familie” der italienischen vergleichbaren Insolvenzrechten zählt, gilt dies auch: Lindencrone Petersen/Oregaard, Danish Insolvency Law, pp 180.
26
Cuneo, Le procedure concorsuali, p 1433. LoCascio, Il coconcordato preventivo, p 92.
27
Satta (FN 4) pp 489 ss; De Semo, Diritto fallimentare, p 542; Maffei Alberti, Commentario breve alla legge fallimentare, Art 167 Anm I 3.
28
Vgl. allein Pajardi, Codice fallimentare, Comm., Art 165 Anm 2 (giustamenta si ritiene non potersi applicare un completo parallelismo tra la figura del curatore e quella del commissario giudiziale).
29
Smid, Insolvenzordnung. Kommentar (1999) § 164 RN 1.
30
Pajardi, Codice fallimentare, Comm., Art 172 Anm 2.
31
Strittig, Satta, Diritto fallimentare, p 453; kritisch dagegen für eine weitere eigene Verwaltungskompetenz des giudice delegato LoCascio, concordato preventivo, pp 348, 349.
32
Corte di cassazione, Sez 1 - Sent 4395 del 13.0587, Giurisprudenza fallimentare, 1987, p 67; Corte di cassazione, Sez 1 - sent 0136 del 12.0188, giurisprudenza fallimentare 1988, p 2.
33
Vgl. allein Pajardi, Codice fallimentare, Comm., Art 12 Anm 3.
34
Tribunale Milano 2 nov 1992, zit. n. Blandini/Gramatica, l. c. pp 339 ss.
35
orte d´Appello di Napoli, 21 dic 1961, zit. n. Blandini/Gramatica, l. c. pp 348, 350.
36
Ein anderer Fall ist die Aktivlegitimation des Schuldners wegen eines Bestreitens gegen Forderungen von Insolvenzgläubigern, vgl. Corte di cassazione, 15 maggio 1993, n. 5569, zit. n. Blandini/Gramatica, l. c. pp 374, 376.
37
Luiso, Il giudice delegato, in: Cinquant´anni della legge fallimentare (1942-1992) pp 235 ss. Die autorizzazione, von der p. 238 die Rede ist, betrifft allerdings den curatore.
38
LoCascio, Il concordato preventivo, p 352; Maffei Alberti, Commentario breve, Art 167 Anm II 3.
39
Corte di cassazione, 15 maggio 1993, n. 5569, zit. n. Blandini/Gramatica, l. c. pp 374, 375.
40
LoCascio, Il concordato preventivo, 352 unten; Maffei Alberti, Commentario breve, Art 167 Anm VI 3. Satta, Diritto fallimentare, p 492.
41
Corte di cassazione, 15 maggio 1993, n. 5569, zit. n. Blandini/Gramatica, l. c. pp 374, 375.
INSOLVENZRECHT IN ENGLAND UND WALES
Aktuelle Literatur: Insolvency & Restructuring (published by Law Business Research Ltd) 2002, pp 60; Marsh, Bankruptcy Insolvency and the Law (2001).
In der folgenden Kurzdarstellung soll hauptsächlich auf Besonderheiten dieser Insolvenzordnungen eingegangen werden.
Das Insolvenzrecht in England und Wales zeichnet sich durch eine Reihe erheblicher Besonderheiten gegenüber den kontinentaleuropäischen Insolvenzrechten aus, die ihren Grund in der Eigenart der englischen Rechtsordnung haben. Im Wesentlichen lassen sich die folgende Verfahren unterscheiden, nach denen im Falle einer materiellen Insolvenzlage (der Zahlungsunfähigkeit) einer Gesellschaft ein Insolvenzverfahren eingeleitet werden kann:
A) Voluntary winding-up
Im Falle des sogenannten „voluntary winding-up” begibt sich ein Unternehmen aufgrund einer Initiative in ein Liquidationsverfahren. Für den Fall, dass ein Unternehmen einem Gläubiger einen bestimmten Betrag schuldig bleibt, kann dieser eine Zwangsabwicklung (winding-up) durch eine „demand noticed procedure” einleiten. Führt die demand notice nicht innerhalb einer Frist von 21 Tagen zu einer Zahlung, wird der Schuldner für Zahlungsunfähig erachtet. Das berechtigt den Gläubiger zur Stellung eines Konkursantrages. Das zuständige Gericht erlässt dann nach seinem Ermessen einen Eröffnungsbeschluss. Mit dem Eröffnungsbeschluss wird ein „official receiver” eingesetzt, der als Konkursverwalter fungiert. Es handelt sich dabei um einen Regierungsbeauftragten. Wenn eine Mehrheit von Gläubigern dies wünscht und dabei die Verpflichtung zur Bezahlung übernimmt, wird ein privater Konkursverwalter eingesetzt. Wird im Falle eines „voluntary winding-up”, das von den Gesellschaftern der schuldnerischen Gesellschaft beschlossen worden ist, das Verfahren durch das Gericht eröffnet, wird der Konkursverwalter durch den Gesellschafterbeschluss benannt und berufen. Mit anderen Worten handelt es sich beim Konkursverwalter dann um eine Organ der Gesellschaft. Im Falle der Zwangsliquidation stellt sich der Konkursverwalter als Zwangsorgan der Gesellschaft, eingesetzt durch das Gericht, dar.
Der Konkursverwalter hat die Aufgabe der Vermögensverwertung. Der dabei erzielte Erlös wird zunächst zur Befriedigung der Ansprüche von Inhabern dinglicher Sicherheiten im Hinblick auf den durch den Verkauf des Sicherungsguts erzielten Erlös verwendet. An zweiter Rangstelle stehen die Kosten der Konkursverwaltung, danach sind Forderung des Finanzamts und der Sachverständigen, Zölle, Verbrauchssteuern, Beitragsrückstände für berufliche und gesetzliche Rentenvorsorgung sowie für Lohn und Gehalt der Arbeiter und Angestellten drittrangig zu befriedigen. Schließlich steht im vierten Rang die Befriedigung der ungesicherten Gläubiger.
B) Floating Charge und Receivership
Aufgrund der spezifischen Struktur des englischen Kreditsicherheitensystems, das durch das Institut der sogenannten „floating charge” gekennzeichnet wird, steht für das englische Unternehmensinsolvenzrecht das Institut der „receivership” vor dem der Konkursverwaltung im Vordergrund.
1. Floating Charge
Die floating charge ist eine Rechtsfigur der Equity. Nach den Regeln der Equity kann ein interest sehr wohl mit absoluter Wirkung ausgestattet sein. Ein equitable interest besteht dann, wenn ein Recht mit Hilfe der Rechtsbehelfe der Equity durchgesetzt werden kann. Rechtsbehelfe der Equity sind die gerichtliche Verurteilung zur Vertragserfüllung durch specific performance, die einstweilige Sicherung eines Rechtszustandes durch eine injunction oder die Verwaltung eines Vermögens durch einen receiver. Nach dem Grundsatz „Equity acts in personam” kann der Inhaber des equitable interest sich mit diesen Rechtsbehelfen aller Störungen erwehren, die seine Rechtsstellung beeinträchtigen. Er kann vor Gericht eine injunction beantragen oder einen receiver einsetzen lassen, unabhängig davon, ob er mit dem Störer in vertraglichen Beziehungen steht oder nicht.
Das interest, das die floating charge dem Gläubiger bereits vor der Kristallisation vermittelt, ist daher mehr als nur eine unvollständige Rechtsposition, die mit Eintritt der Kristallisation vervollständigt wird. Es vermittelt eine absolute, gegen jedermann wirkende Stellung und ist daher mehr als nur das aufschiebend bedingte, dingliche Verfügungsrecht am Sicherungsgegenstand (so aber die „mortgage of future assets”-Theorie). Es wirkt nur insofern noch nicht dinglich, als es vor Kristallisation nicht mit einem bestimmten Gegenstand verbunden ist, sondern mit einer in ihren Einzelbestandteilen wechselnden Gattung von Vermögensgegenständen, deren Umfang von den Parteien bestimmt werden kann. Es handelt sich daher um ein „floating equitable interest” des Sicherungsnehmers.
Mit Eintritt der Kristallisation ändert sich der Charakter der floating charge. Sie wird dann zu einer fixed charge und umfasst unstreitig als dingliches Recht Vermögensgegenstände der Gesellschaft. Die Verfügungsbefugnis der Gesellschaft über ihr Vermögen oder ihr Vermögensbestandteile erlischt. Insbesondere die Bestellung von Belastungen, die den Rang der floating charge beeinträchtigen, ist jetzt nicht mehr möglich. Ob mit Zustimmung des Sicherungsnehmers nach der Kristallisation noch wirksam verfügt werden kann, ist bislang anscheinend noch nicht entschieden worden.
Die Kristallisation vollzieht sich beim Eintritt gesetzlich bestimmter oder von Sicherungsnehmer und Sicherungsgeber in der Sicherungsabrede vertraglich vereinbarter Ereignisse. Zur Kristallisation führen unter anderem die Einsetzung eines receivers durch den Sicherungsnehmer und die freiwillige oder gerichtlich erzwungene Liquidation der Gesellschaft (voluntary winding up, compulsory winding up1).
2. Receiver
Der Sicherungsnehmer kann im Falle der Insolvenz des Sicherungsgebers die Einsetzung eines Zwangs-Vermögensverwalters (receiver) verlangen („court appointed receiver”). Voraussetzung dafür ist, dass die Einsetzung des receiver nach Ansicht des Gerichts billig und gerecht ist (s. 37 (1), (2) Supreme Court Act 1981). Gestützt auf diese Generalklausel hat der Sicherungsnehmer einen Anspruch auf Ernennung des receiver, sobald Sicherheit und Forderung nach den Bestimmungen der Sicherungsabrede fällig und durchsetzbar geworden sind. Darüber hinaus kann er nach dieser Vorschrift aber auch dann die Einsetzung des receiver verlangen, wenn eine Gefährdung seiner Sicherheit zu befürchten ist.
Der receiver ist, wie sich aus 5. 44 Insolvency Act 1986 ergibt, Vertreter der Gesellschaft, sodass er alte Verträge des Unternehmens (insbesondere Arbeitsverträge) weiterführen und neue Verträge mit Wirkung für und gegen die Gesellschaft abschließen kann. Der administrative receiver2 steht vor der für alle Beteiligten wichtigen Entscheidung zwischen Verwertung des Unternehmens durch Zerschlagung und Veräußerung der einzelnen Bestandteile oder Verwertung durch Sanierung und Fortführung. Um ihm eine sachgerechte Entscheidung zu ermöglichen, ist er gesetzlich verpflichtet, Nachforschungen über das Vermögen der Gesellschaft, ihre Belastungen, die Namen der gesicherten und ungesicherten Gläubiger, den Zeitpunkt der Bestellung und alle sonstigen erforderlichen Informationen einzuholen.
C) Ausgliederung von Unternehmensteilen, „hiving down”
Entscheidet sich der administrative receiver für eine Sanierung der Gesellschaft, hat er die Möglichkeit, wirtschaftlich nicht rentable Produktionseinheiten auszugliedern. Er kann dann die lebensfähigen Teile des Unternehmens zu einer neuen existenzfähigen und den wirtschaftlichen Bedürfnissen angepassten Einheit zusammenführen. Dazu gründet er gestützt auf seine Befugnis zur Geschäftführung eine selbständige Tochtergesellschaft (subsidiary) des von ihm verwalteten Unternehmens. Auf diese Tochtergesellschaft werden dann die überlebensfähigen Teile des belasteten Vermögens übertragen („hiving down”). Als Gegenleistung erhält die Muttergesellschaft eine Forderung in Höhe des späteren Veräußerungserlöses aus dem Verkauf der Tochtergesellschaft an Dritte. Dabei wird vereinbart, dass diese Forderung erst zum Zeitpunkt der Veräußerung der Tochtergesellschaft fällig sein soll. So wird eine neue schuldenfreie juristische Person geschaffen. Sie führt unabhängig vom Schicksal der Muttergesellschaft ihre Geschäfte weiter. Der Erlös aus der Veräußerung fließt in das Sicherungsgut. Außerdem kann die Muttergesellschaft für sich steuerliche Vorteile nutzen, die wiederum dem Sicherungsnehmer zugute kommen.
Grundsätzlich können vor der Kristallisation ungesicherte Gläubiger ihre Ansprüche durch Zwangsvollstreckung in das bewegliche und unbewegliche Vermögen der Gesellschaft realisieren, so als ob keine Belastung bestände. Ist die Zwangsvollstreckung noch vor der Kristallisation abgeschlossen, haben sie Vorrang vor dem Sicherungsnehmer.
Anmerkungen
1
Pennington´s, pp 114.
2
Pennington´s, pp 315, 418.
US-AMERIKANISCHES INSOLVENZRECHT
Aktuelle Literatur: Insolvency and Restructuring in 35 jurisdictions worldwide (Published by Law Business Research Ltd) 2002, 203 ff;
1. Rechtsquellen
In den Vereinigten Staaten ist das Insolvenzrecht (inklusive der Reorganisation) im „Bankruptcy Code” aus dem Jahr 1978 geregelt (offizielle Bezeichnung: „Title 11 of the United States Code”), Angelegenheiten, die das Insolvenzrechtssystem betreffen, im „Title 28 of the United States Code” und Verfahrensbestimmungen in den „Federal Rules of Bankruptcy Procedure”. Davon ausgenommen sind inländische Versicherungsgesellschaften und Banken, bestimmte Kleinunternehmen im Bereich „business investment” sowie ausländische Versicherungsgesellschaften und Banken mit Geschäftsbereichen in den Vereinigten Staaten. Diese unterliegen den Bestimmungen des „State and Federal banking laws” und können somit unter den vorhin genannten Regelungen keine Rechtshilfe erwarten. Auf „business development”-Unternehmen sind die Bestimmungen des „Small Business Investment Act” aus dem Jahr 1958 anzuwenden.
2. Funktion des US-amerikanischen Insolvenzrechts
Das US-amerikanische Insolvenzrecht dient primär dem Schuldnerschutz. Die Übernahme nordamerikanischer Rechtsnormen in den Sinnkontext einer kontinentaleuropäischen Insolvenzrechtsordnung bereitet meist Probleme.1 Auch ohne Kompatibilitätsschwierigkeiten können sich Anwendungsprobleme ergeben, die aus der Schwerfälligkeit und Konfliktträchtigkeit des Planverfahrens resultieren. Insolvenzrecht wird von der „nordamerikanischen Manier” als Mittel dazu begriffen, dem Schuldner für einen unbelasteten Wiedereintritt ins Wirtschaftsleben rechtliche Mittel bereitzustellen. In den USA wird nämlich das Insolvenzrecht vom sog. Gedanken der Gewährleistung eines „fresh start”2 beherrscht, also der Bereitstellung rechtlicher Rahmenbedingungen, die dem Schuldner einen unbelasteten Wiedereintritt ins Wirtschaftsleben ermöglichen sollen.
Im Bereich der Unternehmensinsolvenz eröffnet Chapter 11 bankruptcy code dem Schuldner den Zugang zu einem Reorganisationsverfahren, in dem er vor dem Zugriff seiner Gläubiger weithin sicher ist – was der Schuldner mit der Präsentation eines Insolvenzplans in der Tat oftmals erreichen kann. Das Reorganisationsverfahren nach Chapter 11 stellt sich dar als „a business debtor’s remedy for relief from financial distress”,3 was besonders durch den automatic stay4 – ein dem § 88 der deutschen Insolvenzordnung vergleichbares Moratorium – erreicht wird. Besonders in Fällen einer vom Schuldner beabsichtigten Sanierung wird damit für die Verfahrensdauer ein Moratorium erreicht, das mit dem „automatic stay” vergleichbar ist: Der Schuldner wird unter den Schutz des Insolvenzgerichts gestellt und bindet seine Gläubiger in ein gerichtliches Sanierungsverfahren ein. Der Schuldner betreibt „under the rule” des Chapter 11 seinen Betrieb in Eigenregie weiter,5 wenngleich in Ausnahmefällen unter gerichtlicher Aufsicht.6 Das hat historische Gründe:7 In der Phase der industriellen Erschließung des Kontinents durch den hochgradig kapitalaufwendigen Eisenbahnbau mussten Wege gefunden werden, um den wertvernichtenden Zugriff durch Zwangsvollstreckungsakte einzelner Gläubiger zu verhindern.
3. Gerichtszuständigkeit
Insolvenzverfahren werden unter der Aufsicht des Insolvenzgerichtshofs (bankruptcy court) bearbeitet, der Teil des bundesstaatlichen Rechtssystems ist und für die Rechtssprechung über sämtliche Angelegenheiten zuständig ist, die im Bankruptcy Code geregelt sind.
4. Verfahrensablauf
Die Gläubiger werden von der Verfahrenseröffnung benachrichtigt. Diese Benachrichtigung hat Zeit und Ort der ersten Versammlung der Gläubiger, Fristen für die Anmeldung von Forderungen sowie Details darüber zu enthalten, dass von den Gläubigern gegenüber Drittpersonen Verfahren angestrengt werden können, dass diese ihre Forderung anzumelden und den Rang anzugeben haben (Chapter 7 und Chapter 11).
Der Bankruptcy Code beinhaltet weiters Bestimmungen darüber, unter welchen Voraussetzungen Transaktionen angefochten (Anfechtungsrecht) und betrügerische Transaktionen aufgehoben werden können (Insolvenzstrafrecht). Corporate officers und Direktoren unterliegen in Insolvenzfällen grundsätzlich keiner persönlichen Haftung, außer ihre persönliche Haftung resultiert aus einer Pflichtverletzung (fiduciary duty).
Die Besicherungsarten von immobilem Eigentum (immovable real properties) ist in den Bundesstaaten geregelt, in denen sich die Liegenschaft befindet. Die Besicherung von beweglichem Eigentum (movables) ist im Art. 9 des „Uniform Commerical Code geregelt.
Schuldner, die ein Unternehmen oder sonstiges Vermögen in den Vereinigten Staaten haben, sind berechtigt, ein Liquidationsverfahren nach Chapter 7 zu beantragen. Diesfalls ist die Ernennung eines Treuhänders erforderlich, der die Verwertung des Vermögens und die Verteilung des Erlöses übernimmt.
5. Debtor in possession (Eigenverwaltung des Schuldners)
Die US-amerikanische Konstruktion des „debtor in possession” beruht darauf, dass ein Insolvenzverfahren eröffnet wird, ohne dass damit der Schuldner einer Entmachtung unterworfen wird; der Eröffnungsbeschluss zeitigt in diesen Fällen allein die Wirkung eines automatic stay, ohne dass dem Schuldner die Verfügungsmacht über sein Vermögen entzogen werden würde.
6. Reorganisation nach Chapter 11
Der Reorganisationsplan beinhaltet die einzelnen Gläubigergruppen und deren Rang. Kern des Reorganisationsverfahrens des Chapter 11 bankruptcy code ist dessen cram down-Verfahren (der Zwang gegenüber einer Gläubigergruppe, den Plan „akzeptieren zu müssen”). In Nordamerika ist von einer cram down power des Schuldners die Rede.8 Es handelt sich bei der Unternehmensreorganisation im wesentlichen um ein im wirtschaftlichen und rechtlichen Interesse des Schuldners liegendes Rechtsinstrument.9 Die cram down Entscheidung des Gerichts, mit der ein Insolvenzplan entgegen der Ablehnung von Gläubigergruppen angenommen wird, ruft „Sachverständigenschlachten” hervor, die nach Stellungnahmen amerikanischer Insolvenzrechtler10 im US-amerikanischen Recht Gang und Gäbe sind. Bei der cram down-battle des US-amerikanischen Rechts geht es um die streitige Durchsetzung des Rechts des Schuldners, eine Chance zur Reorganisation seines Unternehmens zu erhalten. Zur Rezeption solcher Modelle im deutschen Insolvenzrecht ist die Ansicht11 vertreten worden, eine „Schlacht” um Obstruktionsentscheidungen ließe sich in den europäischen Rechtsordnungen schon deshalb nicht vermeiden, weil zu der Gewährleistung eines fairen Verfahrens gem. Art. 6 der EMRK die Eröffnung eines Rechtsweges gegebenenfalls in Gestalt des Instanzenzuges gehört.12
Anmerkungen
1
Vgl. Smid/Rattunde, Insolvenzplan RdNr. 23 ff. et passim.
2
Vgl. allein Baird, The Elements of Bankruptcy, New York 1992, pp. 24.
3
Weintraub/Resnick, Bankruptcy law manual, 3. Aufl., Boston 1992, 8-15.
4
Weintraub/Resnick (Fussn. 3) 6-21, 8-18; Kennedy, The Automatic Stay in Bankruptcy, 11 U. Mich. J. Law. Rev. 170, 247 (1978).
5
Weintraub/Resnick (Fussn. 3) 8-28.
6
Weintraub/Resnick (Fussn. 3) 8-33.
7
Vgl. Flessner, Sanierung und Reorganisation, 1982, 33 ff. et passim.
8
Baird, The Elements of Bankruptcy, 1992, p.17; der deutsche Autor Fassbach, Die cram down power des amerikanischen Konkursgerichts nach Chapter 11 des Bankruptcy Codes, 1997 schreibt auch für das us-amerikanische Recht von einer cram down power des Gerichts.
9
Vgl. das verbreitete Werk von Weintraub, What Every Executive Should Know About Chapter 11, 3rd edit. 1994.
10
Statt vieler Buchbinder, A Practical Guide to Bankruptcy, 1990, 312.
11
Smid/Rattunde RdNr. 549.
12
Smid, Rechtsprechung. Zur Unterscheidung von Rechtsfürsorge und Prozess, 1990, § 1 I 1 (37 ff.), § 8 II (481 ff.).