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Begegnungen
Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Band 22:225–233.

ADRIAN VON ARBURG

Das dreimalige Scheitern einer Deportation

Magyaren aus der Südslowakei in den böhmischen Grenzgebieten (1945-1949)

 

Um den Bevölkerungsverlust von fast drei Millionen verschwundenen Deutschen wettzumachen, wurden deren Heimatgebiete in den ersten Nachkriegsjahren neu besiedelt. Zwei Millionen Menschen begaben sich in die Randgebiete des heutigen Tschechiens, um ihr Glück zu versuchen – jeder vierte Tscheche. Diese größte Binnenmigration der böhmischen Geschichte lief grundsätzlich freiwillig ab. Mit einer Ausnahme: Der Verschleppung von über 40 000 südslowakischen Magyaren nach Böhmen.

 

Im nordwestböhmischen Teplitz (Teplice), wenige Kilometer von der sächsischen Grenze, begegneten sich am 23. Juli 1947 im örtlichen Fußballstadion zwei Mannschaften zu einem Freundschaftsspiel. Die einheimische Elf maß sich mit dem Sportklub Kispest-Budapest. Die Zuschauerränge waren fast ausnahmslos besetzt. Nach einigen umstrittenen Anweisungen des Schiedsrichters jedoch begann sich unter den Zuschauern Urruhe breit zu machen. Aus den Reihen des „einheimischen” Teplitzer Publikums schallten alsbald nicht mehr abklingen wollende Anfeuerungsrufe für die Budapester Spieler – auf Ungarisch. Die sich in der Minderheit befindlichen tschechischen Besucher des Spiels reagierten verbittert, die Spieler des Teplitzer Lokalklubs wohl auch.

Kaum ein Zuschauer war für dieses Spiel direkt aus Budapest herangereist Die meisten Besucher rekrutierten sich aus Teplitz und Umgebung. Trotzdem, so stellt der einschlägige Gendarmerie-Bericht fest, stammte der Grossteil der Zuschauer ursprünglich aus der Slowakei, aus Ungarn oder der Karpatoukraine und lebte erst seit kurzer Zeit in Nordwestböhmen. Es handelte sich um meist magyarischstämmige oder magyarisierte „Reslowakisierte” und vor allem südslowakische Magyaren, die zum großen Unmut des anwesenden Gendarmen untereinander nur ungarisch sprachen.

 

Die unliebsame Minderheit

Anfang August 1945 billigten die Kriegsalliierten in Potsdam die Aussiedlung der Deutschen aus der Tschechoslowakei, dem künftigen polnischen Hoheitsgebiet und Ungarn. Die Aussiedlung der slowakischen Magyaren war nicht Bestandteil des Potsdamer Abkommens – eine herbe Enttäuschung für Prag, das sich nach Kriegsende 1945 nebst der deutschen auch der magyarischen Volksgruppe zu entledigen trachtete. In der Slowakei lebten immerhin rund 600 000 einheimische Magyaren, die vor dem Krieg fast 20% der gesamten slowakischen Bevölkerung gestellt hatten. Bis 1950 gelang es zwar, die Stärke der magyarischen Minderheit durch Auswanderung, Vertreibung, „Reslowakisierung” (Änderung der ethnischen Zugehörigkeit von sich früher als Magyaren gemeldeten Bürgern) und einem Bevölkerungsaustauschabkommen mit Ungarn auf rund 10% zu verringern, doch die ersehnte Lösung des „magyarischen Problems”, wie Prager und Pressburger Kreise es analog zur Massenausweisung der deutschen Volksgruppe anstrebten, wurde damit nicht erreicht.

Dieser Beitrag berichtet von Maßnahmen, die das „magyarische Problem” in der Südslowakei in den ersten Nachkriegsjahren mitlösen sollten, jedoch am Ende nicht nur gescheitert sind, sondern das slowakisch-magyarische Verhältnis innerhalb der Slowakei auf lange Sicht verschärften. Nachdem die Kriegsalliierten in Potsdam Prags Hoffnung auf eine international abgesegnete Aussiedlung der Magyaren zerstört hatten, versuchte die -Tschechoslowakei die Frage bilateral mit Budapest zu lösen. Bereits im Februar 1946 kam es so zur Unterzeichnung eines Bevölkerungsaustauschabkommens zwischen den beiden Staaten, das die reziproke Umsiedlung von ungarischen Slowaken bzw. slowakischen Magyaren in das jeweilige „Mutterland” vorsah. Auch dieses allerdings reichte nicht aus, um sich der Mehrheit der autochthonen Magyaren entledigen zu können, hatten sich doch in Ungarn weniger als 100 000 slowakischstämmige Rückkehrwillige gemeldet. Dies bedeutete, dass die tschechoslowakische Seite nicht berechtigt war, eine höhere Zahl von Magyaren nach Ungarn auszusiedeln. Zudem wurde die praktische Realisierung des Abkommens von Budapest lange hinausgezögert, womit die tschechoslowakische Regierung immer mehr zu binnenstaatlichen Maßnahmen zwecks Dezimierung des magyarischen Elements in der Slowakei tendierte.

 

Geburt eines Gedanken

Im Zuge der Flucht, Vertreibung und Aussiedlung von rund drei Millionen einheimischer Deutschen aus den böhmischen Ländern erlebte der westliche Landesteil der Tschechoslowakei einen beispiellosen Bevölkerungsrückgang. Die Grenzgebiete, wo bis anhin die Deutschen konzentriert siedelten, brauchten zügig neu besiedelt zu werden, sollte deren ökonomische und nicht zuletzt auch strategische Bedeutung aufrechterhalten werden. Die Kolonisierung der ehemaligen sudetendeutschen Heimatgebiete – v. a. durch Tschechen aus dem Landesinnern, aber auch durch tschechische und slowakische „Reemigranten” aus dem Ausland und andere ethnische Gruppen – lief parallel zur Abschiebung der Deutschen ab und war wie diese bereits gegen Jahresende 1946 als Massenprozess abgeschlossen. Von Mai 1945 bis 1950 machten sich rund zwei Millionen Siedler auf, die Plätze der Deutschen einzunehmen. Grundsätzlich besaß dieser gewaltige Migrationsprozess freiwilligen Charakter. Da der Staat mit der preisgünstigen Vergabe von konfiszierten sudetendeutschen Besitzungen (Häuser, landwirtschaftliche Anwesen, bewegliche Güter) winkte, kann dies nicht erstaunen. So ergriff durchschnittlich jeder vierte Tscheche aus freien Stücken die Gelegenheit, sich in den Grenzgebieten eine neue Existenz aufzubauen.

Trotzdem erwies sich das tschechische Landesinnere als ein zu kleines Bevölkerungsreservoir, um die Grenzgebiete gleichmäßig wiederzubesiedeln. Ausgedehnte Gebiete in höheren Lagen, so in West- und Südböhmen, blieben halbwegs entvölkert. Gerade in Berufen, die einen hohen manuellen Arbeitseinsatz erforderten, zeitigte sich alsbald ein alarmierender Arbeitskräftemangel. Dies traf besonders – aber nicht nur – für den land- und forstwirtschaftlichen Sektor zu. Zehntausende von Arbeitskräften fehlten. Wo diese hernehmen? Zum Beispiel aus der Südslowakei.

Die Existenz einer durch verschiedene Präsidentendekrete des Jahres 1945 ausgebürgerten, entrechteten und enteigneten, kompakt siedelnden und unliebsamen Bevölkerungsgruppe und der akute Arbeitskräftemangel in den böhmischen Ländern ließen die tschechoslowakische Regierung schließlich aus der Not eine Tugend machen. Durch Verbringung eines großen Teils der slowakischen Magyaren in die Grenzgebiete der böhmischen Länder sollten zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden.

 

Beginn der Deportationen 1945

Von Herbst 1945 bis Ende 1947 gelangten aus der Slowakei in verschiedenen Wellen wohl über 60 000 Magyaren in die böhmischen Länder, mehrheitlich ins böhmische Grenzgebiet. Dabei war ein freiwilliger Wegzug zum Arbeitseinsatz die Ausnahme. Die überwiegende Zahl der Magyaren – nach amtlichen Angaben 44 129 Personen – wurde im Verlauf der Deportationsaktion vom 19. November 1946 bis zum 22. Februar 1947 in einem unüblich strengen Winter in den westlichen Landesteil verbracht. Eine weitere Zwangsdeportation („Aktion Süd”), die zahlenmäßig weit weniger (unter 1 000) Teilnehmer umfassen sollte, wurde 1949 kurz vor ihrem Beginn jäh abgebrochen.

Schon im Sommer 1945 arbeitete die Prager Regierung Pläne für einen Arbeitseinsatz von slowakischen Magyaren in den Grenzgebieten aus. Die gesetzliche Grundlage gaben zwei Präsidentendekrete ab, die alle Bewohner der Tschechoslowakei der Arbeitspflicht unterstellen konnten. Auf Geheiß der Prager Regierung wies die Landesregierung der Slowakei Anfang November 1945 das Pressburger Besiedlungsamt an, Pläne für eine Anwerbungsaktion von slowakischen Magyaren auszuarbeiten. Die mit verschiedenen Ministerien abgestimmten Pläne sahen schließlich die „Anwerbung” von 120 000–140 000 Magyaren vor, an deren Stelle in der Südslowakei ca. 200 000 slowakische Kolonisten treten sollten. Tatsächlich lief vom 23. Oktober bis Mitte November 1945 die erste Zwangsdeportation magyarischer Personen ab. Ihr Ziel war die Verbringung von rund 30 000 Magyaren in die historischen Länder. Auf Veranlassung des Außenministeriums wurde das Unterfangen jedoch abrupt abgebrochen, was zur Folge hatte, dass bisher nur 9 400 Magyaren in die böhmischen Länder verbracht werden konnten (nach anderen Angaben: 12 000). Zwei Drittel von ihnen kehrten noch vor Weihnachten 1945 wieder in die Südslowakei zurück. Die Aktion endete vollends als Misserfolg.

Ab Frühling 1946 bestand auch für slowakische Magyaren, u.a. im Rahmen der Anwerbungsaktion „Hilfe der Slowakei für die böhmischen Länder”, die Möglichkeit, freiwillig als Hilfsarbeiter in die Grenzgebiete zu übersiedeln. Das Prager Landwirtschaftsministerium erhoffte sich von der Aktion die Anwerbung von wenigstens 100 000 Individuen, vorwiegend Magyaren. Doch auch diese Aktion erreichte ganz und gar nicht die erhofften Erwartungen: Zwar meldeten sich fast 200 000 Slowaken, doch nicht einmal 2 000 Magyaren.

 

99 Tage. Die Flatotwelle der Deportationen im Winter 1946/47

Anfang August 1946 ereignete sich in Pressburg eine Beratung von tschechischen und slowakischen Behörden, auf der beschlossen wurde, dass von nun an zwecks Anwerbung von Arbeitskräften die Zwangsvorschriften von Dekret Nr. 88/1945 angewendet werden sollten. Die Prager Regierung billigte den Zwangseinsatz von magyarischen Arbeitern in Böhmen und Mähren im Oktober 1946. Der slowakische Rat der Beauftragten gab sein Einverständnis am 22. November 1946. Schon ab dem 19. November allerdings hatten Organe der Bezirksarbeitsämter zusammen mit Polizei- und Militäreinheiten unter der Leitung des Pressburger Besiedlungsamtes bzw. des Ministeriums für Sozialfürsorge damit begonnen, magyarische Bewohner der Südslowakei per Lastkraftwagen zur nächsten Eisenbahnstation zu befördern und unter Bewachung in den tschechischen Landesteil zu schicken. Die Aktion hatte planmäßigen Charakter und die Namen der betroffenen Familien befanden sich auf vorgefertigten Listen. Faktisch bestand keine Berufungsmöglichkeit. Beweglicher Besitz konnte, soweit es die Transportkapazitäten per Bahn erlaubten, mitgeführt werden, jedoch kein lebendes Inventar. Ausgenommen von der langsam ostwärts schreitenden Aktion, die semi-militärischen Charakter besaß, waren Magyaren, die bereits für den mit Ungarn vereinbarten Bevölkerungsaustausch angemeldet waren, bereits „Reslowakisierte” sowie Personen, über deren Gesuch um Erhalt der tschechoslowakischen Staatsbürgerschaft noch nicht entschieden war. Nach internen Statistiken der Sicherheitsdienste wurde ein großer Anteil Magyaren aus gesundheitlichen oder anderen Gründen von der Aktion ausgeschlossen oder war vor dem Abtransport geflüchtet. Arbeitseinsätze gemäß Dekret Nr. 88/1945 waren zeitlich auf maximal 1 1/2 Jahre begrenzt. Offensichtlich rechnete Prag aber nicht mit der Rückkehr der Deportierten und gedachte diese dauernd als Arbeitskräfte einzusetzen, was klar den gesetzlichen Vorschriften widersprach. Auf deren Gütern wurden sogenannte „Vertraute” eingesetzt, selber sozial niedrigen Schichten entstammend und nicht selten ebenfalls Umgesiedelte (entweder aus der Karpatoukraine oder aus Ungarn), die meist auf endgültige Eigentumszuteilung des ihnen anvertrauten Besitzes hofften. Die Regierung versprach sich von der Deportation einer großen Anzahl Magyaren in die böhmischen Länder die schleichende Assimilation der Betroffenen im tschechisch dominierten Siedlungsgebiet. Die Deportationsmaßnahmen verfolgten dazu auch ein wichtiges außenpolitisches Ziel, nämlich Druck auszuüben auf die ungarische Regierung, die – wohl aus der Hoffnung, auf der bevorstehenden Pariser Friedenskonferenz könne ihr die einst abgetretene Südslowakei wieder zugeteilt werden – das im Februar 1946 bereits unterzeichnete Bevölkerungsaustauschabkommen sabotierte. Der Pressekrieg zwischen Prag und Pressburg einerseits, und Budapest andererseits brach umgehend aus. Auf tschechoslowakischer Seite konnte von kritischer Berichterstattung kaum die Rede sein, die Meldungen in dieser Frage waren zentral gesteuert und gaukelten der Öffentlichkeit idyllische Zustände vor, die kaum jemals der Wirklichkeit entsprachen (so die Behauptung, der größte Teil der „umgesiedelten” Magyaren hätte sich freiwillig gemeldet und sei mit den Lebensverhältnissen in Böhmen zufrieden). Ungarische Presseberichte – teils wahrheitsgetreue, teils übertriebene – waren es schließlich, die die tschechoslowakischen Deportationsmaßnahmen weltweit medial bekannt machten und sie – auf Druck der Vereinigten Staaten, von Großbritannien, und nach kritischen Pressekommentaren in den internationalen Gazetten – am 22. Februar 1947 auch beendeten. Bereits durch die Parteispitzen der tschechischen und slowakischen Kommunisten verabschiedete Pläne zur Arbeitsmobilisierung von sage und schreibe 250 000 slowakischen Magyaren mussten damit vorerst aufs Eis gelegt werden.

Die meisten der Deportierten waren nicht Angehörige vermögender Schichten, sondern Kleinbauern, Kleingewerbler oder noch ärmere Hilfsarbeiter. Die Deportierten bestanden meist aus ganzen Familien, von denen insgesamt 9 610 verschleppt wurden (nach anderen Quellen 11 764). Freiwillig in die böhmischen Länder begaben sich angeblich 2 489 Personen magyarischer Nationalität. Praktisch unlösbare Zustände ergaben sich aus der Tatsache, dass die Deportierten in zahlreichen belegten Fällen auf eigene Faust wieder in die Südslowakei zurückkehrten, wo sie ihre Besitzungen aber meist schon von einem „Vertrauten” verwaltet sahen. Sie versteckten sich darum bei Bekannten und führten ein Schattendasein oder flüchteten weiter nach Ungarn. Die Einstellung der Zwangsdeportationen bedeutete nicht, dass für die bereits Verschickten die Arbeitspflicht am Einsatzort geendet hatte. In die Slowakei Zurückgeflüchtete wurden erbarmungslos wieder zurückgeschickt, falls sie gefasst wurden. Ende 1947 arbeiteten in Böhmen 37 778 Magyaren, in Mähren-Schlesien 6 351 Personen. Bis zu diesem Zeitpunkt waren bereits 3 184 Magyaren aus ihrem Arbeitsort entwichen (nach anderen Angaben: 15 000). Im Dezember 1947 wurden in den böhmischen Ländern insgesamt 48 425 magyarische Arbeiter registriert. Nach Erlangung des kommunistischen Machtmonopols in Prag im Februar 1948 und der zügigen „Normalisierung” der Beziehungen mit Budapest setzte die individuelle Rückkehr von Magyaren in die Südslowakei im großen Stil ein. Im Oktober wurde – in Abstimmung mit der Budapester Parteiführung – den meisten Magyaren wieder die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft zwangsverliehen. Wenigstens auf dem Papier wurden die tschechoslowakischen Magyaren erneut zu gleichberechtigten Bürgern. Anfang März 1948 hatte die Regierung noch beschlossen, die Rückeinbürgerung abhängig zu machen von der Verpflichtung, mindestens drei weitere Jahre in den Grenzgebieten zu verweilen. Diese Möglichkeit hatten nur sehr wenige Magyaren wahrgenommen. Bis Oktober 1948 waren etwa 17 000 Arbeitseingesetzte aus den böhmischen Ländern zurückgekehrt. Dort verblieben zu diesem Zeitpunkt immerhin noch 27 200 Personen. Im November 1948 sank die entsprechende Zahl auf 23 606 Personen. Am 7. Januar 1949 begann schließlich der staatlich organisierte Rücktransport der Deportierten und hielt bis zum 15. April an. Streitigkeiten zwischen den Rückgekehrten und den auf ihren früheren Anwesen ansässigen „Vertrauten” dauerten noch jahrelang an. In den meisten Fällen bekamen die angestammten magyarischen Eigentümer ihr Besitztum zurück. Oft war es vorgekommen, dass „Vertraute” den freiwilligen Wegzug vom zugeteilten Gut einem schlechten Gewissen vorgezogen hatten.

 

Repression ohne Erfolg

Der zweite Versuch, sich der magyarischen Minderheit in der Slowakei per Zwangsverschickung in den westlichen Landesteil zu entledigen, war nach 99 Tagen noch kläglicher als der erste im Herbst 1945 misslungen. Überhaupt scheiterten alle Maßnahmen, die die Prager Regierung von 1945 bis 1949 bezüglich der unerwünschten magyarischen Minderheit ergriffen hatte: Neben den Zwangsdeportationen die freiwillige Anwerbung von Magyaren in die böhmischen Länder, die von den Alliierten weder in Potsdam noch im Pariser Friedensvertrag vom 10. Februar 1947 sanktionierte einseitige Aussiedlung derselben, der Bevölkerungsaustausch mit Ungarn, der die in ihn gesetzten Erwartungen nicht erfüllte, und schließlich auch die Reslowakisierungen, denn bereits ab den 1950er Jahren kehrten weit über 100 000 Reslowakisierte wieder zu ihrem angestammten magyarischen Bekenntnis zurück. Die Tschechoslowakei, besonders der slowakische Landesteil, musste sich mit der Existenz einer über Zehnprozentigen, kompakt siedelnden magyarischen Minderheit wohl oder übel abfinden. Die Art und Weise, wie die magyarische Bevölkerung in den ersten Nachkriegsjahren seitens des sich als volksdemokratisch gebenden Staates behandelt wurde, beinhaltete bereits klar totalitäre Züge, wie sie auch die Vertreibungs- und Aussiedlungsvorgänge und die Abrechnung mit Gegnern der politischen Rechte und Mitte offenbart hatten. Der Weg zur alleinigen Herrschaft einer Partei, der im Februar 1948 endgültig eingeschlagen wurde, war somit bereits klar vorgezeichnet.

Nach internen tschechoslowakischen Lageberichten blieb die Arbeitsleistung der magyarischen Arbeitsverpflichteten hinter den Erwartungen zurück. Diese wurden u. a. in grenznahen, stark abgelegenen und bewaldeten Gegenden angesiedelt – meist in West- und Südböhmen. Dort hielten sich, wie bereits erwähnt, auch besonders viele Slowaken auf. Auch Bauern im tschechischen Landesinnern wurden magyarische Arbeiter zugeteilt. Die magyarischen Arbeitskräfte wurden mehrheitlich als Waldarbeiter in den ausgedehnten Staatsforsten oder Weidegenossenschaften in höheren Lagen eingesetzt und bekamen für ganze Familien kaum adäquate Behausungen zugewiesen, daneben ein bescheidenes Stück Land. Lokal bildeten Magyaren – verstärkt durch einige Zehntausend ebenfalls angesiedelte und magyarischsprechende „Reslowakisierte” und slowakische „Reemigranten” aus Ungarn – in gewissen Bereichen der böhmischen Grenzgebiete zwischenzeitlich ein wichtiges Bevölkerungssegment, das mit der Sympathie der tschechischen Neusiedler nicht rechnen konnte. So ergaben sich zwischen einzelnen Siedlergruppen örtlich bemerkenswerte Schicksalsallianzen: Zwischen Magyaren und nicht abgeschobenen und gleichsam als Bürger zweiter Klasse geltenden Deutschen, zwischen Magyaren und tschechischen Reemigranten, die vom Gros der tschechischen Neusiedler aus dem Landesinnern gleichsam als Fremde betrachtet wurden – und nicht zuletzt zwischen einer großen Anzahl von Slowaken (teils aus der Slowakei stammend, teils aus dem Ausland) und Magyaren. 1950 wurden in den böhmischen Ländern nur mehr 13 201 Personen magyarischer Nationalität registriert – nicht wenige Magyaren versprachen sich also auch weiterhin vom Verbleib im westlichen Landesteil mehr als von einer Rückkehr in die Slowakei. Der Aufenthalt des Großteils von über 60 000 Magyaren in den böhmischen Ländern war dennoch nur von vorübergehender Dauer, hinterließ aber bei den Betroffenen noch lange traumatische Spuren des Erlebten.

 

Literatur

Bobák, Ján, Mađarská otázka v Česko-Slovensku (1944-1948), Martin 1996 (Spisy Historického odboru Matice Slovenske, Zv. 13). ca. 20 S. über die Deportationen

Bobák, Ján, Mađarská otázka v Československu v rokoch 1945-1948, in: Slezský sborník 85/1987, 23ff.

Gyurgyík, László, Changes in the demographic, settlement, and social structure of the Hungarian minority in (Czecho-) Slovakia between 1918 – 1998, Budapest 1999 (Occasional papers / Teleki László Foundation, 13).

Hrabovec, Emilig, „Aktion SÜD”. Die ungarische Frage in der südlichen Slowakei von September bis Oktober 1949. In: Lukan, Walter / Suppan, Arnold (ed.), Nationalitäten und Identitäten in Ostmitteleuropa. Festschrift aus Anlass des 70. Geburtstages von Richard Georg Plaschka, Wien u.a. 1995, 97-118. Einziger Beitrag in deutscher Sprache! – behandelt nur die dritte und vor Beginn „abgeblasene” Deportationswelle im Jahre 1949 – also keine Gesamtdarstellung über die Deportationen der Jahre 1945-1949.

Janics, Kálmán, Roky bez domoviny. Mađarská menšina na Slovensku po druhej svetovej vojne 1945-1948, Budapest 1994. Fundierte Studie zur Stellung der Magyaren generell.

Kálmán, Janics, A hontalanság évei. A szlovákiai magyarkisebbség a 2. világháború után 19451948, Budapest 1992. Ungarische Originalausgabe von oben

Janics, Kálmán/ Borsody, Stephen, Czechoslovak Policy and the Hungarian Minority 1945-1948, New York 1982 (War and Society in Fast Central Europe: The Effects of World War 11, 9). Enthält die ausführlichsten Informationen u.a. auch zu den Deportationen in einer westlichen Sprache – basiert jedoch NICHT auf Archivquellen.

Molnár, Imre, Kapitoly zpoválečných dĕjin Mađarů vysídlených do Čech, In: Střední Evropa, roč. 7, 1991, c. 19, s. 74-90. Das Wichtigste, ohne tschechische Archivquellen

Molnár, Imre, Hazahúzott a szülőföld...Visszaemlékezések, dokumentumok a szlovákiai magyarság Csehországba deportálásáról, 1945 – 1953, Budapest 1992. Wird mir erst diese Woche per Post zugestellt

Obžalovaný prehovori. Dokumenty z dejín Maďarov v Československu, Bratislava 1994.

Pešek, Jan, Vysídl’ovacie akcie na Slovensku v rokoch 1948-1953, in: Soudobé dĕjiny 1/3/1996, 42-59.

Slapnicka, Helmut, Die rechtlichen Grundlagen für die Behandlung der Deutschen und der Magyaren in der Tschechoslowakei 1945-1948. In: Plaschka, Richard G. / Haselsteiner, Horst / Suppan, Arnold / Drabek, Anna M. (ed.), Nationale Frage und Vertreibung in der Tschechoslowakei und Ungarn 1938-48. Aktuelle Forschungsergebnisse, Wien 1997, 155-192. Nicht zu den Deportationen

Srb, Vladimír, Demograficky profil maďarské mensiny v Československu, in: Česky lid 72/1985, 218-230.

Šutaj, Štefan, Maďarská menšina na Slovensku v rokoch 1945-1948 (Východiská a prax politiky k maďarskej menšine na Slovensku), Bratislava 1993. Recht ausführlich auch über die Deportationen – basiert auf slowak. und tschech. Quellen – der beste Beitrag auf Slowakisch

Šutaj, Štefan Poznámky ku kapitolám z poválečných dejín Maďarov vysídlených do Čiech, In: Střední Evropa 26/8/1992, 76-84.

Šutaj, Štefan, „Akcia Juh”. Odsun Maďarov zo Slovenska do Čiech v roku 1949. Štúdia, Praha 1993 (Sešity Ústavu pro soudobć déjiny, sv. 8). Nur über die dritte Phase der Deportationen 1949 – ausführlicher als Beitrag von E. Hrabovec oben

Šutaj, Štefan, Reslovakizácia (Zmĕna národnosti Části obyvatelstva Slovenska po 11. Svetovej vojne), Kosice 1991.

Šutaj, Štefan, Postavenie maďarskej menšiny na Slovensku po druhej svetovej vojne, in: Národnostní menšiny – historické souvislosti nĕkterý”ch aktuálních problémů v Evropĕ a v ČR, Praha 2000, 47-60.

Tarics, Péter: Magyarként a Felvidéken, 1918-1993: először nyilvánosságra hozott dokumentumokkal és információkkal [Zur Geschichte der ungarischen Minderheit in der Slowakei, 1918-1993: erstmalig veröffentlichte Dokumente und Informationen], Budapest: Püski 1994.

Tóth, Laszló: „Hivebb emlékezésül”: Csehszlovákiai magyar emlékiratok és egyéb dokumentumok a jogfosztottság éveiből 1945-1948 [Tschechoslowakisch – ungarische Denkschriften und sonstige Dokumente aus den Jahren der Rechtlosigkeit 1945 – 1948 in der Tschechoslowakei], Bratislava: Kalligram Könyvkiadó 1995.

Ujváry, Zoltán, Szülőföldön hontalanul. Magyarok deportálása Csehországba, Debrecen 1991. Auch auf Tschechisch und Slowakisch erschienen – basiert auf einem Erlebnisbericht (Erzählform)-keine wissenschaftl. Publikation (133 S.)

Ujváry, Zoltán, Bezdomovcom v rodnej zemi. Deportácia Maďarov do Čiech. Dunajská Streda 1997.

Vadkerty, Katalin, A deportálások. A szlovákiai magyarok csehországi kényszerközmunkája 1945 – 1948 között, Pozsony [Bratislava], 1996. Sehr gut – arbeitete z.T. auch mit Akten der Prager Zentralorgane – die beste Darstellung zur Thematik – nur auf Ungarisch erschienen!

Zvara, J., Maďarská menšina na Slovenaku po roku 1945, Bratislava 1969. Ideologisch deformiert, faktographisch nur teilweise brauchbar