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Begegnungen
Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Band 6:67–73.

TIBOR HAJDU

Die Armee in der Gesellschaft der Habsburgermonarchie zur Zeit des Ausgleichs

 

Königgrätz und seine Folgen, nicht zuletzt der Ausgleich mit Ungarn, haben die bürgerliche Umgestaltung der Armee auf die Tagesordnung gesetzt. Dies war eine natürliche Folge der Verbürgerlichung der Gesellschaft und des Staates gewesen, was nicht bedeutet, dass die entsprechende Reform der Armee ungehindert, automatisch, oder eben problemlos erfolgt wäre. Das Ideal des jungen Franz Joseph bestand nicht im Bürgerkönig, und die Gemütsstimmung der Armee wurde nach 1849 und 1860 nicht eben im Verlangen nach der bürgerlichen Demokratie zum Ausdruck gebracht. Nach der Niederwerfung der Revolutionen des Jahres 1848 hatte Generaladjutant Graf von Grünne, mit der Unterstützung seines jungen Herren, noch einen Versuch zur Restauration des adeligen Charakters des Offizierskorps unternommen, dadurch, dass er neben den Erzherzögen auch noch das Adjutantenkorps auf den Kopf der Kriegsfachleute setzte. Dieser Anachronismus ist jedoch schon sehr schnell, schon nach Solferino, durchgefallen, nach Königgrätz aber konnten schon alle feudal-militaristischen Sympathien des Kaisers und Erzherzog Albrechts die Verbürgerlichung der Armee und des Offizierskorps nicht länger aufhalten.

Worin bestand das Wesen der Verbürgerlichung? Einer ihrer wichtigen Wesenszüge bestand in der Abschaffung des Inhaber-Systems, beziehungsweise in der Degradierung des Regimentsinhaber-Titels zu einer formellen Auszeichnung, ohne tatsächliche Ernennungs-, Beförderungsrechte. Bis dahin bildete das Offizierskorps eben der prunkvollsten Regimenter den Klub von einigen vornehmen Familien, die es streng auswählten, wen sie in ihre Reihen lassen mögen. So hatte der Oberst zu dem Ulanen-Regiment Nr. 1. auch noch in den 1850er Jahren nur einen solchen Leutnant dazu genommen, dessen Familie eine Zulage von monatlich 500 Gulden sicherstellte, was das Mehrfache seines Gehaltes bedeutete. Seit den sechziger Jahren geschahen die Ernennungen der Offiziere zentral, und ebenfalls zentral wurden auch die ziemlich oft vorkommenden Versetzungen bestimmt, womit der Exklusivität der Offizierskorps der Regimenter ein Ende geschafft wurde. Die Vorbedingung der Ernennung zum Offizier bestand in der Absolvierung der Offiziersschule, deren Vorbedingung bildete dagegen die bestimmte Mittelschulbildung. Die bürokratische Regelung des Beförderungssystems hat die Chancengleichheitsmanie unserer Zeit sozusagen bevorschusst, der neue Eugen von Savoyen hätte bis zu seinem 40.–50. Lebensjahr geduldig Prüfungen ablegen und auf Beförderungen warten müssen, damit er General werde. Kuhn und Moehring wollten die Offiziersschulen zu einem sich auf Fakultäten teilenden Universitätssystem umgestalten, und damit das Offizierskorps völlig zum Teil der bürgerlichen Akademikerschicht machen, dies war jedoch doch nicht gelungen. Mit der Vereinfachung der Uniform, mit der Beseitigung des weißen Fracks angefangen, gab es viele Veränderungen, die dem Abbau der alten Hindernisse dienten.

Die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht selbst führte dadurch, dass sie die Vermehrung der Stärke des Offiziersstandes und das Erscheinen des Reserveoffizier-Systems mit sich brachte, zur Erweiterung der gesellschaftlichen Basis des Offizierskorps. Schon die Zeitgenossen neigten zu der Ansicht, dass sie die allgemeine Wehrpflicht selbst mit dem Triumph der Idee der bürgerlichen Gleichheit identifizieren mögen. Freiherr von Vogelsang, der bekannte katholische Reformer, schrieb 1887: /man kann nicht/ „in Abrede stellen ... den inneren Zusammenhang der allgemeinen Wehrpflicht mit dem allgemeinen Stimmrecht und mit der Sozialdemokratie”.

Meinerseits möchte ich eher mit General Kuhn übereinstimmen, der als Anhänger der radikalsten Reformen die Armee aus der Abkapselung herausheben und sie zum Teil der emporstrebenden bürgerlichen Gesellschaft gestalten wollte, jedoch die allgemeine Wehrpflicht eigentlich missbilligte. Wenn die Wehrpflicht das Sinnbild der bürgerlichen Gleichheit darstellt, dann verwirklicht sie diese Gleichheit zum Unrecht der staatsbürgerlichen Freiheit, besonders in einem viele Nationalitäten umfassenden Lande, wo ein Großteil der Staatsbürger, eben mit der Verstärkung des bürgerlichen Nationsbewusstseins, die Armee als nachteilig für sich findet, und deshalb hat das Forcieren der Wehrpflicht zu massenhaften Desertionen geführt, nach Rumänien, nach Amerika, und vom Ende des 19. Jahrhunderts an auch nach Serbien. Die Desertion der wehrpflichtigen Jugend der Intelligenz hat in ziemlich bedeutendem Maße zur Stärkung der zu dieser Zeit noch sehr schwachen führenden Schicht der Intelligenz in Rumänien und in Serbien beigetragen.

Was die Ungarn anbelangt, war hier die Lage wegen 1848 und seiner Folgen komplizierter gewesen. Nach der Niederwerfung des Freiheitskampfes verschloss sich die ungarische kleinadelige und bürgerliche Gesellschaft vor dem gesellschaftlichen Umgang mit der Armee, wenn auch nicht auf eine derart allgemeine und scharfe Weise, wie die Italiener. Graf Ernst Wurmbrand, der als ein junger Kürassier-Offizier aus Italien im Jahre 1860 in die Garnison von Cegléd geriet, schildert diese Lage sehr charakteristisch: „Unser Verhältnis mit den Ungarn war sehr unangenehm, beiläufig so wie in Italien, nur mit dem Unterschied, dass die Ungarn sich stellten und duellierten, was auch oft vorkam. (Er hatte ein Pistolenduell mit einem Grafen Zichy, weil dieser in einer Gesellschaft erklärt hatte, dass Ungarn keinen König habe). Sie hatten gar keinen Umgang mit dem Militär, selbst die nächsten Blutsverwandten kannten mich auf der Straße nicht, ja, sie erwiderten nicht einmal meinen Gruß. so waren wir auf uns ganz allein angewiesen, was unser kameradschaftliches Leben nur noch bestärkte ...” Es kam vor, dass sein Freund ihn in Pest in die Redoute, zu einem wohltätigen Ball lockte, und er nur dort überrascht feststellen konnte, dass er dort der einzige Offizier in Uniform sei; niemand tanzte mit ihm, nicht einmal seine in ungarischer Paradetracht erschienenen Cousinen.

Die Reformen der sechziger Jahre, sowie der Eifer der ungarischen Regierungen, haben eine graduelle Verbesserung mit sich gebracht – dies wird seitens der bekannten Romane und anderer Schriften der Schriftsteller Kálmán Csathó, Ferenc Herczeg und Kálmán Mikszáth, anschaulich dargestellt. Es gehört auch zur Wahrheit, dass wenn wir über die Armee – und Österreich – beziehungsweise Habsburger-Feindlichkeit der ungarischen Gesellschaft sprechen, dies sich nicht auf das ganze Land bezieht. Das damalige Westungarn, besonders die Gegend von Ödenburg–Güns–Eisenstadt, weiterhin der westliche Rand der Slowakei mit Preßburg und Nagyszombat, lebten schon zur Türkenzeit in einer Lebensgemeinschaft mit Wien und mit der Armee, sowie mit der sich vermehrenden deutschsprachigen Bevölkerung. Ebenfalls befanden sich viele habsburgertreu gesinnte Leute in Siebenbürgen und in dem Banat, selbstverständlich vor allem die dort lebenden Sachsen und Schwaben, auch dem folgend, dass das Deutschtum der Städte den Weg der Madjarisierung betreten hatte.

Bezüglich der Nationalitätenzusammensetzung der Offizierskorps gibt es vor den 1890er Jahren keine Statistik, bezüglich der dem Ausgleich vorangegangenen Periode hatte niemand Berechnungen durchgeführt. Vielleicht irre ich mich nicht bedeutend, wenn ich auf Grund meiner eigenen Schätzungen jener Meinung bin, dass während vor 1848 das Verhältnis der ungarischsprachigen Offiziere 10 % überschreiten konnte, dies nach dem Freiheitskampf, aus offensichtlichem Grunde, auf 6–7% zurückfiel. Meiner Berechnung zufolge waren 8–9 % des Offizierszuwachses der zwischen 1850–56 liegenden Jahre ungarisch gewesen, deren Mehrheit stammte aus den oben skizzierten Landesteilen und aus der Hauptstadt, sie waren adelig und katholisch. Derart hat sich das Verhältnis der Ungarn im Berufsoffizierskorps vor dem Ausgleich wieder den 10 % genähert, in den siebziger Jahren aber übertraf es sogar diese Zahl. Danach jedoch, obwohl die Gesellschaft, besonders nach der Errichtung des Honvédtums und nach 1878, sich mit dem Ausgleich versöhnt hatte, wächst dieses Verhältnis im k. und k. Offizierskorps nicht sehr, ja vielleicht sinkt es sogar einigermaßen, dessen Ursache darin besteht, dass die sich mit dem Ausgleich versöhnenden neuen, nichtadeligen, aus Mittelungarn stammenden und protestantischen Offiziersaspiranten eher in das für sie mehr sympathische neue ungarische Honvédtum eintraten.

In der zweiten Hälfte der achtziger Jahre erneuern sich die Gegensätze zwischen der k. und k. Armee und dem Ungarntum. Früher hatte eher die Aggressivität der in Ungarn dienenden deutschsprachigen Offiziere Schwierigkeiten verursacht (und darin gehen bisweilen die in Ungarn gebürtigen Deutschen voran). 1886 veranstaltet die Budapester ungarische Jugend einen riesengroßen Skandal wegen der Bekränzung der Statue des kaiserlichen Generals Hentzi, des in 1849 gefallenen Verteidigers der Festung Buda, am Ende der achtziger Jahre hat aber die bekannte Wehrmachtdiskussion und die Obstruktion im Parlament einen neuen Sturm ausgelöst. Zu ähnlichen Stürmen ist es dann bis 1905 schon nicht mehr gekommen, dagegen waren, der nunmehr veröffentlichten offiziellen Nationalitätenstatistik zufolge, am Jahrhundertende nur etwa 8 % des k. und k. Offizierskorps ungarischer Nationalität gewesen. Wir wären geneigt zu glauben, dass ein Teil der assimilierten oder aus einer ungarisch-deutschen gemischten Ehe stammenden Jungen an der Offiziersschule sich als Deutscher bekannt hatte, doch das unbestreitbare Zahlenverhältnis der kalvinistischen, dem reformierten Glauben angehörenden Personen bezeugt, dass die Abweichung der Nationalitätenstatistik nur minimal sein kann.

Außer den erwähnten Gründen hat dieses außerordentlich niedrige Zahlenverhältnis auch einen anderen Grund, namentlich die langsamere Verbürgerlichung Ungarns. Vor 1867 verfügte die Armee der Habsburger über ein adeliges Offizierskorps, doch das sich Zurückziehen des deutschen Adels von der militärischen Laufbahn nach Königgrätz, wurde seitens der deutschen (und der tschechischen) Bürgersöhne vollzählig ersetzt, während in Ungarn die bürgerliche Mittelklasse, ja sogar auch das moderne Kleinbürgertum nur in geringerer Zahl vorhanden war. Dabei hat man dazu geeignete deutsche Bauernsöhne viel lieber an die Offiziersschule aufgenommen, Ungarn aber auch schon deswegen nicht, weil bis zu den 1930er Jahren nur sehr wenige Bauernsöhne hier eine Mittelschule absolviert hatten. Die rumänischen, ukrainischen, slowakischen Offiziere hatten auch gemeinsam kaum ein-anderthalb Prozent des Berufsoffizierskorps ausgemacht, was schon nicht nur die Zurückgebliebenheit ihrer gesellschaftlichen Struktur zeigt, sondern auch jenen Umstand, dass ihre gebildetere Schicht schon zu dieser Zeit, in den dem Ausgleich folgenden Jahrzehnt, sich von der Monarchie abgewandt hatte, auch wenn dies sich in Lostrennungsbewegungen noch nicht manifestierte.

Im Falle der Ungarn (in einem geringeren Maße im Falle der Tschechen, der Polen, der Kroaten) bedeutete wenigstens die Landwehr eine Lösung. Das ungarische Honvédtum hatte auch noch in der sozialen Mobilität eine gewisse Rolle, weil die Schwierigkeiten der ersten 10–15 Jahre im Offizierskorps zur Ermäßigung der Aufnahmebedingungen führten, an der Ludovika-Akademie waren „Vorbereitungsklassen” für die eine Mittelschule nicht absolvierten Schüler tätig. Eine Zeitlang konnten auch gestellte Soldaten in die k. und k. Kadettenschulen hineingelangen, jedoch nur in geringerem Maße, und im Großen und Ganzen ebenfalls nur bis zu den achtziger Jahren. Bis dahin gelang es, die Abneigung der Kriegsleitung und der höheren Kreise dem ungarischen Honvédtum gegenüber niederzukämpfen; jenem, der sehen möchte, welches Ausmaß diese Abneigung angenommen hatte, dem genügt es, die 1869–70er Jahrgänge der Militärzeitungen, zum Beispiel des Wiener „Der Kamerad”-s durchzublättern.

Zur Mitte der 1880er Jahre hat sich jener Zustand, der das Verhältnis der Armee und der Gesellschaft ganz bis zu dem Ersten Weltkrieg charakterisiert hatte, herausgebildet und stabilisiert. Das Offizierskorps der k. und k. Armee war überwiegend deutsch und katholisch (auch noch in den 1890er Jahren lag das Verhältnis der Katholiken über 80 %), die ungarischen, polnischen Offiziere kamen hauptsächlich aus dem Adel und aus der oberen Mittelklasse. Bei der Landwehr erhielt die untere Mittelklasse einen etwas größeren Platz. Es ist auffallend, dass bei dem ungarischen Honvédtum das Verhältnis der Adeligen, jenes der k. und k. Regimenter erreicht, ja vielleicht auch in einem minimalen Maße überschreitet, doch dieser Adel besteht aus der verarmten Hälfte des wohlbekannt zahlreichen ungarischen Adels, die wahre Aristokratie, ja sogar der bemittelte Altadel, verliert nach dem Ausgleich auch hier seine Bedeutung, noch mehr, als in der zivilen Gesellschaft, man könnte sagen, dass er sich auf eine dekadente Art zurückzieht. Diese Dekadenz hat sich auch auf die Kavallerieregimenter ausgebreitet, wo der Hochadel noch am meisten verblieben war, seine Rolle bestand jedoch immer mehr im Repräsentieren, da doch im Zeitalter des Maschinengewehrs und der sich in ein Schützengrabensystem eingrabenden Massenarmee, der Kavallerieangriff schon vielmehr gegenüber den Frauenherzen, als gegen die Stellungen des Feindes wirkungsvoll sein kann.

Es ist zwar wahr, dass dieses Repräsentieren sich nicht mit der Gewährung von Tänzern bei den großen Bällen erschöpfte. Neben den Kavallerieregimentern bildete es die Aufgabe der in den größeren Städten stationierten vornehmeren Feldartillerie, oder der Infanterie- und Feldjägerverbände die Ordnung zur Zeit von Wahlen und anderen politischen Stürmen sicherzustellen: im Zeitalter des Ausgleichs gab es keine besonderen ordnungsaufrechterhaltende Polizei oder sonstige Verbände, und auch die truppenartige, zusammengezogene Anwendung der Gendarmerie war nicht üblich gewesen. Und trotzdem, da bei der Gelegenheit von Wahlen, Streiks, südslawischen Nationalitätenkundgebungen auch in den achtziger und neunziger Jahren die Tote mit sich bringenden Zusammenstöße nicht selten gewesen waren, konnte die Armee ihre ordnungsschützende Aufgabe lösen, gewöhnlich mit einem minimalen Blutvergießen, oder auch ohnedies, und darin spielte selbstverständlich der imposante Auftritt der Kavallerie eine nicht geringe Rolle.

Auf einem ganz anderen Gebiet lösten die Regimentskapellen die zwischen der Gesellschaft und der Armee bestehende Spannung, die oft auch das fehlende Orchester des Stadttheaters ersetzten, und ebenfalls einen wesentlichen Teil an der Schaffung und Verbreitung der bis heute unverwüstlichen österreichischen und ungarischen Operette hatten.

Was die zahlenmäßige Gestaltung des Verhältnisses des Adels im Offizierskorps anbelangt, verfügen wir vor 1897 über keine offiziellen Angaben. Auf Grund verschiedener repräsentativer Ermessungen, die István Deák und ich selbst, unabhängig voneinander, durchgeführt haben, wage ich zu behaupten, dass das Verhältnis der Adeligen im Offizierskorps schon in den dem Ausgleich vorangegangenen Jahren unter 50 % gesunken war. Der Untersuchung Deáks zufolge war nicht mehr als nur ein Achtel der im Jahre 1870 absolvierenden Leutnants der Sohn eines Adeligen gewesen, und jeder Sechzehnte von ihnen erhielt später den Adelstitel; dies steht offensichtlich im Einklang mit der Kandelsdorferschen offiziellen Statistik aus dem Jahre 1896, die, wie bekannt, 22 % Adelige unter den k. und k. Berufsoffizieren fand. Unter den Hörern der Budapester Ludovika-Akademie betrug das Verhältnis der Adeligen auch noch zu dieser Zeit etwa 30 %.

Diese obigen 22 % zeigen den Waffengattungen gemäß große Unterschiede: während sich in den Reihen der repräsentativen Kavallerieoffiziere 58 %, bei dem Generalstab 37 % Adelige befinden, beträgt das Verhältnis der Adeligen im Offizierskorps bei den beiden wichtigsten Waffengattungen: bei der Artillerie 16 %, bei der Infanterie 14 %. Und weil ihr zahlenmäßiges Verhältnis später weiter sinkt, können wir mit Recht behaupten, dass unter der Herrschaft von Franz Joseph das Offizierskorps in seinem Großteil und seinem Charakter gemäß bürgerlich gewesen war. Und dann haben wir noch nicht einmal von den zahlreichen eine Uniform tragenden Beamten, Ärzteoffizieren gesprochen, deren Zusammensetzung absolut einen bürgerlichen Charakter trug. Die bürgerliche Gesellschaft hat jedoch ihrerseits dies nicht so erlebt: sie sah im Offizierskorps den Fortsetzer der adeligen Überlieferungen, weil die Armee selbst dies beanspruchte, und ihre gewissen Gewohnheiten, wie das Negieren des Gesetzes in Fragen des Duells und der Ehre, dies unterstützten. Diese Charakterzeichen konnten in den verbürgerlichten Großstädten oder in den dem Wesen nach unter einer militärischen Besatzung stehenden südslawischen Gebieten besonders auffallend sein – doch trotzdem handelt es sich immer mehr nur um Äußerlichkeiten, um die Reliquien einer glänzenden Vergangenheit, deren Ziel bloß in der Verlängerung der Agonie der bereits anachronistisch gewordenen Vergangenheit besteht.

Andere Züge der allgemeinen Wehrpflicht begünstigten die verschiedenen Schichten der bürgerlichen Bevölkerung noch mehr. Ich denke hier zum Beispiel an den Status der Ersatz-Reservisten, welcher in Friedenszeiten bedeutende Schichten des Bürgertums, des Großbauerntums und der Dorfintelligenz nur mit einem sehr geringen Militärdienst belastete. Noch wichtiger war jedoch die gesellschaftliche Bedeutung der Institution der Reserveoffiziere gewesen. Während in dem Jahrzehnt nach dem Ausgleich es ziemlich schwer gewesen war die Studentenjugend zur Absolvierung des Freiwilligenjahres und der Freiwilligenprüfung zu bewegen, bedeutete später eben für das Bürgertum und für die Intelligenz der Rang eines Reserveoffiziers die Anerkennung der Zugehörigkeit zur Mittelklasse, den Status des „duellfähigen Gentlemans”, welcher, wenn auch keine Gleichheit, jedoch eine gewisse Gleichberechtigung mit dem Adel und mit den neuen Führungsschichten bedeutete. Dieser Status hatte eine besondere Wichtigkeit für die nichtdeutschen Nationalitäten, und, nicht zuletzt, für das jüdische Bürgertum.

Es ist charakteristisch dafür, dass während sich das Verhältnis der jüdischen Berufsoffiziere um 1 % bewegte, doch im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts sank auch dieses Verhältnis auf 7–8 Promille, solange betrug das Verhältnis der Juden unter den Reserveoffizieren und Offiziersaspiranten im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts etwa 18 %. Der Unterschied bei den über eine bedeutende Intelligenz verfügenden nichtdeutschen Nationalitäten ist auch, wenn auch nicht derart groß, jedoch beträchtlich. Hier folgen einige Verhältniszahlen, der offiziellen Nationalitätenstatistik des Jahres 1898:

 

Nationalitäten             Berufsoffiziere            Reserveoffiziere

Tschechen                                          5,4 %              8,6 %

Polen                                      2,8 %              3,6 %

Italiener                                              0,6 %              1,2 %

Ungarn                                               7,9 %              22,3 %

Ungarn

ohne Juden, etwa                               7,5 %              16,0 %

Kalvinistische Reformierte

(hauptsächlich Ungarn)                      1,6 %              3,3 %