Begegnungen
Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Band 11:205–208.
10 JAHRE EUROPA INSTITUT BUDAPEST
JUBILEUMSTAGUNG
Das Europa Institut Budapest wurde im Jahre 1990 gegründet. Die erste Kuratoriumssitzung hat am 13. März 1990 die Gründung des Institutes verkündet, die das Vorliegen des Statutes und finanzieller Grundlagen konstatierende Sitzung des Stiftungsrates fand am 5. Mai 1990 statt.
Am 6. Juli 2000 beteiligten sich einstige und derzeitige Stipendiaten an einer wissenschaftlichen Sitzung anlässlich des 10jährigen Jubiläums der Gründung des Institutes. Man berichtete aus diesem Anlass über die bisherige Forschungs- und Lehrtätigkeit und stellte Ausschnitte der neuesten Arbeiten vor. Selbstverständlich nahmen auch die Gründer des Institutes, einstige und gegenwärtige Mitglieder von Wissenschaftlichem Beirat und Kuratorium an der Sitzung teil.
FERENC GLATZ
Die Entstehungsgeschichte des Europa Institutes Budapest
Einleitung zur Konferenz
Wie war eigentlich das Europa Institut entstanden, eben vor 10 Jahren? – stellte mir ein Student, den ich gerade dazu überreden wollte, sich mit der Kultur- und Wissenschaftspolitik des Systemwandels zu beschäftigen, die Frage. Wenn man von einem Kollegen gefragt wird, dann muss man die Frage als Wissenschaftler, als Lehrer ernst beantworten. Ich begann also auf die Frage schriftlich eine Antwort zu formulieren, ungefähr wie folgt.
„Zurück nach Europa”, „Wir gehören seit tausend Jahren zu Europa” – dies waren wichtige Losungen der Intelligenz in der Zeit des Systemwandels in Ungarn in den 1980er Jahren, genauso wie für unsere in der sowjetischen Zone lebenden Nachbarn, für die Tschechen, Polen, Slowaken, Kroaten, Serben, Rumänen und Bulgaren. Die Losung hatte eine tagespolitische Bedeutung: wir möchten, statt sowjetisch besetzt zu sein, zu den Staaten der freien Welt gehören. Und die Losung hatte einen allgemeinen menschlich-kulturellen Sinn: wir möchten auf einem Niveau, als freie Bürger das einmal erlebbare Leben leben, und die Segnungen der am Ende des 20. Jahrhunderts sich ereignenden Kulturrevolution, der Revolution der Kultur des Umgangs genießen: frei reisen, teilnehmen am freien Strom der Informationen. Damals im Jahre 1989, als der Gedanke zum Europa Institut entstanden war, war diese Idee Bestandteil einer politischen Konzeption, die Ungarn und seine mittelosteuropäischen Nachbarländer wieder als Bestandteile Europas sehen wollte und dies auch zu formulieren wagte. Der erste Beweggrund zur Gründung des Europa Instituts Budapest war also nachstehender: ein Institut zu gründen, das den Gedanken der Rückintegration Ungarns und dieses Raumes nach Europa unterstützt und diese auch organisiert.
Der zweite Faktor, setzte ich die Beantwortung der Frage fort, wie nämlich das Europa Institut Budapest entstanden war, war im Jahre 1989 die starke Reformpolitik Ungarns. Die ungarische Regierung hatte den deutschen Flüchtlingen ihre Grenzen nach Österreich geöffnet, was zum Teil Mut vonseiten der ungarischen Politiker, zum Teil jedoch Klugheit, Lageerkenntnis bedeutete, dass sie unter der sowjetischen Besetzung die Möglichkeit fanden, der Besatzungsmacht Sowjetunion einen fast unvorstellbaren Schritt annehmen zu lassen. Dies legte sozusagen auch die Stelle Ungarns im Prozess des Zerfalls der sowjetischen Zone fest: Ungarn wurde für den Spitzenreiter der Aktion für den Abbau des sowjetischen Systems gehalten. Und die Sympathie der westlichen Welt wandte sich Ungarn zu. So fand dann die ungarische Intelligenz eine Unterstützung vom Westen, die geneigt war, ein sich europäische Forschungen zum Ziel setzendes Programm zu fördern.
Der dritte Faktor – fährt die Antwort fort, – war die traditionelle europäische Bildung der ungarischen Intelligenz. Der Umstand, dass es uns gelungen war, die traditionelle westeuropäische Bildung auch in der sowjetischen Epoche zu bewahren; der Umstand, dass unsere Generation, wenn auch beschränkt, mit stark spezialisierten fachlichen Beweggründen, doch rechtzeitig die westliche Welt kennenlernen konnte. Es gab also inländische Partner, Beamte, die Fremdsprachen gesprochen oder gelesen haben.
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An dieser Stelle habe ich das Blatt Papier zur Seite gelegt, auf das ich mir die Antwortsätze notiert hatte. Vor mich hin murmelnd, wenn man sich den 60ern nähert, kann man es schon zugeben, dass man manchmal vor sich hin murmelt, dass sich also die schädlichen Alterserscheinungen melden, habe ich das Blatt mit dem niedergeschriebenen Text zerknüllt und in den Papierkorb geworfen. Warum? Deshalb, weil mir einfiel, wie ich die Frage beantworten würde, wenn ich kein ausgebildeter Historiker, Professor wäre, der jedes Ereignis zu den objektiven wirtschaftlich-gesellschaftlichen Prozessen zählen und so auf die Frage eine sogenannte wissenschaftliche Antwort geben will. Wie würde ich jedoch antworten, wenn ich auf der Ebene des Bauernwitzes und der alltäglichen Realität antworten möchte? – stellte ich nun die Frage an mich selbst.
Als erstes brauchte man die Idee, die sich im Kopf des damaligen Ministers deshalb herausbilden konnte, weil er in seiner Jugend – mit vielen osteuropäischen Gefährten zusammen – ein Jahr im Mainzer Institut für Europäische Geschichte verbringen konnte. Wo gerade am Anfang der 70er Jahre ein neuer Professor den Sessel des Direktors eingenommen und das Institut nach Osten hin geöffnet hatte. Es gab also ein Vorbild, wie wir unsere Konferenzen veranstalten sollen, wie wir mit den aus den verschiedenen Teilen der Welt nach Europa kommenden Studenten verhandeln, wie wir Kaffeerunden veranstalten sollen, usw. usf. Und wir haben es gesehen, dass ein solches Institut – mit seiner Kleinarbeit – Europa einen größeren Dienst erweisen kann als noch soviele Reden von Politikern. Der Professor, der dann Dutzende von osteuropäischen Studenten bei sich begrüßte und auch selbst häufig der östlichen Hälfte Europas Besuche abstattete, war Professor Karl-Ottmar Freiherr von Aretin, ein Gründungsmitglied des wissenschaftlichen Beirates unseres Instituts.
Dann gab es einen anderen Professor, Alois Riklin, den angesehenen schweizerischen Politologen, der in den Monaten der Gründung, weise seine Pfeife rauchend, nicht nur ständig Fragen an die Planer des Instituts richtete – an den Minister genauso wie an den Stellvertreter, an Professor Károly Manherz, der viel auch bei der Fixierung der konkreten organisatorischen Formen mitgeholfen hatte, unter denen wir bis heute im Institut unser Leben führen.
Und die deutsch-österreichische Ostpolitik hin oder her, und die ungarische Reformpolitik hin oder her, es gab einen Politiker auf der anderen Seite der Grenzen, der sich in den 80er Jahren mit persönlicher Sympathie der osteuropäischen Intelligenz zuwandte und im Jahre 1989 noch zur Zeit der sowjetischen Besatzung als österreichischer Kultusminister eine ganze Reihe von gemeinsamen österreichisch-ungarischen Aktionen startete. Erhard Busek war jener Ministerkollege, der die Ostforscher Wiens um sich versammelte, die damals noch jungen Horst Haselsteiner, Arnold Suppan, und mit ihnen zusammen die zur Gründung des Europa Instituts eingeleiteten Aktionen unterstützte.
Ungarische Meister, Ránki, Kosáry, die in europäischem Geiste lehrten und erzogen, Aretin, Riklin, Haselsteiner, Suppan, von den Ungarn die Professoren Manherz, Hanák, Nemeskürty, die mit ihrer persönlichen Freundschaft neben den Gedanken von der Gründung des Instituts traten. Bis heute sind sie, ausgenommen Professor Ránki und Hanák, die früh von uns gingen, Mitglieder der wissenschaftlichen Leitung und des wissenschaftlichen Beirates des Instituts.
Männer, Persönlichkeiten, die eine Vorstellung von der Welt hatten, die neben eine Vorstellung, einen Gedanken zu prägen wagten. Denn in der Geschichte funktionieren kein objektiver Geist, keine abstrakten Gesetzmäßigkeiten, sondern Menschen, Menschen aus Fleisch und Blut, handelnde Menschen.
Und wie ich die Namen auf meinem Blatt Papier vor mich hin sage, da ich jetzt schon eine ganz neue Antwort auf die Frage formuliere, und gegen die abstrakte Wissenschaftlichkeit protestiere, muss ich natürlich ganz oben auf der Liste einen Namen aufschreiben, den Namen von Dr. Herbert Batliner.
Ihn hatte ich vor 1989 nicht gekannt, nicht einmal seinen Namen gehört. Im Oktober 1989 erschien er in der Gesellschaft von westlichen, sich für die Kultur interessierenden Geschäftsleuten im Sitzungszimmer des Ministers, in dem ich einen Vortrag über die Beziehung zwischen der ungarischen Kultur und Europa hielt und darüber sprach, wie wichtig in der Geschichte die Kleinarbeit ist. Wie mein Denken von den Stipendien in Mainz, Wien, München, Paris, London oder Moskau beeinflusst wurde, wie wichtig es war, dass die neue Generation in den persönlichen Kontakt zu den sich für das Schicksal des Kontinents sorgenden Kollegen geriet. Kleinarbeit: Seminare, Kaffeerunden, Konferenzen, Publikationen. Diese haben aber langfristig gesehen eine Wirkung. Und ich sprach über die Rolle des „Individuums” in der Geschichte, darüber, dass es nicht gleichgültig ist, wem welche Handlungsmöglichkeit gegeben wird, und vor allem, ob man diese Möglichkeit nutzt oder nicht. Und da sprang eine elegant gekleidete sportliche Figur auf, und bot seine finanzielle Unterstützung zur Gründung des von mir umrissenen Europa Instituts an. Sein Name war Herbert Batliner, von dem ich dann am nächsten Tag erfuhr, wie viel er für die Förderung der deutschsprachigen Kultur opfert, und dass er ein Förderer der ungarischen Kultur ist. Er wurde ein Gründer unseres Instituts, seither schon eine bekannte Gestalt in Ungarn, der in unserem Interesse und für uns fördert, organisiert, immer bescheiden im Hintergrund bleibend. Für uns, für mich ist er jedoch seit zehn Jahren als guter Freund mein Berater und mein Unterstützer.
Nun ja, liebe Kollegen! Der Wissenschaftler ist geneigt, die menschlichen Ereignisse in die Welt der großen wirtschaftlichen und sozialen Faktoren zu heben. Wir glauben, dass unsere Antworten auf die gestellten Fragen deshalb „wissenschaftlich” sind, dass wir wie die Physiker und Chemiker – nachträglich – als Triebkräfte zu den Handlungen die objektiven Faktoren schaffen. Und wir vergessen den Menschen, wir vergessen, dass der Mensch sich so und auch anders entscheiden kann! Wir vergessen, dass unsere hier aufgezählten Freunde aus individueller Absicht, von Ideen ausgehend die Gründung eines solchen – zu 100 % privaten – Instituts übernahmen. Ideen, Absichten, Tatkraft – und einige redliche Kollegen: Professoren, Politiker – engagierte Europäer. Ihr Werk ist dieses Institut. Und Ideen, gemeinschaftliches Engagement!
Das Produkt hiervon, das Produkt der Entscheidungen von starken Individuen, das Produkt der erzieherischen Tätigkeit ist dieses Institut.
Und jetzt muss ich zugeben, Ihnen verraten, dass die Gründermannschaft – zwar ein wenig älter geworden –, sich wiederum den Kopf zerbricht über die Planung der Zukunft: wie soll es weiter gehen? Europa ist an einem neuen Abschnitt seiner Entwicklung angelangt, und wir Gründer müssen uns an die Zeiten anpassen. Damit wir in zehn Jahren wiederum für ein bis zwei Tage innehalten können, damit wir Rechenschaft ablegen können. Indem wir suchen, was es zu verbessern gilt, indem wir untersuchen, wie sich die Zukunft gestalten wird.