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Begegnungen
Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Band 11:23–28.

RICHARD PLASCHKA

Parallelentwicklungen: Leitverantwortung, Basisaufbegehren, Einsatzintensität

 

Militärische Erziehung und militärische Rahmenbedingungen führten zeit- und grenzüberschreitend zu vergleichbaren Verhaltens- und Einsatzmustern – im Bereich der Stäbe ebenso wie in dem der Guerilleros. Immer wieder scheinen Parallelen auf, so in individueller, in operativer Hinsicht, im Hinblick auf Einsatzintensität und auf die Bereitschaft zum Opfer.

 

1. Parallelen in der Führungsverantwortung

Offiziere, die sich in besonderer Verantwortung Staat und Volk gegenüber sahen, die ungerechte Herrschaft brechen, die dies über eine Erhebung und unter Mitwirkung von Truppen herbeiführen wollten: so die Dekabristen 1825, die ägyptischen Offiziere 1882, die Offiziere des Slowakenaufstandes 1944, des Ungarnaufstandes 1956 – sie alle rufen Aspekte in Erinnerung, die im deutschen Bereich auch den 20. Juli prägten.

Die Offiziere des Aufstandes der Dekabristen, deren Parallelen zum 20. Juli besonders deutlich werden: jüngere Offiziere, zum Teil Abkömmlinge bedeutender Adelsfamilien, signifikant ihr Streben nach Freiheit, nach Befreiung vom Druck der Autokratie; in den staatlich-politischen Konzeptionen nicht ausgeglichen, nationale Perspektiven in Kombination mit konstitutionellen wie radikalen Zielen; im konspirativen Ansatz gestützt auf zahlenmäßig begrenzte Gruppen von Aktivisten und Mitwissern, im Objektansatz Zarenfestnahme wie Zarenmord in Diskussion, der Mord empfohlen als aktionsöffnende Tat; in der operativen Realisierung die Frage der Zugriffsmöglichkeiten auf Truppen, in der Gesamtperspektive die Tat, die gesetzt werden sollte, selbst auf die Gefahr des Scheiterns, die Tat einer „grade perdue”.

In Ägypten 1882 erhoben sich ebenfalls jüngere Offiziere, aus dem Fellachenstand hervorgegangen, in dem Gefühl, die eigentlichen Repräsentanten ihres Volkes zu sein; auch sie im Aufstand gegen äußere Gefahr und Unterdrückung von innen, gegen Türken, Tscherkessen, Briten; auch hier in der konspirativen Vorgangsweise Gruppenbildung von Offizieren, in diesem Fall vor allem von Truppenkommandeuren; in der operativen Realisierung – zum Unterschied zum 20. Juli und zu den Dekabristen – die Durchsetzungskraft jener Obersten deutlich, die ihre Regimenter unmittelbar führten, vor der Front erste Bezugsperson für die befehlsempfangende Truppe waren.

In der Slowakei 1944 schon in der Person des zentralen führenden Offizieres Parallelen zu Stauffenberg: Golian, Oberstleutnant des Generalstabes – nahezu gleich alt wie der Deutsche, auch in der vergleichbaren Position: Chef des Stabes beim Kommando des Heimatheeres; wie Stauffenberg in den Wehrkreisen Vertrauensoffiziere in den slowakischen Garnisonen aufbauend, wie Stauffenberg Generalen gegenüber, deren er sich nicht sicher sein konnte, wie Stauffenberg – oder die Dekabristen – in der Realisierung von Truppenoffizieren abhängig, die unmittelbare Befehlsgewalt über Einheiten hatten; viel nachhaltiger als in Berlin in der Slowakei der Impuls zum Losschlagen aufgrund der bereits grenznahe angelangten Roten Armee und der sowjetischen Partisanen im Land. Aber auch hier noch die Entscheidung des truppennahen Offiziers maßgebend – bis zu jenem Garnisonskommandanten von Neutra, der sich auf den Eid dem slowakischen Staat gegenüber berief, Offiziere und Garnison an seiner Seite hielt und der nach dem Krieg als erster vom Volksgerichtshof in Pressburg zum Tode verurteilt werden sollte.

Budapest 1956. Aufbegehren der jungen Offiziere in der Zrínyi-Akademie: „Warum dürfen wir unsere Ansicht nicht frei äußern...?” Auch nochmals Rückerinnerung an den Mord auf der Burg in Eger 1634: der Abend in Tököl, auf der Csepel-Insel, zu dem sowjetische Offiziere geladen hatten, und an dem die ungarischen Offiziere festgenommen wurden. Gleiche Abfolge: Einladung in einer Krisensituation; Erwartung des Einlenkens des Einladenden, Bereitstellung kleiner Einheiten, Hereinstürzen, Überfall: „Vivat Ferdinandus!” und „Moskva!”; Buttlersche Dragoner dort, KGB-Unteroffiziere da, verläßliche, perfekte Kommandounternehmen, ob mit Degen und Musketen oder mit Maschinenpistolen. Nein, kein Gemetzel in Tököl, viel glattere, lautlosere Regie auf der Bühne des totalitären Regimes des 20. Jahrhunderts; nach eineinhalb Jahren für Pál Maléter der Henker vor der Gefängnistür...

 

2. Parallelen aus der Guerilla-Tradition

Spanien ab 1808 machte die Strukturen und Zielsetzungen der Auflehnung im Basisaufbegehren bereits deutlich. Es war die breite Masse des Volkes, aus der die Guerilleros sich ergänzten: von Bauern, Pächtern, Landarbeitern, Klein- bürgern bis zu Marodeuren, Deserteuren. In der Taktik nicht primär Eroberung, nicht Regionsbesitz, nicht das Schlagen starker gegnerischer Kräfte anstrebend, sondern das Niedermachen einzelner und von Patrouillen, die Störung von Nachschub- und Verbindungslinien, die Aufsplitterung der Kräfte der französischen Besatzungsmacht, ihre Zermürbung in einem Kampf, der unkonventionell und rücksichtslos im Einbeziehen der Bevölkerung war, und beiderseits bis in die Zonen des Terrors führte.

Clausewitz öffnete am Beginn des 19. Jahrhunderts auch die theoretische Sicht für Kriegsformen, die nicht zuletzt im 20. Jahrhundert sich voll entfalten sollten – den „Volkskrieg”: Die in erbitterten Kleinkampf übergehende Volksbewaffnung „zerstört wie eine still fortschwelende Glut die Grundfesten des feindlichen Heeres”. Wohl könne der Volkskrieg „an einzelnen Stellen erstickt, aber die Glut könne zum Brand und Flächenbrand werden, wenn die Flammen... über das feindliche Heer zusammenschlagen...” Und Gneisenau hatte schon 1808 hervorgehoben: „Nichts fürchten unsere Feinde mehr, nichts entwickelt aber auch die Kraft einer Nation auf eine furchtbarere Weise als Volksaufstände.” Die Impulse: Freiheitsliebe, „Liebe zum Vaterland und Rache”. In der Taktik hier bereits die Vorgabe von Elastizität in der Kampfführung, Ausweichen bei Übermacht, Ermüdung des Gegners, nächtliche Überfälle. Und Maos Richtlinien längst vorweggenommen: „Ist eine Legion in Gefahr ausgehoben zu werden, so zerstreut sie sich, versteckt ihre Waffen, Mützen und Schärpen und erscheint so als Bewohner des Landes”.

Bosnien 1878: Insurgentengruppen, vom österreichisch-ungarischen Generalstab als Zielgruppe sofort erfaßt, als relativ kleine Einheiten, in Hundertschaften gegliedert, oft aus Anhängern ihres Führers gebildet. Im Gefecht mit Zuzug aus der Umgebung verstärkt – der Zuzug verschwand meist wieder beim Weitermarsch der Gruppe. Vorteile in der Terrainkenntnis, im Einschlagen von Nebenwegen, in der Beweglichkeit aufgrund leichter Bewaffnung und beachtenswerter Bedürfnislosigkeit. Ihre Taktik – in den Erkenntnissen des österreichisch-ungarischen Gegners – meist defensiv, Ausweichen, oft bis zur Flucht, selten Reservenbildungen, Angriffsansätze überfallsartig, mit Fanatismus geführt, oft bis zum Mord, auch an Gefangenen, selbst an Verwundeten.

Sowjetunion ab 1941: Auch hier Operationen in kleinen oder begrenzten Gruppen, Zusammenfassungen für einen bestimmten Kampfauftrag, Verschwinden vor Gegenaktionen des Gegners; über Zivilbevölkerung Nachrichtenübermittlung, Versorgung, Untertauchen – gnadenloses Vorgehen gegen „Kollaborateure” und Nicht-Hilfsbereite; in der Taktik keine Kraftproben konventioneller Art, sondern Geschmeidigkeit, unbedingter Angriffswille gegen rückwärtige Dienste und Verbindungslinien, in den Überfällen Härte des Kampfes bis zu Terrormethoden – „Terror als Waffe der psychologischen Kriegsführung”. Operativ scharf abgestimmter Einsatz beim Sommer-Großangriff 1944.

Jugoslawien ab 1941: auch hier in der Taktik keine Kampfaufnahme mit überlegenem Feind, Paralysierung der Vorteile des Gegners im Hinblick auf Bewaffnung und Ausbildung durch überraschende Ansätze; auch hier „ununterbrochene Aktivität und Initiative”, rasches Zugreifen, Angriff oft noch aus der Bewegung des Anmarsches heraus; Abwehr elastisch, mit Überfällen „aus der Hinterhand”; überhaupt Hinterhalte und Überfälle als „wirksame Ansätze” des Partisanenkampfes, damit auch Empfehlung von Nachteinsätzen; allmähliche Verstärkung der Partisanen im jugoslawischen Bereich bis zum Heer, das schließlich – freilich nicht ohne Hilfe der Roten Armee und gegen einen in Mehrfrontenkrieg zersplitterten Gegner – den Sieg miterfocht.

Vietnam nach dem Zweiten Weltkrieg: Die Klage des französischen Oberstleutnants Geneste gibt die Partisanen-Kampfstrukturen wieder: „Wir haben alles besetzt, und doch ist der Feind überall.” Die Kommunisten haben „die Spielregeln geändert”: „Früher war der Krieg vorbei, sobald die uniformierten Kämpfer besiegt waren.” Anders nun: „Hier ist jeder ein Kämpfer ohne Uniform.” Hinterhalt, Schüsse in den Rücken. Und der Oberstleutnant sehnte sich nach den alten „radikalen Mitteln”: Geiseln, Repressalien. „Keine Armee könnte mit solchen Methoden ohne Rückgriff auf die alte Methode der Repressalien fertig werden.”

 

3. Parallelen in der Einsatzintensität

Kulminationspunkte letzter Konsequenz... Die Besinnung darauf ist nicht nur eine Frage des Erinnerns an die Akteure von gestern, sondern eine der Wirksamkeit und der Gültigkeit für das Heute und Morgen – im Sinn jenes „prognostischen Geschichtsdenkens”, das Karl Jaspers angesprochen hat. Perspektiven, die immer wieder zum Erfassen übergreifender Entwicklungstendenzen ebenso wie neuer Positionszeichen geführt haben. Nicht selten im Aufruf zur Gewissensentscheidung, zum Wagnis im Sinn Johann Gottfried Herders: „Die Waage des Guten und Bösen, des Falschen und Wahren hängt in ihm... er soll wählen!”

Golf von Cattaro 1918. Am 11. Februar wurden an der Friedhofsmauer des kleinen Dorfes Skaljari nach der Revolte auf den Kriegsschiffen vier Matrosen erschossen – unter ihnen der Titular-Bootsmann Franz Rasch. Sein letzter Ruf in den Trommelwirbel vor der Salve des Pelotons: „Das ist ein Justizmord!” und „Es lebe die Freiheit!”

Kronstadt 1921. Am 16. März stand Kronstadt gegen den Generalangriff der bolschewistischen Kräfte. Selbst General Tuchatschewski war überrascht: „Es war keine Schlacht mehr, es war die Hölle... Die Matrosen schlugen sich wie wilde Tiere.” Ihre Radiodepesche an die Welt hatte gelautet: „Wir stehen oder wir fallen mit den Ruinen von Kronstadt, im Kampf für die blutbefleckte Sache der werktätigen Menschheit...”

Ghetto Warschau 1943: Der Aufstand der zur Massenermordung Bestimmten, Widerstand in Notwehr par excellence. Der Anfang am 18. April: „Brüder! Die Stunde des Kampfes und der Rache an den Okkupanten hat geschlagen.” Schaurig, hoffnungslos das Ende. Symbolisch die Sprengung der Synagoge in der Tlomackistraße. Noch wochenlang fanden in den Ghettoruinen letzte Schußwechsel statt... Das dumpfe Schweigen, das sich danach über das Ghettofeld legte, war in diesem Fall das beredteste Zeugnis... Regime im Durchsetzen der Ausrottung.

Berlin, 20. Juli 1944. Unten im Hof des Kommandogebäudes in der Bendlerstraße wurden um die Mitternacht, in den Lichtkegeln von Autoscheinwerfern, vier Offiziere erschossen – Oberst Graf Stauffenberg unter ihnen. „Es sei fraglich, ob es gelinge”, hatte er noch am 1. Juli einem jungen Offizier seine Absicht erklärt, „doch schlimmer als ein Mißlingen sei, der Schande und dem lähmenden Zwang tatenlos zu verfallen.”1

Aufstand der Heimatarmee in Warschau 1944. Am 2. August proklamierte die polnische Stadtregierung über den Zivilkommissar: „Die seit langem erwartete Stunde hat geschlagen. Die Abteilungen der AK stehen im Kampf gegen die deutsche Besatzungsmacht in allen Stadtteilen Warschaus...” Am 4. Oktober verabschiedete sich die Stimme der AK über die letzte Ausgabe des Biuletyn Informacyjiny: „Die Niederlage... ist nicht die Niederlage unseres Volkes oder unserer Absichten und historischen Ideale. Aus dem vergossenen Blut, dem gemeinsam ertragenen Leid, aus den körperlichen und seelischen Qualen unseres Volkes wird ein neues Polen entstehen, das frei, stark und groß sein wird.”2

Budapest 1956 – letzte Kämpfe, letzte Erklärungen: Imre Nagy sprach am 4. November: „Heute am frühen Morgen haben sowjetische Truppen unsere Hauptstadt angegriffen. Sie wollen die gesetzmäßige demokratische Regierung des ungarischen Volkes stürzen. Unsere Truppen stehen im Kampf...” Letztes Fernschreiben aus dem Parlament: „Auf Wiedersehen, Freunde, SOS: Die Russen sind zu nahe.” Imre Nagy nach der Verkündung des Todesurteils im Prozeß 1958 in seinen letzten Worten: Einst werde ihm Gerechtigkeit widerfahren, und – „Ich bitte das Gericht nicht um Gnade.”3

„Ils nont pas passé” – Die Worte auf dem Denkmal der Schlacht von Verdun gelten der selbstbewußten Rückerinnerung an den Einsatz in der furchtbaren Todesmühle des Ersten Weltkrieges. In Schlachten, die oft rasch Mythos- Charakter gewannen, hatte sich die Wiedergabe des Kriegsbildes auch der Heere der allgemeinen Wehrpflicht geballt. Aber aus dem Bild, das nach Clausewitz generell nach außen weist, treten zunehmend auch die Vorgänge der inneren Front hervor.

Da wie dort nicht nur Helden. Da wie dort kommen uns viele entgegen, die bloß mitgerissen wurden, die kaum begriffen, die in den Tod taumelten und elend umkamen. Aber da wie dort auch die, die sich im Anruf eigener Entscheidung und Verantwortung erkannten. Und gerade im Sprung der Auflehnung auch jene, in denen die Sinnfrage vibrierte, in denen nach Ernst Jünger „die moralische Substanz zum Zuge” drängte.

 

Anmerkungen

 

1

Müller, Christian: Oberst i. G. Stauffenberg. Düsseldorf, o. J. 460.

2

Biuletyn Informacyjny, Warschau, 4. X. 1944. In: Piekalkiewicz: Kampf um Warschau. München, 1994. 282.

3

Litván, György, Bak, János M. (Hg.): Die Ungarische Revolution 1956. Reform – Aufstand – Vergeltung. Wien, 1994. 155. f.

 

Richard Georg PLASCHKA, Mentor der zur Zeit aktiven Historiker Mitteleuropas, wurde anlässlich seines 75. Geburtstages in Wien nicht nur von der österreichischen Akademie begrüßt – als einer der ersten Referenten hat Ferenc Glatz ihm im Namen der mitteleuropäischen Historiker und der nachfolgenden Generation beglückwünscht. Vorliegendes Material ist ein Abschnitt des jetzt erschienen Buches von Professor Plaschka. Zuerst verwies er auf dieses Buch 1997 in Budapest anläßlich seiner Ehrung in der ungarischen Akademie, die ihm den Preis Pro Scientia Hungarica verlieh.