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Begegnungen
Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Band 21: 217–272.

SPRACHENPOLITIK UND NATIONALE MINDERHEITEN IN UNGARN*

 

* Überarbeitete und z. T. erweiterte Beiträge einer Konferenz, die am 4. Dezember 2001 in Budapest durch das Europa Institut Budapest gemeinsam mit dem Germanistischen Institut der ELTE in ungarischer Sprache veranstaltet wurde.

 

FERENC GLATZ

Die „kleinen Nationen” und die „kleinen Sprachen” in Mittelosteuropa

Vorwort

 

Eine der großen Fragen unseres Zeitalters ist die, ob neben den sich zu politischen und kulturellen Weltmächten auswachsenden Kulturen der großen Sprachen die Nationalkulturen der kleinen Sprachen als lebensfähige kulturelle Gemeinschaften erhalten bleiben können. Werden die kleinen nationalen Gemeinschaften nicht ihre Kultur in der eigenen Muttersprache verlieren? Besonders uns Völker in Mittelosteuropa beschäftigt diese Frage, wo ungefähr ein Dutzend kleine Kulturen auf einem relativ kleinen Gebiet nebeneinander leben. Was für ein Schicksal werden die unterschiedlichen slawischen Kulturen, die rumänische und die ungarische Kultur sowie die anderen Kulturen haben? Werden die kleinen Nationalkulturen von der Produktions- und Handelsglobalisierung, von der damit verbundenen Wanderung der Arbeitskräfte, von der Verbreitung der Kulturen in den großen Sprachen, vom Fernsehen, vom Rundfunk und vom Reisen beseitigt? Welche Sprachen werden die Menschen des folgenden Jahrhunderts gebrauchen?

Eine Detailfrage in den Zukunftsanalysen in Bezug auf die kleinen Nationalkulturen ist folgende: was wird mit der Kultur der kleinen nationalen Gemeinschaften werden, die innerhalb eines Staates heute als nationale Minderheit leben? Auch dies ist eine ziemlich spezifische Frage in Ostmitteleuropa, decken sich doch, wie es allgemein bekannt ist, in diesem Raum die Grenzen der Staatsgebiete und der nationalen Siedlungsgebiete nicht. Beinahe in allen Ländern leben nationale Minderheiten, obzwar die entnationalisierenden Aktionen des 20. Jahrhunderts – sowohl zur Zeit der demokratischen, als auch der diktatorischen politischen Systeme – die als nationale Minderheiten lebenden Menschen des Gebrauchs ihrer ursprünglichen Sprache, ja sogar ihrer Bräuche beraubt haben. Ganz zu schweigen von dem auf ethnischer Grundlage erfolgten Blutvergießen.

Als die Ungarische Akademie der Wissenschaften sich der Aufgabe unterzogen hatte, dass ihre Wissenschaftler die gesellschaftlichen und weltpolitischen Alternativen der vor uns liegenden Jahrzehnte umreißen sollen, hatten wir natürlich auch die Erörterung der Frage der mittelosteuropäischen Minderheiten unter unsere Forschungsthemen aufgenommen. Und als im Jahre 1990 das Europa Institut Budapest gegründet wurde, nahmen wir als große europäische Frage dieses Raumes unter die Zielsetzungen des Instituts die Themen der kleinen mittelosteuropäischen Nationen auf. Im vergangenen Jahr wurden dann dem Europa Institut Budapest auch finanzielle Fördermittel zur Behandlung des Themas gewährt. In Zusammenarbeit mit den Strategischen Programmen der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, mit dem Institut für Minderheitenforschungen und mit dem Germanistischen Institut will das Europa Institut Budapest auf einer Reihe von Konferenzen und im Rahmen von Publikationen und von Abhandlungen die Situation der mittelosteuropäischen Minderheiten untersuchen. Und es will die Alternativen erforschen, welche Möglichkeiten sich zum Erhalten der Kulturen der Minderheiten ergeben.

Gestatten Sie mir, in meinem Referat einige praktisch scheinende Thesen vorauszuschicken.

Erste These: Von der Europäischen Union können wir einstweilen nur wenig Unterstützung auf dem Gebiet der Förderung der Minderheitenkulturen innerhalb der Staaten auf der Ebene der Gemeinschaft erwarten. Dennoch muss alles unternommen werden, damit es die Politikmacher akzeptieren: es ist Bestandteil der gesellschaftlichen Demokratie und der Menschenrechte, dass die Minderheitenkulturen bestehen bleiben können.

Erläuterung: Auch in den großen Staaten Westeuropas, vor allem in Frankreich, Großbritannien und in Spanien, wurden vor anderthalb Jahrzehnten in den ethnisch-sprachlichen Minderheiten nur destabilisierende Faktoren erblickt. Die einseitige staatsbürgerliche Identität, die eine der mehrdeutigen Errungenschaften der großartigen Französischen Revolution war, hatte die kollektive Repräsentanz der von der Staatsangehörigkeit unabhängigen sonstigen Identitäten nicht akzeptiert. Es sei hinzugefügt: deshalb wurden für mich so ideale klassische liberale Politiker sowohl mit dem sozialen Kollektivismus, als auch mit dem nationalen Kollektivismus konfrontiert. Die Situation wandelt sich nur langsam, zur Zeit der Entstehung der Europäischen Union (1992) wurden die ersten Empfehlungen des Minderheitenschutzes angenommen, deren Reihe dann in der zweiten Hälfte der 90er Jahren langsam erweitert wurde.

Zweite These: Eine der ungeklärten Bedingungen für die Osterweiterung der Europäischen Union: die Fixierung der kollektiven Rechte der innerhalb der einzelnen Staaten lebenden nationalen Minderheiten.

Erläuterung: Von den westeuropäischen Politikern werden in den mittelosteuropäischen nationalen (und religiösen) Minderheitenkonflikten politisch und gesellschaftlich destabilisierende Faktoren erblickt. Sie kennen die neuzeitliche Entwicklung dieses Raumes nicht ausreichend, sie wissen nicht, dass in diesem Raum neben der staatsbürgerlichen Identität die nationale Brauchtumsidentität der Menschen sich mehr erhalten hat als in Westeuropa. Von den hiesigen Reichen, in der Zeit als feudalistisch bezeichnet, vom Habsburgerreich und vom Türkischen Reich, wurde auf paradoxe Weise auf dem Territorium des Staates die nationale und religiöse Vielfalt in einem höheren Maße zugelassen als von den liberalen Demokratien in Westeuropa.

Deshalb muss es den westeuropäischen Kollegen erklärt werden, dass sie mit der mittelosteuropäischen ethnischen Vielfalt als Gegebenheit umzugehen haben. Sie müssen zur Kenntnis nehmen: die westeuropäischen gemeinschaftlichen Normativen können nicht in unveränderter Form in Mittelosteuropa angewendet werden.

Dritte These: Die Kulturen sind gleichwertig, alle stehen unseren Göttern gleich nahe. Die Regelung der Rechte der nationalen Minderheiten dieses Raumes kann nur auf einheitlicher Grundlage vorgenommen werden. Auch der ungarische Staat muss zur Kenntnis nehmen: man kann die juristische Stellung der in den Nachbarstaaten lebenden Ungarn nicht regeln, ohne dass die Stellung der nicht-ungarischen Völker in Ungarn geregelt würde.

Erläuterung: In diesem Raum wurden mit der Entstehung der Nationalstaaten nach 1920 die vor 1918 entstandenen nationalen Gegengefühle und nationalen Interessengegensätze auf eine institutionelle Ebene angehoben. Nach 1945, zur Zeit der sowjetischen Besetzung, wurden die Widersprüche unter den Teppich gekehrt. So auch die Probleme der nationalen Minderheiten innerhalb des Staates.

Nach 1990, nach dem Zusammenbruch des sowjetischen Systems, wurde von allen Nationen der Welt mitgeteilt: sie wollen ihre nationalen Brüder, die in den Nachbarstaaten in der Minderheit leben, verteidigen. Und inzwischen vergaßen sie die auf dem Territorium ihres eigenen Staates lebenden nationalen Minderheiten.

Auch die heutige ungarische Minderheitenpolitik verfällt in diesen Fehler: in der Erbitterung wegen des Minderheitenschicksals der jenseits der Grenzen lebenden Ungarn vergisst sie ihre Pflicht, bei den in Ungarn lebenden deutschen, rumänischen, kroatischen, slowakischen, serbischen Minderheiten, ja sogar bei der Roma-Minderheit oder dem sich auf unterschiedlicher Grundlage, doch nicht als „Minderheit” identifizierenden Judentum, die menschlichen Rechte zu achten und für das Fortleben ihrer Kultur zu sorgen.

Vierte These: Die Minderheitenfrage ist keine „innere”, sondern eine regionale Angelegenheit. In Bezug auf die nationalen Minderheiten haben sich die mittelosteuropäischen Staaten in Bezug auf einen Verhaltenskodex miteinander zu einigen.

Erläuterung: In der Denkweise der in diesem Raum in der Politik gegenwärtig eine Rolle spielenden Generation lebt immer noch die politische Innervation des sowjetischen Systems fort: jeder soll vor seiner eigenen Tür kehren. Vor kurzer Zeit hatte ich dem slowakischen Unterrichtsminister angeboten, die Slowakei solle den ungarländischen Slowaken slowakische staatliche Fördermittel zur Bewahrung ihrer Identität gewähren. Auch ich habe es angeboten: von der Ungarischen Akademie der Wissenschaften sollen Stipendien, Ressourcen zur Sicherung der Selbstidentität des dortigen Ungartums in die Slowakei vergeben werden. Die Antwort war eine starre Ablehnung. Der Minister antwortete: Alle Rechte der slowakischen Ungarn sind gesichert, dies ist die innere Angelegenheit des slowakischen Staates, das Schicksal der ungarländischen Slowaken ist die innere Angelegenheit Ungarns, die Slowakei interessiert die Frage nur auf dem Niveau, ob der ungarische Staat den internationalen Konventionen nachkommt oder nicht. Ich muss aber sagen: auch den kroatischen Unterrichtsminister musste ich darum ersuchen, er möge kroatische Ressourcen und Bücher nach Ungarn bringen, damit die Kultur der ungarländischen Kroaten bewahrt wird. Der Minister ist ein kluger, gebildeter und demokratische Mann, er erwiderte: Kroatien freut sich, wenn die Kultur der Ungarn in Kroatien vom ungarischen Staat gefördert wird, Kroatien habe aber keine Mittel, um den Kroaten in Ungarn helfen zu können.

In der Europäischen Union muss hierüber aber anders gedacht werden.

Fünfte These: Der Staat hat eine Minderheitenintelligenz auszubilden und am Leben zu erhalten. Dazu reicht es nicht aus, nur die Minderheitenverbände zu finanzieren. Zur Erhaltung der Minderheitenkultur müssen vom Staat Institutionen gegründet und Stellen geschaffen werden: Stellen an Universitäten, bei Verlagen und Redaktionen, als Wissenschaftler, als Redakteure und Reporter beim Fernsehen und Rundfunk, als Übersetzer. Wenn kein persönliches Interesse besteht zur Betreibung der Minderheitenkultur, dann werden in unseren Staaten die nationalen Minderheiten aussterben.

Erläuterung: Ein bedeutender Teil der in der Minderheit lebenden Menschen gehört zur sozialen Schicht der physischen Werktätigen oder niedrigen Beamten. Es ist das Interesse aller mittelosteuropäischer Gesellschaften, die Grenzen der Staaten dieses Raumes durchgängig zu machen. Einen Unterhalt sichert der Austausch der materiellen und kulturellen Güter: Slowaken, Deutsche, Rumänen und Südslawen können Tagewerker des Vermittlerhandels, der regionalen Kooperationen sein. Und diese Mittlerrolle wird weder englisch noch deutsch abgewickelt werden. Es ist das Interesse aller Nationen dieses Raumes, dass hier eine multikulturelle Intelligenz besteht.

Wir sind also bei der Harmonie von Vernunft, Gefühlen und Interessen angelangt. Diese soll unser Denken durchdringen! Jene Institutionen, an deren Spitze ich mit entscheiden kann, was die Verwendung der Ressourcen anbelangt, werden immer für die Interessen der Entwicklung dieser menschlichen Werte kämpfen.

 

ZSIGMOND RITOÓK

Sprachkultur in der Zeit der Globalisierung

 

Es ist ein Gemeinplatz, dass wir uns in der Zeit der Globalisierung befinden. Von den zahlreichen Bezügen würde ich jetzt nur einige im Zusammenhang mit der Sprache erwähnen.

1. Die Internationalisierung der Kontakte in den Wissenschaften und in der beruflich-fachlichen Kultur (auf den internationalen Beratungen ist der Sprachgebrauch geregelt, eventuell nur auf eine Sprache beschränkt; dies gilt auch für die Sprache der Fachliteratur, die Termini einer Sprache werden zu Internationalismen).

2. Die Internationalisierung der Kontakte in den Massenmedien, in den Medien (Rundfunk, Fernsehen, Film). Im umfangreichen Genuss dieser genießen jene einen Vorteil, die über die Kenntnisse gewisser Sprachen verfügen.

3. Den Gebrauch des Fachwortschatzes der Fachsprache, von unverändert aus Fremdsprachen übernommenen Fachwörtern unterstützen psychologische Faktoren: man braucht nicht darüber nachzudenken, wie diese in einer anderen Sprache auszudrücken sind, darüber hinaus wird noch der Anschein der Eingeweihtheit vermittelt.

4. Die Sprache widerspiegelt naturgemäß eine gewisse Betrachtungsweise, Denkweise, trägt eine gewisse Wertordnung, was in lokaler (nationaler) Beziehung abschwächend auf das Identitätsbewusstsein der Gemeinschaft einwirkt.

5. Demgegenüber wirken die lokalen (nationalen) Identitätsbewusstseine, das Bestehen auf der Nationalsprache, der sich in dieser äußernden Betrachtungsweise, der Wertordnung, auf den eventuell historisch determinierten, begründeten Formen des Sich-Verschließens vor den anderen Sprachen, den anderen Sprachen gegenüber.

Aus den beiden gegeneinander gerichteten Faktoren kann sich im glücklichen Falle eine günstig wirkende Spannung entwickeln – aus den Gegensätzen kommt die schönste Harmonie zustande, sagten die Griechen, im unglücklichen Falle eine ungünstige. An der ersteren zu arbeiten, letztere zu umgehen, darin besteht die Sprachenpolitik.

 

„Kleine” Sprachen und „große” Sprachen

Offenkundig sind die Sprachen nicht gleich. Es gibt von vielen gebrauchte „große” Sprachen und von wenigeren Sprechern verwendete „kleine” Sprachen. Es gibt Sprachen, die in solchen Ländern gesprochen werden, die in der gesellschaftlichen und kulturellen Entwicklung ein großes Gewicht bedeuten, in der Weltpolitik eine wichtige Rolle spielen, und es gibt solche Länder, die – eventuell trotz der großen Zahl ihrer Bevölkerung – nicht determinierend sind. Es besteht kein Zweifel daran, dass im Zeitalter der Aufklärung, im 17.–18. Jahrhundert, das Französische eine solche Sprache war, obzwar es in Europa Sprachen gab, die von einer an der Zahl bedeutenderen Bevölkerung gesprochen wurden. Es besteht kein Zweifel daran, dass heutzutage, auch infolge des wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Gewichts der USA, das Englische eine derartige Sprache ist. Das, was ich vorstehend in Punkt 1 und 2 angeführt hatte, gilt in erster Linie hierfür, doch kommt dagegen auch die in Punkt 5 erwähnte Gegenwirkung zur Geltung.

Theoretisch gibt es für jedes Land die Möglichkeit des Sprachwechsels – in einigen Ländern befasst man sich damit auch in der Praxis –: die Aufgabe einer kleinen Sprache und die Übernahme einer großen Sprache, im konkreten Fall des Englischen. Hierfür gibt es ein Beispiel, wenn es auch nicht vollkommen und vor allem nicht freiwillig war: der Übergang der Iren zum Gebrauch der englischen Sprache. Dennoch gibt es auf dem Weg hierhin Schwierigkeiten. Die eine: nicht einmal in den entferntesten Perspektiven ist es wahrscheinlich, dass die Sprecher einiger großer Sprachen (z. B. die Franzosen, Spanier oder gerade die Araber, ganz zu schweigen von den Chinesen) die Verwendung ihrer eigenen Sprache aufgeben werden, auch wenn sie im internationalen Verkehr das Englische annehmen. Die zweite Schwierigkeit liegt im Raum näher: in Osteuropa, wo die Nationalsprache traditionell an das Nationalbewusstsein gekoppelt ist („in ihrer Sprache lebt die Nation”) wäre der Sprachwechsel kaum leicht realisierbar. Die andere Möglichkeit, dass wir diese Frage einfach nicht zur Kenntnis nehmen, und die in unsere Sprache auf dem Wege des wissenschaftlichen oder sonstigen Sprachgebrauchs eindringenden fremden Elemente einfach als Fremdkörper auffassen, diese an entsprechender Stelle verwenden, und uns übrigens mit dem vorhandenen ungarischen Sprachzustand zufrieden geben, indem wir darauf vertrauen, dass die erwähnten Fremdkörper im Laufe der Zeit als Lehnwörter in die ungarische Sprache Einzug halten. Es ist hier üblich, sich auf die bulgarisch-türkischen oder slawischen Lehnwörter des Ungarischen zu berufen. Die Parallele ist aber nicht ganz überzeugend. Zur Zeit der Übernahme der bulgarisch-türkischen oder slawischen Lehnwörter war die ungarische Gesellschaft in Bezug auf die Lebensweise viel einheitlicher als heute, also konnten die Lehnwörter leicht in den Sprachgebrauch der gesamten Gesellschaft einziehen. Heutzutage werden die fremden Ausdrücke einer Fachsprache nur von gewissen Teilen der Gesellschaft verwendet, und aus Fachbüchern können ganze Sätze zitiert werden, in denen außer dem bestimmten Artikel und den Konjunktionen kein einziges ungarisches Wort enthalten ist. So kann also eine besondere Zwei- und Mehrsprachigkeit zustande kommen.

Was für benachteiligende Folgen dies von gesellschaftlichen, Unterrichts- und Anschlussgesichtspunkten aus haben kann und hat, darauf wurde von Ferenc Glatz mehrmals hingewiesen, ich möchte es jetzt nicht wiederholen, sondern nur darauf verweisen. Im Falle einer derartigen Zweisprachigkeit wird die ungarische Sprache an den Rand verdrängt, und die nur Ungarisch sprechenden Personen können sich die höhere fachliche Bildung nur schwieriger aneignen, dadurch wird das Zerreißen der Gesellschaft in zwei Teile, das übrigens auch aus wirtschaftlichen Gründen droht, auch kulturell vertieft. Hierzu muss ich aber noch etwas hinzufügen. Nach dem ungarischen Schriftsteller Sándor Márai kann jemand nur in seiner Muttersprache Schriftsteller werden. Márai, der den größeren Teil seines Lebens im Ausland verbracht hatte, nach 1948 in der Emigration, der sich für einen Europäer, für international gehalten hat, der kaum Heimweh nach dem ungarischen Lande verspürte, jedoch nach der ungarischen Kultur, nach der ungarischen Sprache immer. Und nicht nur er, der Schriftsteller, der Übermittler von Gedanken hatte dieses Gefühl, sondern auch z. B. Joel Alon, der ehemalige Botschafter des Staates Israel in Budapest, der Ungarn als erwachsener junger Mann verlassen hatte, und der sagte, dass er keine besondere Ergriffenheit in der Stadt seiner Jugend verspürt, in der ungarischen Literatur aber ja. Für ihn ist auch jetzt die ungarische Literatur die Literatur. Die „Zweisprachigkeit” hat also nicht nur vom Gesichtspunkt der fachlichen Bildung aus nachteilige Folgen, sondern auch vom Gesichtspunkt des literarischen Werkes und der Wirkung aus. Ein einziges Beispiel dafür, wenn die Zweisprachigkeit zur Einsprachigkeit wird. Der berühmte Dichter der Mansen (Wogulen), Juwan Schestalow, der sein Studium in Moskau absolvierte, schrieb seine ersten Gedichte noch in seiner Muttersprache, später dann in russischer Sprache. Von hier aus gesehen ist es verständlich, wenn von der anderen Seite aus die Gefahr des Nationalismus erwähnt wurde. Dies war die Gegenwirkung. Es gibt aber noch eine Frage.

 

Minderheitensprachen, Mehrheitssprachen

Es gibt nicht nur große und kleine Sprachen, sondern es gibt auch kleine Sprachen und noch kleinere Sprachen, verständlicher formuliert: Minderheitensprachen, wo diese Fragen noch schärfer aufgeworfen werden. Eine kleinere Sprache ist immer mehr oder weniger eingeschlossen, isoliert, denn in einer fremdsprachigen Umgebung bewahrt sie notwendigerweise ihre Besonderheiten, die dort, wo diese Sprache die Mehrheitssprache ist, schon aufgegeben wurden. Dies sind nicht unbedingt „archaische” Wendungen, einstweilen sind sie nur aus der Mode. Dadurch sind sie als die nahe Vergangenheit der Sprache vom sprachgeschichtlichen Gesichtspunkt aus lehrreich. Die Minderheitssprachen aber verändern sich selbst als Sprachinseln zum Teil auch unter dem Einfluss der sie umgebenden Sprache, nicht nur deshalb, weil sie von dieser Wörter, Wortformen, Strukturen übernehmen, sondern weil sie fremde Elemente (den Fachwortschatz!) selbst anders assimilieren oder ersetzen wie dort, wo die Sprache die Mehrheitssprache ist. So können sie auch diese bereichern.

Insofern bedeuten sie für die beschreibende Linguistik und für die Dialektologie ein interessantes Forschungsthema.

Es geht aus dem vorstehend Gesagten hervor, dass sie nicht nur als Forschungsgegenstand wichtig sind, sondern auch als Mittel der leichteren Aneignung der Kultur – näher formuliert, der fachlichen Bildung (Fachausdrücke) – und als Ausdrücke der Gefühlswelt, des Wertesystems der betreffenden sprachlichen Gemeinschaft, einfacher formuliert als Literatur in der Minderheitssprache. Die Möglichkeit der geistigen Selbstverwirklichung ist dazu erforderlich, dass sich eine irgendeine Sprache sprechende Gruppe innerhalb der sie umgebenden Sprache wohl fühlt.

Dies ist vielleicht nirgendwo so wichtig wie gerade hier in den östlichen Landschaften Europas, wo die Sprachen aufeinander stoßen, einander berühren, und mit ihnen zusammen berühren sich auch die Denkweisen und die Traditionen, das historische Bewusstsein. Hier ist die Lösung der Probleme die Aufgabe der Sprachpolitik, weil dies keine sprachwissenschaftliche Fragen sind. Die Traditionen, die Vergangenheit ist von Erinnerungen beladen. Das Ungarische war bis zum Ende des Ersten Weltkrieges eine Mehrheitssprache, das Ungartum war als staatsbildende Nation eine herrschende Nation. Die Erinnerung hieran wirkt, manchmal auch verzerrend, auch bis heute noch, der ungarische Sprachgebrauch kann Empfindlichkeiten reizen. Das kann nicht bejaht werden, ist aber verständig. Trianon hat Ungarn empfindlich gemacht, und ob das nicht mindestens in der Form der Gleichgültigkeit für die Kulturen anderer Sprachen auch bei uns bis heute gilt?

Empfindlichkeiten, manchmal übermäßige Empfindlichkeiten, manchmal auch künstlich am Leben erhalten, können genau so auch im Falle von Mehrheitssprachen bemerkt werden wie im Falle von Minderheitssprachen. Im Falle von Mehrheitssprachen auch noch die Gleichgültigkeit. Obzwar das Eingehen ineinander auch die Quelle der gegenseitigen Bereicherung sein könnte. Mit Béla Bartók wurde auch die rumänische Volksmusik bereichert. Mit Hviezdoslav auch die ungarische Dichtung. Das ist es, was ich weiter oben als befruchtende Spannung bezeichnet habe.

Die erste Frage ist also, ob wir die noch kleineren Sprachen als eine wichtige, wenn nicht gerade als die wichtigste Grundlage der kulturellen Vielfalt bewahren sollen, und was sollen wir für sie unternehmen? Die hier auftretenden Probleme werden in der Zukunft offensichtlich wieder auftreten: muttersprachlicher Unterricht auf der Unterstufe und auf der Mittelstufe, muttersprachliche Lehrer, Presse, usw.

Dies hängt natürlich auch mit der Frage zusammen, wie sehr wir die fruchtbaren Beziehungen haben wollen, wie fruchtbar wollen wir die Spannungen machen, damit daraus die schönste Harmonie entsteht. Das ist nicht nur eine sprachliche Frage, deshalb höre ich auch damit auf. Kurz nur zwei Dinge: die Beziehung setzt zwei Seiten voraus, kann also nur wechselseitig sein, wer was vom anderen erwartet, dass muss er den Möglichkeiten nach auch selbst geben. Nicht nur in Paragraphen, sondern auch in der Praxis, im gesellschaftlichen Bewusstsein. Das andere: hier hat immer die Mehrheit, die größere Sprache die größeren Pflichten. Ganz einfach deshalb, weil sie die stärkere ist. „Wir aber, die wir stark sind, sollen das Unvermögen der Schwachen tragen und nicht Gefallen an uns selber haben.” (Römer 15,1) Der Apostel Paulus schrieb dies nicht in Bezug auf die größeren und kleineren Sprachen, doch gilt dies mutatis mutandis auch für sie.

 

CSILLA BARTHA

Die Möglichkeiten der Bewahrung der Minderheitensprachen in Ungarn

Über eine soziolinguistische Zweisprachigkeitsuntersuchung im Landesmaßstab*

 

1. Einige „unsichtbare” Themen der ungarischen Minderheitenforschung

Überblicken wir die Geschichte der soziolinguistischen (und eigentlich in den meisten gesellschaftswissenschaftlichen Disziplinen durchgeführten) Forschungen über das Thema der Minderheiten in Ungarn, ist die direkte Einwirkung der für die gegebenen Epochen charakteristischen gesellschaftlich-politisch-ideologischen Umgebung besonders offensichtlich. Daraus ergibt sich die Praxis, in deren Verlauf gewisse Themen, die zwar seit langer Zeit im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit der westeuropäischen und angelsächsischen Forschungen standen, in Ungarn lange Zeit hindurch „unsichtbar” geblieben sind, und in Wirklichkeit erst von den 90er Jahren zu hervortretenden Untersuchungsgebieten werden (können). (Außerdem gibt es ganz bis zum heutigen Tag solche Tendenzen und Paradigmen, die beinahe zur Gänze fehlen).

Zu diesen relativ spät erscheinenden – zum Teil soziolinguistischen – Gebieten gehört die Frage der Zwei- und Mehrsprachigkeit, die Beschreibung der Besonderheiten des Sprachgebrauchs der bilinguischen Minderheitenindividuen, -Gruppen und -Gemeinschaften, die Problematik der Bewahrung der Sprache, des Sprachwechsels, die Frage des zweisprachigen Unterrichts, der sprachlichen Rechte usw. (vgl. Bartha 1999).

Bis heute kann mit Recht gesagt werden, dass die Untersuchung der Kontakte der ungarischen Sprache, der Sprache der in der Situation als Minderheit lebenden Ungarn – sowohl hinsichtlich der autochthonen, als auch der eingewanderten Gemeinschaften – eines der wichtigsten Forschungsgebiete der ungarischen Soziolinguistik in Ungarn und im Karpatenbecken geworden ist. In mehreren Forschungsinstituten und an Hochschulen Ungarns und der benachbarten Länder bilden sich jene stabilen Zentren heraus, die sich als mit einer hervorgehobenen Frage mit den sozio- und psycholinguistischen, sprachlich-rechtlichen und Unterrichtsaspekten der Zweisprachigkeit beschäftigen. In den vergangenen Jahrzehnten sind im Zusammenhang mit den verschiedenen Teilfragen des Themas auch mehrere Monographien, Studien- und Konferenzbände erschienen (s. u. a. Kontra [red.] 1991; Kiss 1994; Csernicskó 1998; Göncz 1999; Lanstyák 2000).

Viel wenigere soziolinguistische und Zweisprachigkeitsuntersuchungen sind entstanden/konnten entstehen seit Jahrhunderten in Ungarn über den Sprachgebrauch der mit dem Ungartum zusammenlebenden autochthonen Minderheiten, über die Art und Weise und die Gründe der in diesen Gemeinschaften sich abwickelnden sprachlichen und gesellschaftlichen Veränderungen. Die vorliegenden Forschungsergebnisse (u. a. Manherz 1977; Réger 1988; 1990; Gyivicsán 1993, Nelde et al. 1991; Wolf [red.] 1994; Borbély 2001; Bindorffer 2002) aber finden über den engeren fachlichen Rahmen hinaus noch immer ein bedeutend geringeres Echo, werden weniger eingebaut in das wissenschaftliche und alltägliche gemeinsame Denken, noch weniger in die Sprachenpolitik in Ungarn. Auch heute noch begegnen wir außerordentlich vielen irrtümlichen und bei weitem nicht wertneutralen Vorstellungen über die Zweisprachigkeit, über die in Ungarn gesprochenen Minderheitensprachen, über die ungarländischen Kontaktvarianten der ungarischen Sprache, über die sprachlichen und kulturellen Traditionen ihrer Anwender, darüber, warum und worin die diese Varianten sprechenden Gemeinschaften in Bezug auf ihren Sprachgebrauch anders sind als die einsprachigen ungarländischen Ungarn, wo können sie zwischen den zahlreichen Realisierungsformen der Zweisprachigkeit untergebracht werden.

Diesem Mangel wollten wir zum Teil abhelfen, als unter der Anleitung der Wissenschaftler des Lehrstuhls für Ungarische Sprachwissenschaft der Eötvös- Loránd-Universität und der Abteilung für Soziolinguistik des Instituts für Sprachwissenschaften der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, unter Einbeziehung von Fachleuten anderer Institutionen eine soziolinguistische Zweisprachigkeitsuntersuchung unter dem Titel Die Dimensionen des sprachlichen Andersseins: Die Möglichkeiten der Bewahrung der Minderheitensprachen im Landesmaßstab entwarfen und in Angriff nahmen, die aufgrund identischer theoretischer Überlegungen und methodologischer Prinzipien auf einmal die in den sieben ungarländischen sprachlichen Minderheiten im Gang befindlichen sprachlichen und gesellschaftlichen Veränderungen untersuchen will, und zugleich wollten wir die Auswirkung des Verhältnisses der Minderheit und der Mehrheit zueinander auf diesen Prozess untersuchen. Nachstehend stelle ich die wichtigeren Untersuchungsfragen dieser bis 2004 laufenden Arbeiten und ihre zu erwartenden Ergebnisse vor.

 

2. Das Forschungsvorhaben „Dimensionen sprachlichen Andersseins”

Die Wahrnehmung und die gesellschaftliche Beurteilung des sprachlichen Andersseins weist in jedem historisch-gesellschaftlich-wirtschaftlich-politisch- kulturellen Kontext unterschiedliche Stufen auf. Dennoch kann dieser Begriff auf natürliche Art und Weise auch mit in der Sozio- und Psycholinguistik, in der Soziologie und in der Psychologie in solchen abwechslungsreichen Bedeutungen verwendeten Kategorien gekoppelt werden wie mit der sprachlichen Minderheit, mit der Zweisprachigkeit, mit dem Spracherhalt, dem Sprachwechsel, der Attitüde, den Stereotypen und dem Vorteil, und mit der Assimilation. In dominierend einsprachigen Gesellschaften, wie auch Ungarn eine ist, gewinnen diese Kategorien und das System der Zusammenhänge des sprachlichen Andersseins einen besonderen Sinn.

Das vom ungarischen Parlament am 7. Juli 1993 verabschiedete Gesetz Nr. LXXVII über die Rechte der nationalen und ethnischen Minderheiten widerspiegelt als ein grundlegendes Funktionsprinzip des demokratischen, toleranten, freiheitlichen Rechtsstaates auch vom sprachlichen, rechtlichen sowie Unterrichtsgesichtspunkt aus den Geist der die Rechte der sprachlichen Minderheiten formulierenden modernsten völkerrechtlichen Instrumente, indem es – zumindest im Prinzip, ohne die beigeordneten Sanktionen – auch jenen Rahmen sichert, in welchem, indem er zum primären Schauplatz der Weitergabe dieser Sprachen wird, der muttersprachliche Unterricht der dreizehn benannten nationalen und ethnischen Minderheiten in Ungarn vor sich gehen kann. Unter allen diesen Umständen erlebt in unseren Tagen der Großteil der sprachlichen Minderheiten in Ungarn die letzte Phase des Sprachwechsels, bei anderen existiert die Muttersprache nicht mehr als ein primäres Symbol der Identität. Die Sprache der Minderheiten in Ungarn sowie die Sprache des Ungartums als Minderheit im Karpatenbecken können heute schon als gefährdet bezeichnet werden. Im Interesse der Interpretation, der Verlangsamung und eventuell der Umkehrung dieser aus vielen Faktoren bestehenden gesellschaftlichen und sprachlichen Prozesse kann auf jeden Fall die Umwertung der traditionellen Auffassungen, Theorien und Methoden von der Sprache, von der Ein- oder Mehrsprachigkeit, von der Berührung zwischen den sprachlichen Gruppen, von den Minderheiten und ihrem Sprachgebrauch erforderlich werden. Dazu ist es aber unerlässlich, 1) einerseits die sich in den Minderheitengemeinschaften abspielenden sprachlichen und sozialen Veränderungen empirisch zu untersuchen; 2) andererseits die bei der Bewahrung oder beim Aufgeben der Minderheitensprachen eine Schlüsselrolle spielende, einerseits mit den sprachlichen Gruppen, mit ihrem Sprachgebrauch bzw. mit den Sprechern selbst zusammenhängenden, andererseits dem sich in der Sprache widerspiegelnden Anderssein, den Minderheits- oder Mehrheitsattitüden, den Stereotypen und Vorurteilen, der Realisierungsformen des Verkehrs zwischen den Gruppen eine linguistische Erschließung zuzuwenden.

Im Rahmen dieses Projekts werden zwei eng miteinander zusammenhängende Grundlagenforschungen durchgeführt, die bisher sowohl die ungarländische Minderheitenforschung, als auch die ungarische Sprachwissenschaft schuldig geblieben ist. Das sind nachstehende: 1. Die Formen des Sprachwechsels und der Sprachbewahrung in den Gemeinschaften der Minderheiten; 2. Soziale Berührungsformen, Zweisprachigkeit, Minderheiten- und Mehrheitsattitüden, -vorurteile in sprachlichen Gemeinschaften in Ungarn. Die wichtigsten Zielsetzungen der auf gemeinsam ausgearbeitete theoretische und methodologische Prinzipien gestützten, was ihren Charakter anbelangt multidisziplinären Untersuchungen ist die Durchführung von a) auf die Rolle des Modellierbarkeit der Prozesse des Sprachwechsels, auf die Möglichkeiten der Sprachbewahrung, auf die Rolle der die sprachlichen Prozesse sich erstreckenden Minderheiten- und Mehrheitenattitüden und –stereotypen sich beziehenden Grundforschungen; b) solche Hilfsmaterialien auszuarbeiten, mit deren Hilfe die Ergebnisse der Untersuchungen in der Praxis, vor allem im Unterricht der Minderheiten und im Aufbau der Minderheitengemeinschaften nutzbringend angewendet werden können.

2.1 Die Formen der Sprachbewahrung in Gemeinschaften der Minderheiten

Im Rahmen des Forschungsprojekts „Die Formen der Sprachbewahrung in Gemeinschaften der Minderheiten” untersuchen wir in der ersten Phase – als Modelluntersuchung – in ungarländischen rumänischen und in amerikanischen ungarischen Gemeinschaften die Übergangserscheinungen und Prozesse zwischen den beiden extremen Punkten des Kontinuums der gesellschaftlichen und sozialen Zweisprachigkeit mit den Mitteln der Soziolinguistik, der anthropologischen Linguistik, der Diskursanalyse sowie der Kontaktlinguistik im engeren Sinne. Dieser Teil der Untersuchung wurde einerseits in der Gemeinschaft der ungarländischen rumänischen Gemeinschaft in der Siedlung Kétegyháza durchgeführt, mit longitudinaler Methode, die in den ungarischen linguistischen Forschungen als Neuheit aufgefasst werden kann. Wir haben eine vor zehn Jahren im Jahre 1990 durchgeführte Datensammlung (Borbély 2001) wiederholt, um damit die Auswirkung der realen (ein Jahrzehnt) und der scheinbaren Zeit (des Lebensalters) auf den Sprachwechsel untersuchen zu können. In der Untersuchung der Veränderung im Sprechen und zwischen den Sprechern sind nachstehende sprachliche Erscheinungen vorhanden: (1) Sprachwahl, (2) Sprachkenntnisse, (3) sprachliche Attitüden, (4) ethnisches Identitätsbewusstsein, (5) die Symbiose innerhalb der Muttersprache in den Text- und Interviewsituationen.

Bei der Untersuchung verwendeten wir andererseits die Analysen von aufgrund von 250 Stunden in zwei amerikanischen ungarischen Gemeinschaften, in Detroit und in New Brunswick, aufgenommenem Material (Bartha 1995/96; 2002). Es wurden das sprachliche Repertoire und die Sprachwahl, die Praxis des Kodewechsels mit den aus den Interviews des Sprachgebrauchs und der Beobachtungen des Teilnehmers gewonnenen Angaben untersucht. Die Gliederung der sprachlichen Normen, Attitüden und sprachlichen Ideologien und ihre Veränderung erschlossen/erschließen wir mit Hilfe der Diskursanalyse der mit den Datenlieferanten angefertigten Interviews bzw. durch die Analyse der in den Interaktionen erscheinenden Diskursstrategien.

Gestützt auf die theoretischen und methodologischen Erfahrungen dieses Teilprojekts nahmen wir soziolinguistische Fieldworksuntersuchungen in ungarländischen Zigeunergemeinschaften (Romani- und Beasprache), in deutschen, rumänischen, slowakischen, bulgarischen Gemeinschaften und in Gemeinschaften von Taubstummen in Angriff und zwar mit Hilfe von auf Tonband bzw. auf Video aufgenommenen Fragebögen und Interviews (vgl. 2.2).

Durch die aufgrund der Untersuchung nach festgelegten Prinzipien der Antworten auf von gesprochenen Sprachmaterial bei der in Kétegyháza autochthonen Minderheit bzw. der in Detroit und in New Brunswick in einer Minderheitensituation, durch die Emigration entstanden, gesammelten Material sowie der im Laufe von Fieldworksarbeiten bei Roma, bei deutschen und slowakischen Gruppen aufgrund von Antworten auf Fragebögen des Sprachgebrauchs nach bestimmten Prinzipien untersucht, suchten wir letzten Endes auf nachstehende Fragen eine Antwort: Ob wohl ein allgemein anwendbares Modell existiert, oder überhaupt existieren kann, mit dessen Hilfe der Ausgang der in den unterschiedlichen Sprachgemeinschaften vor sich gehenden sprachlichen Prozesse absehbar ist? Mit anderen Worten ausgedrückt, ob es allgemeingültige Merkmale gibt, auf deren Grundlage irgendwie absehbar ist, ob in der gegebenen Kontaktsituation eine (Minderheiten-)Sprache erhalten bleibt, oder ob ihre Rolle umfassend von einer anderen Sprache übernommen wird? Die eng damit zusammenhängende Frage ist die, ob in solchen Fällen, wo die „Symptome” des Sprachwechsels sich bereits klar registrieren lassen, irgendeine Prädiktion in Bezug auf die Intensität des Prozesses gemacht werden kann. Durch die Analyse der empirischen Angaben nach Gemeinschaften und insgesamt fassen wir zusammen, was für gemeinsame bzw. abweichende Charakterzüge und was für beeinflussende Faktoren die sich in den einzelnen ungarländischen Minderheitengemeinschaften abspielenden sprachlichen und gesellschaftlichen Prozesse aufweisen. Über diese Frage ist es bis zur Gegenwart weder zu einer vergleichenden Untersuchung noch zu einer umfassenden Analyse in ungarischer Sprache gekommen.

2.2 Gesellschaftliche Berührungsformen, Zweisprachigkeit, Minderheiten- und Mehrheitenattitüden, Vorurteile in ungarländischen sprachlichen Gemeinschaften

Die Kategorisierung der Gesellschaftswelt, die Bezeichnung der Grenzlinien zwischen „wir” und „sie” mit Rücksicht auf die Beziehung zu den Attitüden, den Vorurteilen und der Identität kann die Psychologie und die Soziologie auf eine bedeutende aus- und inländische Vorgeschichte der Forschungen zurückblicken (vgl. zum Überblick Csepeli 1997; Hewstone-Stroebe-Stephenson [red.] 1999). Wenn unterschiedliche Ethnien auf einem gemeinsamen Gebiet leben, im Rahmen eines identischen gesellschaftlich-wirtschaftlich-ideologischen Systems, erscheint das Bild, dass sie voneinander bilden, in der Form von Stereotypen, Vorurteilen, häufig ohne die wirklichen Erfahrungen der Verallgemeinerung. Die Bezeichnung von „wir” und „sie” ist eigentlich die natürlichste, zwischen den Gruppen auftretende Äußerung im Interesse der Festlegung der Grenzlinien zwischen der persönlichen und kollektiven Identität (vgl. Csepeli 1997 : p. 33). Nach Allport (1977: p. 69) „bilden alle jene Personen eine eigene Gruppe, die das Personalpronomen ’wir’ im Grunde genommen in einer identischen Bedeutung anwenden”. Natürlich hängt all das, wie die Identität auch, vom Kontext ab und trägt einen diskursiven Charakter. Die negativen Attitüden den anderen Gruppen gegenüber können zwar nicht notwendigerweise die Gefühle der Person in Bezug auf die Zugehörigkeit festigen, möglich ist es jedoch (Allport op. cit. p. 85). „Wir sind geneigt, anderen gewisse Absichten zuzuschreiben, und dies ist vor allem dann so, wenn jene Individuen und Gruppen, über die wir unsere Meinung äußern, sehr ’anders’ sind, eine andere Sprache sprechen, wenn sie andere Bräuche haben, zu einer anderen Kultur gehören, sich zu von den unseren abweichenden Werten bekennen, oder nur ganz einfach aufgrund ihres Verhaltens und ihrer äußeren Erscheinung, oder ihrer körperlichen Merkmale von unserer eigenen Gruppe unterscheiden.” (Erős 1998: p. 119).

Die zentrale Kategorie dieses komplizierten Prozesses ist die Attitüde, die zur gleichen Zeit über wissensmäßige, gefühlsmäßige und verhaltensmäßige Komponenten verfügt, und die untrennbar mit der Kommunikation zusammenhängt: „Die Attitüden beziehen sich immer auf eine von irgendeiner Gesellschaft zustande gebrachte, gesellschaftlich konstruierte Sache (Idee, Gegenstand, Person, Prozess, Ereignis usw.). Wenn von der Person die Attitüde als ihre eigene, als Bestandteil ihrer persönlichen Welt anerkannt wird, ist sie sich mit dieser identifizierend nicht im Klaren darüber, dass nicht nur der Gegenstand der Attitüde, sondern die Attitüde selbst sozial determiniert ist. Diese soziale Determiniertheit kommt immer im konkreten, gesellschaftlichen Zusammenhang zur Geltung, sie entsteht in Kontakten zwischen den Personen, in Gruppenprozessen und wirkt auch so, ein grundlegendes Triebrad bildend in den gesellschaftlich vergleichenden Prozessen, der in der Gesellschaft vor sich gehenden Kommunikation.” (Csepeli 1997: p. 221)

Im zweiten Teilprojekt unseres soziolinguistischen Forschungsvorhabens führen wir im Kreise von zweisprachigen Sprechern von sieben ungarländischen Minderheiten und in einer ethnisch homogenen einsprachigen ungarischen Kontrollgruppe Untersuchungen durch, die sich auf die aus der Minderheitensituation und der Zweisprachigkeit resultierende sprachliche Andersartigkeit, auf die verhüllt und offen auftretenden positiven und negativen sprachlichen Attitüden und Vorurteile beziehen. Neben der Erschließung der sich auf die eigene Minderheitengruppe (des „wir”) und der sich auf die Mehrheitsgruppe beziehenden allgemeinen Attitüden und Stereotypen sind wir in erster Linie darauf neugierig, was für eine Rolle in deren Herausgestaltung die Sprache hat, wie die Attitüden, Stereotypen und Vorurteile auf den Sprachgebrauch auf die Sprachwahl und auf den Prozess des Sprachwechsels selbst zurückwirken; beziehungsweise wollen wir auch die Methoden der Diskursanalyse anwendend die allgemeinen und gemeinschaftsspezifischen kognitiven Strategien der mündlichen Vorurteilshaftigkeit, ihre sprachlichen Erscheinungsformen anwenden. Diese Probleme waren sowohl in der ungarländischen Minderheitenforschung, als auch in der bei der Untersuchung der Attitüden und Vorurteile über Traditionen verfügenden Sozialpsychologie lange vernachlässigte Fragen.

Zu unserer Untersuchung wählten wir sprachliche Gruppen, die den Angaben der Volkszählung und auch der Schätzung der Minderheitenorganisationen die größten sind. Im Zusammenhang damit war ein wichtiger Gesichtspunkt ihrer Auswahl, dass im Bereich dieser Gruppen der in der ungarischen Einsprachigkeit endende Prozess des Sprachwechsels noch nicht umfassend vor sich gegangen ist. So haben wir die Gruppen der Roma (Romani–Bea), der Deutschen, der Rumänen und der Slowaken sowie eine, was die sowohl nach ihrem Anteil als auch nach dem Ausmaß der Abstempelung bedeutsame Gruppe, die bisher in Ungarn noch nicht als sprachliche Minderheit anerkannt wurde, die Gruppe der ungarischen Gehörlosen ausgewählt. Innerhalb der untersuchten Gruppen der Minderheitengemeinschaften begannen wir die Sammlung in einer nach identischen Gesichtspunkten ausgewählten Siedlung. Die Schauplätze des Fieldworks hatten wir nach folgenden Gesichtspunkten ausgewählt: (1) die Zahl der Bevölkerung der Siedlung sollte um 5 000 Einwohner liegen; (2) der Anteil der in der konkreten Siedlung lebenden Minderheitengemeinschaft den 50 % näher kommen. Der Gesichtspunkt der Auswahl der ungarischen Gruppe war jener, dies soll eine Siedlung in Ungarn sein, in der keine ungarländische Minderheitengemeinschaft lebt. Die Auswahl der Datenlieferanten stimmt mit der Auswahlmethode der Minderheitengemeinschaften überein. Die untersuchten sprachlichen und kollektiven Attitüden und Stereotypen wurden im Zusammenhang mit dem Lebensalter und dem Geschlecht der Sprecher untersucht. Betrachten wir die drei Altersgruppen der Datenlieferanten, haben wir nach Altersgruppen je 20 Datenübermittler ausgewählt, das bedeutet insgesamt 480 Personen. An den Altersgruppen betrug der Anteil der Männer und Frauen je 50%. Die Auswahl der Datenlieferanten war zufällig erfolgt, doch wurde danach gestrebt, dass innerhalb der Altersgruppen – nach Möglichkeit – die schulischen Ebenen auch proportional repräsentiert sind.

Eine Neuigkeit der Forschungen bedeutete insgesamt, dass der Prozess des Sprachwechsels, die Erscheinungen der Attitüde, der Stereotype und des Vorurteils nicht nur innerhalb einer gegebenen Gemeinschaft untersucht werden, sondern in einem einheitlichen theoretischen und methodologischen Rahmen, in linguistisch-soziolinguistischer Annäherung, und zugleich wurden auch die Ergebnisse der Sozialpsychologie angewendet und die gleichzeitige Untersuchung von mehreren Gemeinschaften bzw. wird die vergleichende Analyse der erhaltenen Ergebnisse durchgeführt.

2.3 Die wichtigeren Zielsetzungen der Forschungen und die zu erwartenden Ergebnisse

Nach einheitlichen Gesichtspunkten wurden und werden auch kontinuierlich Hintergrundstudien der Gemeinschaften und Sprachumfeldanalysen zu jeder einzelnen Gemeinschaft erstellt. Nach den einzelnen Minderheitengemeinschaften beschreiben wir die eigenen und die der Mehrheitssprache (zu den Sprachvarianten) und der Gemeinschaft (zu den Sprechern) gegenüber verhüllten und offenen Attitüden, Vorurteile und Stereotypen.

Die die Zeichensprache verwendenden Gemeinschaften wurden in Ungarn von uns als erste im identischen theoretischen und methodologischen Rahmen im klassischen Sinn des Begriffs untersucht, der identisch ist mit den auf ethnischer Grundlage organisierten zweisprachigen ethnischen Minderheiten.

Innerhalb der einzelnen Minderheitengemeinschaften untersuchen wir die Variabilität der konkreten Kategorien entlang von zwei soziolinguistischen Veränderlichen, des Lebensalters und des Geschlechts der Datenlieferanten (quantitative Analysen); die erhaltenen Angaben werden nach den einzelnen Gemeinschaftsgruppen, nach dem Lebensalter sowie nach Geschlechtern verglichen (quantitative und qualitative Analysen).

Die sich auf den Sprachgebrauch der Minderheit und der Mehrheit beziehenden und sich darin widerspiegelnden Attitüden, Stereotypen und Vorurteile werden wegen ihrer Wechselseitigkeit gemeinsam untersucht. Entlang des Kontinuums des Sprachwechsels und der Sprachbewahrung bestimmen wir die Rolle der untersuchten Erscheinungen auf die sich in den sprachlichen Gemeinschaften abspielenden sprachlich-sozialen Veränderungen: auf die funktionale Arbeitsteilung der Sprachen der zweisprachigen Sprecher, auf die Umschichtung des verbalen Repertoires, auf die Art und Weise der interethnischen Kommunikation.

Auch das Zur-Geltung-Gelangen der Minderheitenrechte, in erster Linie der sprachlichen Rechte (Unterrichtsrechte) und die eventuellen Verstöße gegen diese im „Minderheitengesetz” bzw. im „Chancengleichheitsgesetz” werden untersucht, sowie im Einklang mit den in den sonstigen internationalen rechtlichen Instrumenten festgelegten Dingen.

Eine besondere Summierung stellen wir im Zusammenhang mit der Situation der ungarländischen Gehörlosen und über die ungarländische Zeichensprache zusammen, und formulieren Empfehlungen in Bezug auf jene strategischen Schritte – im Einklang mit den internationalen Normen der Menschenrechte – die zur erfolgreichen sprachlich-kulturell-gesellschaftlichen Integration der Gemeinschaft erforderlich sind. Zum ersten Mal erhalten wir auch ein umfassendes Bild über die eigenen Attitüden der Gemeinschaften mit der Zeichensprache und über die Attitüden der Hörenden im Zusammenhang mit ihnen. Die Ergebnisse können es außerdem bestärken, dass die Gemeinschaften der die Zeichensprache Verwendenden wirklich untersuchbar sind in dem theoretischen und methodologischen Rahmen, der identisch mit dem der im klassischen Sinne auf ethnischer Grundlage organisierten zweisprachigen Minderheiten ist.

Es sollen die Ergebnisse der zur gleichen Zeit, parallel miteinander mehrere Methoden anwendenden vergleichenden Untersuchung zusammengefasst werden, in der wir – im Spiegel unserer Angaben – besondere Sorgfalt auf die Herausgestaltung der Attitüdenformung im Unterricht der Mehrheiten und der Minderheiten verwenden.

Aufgrund dessen werden gut trennbare Profile nach den einzelnen Gemeinschaften der Minderheiten umrissen. Ein nuancierteres Bild erhalten wir über die Formen und Funktionen der verhüllten und offenen Attitüden, Vorurteile und Stereotypen für die Sprache (Sprachvarianten) und die Gemeinschaft (und Sprecher) der Minderheiten oder der Mehrheiten.

Von den im Laufe der Untersuchung ausgewählten zwei veränderlichen Größen kann am meisten das Lebensalter der Datenlieferanten bzw. die Auswirkung des Lebensalters und der Interaktion in den einzelnen Gemeinschaften nachgewiesen werden.

Aufgrund der vergleichenden Untersuchung scheint sich bereits in gegenwärtigem Stadium immer mehr jene unsere Hypothese nachweisen zu lassen, nach der die Verdrängung der ungarländischen Minderheitensprachen in einen direkten Zusammenhang mit den eigenen sprachlichen Attitüden der Sprecher mit der Interiorisierung der mehrheitlichen Stereotypen und Vorurteile gebracht werden kann. Der Vergleich der Ergebnisse der Mehrheitenkontrollgruppe mit den Ergebnissen der Minderheiten ermöglicht es, die Interaktion und die Dynamik der Prozesse besser zu verstehen. Entlang des Kontinuums des Sprachwechsels und der Sprachbewahrung lässt sich in einem gewissen Maße der Einfluss der untersuchten Erscheinungen auf die sprachlich-sozialen Veränderungen determinieren, die sich in den sprachlichen Minderheiten abspielen: auf die funktionelle Arbeitsteilung der Sprachen der zweisprachigen Sprecher, auf die Umschichtung des verbalen Repertoires, auf die Art und Weise der interethnischen Kommunikation.

 

3. Die „Sichtbarmachung” der Untersuchungsergebnisse

Die Ergebnisse der vorgestellten soziolinguistischen Forschungen können einerseits einen theoretischen Beitrag zu unseren bisherigen Kenntnissen von der allgemeinen synchronen und historischen Funktion des Sprachwechsels und der Sprachbewahrung als sprachliche und gesellschaftliche Veränderung bedeuten, und zugleich können sie auch einen Nutzen für die Gesellschaft, die Kultur und den Unterricht bringen. Die gegenwärtige Untersuchung kann neben dem allgemeinen wissenschaftlichen Beitrag einen Ausgangspunkt darstellen zur Bewahrung der Muttersprache sowohl des autochthonen, als auch des in der Minderheitensituation in der Emigration lebenden Ungartums, bzw. der in Ungarn gesprochenen, was die Schauplätze und die Funktionen anbelangt einen dramatischen Rückgang aufweisenden Minderheitensprachen, zur Herausgestaltung einer auf die wirklichen Zusammenhänge aufbauenden umsichtigen, den Sprachwechsel/die Spracherhaltung abzielenden Sprachpolitik. Mit Hilfe dieser Ergebnisse wollen wir außerdem gezielt einen Beitrag leisten zur Ausarbeitung von Strategien des Unterrichtswesens und der Massenkommunikation und anderen Strategien für die Mehrheiten und die Minderheiten, die eine Rolle in der Herausgestaltung der Attitüden spielen können, indem sie die Belastung mit Vorurteilen verringern. Durch die Akzeptierung des sprachlichen Andersseins als Wert, durch die Umgestaltung des traditionellen Denkens über die Sprache, durch die Vermittlung der soziolinguistischen Betrachtungsweise, die die Vielfalt in den Mittelpunkt stellt, kann gerade das Unterrichtswesen viel dafür unternehmen, dass solche Jugendliche die Schulen verlassen, die empfindlich sind für andere und über das sprachliche Anderssein auch die abweichenden Eigenschaften und Werte der Menschen weitgehend beeinflussen. Mit der geplanten Forschung, mit der auch für andere zugänglich zu machenden Studie und mit dem Hilfsmaterial, vor allem aber mit der sofortigen Aufnahme der Ergebnisse in das Hochschulwesen und in die Lehrerausbildung wollen die Teilnehmer am Projekt auch dazu einen Beitrag leisten.

 

Literatur

Allport, Gordon W. (1977) : Az előítélet [Das Vorurteil]. Budapest: Verlag Gondolat

Bartha, Csilla (2002) : Nyelvhasználat, nyelvmegtartás, nyelvcsere amerikai magyar közösségekben [Sprachgebrauch, Spracherhaltung, Sprachwechsel in amerikanischen ungarischen Gemeinschaften]. In: Kovács, Nóra und Szarka, László (red.) : Tér és terep: Tanulmányok az etnicitás és az identitás kérdésköréből [Raum und Terrain. Studien aus dem Fragenbereich der Ethnizität und der Identität]. Budapest: Akadémiai Kiadó [Verlag der Ungarischen Akademie der Wissenschaften] p. l l 1-136

Bartha, Csilla (1999) : A kétnyelvűség alapkérdései: Beszélők és közösségek [Grundfragen der Zweisprachigkeit: Sprecher und Gemeinschaften]. Budapest: Nemzeti Tankönyvkiadó [Nationaler Lehrbuchverlag]

Bartha, Csilla (1995/1996) : Social and linguistic characteristics of immigrant language shift: The case of Hungarian in Detroit. In: Acta Linguistica Hungarica 43(3-4): p. 405-431

Bindorffer, Györgyi (2002): Kettős identitás. Etnikai és nemzeti azonosságtudat Dunabogdányban [Doppelte Identität. Ethnisches und nationalen Identitätsbewusstsein in der Gemeinde Dunabogdány]. Budapest: Buchverlag Új Mandátum

Borbély, Anna (2001): Nyelvcsere [Sprachwechsel]. Budapest: MTA Nyelvtudományi Intézet [Ungarische Akademie der Wissenschaften. Institut für Sprachwissenschaften]

Csepeli, György (1997): Szociálpszichológia [Sozialpsychologie]. Budapest: Verlag Osiris

Csernicskó, István (1998): A magyar nyelv Ukrajnában (Kárpátalján) [Die ungarische Sprache in der Ukraine (Karpatenukraine)]. Budapest: Verlag Osiris

Erős, Ferenc (red.) (1998): Megismerés, előítélet, identitás [Erkenntnis, Vorurteil, Identität]. Budapest: Buchverlag Új Mandátum und Theologische Hochschule „János Wesley”

Göncz, Lajos (1999): A magyar nyelv Jugoszláviában (Vajdaságban) [Die ungarische Sprache in Jugoslawien (in der Wojwodina)]. Budapest – Novi Sad: Verlag Osiris – Verlag Forum – MTA Kisebbségkutató Műhely [Ungarische Akademie der Wissenschaften Werkstatt für Minderheitenforschungen]

Hewstone, M., Stroebe, W., Codol, J.-P. und Stephenson, G. M. (red.) (1999): Szociálpszichológia [Sozialpsychologie]. Budapest: Közgazdasági és Jogi Könyvkiadó [Verlag Wirtschaft und Recht].

Kiss, Jenő (1994): Magyar anyanyelvűek–magyar nyelvhasználat: A magyar nyelv tankönyve középiskolásoknak tematikus füzetei l. [Ungarischmuttersprachler – ungarischer Sprachgebrauch. Lehrbuch der ungarischen Sprache für Mittelschüler. Thematische Hefte I]. Budapest: Nemzeti Tankönyvkiadó [Nationaler Lehrbuchverlag]

Kiss, Jenő (1995): Társadalom és nyelvhasználat [Gesellschaft und Sprachgebrauch]. Budapest: Nemzeti Tankönyvkiadó [Nationaler Lehrbuchverlag]

Kontra, Miklós (red.) (1991): Tanulmányok a határainkon túli kétnyelvűségről [Studien über die Zweisprachigkeit jenseits der ungarischen Grenzen]. Budapest: Magyarságkutató Intézet [Institut für die Erforschung des Ungartums]

Kontra, Miklós (1992): Remarks on Sociolinguistics in Budapest. In: Kontra, Miklós und Váradi, Tamás (red.): Studies in Spoken Languages: English, German, Fenno-Ugric. Budapest: Linguistics Institute, Hungarian Academy of Sciences. p. 83-94

Lanstyák, István (2000): A magyar nyelv Szlovákiában [Die ungarische Sprache in der Slowakei]. Budapest – Bratislava: Verlag Osiris – Verlag Kalligram – MTA Kisebbségkutató Műhely [Ungarische Akademie der Wissenschaften Werkstatt für Minderheitenforschungen]

Manherz, Karl (1977): Sprachgeographie und Sprachsoziologie der deutschen Mundarten in Westungarn. Budapest: Akadémiai Kiadó [Verlag der Ungarischen Akademie der Wissenschaften]

Nelde, P. H., Vandermeeren, S. und Wölck, W. (1991): Interkulturelle Mehrsprachigkeit. Eine kontaktlinguistische Umfrage in Fünfkirchen. Bonn: Dümmler

Réger, Zita (1988): A cigány nyelv: kutatások és vitapontok [Die Romasprache: Forschungen und Diskussionspunkte]. In: Műhelymunkák a nyelvészet és társtudományai köréből [Werkstattarbeiten aus dem Bereich der Linguistik und der verwandten Wissenschaften]. IV. Budapest: MTA Nyelvtudományi Intézete [Ungarische Akademie der Wissenschaften, Institut für Sprachwissenschaften]. p. 155-178

Réger, Zita (1990): Utak a nyelvhez. Nyelvi szocializáció–nyelvi hátrány [Wege zur Sprache. Sprachliche Sozialisierung – sprachlicher Nachteil]. Budapest: Akadémiai Kiadó [Verlag der Ungarischen Akademie der Wissenschaften]

Wild, Katalin (red.) (1994): Begegnung in Fünfkirchen. Die Sprache der deutschsprachigen Minderheiten in Europa. Pécs

 

ANNA BORBÉLY

Die Rumänen in Ungarn*

 

1. Der Sprachwechsel der Rumänen in Ungarn

Die Gemeinschaft der ungarischen Rumänen erlebt in unseren Tagen den Prozess des Sprachwechsels vom Rumänischen zum Ungarischen. Nach der Formulierung Weinreichs kommt es dann zu einem Sprachwechsel, wenn eine Gemeinschaft „vom üblichen Gebrauch einer Sprache zum Gebrauch einer anderen Sprache übergeht” (1953: p. 68). Der Prozess des Sprachwechsels wird im Allgemeinen mit dem Niveau des Könnens der beiden Sprachen und/oder dem Gebrauch der beiden Sprachen auf den Schauplätzen des Sprachgebrauchs gemessen (Bartha 1995: p. 40). In Bezug auf die Gesamtheit einer Gemeinschaft kann der Prozess des Sprachwechsels auch hinsichtlich des Wohnortes (oder der Siedlungen) der Mitglieder der Gemeinschaft gemessen werden (vgl. Borbély 2000).

1.1 Rumänischkenntnisse

Der Sprachwechsel innerhalb der Gemeinschaft kann mit den Unterschieden der Sprachkenntnisse im Rumänischen und im Ungarischen nachgewiesen werden. Wenn die Zweisprachigkeit in der Gemeinschaft stabil wäre, würden die Angehörigen der Gemeinschaft die beiden Sprachen auf (beinahe) dem gleichen Niveau können. Bei den ungarländischen Rumänen dagegen beherrschen die älteren Leute die lokale Variante des Rumänischen, mit den Kindern kann jedoch bereits die ungarische Sprache verbunden werden. Aufgrund der Wirkung des Lebensalters, des Geschlechts und der schulischen Bildung lässt sich jedoch gut nachweisen, dass sich die Rumänen in Ungarn auf einem vorangeschrittenen Stand des Sprachwechsels befinden. Der Sprachwechsel kann sich im Falle gewisser Gruppen von Erwachsenen rascher, im Falle von anderen langsamer herausbilden. Den bisherigen Untersuchungen nach (vgl. Borbély 2001a) kann der am meisten vorangeschrittene Stand des Sprachwechsels bei den jungen Frauen (zwischen 18 und 39 Jahren) beobachtet werden. Bei den Männern „beharren” aber die mit Abitur am meisten bei der rumänischen Sprache.

Das Vorhandensein des Sprachwechsels in der Gemeinschaft wird aber neben den Rumänischkenntnissen der Erwachsenen auch von den Angaben im Zusammenhang mit den Kindern nachgewiesen. Im Jahre 2000 wurde den nach zehn Jahren wiederholten soziolinguistischen Untersuchungen zufolge in Kétegyháza, in jener rumänischen Siedlung in Ungarn, wo der Anteil der rumänischen und der ungarischen Bevölkerung beinahe je 50 % ausmacht, keine örtliche rumänische Familie mehr gefunden, wo die zwei- bis vierjährigen Kinder die lokale rumänische Variante gesprochen hätten. Während also im Jahre 1990 in Kétegyháza zwei- bis vierjährige Kinder angetroffen wurden, die zu Hause als Erstsprache die lokale rumänische Sprache lernten, gab es zehn Jahre später in Kétegyháza kein solches Kind mehr.

1.2 Schauplätze des Sprachgebrauchs

Bei den zweisprachigen Rumänen in Ungarn wird die Wahl der Sprache in erster Linie vom Schauplatz des Sprachgebrauchs bestimmt.

Der Gebrauch des Rumänischen kann mit den Schauplätzen des Sprachgebrauchs innerhalb des Dorfes verbunden werden. Am Wohnort der in der Sprachgemeinschaft Lebenden ist die Religion der Schauplatz des Sprachgebrauchs, wo der Gebrauch des Rumänischen den Gebrauch sowohl des Ungarischen als auch den gemeinsamen Gebrauch des Rumänischen und des Ungarischen überschreitet. Auf allen anderen Schauplätzen des Sprachgebrauchs (zu Hause, am Arbeitsplatz, Abwicklung von Angelegenheiten auf dem Rathaus/im Bürgermeisteramt, beim Arzt) ist die Wahl des Ungarischen häufiger. Am meisten verbreitet ist die Anwendung des Ungarischen beim Einkaufen.

1.3 Siedlungen

Die Verbreitung des Sprachwechsels in den Gemeinschaften bei den Rumänen in Ungarn kann auch gut mit Hilfe der Variable „Wohnort” dargestellt werden.

Die Angehörigen der untersuchten Gemeinschaft leben in größerer Zahl in 21 Siedlungen.1 Nach den Terrainuntersuchungen können diese Siedlungen auf dem Modell in einer Dimension des Sprachwechsels der ungarländischen Rumänen wie folgt untergebracht werden.

In Bezug auf die Entwicklungsphasen des Sprachwechsels kann im Anfangsstadium nur eine Siedlung untergebracht werden (Méhkerék), im Zwischenstadium liegen jedoch bereits sechs Siedlungen (Battonya, Elek, Gyula, Kétegyháza, Magyarcsanád, Pusztaottlaka) während in der Abschlussphase von den 21 Siedlungen 14 zu finden sind (Bedő, Békés, Békéscsaba, Csorvás, Darvas, Körösszegapáti, Körösszakál, Lökösháza, Létavértes, Mezőpeterd, Pocsaj, Sarkadkeresztúr, Vekerd, Zsáka) (vgl. Borbély 2000).

 

2. Die sprachlichen Rechte der Rumänen in Ungarn

Aus den nachstehenden Dokumenten, aus der Verfassung der Republik Ungarn, dem Gesetz Nr. LXXVII aus dem Jahre 1993 über die Rechte der nationalen und ethnischen Minderheiten, sowie aus der Verordnung Nr. 32/1997 (5. XI.) MKM (des Ministers für Kultur und Bildung) stellt sich heraus, dass der ungarische Staat prinzipiell die additive Zweisprachigkeit der auf seinem Territorium lebenden Minderheiten fördert. Dennoch hat sich im Falle der ungarländischen Rumänen diese Zweisprachigkeit nicht realisiert, denn – wie bereits erwähnt – erlebt diese Gemeinschaft gegenwärtig den rumänisch-ungarischen Sprachwechsel. Was jedoch keine nur für die ungarländischen Rumänen gültige Situation und auch keine neue Erkenntnis ist, wurde doch schon vor Jahren formuliert, dass Ungarn theoretisch sehr tolerant gegenüber seinen nicht Ungarisch sprechenden nationalen Minderheiten ist. In Wirklichkeit geht aber die Entwicklung hin zu einem einsprachigen Land (s. z. B. Kontra und Székely 1993: p. 136). Die ungarländischen Rumänen können die in den Dokumenten enthaltenen Rechte häufig überhaupt nicht anwenden, dies kann durch je ein herausgegriffenes Problem von drei Institutionen der in Ungarn lebenden Rumänen beleuchtet werden. Diese drei Institutionen sind die Minderheitenselbstverwaltungskörperschaften, die Schule und das Forschungsinstitut.

2.1 Rumänische Minderheitenselbstverwaltungskörperschaft – Ungarischer Sprachgebrauch?!

Aus der Verfassung der Republik Ungarn geht hervor, dass die Republik Ungarn „den nationalen und ethnischen Minderheiten die kollektive Teilnahme am öffentlichen Leben, die Pflege der eigenen Kultur, den Gebrauch ihrer Muttersprache sichert...”.

Gegenwärtig sind die rumänisch sprechenden ungarländischen Rumänen zweisprachig. Von der Möglichkeit des Gebrauchs ihrer Muttersprache machen sie in erster Linie innerhalb der eigenen Gemeinschaft Gebrauch, ausschließlich auf solchen Schauplätzen, wo Rumänisch sprechende Partner anwesend sind. In der Anwesenheit von Ungarn sprechen die ungarländischen Rumänen nur Ungarisch. Unter Nutzung der Möglichkeit des Gesetzes sowie auch nach den Normen des Sprachgebrauchs der Gemeinschaft gelten die Sitzungen der rumänischen Selbstverwaltung als Schauplatz des rumänischen Sprachgebrauchs. Die Realisierung stößt manchmal auf große Schwierigkeiten. Bei den letzten Wahlen zu den rumänischen Selbstverwaltungen trug sich z. B. zu, dass auf der konstituierenden Sitzung der rumänischen Selbstverwaltung im Budapester XI. Stadtbezirk die Vertreter der rumänischen Selbstverwaltung ihre rumänische Muttersprache nicht verwenden konnten, weil von den fünf Vertretern drei so Vertreter der rumänischen Selbstverwaltung geworden waren, dass sie nicht Angehörige der rumänischen Minderheitengemeinschaft sind, so dass sie auch nicht die Sprache der Gemeinschaft sprechen. Zu diesem bedauerlichen Umstand konnte es kommen, weil (1) der Bewerber bei den Wahlen zu der Minderheitenselbstverwaltung Vertreter einer anderen Minderheit oder der Mehrheitsgesellschaft sein kann, (2) auch die Mehrheitsgesellschaft gab ihre Stimme ab in der Frage, wer die Minderheitengruppen in der eigenen Selbstverwaltungskörperschaft vertreten soll.

2.2 Schule und Gebrauch der Muttersprache

In der Anlage 2 der Verordnung Nr. 32/1997 (5. XI.) MKM (des Ministers für Kultur und Bildung), die den Titel „Leitprinzip des Unterrichts der nationalen, ethnischen Minderheit” trägt, ist zu lesen, dass unter dem Titel Volkskenntnisse der Minderheiten im Minderheitenunterricht ein neues Unterrichtsfach eingeführt wird (s. noch Minderheitengesetz § 45 Absatz 3). Unter den allgemeinen Themenkreisen der Volkskenntnisse der Minderheiten ist enthalten Sprache, materielle und geistige Kultur der Minderheit – Besonderheiten des Sprachgebrauchs, dazu gehören auch die Mundarten und die Sprachvarianten. Im Rahmen dieses Faches bietet sich zum ersten Mal in der Geschichte des Minderheitenschulwesens in Ungarn die Möglichkeit, dass von einer Verordnung vorgeschrieben wird, dass die am Minderheitenunterricht teilnehmenden Schüler Informationen über die eigene Sprachvariante ihrer Gemeinschaft kennen lernen können. Hierzu muss hinzugefügt werden, dass die in der Schule gelernte rumänische Sprachvariante, die von den verschiedenen Dokumenten als eigene Sprache, Minderheitensprache, Muttersprache bezeichnet wird, grundlegend nicht die in der Gemeinschaft der ungarländischen Rumänen gebrauchte Sprachvariante ist. Bis zu unseren Tagen können es die in den rumänischen Minderheitenschulen nach dem Lehrplan unterrichtenden Lehrer noch machen, dass sie kein einziges Wort über die in der Gemeinschaft verwendete Sprachvariante, über ihre Wichtigkeit und ihren Wert sagen. So kann die Schule die auf ihre eigene Sprachvariante gerichtete positive Attitüde nicht entwickeln und festigen. Dadurch kann die Schule in den Schülern die Bindung an die Gemeinschaftssprache nur schwächen, auch dann, wenn sie dies nicht bewusst, sondern nur nach einer vor Jahrzehnten falsch entwickelten Betrachtungsweise tut. Nach einer Angabensammlung aus dem Jahre 2000 (vgl. Borbély 2001b) ist in Kétegyháza der Meinung der Schüler der Oberstufe nach die in Rumänien gesprochene rumänische Sprache „normaler”, „ein ordentliches Rumänisch”, „das wirkliche Rumänisch”, demgegenüber ist das in Kétegyháza gesprochene Rumänisch „ein bisschen hungarisiert”.

Die Außerachtlassung der Dialekte der Rumänen in Ungarn im Unterricht ist nicht nur für die Grundschule und die Mittelschule charakteristisch. Um so schwerwiegender ist der Fall, über den wir im Wochenblatt der Rumänen in Ungarn, in der Nummer vom 22. Juni 2001 lesen können (vgl. Kaupert 2001). Aus dem Interview des Dozenten am Rumänischen Lehrstuhl der Pädagogischen Hochschule „Gyula Juhász” in Szeged, das er dem rumänischen Wochenblatt am Abschluss des Studienjahres 2000/2001 gegeben hatte, stellt sich heraus, dass an der Fachrichtung Rumänisch in Szeged, (wo die Lehramtskandidaten ausgebildet werden, die in der Zukunft die Kinder in den Minderheitenschulen unterrichten werden), die rumänischen Schüler in Ungarn bestraft werden, die Note mangelhaft erhalten, die nach dem Minderheitengesetz die Sprache der Minderheitengemeinschaft, die eigene Sprache, ihre Muttersprache verwenden.2

2.3 In rumänischer Sprache tätiges Forschungsinstitut

Die Gründung von solchen Institutionen und Organisationen, die zur Aufrechterhaltung des rumänischen Minderheitenlebens erforderlich sind, wie der rumänische Kulturverband, die Minderheitenkindergärten, Minderheitengrundschulen und ein Minderheitengymnasium, Lehrstühle an der Hochschule und an der Universität, das Wochenblatt, die Redaktionen des Rundfunks und der Fernsehsendungen, die Minderheitenselbstverwaltungen der Siedlungen und des Landes, werden von den Verordnungen des ungarischen Staates gesichert, sie sind mit der Unterstützung aus dem Staatshaushalt tätig. Nach der politischen Wende im Jahre 1990 gründeten die Intellektuellen der Minderheit, indem sie die Möglichkeit der Selbstorganisation ausnutzten, eigene Minderheitenforschungsinstitute,3 deren wichtigster Charakterzug es ist, dass in diesen Forschungsinstituten die Forschungsvorhaben in der Muttersprache der Minderheit organisiert betrieben werden. Vorstehend wurde bereits erwähnt, dass in der (nahen) Zukunft das Fach Volkskenntnisse der Minderheiten eingeführt wird. Es kann nur die Aufgabe der Minderheitenforschungsinstitute sein, die Lehrerhandbücher, die Lehrbücher und die Hilfsmittel zu diesem Unterrichtsfach herzustellen, denn es gibt in Ungarn keine einzige Institution, die die Unterrichtshilfsmaterialien in der Sprache der Minderheiten herstellen könnte. Doch gibt es große Schwierigkeiten, was die Tätigkeit dieser Institute anbelangt. Das Jahresbudget der ungarischen Minderheitenforschungsinstitute wurden zwischen 1993-1997 von der Hauptabteilung Minderheiten des Ministeriums für Kultur und Bildung gesichert. „Nach einer erfolgreichen Tätigkeit von 5 Jahren gab der Leiter der Hauptabteilung Minderheiten des Ministeriums unerwartet bekannt, dass das Ministerium nicht verpflichtet ist, Stützungen zur Tätigkeit zur Verfügung zu stellen, weil nicht das Ministerium sie gegründet hatte. Über Ausschreibung werden Forschungsprojekte gefördert, doch Budgetposten werden nicht zur Verfügung gestellt. Er sagte: mögen jene die Institute unterhalten, die sie gegründet haben.” (Berényi 1999: p. 2603) Den Erforschern der Minderheiten nach wäre in Ungarn aufgrund des Minderheitengesetzes die Unterhaltung der in den Sprachen der Minderheiten tätigen Forschungsinstitute Aufgabe des Staates. Bis zum heutigen Tag haben die Minderheitenforschungsinstitute für ihre Existenz, für die zu ihrer Existenz erforderlichen moralischen und finanziellen Bedingungen und für den die Zukunft und die Perspektive sichernden juristischen Status zu kämpfen (vgl. Berényi 1999: p. 2604). Das Forschungsinstitut der Rumänen in Ungarn, das unter diesen schwierigen Umständen im Jahre 1993 seine Tätigkeit aufnahm (gegenwärtig hat es einen Wissenschaftler auf einer vollen Stelle und eine halbe Stelle), hat weit über seine Kraft hinaus unter anderem drei Dorfmonographien (Kétegyháza, Battonya, Méhkerék) publiziert, elf wissenschaftliche Konferenzen mit der Beteiligung von ungarischen und rumänischen Wissenschaftlern abgehalten, 10 Bände sind bisher über diese Konferenzen erschienen, zwei Bände wurden in der zweisprachigen Studienreihe Annales aufgelegt, es hat zwischen 1991 und 1997 die Bibliographie über die rumänischen Forschungen herausgegeben und betreut systematisch die Zeitschriften Izvorul und Lumina.

 

3. Zusammenfassung

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass von den meisten gültigen Gesetzen und Verordnungen Ungarns prinzipiell die sprachlichen Rechte der Minderheiten in Ungarn sichergestellt werden, prinzipiell fördern sie die Entfaltung der additiven Zweisprachigkeit. Von der Durchsetzung des sprachlichen Rechts sind wir aber noch weit entfernt, wenn nach dem in der Gemeinschaft der rumänischen Minderheit Erfahrenen geschehen kann, dass auf der Sitzung der rumänischen Selbstverwaltung die rumänischen Vertreter ihre eigene Sprache nicht verwenden können, wenn diese im Grund- und Mittelschulunterricht außer Acht gelassen wird, wenn auf gewissen Gebieten des Hochschulwesens die Anwendung der Sprachvariante der Minderheit bestraft wird, und wo das in der Muttersprache tätige Forschungsinstitut keine Budgetförderung erhält. Eine große Frage in Bezug auf die untersuchte Gemeinschaft ist, ob die Gemeinschaft die entsprechende Kraft hat oder haben wird, um sich die in den Dokumenten gesicherten sprachlichen Rechte organisiert und effizient zu erkämpfen, denn obzwar diese Rechte sichergestellt sind, hat die Gemeinschaft in der Wirklichkeit einen Kampf für deren Realisierung zu führen.

 

Anmerkungen

1

Die 21 Siedlungen werden von den Rumänen in Ungarn als Siedlungen bezeichnet, die (auch) von Rumänen bewohnt werden. Über die rumänischen Beziehungen dieser Siedlungen kann unter anderem in dem vom Kulturverband der Rumänen in Ungarn veröffentlichten Wochenblatt (Foaia Românească) und in dem jährlich publizierten Kalender (Calendarul Românesc) gelesen werden (Vgl. u. a. Frătean 1997:136-141). Von den 21 Siedlungen sind in nachstehenden Gemeinden Schulen mit rumänischer Unterrichtssprache tätig: Battonya, Elek, Gyula, Kétegyháza und Méhkerék. Über diese hinaus bestehen noch sieben Grundschulen, wo auch die rumänische Sprache unterrichtet wird (Schulen mit Sprachunterricht). Diese sind in folgenden Siedlungen zu finden: Bedő, Körösszegapáti, Körösszakál, Lökösháza, Magyarcsanád, Pusztaottlaka und Zsáka. Diese Gemeinden verfügen auch über rumänische Bezeichnungen: Battonya* (Bătania), Békés* (Bichiş), Békéscsaba* (Bichişciaba), Bedő (Bedeu), Csorvás* (Ciorvaş), Darvas* (Darvaş), Elek* (Aletea), Gyula* (Giula), Kétegyháza* (Chitighaz), Körösszegapáti* (Apateu), Körösszakál* (Săcal), Létavértes (Leta), Lökösháza* (Leucuşhaz), Magyarcsanád* (Cenadul Unguresc), Mezőpeterd* (Peterd), Méhkerék* (Micherechi), Pocsaj (Pocei), Pusztaottlaka* (Otlaca-Pustă), Sarkadkeresztúr* (Crîstor), Vekerd* (Vecherd), Zsáka* (Jaca). In bedeutender Zahl leben noch Rumänen in Budapest* (Budapesta) und in Szeged* (Seghedin). (In der mit einem Stern bezeichneten Siedlung ist auch eine rumänisch-orthodoxe Kirche tätig).

2

Auf den zitierten Artikel reagierten in der folgenden Nummer des Wochenblattes zwei ungarländische rumänische Studenten, die ihr Studium in diesem Studienjahr am Lehrstuhl in Szeged abgeschlossen haben. In diesem Artikel weisen die jungen Diplomlehrer die „böswillige und feindliche Bemerkung” ihres ehemaligen Lehrers zurück, bzw. ersuchen sie ihren Lehrer „um Entschuldigung” dafür, dass sie als ungarische Rumänen und nicht als rumänische Rumänen geboren wurden (Vgl. Netea und Netea 2001:9).

3

Im Jahre 1989 wurde in Békéscsaba das Forschungsinstitut der Slowaken [Szlovákok Kutatóintézete] gegründet; 1990 entstand in Szeged am Slawischen Lehrstuhl der József-Attila-Universität das Serbische Institut [Szerb Intézet]; 1991 entstand in Pécs die deutsche Forschungsgemeinschaft, von 1995 an das im Rahmen des Germanistischen Instituts tätige Zentrum für Forschungen und Lehrerbildung der Ungarndeutschen [Magyarországi Németek Kutatási és Tanárképzési Központja]; 1993 entstand in Pécs das Kroatische Institut [Horvát Intézet], das seit 1995 unter der Bezeichnung Horvát Tudományos Kutatók Egyesülete [Verein der Kroatischen Wissenschaftlichen Forscher] seine Arbeit fortsetzt. Seit 1993 ist in Gyula das Forschungsinstitut der Rumänen in Ungarn [Magyarországi Románok Kutatóintézete] tätig; im Jahre 1994 wurde das Forschungsinstitut des Zigeunertums [Cigányság Kutató Intézet] gegründet; Anfang 1996 wurde auf die Initiative der Organisation der Rusinen in Ungarn [Magyarországi Ruszinok Szervezete] das Forschungsinstitut der Rusinen in Ungarn [Magyarországi Ruszinok Kutatóintézete]; die Bulgarische Landesselbstverwaltung gründete im Jahre 1996 das Institut für Bulgaristik [Bulgarisztikai Intézet] (vgl. Berényi 1999 : p. 2602).

 

Literatur

Bartha, Csilla 1995: Nyelvcsere, nyelvvesztés: szempontok az emigráns kétnyelvűség vizsgálatához [Sprachwechsel, Sprachverlust: Gesichtspunkte zur Untersuchung der Zweisprachigkeit der Emigranten]. In: Kassai, Ilona (Red.), Kétnyelvűség és magyar nyelvhasználat [Zweisprachigkeit und ungarischer Sprachgebrauch]. Referate der 6. Konferenz der lebenden Sprachen. Budapest: herausgegeben von der Abteilung für lebende Sprachen des Sprachwissenschaftlichen Instituts der Ungarischen Akademie der Wissenschaften. p. 37-47.

Berényi, Mária 1999: A hazai kisebbségi kutatóintézetek működésének egyes kérdéseiről. [Über einige Fragen der Tätigkeit der Minderheitenforschungsinstitute in Ungarn]. In: Barátság, 15. November 1999, p. 2602-2604.

Borbé1y, Anna 2000: A kisebbségi nyelv megőrzését elősegítő faktorok Méhkeréken [Die Bewahrung der Minderheitensprache fördernden Faktoren in Méhkerék]. In: Borbély, Anna (Red.), Nyelvek és kultúrák érintkezése a Kárpát-medencében [Berührung der Sprachen und Kulturen im Karpatenbecken]. Referate der 10. Konferenz der lebenden Sprachen. Budapest: herausgegeben von der Abteilung für lebende Sprachen des Sprachwissenschaftlichen Instituts der Ungarischen Akademie der Wissenschaften. p. 45-53.

Borbély, Anna 2001a: Nyelvcsere. Szociolingvisztikai kutatások a magyarországi románok közösségében [Sprachwechsel. Soziolinguistische Untersuchungen in der Gemeinschaft der Rumänen in Ungarn]. Budapest: herausgegeben von der Abteilung für lebende Sprachen des Sprachwissenschaftlichen Instituts der Ungarischen Akademie der Wissenschaften.

Borbély, Anna 2001b: Egy tíz év után megismételt szociolingvisztikai kutatás módszerei és a terepmunka tapasztalatai [Die Methoden und die Erfahrungen der Terrainarbeit einer nach zehn Jahren wiederholten soziolinguistischen Untersuchung]. In: Papp, György (Red.), 11. Konferenz der lebenden Sprachen. Studien (Sonderband). Jahrbuch des Ungarischen Lehrstuhls der Universität Újvidék [Novi Sad]. Novi Sad, p. 175-183

Frătean, Stefan 1997 : Care este numărul românilor din Ungaria? In: Calendarul românesc 1977. Almanahul săptămînalului „NOI”. Giula [Gyula]: Uniunea Culturală a Românilor din Ungaria. p. 136-141.

Kaupert, I. 2001: Noi oferim numai baza. De tinerii profesori depinde dacă se vor perfecòiona în profesia aleasă. Interviuri după examenul de stat de la Catedra de română din Seghedin. In: Foaia românească. Anul LI, Nr. 25, 22 iunie 2001, Giula. p. 10

Kontra, Miklós und Székely, András B. 1993: Hungary (H). Socialinguistica, International Yearbook of European Sociolinguistics, Ulrich Ammon–Klaus J. Mattheier–Peter H. Nelde (eds), Tübingen: Max Niemeyer Verlag, 1993/7, p. 135-142.

Netea, Andreea und Netea, Zoltan 2001: Părerea studenòilor. In: Foaia românească. Anul LI, Nr. 26, 29 iunie 2001, Giula. p. 9.

Weinreich, Uriel 1953: Languages in Contact. Findings and Problems. New York: Publications of Linguistic Circle of New York –Number 1.

 

JÓZSEF HIRNÖK

Der slowenische Sprachgebrauch in Ungarn

 

Die Slowenen haben sich im Gebiet zwischen den Flüssen Rába und Mur im 6. Jahrhundert mit den Awaren zusammen niedergelassen, sie stellen die einzige Nationalität dar, mit denen die Ungarn seit mehr als einem Jahrtausend kontinuierlich zusammenleben. Im Laufe der Geschichte bildete das „Jenseits der Mur” genannte Gebiet im heutigen Slowenien und das von den Slowenen besiedelte „Gebiet an der Rába” im heutigen Ungarn den bedeutendsten Schauplatz der seit einem Jahrtausend währenden interethnischen Beziehungen der zwei Völker. Die Wirkung war von Anfang an wechselseitig, aus der Natur der Dinge ergibt sich schon, dass der slowenische Einfluss in der ersten Zeit stärker war. Wir wissen, dass das zum Christentum übergegangene Ungartum die umgestaltenden Impulse in erster Linie durch die Vermittlung von jenen Völkern erhielt, mit welchen Völkern es im Karpatenbecken unmittelbare Kontakte hatte. In den späteren Jahrhunderten nimmt der Einfluss in der umgekehrten Richtung zu, infolge der zahlenmäßigen Überlegenheit der Ungarn, des Unterschieds in der Gesellschaftsstruktur, infolge der Entwicklung in der Machtstruktur und in der Kultur. Der Friedensvertrag von Trianon löste die Einheit der hier lebenden Völker auf. Der größte Teil der Slowenen gelangte zu Jugoslawien, ein kleinerer Teil zu Österreich, während die heute „Slowenisches Gebiet” genannte Region um die Stadt Szentgotthárd auch weiterhin zu Ungarn gehört. Dieses Gebiet umfasst sieben, mehrheitlich von Slowenen bewohnte Gemeinden. In bedeutender Zahl ließen sich Slowenen noch in Szentgotthárd nieder, doch leben Slowenen in größerer Zahl auch in Budapest, in Szombathely und in Mosonmagyaróvár.

Die relative Abgeschlossenheit des Gebiets an der Rába mehrere Jahrzehnte hindurch, die beinahe hermetische Abgeschlossenheit vom Mutterland hat auf dem wirtschaftlichen, sprachlichen und kulturellen Gebiet solche Vorgänge ausgelöst, hier denke ich natürlich an die Assimilation, deren Aufhalten bzw. Umkehren eine außerordentlich zeitintensive Aufgabe darstellt.

Die Fachliteratur stimmt mehr oder weniger darin überein, dass in der letzten Zeit im Erhaltenbleiben als Minderheit die Rolle der Umgestaltung der traditionellen Kraft, der Familie, der Dorfgemeinschaft, der ethnisch kompakten Region, das Abnehmen an Bedeutung der an der Weitergabe des sprachlichen Bewusstseins teilnehmenden, infolge der Industrialisierung und der Urbanisierung zunehmenden Mobilität die Rolle des Unterrichts zugenommen hat. Die Entfaltung der Muttersprache steht unzweifelhaft in der Wechselwirkung zwischen der Effizienz der unterschiedlichen Schauplätze der Sozialisierung der Minderheit und der Entwicklung des kulturellen Identitätsbewusstseins. Wie im neuen slowenischen Lehrplan in Ungarn festgehalten ist, spielt die Minderheitenschule eine entscheidende Rolle bei der Aneignung und Bewahrung der Muttersprache und der Nationalitätenkultur. Einer der bedeutendsten unterscheidenden Marker der Existenz als Minderheit ist die Sprachpflege, die Pflege der Überlieferungen, die Beibehaltung und Entwicklung der besonderen Kultur. Das Unterrichtswesen der Minderheiten ist die Grundlage der gesamten kulturellen Tätigkeit der Minderheit. Der gute Minderheitenunterricht ist einer der größten Garanten für die Erhaltung und das Fortleben der Nationalität. Jener erzieherische Prozess, in dem das Individuum sich die sozialen Erfahrungen und Erkenntnis aneignet und sich selbst definiert und identifiziert, wird von der Sozialpsychologie als Sozialisierung bezeichnet. Die zur Herausgestaltung des Selbstbewusstseins der Nation, der Nationalität unentbehrliche Sprache, das Brauchtum, die Überlieferung, die Besonderheiten in der Betrachtungsweise, d. h. die nationale, die Nationalitätenkultur wird im Laufe der Sozialisierung in die Struktur der Persönlichkeit eingebaut. Für die jüngsten Angehörigen der Nationalität, für die Kinder spielen die Familie, das unmittelbare Umfeld, die Gruppe der Gleichaltrigen, die Schule und die Mittel des modernen Massenverkehrs eine bedeutende Rolle bei der Herausgestaltung des Zugehörigkeitsbewusstseins zur Gemeinschaft und auch dabei, wie sie die das soziale Identitätsbewusstsein tragenden oder begleitenden Faktoren assimilieren. In der Hierarchie der erwähnten Schauplätze der Sozialisierung stehen unserer Auffassung nach das Zuhause und die Schule auf Platz eins. Keiner der beiden entscheidenden Faktoren kann auf die Unterstützung des anderen verzichten, und zwar im Interesse der perspektivischen Erhaltung der Ethnie.

Die ersten Schulen des slowenischen Gebiets wurden um die Wende des 16.-17. Jahrhunderts von der evangelisch-lutherischen Kirche gegründet. Zur Zeit der Gegenreformation wurde die Bevölkerung rekatholisiert, so wurde auch der Unterricht von katholischen Geistlichen übernommen. Die älteste Schule der Landschaft, die in der Gemeinde Felsőszölnök, wird zum ersten Mal im Jahre 1601 erwähnt. In den Volksschulen wurde bis zum Ende des 19. Jahrhunderts im Grunde genommen in der Muttersprache unterrichtet. In den fünfundzwanzig Jahren vor dem Ersten Weltkrieg wurde parallel zur Verstaatlichung der Schulen von der nationalen Intoleranz die Unterrichtssprache in das Ungarische verwandelt. Nach dem Friedensvertrag von Trianon wurde in den Schulen des Gebiets an der Rába der örtliche Dialekt als Unterrichtsfach gelehrt. Seit 1945 sind neben der allmählichen Entwicklung der Unterstufen- und Oberstufenlehrerausbildung auch Grundschulen vom Typ des Sprachunterrichts tätig, es wurde eine sprachlich-literarische Ausbildung in drei-vier Wochenstunden durchgeführt. Seit dem Schuljahr 1985/86 wird zum zweisprachigen Unterricht übergegangen.

Das Experiment erlebte jedoch innerhalb einiger Jahre ein Fiasko, so sind auch heute Sprachunterricht betreibende Grundschulen tätig. Das Gebiet an der Rába befindet sich von allen Gesichtspunkten aus in einer spezifischen Situation. Jahrzehnte hindurch hatte die slowenische Gemeinschaft keine direkte Beziehung zum Mutterland, zu Slowenien. Das Gebiet an der Rába stellte eine Insel dar im stürmischen Meer, war unerreichbar und beinahe vergessen. So begann auch die slowenische Sprache in Vergessenheit zu geraten und die tragenden Pfeiler der Slowenen begannen erschüttert zu werden. Danach kamen neue Zeiten, der Eiserne Vorhang wurde abgebaut, die Festungen des Sozialismus fielen wie Kartenburgen zusammen. Es wurde eine Möglichkeit zum Erwachen des slowenischen Selbstbewusstseins, zur Festigung der tragenden Pfeiler geschaffen.

Und wem könnte diese Aufgabe obliegen? Natürlich der Schule und den Lehrern, die die slowenische Sprache unterrichten.

Von den vier Grundschulen mit 8 Klassen des slowenischen Gebietes sind nur mehr 4 erhalten geblieben. Die Grundschule in Szakonyfő wurde im Juni des Vorjahres geschlossen. Diese negative Tendenz setzt sich trotz aller unserer Anstrengungen fort, dies hat zahlreiche Ursachen.

– Mit dem Rückgang des Bevölkerungszuwachses ist die Zahl der neugeborenen Kinder immer geringer.

– Die Unterhaltung der Schulen mit niedrigen Kinderzahlen bedeutet für die Gemeindeselbstverwaltungen immer mehr Probleme.

– Die Arbeit der Lehrer wurde mangels gesellschaftlicher Anerkennung immer mehr abgewertet.

Dies ist natürlich keine slowenische Besonderheit, doch lässt sich dies auf dem Gebiet der nationalen Minderheit besonders verspüren. Mit Rücksicht auf die vorstehend umrissene, nicht gerade rosige Situation muss der Unterricht der slowenischen Sprache auf neue Grundlagen gelegt werden, mit Einbeziehung der Eltern muss damit bereits im Kindergartenalter begonnen werden. Grundlegendes Ziel des Unterrichts ist die Entwicklung jener Fähigkeiten der Kinder, die ihnen die grundlegende schriftliche und mündliche Kommunikation ermöglicht. Wichtig ist außerdem auch, dass sie über ihre Muttersprache die Kultur des Mutterlandes, Sloweniens, kennen lernen und so ihre Nationalitätenzugehörigkeit festigen.

Aus Vorstehendem geht hervor, dass der Nationalitätenunterricht, zumindest im slowenischen Gebiet an der Rába, in eine Krise gelangt ist, bzw. unter den veränderten gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen seine Stelle sucht. Deshalb ist ein wichtigeres Element der Sprachenpolitik in Ungarn der außerschulische Unterricht der Muttersprache. Diese Aktivitäten sind folgende:

1. Im Februar 1991 ist das erste Heft unserer Zeitschrift „Porabje” erschienen. Das Blatt erscheint zweiwöchentlich in 1200 Exemplaren und gelangt zu fast allen slowenischen Familien. Das Organ spielt eine unersetzliche politische, kulturelle, sprachliche und informative Rolle im Leben unserer Nationalität, zugleich ist es ein wichtiges Hilfsmittel in unseren Schulen. Unser Verband hat in den vergangenen zehn Jahren auch auf dem Gebiet des Buchverlags bedeutende Ergebnisse erzielt. Die Zahl der verlegten Bände liegt über zehn.

2. Im Juni 2000 nahm in Szentgotthárd der slowenische Rundfunk seine Sendungen auf. Gegenwärtig sendet er in acht Stunden wöchentlich und kommt seiner informativen, muttersprachlichen, kulturellen und identitätsbewahrenden Aufgabe nach. Unter unseren Zielsetzungen befindet sich das Erhalten einer selbständigen Frequenz und die Erweiterung der Sendezeit. Mit unseren Sendungen wollen wir auch die Bevölkerung der benachbarten Gemeinde Bricskó in Slowenien erreichen. Diese grenzüberschreitende Wirkung könnte die Zusammenarbeit unserer Region festigen.

3. Der Bewahrung unserer Muttersprache dient auch die Tätigkeit der Kulturgruppen im Gebiet an der Rába. Mehr als hundert Mitglieder dieser acht Kulturvereine gehören der jungen Generation an. Ihre aufopfernde Arbeit dient der Bewahrung der slowenischen Kultur, der Muttersprache und unserer Nationalität von geringer Zahl.

4. Im November 1998 wurde in Szentgotthárd das Slowenische Kultur- und Informationszentrum eröffnet. Die Arbeit und die Aufgaben des Zentrums, oder wie wir es sagen, des Slowenischen Hauses, sind sehr vielseitig. Unmittelbares Ziel der im Slowenischen Haus veranstalteten Programme ist die Bewahrung der slowenischen Sprache und Kultur, sowie die Darstellung der kulturellen Werte unseres Mutterlandes Sloweniens. Unser wichtigstes Ziel besteht darin, dass die slowenische Kultur nicht nur zu unserer engsten Gemeinschaft gelangt, sondern dass wir sie auch der ungarischen Mehrheitsbevölkerung vorstellen. 1992 wurde von den beiden Ländern, von Slowenien und Ungarn, das Abkommen zur Sicherstellung der Sonderrechte der in der Republik Ungarn lebenden slowenischen nationalen Minderheit und der in den Republik Slowenien lebenden ungarischen Gemeinschaft mit dem Ziel, der in der Republik Ungarn lebenden slowenischen nationalen Minderheit und der in der Republik Slowenien lebenden ungarischen Gemeinschaft einen juristischen Schutz auf je höherem Niveau zu sichern.

Im Sinne des Abkommens sichern die Vertragspartner den Minderheiten und den ihnen angehörenden Personen die Möglichkeit der Bewahrung und Entwicklung der Kultur, der Sprache, der Religion und der umfassenden slowenischen bzw. ungarischen Identität sowie der freien Äußerung. Außerdem erkennen die Vertragsparteien das Recht der beiden Minderheiten auf die Information in der Muttersprache über die Presse, den Rundfunk und das Fernsehen an. Und was am wichtigsten ist, sichern die Vertragspartner zur Realisierung der in diesem Abkommen vorgesehenen Verpflichtungen die entsprechende finanzielle und sonstige Unterstützung. Der Text des Abkommens bzw. sein Gehalt liegt über den europäischen Normen bzw. Standards. Und wir ungarische Slowenen haben viel von diesem Abkommen erwartet. Mit Recht, war doch die Unterzeichnung dieses Abkommens von der ungarischen Seite angeregt worden. Ich glaube, ich verrate auch kein Geheimnis, wenn ich es sage, dass jedes Abkommen so viel wert ist, was von ihm verwirklicht wird. Das Abkommen bedeutet also die entsprechende juristische Grundlage bzw. kann sie bedeuten zu unseren weiteren Tätigkeit, die Wirklichkeit ist aber viel prosaischer als diese:

– Leider erhält unsere seit 1991 erscheinende Zeitschrift „Porabje” relativ wenigere finanzielle Unterstützung im Vergleich zu den anderen Minderheitenblättern.

– Der seit Juni des Vorjahres tätige slowenische Rundfunk in Szentgotthárd hat bis heute kein Budget, gegenüber dem ungarischen Rundfunk in Lendava (Lendva), der von der slowenischen Regierung eine Förderung von 170 Millionen Forint im Jahre erhält.

– Die Gründung des 1998 eröffneten Slowenischen Kulturzentrums wurde von der ungarischen Regierung mit 8 Millionen Forint gefördert. Die Gesamtkosten der Investition beliefen sich auf 260 Millionen Forint.

Trotz aller dieser Mängel blicken wir dem dritten Jahrtausend optimistisch entgegen, und vertrauen darauf, dass sich nach dem EU-Beitritt Ungarns und Sloweniens für die Slowenen in Ungarn neue Möglichkeiten bieten. Wie wir diese werden ausnützen können, hängt leider nicht nur von uns ab.

 

Literatur

Székely, András Bertalan: A Rábától a Muráig [Von der Rába bis zur Mur]. Budapest, 1992.

Oktatás, kultúra, közművelődés és tömegkommunikáció a magyarországi szlovének körében [Unterricht, Kultur, öffentliche Bildung und Massenkommunikation im Bereich der Slowenen in Ungarn]. p. 44–45

Perger, Valerija: Ezek mind ti vagytok. Rába-vidéki szlovének. A Rába-vidéki tanár a szlovénség legfőbb támasza [Das alle seid ihr. Slowenen im Rába-Gebiet. Der Lehrer des Rába-Gebietes ist die wichtigste Stütze der Slowenen]. p. 35–36

 

ANNA GYIVICSÁN

Die Muttersprache der Slowaken in Ungarn

 

Im Kreis der auf dem Territorium des heutigen Ungarns lebenden Nationalitäten hat sich am Ende des 19. und am Anfang des 20. Jahrhunderts ein spezifisches, doch sehr ungünstiges, ja sogar ausgesprochen benachteiligendes Modell der Zweisprachigkeit herausgebildet. In diesem Modell gelangte die Sprache der Minderheiten in das Stadium der Diglossie.

Zur Herausbildung dieses ungünstigen Modells trug in einem hohen Maße auch der Diasporacharakter der Minderheiten in Ungarn bei, verhinderte doch diese Zerstreutheit – und verhindert es auch gegenwärtig noch – die innere kulturelle Kommunikation zwischen den Sprachinseln bzw. ein kulturelles Voranschreiten in einem gewissen Grade. Und all dies gilt in einem höheren Maße auch für die Sprache als ein grundlegendes Mittel der gesellschaftlichen und kulturellen Beziehungen. Diese Diglossie in negativer Richtung kam im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ausschließlich im gesellschaftlichen Leben zur Geltung, in den letzten vier Jahrzehnten breitete sich die untergeordnete Rolle der (Nationalitäten-)Sprache auch auf die Familie aus. Die Frage ist, wie aus dieser ungünstigen Situation eine Zweisprachigkeit „geschaffen” („neu geschaffen”) werden kann, die einen gesellschaftlichen Rang hat und auch in der subjektiven Sphäre wieder neu zu leben beginnt, und zwar so, dass die gesunde und nützliche Triebkraft Kultur nicht nur einer engeren „Elite”, sondern einer vollständigeren Nationalitätengemeinschaft dient.

Der obige Problemkreis soll von mir am Beispiel der ungarländischen Slowaken dargestellt werden.

Als entscheidender Faktor im Prozess der sprachlichen Werteveränderungen ist in der Geschichte der Minderheiten in Ungarn die besondere, herausragende Rolle der Sprachen in Mittelosteuropa enthalten. Es ist bekannt, dass in dieser Region vom Ende des 18. bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, ein ganzes Jahrhundert hindurch, in den nationalen Bewegungen die Kultur und die Sprache eine herausragende Rolle spielt; die Sprache hatte eine politische Rolle erhalten, war zum Bestandteil des politischen Kampfes geworden. Im erwähnten Jahrhundert mussten die sich herausbildenden Nationen einen großen Kampf für die gesellschaftliche Akzeptanz der eigenen Sprache und Kultur austragen. Es hatte sich eine Atmosphäre herausgebildet, die man gewissermaßen übertrieben so charakterisieren könnte, „wessen Sprache siegt, dem gehört die Macht”. Dieser Prozess und das sich herausgebildete ungünstige Milieu ließ auch die Sprachinseln der ungarländischen Slowaken nicht unberührt, die in das Kreuzfeuer von zwei – der ungarischen und der slowakischen – nationalen Bewegungen, und innerhalb dieser der sprachlichen und kulturellen Bewegungen, bzw. der zwischen diesen Bewegungen entstandenen Kämpfe und Zwistigkeiten geraten; häufig lösten sie die ambivalenten Reaktionen und Verhaltensweisen der nationalen Gemeinschaft und der Individuen aus. Diese negativen historischen Wurzeln, diese kulturellen Erlebnisse motivieren auch in unseren Tagen immer noch die sprachlichen Werte und behindern es, dass im Bereich der ungarländischen Slowaken eine ausgeglichene slowakisch-ungarische Zweisprachigkeit zustande kommen kann.

Unseren Vermutungen nach konnte der negative Trend der sprachlichen Werte in den slowakischen Sprachinseln in der Periode zwischen den beiden Weltkriegen stärker werden, obzwar die aktive Mitteilungsform der Verhaltensweise in den letzten vier Jahrzehnten zunehmen konnte, als die Gemeinschaft immer häufiger mit der slowakischen Literatursprache und mit den modernen, institutionalisierten Formen der Sprache konfrontiert wurde. All das erlebte man aber schon zu dem Zeitpunkt, als sich die eigene lokale Sprache im Stadium der typischsten Diglossie befand, zu dem Zeitpunkt, zu dem die slowakische Sprache – von wenigen Ausnahmen abgesehen – ganz isoliert vom gesellschaftlichen Leben den internsten Angelegenheiten der Gemeinschaft, der Familie und des Individuums diente, und nicht zu den äußeren Beziehungen der Gemeinschaft. In diesem Zustand der Rückentwicklung, in einem solchen Modell leben bei einigen kleineren Gemeinschaften oder bei einzelnen Schichten größerer slowakischer Gemeinschaften noch die lokalen Dialekte, und zwar so, dass weder der seit vier Jahrzehnten währende Unterricht der slowakischen Literatursprache, noch andere Formen der muttersprachlichen Bildung dieses benachteiligte Modell der sprachlichen Kommunikation verändern konnten.

Der Prozess des Werteverlusts der Muttersprache und der Raumgewinn der ungarischen Sprache widerspiegelt sich in den Angaben der Volkszählung, was die angegebene Muttersprache anbelangt [A], bzw. in den demographischen Angaben der muttersprachlichen Angaben, also in der Relation der Altersstufe und der Muttersprache [B].

[A] Die Zahl der auf dem Territorium des heutigen Ungarns lebenden Slowaken nach der Muttersprache entwickelte sich zwischen 1880–1990 wie folgt:

1880: 213 249

1900: 192 227

1910: 165 317

1920: 141 877

1930: 104 786

1941: 75 877

1949: 25 988

1960: 30 690

1970: 21 176

1980: 16 054

1990: 12 745

 

Einige Angaben über die Proportionen dieser negativen Veränderung in Prozent ausgedrückt:

zwischen 1880 und 1930, also innerhalb von 50 Jahren, ging die Zahl der Slowakischmuttersprachler von 213 249 auf 104 786 zurück, nahm also um mehr als 50 % ab. Zwischen 1930 und 1945, also kaum innerhalb von zehn Jahren, machte der Rückgang schon 29,3 % aus (von 104 786 auf 75 000).

Sowohl aus dem historischen statistischen Prozess, als auch aus den Proportionen in Prozent ausgedrückt ergibt sich, dass ein solcher paradoxer sprachlicher – und vermutlicher kultureller – Werteverlust eingetreten ist, für den es nicht leicht sein wird, eine „exakte” Erklärung zu geben – sei es nun unter Anwendung von vielseitigen, als auch von interdisziplinären Methoden. Die Beantwortung der Frage wird auch dadurch erschwert, dass im Kreis der anderen nationalen und ethnischen Minderheiten in Ungarn diese umfangreiche negative sprachliche und kulturelle Veränderung nicht eingetreten ist. Wenn wir nämlich die muttersprachlichen Angaben der Volkszählungen bei den ungarländischen Slowaken und bei den anderen Nationalitäten miteinander vergleichen, zeigt dieser Vergleich, dass die Angaben bei den Slowaken am meisten sinken, und auf eine zu widersprüchliche, ambivalente Weise schwanken.

[B] Der Werteverlust bei der Muttersprache wird auch von den aufgrund der Volkszählungen analysierten Altersklassengliederungen unterstützt. Die unten stehende Tabelle stellt aus der Volkszählung des Jahres 1970 die Angaben der Muttersprachenangaben, die ungarischen und slowakischen Beziehungen bzw. die Gliederung nach dem Alter dar.

 

Lebensalter

Männer

Frauen

Ungarn

Slowaken

Ungarn

Slowaken

0 – 14

1 044 334

870

985 535

   809

15 – 39

1 772 168

2 473

1 761 649

2 605

40 – 59

1 128 614

2 897

1 252 245

3 527

60 – X

707 573

3 106

926 270

4 642

insgesamt

4 015 873

9 346

4 926 199

11 583

 

Auch ohne die tiefere Analyse der Angaben fällt ins Auge, dass bei den Slowaken die

Altersklasse, die in der größten Zahl die Muttersprache übernimmt und sich dazu bekennt, die Generation der Ältesten ist, während bei den Ungarischmuttersprachlern die mit den größten Zahlen die gesellschaftlich aktivsten Generationen, die zwischen des Jahren 15 und 39 bzw. zwischen den Jahren 40 und 59 sind. Bei den Slowakischmuttersprachlern bedeuten die jüngeren Generationen eine immer niedriger werdende Zahlenreihe, in der die jüngste Gruppe (die 0- bis 14-Jährigen) im Vergleich zu den anderen Altersklassen die kleinste Gruppe darstellt, die neben den anderen Generationengruppen als „Torso” existiert. Die Zahl der jungen Altersstufen hat sowohl bei der Volkszählung des Jahres 1980 und bei der von 1990 weiter abgenommen. Das bedeutet wiederum, dass die klassische („instinktive”) Form der Kulturvermittlung-Kulturübergabe, die kulturelle Transmission innerhalb der Familie – zumindest den statistischen Indizes nach – in Gefahr geraten ist, und wahrscheinlich bei mehreren slowakischen Gemeinschaften ganz zu bestehen aufgehört hat: die jungen Generationen sind auf diesem klassischen Weg nicht zu Trägern der slowakischen Kultur und der slowakischen Sprache geworden und werden es auch nicht.

Die obigen Zahlen sind zum Teil die Spiegelbilder einer realen Situation. Denn die Kinder im Schulalter kennen schon seit ungefähr zwei Jahrzehnten die lokale Mundart nicht mehr, nehmen sie nicht mehr an, höchstens als passives Wissen. (Doch die letztere Erscheinung ist auch eher eine Ausnahme.)

Die Veränderung des sprachlichen Verhaltens der Kinder und Jugendlichen hat in den einzelnen slowakischen Siedlungen schon in den 1930er, vor allem aber in den 1940er Jahren begonnen. Meine familiensoziologischen Untersuchungen weisen darauf hin, dass diese Veränderung sehr häufig innerhalb der Familie begonnen hat. Ob vielleicht der vorgestellte negative Änderungsprozess die Hoffnung dazu bietet, die ich in der Einleitung angesprochen hatte: gibt es überhaupt die Möglichkeit dazu, dass sich im Kreise der ungarländischen Slowaken eine „gleichrangige(re)” slowakisch-ungarische Zweisprachigkeit herausbildet, die auch funktionsfähig ist. Dieses Bild und dieser Sprachzustand, die ich analysiert habe, waren zwischen 1965-1975 schon in Bezug auf alle slowakischen Siedlungen allgemein geworden, und zwar so, dass die gesellschaftliche Bedeutung der ungarischen Sprache auch außerhalb des institutionellen Rahmens stärker geworden ist, und dass die slowakische Sprache auf der Ebene der Gemeinschaft in einer benachteiligten Funktion beibehalten wurde, auch gegen diese Tatsache gerichtet, dass in den letzten Jahrzehnten die gesellschaftliche Rolle der slowakischen Sprache in einigen Siedlungen und Institutionen wieder zu wirken begonnen hat. Die Mundart der Gemeinschaft hat das Stadium der vollständigen Krise, des vollständigen Absterbens erreicht. Auch in dem Fall, wenn sie in den Generation der über Fünfzigjährigen noch eine familiäre und eine beschränkte gemeinschaftliche Rolle hat. Hier geht es um die Krise und das Absterben jener Mundarten, auf denen bisher die asymmetrische slowakisch-ungarische Zweisprachigkeit beruhte.

Die slowakisch-ungarische Zweisprachigkeit hat nach 1949 eine neue Quellenbasis erhalten. Es wurde das slowakische Unterrichtssystem oder das Unterrichtssystem von slowakischer Art (von den Kindergärten bis zum Lehrstuhl an der Hochschule) – wenn es auch bis heute noch nicht ganz komplett ausgebaut ist – und die außerschulischen kulturellen Institutionen ausgebaut (Klubs, Zeitung, Buchverlagswesen, slowakische Sendungen der Medien usw.), die zu Vermittlern der slowakischen Literatursprache geworden sind.

Bereits diesem neuen kulturellen Modell ist es zu verdanken, dass sich ein neues sprachliches System bzw. eine neue slowakisch-ungarische Zweisprachigkeitsfunktion herausgebildet haben: die slowakische Mundart/die slowakischen Mundarten. Sie lebt/leben auch als Kommunikationssprache in der engen Familie, doch auch in der engeren Gemeinschaft; die ungarische umgangssprachliche Kommunikation hat sich auch in diesem Bereich – abgesehen von wenigen Ausnahmen – verbreitet;

die slowakische UMGANGSSPRACHE: sie fehlt als kollektive Kommunikationssprache bei den slowakischen Gemeinschaft ganz; eine enge slowakische Intelligenz – vor allem durch die Vermittlung der Absolventen der Universitäten und Hochschulen in der Slowakei – verwendet sie gemeinsam mit der ungarischen Umgangssprache;

die slowakische LITERATURSPRACHE: die Mittlersprache der Schule und der kulturellen Institutionen; die Arbeits- und Schöpfersprache der slowakischen Intelligenz in Ungarn, also der Wissenschaftler, der Schriftsteller und der Pädagogen. Diese Schicht ist natürlich auch umfassender Inhaber der ungarischen Kultur und der ungarischen Sprache. In ihrer gesellschaftliche Kommunikation ist die ungarische Sprache und die ungarische Kultur dominierend. Damit dieses schwache sprachliche System zum Leben erwacht, bräuchte es eine ständige anregende Kraft und eine sprachliches Planen. In der nahen Vergangenheit hat dieses System für sein Funktionieren eine anregende Rechtsgrundlage bekommen, sichert doch das am 20. Oktober 1993 in Kraft getretene Nationalitätengesetz den Nationalitätengemeinschaften in Ungarn eine umfassende Autonomie der Verwaltung, der Kultur und des Unterrichts. Das Gesetz macht den Gebrauch der Muttersprache auf sozusagen allen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens möglich. Die Realisierung des letzteren wird es im Falle der Slowaken – wie ich bereits mehrmals darauf verwiesen habe – erschweren, dass die in der Schule gelernte slowakische Literatursprache nur bei einer zahlenmäßig kleinen Intelligenz das Kennenlernen der slowakischen Umgangssprache und ihren sehr beschränkten Gebrauch ermöglicht hat.

Bei der Neugestaltung der gesellschaftlichen Rolle der slowakischen Sprache muss man aber auch mit einem neueren behindernden Faktor rechnen. Infolge der seit 1989 vor sich gehenden gesellschaftlichen Veränderungen wurde nämlich auf allen Ebenen der schulischen Institutionen der Unterricht der westlichen Sprachen zu einer primären Aufgabe. Der Unterricht der „kleinen Sprachen”, das Interesse für sie ist allmählich in den Hintergrund gerückt. Während z. B. im Jahr 1988 die slowakische Sprache in 76 Schulen von 7 637 Schülern gelernt wurde, lernten im Jahre 1991 nur mehr 5 527 Schüler in 67 Schulen Slowakisch. Leider hat sich dieses Bild auch im Schuljahr 1999/2000 in negativer Richtung verändert, als in 59 Grundschulen 4 424 Schüler in slowakischer Sprache oder die slowakische Sprache lernten. Auch das trifft zu, dass die muttersprachliche Angabe der Volkszählung des Jahres 1990 (12 745 Personen) bei der Volkszählung des Jahres 2001 ebenfalls gesunken ist, denn nur mehr 11 817 Personen bezeichneten die slowakische Sprache als ihre Muttersprache. Andererseits ist diese Zählung aber positiver, weil sie für die Lage der slowakischen Sprache auch vitalere Angaben enthält. So wird die slowakische Sprache von 18 057 Personen im Familien- und Freundeskreis verwendet, während 26 631 Personen in irgendeiner Form mit der slowakischen Kultur verbunden sind. Eine der interessantesten „slowakischen” Angaben der Volkszählung des Jahres 2001 ist die, dass die Angabe in Bezug auf die Zugehörigkeit zur slowakischen Nationalität weit über der Angabe der Muttersprache liegt (17 693). Bei den bisherigen Volkszählungen machte die Angabe in Bezug auf die Nationalität am häufigsten nur ein Viertel der Muttersprachenangabe aus. Nach der Darstellung der asymmetrischen Zweisprachigkeit der Slowaken in Ungarn muss gesagt werden, dass auch für die Nationalitätensprachen jene allgemeine sprachliche Gesetzmäßigkeit gültig ist, dass Quelle und Unterpfand der Entwicklung einer jeden Sprache ist: die möglichst umfangreiche gesellschaftliche Rolle der Sprache, darunter verstehen wir den Gebrauch der geschriebenen und gesprochenen Form der Sprache im politischen und im wirtschaftlichen Leben, in der Kultur, in der alltäglichen Kommunikation, in der Familie usw. Nur so kann die Sprache ein vollständiges Leben führen! Wenn irgendetwas in dieser Kette fehlt, wird die Entwicklung der Sprache schon verzerrt.

Was könnte man für die in der Diaspora lebenden Slowaken in Ungarn noch schaffen, was könnte man ihnen bieten, mit Institutionen helfen, damit die gesellschaftliche Rolle, der gesellschaftliche Wert zumindest zum Teil ansteigen kann? Falls diese erwünschte Veränderung nicht eintritt, kann die asymmetrische Zweisprachigkeit der ungarländischen Slowaken wirklich zu einer Sackgasse werden.

 

ILONA VARGA

Die Sprache der Bea-Zigeuner

 

In meinem Vortrag versuche ich kurz den heutigen Zustand der Bea-Zigeunersprache zu schildern. Die Bea-Sprache war eine gesprochene Sprache, ganz bis 1993, als Gyula Papp, der Lehrer in Pécs, als Lehrmaterial der Universität Pécs ein Buch über die Bea-Sprache herausgab. Dies war für uns alle, die sich seitdem mit der Schriftlichkeit dieser Sprache beschäftigen, der Ausgangspunkt. Der Fakt selbst, dass es möglich ist, unsere gesprochene Sprache niederzuschreiben, hat vielen von uns große Freude bereitet. Bis man sich aber auch mit ernsteren grammatischen Fragen der Sprache beschäftigen konnte, mussten noch über 10 Jahre vergehen.

Von der Hochschule in Kaposvár wurde Anna Orsós ersucht, die Bea-Sprache zu unterrichten, und dies hatte zum Ergebnis, dass im Jahre 1994 das erste Lehrbuch der Bea-Sprache entstanden ist. Seitdem wurde dieses Material mehrfach modifiziert und ich glaube, dass dieser Prozess auch heute noch nicht abgeschlossen ist.

Als im Zentrum für sprachliche Fortbildung auf den Antrag eines Hochschülers auch in der Bea-Sprache eine staatlich anerkannte Sprachprüfung abgelegt werden konnte, war ich gezwungen, innerhalb der kürzesten Zeit mit einem Wörterbuch herauszurücken, das bei der schriftlichen Prüfung das einzige zugelassene Hilfsmittel ist. Wegen des raschen Tempos bedarf natürlich auch dieser Band weitere Ergänzungen. Doch erhalte ich nur mündliche Unterstützung, in der Wirklichkeit ist es noch nicht gelungen, zufrieden stellende Ergänzung des Wörterbuches vorzunehmen.

Natürlich liegen mit Bezug auf die Bea-Sprache noch viele Aufgaben vor uns, die tatsächliche Schriftlichkeit dieser Sprache kann ja erst auf einige Jahre zurückblicken. Die tatsächliche Entwicklung wurde allerdings dadurch zum Stehen gebracht, dass seit beinahe einem Jahr keine staatliche Sprachprüfung in dieser Sprache abgelegt werden kann, wobei seit einem Jahr keine Begründung vorgelegt wurde. Viele haben in ihrer Arbeit innegehalten und viele haben sie nicht einmal begonnen. Es ist zu befürchten, dass diese gerade entstehende Bea-Sprache so in Vergessenheit geraten wird.

 

MARIA ERB

Die sprachliche Situation der Ungarndeutschen um die Jahrtausendwende

 

In meinem Vortrag möchte ich ein umfassendes Bild von der gegenwärtigen Sprachsituation der Ungarndeutschen vermitteln. Da aber die heutige Situation einerseits sehr veränderlich ist, sie aber andererseits von mehreren Faktoren und komplexen Prozessen gestaltet wird, beschränke ich mich nur auf die zusammenfassende Darstellung der wichtigsten Tendenzen1. In der Kompetenz- und Sprachgebrauchsstruktur der Ungarndeutschen spielten und spielen drei Kommunikationsmittel eine strukturbildende Rolle, die genetisch gesehen zu zwei Sprachen gehören: die deutschen Ortsdialekte, die deutsche Standardsprache und die ungarische Sprache. Bevor ich auf die Untersuchung der heutigen sprachlichen Situation eingehen würde, die das Ergebnis von historischen Prozessen und als solche auch nicht frei von den Lasten der Vergangenheit ist, sei mir gestattet, in Sprachen und Sprachvarietäten gegliedert kurz den Weg zu skizzieren, der hierher führte.

 

Historischer Hintergrund

Von der Ansiedelung bis 1945

Bei der überwiegenden Mehrheit der Ungarndeutschen spielten bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts die aus den mitgebrachten Mundarten in den einzelnen Siedlungen durch sprachlichen Ausgleich entstandenen lokalen deutschen Mundarten die Rolle des primären Kommunikationsmittels. Das Vorhandensein einer über den Mundarten stehenden, die zwischenörtliche Kommunikation erleichternden regionalen deutschen Umgangssprache kann zwar als wahrscheinlich angenommen werden2, ihr Gebrauch aber war – wegen der Lebensform und der niedrigen Mobilität der Ungarndeutschen – meistens an gewissen Aktivitäten gebunden und bei Männern und Frauen unterschiedlich ausgeprägt (Jahrmärkte, Militärzeit der Männer, Monate bzw. Jahre, die die Mädchen als Dienstmädchen in anderen Siedlungen verbrachten usw.). Die deutsche Standardsprache war auf der Kanzel und im Unterricht vertreten, ihre Kenntnis meldete sich aber bei der Mehrheit der Deutschen eher auf rezeptive, denn auf produktive Art und Weise.

Die ungarische Sprache übt seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts einen immer größeren Einfluss bzw. mit der Zeit einen immer größeren Druck auf die Kommunikation der Ungarndeutschen aus. Diese Wirkung kann in erster Linie auf zwei Ebenen nachgewiesen werden: einerseits meldet sie sich in der Form der in die deutschen Mundarten integrierten Lehnwörter, andererseits äußert sie sich in den immer umfassenderen und sichereren Ungarischkenntnissen und im Gebrauch des Ungarischen. Es muss jedoch erwähnt werden, dass der letztere Prozess nicht einheitlich auftritt, sondern von sozialen und siedlungsgeographischen Parametern beeinflusst abweichende qualitative und quantitative Unterschiede innerhalb des Deutschtums aufweist: während in den Städten, in der Agglomeration von Budapest, in den größeren Industriegebieten sowie in den Streusiedlungen bei allen Schichten immer energischere Assimilationserscheinungen zu beobachten sind, mit besonderer Rücksicht auf die jüngeren Generationen, können demgegenüber in Südungarn, das vom Gesichtspunkt der deutschen Siedlungen aus viel kompakter ist, in dieser Hinsicht gruppen- und schichtenspezifische Abweichungen nachgewiesen werden, bzw. ist bei der Dorfbevölkerung nur ein sehr sporadisches Beherrschen des Ungarischen, stellenweise sogar das vollständige Fehlen der Ungarischkenntnisse nachzuweisen.

Bis zum Ende der 80er Jahre

Im Verlaufe der hier als Einheit behandelten – doch feiner gegliedert auch in mehrere Phasen einzuteilenden – vierzig Jahre sind als Ergebnis von entscheidenden Prozessen unumkehrbare Veränderungen im Sprachgebrauch der Ungarndeutschen eingetreten. Bis zur Gegenwart haben eine determinierende Bedeutung die in der zweiten Hälfte der 40er, bzw. in den 50er und 60er Jahren ausgeübten Repressalien und Entrechtungen, euphemistisch als „schwere Jahrzehnte der Ungarndeutschen” bezeichnet, die mit einem bedeutenden kulturellen, wirtschaftlichen und sprachlichen Raumverlust einhergingen. Vorübergehend war keine Form der deutschen Sprache für die Mehrheitsnation erwünscht. Das bewusste Bekenntnis zum Deutschtum war für viele nicht attraktiv (s. die entsprechenden Angaben der Volkszählungen), der soziale Aufstieg und jedweder Aufstieg war an die ungarische Sprache gebunden. Der Sprachwechsel intensivierte sich rapide, die primäre Sozialisation der Kinder erfolgt überwiegend in ungarischer Sprache. In dieser Periode wird die ungarische Sprache zur funktionalen Erstsprache der Ungarndeutschen. Die Mundarten werden aus der primären Sozialisation immer mehr verdrängt, sie erodieren in Abhängigkeit von generations- und gebietsbezogenen Parametern unglaublich schnell und auch bei Mundartsprechern ist sehr häufig ihre Pidginisierung zu beobachten. Die deutsche Standardsprache kann wegen der sehr schlechten qualitativen und quantitativen Parameter des Sprachunterrichts im Kindergarten und in der Schule (stellenweise wegen des vollständigen Fehlens) in den breiteren Schichten der Deutschen nicht an Raum gewinnen.

 

Die gegenwärtige sprachliche Situation

Von der zweiten Hälfte der 80er Jahre an, wenn auch sporadisch und langsam, können solche positive Veränderungen beobachtet werden, die – im Vergleich zum negativen Saldo der vorherigen Periode – bis zum Ende der 90er Jahre in Bezug auf den Sprachgebrauch der Ungarndeutschen die vorsichtige Formulierung und Beschreibung von zum Teil neuen Tendenzen ermöglichen. Ich möchte jedoch zur gleichen Zeit betonen, dass diese Prozesse einerseits sehr verformbar sind, andererseits sind sie neuen Ursprungs und deshalb, was ihren Ausgang anbelangt, noch nicht abgeschlossen. Auf dem Gebiet der positiven Veränderungen möchte ich, nur als Aufzählung, folgende erwähnen: die Veränderungen im Sprachunterricht der Minderheit, der Anstieg der Zahl der zweisprachigen Schulen und der Minderheitenschulen bzw. -kindergärten, die bedeutende Erweiterung der Beziehungen zum Mutterland, die höhere Durchgängigkeit der Grenzen, der Ausbau des Netzes der Partnersiedlungen, die Möglichkeit von Minderheitenstipendien auf dem deutschen Sprachgebiet, das Minderheitengesetz, der Ausbau des Systems der Minderheitenselbstverwaltungen, der bedeutende Anstieg der Kulturvereinigungen der Minderheiten, sowie die Erreichbarkeit der deutschsprachigen Fernsehprogramme über die Satellitensender.3 Zur gleichen Zeit nimmt in Ungarn die Bedeutung der Fremdsprechen zu, die auch den Ungarndeutschen die Bedeutung der Konvertierbarkeit ihrer Muttersprache auf dem Arbeitsmarkt bewusst macht. Die gegenwärtige sprachliche Situation wird sowohl von Kontinuität als auch von Veränderung charakterisiert. Worin leider keine Veränderung registriert werden kann, schon wegen des Zeitfaktors, das ist einerseits die Tatsache, dass die funktionale Erstsprache der Deutschen sowohl in der Privatsphäre als auch in der offiziell-amtlichen Sphäre auch weiterhin das Ungarische ist. Häufig kann bei Erhebungen und Untersuchungen festgestellt werden, dass auch die muttersprachlichen Dialektsprecher die Fragen eher ungarisch beantworten und ungarisch die Durchführung des Interviews wollen, weil, wie sie sagen, diese Sprache für sie die vollständige Kommunikationssicherheit bietet. Andererseits meldet sich die Kontinuität mit der vorherigen Periode – natürlich im engen Zusammenhang mit der herausragenden Stellung der ungarischen Sprache –, ebenfalls auf dem Gebiet der Mundarten. Die kommunikative Rolle und die Verwendungsfrequenz der deutschen Mundarten nimmt – auch wegen ihrer Generationsgebundenheiten – weiter ab, ihre Vermischung und Vermengung mit dem Ungarischen auf allen Sprachebenen (usuelle und okkasionelle ungarische Lehnwörter bzw. Lehnübersetzungen, code-switching, code-mixing, code-shifting) sind auch weiterhin sehr charakteristisch. Die Mundartsprecher finden immer schwerer Partner zu einer Kommunikation in der Mundart. Im Landesmaßstab scheinen zwei Parameter innerhalb dieses negativen Bildes gruppenbildend zu sein: die Generationszugehörigkeit und siedlungsgeographische Gegebenheiten, von beiden war bereits bei der Erörterung der vorherigen Epochen die Rede. Unter den so genannten „Mundartgenerationen” sind heutzutage in erster Linie die alten und die ältesten Generationen zu verstehen, sie sind es, in deren Kompetenz- und Sprachgebrauchsstruktur die Mundart anzutreffen ist. Zugleich kann aber auch beobachtet werden, dass in den kompakteren südungarischen Gebieten – im Gegensatz zu den deutschen Siedlungen in der Nähe der Hauptstadt –, auch die mittlere Generation noch die Mundart beherrscht, obzwar das sich nicht immer in deren Gebrauch äußert. In demselben Raum kann als neue, aber bei Weitem nicht allgemeine Tendenz beobachtet werden, das die Mundart sporadisch in der primären Sozialisation wieder an Raum gewinnt, sehr häufig unter Einbeziehung der Großeltern und auf das ausdrückliche Ersuchen der Eltern. Über die vorstehend bereits kurz behandelten Gründe des Sprachverlusts und der Sprachmischung hinaus – die sich u.a. auf den Gebieten der Politik, der Wirtschaft und der Gesetzgebung äußern –, treten aber immer mehr auch konkrete sprachliche Gründe in den Vordergrund, die von den Gewährsleuten auch ausgesprochen werden. Diese werden in erster Linie als kritische Punkte im Zusammenhang mit der Mundart als sprachlicher Varietät und ihrer sprachlichen Leistungsfähigkeit bzw. Beschaffenheit formuliert, und zwar sehr konkret: die Mundart als Substandard ist nicht vollständig ausgebaut, sie ist eine sprechssprachliche Varietät und hat keine schriftliche Form (zumindest im Falle der Ungarndeutschen), ist örtlich gebunden, was auch Verständigungsprobleme nach sich ziehen kann. Die Mundart wird von vielen für eine bäuerliche Sprache gehalten, von einem gebildeten und städtischen Bewohner wird ihr Verständnis und ihr Gebrauch gar nicht erwartet, und dies widerspiegelt sich auch unter den Attitüden in Bezug auf die Mundart. Der zweite Punkt, der sich sehr negativ auf das Fortleben der ungarndeutschen Mundarten auswirkt, ist die Tatsache, dass sie – als Sprachinselmundarten – infolge der vollständigen Isoliertheit vom Mutterland und von der Muttersprache bzw. von deren Entwicklung die Bezeichnungsmängel aus dem Wortschatz der ungarischen Sprache decken, ihr entnehmen. Infolge der raschen technischen, wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung der letzten Jahrzehnte haben diese Nominationslücken in hohem Maße zugenommen. Die Mundartsprecher können es verspüren, dass moderne Inhalte nicht mit Hilfe dieser sprachlichen Varietät kodiert werden können, was sich natürlich negativ auf den Sprachgebrauch auswirkt. Bei dem Ausdruck dieser Kritik wird bei den Datenlieferanten der Untersuchungen als Relativierungs- und Vergleichsgrundlage die ungarische Sprache und – wegen der angeführten Gründe – die deutsche Standardsprache angeführt, die vollständig ausgebaut und auf allen Ebenen der Kommunikation leistungsfähig sind.

Die je intensivere Aufnahme der deutschen Standardsprache in die Kompetenz- und Sprachgebrauchsstruktur der Ungarndeutschen ist jene neue und eindeutig positive Tendenz, die vom Ende der 80er Jahre an und besonders in den 90er Jahren in einem höheren Maße messbar ist. Die jeweilige Standardvarietät des Deutschen kann, wie darauf bereits verwiesen wurde, nicht als Muttersprache der Ungarndeutschen im engeren Sinne des Wortes aufgefasst werden (sondern nur als eine Varietät, doch die wichtigste der Muttersprache im weiteren Sinne), denn diese bekleideten (bekleiden) die Rolle der örtlichen deutschen Mundarten. Zu ihrer Aneignung kommt es in der sekundären Sozialisation im institutionalisierten Rahmen, im Kindergarten, in der Grund- und Mittelschule, die eigentlich die Rolle der Familie nicht nur in Bezug auf die Sprache, sondern auch in der Übergabe der Kultur übernehmen müssen. Wenn wir weiter oben die ältere und die älteste Generation als „Mundartgenerationen” bezeichnet hatten, dann können wir im Falle der jüngsten und der jungen Generation von „Standardgenerationen” sprechen. Es muss aber hinzugefügt werden, dass der Gebrauch der deutschen Standardsprache auf die Unterrichtsstunden beschränkt ist, in den Pausen zwischen den Stunden sprechen die Schüler ungarisch miteinander. Der Gebrauch dieser Sprachvarietät ist einstweilen in erster Linie für gewisse, thematisch an die offiziellen und öffentlichen Gelegenheiten der Ungarndeutschen gekoppelten Gelegenheiten charakteristisch (Sitzung der Minderheitenselbstverwaltungen und Vereine, öffentliche Programme, deutsche Korrespondenz), zur gleichen Zeit ist ihr bewusster und immer häufiger Gebrauch vor allem in bestimmten Kreisen der ungarndeutschen Intellektuellen zu beobachten, demonstrativ auch in privaten und informellen Situationen. Der Raumgewinn der deutschen Standardsprache wird durch das allgemeine internationalen Prestige der deutschen Sprache und im Zusammenhang damit durch ihre Konvertierbarkeit auf dem inländischen und internationalen Arbeitsmarkt unterstützt. In welchem Ausmaß diese heute fast noch nur durch die institutionalisierte Übergabe erlernte deutsche muttersprachliche Varietät fähig ist, zu einer natürlichen Muttersprache zu werden und eingebaut zu werden in das Identitätsbewusstsein und die Sprachkultur der Ungarndeutschen, das wird von den folgenden Jahren, Jahrzehnten entschieden werden.

 

Zusammenfassung und Ausblick

Die hier aus Raummangel nur skizzenhaft berührten Probleme weisen darauf hin, dass die sprachliche Gegenwart und das Kommunikationsprofil der Ungarndeutschen einerseits über mehrere Fäden verläuft und außerordentlich komplex ist, andererseits im Vergleich zu den vorherigen Perioden ein verändertes Bild zeigt.

– Zur funktionalen Erstsprache der Ungarndeutschen ist – infolge des Abbaus des Gebrauches der deutschen Mundarten auf mehreren Ebenen – sowohl in der Privatsphäre als auch im öffentlichen Leben die ungarische Sprache geworden.

– Auf dem Gebiet der Kompetenzebene und des aktiven Gebrauchs der verschiedenen deutschen Sprachvarietäten – im Vergleich zu den 50er, 80er, 70er und zum Teil den 80er Jahren – ist in der letzten Zeit eine bedeutende Verschiebung und Umstrukturierung eingetreten: an die Stelle der allmählich ihre Funktionen verlierenden Mundarten scheint eine deutsche Sprachvarietät zu treten, die Standardsprache, die auf allen Gebieten der Kommunikation leistungsfähig ist, die durch die vielseitigen Anwendungs- und Funktionsindizes im Kreis der Ungarndeutschen ein hohes Ansehen genießt.

– Im Falle der Ungarndeutschen kann mit Recht festgestellt werden, dass es ohne Sprache keine Minderheit gibt. Der innerhalb der deutschen Sprache als Muttersprache im weiteren Sinne neuerdings eingetretene Varietätenwechsel bürdet allen Institutionen des Bildungs- und Schulsystems der Minderheiten – vom Kindergarten bis zum Hochschulwesen – und den dort arbeitenden Pädagogen qualitativ und quantitativ neue Aufgaben auf. Diese Institutionen müssen, wie es sich aus der gegenwärtigen Situation ergibt, einen bedeutenden Teil der Vermittlungsaufgaben übernehmen (sprachliche und Minderheiteninhalte), die in früheren Zeiten traditionell innerhalb der Familie übermittelt wurden. Damit die erwähnten Einrichtungen und die dort tätigen Pädagogen dieser ihnen neu übertragenen Aufgaben Herr werden können, scheint es unumgänglich zu sein, die Aus- und Weiterbildung der Minderheitenpädagogen, die inhaltlichen und qualitativen Parameter der Lehr- und Hilfsbücher des Minderheitenunterrichts zu überdenken und zu reformieren.

– Im Falle der Ungarndeutschen führte unter anderem die Tatsache, dass ihrer Sprache neue, moderne Funktionen beigeordnet worden sind, zur Revitalisierung der Sprache und Kultur (die Möglichkeit der individuellen beruflichen Karriere, die Konvertierbarkeit der Sprachkenntnisse auf dem ungarischen und europäischen Arbeitsmarkt). So meine ich, dass dies auch im Falle der anderen, bis zur Gegenwart im Gebrauch eingeengten und ihre Funktionen verlorenen Minderheitensprachen eine zu durchdenkende und nicht zuletzt attraktive und zu befolgende Strategie bedeuten kann.

Die günstigen Veränderungen der 90er Jahre, die Schritte zur Revitalisierung der Sprache und der Kultur fasse ich als letzte Chance der Aufrechterhaltung der ungarndeutschen Volksgruppe auf. Damit die entsprechendsten Antworten auf die Herausforderungen gegeben werden können, glaube ich, sind neben dem vollen Einsatz der Minderheit auch die effektiven Unterstützungen der Mutterländer und der Mehrheitsnation erforderlich.

 

Anmerkungen

1

Die Daten zu diesem Vortrag stammen aus der zwischen 1995 und 1999 mit Erzsébet Knipf durchgeführten Ermessung im Landesmaßstab unter dem Titel Sprache und Sprachgebrauch der Ungarndeutschen in den 1990er Jahren.

2

Im Falle der Ungarndeutschen kann das Vorhandensein von zwei regionalen Umgangssprachen als wahrscheinlich angenommen werden: je nachdem, welche lokalen Mundarten in dem entsprechenden Gebiet das Übergewicht hatten, sprechen wir von einer Umgangssprache bairisch-österreichischen und von einer rheinfränkisch-hessischen Typs.

3

Zum Einfluss der ausländischen deutschen Fernsehsender vgl.: Erb, Maria – Knipf, Elisabeth (1995) : Die Rolle der deutschsprachigen Medien bei den Ungarndeutschen. In: Manherz, K. (red.): Beiträge zur Volkskunde der Ungarndeutschen 12. Budapest, p. 28–36.

 

TIBOR POPOVITS

Die ruthenische Sprache in Ungarn

 

Das Problem der ruthenischen Sprache ist von den untersuchten Minderheiten in Ungarn das schwierigste und aktuellste. Warum führe ich das so aus? Weil die ruthenische Sprache bis heute in Ungarn nicht kodifiziert ist. Als Information möchte ich nur erwähnen, dass gegenwärtig auf der ganzen Welt rund 1,7 Millionen Rusinen (Ruthenen) leben. Die Mehrheit lebt in der Ukraine, in der Karpatenukraine, wo ungefähr 800 000 Rusinen leben. Natürlich ist dies eine geschätzte Zahl, weil bei den Volkszählungen in der Ukraine die Rusinen (Ruthenen) nicht als besondere Nationalität angenommen werden, sie wurden gewaltsam als Ukrainer bezeichnet. Rund 600 000 leben in den USA, vor allem in den Staaten Pennsylvania und New Jersey. Dies sind eigentlich die Nachkommen jener Rusinen, die am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der Hoffnung auf Arbeitsmöglichkeiten und ein besseres Leben in die USA ausgewandert waren. Vielleicht ihr bekanntester Vertreter ist Professor Róbert Paul aus Magocs, Lehrstuhlleiter an der Universität Toronto, ordentliches Mitglied der Kanadischen Königlichen Akademie der Wissenschaften. Ich würde so formulieren, dass Trianon in Bezug auf die Rusinen mindestens so negativ war wie für die Ungarn, hatte die überwiegende Mehrheit der Rusinen doch über 1000 Jahre in den Grenzen des historischen Ungarns gelebt. Und die Zerstückelung des historischen Ungarns hatte zur Folge, dass die Rusinen gegenwärtig in rund acht Ländern der mitteleuropäischen Region leben. Ich würde diese Ländern aufzählen: Tschechien, Slowakei, Ukraine, Rumänien, Ungarn, Serbien und Kroatien. Außerdem gibt es noch eine Gruppe der Rusinen, die in Südpolen leben, das sind die sogenannten Lemko-Rusinen. Sie hatten nicht im historischen Ungarn gesiedelt, doch haben sie ihre rusinische Identität ganz bis zur Gegenwart bewahrt. Diese besondere Situation, dass die Rusinen in so vielen Ländern leben, hat zur Folge, dass gegenwärtig auch von politischen Realitäten ausgehend keine Chance dafür gibt, dass es eine einheitliche rusinische Literatursprache für die ganze Region geben wird. Also in Bezug auf die mitteleuropäische Region. Deshalb wurde vor einigen Jahren der Beschluss gefasst, nach dem rätoromanischen Modell in der Schweiz vorzugehen, wo wie bekannt fünf rätoromanische Literatursprachen existieren. Praktisch gelten diese für ethnische rätoromanische Gruppen von geringer Zahl, die in abgeschiedenen Tälern leben, und infolgedessen im Laufe der Geschichte so isoliert voneinander waren, dass sie kaum miteinander verkehren konnten, und so galten sie als selbständige Mundarten. Vom Schweizer Parlament wurden die fünf rätoromanischen Literatursprachen in der Schweiz anerkannt. So fassten auch die Rusinen den Beschluss, dass ihre Sprache für jedes Land, in dem sie leben, gesondert kodifiziert wird. Zu der Vorgeschichte gehört, dass in der Wojwodina, also in Serbien, die dortige rusinische Intelligenz durch ihre Selbstorganisation den Beschluss fasste die Kodifizierung des Rusinischen in der Batschka vorzunehmen. Praktisch wird seit dem Jahr 1924 in der dortigen Presse und Literatur die dortige rusinische Sprache verwendet. Der nächste Schritt wurde 1995 in der Slowakei unternommen, als in Bratislava die Sprache der slowakischen Rusinen kodifiziert wurde. Die slowakischen Rusinen leben vor allem in der östlichen Slowakei, im Raum von Prešov. Dies ist jene Mundart. auf deren Grundlage die slowakische rusinische Literatursprache entstanden ist. Diese steht übrigens den Mundarten der Ostslowakei sehr nahe. Gegenwärtig laufen in mehreren Ländern die Vorbereitungen zur Kodifizierung der rusinischen Sprache. Es ist für uns eine große Freude, dass obwohl die ukrainische Regierung auf dem Gebiet der Karpatenukraine offiziell den Gebrauch der rusinischen Sprache nicht genehmigt, und die Rusinen nicht als eigenständiges slawisches Volk auffasst, im vergangenen Jahr in der Karpatenukraine fünfzehn Bücher in rusinischer Sprache erschienen. Es braucht wohl nicht gesagt zu werden, nicht mit staatlicher Unterstützung, sondern mit Hilfe von Sponsoren. Dies war eine große Überraschung für die ukrainischen Behörden, weil sie nicht damit gerechnet hatten, dass die rusinische Intelligenz in der Ukraine so aktiv ist, und die Publikation von rusinischen Büchern organisieren kann. Auch in der Karpatenukraine ist aufgrund der dortigen Mundarten eine rusinische Grammatik ausgearbeitet worden, die man sogar als Grundlage für die dort kodifizierte rusinische Sprache auffassen könnte. Wenn die Situation sich so entwickeln wird, dass die ukrainischen Behörden es nicht genehmigen, dass die Sprache in der Ukraine kodifiziert wird, dann und dafür gab es auf der Welt schon Beispiele, wird diese Sprache im Ausland, in einem Nachbarland kodifiziert werden. Auch in Ungarn sind schon seit Jahren die Vorbereitungen zur Kodifizierung der rusinischen Sprache im Gange. Weshalb es bis zur Gegenwart nicht gelungen ist, dieses Vorhaben zu realisieren, dazu möchte ich nur feststellen, dass es rund 15 verschiedene rusinische Mundarten gibt.

 

KRISZTINA MENYHÁRT

Die sprachliche Situation der bulgarischen Gemeinschaft in Ungarn

 

Einleitung

Die bulgarische Gemeinschaft bildet eine der kleinsten ethnischen Gruppen in Ungarn (vgl. Tabelle 1). Die Grundlage der Gemeinschaft bildeten die eingewanderten Gastarbeiter (bulgarische Gärtner) und ihre Nachkommen, die sich von den 1720er Jahren an ganz bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg kontinuierlich in Ungarn niederließen. Das Rückgrat der gegenwärtigen Gemeinschaft bilden also die Familien jener bulgarischen Gärtner, die sich zwischen 1947 und 1956 Ungarn zu ihrer Wohnstätte gewählt hatten. Ein kleinerer, doch nicht zu vernachlässigender Teil der hier lebenden Bulgaren sind die durch Eheschließungen oder durch das Lernen oder das Studium hierher gelangten Personen. So müssen wir uns, wenn wir von „ungarländischen Bulgaren” sprechen, eine kulturell und sprachlich heterogene, im allgemeinen eine großstädtische Lebensweise führende Gemeinschaft vorstellen, die von der gemeinsamen Sprache, von ihrem Ursprung, ihrer Kultur und ihren Feiertagen zusammengehalten wird.

Untersuchen wir die Gemeinschaft vom sprachlichen Gesichtspunkt aus, können wir mehrere Schichten entdecken. Die Generation der ältesten Bulgaren bewahrt noch die unterschiedlichen bulgarischen Dialekte, die sie aus den Dörfern von zu Hause mit sich gebracht haben, ihre Ungarischkenntnisse sind sehr mangelhaft, sie sprechen Ungarisch mit einem starken Akzent. Viele ihrer Kinder sind aber sowohl in der bulgarischen als auch in der ungarischen Literatursprache bewandert, haben sie doch ihre Ausbildung an bulgarischen oder an ungarischen Unterrichtseinrichtungen absolviert. Die Mehrheit dieser Generation kann schon als stabil zweisprachig bezeichnet werden, können und verwenden sie doch beide Sprachen auf einem hohen Niveau. Bei den jüngsten Angehörigen der bulgarischen Gemeinschaft (der dritten und der vierten Generation) kann schon eindeutig die Dominanz des Ungarischen beobachtet werden, der Prozess des Sprachverlusts hat begonnen (vgl. im Zusammenhang mit diesem Begriff Bartha 1995).

In vorliegender Studie stellen wir im Spiegel der verschiedenen, zur Verfügung stehenden Angaben die sprachliche Situation der ungarländischen bulgarischen Gemeinschaft, die bereits abgeschlossenen oder noch laufenden linguistischen Forschungen dar, bzw. suchen wir die Antwort auf die Frage, ob die bulgarische Sprache in Ungarn bewahrt werden kann.

1. Die sprachliche Situation der ungarländischen Bulgaren im Spiegel der Angaben der Volkszählung

Die Angaben der im Jahre 2000 abgehaltenen Volkszählung zeigen, dass im Vergleich zur Lage von vor 10 Jahren sich die Zahl der Bulgaren nicht bedeutend verändert hat – im Jahre 1990 hatten sich 1370 Personen als Bulgaren bezeichnet, 2000 machte die Zahl 1358 Personen aus (Tabelle 1).

 

Tabelle 1
Demographische Angaben der ungarländischen Bulgaren im Jahre 2000

Siedlung

Zahl der zur bulgarischen Nationalität gehörenden Personen

Zahl der mit der Kultur, den Traditionen verbundenen Personen

Zahl der Bulgarisch-muttersprachler

Zahl der das Bulgarische verwendenden Sprecher

im Landes-
durchschnitt

1358

1693

1299

1118

Budapest

784

961

755

667

Komitat Pest

187

231

202

146

Debrecen

15

66

12

18

Miskolc

34

44

28

15

Pécs

36

42

29

17

Szeged

26

31

27

24

(Quelle: Band „Nemzetiségi kötődés – a nemzeti, etnikai kisebbségek adatai” [Nationalitätenbindung – Angaben der nationalen, ethnischen Minderheiten])

 

Die Angaben der Volkszählung bieten auch die Möglichkeit, genaue Informationen über die territoriale Gliederung der Bulgaren zu erhalten. So kann festgestellt werden, dass sie in rund 300 Siedlungen wohnen. 70,4 % der Gemeinschaft wohnen in Budapest und in seiner Agglomeration, 12 % in den größeren Provinzstädten, während 17,6 % in kleineren Siedlungen leben. Diese Angaben beweisen es, dass die Bulgaren in Ungarn überwiegend ein großstädtisches Leben führen, sie haben sozusagen keine in einem Block lebende Gemeinschaft.

Die sich auf die sprachliche Situation beziehenden Angaben zeigen, dass 95,7 % der sich als von bulgarischer Nationalität Bezeichnenden auch Bulgarischmuttersprachler sind, während an den Alltagen 82,3 % von ihnen die Sprache der Minderheit verwenden. Dieser Anteil liegt bei den mit der bulgarischen Kultur verbundenen Personen bei 76,7 bzw. bei 66 %, das bedeutet, dass die Zahl der die bulgarische Sprache verwendenden Personen relativ groß ist. Natürlich kann aufgrund der Angaben der Volkszählung nicht auf das sprachliche Niveau oder auf die tatsächliche Frequenz des Sprachgebrauchs geschlossen werden, doch verweisen diese Ergebnisse darauf, dass die Mitglieder der bulgarischen Gemeinschaft es für wichtig halten hervorzuheben, dass sie die bulgarische Sprache für ihre Muttersprache halten.

2. Linguistische Untersuchungen im Kreise der Bulgaren

Die im Kreise der ungarländischen Bulgaren durchgeführten Forschungen untersuchten ganz bis zum Anfang der 90er Jahre die Tätigkeit der bulgarischen Gärtner vom Gesichtspunkt der Wirtschaftsgeschichte aus (vgl. Menyhártné Csangova 1989; Boross 1973; Czibulya 1987). Der wichtigste Grund hiervon ist, dass die ungarländische bulgarische Gemeinschaft nicht der typische Gegenstand der bulgarischen Dialektforschungen war (Szotirov /Sotirow/ 2000), stammten sie doch nicht aus einem Gebiet, bzw. bildeten sie keine Sprachinsel im Aufnahmeland (im Gegensatz zu den Bulgaren in Rumänien, die im Banat leben). Der Sprachgebrauch der ungarländischen Bulgaren kann vor allem vom Gesichtspunkt der Zweisprachigkeit aus untersucht werden, die sich hierauf beziehenden Forschungen begannen in den 90er Jahren. Die ersten Arbeiten hängen mit dem Namen von Rosiza Penkowa (Roszica Penkova) (1994) zusammen, die sich mit den sprachlichen Problemen der zweisprachigen Kinder in der Schule befasste. Mit der Entstehung des Forschungsinstituts für Bulgaristik im Jahre 1996 wurden die Forschungen auch organisierter.

2.1 Soziolinguistische und Sprachgebrauchsuntersuchungen

Die erste Monographie linguistischen Themas, die sich mit den ungarländischen Bulgaren beschäftigte, verfasste im Jahre 2000 Petar Sotirow (Petar Szotirov), der Bulgarischlektor an der Universität Debrecen. Im ersten Teil seiner Arbeit untersuchte er die Frage, wer eigentlich die Bulgaren in Ungarn sind, wie groß ist die Zahl der Gemeinschaft, bzw. aufgrund welcher Kriterien gilt jemand als Bulgare. Im zweiten Teil befasst er sich detailliert mit der Situation der bulgarischen Sprache, mit der Rolle der bulgarischen Sprache innerhalb der Minderheitengemeinschaft, mit dem „Wettkampf” zwischen dem Bulgarischen und dem Ungarischen, mit dem Niveau der Bewandertheit in der Muttersprache, bzw. mit jenen Tendenzen und Faktoren, von denen die sprachliche Situation der Bulgaren beeinflusst wird. Der Autor analysiert aufgrund von eigenen Beobachtungen und einer 25 Familien umfassenden Fragebogenermessung den sprachlichen Zustand und die Besonderheiten des Sprachgebrauchs der bulgarischen Gemeinschaft (vor allem mit Teilnehmern aus Debrecen und Miskolc). Seine Ergebnisse sind in den Tabellen 2 und 3 zusammengefasst.

 

Tabelle 2

Sprachwahl der gesellschaftlichen Kommunikation bei einer Gruppe der ungarischen Bulgaren     

Schauplatz                               Sprachwahl

zu Hause                                 eher ungarisch

mit Freunden                           eher ungarisch

Unterricht                                eher ungarisch

Handel                                    nur ungarisch

Arbeit                                      nur ungarisch

Verwaltung                             nur ungarisch

Minderheitenorganisationen      eher ungarisch

Religion                                  nur bulgarisch

 

Die Angaben der Tabelle 2 widerspiegeln gut die innerhalb der bulgarischen Gemeinschaft sich abspielenden sprachlichen Prozesse. Das Bulgarische ist auf fast allen Gebieten des Sprachgebrauchs – von der Familie bis zu den Selbstverwaltungskörperschaften der Minderheiten – in den Hintergrund gerückt, die an der Untersuchung teilnehmenden Personen wickeln ihre Kommunikation eher in ungarischer Sprache ab. Der einzige Ort, an dem das Bulgarische dominiert, ist die Kirche; ihr religiöses Leben führen die Bulgaren (genau so wie auch die anderen Minderheiten – vgl. Borbély 2000) fast ausschließlich in ihrer Muttersprache.

Auf Tabelle 3 ist die Gliederung in Prozent der Sprachwahl der Interaktionen innerhalb der Familie zu sehen. Aufgrund der erhaltenen Angaben stellt Sotirow fest, dass die Verdrängung der bulgarischen Sprache am meisten bei gemischten (ungarisch-bulgarischen) Familien zu beobachten ist. Bei diesen wird die entscheidende Mehrheit der Interaktionen (2/3 von ihnen) in ungarischer Sprache abgewickelt. Die Ergebnisse des Autors zeigen auch, dass das Bulgarische von der jüngsten Generation vor allem in der Kommunikation mit den (bulgarischen) Großeltern verwendet wird – der Anteil davon macht bei den Kinder von bulgarischen Eltern 95 %, im Falle der bulgarischen Mutter/des ungarischen Vaters 60 %, im Falle des bulgarischen Vaters/der ungarischen Mutter 67 % aus.

 

Tabelle 3
Sprache der Interaktionen innerhalb der Familie

Sprachgebrauch in der Familie

Nur Ungarisch

Vor allem Ungarisch

In beiden Sprachen

Vor allem Bulgarisch

Nur Bulgarisch

bulgarische Mutter und bulgarischer Vater

0 %

1,7 %

8,4 %

10,1 %

79,8 %

bulgarische Mutter – ungarischer Vater

60 %

13,3 %

13,3 %

0,0 %

13,4 %

ungarische Mutter- bulgarischer Vater

50 %

17,0 %

15,5 %

1,7 %

15,8 %

 

Von den Erscheinungen, die die Bewahrung bzw. den Verlust der Sprache beeinflussen, hebt der Autor vor allem die persönlichen Faktoren heraus, wie die Entwicklung des Lebensweges, die berufliche Geltung oder die Einflüsse der Umgebung in engerem oder weiterem Sinne. Sotirow beschäftigt sich auch mit der Frage der sprachlichen und ethnischen Assimilation, die seiner Meinung nach bei den ungarländischen Bulgaren ein freiwilliger und objektiver Vorgang ist, und eher mit dem Begriff der Akkulturation charakterisiert werden kann. Für jeden Fall zeugen die demographischen Kennziffern, untersucht man einen längeren Zeitraum, von einem deutlichen Rückgang der Zahl der Bulgaren: 1925 wurden 25 – 28 000 Bulgaren registriert, im Jahre 2000 nur mehr ungefähr 1 700.

Mit den bisher aufgezählten Angaben stimmen auch die Ergebnisse der Untersuchung von Menyhárt (2000) überein, die den Sprachgebrauch von zweisprachigen Kindern (bulgarisch-ungarisch) in Budapest innerhalb der Familie und den gesellschaftlichen Gebrauch untersuchten (Tabelle 4). Die Untersuchung erfasste zwanzig Kinder zwischen 9 und 13 Jahren, 12 von ihnen besuchten die Budapester Bulgarische Schule, während 8 von ihnen in eine ungarische Grundschule gingen.

 

Tabelle 4
Besonderheiten im Sprachgebrauch der bulgarisch-ungarisch
zweisprachigen Kinder

Sprachgebrauch

Bulgarisch (vor allem)

In beiden Sprachen

Ungarisch (vor allem)

mit den Eltern

7 Kinder

5 Kinder

8 Kinder

mit den Großeltern*

11 Kinder

5 Kinder

2 Kinder

mit den Geschwistern*

3 Kinder

8 Kinder

3 Kinder

mit Freunden

12 Kinder

8 Kinder

* Nicht von allen Kindern leben die Großeltern, bzw. manche haben keine Geschwister

 

Aufgrund der Angaben konnte festgestellt werden, dass bei 15 Kindern das sprachliche Umfeld der engeren Familie praktisch einsprachig war (ungarisch oder bulgarisch), und nur in 5 teilnehmenden Familien werden systematisch beide Sprachen verwendet, obzwar 78 % der Eltern beide Sprachen sprechen. Die Kinder sprechen vor allem mit ihren Geschwistern und mit ihren ebenfalls zweisprachigen Freunden in der Kommunikation parallel sowohl die bulgarische als auch die ungarische Sprache. Jene Kinder, die die ungarische Schule besuchen, haben fast nur Freunde mit ungarischer Muttersprache, mit denen sie naturgemäß ungarisch sprechen. Die Bewahrer der Minderheitsprache sind eindeutig die Großeltern: 55 % der Kinder unterhalten sich mit ihnen nur bulgarisch.

Im Laufe der Befragung baten wir die Kinder auch, das Niveau ihrer Bulgarisch- und ihrer Ungarischkenntnisse zu bewerten. 55 % der Teilnehmer waren der Meinung, dass sie die ungarische Sprache besser können, im Falle des Bulgarischen waren dies nur 15 %. 30 % der Kinder sind der eigenen Meinung nach in beiden Sprachen gleich bewandert. Auch diese Fakten beweisen es, dass bei der jüngsten Generation der Prozess des Sprachverlusts begonnen hat.

Im Jahre 2000/2001 wurde zusammen mit der Slowakischen Akademie der Wissenschaften eine Befragung nach der Identität mehrerer Minderheiten in Ungarn (unter ihnen auch der bulgarischen Minderheit) mit Fragebogen der Identität und der sprachlichen Situation vorgenommen. Auch das Forschungsinstitut für Bulgaristik der Bulgarischen Landesselbstverwaltungskörperschaft nahm daran teil. Die Zielgruppen waren folgende: junge/alte Familien in der Stadt, junge/alte Familie auf dem Land (insgesamt vier Gruppen), an der Erforschung nahmen 50 Familien teil. Die Bearbeitung der gesammelten Angaben ist noch im Gange, so kann in dieser Studie über die Ergebnisse noch nicht berichtet werden.

2.2 Psycholinguistische und phonetische Untersuchungen

Im vergangenen Jahrzehnt wurde die Sprache der ungarländischen Bulgaren nicht nur von soziolinguistischen, sondern auch von psycholinguistischen und phonetischen Gesichtspunkten aus analysiert mit Rücksicht auf die aktuellen Fragen der Zweisprachigkeit. Die Forschungen erstreckten sich auf die Untersuchung der Sprachproduktion und der Sprachwahrnehmung/dem Sprachverständnis sowohl der Kinder als auch der Erwachsenen.

Die Zeitverhältnisse der bulgarischen bzw. der ungarischen Sprache werden von der Studie von Menyhárt (2000) untersucht, aufgrund der Angaben von drei Altersgruppen: Kinder, Erwachsene und Senioren (ihr Durchschnittalter lag bei 10, bei 32 und bei 73 Jahren). Die Untersuchung analysiert das Artikulations- und das Sprechtempo der Sprache, und stellt fest, dass (1) der Faktor des Lebensalters in der Sprache unabhängig vom Fakt der Ein- und Zweisprachigkeit ist, bzw. (2) dass die dominierende Sprache der Zweisprachigen auch aus der Zeitstruktur der Sprache nachweisbar ist.

Die Zusammenhänge zwischen der Zweisprachigkeit und dem Akzent in der Sprache der ungarländischen Bulgaren wird von Menyhárt (2002a) von akustisch-phonetischem Gesichtspunkt aus in einer anderen Studie untersucht. Es wird festgestellt, dass der Zustand der Zweisprachigkeit auch dann noch auf die Aussprache des Sprechers einwirkt, wenn man weder subjektiv, noch objektiv einen Akzent nachweisen kann.

Die zweite Gruppe der Forschungen legt die sprachlichen Besonderheiten der bulgarisch-ungarischen zweisprachigen Kinder dar. Die erste Arbeit in diesem Zusammenhang ist die kurze Studie von Penkowa (1994), in der die grammatischen Fehler der die bulgarische Schule besuchenden Kinder analysiert werden, mit besonderer Rücksicht auf die Wechselwirkung des Ungarischen und des Bulgarischen. Kjucsukov (Kjutschukow) (1998; 1999) untersucht die mündlichen narrativen Fähigkeiten der bulgarisch-ungarischen zweisprachigen Schüler in bulgarischer Sprache, indem er diese mit der bulgarischen Aussprache von türkisch-bulgarischen Teilnehmern ähnlichen Alters vergleicht. Der Autor stellt fest, dass beide Kindergruppen bei der Gestaltung von Geschichten ähnliche Fehler begehen, z. B. unterlassen sie die Kongruenz nach dem grammatischen Geschlecht, verwenden sie unrichtige Wörter oder ist ihre Satzkonstruktion nicht vorschriftsmäßig. Der Meinung der Autoren nach wäre es sehr wichtig, dass die zweisprachigen Kinder sich die bulgarische Grammatik aus besonderen Grammatiklehrbüchern aneignen sollen.

Die Zusammenhänge zwischen der Sprachproduktion und dem Sprachverständnis der bulgarisch-ungarischen zweisprachigen Kinder werden von Menyhárt (1998; 2001; 2002b) in mehreren Arbeiten untersucht. Die Untersuchungen erstreckten sich auf das Sprechtempo, den Wortschatz, die Fähigkeit der Wortaktivierung sowie auf das Satz- und Textverständnis der zweisprachigen Kinder (sowie auf die Kontrollgruppen von bulgarischen und ungarischen einsprachigen Kindern). Die Durchschnittsergebnisse sind in Tabelle 5 enthalten.

 

Tabelle 5
Durchschnittswerte der untersuchten Fertigkeiten nach der Person in ungarischer und bulgarischen Sprache

Sprache

Sprechproduktion

Mentales Lexikon

Sprechverstehen

 

Sprechtempo

Wörter insgesamt

Zahl der Wörter

Reaktionszeit

Satzverstehen

Textverständnis

Ungarisch

7,6 Laute/sec

38 St.

22,7 St.

3,4 sec

92,2 %

84,3 %

Bulgarisch

7,0 Laute/sec

33,5 St.

19,3 St.

3,2 sec

92,5 %

67,5 %

 

Diese Reihe von Experimenten zeigte eindeutig den Einfluss des dominierenden ungarischen sprachlichen Umfelds (in der Tabelle wurde halbfett gedruckt jener Index angegeben, in dem die Kinder eine bessere Leistung brachten). Das Sprechtempo der Teilnehmer war in ungarischer Sprache schneller, ihr ungarischer Wortschatz war reicher, mit den angegebenen Anlauten aktivierten sie mehr Wörter in ungarischer Sprache bzw. verstanden sie auch den zusammenhängenden Text ungarisch besser. Die kognitiven Vorteile der Zweisprachigkeit wies der Fakt nach, dass die zweisprachigen Kinder in beiden Sprachen mit zunehmendem Alter eine gut dokumentierbare Entwicklung zeigten. Im Fall der einsprachigen Kontrollgruppen war diese Tendenz nicht so eindeutig zu beobachten.

Aufgrund der durchgeführten Messungen und Untersuchungen konnte festgestellt werden, dass die bulgarische Sprache von den meisten Anwendungsbereichen verdrängt wurde, auch die Anzeichen des Prozesses des Sprachverlusts zeigten sich, besonders unter den Angehörigen der jüngsten Generation, obzwar die kognitiven Vorteile der Zweisprachigkeit auf hohem Niveau eindeutig nachzuweisen sind. Auf bedauerliche Weise halten die Mitglieder der Gemeinschaft die Beibehaltung der bulgarischen Sprache nur in der Theorie für wichtig, dies ist auch am kontinuierlichen Rückgang der Schülerzahl der Budapester Bulgarischen Schule zu sehen.

 

3. Die sprachlichen Rechte der bulgarischen Gemeinschaft in Ungarn und die Bewahrung der Minderheitsprache

Die Minderheitenrechte der ungarländischen Bulgaren, zu diesen gehören auch die sprachlichen Rechte, werden von der Verfassung der Republik Ungarn bzw. vom Minderheitengesetz des Jahres 1993 garantiert. Die bulgarische Gemeinschaft in Ungarn verfügt im Verhältnis zu ihrer Zahl über ein abwechslungsreiches System von Institutionen, diese Institutionen haben alle die Aufgabe, die Bewahrung der bulgarischen Identität und der Sprache zu sichern. Im Jahre 2002 waren 30 Selbstverwaltungskörperschaften der bulgarischen Minderheiten in Siedlungen mit 150 Mitgliedern gegründet wurden, während im Februar 2003 auch die bulgarische Minderheitenselbstverwaltung der Hauptstadt und des ganzen Landes gewählt wurden. Wie bei mehreren Minderheiten in Ungarn, so verlief dies auch bei den Bulgaren nicht ohne Debatten, infolge der Verfügungen des Minderheitengesetzes kam es in mehreren Orten vor, dass nicht der Minderheit angehörende Personen in die bulgarischen Selbstverwaltungskörperschaften gewählt wurden. Diese Erscheinungen untergraben die Minderheitenidentität und das Zusammengehörigkeitsgefühl, bzw. tragen zum weiteren Zerfall der bulgarischen Gemeinschaft und zum Vorgang der Akkulturation (der Assimilation) bei.

Als ob in der letzten Zeit die Anstrengungen und Maßnahmen zur Bewahrung der Sprache der Minderheit von ihrem Elan verloren hätten. Es wurde bereits erwähnt, dass die Zahl der Schüler in der Budapester Bulgarischen Schule von Jahr zu Jahr sinkt, so sind in der Schule zusammengezogene Klassen tätig, das verringert das Niveau des Unterrichts und hält die Eltern zurück, ihre Kinder bei dieser Schule anzumelden. Es ist fraglich, ob die Bulgarische Schule, die in diesem Jahr die 85-Jahr-Feier ihres Bestehens feierte, diesen Tiefpunkt überwinden wird. Obzwar gegenwärtig die Einstellung der einzigen Unterrichtsanstalt der ungarländischen Bulgaren nicht auf der Tagesordnung steht, kann dies jedoch, wenn sich das Verhältnis der Gemeinschaft zu dieser Frage nicht ändert, auch geschehen. Gegenwärtig lernen in den 12 Klassen der Schule, bzw. in der Einführungsklasse insgesamt 64 Kinder.

Seit der Mitte der 90er Jahre gibt es neben der Schule auch eine Samstagsschule, die von den bulgarischen Kinder besucht wird, die übrigens die ungarische Schule besuchen, deren Eltern aber die Bewahrung der Minderheitsprache für wichtig halten. Den Teilnehmern wird die Möglichkeit gesichert, Schreiben und Lesen in bulgarischer Sprache zu lernen, bzw. können sie die bulgarische Kultur, Geschichte, Geographie usw. kennen lernen. Samstagsschulen oder zumindest bulgarische Sprachkurse wurden auch in Miskolc, in Halásztelek sowie im Kulturverein der Ungarländischen Bulgaren aufgenommen, nach der anfangs vorhandenen Begeisterung sind diese aber eingestellt worden.

Die erfolgreichste Initiative der bulgarischen Minderheit war die Gründung von Volkstanzgruppen, die zahlreichen Jugendlichen die Bekanntschaft mit der bulgarischen Volksmusik und dem Volkstanz ermöglichen, bzw. die Beziehung zur bulgarischen Volkskultur und zum Mutterland herstellen; das trägt mittelbar auch zur Bewahrung der Minderheitsprache bei.

 

Zusammenfassung

Die sprachlichen Rechte der in der Diaspora lebenden ungarländischen Bulgaren, die eine großstädtische Lebensweise führen, wird von den gültigen ungarischen Gesetzen gesichert, die Möglichkeit der Bewahrung der einen Mehrwert bedeutenden Zweisprachigkeit ist also theoretisch gegeben. Die kleine Zahl der Gemeinschaft und der Fakt, dass rund zwei Drittel der Bulgaren in Budapest und Umgebung leben, erschwert die Beibehaltung der bulgarischen Sprache sehr, denn die Sprache der Minderheit kann sozusagen nur innerhalb der bulgarischen Minderheiteninstitutionen verwendet werden. Die erhaltenen Angaben zeigen aber, dass allein das kirchliche Leben jener Schauplatz ist, wo die bulgarische Sprache dominiert, an allen sonstigen Orten, dazu gehören auch die Minderheitenselbstverwaltungen, dominiert die ungarische Sprache.

Eindeutig ist, dass (auch) die bulgarische Gemeinschaft früher oder später das Schicksal der Assimilation ereilt, dafür muss aber nicht unbedingt die Minderheitenpolitik des ungarischen Staates verantwortlich gemacht werden. Es trifft zwar zu, dass dem Gesetz über die Rechtsstellung der Minderheiten nach die Vertreter der Minderheiten nicht von den Mitgliedern der konkreten ethnischen Gruppe gewählt werden, sondern von allen ungarischen Wahlbürgern, außerdem liegt auch die Kontrolle der Tätigkeit der Selbstverwaltungen nicht bei den Minderheitengemeinschaften. Dennoch besteht im Falle der ungarländischen Bulgaren in einem hohen Maße die Rolle der individuellen Entscheidung und Verantwortung, müssen doch die Mitglieder der verstreut lebenden bulgarischen Familien auch etwas bewusst und konsequent für die Bewahrung und Erhaltung der bulgarischen Sprache tun. Obzwar die Aufrechterhaltung des zweisprachigen Zustandes von den Mitglieder der konkreten Minderheit viele Anstrengungen verlangt, hat die etwas hinzufügende Zweisprachigkeit unleugbar auch Vorteile. Die Bewahrung der konkreten Sprache und Kultur ist jedoch in erster Linie Pflicht und Verantwortung der Träger dieser Kultur.

 

Literatur

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