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Begegnungen
Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Band 26:151–158.

ZSOLT K. LENGYEL

Hungarologie als interdisziplinäre Regionalwissenschaft

Betrachtungen zu ihren Forschungs- und Lehrziele im Rahmen der deutschsprachigen
Ost-, Ostmittel- und Südosteuropakunde*

 

I. Konzeptionelles Selbstverständnis: die Verschiedenartigkeit der Ausgangspunkte, Vorgehensweisen und Zielgebiete

Die „Hungarologie“ wurde im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts inhaltlich und organisatorisch am Ungarischen Institut der Friedrich-Wilhelm-Universität in Berlin ausgeprägt. Als graduales und postgraduales Bildungsprogramm sah sie eine fächer- und raumübergreifende wissenschaftliche Ungarnkunde außerhalb Ungarns und mit stetigen Bezügen zu nichtungarischen Themen vor. Interdisziplinarität, Überregionalität und Internationalität gehörten zu ihren wesensbestimmenden Merkmalen. Vor rund dreißig Jahren begann sich jedoch eine betont ungarnbezogene, literatur- und sprachwissenschaftliche sowie ethnographische Auslegung ihrer Konzeption herauszubilden. Heute kennzeichnet sie vor allem Fachvertreter in Ungarn und in den Reihen der ungarischen Minderheiten.

Wenn es folglich richtig ist, für die Hungarologie von einem westlichen und einem ungarländischen bzw. ostmitteleuropäischen Definitionstyp zu sprechen, so vertritt das Ungarische Institut München (UIM) den „westlichen“ – aber nicht ursächlich deshalb, weil es sich im Westen befindet. Bei seiner Gründung 1962 hat es sich in die Tradition der breiten Aufgabenbestimmung gestellt, die es seither zeitgemäß fortzuführen bestrebt ist. Es folgt dem Anspruch, Ungarn als Staat und Nation einerseits immer auch von seinen Nachbarn aus, andererseits nie aus nur einer Bewertungsperspektive zu betrachten. Demnach müssen Ungarn-Studien stets Impulse der Außensicht und der Methodenvielfalt annehmen. Sie müssen aber zugleich in der Lage sein, aus den Quellen auch Innensichten zu entwickeln. Aus diesem konzeptionellen Selbstverständnis folgt die allgemeine Grundaufgabe, unterschiedliche Ausgangspunkte anzusetzen, verschiedene Vorgehensweisen zu wählen und den Blick auf mehrere Zielgebiete zu richten. Mit diesem Gemisch von Anforderungen wappnet sich die Hungarologie dreifach mit einem weiten Horizont, der unerlässlich ist, wenn sie sich als interdisziplinäre Regionalwissenschaft betätigen will.

 

II. Zwei wissenschaftsorganisatorische Ziele: Modernisierung der Hungarologie und Bereicherung der Ost-, Ostmittel- und Südosteuropakunde

Die Entscheidung, das UIM bereits in seinen Anfängen einer fächer- und raumübergreifenden wissenschaftlichen Ungarnkunde zu verpflichten, stützte sich auf das Hauptargument, dass die universitäre und außeruniversitäre Wissenschaftlichkeit westlich von Ungarn seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges Regionaldisziplinen Vorrang einräume, deren Zugang zum Reichtum der historischen Überlieferungen nichtslawischer Völker im Osten Europas anlagenbedingt verengt, bisweilen sogar verwehrt sei. Dieser Befund hat seinen Wahrheitsgehalt über die Jahre bewahrt. Die jüngste statistische Erhebung des Verbandes der Osteuropahistorikerinnen und -historiker belegt in Deutschland Arbeitsschwerpunkte mit thematisch slawischem bzw. slawistischem Hintergrund. Im außeruniversitären Forschungsbereich ostwissenschaftlicher Ausrichtung werden ungarische Themen zwar vergleichsweise häufiger und eher nichtphilologisch, aber bei weitem nicht kontinuierlich berücksichtigt, und zwar mit Schwergewicht auf politologische Fragestellungen. Mit der Einfügung der breitgefassten Hungarologie in die wissenschaftliche Ost-, Ostmittel- und Südosteuropakunde wäre also eine Lücke im deutschlandweiten Forschungs- und Lehrangebot gefüllt.

Ein weiteres Element dieses Angliederungsangebots drängt sich aus den Binnenstrukturen des hier unmittelbar betroffenen Arbeitsgebietes auf. Das Profil der Hungarologie, wie sie von der ungarischen Wissenschaftspolitik der späten 1970er Jahre mit einer bis in unsere Tage andauernden Gültigkeit konzipiert wurde, lässt mit seinen philologisch-ethnographischen Zielsetzungen arbeitsteilige Ausbreitungen auf andere Fächer der Geistes- und Gesellschaftswissenschaften selten zu. Viele seiner Anhänger begreifen und betreiben die Hungarologie heute noch als Fach der Fremdsprache Ungarisch. Diese einseitige Festbindung der Hungarologie zu lockern, ist deshalb das zweite wissenschaftsorganisatorische Ziel jener Hungarologie, von der hier die Rede ist.

 

III. Beziehungsgeschichtliches Profil eines „Hungaricum“ in Bayern: Motive, Strukturen und Abläufe von innerstaatlichen sowie grenzüberschreitenden Integrationen und Desintegrationen mit ungarischer Beteiligung

Ein mit Forschungs- und Lehrfunktionen ausgestattetes „Hungaricum“ in Bayern hätte also eine doppelte Modernisierungsaufgabe zu bewältigen. Zum einen könnte es mit der nach Sichtweisen, Methoden und Themen vielschichtigen Konzeption die bisher vereinzelten Versuche zur innovativen Selbstgestaltung der Hungarologie fortführen. Zum anderen würde es die deutsche Ost-, Ostmittel- und Südosteuropakunde in multidisziplinärer Form und als noch weiter aufzufassende Regionalwissenschaft mitgestalten.

Aus Anlass dieses Vortrags sind die wissenschaftlichen Grundlagen dieser Initiative mit den Optionen Selbstgestaltung und Mitgestaltung zu beleuchten. Deshalb müssen hier inhaltliche Aspekte im Hinblick auf die beiden Kardinalerwartungen an die Hungarologie, die Interdisziplinarität und die Überregionalität, vertieft werden.

Was vermag verschiedene Disziplinen und unterschiedliche Untersuchungsräume miteinander zu verbinden? Die stabilste Klammer ist die klar formulierte und bearbeitungsfähige Forschungsfrage. Eine solche entspringt für das UIM dem eigenen konzeptionellen Selbstverständnis. Sie bezieht sich auf Motive, Strukturen und Abläufe von innerstaatlichen sowie grenzüberschreitenden Integrationen und Desintegrationen mit ungarischer Beteiligung. Es handelt sich um Beziehungsgeschichten in, mit und um Ungarn von den staatlichen Anfängen, über das mittelalterliche und habsburgerzeitliche Stephansreich bis in die Epoche der Nationalstaaten. Der sachliche Schwerpunkt der Beziehungsgeschichte umfasst auch Literaturen, Künste, Sprachen, Konfessionen, Wirtschaftsräume und Sozialordnungen – Faktoren, die – gemeinsam oder einzeln – mehr oder minder tief in die Kontakte zwischen nationalen Minderheiten und staatsbildenden Mehrheiten hineinwirken. Im Mittelpunkt stehen die deutsch-ungarischen, österreichisch-ungarischen, rumänisch-ungarischen und slawisch-ungarischen Verbindungen auf staatlicher, staatenübergreifender und unterstaatlicher Ebene.

Die Beziehungsgeschichten in, mit und um Ungarn bieten eine Vielzahl von Themen an, in denen der Nutzen von geographisch und disziplinär breit angelegten Untersuchungen augenscheinlich wird. Nachfolgend seien fünf Beispiele skizziert.

1) Siedlungsgeschichte im Árpádenreich. Unerlässlich ist die gemeinsame Auswertung von historischen, archäologischen und linguistischen Quellen für die Aufhellung der Besiedlungsvorgänge im Árpádenreich des 10. bis zum 13. Jahrhundert. Nur in diesem Zusammenhang ist auch die Siedlungsgeschichte benachbarter Großregionen wie der Moldau und der Walachei sowie hierbei etwa die Herkunftsfrage der Moldauer Csángó-Volksgruppe zu klären. Dabei sind neben den gerade erwähnten auch ethnographisch verwertbare Quellen vergleichend heranzuziehen.

2) Romanik und Gotik im Lichte westeuropäischer und byzantinischer Einflüsse. Wie dringend selbst eingefleischte Kunsthistoriker gefordert sind, stilgeschichtliche Periodisierungen im Einklang mit den historischen Quellen vorzunehmen, zeigen Themen der Romanik und Gotik, in denen sich Ungarn nach der Kirchenspaltung im 11. Jahrhundert als eigenwillige Verarbeitungsstätte von Einflüssen aus den beiden christlichen Machtsphären offenbart. Im Mittelalter diente die Kunst immer auch außerkünstlerischen Zwecken. In dieser Eigenschaft nahmen künstlerische Schöpfungen häufig die Authentizität einer historischen Quelle an. Diese beiden Voraussetzungen leiten dazu an, die Methoden der Kunstsoziologie und der historischen Ikonographie anzuwenden, wenn die Frage nach den westlich-lateinischen und den östlich-griechischen Anleihen in der Staats- und Gesellschaftsentwicklung Ungarns geklärt werden soll.

3) Druckerei-, Buch- und Bibliotheksgeschichte im 15.-17. Jahrhundert. Unter einem anderen Aspekt ist in der Binnenperspektive auf das Gebiet des Stephansreiches mit Nebenländern bemerkenswert, dass der größere und ältere Teil des ungarischen druckerei-, buch- und bibliotheksgeschichtlichen Erbes nicht aus dem heutigen Ungarn, sondern aus Oberungarn, also der heutigen Slowakei, sowie aus Siebenbürgen überliefert ist. Einen der beredten Nachweise hierfür liefert die Bibliographie der im Königreich Ungarn von 1473 bis 1600 erschienenen Drucke. Von insgesamt 869 Titeln stammen 403 aus siebenbürgischen Druckereien – die meisten aus Klausenburg und Kronstadt –, und 189 aus solchen, die sich auf dem Gebiet der heutigen Slowakei befanden. Aus diesem Umstand erwächst für die Ungarnforschung die doppelte Herausforderung, den erwähnten Randgebieten eine zentrale Bedeutung beizumessen und sich dabei in die slowakische und rumänische Geschichtsentwicklung hineinleiten zu lassen. 38 von den siebenbürgischen Titeln wurden nämlich in Kronstadt, Weißenburg, Mühlbach, Broos und Hermannstadt in kyrillischen Buchstaben gedruckt, davon 23 in kirchenslawischer, 11 in rumänischer und 4 in kirchenslawisch-rumänischer Sprache. Diese Werke sind also über ihren ungarnkundlichen Aussagewert hinaus Quellen zur rumänischen Bildungs- und Religionsgeschichte. Die als „sprachliche“ und / oder „inhaltliche“ Hungarica einzustufenden oberungarischen Druckerzeugnisse aus Werkstätten in Bartfeld, Kaschau, Leutschau, Tyrnau, Trentschin und Pressburg gelten wiederum der slowakischen Literatur- und Sprachwissenschaft als „territoriale“ Slovacica. Die Untersuchung auch dieses Quellenmaterials weitet den territorialen Bezugsrahmen der ungarischen Kulturgeschichte aus, indem sie die Sicht auf deren äußeren Kontaktsysteme öffnet.

4) Ungarns Stellung im europäischen Staatensystem der Frühen Neuzeit ist ein weiteres Thema, das nach einem raumübergreifenden Forschungsansatz verlangt. Durch seine Dreiteilung während der osmanischen Herrschaft im 16.-17. Jahrhundert wuchs Ungarn ein historischer Erfahrungsschatz zu, dessen Untersuchung spezielle Erkenntnisse verheißt in Bezug auf die Verbindungen zwischen dem Osmanischen Reich und den christlichen Staaten. Die Geschichtswissenschaft nähert sich diesem Problem, welches das gesamte Europa mehr oder minder betraf, auf zwei Interpretationswegen. Lange Zeit schien Ungarn nur für jenen Erklärungsansatz ein historisches Beispiel zu sein, der die desintegrativen Momente zwischen den beiden Machtbereichen Habsburg und Hohe Pforte betont. Nicht zuletzt neuere Ergebnisse der ungarischen Historiographie veranlassen dazu, das Bild von der unversöhnlichen Gegnerschaft zwischen christlicher und muslimischer Welt im Karpaten-Donauraum zu nuancieren.

5) Nationale Minderheits- und Mehrheitsgruppen im Donau-Karpatenraum. Das von seinen Anfängen an multiethnische historische Ungarn zerfiel im 20. Jahrhundert auf mehrere Staaten. Somit bieten die historische Entwicklung und die heutige Lage gleichermaßen Anhaltspunkte, das Miteinander oder Nebeneinander, aber auch das Gegeneinander von Minderheits- und Mehrheitsgruppen im Karpaten-Donauraum fallbeispielhaft zu studieren. Reizvollerweise lässt sich für die ungarische Seite sowohl eine Mehrheits- als auch eine Minderheitsperspektive einfangen, in bestimmten Epochen sogar zeitgleich beide Perspektiven. Eine wichtige Folge hiervon ist, dass in diesem gesamteuropäischen Problembereich ungarische Denkarten und Handlungsweisen sowohl in ihren staatszentralistischen als auch regional- beziehungsweise individualautonomistischen Entwicklungsbahnen zu interpretieren sind. Ein zusätzliches Sondermerkmal der ungarischen Rolle in den Interferenzen zwischen nationalen Minderheiten und staatsbildenden Mehrheiten ist, dass sie zum Beispiel auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien und in Rumänien in gleich mehreren ethnisch-kulturell mit begründeten Kontaktsystemen greifbar ist (so gegenüber Serben, Kroaten beziehungsweise Rumänen und Deutschen sowie, beinahe überall, Juden und Roma).

 

IV. Zum gegenwärtigen und erstrebenswerten fachlichen Stellenwert in der bayerischen Forschungs- und Hochschullandschaft

Eine hungarologische Konzeption, welche die Ansprüche verschiedener gesellschafts-, sozial- und kulturwissenschaftlicher Fachbereiche zu einem ganzheitlichen Forschungs- und Lehrprogramm vermengt und sich ihrerseits in die Praxis der Regionaldisziplin zu Ost-, Ostmittel- und Südosteuropa einfügt, ist gegenwärtig nicht nur im deutschen Sprachraum eine Wunschvorstellung. Im außeruniversitären Bereich ist das UIM die einzige Einrichtung in Deutschland, die sie seit langen Jahren pflegt. Was den universitären Bereich speziell in Bayern betrifft, so sprechen die einschlägigen Vorlesungsverzeichnisse der Universitäten an den neun Standorten Augsburg, Bamberg, Bayreuth, Eichstätt-Ingolstadt, Erlangen-Nürnberg, München, Passau, Regensburg und Würzburg eine deutliche Sprache: Sie führen im Sommersemester 2004 keine einzige Veranstaltung mit einem ungarischen Thema an; in „ostwissenschaftlicher“ Hinsicht überwiegen, dies als Spiegelbild des akademischen Betriebs in ganz Deutschland, thematisch slawische beziehungsweise slawistische Angebote. Eine Ausnahme bildet die Münchener Finnougristik/Uralistik, die sich allerdings auf literatur- und sprachwissenschaftliche Aufgaben beschränkt und dabei das zentrale Ziel der Sprachvermittlung verfolgt. Ungarisch-Sprachkurse werden noch am Regensburger Europaeum angeboten.

Inhaltliche Gründe sind nicht geeignet, ein derartiges Desinteresse des wissenschaftlichen Bayern an ungarischen Themen beständig zu rechtfertigen. Daher versteht sich dieser Vortrag als ein erstes Kooperationsangebot an Partnerinstitutionen, die an der Beseitigung der eben skizzierten Lücke fachlich – und vielleicht auch hochschulpolitisch – interessiert sein könnten.

 

V. Zusammenfassung

1) Die Hungarologie ist, wenn sie in der hier vorgeschlagenen Art betrieben wird, nicht das, was ihr Name dem oberflächlichen Betrachter womöglich suggeriert. Sie ist nicht hungarozentrisch, weil sie die Fähigkeit abverlangt, die Bezugspunkte der ungarnkundlichen Forschung und Lehre immer wieder zu verlagern. Diese Grundanforderung äußert sich konzeptionell und methodisch in ihrer Interdisziplinarität und Überregionalität, thematisch in ihrem beziehungsgeschichtlichen Profil.

2) Die Empfehlung, verschiedene Untersuchungsmethoden in hungarologischen Forschungsprojekten anzuwenden, zielt nicht auf eine stets lückenlose Anwesenheit aller anzusprechenden Fächer ab. Sie strebt vielmehr an, deren Nebeneinander in der gerade erreichbaren und themenbedingt notwendigen Anzahl durch die Harmonie zu vollenden, die sich aus der jeweiligen sachgerechten Originalität und fachlichen Sorgfalt nährt. Wenn einzelne Beiträge Methoden mehrerer Nachbardisziplinen anzuwenden in der Lage sind, so würde diese Eintrachtsuche auf eine höhere Stufe gelangen.

3) Die Hungarologie ist mit einem ihrer methodisch wesensbestimmenden Merkmale, der Interdisziplinarität, weniger eine einzelne Disziplin als ein Arbeitsgebiet, das auch in der universitären Lehre aus dem Zusammenwirken mehrerer geschichts-, sozial- und kulturwissenschaftlicher Fächer leben sollte. Um Wissenschaftler heranzubilden, die fähig sind, ungarische Themen in ihren sachlich vielschichtigen und internationalen Zusammenhängen zu erfassen, zu erforschen und weiter zu vermitteln, bedarf es der Zusammenarbeit von Vertretern der Geschichtswissenschaften, der Politik-, Rechts- und Wirtschafts-, der Literatur-, Sprach-, Kunst- und Musikwissenschaft sowie der Ethnographie.

4) Es versteht sich von selbst, dass ein einzelnes Universitäts- oder Forschungsinstitut nicht imstande ist, alle diese Arbeitsfelder abzudecken. Bei Interesse der Münchener Ludwig-Maximilians-Universität an einer Forschungs- und Lehreinheit „Hungaricum“ wären für die inhaltlichen Schwerpunktsetzungen, also für die Modularisierung eines hungarologischen Studienganges in Geschichts- und Politikwissenschaft, Kultur- und Landeskunde, Literatur- und Sprachwissenschaft sowie Rechts- und Wirtschaftswissenschaft Abstimmungen notwendig zwischen den Lehrstühlen der erwähnten Fachbereiche sowie den außeruniversitären Instituten der Landeshauptstadt, die bereit und in der Lage sind, geistige Ressourcen für ein solches Vorhaben bereitzustellen. Die gegenseitig befruchtende Verbindung des außeruniversitären Forschungs- mit dem universitären Lehrbereich sollte auch eine internationale und eine regionale Dimension erhalten, und zwar durch die zumindest zeitweise Mitwirkung von ausländischen Gastdozenten, Projektmitarbeitern und studentischen Stipendiaten sowie durch wiederkehrende Veranstaltung von Blockseminaren an anderen bayerischen Universitäten.

5) Von den maßgeblichen Aufbauprinzipien des Lehrangebots an einem solchen „Hungaricum“ seien hier zwei hervorgehoben: die Sprachbezogenheit und die Quellennähe. Aufgrund seiner jahrzehntelangen Erfahrungen mit ungarischen Sprachkursen sowie literatur- und sprachwissenschaftlichen Lehrveranstaltungen dürfte sich das Finnougristische Institut der Münchener Ludwig-Maximilians-Universität in besonderer Weise dafür eignen, einerseits die Vermittlung der für das Quellen- und Literaturstudium unerlässlichen ungarischen Sprache, andererseits philologische Inhalte in das Hungaricum einzubringen. Was die Quellen- und, damit zusammenhängend, die Literaturversorgung betrifft, so bietet dafür bekanntlich die Bayerische Staatsbibliothek eine der reichhaltigsten Sammlungen in München. Aufgrund der bisherigen Ergebnisse der seit Jahren mit dem UIM koordinierten Erschließung und Erwerbung von Hungarica sowie des Institutsprojekts „Bavarica in Ungarn. Hungarica in Bayern“ müssen wir aber davon ausgehen, dass bisher weder der Bestand der Bayerischen Staatsbibliothek noch anderer staatlicher Sammlungen in Bayern, Archive eingeschlossen, in notwendigem Maße auf ungarnkundliche Quellen durchleuchtet worden sind. Nehmen wir den Bereich der nichtstaatlich aufbewahrten Buch- und Handschriftennachlässe hinzu und blicken dabei auf weitere einschlägige oder als einschlägig vermutete Sammlungen in Deutschland, so wird klar, dass die Erschließung und Auswertung von Hungarica im deutschen Sprachraum, vor allem alter Drucke und archivalischer Nachlässe, noch immense Rückstände abzuarbeiten hat. Dazu könnte das „Hungaricum“ mit quellenkundlichen Übungen und Seminaren beitragen.

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Auf regionalwissenschaftlichen Arbeitsfeldern ist die Versuchung groß, sich nur auf bestimmte Regionen zu konzentrieren. Durch eine solche Verengung der Sicht könnten sich die Forschungsarbeit und der Hochschulunterricht früher oder später als provinziell erweisen. Die Hungarologie ist von ihren Anfängen an gefordert, dieser Versuchung zu widerstehen. Ihre Vertreter müssen jedoch mit dem nötigen Augenmaß erkennen, dass die Ausweitung ihres eigenen fachlichen Wirkungskreises noch keine Gewähr dafür bietet, dass ungarnkundliche Themen ihrerseits in breitere Zusammenhänge des akademischen Betriebs eingefügt werden. Insofern wirft der vorliegende Text die übergeordnete Frage auf, ob die Hungarologie im deutschen Sprachraum bzw. in Bayern ihren Weg alleine oder im Verbund mit weiteren Disziplinen der Ost-, Ostmittel- und Südosteuropakunde weitergehen soll. Das Prinzip Vielfalt wird in beiden Fällen ein wirksames Heilmittel gegen Provinzialismus sein.

 

* Vortrag gehalten auf dem vom Ungarischen Institut München veranstalteten Kolloquium „Hungaricum in Bayern. Entwürfe einer interdisziplinären und überregionalen Forschungs- und Lehrkonzeption für Ungarn-Studien“, München, Internationales Begegnungszentrum der Wissenschaft, 5. Mai 2004, sowie – aktualisiert und in ungarischer Sprache – im Europa Institut, Budapest, 12. April 2005. Die mit Quellen- und Literaturhinweisen versehene Langfassung ist in ungarischer Sprache erschienen: A hungarológia mint interdiszciplináris és regionális tudomány. Korszerűsítésének kutatás- és oktatásügyi szempontjai a német nyelvű Kelet-, Kelet-Közép- és Délkelet-Európa-tanulmányok keretében. In: Századok 139 (2005) 1011-1024.